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Schadensersatzanspruch des übergangenen Bieters im Unterschwellenbereich ohne vorherige Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz (OLG Saarbrücken, Urt. v. 15.06.2016 – 1 U 151/15)

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BauleistungenRecht

EntscheidungDie Schadensersatzklage des unterlegenen Bieters setzt nicht die vorherige Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz voraus. Der Verzicht auf Primärrechtsschutz kann allerdings zu einer Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens führen. Dies hat das OLG Naumburg am 23.12.2015 – 2 U 74/14 – bereits für den Oberschwellenbereich entschieden. Das OLG Saarbrücken führt diese Rechtsprechung in seinem Urteil vom 15.06.2016 nunmehr für den Unterschwellenbereich fort.

§§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB; §§ 13 Abs. 1, 16 Abs. 1 VOB/A a.F.

Leitsatz

1. Die Bieter haben – auch im Unterschwellenbereich – gegen den Auftraggeber einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn dieser durch Missachtung der Vergabevorschriften den Bietern einen Schaden zufügt.
2. Der Geltendmachung von Schadensersatz steht nicht entgegen, dass ein Bieter zuvor keinen Primärrechtsschutz – hier in Form der einstweiligen Verfügung – in Anspruch genommen hat.

Sachverhalt

Die öffentliche Auftraggeberin schrieb Bauarbeiten an einer Brücke aus, die die europäischen Schwellenwerte für Bauleistungen nicht überschritten. Das Leistungsverzeichnis enthielt konkrete Vorgaben zur Bauausführung. Nebenangebote wurden nicht zugelassen. Ausschließliches Wertungskriterium war der Preis.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bot die günstigste Bieterin zunächst eine andere als die im Leistungsverzeichnis vorgesehene Auftragsausführung an und legte diese ihrer Kalkulation zugrunde. Nach Durchführung eines Aufklärungsgespräches änderte sie ihr Angebot in eine ausschreibungskonforme Bauausführung. Die Auftraggeberin erteilte ihr daraufhin den Zuschlag. Erst danach informierte sie die zweitplatzierte Bieterin. Diese hatte zwischen dem Zuschlag und der Information über die erfolgte Zuschlagserteilung Rügen gegen das Angebot der günstigsten Bieterin vorgebracht. Sie hatte jedoch nicht versucht, die Zuschlagserteilung im Wege einer einstweiligen Verfügung zu verhindern (sog. Primärrechtsschutz). Die zweitplatzierte Bieterin verklagte die Auftraggeberin anschließend vor dem Landgericht Saarbrücken auf Schadensersatz in Form des entgangenen Gewinns.

Das Landgericht Saarbrücken erklärte die Klage in einem Grundurteil für gerechtfertigt, ohne über die Höhe des Anspruchs zu entscheiden. Gegen das Urteil legte die Auftraggeberin Berufung ein.

Die Entscheidung

Das OLG Saarbrücken hat die Berufung der Auftraggeberin zurückgewiesen.

Der Zulässigkeit der Schadensersatzklage stehe zwar nicht entgegen, dass die Klägerin zuvor keinen Primärrechtsschutz in Form einer einstweiligen Verfügung in Anspruch genommen habe. Dies könne allerdings zu einer Minderung des Schadensersatzanspruchs aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB wegen Mitverschuldens führen. Denn ein Bieter sei grundsätzlich gehalten, „durch rechtzeitige Rüge oder durch rechtzeitigen Nachprüfungsantrag seine Chance auf Erhalt des Zuschlags zu wahren„.

Der Klägerin könne ein solches Mitverschulden hier indessen nicht vorgeworfen werden, weil diese faktisch keine Möglichkeit gehabt habe, effektiven Primärrechtsschutz zu erlangen. Sie sei über die beabsichtigte Zuschlagserteilung nicht informiert worden und habe mit einer Zuschlagserteilung an die günstigste Bieterin auch nicht rechnen müssen.

Die Auftraggeberin sei hier zum Schadensersatz verpflichtet, da das Angebot der erfolgreichen Bieterin gemäß §§ 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. b, 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A auszuschließen gewesen sei. Die betroffene Bieterin habe ursprünglich eine Leistung angeboten, die nicht der Ausschreibung entsprochen habe. Die nachträgliche Angebotsänderung zur Heilung dieses Fehlers sei unzulässig.

Rechtliche Würdigung

Das OLG Saarbrücken überträgt mit seinem Urteil die vom OLG Naumburg im Jahr 2014 aufgestellten Grundsätze zum Schadensersatz im Oberschwellenbereich (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 23.12.2014 – 2 U 74/14) auf den Unterschwellenbereich. Dies ist folgerichtig und war zu erwarten. Im Rahmen des Sekundärrechtsschutzes kann es hier keine grundsätzlichen Differenzierungen geben.

Das Gericht geht ebenfalls zutreffend davon aus, dass die Notwendigkeit einer vorherigen Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz allein eine Frage des Mitverschuldens ist. Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist dabei die Schadensabwendungs- und -minderungspflicht des Anspruchstellers gemäß § 254 Abs. 2 S. 1 BGB. Dies dürfte unabhängig von der in der Entscheidung offen gelassenen Frage gelten, ob der Auftraggeber verschuldensunabhängig haftet oder nicht.

Leider enthält das Urteil keine eindeutige Aussage dazu, ob zur Vermeidung einer Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens sowohl die rechtzeitige Rüge des Vergabeverstoßes als auch ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gemäß §§ 935 ff. ZPO notwendig ist. Letztendlich musste das Gericht diese Frage nämlich nicht abschließend entscheiden, weil die Klägerin aufgrund der verspäteten Information über die Zuschlagserteilung weder die Möglichkeit der rechtzeitigen Rüge noch die eines Eilverfahrens hatte.

Der Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt nach herrschender Rechtsprechung zwingend eine vorherige Rüge des Vergabeverstoßes voraus. Eine einstweilige Verfügung ohne vorherige Rüge kommt daher nicht in Betracht und somit auch keine Kürzung des Schadensersatzanspruchs. Daher stellt sich lediglich die Frage, ob allein eine isolierte Rüge ausreichend sein kann, um den Schadensersatzanspruch in voller Höhe zu erhalten. Das ist jedoch zweifelhaft. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Geschädigter die ihm zumutbaren und erfolgsversprechenden Rechtsbehelfe zu ergreifen, um ein Mitverschulden seinerseits auszuschließen. Daraus könnte geschlussfolgert werden, dass sowohl die vorherige Rüge als auch die Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz für den vollständigen Erhalt des Schadensersatzanspruchs erforderlich sind. Eine abschließende Entscheidung der Gerichte zu dieser Frage steht jedoch noch aus.

DVNW_Mitglied

Praxistipp

Bis zu einer eindeutigen Entscheidung der Rechtsprechung sind übergangene Bieter gut beraten, Vergabeverstöße auch im Unterschwellenbereich zunächst rechtzeitig zu rügen. Bei Nichtabhilfe der Rüge sollte anschließend um Primärrechtsschutz in Form des einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht werden, um dem Risiko der Kürzung ihres Schadensersatzanspruchs vorzubeugen.

Unterlegene Bieter sollten sich darüber hinaus auch deshalb nicht ausschließlich auf die nachträgliche Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs beschränken, weil die Hürden hierfür sehr hoch sind. Insbesondere obliegt es dem Anspruchsteller zu beweisen, dass er ohne den Vergaberechtsverstoß den Zuschlag sicher erhalten hätte.

Kontribution
Dieser Beitrag wurde von Frau RA´in Marieke Schwarz in Zusammenarbeit mit ihrem Kollegen, Herrn RA Alexander Falk, verfasst.

Alexander Falk

Über Alexander Falk

Der Autor Alexander Falk ist Rechtsanwalt bei Orth Kluth Rechtsanwälte in Düsseldorf. Als Mitglied der dortigen Praxisgruppe Öffentliches Recht und Vergaberecht berät und begleitet er bundesweit öffentliche Auftraggeber und Bieter bei verschiedensten Ausschreibungen.

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Titisee-Neustadt rügt erfolglos die richterliche Ausgestaltung des kartellrechtlichen Diskriminierungsverbots – Beschluss vom 22. August 2016, 2 BvR 2953/14

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Recht

Gemeinden haben bei der Vergabe von Stromkonzessionen das kartellrechtliche Diskriminierungsverbot zu beachten.

Die Rechtsprechung leitet hieraus das Verbot der direkten Übernahme örtlicher Energieverteilernetze ohne vorherige Ausschreibung (Verbot direkter Aufgabenerledigung), das Verbot, bei der Ausschreibung des Betriebs örtlicher Energieverteilernetze den Betrieb durch eine kommunale Beteiligungsgesellschaft vorzugeben (Systementscheidungsverbot), sowie das Verbot, bei der Auswahl des Betreibers eines örtlichen Energieverteilernetzes spezifische kommunale Interessen zu berücksichtigen (Verbot der Berücksichtigung kommunaler Interessen) ab. Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass es sich bei dieser Rechtsprechung um in Anwendung bestehenden Gesetzesrechts entwickelte Grundsätze handelt, denen nicht die Qualität selbständiger Rechtsnormen zukommt. Deshalb können sie auch nicht im Wege der Kommunalverfassungsbeschwerde gerügt werden.

Sachverhalt:

Die Gemeinde Titisee-Neustadt hatte mit einem privaten Energienetzbetreiber einen Stromkonzessionsvertrag geschlossen, der zum 31. Dezember 2011 auslief. Um nach Auslaufen des Konzessionsvertrags das Stromnetz im Stadtgebiet selbst betreiben zu können, gründete die Beschwerdeführerin zusammen mit einem Partner eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Gleichzeitig forderte die Beschwerdeführerin den privaten Energienetzbetreiber und einen Wettbewerber zur Abgabe eines abschließenden Angebots für die Stromkonzession auf. Am Ende entschied sich der Gemeinderat der Beschwerdeführerin dafür, den Konzessionsvertrag mit der neu gegründeten Gesellschaft abzuschließen. Nach einer Rüge des privaten Energienetzbetreibers leitete das Bundeskartellamt gegen die Beschwerdeführerin ein Verfahren wegen des Verdachts des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung und einer Wettbewerbsbeschränkung ein. Daraufhin erhob die Beschwerdeführerin eine Kommunalverfassungsbeschwerde und beantragte die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Verbots direkter Aufgabenerledigung, des Systementscheidungsverbots, sowie des Verbots der Berücksichtigung kommunaler Interessen, die aus Sicht der Beschwerdeführerin in der kartellrechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Ausdruck kommen.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da sie kein im Wege der Kommunalverfassungsbeschwerde rügefähiges Gesetz bezeichnet (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 BVerfGG).

1. Beschwerdegegenstand der Kommunalverfassungsbeschwerde kann ein Gesetz des Bundes oder eines Landes sein (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG sowie § 91 Satz 1 BVerfGG). Gerichtliche Entscheidungen können im Verfahren der Kommunalverfassungsbeschwerde hingegen nicht dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorgelegt werden. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass die von ihr angegriffene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als Rechtsnorm anzusehen sei, die Außenwirkung gegenüber den Kommunen entfalte, kann nicht gefolgt werden. Auch höchstrichterliche Urteile sind kein Gesetzesrecht und erzeugen keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Durch eine generelle Anerkennung der Rechtsnormqualität gerichtlicher Entscheidungen würde die vom Verfassungsgeber vorgenommene Beschränkung der Kommunalverfassungsbeschwerde auf Gesetze unterlaufen und die Kommunalverfassungsbeschwerde in eine Urteilsverfassungsbeschwerde umgewandelt. Die von der Beschwerdeführerin angegriffenen Urteile beruhen auf einer Auslegung von § 46 Energiewirtschaftsgesetz und wurden insofern in Anwendung bereits bestehenden Gesetzesrechts gefällt. Deswegen kommt ihnen die Qualität selbständiger, im Wege der Kommunalverfassungsbeschwerde rügefähiger Rechtsnormen nicht zu.

2. Durch die mangelnde Angreifbarkeit gerichtlicher Urteile im Rahmen der Kommunalverfassungsbeschwerde entstehen auch keine Rechtsschutzlücken. Denn zum einen sind die Fachgerichte dazu aufgerufen, in den ihnen zur Entscheidung vorgelegten Verfahren auch der besonderen Bedeutung der den Gemeinden gewährleisteten Garantie der kommunalen Selbstverwaltung Rechnung zu tragen. Zum anderen besteht in Fällen, in denen sich die Fachgerichte an eine verfassungsrechtliche Vorgaben nicht hinreichend berücksichtigende Gesetzeslage gebunden sehen, nach Art. 100 Abs. 1 GG die Verpflichtung, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht

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Die elektronische Bereitstellung von Vergabeunterlagen – vier Fragen (Teil 3)

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Recht

Seit dem 18. April 2016 müssen Auftraggeber grundsätzlich schon zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung die Vergabeunterlagen vollständig elektronisch zum Abruf bereitstellen. Ausnahmeregelungen, die insbesondere technische Hindernisse betreffen, dürften für die breite Masse der Vergabeverfahren nicht relevant sein. Doch was bedeutet diese Pflicht im Einzelnen und wie weit reicht sie tatsächlich? Müssen in jedem Fall eine vollständige Leistungsbeschreibung, der Vertrag oder die Bewertungsmatrix für die Angebotsauswertung online gestellt werden? Ein Beitrag in drei Teilen.

In dem ersten Teil wurden die Fragen untersucht, was genau die vollständige elektronische Verfügbarkeit erfordert und etwaige Ausnahmen untersucht. In Teil 2 dieses Beitrages wurden die Regelungen in der VOB/A und der VgV untersucht.

4. Was gilt im Sektorenbereich?

Die Sektorenverordnung enthält teils ähnliche Vorschriften wie die VgV. So regelt § 41 Abs. 1 SektVO ebenfalls ohne Einschränkungen eine Bereitstellung der Vergabeunterlagen zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung. Eine Definition des Begriffs „Vergabeunterlagen“ gibt es hier zwar nicht. Aus § 13 Abs. 1 Nr. 1 SektVO, der den Übergang in ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb regelt, kann man nur entnehmen, dass die Vergabeunterlagen bei Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb „die Bedürfnisse und Anforderungen des Auftraggebers“ angeben müssen. Ob hinsichtlich des Inhalts zwischen Vergabeunterlagen in ein- oder zweistufigen Verfahren unterschieden wird, lässt sich dieser Bestimmung nicht entnehmen.

Ebenso wie § 52 VgV regelt § 42 SektVO jedoch die Aufforderung zur Angebotsabgabe in zweistufigen Verfahren gesondert und bestimmt in Absatz 2 Nr. 1 als Mindestangabe einen Hinweis auf die veröffentlichte Auftragsbekanntmachung. Zumindest mittelbar wird also auch hier die Internetadresse, unter der die Unterlagen zum Abruf bereit stehen, noch einmal bei der Aufforderung zur Angebotsabgabe mitgeteilt. Es ist davon auszugehen, dass die Anforderungen im Sektorenbereich nicht strenger sind, als im Anwendungsbereich der VgV. Wenn man sich insoweit an den Vorgaben im Bereich klassischer Vergaben orientiert, dürfte man wohl zumindest keinen Fehler machen.

Darüber hinaus sieht § 42 Abs. 2 Nr. 5 SektVO eine weitere, explizite Erleichterung vor. Bei zweistufigen Verfahren scheint es demnach zulässig, die Gewichtung der Zuschlagskriterien oder die Kriterien in absteigender Reihenfolge auch nur den ausgewählten Bewerbern mit Aufforderung zur Angebotsabgabe mitzuteilen. Diese Angaben müssen dann also offenbar noch nicht in den Vergabeunterlagen enthalten sein, die ab Auftragsbekanntmachung zum Download zur Verfügung stehen.

5. Fazit

Im Grundsatz gilt, dass die Vergabeunterlagen zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung oder dem Aufruf zur Interessenbekundung zum Download zur Verfügung stehen müssen. Wie weit der bereit zu stellenden Inhalt jedoch reicht und welchem Adressatenkreis gegenüber die jeweilige Internetadresse mitzuteilen ist, kann sich je nach Verfahrensgestaltung im einzelnen doch stark unterscheiden. Insbesondere bei zweistufigen Verfahren dürfte der Umfang der Vergabeunterlagen, die bereits zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung bereit gestellt werden müssen, mit dem Umfang der bestehenden Spielräume in den jeweiligen Verfahren korrespondieren.

Natürlich bleibt es dem Auftraggeber unbenommen, im Teilnahmewettbewerb bereits dieselben Unterlagen zum Abruf bereit zu stellen wie später im Rahmen der Aufforderung zur Angebotsabgabe, ohne insoweit zwischen ein- und zweistufigen Verfahren zu differenzieren. Dies kann insbesondere im Hinblick auf die Rügeobliegenheit des § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB sogar empfehlenswert sein. Eine Verpflichtung dazu lässt sich aus den Bestimmungen der VgV und der VOB/A jedoch nicht ohne weiteres ableiten. Vor dem Hintergrund der grundlegenden Bedeutung wären allerdings klarere und für den Bereich der VgV und der VOB/A einheitlich formulierte Regelungen wünschenswert.

Anmerkung der Redaktion
Wenn Sie mehr zu diesem Thema wissen möchten, dann besuchen Sie unser Seminar Ausschreibungen richtig vorbereiten & Unterlagen professionell erstellen, welches die DVNW Akademie mit Frau Dr. Valeska Pfarr und Herrn Dipl.-Verwaltungswirt Joachim-E. Warbek als Referenten am 20.09.2016 in Köln durchführen wird.

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In-house-Vergaben nach der Vergaberechtsreform – Erste Antworten zur Auslegung der neuen Norm (VK Bund, Beschl. v. 18.05.2016 – VK 1-18/16)

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Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungMit der Vergaberechtsreform und der Neufassung des 4. Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) wurden erstmalig in § 108 GWB ausdrückliche Regelungen zur Zulässigkeit von In-house-Vergaben geschaffen. Die Vergabekammer des Bundes hat nun in einer Entscheidung zur alten Rechtslage wichtige Aussagen zu den Voraussetzungen eines vergaberechtsfreien In-house-Geschäftes nach den neuen Vorschriften, insbesondere zum sogenannten Wesentlichkeitskriterium, getroffen.

Sachverhalt

Im Rahmen eines noch bis zum 31. Juli 2017 laufenden Vertrags mit der Bundesrepublik Deutschland (Antragsgegnerin) erbringt die Antragstellerin derzeit bestimmte Chauffeurdienstleistungen. Anfang 2016 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin darüber, dass sie beabsichtige, die entsprechenden Dienstleistungen nach Auslaufen des Vertrages „im Wege einer öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit“ an die „bundeseigene“ BwFuhrparkService GmbH (Beigeladene) zu übertragen.

Die BwFuhrparkService GmbH wurde 2002 gegründet. Seit 2006 sind ihre Gesellschafter die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit 75,1% der Anteile, vertreten durch das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg), und die Deutsche Bahn AG (DB AG) mit 24,9% der Anteile. Alleiniger Anteilseigner an der DB AG ist ebenfalls der Bund.

Der Gesellschaftszweck der BwFuhrparkService GmbH besteht in der „Entwicklung eines übergreifenden Flottenmanagement-Systems“ und in der „Übernahme von Mobilitäts- und Flottenmanagementaufgaben für den Geschäftsbereich […]“. Gemäß Gesellschaftsvertrag ist die BwFuhrparkService GmbH auch berechtigt, bestimmte Leistungen gegenüber Dritten zu erbringen, soweit sichergestellt bleibt, dass die Gesellschaft im Wesentlichen für den Bund tätig wird.

Die Antragstellerin setzte sich gegen die geplante Beauftragung der BwFuhrparkService GmbH zur Wehr und reichte einen Nachprüfungsantrag mit dem Argument ein, die Voraussetzungen für ein In-house-Geschäft lägen nicht vor, der Auftrag sei daher auszuschreiben.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer des Bundes weist den Nachprüfungsantrag zurück. Die beabsichtigte Beauftragung der Beigeladenen stelle ein vergaberechtlich zulässiges In-house-Geschäft dar.

Auch wenn der Vertragsschluss zwischen der BRD und der BwFuhrparkService GmbH erst nach Inkrafttreten des neuen Vergaberechts erfolgen wird, legt die Vergabekammer ihrer Prüfung die Rechtslage vor dem 18. April 2016 zugrunde, da es bei Auftragsvergaben ohne geregeltes Vergabeverfahren, wie im vorliegenden Fall, zeitlich auf die nach außen erkennbar gewordene Umsetzung eines internen Beschaffungsbeschlusses eines öffentlichen Auftraggebers ankommt; Voraussetzung ist, dass der öffentliche Auftraggeber über das Stadium bloßer Vorbereitungshandlungen oder Vorstudien des Marktes hinaus organisatorische und planerische Maßnahmen ergriffen hat, um einen konkreten Auftragnehmer zu ermitteln. Solche Handlungen sind hier schon vor Inkrafttreten des neuen § 108 GWB erfolgt, wie sich aus der Information an die Antragstellerin im Januar 2016 ergibt. Da die entsprechenden Regelungen in den europäischen Vergaberichtlinien, hier Art. 12 der Richtlinie 2014/24/EU, jedoch ohne Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten umzusetzen waren und Vorwirkung entfalteten, setzt sich die Vergabekammer in ihren Ausführungen detailliert mit den Voraussetzungen der neuen Normen zur In-house-Vergabe auseinander.

Die Beauftragung der BwFuhrparkService GmbH ist nach Ansicht der Vergabekammer des Bundes vergaberechtsfrei zulässig, da die erforderlichen Voraussetzungen für ein In-house-Geschäft, das heißt,
• Kontrollkriterium,
• Wesentlichkeitskriterium und
• keine direkte private Kapitalbeteiligung am Auftragnehmer,
vorliegen:

1. Kontrollkriterium
Die Antragsgegnerin, die Bundesrepublik Deutschland, übt über die BwFuhrparkService GmbH eine ähnliche Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle aus.
Maßgeblich hierfür ist nach der zu In-house-Vergaben ergangenen Rechtsprechung und den neuen Vorschriften, dass der öffentliche Auftraggeber einen ausschlaggebenden Einfluss sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wesentlichen Entscheidungen des Auftragnehmers ausübt.
Als Anhaltspunkte und Argumente für die Kontrolle und den ausschlaggebenden Einfluss des Bundes über die beigeladene BwFuhrparktService GmbH führt die Vergabekammer verschiedene Aspekte an:
Mehrheitsanteile: Die BRD hält mit 75,1 % der Geschäftsanteile der BwFuhrparkService GmbH die eindeutige Mehrheit der Anteile.
Bestellung der Geschäftsführung: Die Geschäftsführer der BwFuhrparkService GmbH werden durch die Gesellschafterversammlung bestellt, angestellt und gegebenenfalls abberufen.
Weisungsbefugnis: Die Gesellschafter dürfen der Geschäftsführung Weisungen erteilen, insbesondere kann der Gesellschafter Bund geschäftsleitende Weisungen erteilen und Richtlinien für die Geschäftspolitik aufstellen.
Zustimmungsvorbehalt der Gesellschafter: Bestimmte, für die Gesellschaft der Beigeladenen besonders bedeutende Geschäfte dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Gesellschafterversammlung vorgenommen werden (z. B. Abschluss, Änderung oder Aufhebung von Unternehmensverträgen, Bestellung von Prokuristen, Erteilung und Widerruf von Generalvollmachten, endgültige Festlegung des jährlichen Geschäftsplans).
Besetzung Aufsichtsrat: Über den Aufsichtsrat der Beigeladenen hat der Bund erhebliche Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten auf das Unternehmen. Von den insgesamt sechs Aufsichtsratsmitgliedern stammen derzeit, abgesehen von den zwei Arbeitnehmervertretern, alle Mitglieder aus einem Bundesministerium.
Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrates: Der Aufsichtsrat entscheidet über die Aufnahme neuer Geschäftszweige oder die Aufgabe vorhandener Tätigkeitsbereiche, sowie über grundlegende Änderungen in der Unternehmens- und Konzernorganisation.

2. Wesentlichkeitskriterium
Die BwFuhrparkService GmbH ist als kontrollierte Person im Wesentlichen für die Bundesrepublik Deutschland tätig. Die Mehrheit ihrer Tätigkeiten dient der Ausführung von Aufgaben, mit denen sie von der Auftraggeberin BRD oder von einer anderen juristischen Person, die von dieser kontrolliert wird, betraut wurde.

Nach den Ausführungen der Vergabekammer sind alle Tätigkeiten der BwFuhrparkService GmbH als „inhouseunschädliches“ Eigengeschäft anzusehen, die für den Bund selbst und dem Bund zuzurechnende Stellen erbracht werden, also auch für Bundesministerien, Bundesbehörden, -anstalten und -ämter.

Anders als die Antragstellerin vorträgt, sind bei der Berechnung des Anteils der Tätigkeiten für den Auftraggeber für das Wesentlichkeitskriterium nicht nur Tätigkeiten hoheitlicher Natur, sondern auch fiskalische Tätigkeiten zu berücksichtigen. Wie die Vergabekammer zu Recht ausführt, würde die Auslegung der Formulierung „betraut wurde“ in § 108 GWB lediglich im Sinne einer Betrauung mit hoheitlichen Tätigkeiten ansonsten die Möglichkeiten der vergaberechtfreien In-house-Beauftragung erheblich einschränken, was vom Gesetzgeber bei der Schaffung der neuen Normen offenbar nicht beabsichtigt war. Auch die Ansicht, inhouseunschädliche Tätigkeiten seien nur solche, bei denen der Auftragnehmer nicht mit privaten Anbietern konkurriere, lehnt die Vergabekammer richtigerweise ab.

Als inhouseschädliche Fremdgeschäfte der Bw FuhrparktService GmbH qualifiziert die Vergabekammer daher allein die Tätigkeiten, die nicht für den Bund, sondern für „Dritte (Private)“ erbracht werden. Dies sind hier das Carsharingangebot, das auch Privatpersonen in Anspruch nehmen können, und die Entgelte, die die Beigeladene aus der Überlassung ihrer Fahrzeuge an die übrigen Mitglieder der sogenannten Fuhrpark-Gruppe erzielt. In der Fuhrpark-Gruppe arbeitet die Beigeladene auf Basis einzelner Vertragsbeziehungen in einigen Geschäftsbereichen mit anderen Unternehmen punktuell zusammen, um „Synergien zu generieren“.

Umsätze, die die Beigeladene mit dem Verkauf von nicht mehr genutzten Fahrzeugen erzielt, sind dagegen nach den Ausführungen der Vergabekammer nicht zu berücksichtigen, da es sich hierbei lediglich um außerordentliche betriebliche Vorgänge (Veräußerung von Anlagegegenständen) handele und diese Tätigkeit nicht dem eigentlichen Betriebszweck der Gesellschaft diene.

Entgegen der von der Antragstellerin vertretenen Ansicht sind der BwFuhrparkService GmbH auch nicht Umsätze von den anderen Unternehmen der Fuhrpark-Gruppe zuzurechnen. Nach richtiger Auffassung der Vergabekammer sind die Umsätze dieser Unternehmen bei der Betrachtung der Umsätze der BwFuhrparkService GmbH nicht zu berücksichtigen, da es sich um unabhängige und eigenständige Unternehmen handelt. Die Tätigkeiten anderer Unternehmen seien nach Ansicht der Vergabekammer nur dann bei der Bestimmung des Fremdgeschäftsanteils einer Inhouse-Einrichtung zu berücksichtigen, wenn diese Unternehmen wirtschaftlich, rechtlich, vertraglich und personell miteinander verbunden und aufeinander angewiesen sind. Dies ist hier bezüglich der BwFuhrparktService GmbH und den weiteren Unternehmen der Fuhrpark-Gruppe jedoch nicht der Fall; die Beigeladene verfügt insbesondere über ausreichende eigene personelle und technische Kapazitäten.

Die demzufolge als Fremdgeschäfte zu betrachtenden Leistungen und Umsätze der BwFuhrparkService GmbH machen für die Jahre 2013 bis 2015 lediglich zwischen 0,01 und 0,16 % des Gesamtumsatzes aus. Der Anteil liegt somit weit unter dem gemäß § 108 GWB für Fremdgeschäfte nun zulässigen Anteil von 20 % und dem in der zuvor ergangenen Rechtsprechung als zulässig qualifizierten Anteil von ca. 10 %. Die BwFuhrparkService GmbH ist damit eindeutig im Wesentlichen für den Auftraggeber tätig, beziehungsweise dient die Mehrheit ihrer Tätigkeiten der Ausführung von Aufgaben, mit denen sie von der BRD oder von einer anderen juristischen Person, die von dieser kontrolliert wird, betraut wurde.

3. Keine direkte private Kapitalbeteiligung am Auftragnehmer
An der Auftragnehmerin, der BwFuhrparkService GmbH, besteht zudem keine direkte private Kapitalbeteiligung. Dabei ist es nach Auffassung der Vergabekammer des Bundes unschädlich, dass 24,9 % der Anteile von der DB AG, einem privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen, gehalten werden. Die Beteiligung eines Unternehmens in Staatsbesitz, das jedoch privatwirtschaftlich tätig ist, stellt keine inhouseschädliche private Kapitalbeteiligung dar. Mit dem nun ausdrücklich in § 108 GWB geregelten Tatbestandsmerkmal „keine direkte private Kapitalbeteiligung“ ist nach Auslegungsgrund 32 der Richtlinie 2014/24/EU lediglich die Beteiligung eines privaten Wirtschaftsteilnehmers gemeint. Zur Auslegung des Begriffs der privaten Kapitalbeteiligung hat der Europäische Gerichtshof auch Begriffe wie „privates Unternehmen“, „Privatperson“ oder „privatwirtschaftliche Einrichtung“ verwendet. Die Beteiligung eines vom Staat gehaltenen Unternehmens in lediglich privatwirtschaftlicher Organisationsform (beispielsweise GmbH oder AG, im Gegensatz zu öffentlich-rechtlichen Organisationsformen wie Körperschaft des öffentlichen Rechts, Anstalt des öffentlichen Rechts etc.) ist keine private Kapitalbeteiligung in diesem Sinne.

Hintergrund des Verbots der privaten Kapitalbeteiligung ist die Annahme, dass die Anlage von privatem Kapital in einem Unternehmen auf anderen, nämlich mit privaten Interessen zusammenhängenden Überlegungen beruht als die im öffentlichen Interesse liegenden Ziele des öffentlichen Auftraggebers. In Staatsbesitz befindliche Unternehmen haben jedoch stets öffentliche Interessen zu verfolgen, unabhängig davon, in welcher Rechtsform sie organisiert sind.

Rechtliche Würdigung

Die Vergabekammer des Bundes prüft in dieser Entscheidung die Voraussetzungen eines In-house-Geschäftes nach der neu geschaffenen Norm des § 108 GWB anhand des festgestellten Sachverhaltes schulbuchmäßig und korrekt durch. Losgelöst von dem konkreten Fall trifft sie dabei allgemeingültige Aussagen zur Auslegung der neuen Vorschrift, insbesondere zu den Begriffen „betraut wurde“ im Rahmen des Wesentlichkeitskriteriums und „private Kapitalbeteiligung“, die wichtige Hilfestellungen für die Prüfung der Inhousefähigkeit vergaberechtsfreier Beauftragungen anhand der neuen Regelung liefern.

Gegen die Entscheidung der Vergabekammer wurde sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf (Az. Verg 23/16) eingelegt. Es bleibt daher abzuwarten, ob das Oberlandesgericht die Ausführungen bestätigen wird.

Hinweis der Redaktion

Die Themen In-house-Vergaben und horizontale Kooperationen nach der neuen Vorschrift § 108 GWB werden im Rahmen eines Seminars der DVNW Akademie, das die Autorin Julia Gielen gemeinsam mit Herrn Dipl.-Verwaltungswirt Wilhelm Kruth am 24. November 2016 in Berlin hält, behandelt. In diesem Seminar werden die Möglichkeiten der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeiten nach d en neuen Vorschriften vorgestellt und anhand von Praxisbeispielen erläutert. Weitere Informationen und Anmeldung hier.

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Frist für Geltendmachung unzulässiger De-facto-Vergabe bei Vertragsänderungen (OLG Frankfurt a.M, Beschl. v. 03.05.2016 – 11 Verg 12/15)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

Entscheidung Ein als Ergebnis einer Ausschreibung rechtswirksam abgeschlossener Vertrag kann vom unterlegenen Bieter nicht – auch nicht über „die Hintertür“ einer (angeblich) unzulässigen wesentlichen De-facto-Vertragsänderung – während der Vertragsausführung vergaberechtlich noch angegriffen werden, selbst wenn der bezuschlagte Auftragnehmer ggf. vertragliche Pflichten verletzt hat.

GWB a.F. 101b Abs. 2 [GWB n.F. § 134 Abs. 2]

Leitsatz

  1. Eine unzulässige De-facto-Vergabe kann auch im Falle von Vertragsänderungen nur innerhalb von sechs Monaten nach Vertragsabschluss geltend gemacht werden. Auf den Zeitpunkt der Änderung kann für den Fristbeginn nur dann abgestellt werden, wenn die Änderung isoliert angegriffen werden kann.
  2. Ein unterlegener Bieter kann im Rahmen eines Vergabenachprüfungsverfahrens nicht verlangen, dass der Auftraggeber im Rahmen seines Vertragsverhältnisses mit dem bezuschlagten Bieter von etwaigen Leistungsstörungsrechten Gebrauch macht.

Sachverhalt

Der Auftraggeber hatte im Jahr 2014 IT-Dienstleistungen („Nutzung, Migration und Pflege eines online-Rechtsinformationssystems für das Land Hessen“) europaweit ausgeschrieben. Die Antragstellerin war der bisherige Dienstleister für die Datenpflege und hatte sich an der Ausschreibung des Folgeauftrags beteiligt. Der Zuschlag war jedoch der Beigeladenen „als Bestbieter“ erteilt worden. Diese Vergabeentscheidung zugunsten des Wettbewerbers war von der Antragstellerin vergaberechtlich nicht angegriffen worden.

Im Anschluss an die Ausschreibung kam es zu umfangreicher Korrespondenz zwischen allen Beteiligten, um die Migration der bislang von der Antragstellerin gepflegten Daten auf das System der Beigeladenen zu bewerkstelligen. Die vorgesehene Zwei-Monats-Frist zur Datenmigration konnte nicht eingehalten werden, wobei die Gründe für die Verzögerung zwischen den Beteiligten streitig sind.

Die Antragstellerin rügte im Juli 2015 eine bis dahin nach ihrer Ansicht erfolgte dreifache Verlängerung der vertraglichen Ausführungsfrist als eine wesentliche Vertragsänderung, die eine vergaberechtlich unzulässige De-facto-Vergabe darstelle und verlangte Abhilfe dergestalt, dass die Ausschreibung „Nutzung, Migration und Pflege eines online-Rechtsinformationssystems für das Land Hessen“ aus dem Jahr 2014 wiederholt werde. Da der Rüge nicht abgeholfen wurde, beantragte die Antragstellerin im August 2015 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.

Die Entscheidung

Das OLG Frankfurt wies – wie bereits die 1. Vergabekammer des Landes Hessen als Vorinstanz, B. v. 18.11.2015 – AZ: 69 d VK 42/2015 – den Nachprüfungsantrag (mit mehreren Anträgen) teilweise bereits als unzulässig, jedenfalls aber als unbegründet zurück und begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Antragstellerin mit ihren Anträgen nicht isoliert die von ihr behauptete Vertragsänderung angreife, sondern den zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen bestehenden Vertrag insgesamt. Die Antragstellerin halte den bestehenden Vertrag für unwirksam und begehre die Neuausschreibung der gesamten in dem Vertrag geregelten Dienstleistungen. Der bestehende Vertrag sei aber durch Zuschlagserteilung im Jahr 2014 zustande gekommen. Ein wirksam erteilter Zuschlag kann im Nachprüfungsverfahren nicht mehr aufgehoben werden (§ 114 Abs. 2 Satz 1 GWB a.F. [§ 168 Abs. 2 Satz 1 GWB n.F.]

Soweit sich die Antragstellerin auf eine unzulässige De-facto-Vergabe berufe, sei der Nachprüfungsantrag nach § 101b Abs. 2 Satz 1 GWB a.F. [GWB n.F. § 134 Abs. 2] verfristet, weil er nicht innerhalb von sechs Monaten nach Vertragsschluss geltend gemacht worden sei. Auch wenn der ursprüngliche Vertrag durch nachträgliche Änderungen so verändert worden wäre, dass eine Neuausschreibung erforderlich geworden wäre, könne dieser ursprüngliche Vertrag nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist nicht mehr als von Anfang an und damit vollumfänglich rückwirkend als unwirksam angesehen werden.

Ein solcher Vertrag könne vor Ablauf der Vertragslaufzeit wirksam nur von den Vertragsparteien beendet werden (vgl. VK Bund, B. v. 12.11.2012, VK 1 – 109/12 – juris unter Rdnr. 41). Der Antragsgegner sei auch nicht zur außerordentlichen Kündigung der Verträge verpflichtet, da keine wesentliche Vertragsänderung vorliege. Die bei der Migration der Daten aufgetretenen Probleme in der Vertragsausführung seien durch das zivilrechtliche Leistungsstörungsrecht geregelt. Ob und wie der Auftraggeber im Rahmen des Vertrags von seinen Rechten Gebrauch mache, unterliege nicht dem Vergaberecht. Der Antragstellerin stehe kein Recht zu, den Antragsgegner zur Durchsetzung von Gewährleistungsansprüchen zu zwingen.

Etwas anderes gelte nur im Falle quantitativer Vertragsänderungen, bei denen sich die Feststellung der Unwirksamkeit auf den zusätzlichen Auftrag beschränken (vgl. VK Bund, B. v. 2.9.2013, VK 2 – 74/13). Diese Voraussetzungen lagen – so das OLG Frankfurt –  im vorliegenden Fall aber nicht vor.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des OLG Frankfurt zeigt die Grenze zwischen Vergaberecht (als dem Verfahrensrecht zum Abschluss eines Vertrags) und Zivilrecht (das in der Phase der Vertragsausführung ggf. relevant wird) zutreffend auf.

Aus Sicht der Antragstellerin als bisherigem Auftragnehmer mag es zwar misslich sein, einen Folgeauftrag an einen Wettbewerber zu verlieren, der ggf. erst einmal „große Mühe“ hat, den neu gewonnenen Auftrag vertragsgemäß zu erfüllen. Der als Ergebnis einer Ausschreibung rechtswirksam abgeschlossene Vertrag kann jedoch nicht – quasi über „die Hintertür“ einer (angeblich) unzulässigen wesentlichen (De-facto)-Vertragsänderung – während der Vertragsausführung von dem in der Ausschreibung unterlegenen Bieter vergaberechtlich noch angegriffen werden.

Möglicherweise – im entschiedenen Fall blieb dies offen – hatte die Beigeladene in der Vertragsausführung vertragliche Pflichten verletzt und zivilrechtliche Ansprüche des Auftraggebers begründet. Hierzu stellte das OLG Frankfurt indes zurecht fest, dass der Antragstellerin kein (vergaberechtliches) Recht zusteht, den Auftraggeber zur Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen, u.a. Gewährleistungsansprüchen, zu zwingen. Ob und wie ein Antragsgegner im Rahmen der Vertragsausführung von seinen zivilrechtlichen Rechten Gebrauch macht, unterliegt grundsätzlich nicht dem Vergaberecht.

Praxistipp

Die Antragstellerin hätte ggf. bereits die Zuschlagserteilung an ihren Wettbewerber bei der Ausschreibung des Folgeauftrags vergaberechtlich angreifen können/müssen, um die Beauftragung des Wettbewerbers zu verhindern. Während der Vertragsausführung hat der unterlegene Bieter keine Möglichkeit mehr, den Vertrag „anzugreifen“. Auch im Falle einer wesentlichen Vertragsänderung (vgl. § 132 GWB n.F.) kann grundsätzlich nur diese und nicht der Ausgangsvertrag vergaberechtlich angegriffen werden.

 

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Inkrafttreten der VOB 2016

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BauleistungenPolitik und MarktRecht

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) hatte im Bundesanzeiger vom 1.07.2016 eine  überarbeitete Fassung der VOB/A 1. Abschnitt bekannt gegeben (wir berichteten). Diese war jedoch noch nicht anzuwenden, da der federführende Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) beabsichtigte, alle Teile der VOB als Gesamtausgabe  “VOB 2016” herauszugeben. Mit Erlass vom 9.9.2016 hatte dann das BMUB den Zeitpunkt zur Einführung der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen und damit insbesondere die näheren Einzelheiten für den ersten Abschnitt der VOB/A (Unterschwellenrecht) auf den 1. Oktober 2016 festgelegt (wir berichteten).

Seit dem 1. Oktober 2016 sind somit anzuwenden:

– Abschnitt 1 Teil A der VOB in der Ausgabe 2016 (BAnz AT 01.07.2016 B4).

– Teil C der VOB in der Fassung der Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) herausgegeben als DIN Normen Ausgabe September 201

Auf Bundesebene gilt die Neufassung der VOB/A, deren inhaltlichen Änderungen sich aus der Veröffentlichung im Bundesanzeiger vom 01. Juli 2016 ergeben, danach seit dem 01.10.2016. Für die Städte und Gemeinden muss das Unterschwellenvergaberecht (VOB/A, 1. Abschnitt) grundsätzlich in seiner Funktion als Haushaltsrecht noch durch jeweilige Erlasse der zuständigen Landesregierungen in Kraft gesetzt werden.

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OLG Saarbrücken zum Zeitpunkt der Rügeverpflichtung und zur Bildung von Bietergemeinschaften (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 27.06.2016 – 1 Verg 2/16)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungEs gibt keine gesetzliche Vermutung dahingehend, dass die Bildung von Bietergemeinschaften gegen § 1 GWB verstößt. Eine Verfahrensrüge muss regelmäßig vor Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens erhoben werden. Kartellrechtliche Fragen der Zulässigkeit von Bietergemeinschaften sind im Nachprüfungsverfahren inzident zu prüfen, sofern eine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm einschlägig ist und der Sachverhalt leicht ermittelt werden kann.

§§ 97 Abs. 1, 101a, 107 GWB aF, § 19 Abs. 1 EG VOL/A

Sachverhalt

Die Vergabestelle und spätere Antragsgegnerin schrieb Leistungen zur Abfallsammlung in fünf Regionallosen aus. Die Vergabe war jeweils auf das Angebot mit dem günstigsten Angebotspreis vorgesehen.

Nach Auswertung der Angebote ergab sich, dass für die Vergabe der Lose 1, 2 und 4 eine Bietergemeinschaft aus drei Unternehmen vorzusehen war. Die spätere Antragstellerin belegte für das Los 1 den dritten Wertungsrang und bei den Losen 2 und 4 jeweils den zweiten Wertungsrang.

Am 26.01.2016 erteilte die Vergabestelle die Vorabinformation gem. § 101a GWB aF.

Am 03.02.2016 reichte die Antragstellerin durch ihre Verfahrensbevollmächtigten einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer ein und wandte sich mit diesem vor allem gegen die Bildung einer Bietergemeinschaft durch die Beilgeladene, die ihrer Auffassung nach gegen § 1 GWB verstoße. Am 04.02.2016 erhob sie noch eine entsprechende Rüge gegenüber der Antragsgegnerin. Am 05.02.2016 erteilte die Vergabekammer einen rechtlichen Hinweis, wonach sie den Nachprüfungsantrag mangels einer vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens erhobenen Rüge für unzulässig halte.

Am 11.02.2016 erlangte die Vergabekammer dann Kenntnis von der am Tag nach dem Antrag auf Einleitung des Nachprüfungsverfahrens erhobenen Rüge. Sie leitete daraufhin ein Nachprüfungsverfahren ein, verhandelte mündlich und wies den Nachprüfungsantrag schließlich durch Beschluss vom 15.04.2016 zurück. Die Vergabekammer hielt den Nachprüfungsantrag für unzulässig, da die Rügeobliegenheit verletzt worden sei. Im Hinblick auf Los 1 fehle der Antragstellerin im Übrigen die Antragsbefugnis. Außerdem sei der Nachprüfungsantrag auch unbegründet, da die Antragstellerin nicht in subjektiven Bieterrechten verletzt sei.

Die Entscheidung

Die gegen die Entscheidung der Vergabekammer eingelegte sofortige Beschwerde blieb ohne Erfolg.

Das OLG Saarbücken folgt der Vergabekammer zunächst darin, dass vorliegend der Nachprüfungsantrag bereits deswegen unzulässig ist, weil vor dessen Einleitung keine Rüge erhoben worden ist. Der Auffassung der Antragstellerin, wonach es genüge, dass die Rüge innerhalb der 10- Tages-Frist des § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB aF und vor Zustellung des Nachprüfungsantrags erhoben werde, teilt das OLG nicht. Der Sinn der Rügeobliegenheit läge ja gerade darin, unnötige Nachprüfungsverfahren zu verhindern, indem der jeweiligen Vergabestelle Gelegenheit gegeben werden soll, einer entsprechenden Rüge abzuhelfen.

Im Übrigen hätte die Antragstellerin nach Auffassung des OLG nach dem rechtlichen Hinweis der Vergabekammer vom 05.02.2016 ihren Antrag zurücknehmen und sogleich (weil dann nach Rügeerhebung) wieder einreichen können.

Auch sei eine vorherige Rüge auch nicht ausnahmsweise entbehrlich gewesen. Denn ein effektiver Rechtsschutz sei auch bei Einhaltung der Rügeobliegenheit gewährleistet gewesen.

Das OLG Saarbücken teilt auch die Auffassung der Vergabekammer, dass der Antragstellerin für das Los 1 keine Antragsbefugnis zusteht. Insoweit habe die Antragstellerin nicht hinreichend dargelegt, warum der zweitplatzierte Bieter nicht für den Zuschlag in Betracht kommen soll. Damit könne sie im Ergebnis nur erreichen, dass die für den Zuschlag vorgesehene Bietergemeinschaft ausgeschlossen werden muss, was aber ihre eigene Rechtsposition nicht verbessere. Dies sei aber für die Antragsbefugnis stets erforderlich.

Trotz der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags nimmt das OLG noch Stellung zu den aufgeworfenen Fragen der Zulässigkeit der Bildung der für den Zuschlag vorgesehenen Bietergemeinschaft.

Hier stellt das OLG zunächst klar, das Verstöße gegen das Kartellrecht im Nachprüfungsverfahren inzident zur prüfen seien, sofern eine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm existiert und der Sachverhalt überschaubar ist. Beides bejaht das OLG und sieht in § 97 Abs. 1 GWB und § 19 Abs. 3 lit. f) EG VOL/A die maßgeblichen Anknüpfungsnormen.

Sodann führt das OLG aus, dass § 1 GWB keine Vermutung enthalte, dass die Bildung von Bietergemeinschaften gegen § 1 GWB verstößt. Deshalb seien Bietergemeinschaften als Bieter auch nicht verpflichtet, bereit mit Angebotsabgabe dazulegen, dass ihre Bildung kartellrechtsmäßig sei. Eine solche Darlegung sei erst nach Aufforderung durch die Vergabestelle notwendig.

Die daraufhin von der Beigeladenen dargelegten kaufmännischen und wirtschaftlichen Erwägungen hält das OLG dann für nachvollziehbar. Dabei stünde den Unternehmen eine Einschätzungsprärogative zu, die von den Nachprüfungsinstanzen nur auf Vertretbarkeit hin überprüfbar sei. Ob dann vorliegend bei dem Hindernis eines nicht vorhandenen Fahrzeugs die Bildung einer Bietergemeinschaft oder eine Nachrüstung gewählt wird, liege innerhalb der unternehmerischen Einschätzungsprärogative.

Hinsichtlich weiterer, streitiger Umstände, lehnt das OLG mit dem Hinweis auf den damit verbundenen Aufwand, insbesondere dann notwendige Beweisaufnahmen, ab.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidungen von Vergabekammer und OLG überzeugen im Ergebnis, in der Begründung aber nicht immer.

Zunächst kann es keinen vernünftigen Zweifeln unterliegen, dass der Nachprüfungsantrag mangels vor Einleitung erhobener Rüge unzulässig war. Alles andere wäre mit Sinn und Zweck der Rügeobliegenheit nicht vereinbar. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweise des OLG Saarbücken, dass die Verletzung der Rügeobliegenheit durchaus heilbar gewesen wäre. Der Nachprüfungsantrag hätte nämlich zurückgenommen und nach Erhebung der Rüge wieder gestellt werden können und wäre dann zulässig gewesen. Vielleicht hat das OLG Saarbrücken deshalb noch recht ausführlich zur Begründetheit Stellung genommen, um die Durchführung des Verfahrens nicht an einem Fehler in der Verfahrensführung scheitern zu lassen.

Die Ausführungen des OLG zur Begründetheit geben dann auch Anlass zur Kritik: Mir scheint es nicht so klar, dass Verstöße gegen Kartellrecht inzident zu prüfen sind, wenn eine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm besteht. Immerhin stellt sich die Frage, ob diese These nicht deshalb ins Leere läuft, weil wohl immer eine Anknüpfungsnorm gefunden werden kann. Es scheint mir daher eher zutreffend, dass wettbewerbliche Unterlassungsansprüche keine sonstigen Ansprüche im Sinne des § 97 Abs. 6 GWB sind. Denn mit der vom OLG Saarbrücken vorgenommenen Inzidentprüfung wird immerhin in die zivilgerichtliche Zuständigkeit in Wettbewerbssachen eingegriffen. Es sollte daher einem vielleicht erkennbarem Trend entgegengewirkt werden, in Nachprüfungsverfahren die gesamte Rechtsordnung zur Überprüfung zu stellen. Die Nachprüfungsinstanzen sollten sich drauf beschränken, die Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren zu überwachen. Diese Aufgabe ist schon groß genug.

Man muss dann auch keine Einschränkungen hinsichtlich des Untersuchungsumfangs machen, die wiederum fragwürdig sind: Warum etwa sollen nur Sachverhalte überprüfbar seien, die leicht zu ermitteln sind? Und was zeichnet eine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm aus?

DVNW_Mitglied

Praxistipp

Vergabestellen, die es mit Bietergemeinschaften zu tun haben, bleiben nach der Auffassung des OLG Saarbrücken gehalten, deren wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit zu überprüfen. Leider kein leichtes Unterfangen, aber (noch) eine Notwendigkeit. Immerhin sind die Bietergemeinschaften verpflichtet, auf Anforderung der Vergabestellen zur Zulässigkeit vorzutragen. Dieser Vortrag ist dann (nur) auf Vertretbarkeit zu überprüfen. Entsprechende Sorgfalt in der Vergabedokumentation vorausgesetzt, ist dies auf der anderen Seite aber durchaus leistbar.

Die verfahrenstechnischen Fehler auf Seiten der Antragstellerin zeigen wiederholt, dass manchmal auch in der Kürze der in Nachprüfungsverfahren zur Verfügung stehenden Zeit mehr Sorgfalt in die rechtliche Prüfung gelegt werden sollte.

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Wann besteht ein grenzüberschreitendes Interesse bei Unterschwellenvergaben? (EuGH, Urt. v. 6.10.2016–Rs. C-318/15 – Tecnoedi Construzioni)

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BauleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

Entscheidung EUBei der Vergabe von Aufträgen im Unterschwellenbereich gilt das europäische Primärrecht. Das gilt aber nur, sofern bei diesen Aufträgen ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse festzustellen ist. Dann sind die Grundregeln des AEUV, insbesondere der Art. 49 AEUV (Niederlassungsfreiheit) und Art. 56 AEUV (Dienstleistungsfreiheit), sowie die sich daraus ergebenden allgemeinen Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz zu beachten. Öffentliche Auftraggeber sind daher regelmäßig mit der Frage konfrontiert, ob bei ihren Beschaffungsvorhaben unterhalb der europäischen Schwellenwerte ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse vorliegt und deshalb von ihnen primärrechtliche Vergabebindungen zu beachten sind, wie etwa die Pflicht zur Gewährleistung eines angemessenen Grades an Öffentlichkeit (Bekanntmachung).

Art. 49 und 56 AEUV

Leitsatz

Ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse kann nicht hypothetisch aus bestimmten Gegebenheiten abgeleitet werden, die abstrakt betrachtet für ein solches Interesse sprechen könnten, sondern es muss sich positiv aus einer konkreten Beurteilung der Umstände des fraglichen Auftrages ergeben.

Sachverhalt

Eine italienische Gemeinde hat Bauleistungen mit einem Auftragswert von rd. 1,2 Mio. Euro national ausgeschrieben. Das den EuGH zur Vorabentscheidung anrufende Gericht hielt ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse an dem Bauauftrag aber für nicht ausgeschlossen, weil die ausschreibende Gemeinde weniger als 200 Kilometer von der französischen Grenze entfernt liegt und sich zahleiche italienische Bauunternehmen um den Auftrag bemühten, die in einer Entfernung von bis zu 800 Kilometer ansässig sind. Weitere Gründe für einen Binnenmarktbezug der zu vergebenden Bauleistungen wurden vom vorlegenden Gericht nicht genannt.

Die Entscheidung

Der EuGH bestätigte seine bisherige Rechtsprechung, wonach Unterschwellenvergaben den Grundregeln und den allgemeinen Grundsätzen des AEUV unterfallen, sofern an den öffentlichen Aufträgen angesichts bestimmter objektiver Kriterien ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht (Rdnr. 19). Solche objektiven Kriterien können z.B. im fraglichen Auftragsvolumen in Verbindung mit dem Leistungsort, den technischen Merkmalen des Auftrages oder den Besonderheiten der betreffenden Waren zu finden oder auch durch ernstgemeinte Beschwerden von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten begründet sein (Rdnr. 20).

Ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse muss sich aber positiv aus einer konkreten Beurteilung der Umstände des zu vergebenden Auftrages belegen lassen. Es genügt daher nicht, dass sich ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse nicht ausschließen lässt oder sich hypothetisch aus bestimmten Gegebenheiten ergeben könnte, die bei abstrakter Betrachtung für ein solches Interesse streiten könnten (Rdnr. 22).

Nach Einschätzung der Luxemburger Richter wäre es deshalb nicht gerechtfertigt, bei einem Auftrag, dessen Wert wie im vorliegenden Sachverhalt – nicht einmal ein Viertel des EU-Schwellenwertes erreicht und bei dem der Leistungsort 200 Kilometer von der Grenze zu einem anderen Mitgliedstaat entfernt liegt, ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse nur deshalb zu bejahen, weil binnenländische Bieter in erheblicher Entfernung zum Ausführungsort ansässig sind (Rdnr. 24). Denn potenzielle Bieter aus anderen Unionstaaten können insbesondere wegen der ihnen häufig fremden Rechts- und Verwaltungsvorschriften am Ausführungsort und der Sprachbarriere zusätzlichen Belastungen und Kosten ausgesetzt sein (Rdnr. 25), die eine grenzüberschreitende Tätigkeit erschweren.

Rechtliche Würdigung

Die Ausführungen des EuGH sind aus öffentlicher Auftraggebersicht begrüßenswert, weil die Richter das Erfordernis eines eindeutigen grenzüberschreitenden Interesses in Zweifelsfällen nicht ohne weiteres bejahen. Nur dann, wenn ein solches Interesse konkret und positiv im Einzelfall festgestellt wird, müssen die Grundregeln und allgemeinen Grundsätze des AEUV bei Unterschwellenvergaben angewandt werden. Eine rein abstrakte oder bloß hypothetische Bewertung der vom EuGH wiederholt beispielhaft genannten objektiven Kriterien (z.B. Auftragswert, geografische Lage des Leistungsorts) ist gerade nicht ausreichend, um den nötigen Binnenmarktbezug zu positivieren.

Allerdings bleiben die Vergabestellen weiterhin mit dem Praxisproblem konfrontiert, das (Nicht-)Vorliegen eines eindeutigen grenzüberschreitenden Interesses einzelfallabhängig anhand der wenig konturscharfen objektiven Kriterien bewerten zu müssen. Das kann mitunter beachtliche Zeit- und Verwaltungsaufwände verursachen. Denn aus dem EuGH-Urteil darf nicht pauschal gefolgert werden, dass z.B. öffentliche Auftraggeber, die mehr als 200 Kilometer von der nächsten Landesgrenze entfernt liegen oder einen Auftrag vergeben, der weniger als 25% des jeweiligen EU-Schwellenwertes beträgt, per se keinen primärrechtlichen Bindungen unterliegen.

DVNW_Mitglied

Praxistipp

Die Vergabestellen sollten die einzelnen vom EuGH aufgestellten objektiven Kriterien auf den jeweiligen Beschaffungsfall projizieren und anhand derer das konkrete Für und Wider eines eindeutigen grenzüberschreitenden Interesses positiv oder negativ feststellen sowie dokumentieren. Wenn bspw. eine direkt an der österreichischen Landesgrenze gelegene oberbayerische Kommune Gebäudereinigungsdienste mit einem geschätzten Netto-Auftragswert von 180.000 vergeben will und im österreichischen Nachbarort ein Gebäudereinigungsdienstleister ansässig ist, dann werden die primärrechtlichen Vergabegrundsätze Anwendung finden müssen, zumal insoweit auch keine wesentlichen Sprach- oder Rechtshindernisse einer grenzüberschreitenden Tätigkeit entgegenstehen.

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Zulässigkeit des Zuschlags auf ein unauskömmliches Angebot? (VK Bund, Beschl. v. 19.08.2016 – VK-2-75/16)

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BauleistungenRecht

Entscheidung§ 16 Abs. 6 Nr. 1 EG VOB/A a.F. ist grundsätzlich keine bieterschützende Norm. Ausnahmsweise kann sich ein Bieter auf sie berufen, wenn das Angebot in Marktverdrängungsabsicht abgegeben wurde. Dafür trägt der Bieter die Darlegungs-und Beweislast.

§ 16 Abs. 6 Nr. 1 EG VOB/A 2012; § 16 d Abs. 1 Nr. 1 EU VOB/A 2016

Leitsatz

  1. Die Vorschrift des § 16 Abs. 6 Nr. 1 EG-VOB/A 2012, wonach der Zuschlag nicht auf ein Angebot mit einem unangemessenen niedrigen Preis erteilt werden darf, dient in erster Linie dem Schutz des öffentlichen Auftraggebers. Dieser soll davor bewahrt werden, den Vertrag mit einem Anbieter abzuschließen, der aufgrund des unauskömmlichen Angebots in die Gefahr gerät, den Auftrag nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllen zu können.
  2. Etwas anderes kann in Ausnahmefällen gelten, wenn das Angebot in Marktverdrängungsabsicht abgegeben wurde oder wenn zu befürchten ist, dass der Bieter zu diesem Preis nicht über die gesamte Laufzeit des ausgeschriebenen Vertrags leistungsfähig ist.
  3. Auf ein Unterkostenangebot kann trotz Unauskömmlichkeit der Zuschlag erteilt werden, wenn der Bieter mit dem Angebot wettbewerbskonforme Ziele verfolgt und er trotz Unauskömmlichkeit die Zuverlässigkeit nachweisen kann, den Auftrag ordnungsgemäß zu erfüllen.

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte die Herstellung zweier Baugruben, die Entsorgung der anfallenden Erdmassen sowie die Wiederverfüllung nach Erstellung des Untergeschosses an einem Gebäude im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Alleiniges Zuschlagskriterium war der Preis. Insgesamt gingen darauf 10 Angebote ein. Nach Submission lag des Angebot des Bieters A auf Platz 1, das des B auf Platz 2. Beide Angebote wichen deutlich vom Durchschnittswert aller abgegebenen Angebote und der Kostenschätzung des AG ab.

Im folgenden forderte der AG die beiden Bieter zur Aufgliederung ihrer Einheitspreise sowie zur näheren Erläuterung ihrer Angebote auf, dem beide Bieter nachkamen. Nach Mitteilung des AG, den Zuschlag auf das Angebot des A zu erteilen, machte B nach Rüge in seinem Nachprüfungsantrag geltend, das Angebot des A sei nach § 16 Abs. 6 Nr. 1 EG VOB/A auszuschließen. Er selbst sei seit 28 Jahren auf dem relevanten Markt tätig und verfüge daher über eine ausgezeichnete Marktkenntnis. Diese lasse es ausgeschlossen erscheinen, dass das Angebot des A, das ca. 22 % preiswerter sei als sein eigenes, auskömmlich kalkuliert worden sei. Ein Angebot mit diesem Abstand sei vielmehr darauf angelegt, nicht nur den AG zu übervorteilen, sondern auch die Wettbewerber vom Markt zu verdrängen.

Die Entscheidung

Die VK Bund gibt dem AG Recht und verwirft den Nachprüfungsantrag bereits wegen fehlender Antragsbefugnis des A als unzulässig. Soweit A seinen Antrag auf § 16 Abs. 6 Nr. 1 EG VOB/A stütze, wonach der Zuschlag nicht auf ein einen unangemessen niedrigen Preis erteilt werden dürfe, sei folgendes festzuhalten:

Von einem unangemessen niedrigen Preis könne dann ausgegangen werden, wenn der angebotenen Gesamtpreis derart eklatant von dem angemessenen Preis abweiche, dass die Unangemessenheit sofort ins Auge falle. Alleine ein beträchtlicher Abstand zum nächstfolgenden Angebot sei jedoch kein hinreichendes Indiz für einen ungewöhnlich niedrigen Preis. Hinzukommen müssten Anhaltspunkte, dass der Niedrigpreis wettbewerblich nicht begründet sei, wobei zu berücksichtigen sei, dass der Bieter in seiner Kalkulation grundsätzlich frei bleibe. Nach herrschender Meinung diene § 16 Abs. 6 Nr. 1 EG VOB/A aber in erster Linie dem Schutz des öffentlichen AG, der davor bewahrt werden solle, den Vertrag mit einem Anbieter abzuschließen, der aufgrund des unauskömmlichen Angebots in die Gefahr gerate, den Auftrag nicht oder nicht ordnungsgemäß ausführen zu können. Dem Schutz des Wettbewerbs könne die Norm nur in Ausnahmefällen dienen. Ein solcher Ausnahmefall könne dann vorliegen, wenn das Angebot in Marktverdrängungsabsicht abgegeben worden sei oder die Prognose begründe, der Bieter werde zu diesem Preis nicht über die gesamte Laufzeit des ausgeschriebenen Vertrags leistungsfähig bleiben. Die Beweislast für eine Wettbewerbswidrigkeit bzw. Marktverdrängungsabsicht liege beim öffentlichen AG bzw. bei dem Wettbewerber, der sich hierauf berufe.

Ausgehend davon seien dem Vortrag des B keine Anhaltspunkte für ein wettbewerbsbeschränkendes oder unlauteres Angebot des A zu entnehmen. Die Besorgnis, dass A aufgrund des niedrigen Preises in Gefahr geraten könnte, den Vertrag nicht zu erfüllen, bestehe auch nach eigenem Vortrag des B nicht. Hier habe A selbst einen Umsatz in der Größenordnung von (…) und gehöre einem Konzernverbund an, so dass ihm hinreichende finanzielle Ressourcen zur Vertragsabwicklung zu Verfügung stünden. B habe auch nichts dafür vorgetragen, dass für ihn selbst die Gefahr bestehe, sein Unternehmen werde vom sachlich und räumlich relevanten Markt verdrängt, wenn er nicht den Zuschlag auf den streitgegenständlichen Auftrag erhalten sollte. In der mündlichen Verhandlung vor der VK habe er vielmehr deutlich gemacht, dass sein Überleben im Wettbewerb nicht von dem ausgeschriebenen Auftrag abhänge.

Selbst wenn man entgegen den vorstehenden Erwägungen die Antragsbefugnis des B und damit die Zulässigkeit seines Antrags bejahen würde, wäre der auf die Unauskömmlichkeit des Angebots gestützte Abtrag jedenfalls auch unbegründet. So habe das OLG Düsseldorf erst vor kurzem deutlich gemacht, dass auf ein Unterkostenangebot der Zuschlag erteilt werden könne, wenn der Bieter mit diesem wettbewerbskonforme Ziele verfolge und er trotz Unauskömmlichkeit die Zuverlässigkeit nachweisen könne, den Auftrag ordnungsgemäß zu erfüllen. (OLG Düsseldorf, Beschl. V. 08.06.2016, VII-Verg 57/15).

Rechtliche Würdigung

Grundsätzlich schützt § 16 Abs. 6 Nr. 1 EG VOB/A bzw. die identische Norm des § 16 d Abs. 1 Nr. 1 EU VOB/A, wonach der Zuschlag nicht auf ein Angebot mit einem unangemessen hohen oder niedrigen Preis erteilt werden darf, nur den öffentlichen Auftraggeber – mit der Folge, dass die Vorschrift dem Bieter kein subjektives Recht im Sinn von § 97 Abs. 6 GWB einräumt. Ausnahmsweise kann jedoch seine Rüge der Unauskömmlichkeit zulässig sein, wenn sich der Verdacht eines Verdrängungswettbewerbs bestätigen sollte, wofür allerdings der Bieter beweisbelastet ist. Insoweit liegt die Entscheidung auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung (siehe z.B. OLG München, B. v. 21,05.2010 – Verg 2/10; OLG Düsseldorf, B.v.14.08.2009 – Verg 40/09; VK Münster, B. v. 15.09.2009 – VK 14/09)

Demgegenüber hat der Auftraggeber – trotz des eindeutigen Wortlauts des § 16 d Abs. 1 Nr. 1 EU VOB/A – durchaus die Möglichkeit, ein solches Unterkostenangebot zu bezuschlagen. Allerdings muss er davon überzeugt sein, dass der Bieter sowohl keine wettbewerbsverdrängende Absichten hegt als auch tatsächlich in der Lage ist, den Auftrag ordnungsgemäß zu erfüllen.

DVNW_Mitglied

Praxistipp

Da der genannte § 16 d Abs.1 Nr. 1 EU VOB/A quasi ausschließlich dem Schutz des öffentlichen Auftraggeber dient, kann dieser dennoch ausnahmsweise den Zuschlag auf ein Angebot mit einem sog. „unauskömmlichen“ Preis erteilen. Ein solcher liegt in der Regel dann vor, wenn der Preis dieses Angebotes die Kalkulation des AG bzw. das nächsthöhere Angebot um ca. 10 % und mehr unterschreitet. Der AG ist dann verpflichtet, dieses Angebot einer genauen Prüfung zu unterziehen, insbesondere darauf, ob es in der Absicht abgegeben wurde, Mittbewerber vom Markt zu verdrängen und ob das Risiko besteht, dass der Bieter zu diesem Preis die Leistung in qualitativ ordentlicher Weise letztlich nicht erbringen kann. Kommt er bei dieser Prüfung zu dem Ergebnis, dass diese Voraussetzungen nicht bestehen, kann er das Angebot bezuschlagen.

Bietern wird es in aller Regel dagegen sehr schwer fallen, zu begründen, warum sie durch das „unauskömmliche“ Angebot tatsächlich vom sachlich und räumlich relevanten Markt verdrängt werden bzw. evtl. in ihrer Existenz bedroht sind.

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Verfahrensvorbereitung, Markterkundung und Messebesuch ein weites Feld!? (VK Bund, Beschl. v. 08.08.2016 – VK 2-39/16)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungEin probates Mittel zur Erkundung des relevanten Bietermarktes für den in Rede stehenden Vergabegegenstand ist der Besuch einer Fachmesse. Hier kann der Auftraggeber mit diversen Unternehmen zur Vorbereitung der Vergabe Gespräche führen oder weitere Termine vereinbaren. Potentielle Bieter haben allerdings keinen Anspruch darauf, dass der Auftraggeber auch mit ihnen Gespräche führt. Der Auftraggeber kann sich auf einige, wenige Gesprächsteilnehmer beschränken.

§§ 28 Abs. 1 VgV (2016), 2 EU Abs. 7 Satz 1 VOB/A (2016)

Sachverhalt

Zur Vorbereitung einer Vergabe zur Beschaffung flammhemmender Funktionswäsche besucht die öffentliche Auftraggeberin und Antragsgegnerin (Ag) zwecks Markterkundung eine Fachmesse. Die Ergebnisse der dort geführten Gespräche mit Unternehmen der Faserherstellungsbranche hält die Ag in einem Ergebnisprotokoll fest. Auf dieser Grundlage leitet die Ag eine Vergabe in Gestalt eines Offenen Verfahrens ein. Im Verlauf des Vergabeverfahrens passt die Ag die Leistungsbeschreibung zu Zwecken der Aktualisierung mehrfach an.

Die Antragstellerin (ASt) gab im Ergebnis kein Angebot ab. Stattdessen rügte sie das Vorgehen der Ag, weil sie der Auffassung ist,

es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit derzeit technisch nicht möglich, alle Anforderungen der Leistungsbeschreibung einzuhalten. [] Da kein sachlicher Grund ersichtlich sei, der eine solche Einengung des Bieterfeldes gegenüber der letztjährigen und der vorangegangenen Ausschreibung rechtfertigen könne, seien das Gebot der Produktneutralität sowie die Grundsätze der Wettbewerbsoffenheit und der Nichtdiskriminierung verletzt. Es sei zu befürchten, dass die Leistungsbeschreibung auf die Produkte von maximal zwei Anbietern zugeschnitten worden sei. Der Messebesuch [] stelle keine hinreichende Markterkundung dar, da die Gespräche offenbar ausschließlich mit Firmenvertretern der Faserherstellerbranche geführt worden seien, []. Das Vorgehen der Ag sei offensichtlich von vornherein darauf ausgelegt worden, den Beschaffungsbedarf und die Leistungsbeschreibung in Abstimmung mit bestimmten Anbietern und den von diesen verwendeten Lösungsansätzen zu konzipieren, mit denen im Vorfeld Gespräche geführt worden seien.

Die Ag wies die Rüge zurück, woraufhin die ASt einen Nachprüfungsantrag stellte.

Die Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag in Gestalt eines Feststellungsantrags ist zwar zulässig, aber unbegründet. Die Vergabekammer betont zunächst, dass die Umstellung des Antrags auf Feststellung einer Rechtsverletzung nach erfolgter Aufhebung der Vergabe durch den Ag zulässig ist. Hierfür bedarf es eines gesonderten Feststellungsinteresses, das sich durch jedes gemäß vernünftigen Erwägungen und nach Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art rechtfertigt, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern. Ausgehend von diesen Maßstäben ist das Feststellungsinteresse der ASt hier wegen einer Wiederholungsgefahr zu bejahen. Denn die Ag hat nicht etwa ihre Beschaffungsabsicht zur Gänze aufgegeben, sondern die Aufhebung erfolgte, weil kein wertbares Angebot einging. Es kann daher folglich davon ausgegangen werden, dass es ein erneutes Vergabeverfahren mit überarbeiteten Vergabeunterlagen geben wird. Wiederholungsgefahr ist mithin anzunehmen.

Im Hinblick auf die Unbegründetheit führt die Vergabekammer im Wesentlichen Folgendes aus:

Was die neuen, im Vergleich zur Vorgängerausschreibung geänderten Vorgaben der Leistungsbeschreibung anbelangt, so ist nicht gänzlich auszuschließen, dass diese angesichts des Wettbewerbsergebnisses kein Angebot war ausschreibungskonform Defizite aufwiesen. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass Vorgaben in der Summe, also in einer Zusammenschau aller Parameter der Leistungsbeschreibung, nicht erfüllbar sind, paradox sind und damit nicht vergaberechtskonform sind. Eine Unerfüllbarkeit ergibt sich aber schon aus dem eigenen Vortrag der ASt nicht, denn sie trägt vor, dass es nur einige wenige Unternehmen geben dürfte, welche die Vorgaben in Summe erfüllen könnten. Damit macht die ASt deutlich, dass auch ihrer Auffassung nach die Erfüllbarkeit aller Parameter gegeben ist, wenn auch nur durch wenige Marktteilnehmer. Wenn aber die Vorgaben erfüllbar sind, dann sind die Vorgaben nicht vergaberechtswidrig.

Schließlich verpflichtete der Messebesuch der Ag diese nicht, mit allen anwesenden Unternehmen zu sprechen; dies wäre je nach Größe der Messe in der Praxis wohl auch kaum machbar. Ein Messebesuch als solcher ist ein probates Mittel zur Informationsbeschaffung für die Vorbereitung eines Vergabeverfahrens. Im Übrigen hat die Ag auf der Messe ausschließlich mit Faserherstellern gesprochen. Im Unterlassen einer die ASt einbeziehenden Markterkundung liegt keine vergaberechtlich relevante Ungleichbehandlung der ASt.

Rechtliche Würdigung

Der Entscheidung, die noch zum alten Recht ergangen ist, ist im Ergebnis zuzustimmen. Eine unzulässige Produktvorgabe gemäß §§ 31 Abs. 6 VgV, 7 EU Abs. 2 VOB/A in Gestalt einer zugeschnittenen Leistungsbeschreibung liegt nicht immer bereits dann vor, wenn nach der Leistungsbeschreibung nur wenige Unternehmer für die Leistung in Betracht kommen. Es müssen weitere, wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen hinzukommen. Ebenso ist es vergaberechtlich unschädlich, wenn nur wenige Unternehmen auf dem relevanten Markt eine nachgefragte Leistung anbieten können. Sofern nicht objektiv feststeht, dass es überhaupt keinen potentiellen Bieter gibt, ist von der Erfüllbarkeit der Vorgaben und damit deren Vergaberechtskonformität auszugehen. Dieses Ergebnis ist in Anbetracht des nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (sehr weiten) Verständnisses des Leistungsbestimmungsrechts des Auftraggebers konsequent und folgerichtig. Gleichwohl bleibt ein fader Beigeschmack, da der Ag vorliegend offenbar große Probleme hat, die Leistung so (vollständig und erschöpfend) zu beschreiben, dass Unternehmen bereit und in der Lage sind, zuschlagsfähige Angebote abzugeben. Offenkundig werden die Anforderungen vorliegend ungeachtet der Marktkenntnis von dem Ag überspannt.

Dass sich öffentliche Auftraggeber zur Verfahrensvorbereitung einer Vielzahl von Erkenntnisquellen bedienen können, stellt die Vergabekammer anhand des Messebesuchs sehr deutlich heraus. Da es hier sowohl auf Seiten der Berater, als auch auf Seiten der Auftraggeber immer wieder Stimmen gibt, die hier unter dem Stichwort Compliance sehr restriktive Verhaltensweisen anmahnen (z.B. kein Kontakt im Vorfeld der Vergabe zu potentiellen Bietern, keine bieterbezogene Recherche zum potentiellen Beschaffungsbedarf), ist die Entscheidung der Vergabekammer an diesem Punkt zu begrüßen. Sie liegt zudem auf einer Linie mit der Neuregelung in § 28 Abs. 1 VgV (ähnlich § 2 EU Abs. 7 Satz 1 VOB/A). Danach darf der Auftraggeber vor der Einleitung eines Vergabeverfahrens Markterkundungen zur Vorbereitung der Auftragsvergabe und zur Unterrichtung der Unternehmen über seine Auftragsvergabepläne und -anforderungen durchführen.

DVNW_Mitglied

Praxistipp

Bei der Abfassung der Leistungsbeschreibung sollten Auftraggeber den relevanten Bietermarkt im Auge haben und im Zweifel von zu strengen und wettbewerbsbeschränkenden Vorgaben Abstand nehmen. Hier ist ein sachgerechter Ausgleich zum Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung (so eindeutig und erschöpfend wie möglich, § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB) nach §§ 121 Abs. 1 GWB, 7 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A zu finden. Das Know-how zur Abfassung einer ordnungsgemäßen Leistungsbeschreibung können (und dürfen!) sich Auftraggeber auf vielfältige Weise selber aneignen. Der Messebesuch gehört ebenso dazu, wie das Gespräch mit potentiellen Bietern im Vorfeld der Vergabe (sei es beim Rundgang auf der Messe, sei es bei individuell vereinbarten Terminen zur Vorstellung von Produkten, Lösungsansätzen etc.). Dabei gilt es die Spielregeln einzuhalten: (a) Informationsbeschaffung ist zulässig, eine bieterbezogene (technische) Lösung auszuschreiben dagegen nicht; (b) Termine/Gespräche mit Bietern möglichst immer zu zweit wahrnehmen/führen; (c) Über wesentliche Kontakte sollte wenigstens stichwortartig Protokoll geführt werden, so dass die Gesprächsinhalte später in der Vergabeakte nachvollzogen werden können.

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Strenge Transparenzpflicht bei qualitativen Zuschlagskriterien (VK Lüneburg, Beschl. v. 13.07.2016 – VgK-26/2016)

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RechtVerkehr

EntscheidungBei Verwendung eines Punktesystems müssen die Bieter aus dem Vergabeunterlagen klar erkennen können, ob und wie sie mit einer bestimmten Leistung die Höchstpunktzahl erreichen können. Entsprechende Fehler sind für Bieter mangels einer einheitlichen Rechtsprechung und gefestigten Vergabepraxis schwer erkennbar, sodass ihre Rüge nach der Vorabinformation regelmäßig noch rechtzeitig ist.

§§ 2, 19 Abs. 8 EG VOL/A 2009, §§ 97 Abs. 1, 107 GWB 2013

Leitsatz (sofern vorhanden)

  1. Der Auftraggeber berücksichtigt bei der Wertung der Angebote entsprechend der bekannt gegebenen Gewichtung vollständig und ausschließlich die Kriterien, die in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen genannt sind.
  2. Der Grundsatz des Transparenzgebots bedeutet, dass alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens klar, präzise und eindeutig in der Vergabebekanntmachung, konkret allerdings noch in den Vergabeunterlagen zu formulieren sind.

Sachverhalt

Noch vor dem Inkrafttreten der Vergabereform 2016 schrieb der öffentliche Auftraggeber mit europaweiter Bekanntmachung die Vergabe eines Dienstleistungsauftrags zur Personen-/Schülerbeförderung im Freistellungsverkehr im offenen Verfahren aus. Der Zuschlag sollte losweise auf das wirtschaftlichste Angebot unter Rückgriff auf ein Punktesystem erteilt werden. Die in der europaweiten Bekanntmachung einzeln genannten Zuschlagskriterien konkretisierte der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen. Konkrete Voraussetzungen zur Erreichung der unterschiedlichen Punktestufen nannte er dabei nicht. Nach Auswertung der Angebote anhand einer tabellarischen Excel-Tabelle die den Bietern nicht bekannt gemacht worden war informierte der Auftraggeber die spätere Antragstellerin, dass die Lose, auf die sie geboten hatte, an die spätere Beigeladene vergeben werden sollten. Daraufhin rügte die Antragstellerin unter anderem die Intransparenz der Zuschlagskriterien. Der Auftraggeber half der Rüge nicht ab, woraufhin sich die Antragstellerin mit einem Nachprüfungsantrag an die Vergabekammer wandte.

Die Entscheidung

Die VK Lüneburg hat dem Nachprüfungsantrag zum Großteil stattgegeben.

Die Antragstellerin habe die Intransparenz der Wertungskriterien i.S.v. § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB rechtzeitig gerügt. In der Vergabepraxis habe sich im Hinblick auf die Rechtsprechung, die seit längerem strenge Anforderungen an die Darstellung qualitativer Zuschlagskriterien stelle, noch keine transparente Vorgehensweise durchgesetzt. Daher habe sich der Auftraggeberin der Vergabeverstoß nicht bereits bei der Angebotserstellung aufdrängen müssen.

Der Auftraggeber habe insbesondere mit der ungenügenden Darstellung der qualitativen Zuschlagskriterien gegen das Transparenzgebot aus § 97 Abs. 1 GWB verstoßen. Danach müssten alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens klar, präzise und eindeutig in der Vergabebekanntmachung, konkret allerdings noch in den Vergabeunterlagen, formuliert werden. Das Bewertungssystem nach Punkten genüge diesen Anforderungen nicht und sei intransparent, weil nicht klargeworden sei, inwieweit die geforderten Mindestvoraussetzungen überschritten werden mussten um eine bestimmte höhere Punktzahl zu erreichen. Problematisch sei auch, dass bereits für die Erfüllung der Mindestanforderungen die Hälfte der Zuschlagspunkte vergeben worden sei und sich dadurch die Bewertungsspanne verkürze. Die Vorgaben seien in der Gesamtheit nicht nachvollziehbar und zu unstrukturiert. Die für die Bewertung herangezogene Excel-Tabelle hätte den Bietern mit den Ausschreibungsbedingungen bekannt gemacht werden müssen. Das Wertungskriterium Dienstleistungskonzept erfülle wegen seiner geringen Gewichtung von 10% eine bloße Alibifunktion. Der Eindruck werde noch verstärkt, wenn das ohnehin gering gewichtete Kriterium noch in etwa 50 Unterkategorien zerfasert würde.

Schließlich genüge auch die vorgenommene Angebotsbewertung nicht dem Transparenzgebot (wird näher ausgeführt).

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung der VK Lüneburg erging auf Grundlage der vor der Vergabereform geltenden Rechtslage, jedoch unter Berücksichtigung der neuen Vergaberichtlinie 2014/25/EU. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH und des BGH, wonach beschlossenes EU-Recht eine Vorwirkung entfaltet.

Die Vergabekammer hat sich der jüngeren vergaberechtlichen Rechtsprechung auf nationaler Ebene angeschlossen, nach der im Hinblick auf das Transparenzgebot aus § 97 Abs. 1 GWB strenge Anforderungen bei der Verwendung von Wertungsmatrizen mit Punktesystemen (auch bei Schulnoten) zu stellen sind. So wird gefordert, dass auch für qualitative Zuschlagskriterien spätestens mit den Vergabeunterlagen die Zuschlagkriterien, deren Gewichtung und eine allgemeine Begründung für die Differenzierung der jeweils erreichbaren Punktestufen genannt werden (vgl. z.B. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.12.2015, VII – Verg 25/15 ). Es wird zwar gesehen, dass zu detaillierten Vorgaben im Hinblick auf die Gestaltung der Zuschlagskriterien öffentliche Auftraggeber überfordern und zudem die Möglichkeiten der Bieter zur konzeptionellen Darstellung einschränken können. Wenn aber die Grundlage der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots nicht von vornherein erkennbar sei, verstoße dies gegen das Transparenzgebot. Die Bieter seien dann nicht effektiv vor einer willkürlichen bzw. diskriminierenden Angebotsbewertung geschützt (vgl. auch OLG Celle, Urteil vom 23.02.2016 13 U 148/15 ).

Die strenge Rechtsprechung zur Transparenz von Punktesystemen ist in der Praxis auf breite Ablehnung gestoßen. Inwieweit die bisherige Rechtsprechung der deutschen Gerichte künftig Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Denn der EuGH hat sich nur einen Tag nach der Entscheidung der VK Lüneburg gegen eine Pflicht zur Bekanntmachung der Bewertungsmethodik ausgesprochen und scheint dem öffentlichen Auftraggeber somit einen größeren Spielraum bei der Bewertung der Angebote zuzubilligen (vgl. EuGH, Urteil vom 14.07.2016 Rs. C-6/15 )

Es bleibt damit jedoch festzuhalten, dass sich bisher weder in der deutschen und europäischen Rechtsprechung noch in der vergaberechtlichen Praxis eine klare Linie im Hinblick auf die Verwendung von Wertungsmatrizen mit Punktesystemen durchsetzen konnte. Vor diesem Hintergrund hat die VK Lüneburg zu Recht angenommen, dass die Antragstellerin mit ihrer Rüge nach erfolgter Vorabinformation mangels Erkennbarkeit der Intransparenz aus den Vergabeunterlagen nicht gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 2 GWB präkludiert war.

DVNW_Mitglied

Praxistipp

Bis sich eine klare Linie in der deutschen und europäischen Rechtsprechung in Bezug auf die Transparenzpflichten bei Bewertungen nach Punkten oder Schulnoten durchgesetzt hat, sollten öffentliche Auftraggeber vorsorglich Kriterien zur Erreichung der einzelnen Punktestufen bilden und bekanntmachen, um größtmögliche Rechtssicherheit bei der Ausschreibung zu erzielen. Denn die Intransparenz von Wertungskriterien wird von unterlegenen Bietern in Nachprüfungsverfahren durchaus häufiger erfolgreich vorgebracht.

Hinsichtlich der Auswirkungen der neuen Rechtsprechung des EuGH zur Transparenz qualitativer Zuschlagskriterien verweisen wir auf die lesenswerten Beiträge der Kollegen Dr. Peter Neusüß (Vergabeblog.de vom 21/08/2016, Nr. 27080) und Dr. Roderic Ortner (Vergabeblog.de vom 25/09/2016, Nr. 27344) in diesem Medium.

Kontribution
Dieser Beitrag wurde von Herrn RA´in Alexander Falk in Zusammenarbeit mit seiner Kollegin, Frau RA’in Marieke Schwarz , verfasst.

Marieke Schwarz

Über Marieke Schwarz

Die Autorin Marieke Schwarz ist Rechtsanwältin bei Orth Kluth Rechtsanwälte in Düsseldorf. Ihr Tätigkeitsbereich umfasst das Vergaberecht und das Öffentliche Recht. Im Vergaberecht berät und begleitet sie seit mehreren Jahren bundesweit öffentliche Auftraggeber und Bieter bei Ausschreibungen von Liefer-, Bau- und Dienstleistungen, sowie freiberuflichen Leistungen.

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Bereichsausnahme Rettungsdienst: Erste Entscheidung bestätigt Wirksamkeit (VK Rheinland, Beschl. v. 19.08.2016 – VK D – 14/2016–L)

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Gesundheits- & SozialwesenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungDer Anwendungsbereich der Bereichsausnahme aus § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB 2016 ist nicht auf den Katastrophen- und Zivilschutz beschränkt. Werden Leistungen des Rettungsdienstes an anerkannte Hilfsorganisationen übertragen, ist Vergaberecht nicht anwendbar. Ein Verstoß gegen Grundfreiheiten scheidet ebenso aus.

§ 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB 2016, § 110 Abs. 2 Nr. 1 GWB 2016, § 111 Abs. 3 Nr. 5 GWB 2016, § 130 GWB 2016, § 166 Abs. 1 S. 3 GWB 2016, §§ 64ff. VgV 2016; § 2 Abs. 1 RettG NRW, § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO; Art. 49 AEUV, Art. 56 AEUV

Sachverhalt

Die Klingenstadt Solingen benötigt Rettungsdienstleistungen (Notfallrettung und qualifizierter Krankentransport). Sie beruft sich dabei auf die neue Bereichsausnahme Rettungsdienst in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB 2016 und führt ein Auswahlverfahren außerhalb des Vergaberechts durch.Hiergegen geht das private Rettungsdienstunternehmen Falck vor (Antragsteller sind sowohl eine deutsche GmbH mit Sitz in Hamburg als auch die dänische Konzernmutter Falck A/S aus Kopenhagen). Beigeladen sind diverse anerkannte Hilfsorganisationen.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer verwirft den Nachprüfungsantrag.

Rechtliche Würdigung

Die erste Entscheidung zum neuen Ausnahmetatbestand ist im Markt mit Spannung erwartet worden. Die Bereichsausnahme Rettungsdienst ist Resultat einer umfangreichen Interessenvertretung der anerkannten Hilfsorganisationen auf europäischer und nationaler Ebene. Private Dienstleister wie das Unternehmen Falck (Konzernmutter in Dänemark) befürchten eine Verdrängung aus dem Markt. Rechtlich wirft sie eine Reihe von Fragen auf. Ist die Regelung konform mit dem europäischen Primärrecht (Grundfreiheiten im AEUV) bzw. mit dem Grundgesetz (Grundrechte, z.B. Art. 12 GG)? Wie ist die Regelung konkret auszulegen und welche Leistungen des Rettungsdienstes umfasst sie?

Die Vergabekammer Rheinland (Spruchkörper Düsseldorf) sieht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB 2016 hier zumindest teilweise, in Bezug auf die Rettungsdienstleistungen erfüllt (II.1 des Beschlussumdruckes) und verwirft den Nachprüfungsantrag.

Sie bezieht sich auch auf die Definition des Rettungsdienstes im Landesrecht. § 2 Abs. 1 Rettungsgesetz Nordrhein-Westfalen (RettG NRW) sieht drei Elemente vor: die Notfallrettung, den Krankentransport sowie die Hilfeleistung für Verletzte und Kranke bei außergewöhnlichen Schadensereignissen. Die Notfallrettung sowie die Hilfeleistung für Verletzte und Kranke bei außergewöhnlichen Schadensereignissen subsumiert die Vergabekammer problemlos unter die Bereichsausnahme. Sie stützt sich dabei auf die in Richtlinie und GWB 2016 genannten CPV-Nummern.

Die Antragstellerinnen vertraten die These, die Bereichsausnahme beschränke sich auf Gefahrenabwehr in Extremsituationen. Dem tritt die Vergabekammer zu Recht entgegen, weil bei dieser Auslegung der Begriff Katastrophenschutz im Gesetzestext überflüssig wäre. Diese Betrachtungsweise erscheint deswegen richtig, weil Einsatzformationen des Katastrophenschutzes wie Schnelleinsatzgruppen und Einsatzeinheiten über lange Zeit vorgehalten und trainiert werden müssen. Sie können nicht im Katastrophenfall beschafft werden. Die Vergabekammer schreibt ohne die Notwendigkeit der alltäglichen Vorhaltung für den Katastrophenfall näher zu beleuchten: Der Wert der Tätigkeit der gemeinnützigen Organisationen ergibt sich gerade aus ihrem flächendeckenden Einsatz im Katastrophenschutz und in der alltäglichen Notfallrettung.

Spannend bleibt, ob der sogenannte qualifizierte Krankentransport von der Bereichsausnahme erfasst wird. Hier sind unterschiedliche Auslegungen von Gesetz und Richtlinie denkbar. Krankentransport wird national und auf europäischer Ebene unterschiedlich praktiziert: Es gibt vom unqualifizierten Krankentransport (Taxifahrten mit notfallmedizinisch nicht qualifiziertem Personal, auch als Liegendtaxi mit ausgemusterten KTW möglich) über den qualifizierten Krankentransport (in Deutschland normalerweise mindestens ein Rettungssanitäter und KTW [Krankentransportwagen mit notfallmedizinischer Grundausstattung]) bis hin zum qualifizierten Krankentransport mit einem Mehrzweckfahrzeug, welches wie ein RTW [Rettungswagen] ausgestattet ist, diverse Erscheinungsformen. Einerseits ist die Bereichsausnahme eng auszulegen, andererseits ist gerade der qualifizierte Krankentransport eine wichtige Ressource für Großeinsatzlagen und Katastrophen und daher ein wichtiges Element für professionelle präklinische Hilfe und damit Gefahrenabwehr bei zeitkritischen und lebensbedrohlichen Notfallsituationen, etwa beim Kreislaufstillstand.

Die Frage, ob der qualifizierte Krankentransport unter die Bereichsausnahme fällt, war im konkreten Fall nicht relevant und wurde von der Vergabekammer auch nicht entschieden: Die Leistungen der Notfallrettung überwogen im Wert die Leistungen des qualifizierten Krankentransportes. Maßgeblich ist insoweit § 110 Abs. 2 Nr. 1 GWB 2016. Nach dieser Vorschrift unterfallen öffentliche Aufträge, die sich teils auf Dienstleistungen beziehen, welche der Sonderregelung unterfallen, und teils auf nicht näher bestimmte andere Dienstleistungen, denjenigen Vorschriften, die für den Hauptgegenstand gelten. Nach einhelliger Auskunft der Verfahrensbeteiligten war Schwerpunkt des Auftrages die Notfallrettung; damit fiel der gesamte Auftrag unter die Bereichsausnahme.

Nach Ansicht der Antragsteller war § 111 Abs. 3 Nr. 5 GWB 2016 heranzuziehen: Nach dieser Vorschrift ist das GWB 2016-Vergaberecht anzuwenden, wenn ein Auftrag teils dem Vergaberecht unterfällt und teils sonstigen Vorschriften außerhalb dieses Teils unterfällt. Zu Recht weist die Vergabekammer auf die Materialien zu den Richtlinien und zur Gesetzgebung hin. Der Erwägungsgrund 28 zur Richtlinie 2014/24/EU besagt, dass gemischte Aufträge (reiner Krankentransport und Rettungsdienst) unter die Sonderregelung für den reinen Krankentransport fallen, wenn dessen Wert überwiegt. Auch die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 107 GWB 2016 bezieht sich hierauf (BT-Drs. 18/6281 S. 79). Insofern war ein Umkehrschluss zulässig: Gemischte Aufträge (Notfallrettung und Krankentransport) fallen unter die Bereichsausnahme, wenn die Notfallrettung wertmäßig überwiegt. Die Anwendung von § 111 Abs. 3 Nr. 5 GWB 2016 würde die Regelung der Bereichsausnahme sinnlos werden lassen.

Der qualifizierte Krankentransport fällt wenn man ihn nicht schon unter die Bereichsausnahme fasst unter die Sonderregelung für soziale und andere besondere Dienstleistungen (CPV-Nr. 75252000-7 gemäß Anhang 14 der Richtlinie 2014/24/EU: Rettungsdienstleistungen, soweit sie nicht nach Art. 10 Buchstabe h) ausgeschlossen sind). Die Sonderregelung ermöglicht ein vereinfachtes Ausschreibungsverfahren (§ 130 GWB 2016, §§ 64-66 VgV 2016), u.a. eine direkte Anwendung des Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb.

Einen Verstoß gegen europäisches Primärrecht, namentlich die Dienstleistungs- und die Niederlassungsfreiheit (Art. 56, 49 AEUV) sowie das Diskriminierungsverbot, sieht die Vergabekammer nicht. Sie verweist auf die Rechtsprechung des EuGH, insbesondere auf die Entscheidungen vom 28.01.2016, C 50/14 [CASTA] und vom 11.12.2014, C·113/13 [Spezzino]. Die Art. 49 AEUV und 56 AEUV sind demnach dahingehend auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung zur Bereichsausnahme (die auf die entsprechende EU-Richtlinie des EU-Gesetzgebers zurückzuführen ist), nicht entgegenstehen, soweit der rechtliche Rahmen der Vergabe zugunsten der anerkannten Hilfsorganisationen tatsächlich zu dem sozialen Zweck und zu den Zielen der Solidarität und der Haushaltseffizienz beiträgt. Dem liegt zugrunde, dass die vom AEUV geschützten Güter und Interessen, nämlich Gesundheit und das Leben von Menschen, den höchsten Rang einnehmen. Mit der nunmehr vorliegenden Bereichsausnahme spricht sich der Gesetzgeber dafür aus, den Schutz der nationalen Strukturen im Bevölkerungsschutz, welcher sich maßgeblich auf das ehrenamtliche Engagement der Hilfsorganisationen zurückführen lässt, aufzuwerten.

Die beigeladenen anerkannten Hilfsorganisationen allgemein und die geschlossenen Verträge im konkreten Fall erfüllten die voranstehenden Tatbestandsvoraussetzungen, die der EuGH aufgestellt habe. Der soziale Zweck dieser Bevorzugung und das Ziel der Haushaltseffizienz seien gewahrt.
Die Vergabekammer bejaht auch ohne weiteres, dass die beteiligten Hilfsorganisationen gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen im Sinne des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB sind. Sie verweist auf die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/6281, S. 79) und das Beispiel in § 26 Abs. 1 S. 2 ZSKG. Die Definition richte sich unproblematisch nach nationalem Recht, weil EU-Recht diese Organisationen nicht definiere. Art. 77 Abs. 2 der RiLi 2014/24/EU tauge hierfür nicht, u.a. weil er sich auf einen völlig anderen Regelungszusammenhang beziehe.

DVNW_Mitglied

Praxistipp

Mit Spannung wird erwartet, wie sich der bereits angerufene Vergabesenat des OLG Düsseldorf positioniert. Eine Entscheidung wird im ersten Quartal 2017 erwartet. Bei nicht aufschiebbaren Beauftragungen kann ein Auftraggeber durchaus erwägen, ob er sich auf die Bereichsausnahme beruft. Dabei sollte eine ordentliche Vergabedokumentation erstellt werden. Auch eine maßgeschneiderte Vergabe im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb ist nun unproblematisch über die Sonderregelung möglich.

Die Bereichsausnahme Rettungsdienst wird jedenfalls Streitigkeiten nicht vermeiden können. Dieser Streit wird sich wie in den Konzessionsländern bislang auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit verlagern, wenn Vergabekammern und Vergabesenate mangels abdrängender Verweisung in § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO nicht mehr zuständig sind. Rettungsdienstbeauftragungen sind aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters normalerweise dem Verwaltungsrechtsweg zugewiesen.

Ob auch im steuerrechtlichen Sinne gemeinnützige Unternehmen von Privaten Rettungsdienstleistern unter den Schutz der Bereichsausnahme fallen können, bleibt abzuwarten.

Der Autor ist Bevollmächtigter eines Verfahrensbeteiligten.

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Verfahrensvorbereitung, Markterkundung und Messebesuch ein weites Feld!? (VK Bund, Beschl. v. 08.08.2016 – VK 2-39/16)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungEin probates Mittel zur Erkundung des relevanten Bietermarktes für den in Rede stehenden Vergabegegenstand ist der Besuch einer Fachmesse. Hier kann der Auftraggeber mit diversen Unternehmen zur Vorbereitung der Vergabe Gespräche führen oder weitere Termine vereinbaren. Potentielle Bieter haben allerdings keinen Anspruch darauf, dass der Auftraggeber auch mit ihnen Gespräche führt. Der Auftraggeber kann sich auf einige, wenige Gesprächsteilnehmer beschränken.

§§ 28 Abs. 1 VgV (2016), 2 EU Abs. 7 Satz 1 VOB/A (2016)

Sachverhalt

Zur Vorbereitung einer Vergabe zur Beschaffung flammhemmender Funktionswäsche besucht die öffentliche Auftraggeberin und Antragsgegnerin (Ag) zwecks Markterkundung eine Fachmesse. Die Ergebnisse der dort geführten Gespräche mit Unternehmen der Faserherstellungsbranche hält die Ag in einem Ergebnisprotokoll fest. Auf dieser Grundlage leitet die Ag eine Vergabe in Gestalt eines Offenen Verfahrens ein. Im Verlauf des Vergabeverfahrens passt die Ag die Leistungsbeschreibung zu Zwecken der Aktualisierung mehrfach an.

Die Antragstellerin (ASt) gab im Ergebnis kein Angebot ab. Stattdessen rügte sie das Vorgehen der Ag, weil sie der Auffassung ist,

es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit derzeit technisch nicht möglich, alle Anforderungen der Leistungsbeschreibung einzuhalten. [] Da kein sachlicher Grund ersichtlich sei, der eine solche Einengung des Bieterfeldes gegenüber der letztjährigen und der vorangegangenen Ausschreibung rechtfertigen könne, seien das Gebot der Produktneutralität sowie die Grundsätze der Wettbewerbsoffenheit und der Nichtdiskriminierung verletzt. Es sei zu befürchten, dass die Leistungsbeschreibung auf die Produkte von maximal zwei Anbietern zugeschnitten worden sei. Der Messebesuch [] stelle keine hinreichende Markterkundung dar, da die Gespräche offenbar ausschließlich mit Firmenvertretern der Faserherstellerbranche geführt worden seien, []. Das Vorgehen der Ag sei offensichtlich von vornherein darauf ausgelegt worden, den Beschaffungsbedarf und die Leistungsbeschreibung in Abstimmung mit bestimmten Anbietern und den von diesen verwendeten Lösungsansätzen zu konzipieren, mit denen im Vorfeld Gespräche geführt worden seien. Die Ag wies die Rüge zurück, woraufhin die ASt einen Nachprüfungsantrag stellte.

Die Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag in Gestalt eines Feststellungsantrags ist zwar zulässig, aber unbegründet. Die Vergabekammer betont zunächst, dass die Umstellung des Antrags auf Feststellung einer Rechtsverletzung nach erfolgter Aufhebung der Vergabe durch den Ag zulässig ist. Hierfür bedarf es eines gesonderten Feststellungsinteresses, das sich durch jedes gemäß vernünftigen Erwägungen und nach Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art rechtfertigt, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern. Ausgehend von diesen Maßstäben ist das Feststellungsinteresse der ASt hier wegen einer Wiederholungsgefahr zu bejahen. Denn die Ag hat nicht etwa ihre Beschaffungsabsicht zur Gänze aufgegeben, sondern die Aufhebung erfolgte, weil kein wertbares Angebot einging. Es kann daher folglich davon ausgegangen werden, dass es ein erneutes Vergabeverfahren mit überarbeiteten Vergabeunterlagen geben wird. Wiederholungsgefahr ist mithin anzunehmen.

Im Hinblick auf die Unbegründetheit führt die Vergabekammer im Wesentlichen Folgendes aus:

Was die neuen, im Vergleich zur Vorgängerausschreibung geänderten Vorgaben der Leistungsbeschreibung anbelangt, so ist nicht gänzlich auszuschließen, dass diese angesichts des Wettbewerbsergebnisses kein Angebot war ausschreibungskonform Defizite aufwiesen. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass Vorgaben in der Summe, also in einer Zusammenschau aller Parameter der Leistungsbeschreibung, nicht erfüllbar sind, paradox sind und damit nicht vergaberechtskonform sind. Eine Unerfüllbarkeit ergibt sich aber schon aus dem eigenen Vortrag der ASt nicht, denn sie trägt vor, dass es nur einige wenige Unternehmen geben dürfte, welche die Vorgaben in Summe erfüllen könnten. Damit macht die ASt deutlich, dass auch ihrer Auffassung nach die Erfüllbarkeit aller Parameter gegeben ist, wenn auch nur durch wenige Marktteilnehmer. Wenn aber die Vorgaben erfüllbar sind, dann sind die Vorgaben nicht vergaberechtswidrig.

Schließlich verpflichtete der Messebesuch der Ag diese nicht, mit allen anwesenden Unternehmen zu sprechen; dies wäre je nach Größe der Messe in der Praxis wohl auch kaum machbar. Ein Messebesuch als solcher ist ein probates Mittel zur Informationsbeschaffung für die Vorbereitung eines Vergabeverfahrens. Im Übrigen hat die Ag auf der Messe ausschließlich mit Faserherstellern gesprochen. Im Unterlassen einer die ASt einbeziehenden Markterkundung liegt keine vergaberechtlich relevante Ungleichbehandlung der ASt.

Rechtliche Würdigung

Der Entscheidung, die noch zum alten Recht ergangen ist, ist im Ergebnis zuzustimmen. Eine unzulässige Produktvorgabe gemäß §§ 31 Abs. 6 VgV, 7 EU Abs. 2 VOB/A in Gestalt einer zugeschnittenen Leistungsbeschreibung liegt nicht immer bereits dann vor, wenn nach der Leistungsbeschreibung nur wenige Unternehmer für die Leistung in Betracht kommen. Es müssen weitere, wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen hinzukommen. Ebenso ist es vergaberechtlich unschädlich, wenn nur wenige Unternehmen auf dem relevanten Markt eine nachgefragte Leistung anbieten können. Sofern nicht objektiv feststeht, dass es überhaupt keinen potentiellen Bieter gibt, ist von der Erfüllbarkeit der Vorgaben und damit deren Vergaberechtskonformität auszugehen. Dieses Ergebnis ist in Anbetracht des nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (sehr weiten) Verständnisses des Leistungsbestimmungsrechts des Auftraggebers konsequent und folgerichtig. Gleichwohl bleibt ein fader Beigeschmack, da der Ag vorliegend offenbar große Probleme hat, die Leistung so (vollständig und erschöpfend) zu beschreiben, dass Unternehmen bereit und in der Lage sind, zuschlagsfähige Angebote abzugeben. Offenkundig werden die Anforderungen vorliegend ungeachtet der Marktkenntnis von dem Ag überspannt.

Dass sich öffentliche Auftraggeber zur Verfahrensvorbereitung einer Vielzahl von Erkenntnisquellen bedienen können, stellt die Vergabekammer anhand des Messebesuchs sehr deutlich heraus. Da es hier sowohl auf Seiten der Berater, als auch auf Seiten der Auftraggeber immer wieder Stimmen gibt, die hier unter dem Stichwort Compliance sehr restriktive Verhaltensweisen anmahnen (z.B. kein Kontakt im Vorfeld der Vergabe zu potentiellen Bietern, keine bieterbezogene Recherche zum potentiellen Beschaffungsbedarf), ist die Entscheidung der Vergabekammer an diesem Punkt zu begrüßen. Sie liegt zudem auf einer Linie mit der Neuregelung in § 28 Abs. 1 VgV (ähnlich § 2 EU Abs. 7 Satz 1 VOB/A). Danach darf der Auftraggeber vor der Einleitung eines Vergabeverfahrens Markterkundungen zur Vorbereitung der Auftragsvergabe und zur Unterrichtung der Unternehmen über seine Auftragsvergabepläne und -anforderungen durchführen.

DVNW_Mitglied

Praxistipp

Bei der Abfassung der Leistungsbeschreibung sollten Auftraggeber den relevanten Bietermarkt im Auge haben und im Zweifel von zu strengen und wettbewerbsbeschränkenden Vorgaben Abstand nehmen. Hier ist ein sachgerechter Ausgleich zum Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung (so eindeutig und erschöpfend wie möglich, § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB) nach §§ 121 Abs. 1 GWB, 7 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A zu finden. Das Know-how zur Abfassung einer ordnungsgemäßen Leistungsbeschreibung können (und dürfen!) sich Auftraggeber auf vielfältige Weise selber aneignen. Der Messebesuch gehört ebenso dazu, wie das Gespräch mit potentiellen Bietern im Vorfeld der Vergabe (sei es beim Rundgang auf der Messe, sei es bei individuell vereinbarten Terminen zur Vorstellung von Produkten, Lösungsansätzen etc.). Dabei gilt es die Spielregeln einzuhalten: (a) Informationsbeschaffung ist zulässig, eine bieterbezogene (technische) Lösung auszuschreiben dagegen nicht; (b) Termine/Gespräche mit Bietern möglichst immer zu zweit wahrnehmen/führen; (c) Über wesentliche Kontakte sollte wenigstens stichwortartig Protokoll geführt werden, so dass die Gesprächsinhalte später in der Vergabeakte nachvollzogen werden können.

The post Verfahrensvorbereitung, Markterkundung und Messebesuch ein weites Feld!? (VK Bund, Beschl. v. 08.08.2016 – VK 2-39/16) appeared first on Vergabeblog.

Angebotsausschluss wegen erfahrungsgemäßer Unzuverlässigkeit eines Bieters (VK Sachen-Anhalt, Beschl. v. 28.07.2016 – 3 VK LSA 20/16)

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BauleistungenRecht

EntscheidungAuch unterhalb des EU-Schwellenwertes ist ein Ausschluss eines Bieters wegen negativer Erfahrungen bei früheren Aufträgen möglich. Hierzu bedarf es einer vom Auftraggeber sorgfältig dokumentierten negativen Prognose.

§ 6a Abs. 2 Nr. 7; § 16 b Abs. 1; § 16 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A 2016

Leitsatz

  1. Bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit ist ausschlaggebend, ob bei einer Gesamtabwägung die positiven oder die negativen Erfahrungen mit der Antragstellerin objektiv größeres Gewicht haben. Zum Ausschluss der Antragstellerin wegen Unzuverlässigkeit bedarf es einer dokumentierten negativen Prognose.
  2. Für die Feststellung mangelnder Zuverlässigkeit liegen nachvollziehbare sachliche Gründe vor, dass aufgrund der nachweislichen schweren Verfehlung in der Vergangenheit auch für den zu vergebenden Auftrag schwere Zweifel an der Zuverlässigkeit des Bewerbers bestehen.

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte auf Grundlage der VOB/A Fahrbahnmarkierungen auf Landes- und Kreisstraßen öffentlich ausgeschrieben. In den Bewerbungsbedingungen hatte er auch die Nachweise zur Eignung bekanntgegeben: Präqualifizierte Unternehmen sollten den Nachweis durch Eintragung in das PQ-Verzeichnis führen, nichtpräqualifizierte sollten das ausgefüllte Formblatt Eigenerklärung zur Eignung vorlegen. Einziges Wertungskriterium war der Preis. Bieter A wies seine Eignung durch Eintragung in das PQ-Verzeichnis nach und legte ein Angebot vor, das preislich den ersten Platz belegte. Mit Informationsschreiben vom 07.06.2016 teilte der AG dem A mit, dass sein Angebot keine Berücksichtigung finde. Zwar habe A seine Eignung formell nachgewiesen; im Rahmen der materiellen Eignungsprüfung war er jedoch als ungeeignet zu bewerten. Die Prüfung bisheriger Verträge mit A hätte ergeben, dass erhebliche Pflichtverletzungen wie Schlechtleistungen, Verletzung von Verkehrssicherungspflichten, fehlerhafte Abrechnungen, Nichtleistung trotz mehrfacher Aufforderungen sowie vertragliche Pflichtverletzungen festgestellt worden seien. Auch wäre nicht erkennbar, dass A Maßnahmen in organisatorischer, personeller oder technischer Hinsicht eingeleitet hätte, welche künftig vergleichbare Vertragsverletzungen ausschließen würden. A sei daher unzuverlässig und müsse gemäß § 16 b Abs. 1 VOB/A ausgeschlossen werden. A wehrt sich dagegen nach erfolgloser Rüge mit Nachprüfungsantrag.

Die Entscheidung

Die VK gibt hier dem AG Recht. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A würden Bauleistungen an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen zu angemessenen Preisen in transparenten Vergabeverfahren vergeben. Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit seien bei Öffentlicher Ausschreibung im Rahmen der Wertung der Angebote anhand der Angaben in der Präqualifikationsliste oder der Eigenerklärungen sowie der weiteren geforderten Nachweise zu bewerten. Diesen Anforderungen sei hier A in seinem Angebot gerecht geworden.

Für die Bewertung der Zuverlässigkeit eines Bieters im Vergabeverfahren sei aber maßgebend, inwieweit die Umstände des einzelnen Falles die Aussage rechtfertigten, er werde die von ihm angebotenen Leistungen, die Gegenstand des Vergabeverfahrens seien, vertragsgerecht erbringen. Die Beurteilung der Zuverlässigkeit sei eine Prognoseentscheidung, die auch aufgrund des in der Vergangenheit liegenden Geschäftsgebarens eines Bewerbers erfolge. Die mangelnde Sorgfalt bei der Ausführung früherer Arbeiten sei hierbei durchaus ein Kriterium, das zur Unzuverlässigkeit eines Bewerbers führen könne. Hierfür sei es erforderlich, dass durch den Auftraggeber eine umfassende Abwägung aller in Betracht kommenden Gesichtspunkte unter angemessener Berücksichtigung des Umfangs, der Identität des Ausmaßes und des Grades der Vorwerfbarkeit der Pflichtverletzungen stattfinde. Gemäß § 6a Abs. 2 Nr. 7 VOB/A 2016 sei eine Prüfung der Angaben erforderlich, ob nachweislich eine schwere Verfehlung vorliege, die die Zuverlässigkeit als Bewerber in Frage stelle. Schwer sei eine Verfehlung dann, wenn sie erhebliche Auswirkungen habe. Dazu zählten u.a. ständige (wiederholte) Nichteinhaltung von Vertragsfristen, mangelnde Bauausführung, nicht prüfbare Abrechnung der Bauleistungen, Vertragskündigungen und Schadensersatzforderungen wegen nicht erbrachter oder schlechter Leistung.

Entscheidend sei dabei, dass dem AG angesichts des früheren Verhaltens des A nicht zugemutet werden könne, mit dem Unternehmer erneut in vertragliche Beziehungen zu treten. Bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit sei ausschlaggebend, ob bei einer Gesamtabwägung die positiven oder die negativen Erfahrungen mit A objektiv größeres Gewicht hätten. Zum Ausschluss des A wegen Unzuverlässigkeit bedürfe es einer dokumentierten negativen Prognose, wonach die in der Vergangenheit festgestellte mangelhafte Leistung für den zu vergebenden Auftrag erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit des A begründeten. Diese Feststellungen müssten bereits in der Dokumentation gemäß § 20 VOB/A enthalten sein.

Der AG habe hier den Angebotsausschluss wegen mangelnder Zuverlässigkeit und fehlender Leistungsfähigkeit bei früheren Aufträgen des A von 2013 bis 2015 ausführlich dokumentiert. Er habe in seinem Formblatt zur Eignungsprüfung und im Informationsschreiben vom 07.06.2016 genau begründet, weshalb A für die Ausführung der Leistungen für die Ausschreibung 2016 ungeeignet sei. Die Begründung, mit der der AG den Bieter A aus dem weiteren Verfahren ausgeschlossen habe, folge aus dem Protokoll der Eignungsprüfung vom xx.xx.2016 für Markierungsarbeiten im Zuge von Jahresausschreibungen. Hier seien die wiederholten Vertragspflichtenverletzungen des A, der enorme Aufwand des AG für Nachfristsetzungen und Mahnungen, die Auswirkungen auf die Verträge, die mehrfachen Aufklärungsgespräche, die Erklärungen des A, seine nicht eingehaltenen Zusagen zu personellen und organisatorischen Maßnahmen, die rechtskräftigen Vertragskündigungen sowie die Prognose für künftige Jahresverträge mit dem Bieter A aufgeführt. Die Entscheidung des AG, dass begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des A bestünden, die konkret ausgeschriebene Leistung zu erbringen, sei auch von einem ausreichend ermittelten Sachverhalt ausgegangen. Der AG habe dargelegt, dass die bisherigen Beanstandungen nunmehr bei der aktuellen Ausschreibung erneut auftreten würden und dem A angelastet werden könnten.

Im Ergebnis sei die Eignungsprüfung daher nicht zu beanstanden. Für die Feststellung mangelnder Zuverlässigkeit lägen nachvollziehbare sachliche Gründe vor, dass aufgrund der nachweislichen schweren Verfehlung in der Vergangenheit auch für den zu vergebenden Auftrag schwere Zweifel an der Zuverlässigkeit des Bieters A bestünden.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung ist nachvollziehbar. Auch unterhalb der Schwellenwerte ist der Auftraggeber nicht gezwungen, trotz des alleinigen Wertungskriteriums „niedrigster Preis“ einem Bieter auf dessen billigstes Angebot den Auftrag zu erteilen, mit dem er in der Vergangenheit mehr als schlechte Erfahrungen gemacht hat. Vor dem  Ausschluss des Angebotes muss sich der Auftraggeber aber in einer Gesamtabwägung mit seinen positiven bzw. negativen Erfahrungen mit dem Bieter auseinandersetzen. Kommt er dabei zu einer negativen Prognose für den aktuell zu vergebenden Auftrag, hat er dies ausführlich und sorgfältig zu dokumentieren. Wenn danach nachweislich und nachvollziehbar schwere Zweifel an der Zuverlässigkeit des Bieters bestehen, kann das Angebot nach § 16 Abs.2 Nr. 3 iVm § 6a Abs. 2 Nr. 7 VOB/A , und nicht- wie hier die VK festgestellt hat- nach § 16 b Abs. 1 VOB/A ausgeschlossen werden.

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Praxistipp

Für den Bereich oberhalb des EU-Schwellenwertes (am Bau: EUR 5,225 Mio.) ist darauf hinzuweisen, dass es seit 18.04.2016 für derartige Fälle nun explizit eine gesetzliche Regelung gibt siehe § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB bzw. § 6 e Abs. 6 Nr. 7 EU VOB/A. Wie die obige Entscheidung der Vergabekammer zeigt, ist der Ausschluss eines Bieters wegen negativer Vorerfahrung auch unterhalb des EU- Schwellenwertes unter ähnlichen Voraussetzungen möglich. Ansatzpunkt ist dabei § 16 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A, wonach ein Angebot ausgeschlossen werden kann, wenn nachweislich eine schwere Verfehlung begangen wurde, die die Zuverlässigkeit als Bewerber bzw. Bieter in Frage stellt. Zum Nachweis dieser schweren Verfehlung bedarf es der bereits oben genannten sorgfältigen Gesamtabwägung und deren Dokumentation.

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Angebotsaufklärung bei Abweichung des Bestbieters von über 10 % (VK Thüringen, Beschl. v. 26.09.2016 – 250-4002-6249/2016-N-074-EF)

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BauleistungenRecht

EntscheidungIn einigen Bundesländern existiert unterhalb der Schwelle nicht nur ein Bieterrechtsschutz „light“, sondern auch eine über die VOB/A hinaus konkreter geregelte Aufklärungspflicht bei vermutet unauskömmlichen Angeboten neben der Pflicht zur Dokumentation dieser Aufklärung.

Gegenstand des Beschlusses der Vergabekammer Thüringen war die mangelnde Aufklärung eines Gesamtangebotspreises mit einer Abweichung von mehr als 10 % gegenüber den zweitplatzierten Bieter durch den öffentlichen Auftraggeber bzw. die fehlende Dokumentation der Aufklärung, die letztendlich durch den Beschluss – und nach einem vorhergehenden Beschluss in der gleichen Sache – zu einer weiteren Verzögerung bzw. Wiederholung der Wertung führte.

ThürVgG §§ 14, 19 Abs. 1; VOB/A 2012 § 16d Abs. 1 Nr. 2

Leitsatz

  1. Der Auftraggeber ist verpflichtet, die Kalkulation eines Angebots, das mehr als 10 % vom nächsthöheren Angebot abweicht, durch gezielte Rückfragen aufzuklären.
  2. Auch die Angemessenheitsprüfung des Angebotspreises ist ordnungsgemäß zu dokumentieren.

Sachverhalt

Dem Beschluss vom 26.09.2016 ging bereits ein Beschluss der Vergabekammer vom 29. August voraus, mit dem der öffentliche Auftraggeber von der Vergabekammer verpflichtet wurde, die Wertung der für den öffentlichen Bauauftrag eingegangenen Angebote zu wiederholen und insbesondere bei Feststellung eines anderen Wettbewerbsergebnisses eine erneute Information gemäß § 19 Abs. 1 ThürVgG vorzunehmen. Bei der dann erneuten Wertung der Angebote kam der öffentliche Auftraggeber zu dem Ergebnis, dass wiederum der ursprünglich vorgesehene Bieter den Zuschlag erhalten sollte. Wie bereits zuvor im Verfahren wurde der vorgesehene Bieter auch um Aufklärung seines Angebotspreises angefragt, allerdings unstreitig nur telefonisch und zudem ohne Gesprächsnotiz des öffentlichen Auftraggebers. Hintergrund dafür war, dass der für den Zuschlag vorgesehene Bieter um ca. die Hälfte von den anderen Angeboten und der Kostenschätzung deutlich abwich.

Eine Erklärung des vorgesehenen Bieters erfolgte unter anderem dahingehend, dass der kalkulatorische Ansatz der Einheitspreise auf bereits früher abgeschlossenen ähnlichen Baumaßnahmen beruhe und zudem eine Kostenersparnis durch im Lagerbestand vorhandenes Material möglich sei. Über dieses Ergebnis informierte der öffentliche Auftraggeber die Vergabekammer auf Grundlage bzw. aufgrund der Verpflichtung des bereits am 29. August erlassenen Beschluss und zudem darüber, dass die Beschwerdeführerin (zweitplatzierte Bieterin) auszuschließen sei, da diese unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vorgenommen und nachgeforderte Erklärungen und Nachweise nicht vollständig eingereicht habe, insbesondere sei ein im Leistungsverzeichnis für eine Vergoldung gefordertes Material nicht korrekt angeboten worden.

Die Entscheidung

Die auf Grundlage des § 19 Abs. 2 und 3 ThürVgG zuständige Vergabekammer des Landes stützt ihre Entscheidung alleine auf die fehlerhafte Prüfung der Angemessenheit des Angebotspreises und auf die fehlerhafte Dokumentation. Insbesondere habe der öffentliche Auftraggeber die Vorschrift des § 14 ThürVgG und § 16d Abs. 1 Nr. 2 VOB/A (2012) nicht richtig angewandt bzw. gegen diese Vorschriften verstoßen, weshalb das Vergabeverfahren rechtswidrig und zu beanstanden sei. So sei zwar der Bieter telefonisch zur Aufklärung der preislichen Kalkulation aufgefordert worden, ohne dass hierzu eine Aktennotiz vorgelegt worden ist, was § 20 VOB/A (2012) widerspräche. In der Begründung des öffentlichen Auftraggebers wird zwar auf die fachliche Eignung des Bieters verwiesen. Von einer fachlichen Eignung ließe sich jedoch nicht auf die Angemessenheit des Gesamtangebotspreises schließen. Der Bieter sei jedoch im Rahmen der Angemessenheitsprüfung gezielt zu befragen, um eine entsprechende Aussage über die Angemessenheit des Angebotes zu erhalten und insbesondere den Verdacht der Unangemessenheit auszuräumen. Aufgrund telefonischer Anfrage und bei fehlender Dokumentation sei jedoch nicht nachvollziehbar, wie bereits das Ersuchen um Aufklärung gefasst war. Insoweit könne auch keine ordnungsgemäße (endgültige) Entscheidung der Vergabekammer getroffen werden.

Rechtliche Würdigung

§ 14 Abs. 2 der ThürVgG enthält die Regelung, dass der öffentliche Auftraggeber ein Angebot, welches für den Zuschlag infrage kommt, aber vom nächsten Angebot um mehr als 10 % abweicht, anhand der Kalkulation zu überprüfen hat. Im Rahmen dieser Prüfung hat der Bieter auch seine Kalkulation vorzulegen bzw. eine ordnungsgemäße Kalkulation „nachzuweisen“. Kommt der Bieter dem nicht nach, so kann er ausgeschlossen werden. Diese Regelung findet sich ähnlich in § 16d Abs. 1 Nummer 2 VOB/A 1. Abschnitt, wobei hier ausdrücklich verlangt wird, dass vom Bieter in Textform Aufklärung verlangt werden soll und dieses in einer zumutbaren Antwortfrist.

Die Vergabekammer Thüringen hat die beiden anwendbaren Vorschriften in der Weise konsequent zur Anwendung gebracht, als sie dieses abgestufte Procedere bereits vom öffentlichen Auftraggeber als nicht eingehalten ansieht: Dieser hatte es bereits versäumt gezielt insbesondere in Textform um Aufklärung über das Angebot durch Nachweis einer Kalkulation zu bitten. Zugleich hatte er nicht einmal die mündliche Aufklärung schriftlich dokumentiert. Der Vergabekammer blieb nichts anderes übrig als den öffentlichen Auftraggeber quasi zum „zweiten Mal“ zurückzuversetzen.

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Praxistipp

Es ist durchaus oft nicht bekannt, dass in den Ländern Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen ein Bieterrechtsschutz „light“, allerdings in unterschiedlicher Intensität, existiert. Daneben und unabhängig davon ist in vielen Landesvergabegesetzen auch geregelt, dass bei einer bestimmten Abweichung des Bestbieters (überwiegend 10 %) vom Zweitbieter, die Auskömmlichkeit des Angebots zu prüfen ist. Nach der VOB/A oberhalb wie unterhalb der Schwelle – jeweils § 16d Abs. 1 Nummer 2 – darf ein Angebot wegen eines unangemessen niedrigen Preises nach erfolgloser Aufklärung ausgeschlossen werden; allerdings ist hier kein Wert der Abweichung vom nächstplatzierten Bieter festgelegt.

Für die Praxis der öffentlichen Auftraggeber kann nur empfohlen werden, die Verfahrensschritte zur Aufklärung streng einzuhalten und insoweit formalistisch vorzugehen. Ein solches Vorgehen, also insbesondere die schriftliche Abfrage zu den einzelnen Preisen, sollte nicht nur als formale Anforderung betrachtet werden, sondern kann zu einer erfolgreichen Projektdurchführung beitragen.

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„(Besondere) Dringlichkeit“ im nationalen Zuwendungs- und Vergaberecht

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Recht

Staatliche Förderung ist sowohl für private Unternehmen als auch für öffentliche Träger eine Möglichkeit, Projekte und Investitionsvorhaben nicht vollständig selbst finanzieren zu müssen, sondern als Zuwendungsempfänger von einer Fremdfinanzierung zu profitieren. Sie müssen sich im Rahmen staatlicher Förderprojekte jedoch nicht zuletzt aufgrund der Überlagerung durch europäisches Recht an immer komplexer werdende rechtliche Vorgaben halten. In diesem Zusammenhang spielen insbesondere das Zuwendungs- und das Vergaberecht eine große Rolle. Das nationale Vergaberecht dient nicht nur der Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei der Verwendung öffentlicher Fördermittel im Sinne des Haushaltsrechts, sondern zunehmend der Gewährleistung des transparenten, gleichberechtigten Wettbewerbs, vgl. § 2 Abs. 1 VOL/A, Abschnitt 1.

I. Einleitung

In der Regel werden Zuwendungsempfänger im Zuwendungsrechts-Verhältnis zum Fördermittelgeber durch allgemeine Nebenbestimmungen und Auflagen im Förderbescheid zur Einhaltung des Vergaberechts unabhängig davon verpflichtet, ob sie private oder öffentliche Zuwendungsempfänger sind, wobei private Zuwendungsempfänger durch die AnBest-P lediglich zur Einhaltung des Abschnitts 1 der VOL/A sowie der VOB/A verpflichtet werden. Sie werden daher sozusagen zu „öffentlichen Auftraggebern“ im Sinne des Vergaberechts.

Im Vergaberecht herrscht der Grundsatz des Vorrangs der Öffentlichen Ausschreibung. Diese gewährleistet den größtmöglichen nationalen Wettbewerb bei der Vergabe von Leistungen. Häufig ist eine Öffentliche Ausschreibung zum einen mit höherem Zeit- und Kostenaufwand verbunden als eine Beschränkte Ausschreibung oder Freihändige Vergabe. Zum anderen ist der Zuwendungsempfänger als Auftraggeber im Rahmen einer Freihändigen Vergabe flexibler, da kein Verhandlungsverbot besteht und keine Submission durchgeführt werden muss. Sie kann unter Umständen schneller und bequemer durchgeführt werden als eine Beschränkte oder Öffentliche Ausschreibung. Eine Vielzahl von Zuwendungsempfänger tendiert aus diesem Grunde dazu, möglichst die Zulässigkeit der Freihändigen Vergabe mit Hilfe der Ausnahmetatbestände der Vergabe- und Vertragsordnungen, insbesondere der (besonderen) Dringlichkeit, vorschnell anzunehmen.

Der Umgang mit dem Tatbestand der Dringlichkeit bereitet in der vergaberechtlichen Praxis jedoch Schwierigkeiten. Die Praxis zeigt, dass die tatbestandlichen Grenzen der Dringlichkeit regelmäßig überdehnt werden, damit der Auftraggeber eine „einfache“ Freihändige Vergabe statt einer aufwändigen Ausschreibung durchführen kann. Im Nachhinein stellt sich jedoch im Rahmen der Prüfung durch den Fördermittelgeber heraus, dass der Tatbestand bei der Auftragsvergabe tatsächlich nicht erfüllt war und damit ein Vergabeverstoß vorliegt, der zu einem Auflagenverstoß bezüglich des Bewilligungsbescheids führt. Das ist unmittelbar mit der Gefahr verbunden, dass unerwartet und oftmals kurz vor dem Projektende Fördergelder nicht mehr an den Zuwendungsempfänger ausgezahlt werden bzw. ausgezahlte Fördergelder zurückgefordert werden müssen. Der Beitrag setzt sich daher mit dem Begriff und den Voraussetzungen der Dringlichkeit auseinander.

II. Regelungen der Dringlichkeit im nationalen Vergaberecht

Von Bedeutung für das Zuwendungs- und Vergaberecht sind vor allem die normierten Tatbestände der Dringlichkeit im nationalen Recht zum einen in der VOB/A in § 3a Abs. 4 S. 1 Nr. 2 VOB/A und § 3a Abs. 2 Nr. 3 VOB/A, zum anderen in der VOL/A in § 3 Abs. 5 lit. g VOL/A und § 3 Abs. 3 lit. b VOL/A.

Die oben genannten Tatbestände haben eines gemeinsam: Vollends definiert wird der Begriff der Dringlichkeit nicht. Die Dringlichkeitstatbestände unterscheiden sich lediglich in der Qualität.

Während eine Beschränkte Ausschreibung zulässig ist, wenn eine Öffentliche Ausschreibung aufgrund von Gründen der Dringlichkeit unzweckmäßig ist, kann die Leistung im Wege der Freihändigen Vergabe nur beschafft werden, wenn die Leistung besonders dringlich ist. Der VOL/A kann zur besonderen Dringlichkeit zusätzlich entnommen werden, dass die Gründe für die besondere Dringlichkeit nicht dem Verhalten der Auftraggeber zugeschrieben werden dürfen und die Umstände, die die besondere Dringlichkeit verursachen für den Auftraggeber nicht vorhersehbar waren.

III. Gemeinsame tatbestandliche Voraussetzungen der einfachen und besonderen Dringlichkeit

Erforderlich ist, dass objektiv ein unvorhergesehenes/unvorhersehbares Ereignis vorliegt, dass dringende und zwingende Gründe gegeben sind, die die Einhaltung der vorgeschriebenen Fristen nicht zulassen, und dass zwischen dem unvorhergesehenen Ereignis und den sich daraus ergebenden dringlichen, zwingenden Gründen ein Kausalzusammenhang besteht[1].

1. Unvorhergesehenes/unvorhersehbares Ereignis

Das unvorhergesehene/unvorhersehbare Ereignis haben beide Formen der Dringlichkeit gemeinsam. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass einige Autoren in der Kommentarliteratur davon sprechen, dass das zur Dringlichkeit führende Ereignis unvorhergesehen[2] sein muss, andere wiederum ausführen, dass das Ereignis unvorhersehbar[3] gewesen sein muss.

Unvorhergesehen ist ein Ereignis dann, wenn es nicht dem Verantwortungsbereich des Auftraggebers zuzurechnen ist[4]. Es darf grundsätzlich nicht vom Auftraggeber verursacht sein.

Nach Ansicht des Verfassers bestehen begriffliche Unterschiede zwischen „unvorhersehbar“ und „unvorhergesehen“, die zu unterschiedlichen Auslegungen des Begriffs führen können, sodass eine Festlegung erfolgen muss.

„Unvorhergesehen“ deutet schlicht auf die Tatsache hin, dass jemand einen Umstand nicht vorhergesehen hat. Dieser Begriff enthält keinerlei Wertung darüber, ob ein Auftraggeber die Möglichkeit oder sogar die Pflicht hatte, einen Umstand vorherzusehen.

Demgegenüber beinhaltet der Begriff „unvorhersehbar“ eine Wertung darüber, ob es für jemanden möglich war, zu erkennen, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt.

Für einen Auftraggeber kann ein Umstand, der zur Dringlichkeit geführt hat, zwar unvorhergesehen eintreten, jedoch vorhersehbar gewesen sein, weil er bei aller im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennbar war. Genau um diese objektive Bewertung geht es bei der Dringlichkeit. Die subjektive Wertung, dass ein Ereignis nicht vorhergesehen wurde, darf vor dem Hintergrund, dass das Vergaberecht objektiv ausgelegt ist, keine Rolle spielen. Insbesondere die Regelung des § 3 Abs. 5 lit. g VOL/A spricht mit ihrem etwas ausführlicheren Wortlaut „die die Auftraggeber nicht voraussehen konnten“ dafür, dass hier eine „Unvorhersehbarkeit“ erforderlich ist.

Im Ergebnis bedeutet dies für den Zuwendungsempfänger, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt walten lassen muss, um die womöglich zur Dringlichkeit führenden Umstände zu erkennen und abzusehen, damit sie nicht seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind bzw. er sie verursacht hat.

2. Dringende und zwingende Gründe

Hinsichtlich des Vorliegens der Dringlichkeit ist stets ein Vergleich der Fristen im Rahmen der unterschiedlichen Vergabeverfahren anzustellen[5]. Ist ein Zeitgewinn beim Abweichen von der Öffentlichen Ausschreibung auf die Beschränkte Ausschreibung nicht zu erzielen, scheidet die erforderliche zeitliche Enge, die zu einer Dringlichkeit führen kann, grundsätzlich aus.

Begrifflich liegt schon keine besondere Dringlichkeit vor, wenn im Rahmen des Vergabeverfahrens eine Angebotsfrist von 10 Kalendertagen nach § 10 VOB/A gewahrt bleibt. § 10 Abs. 1 VOB/A setzt voraus, dass die Frist von zehn Kalendertagen selbst bei einfacher Dringlichkeit nicht unterschritten werden darf. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine besondere Dringlichkeit grundsätzlich eine Frist von unter zehn Kalendertagen erfordert. Für eine einfache Dringlichkeit aber ist zumindest zu fordern, dass die zehntägige Mindestfrist zwar gewahrt werden kann, aber sie desto weniger anzunehmen sein wird, je länger die Angebotsfrist über zehn Kalendertage hinausgehend gesetzt werden kann.

Im Rahmen des § 10 Abs. 1 VOL/A sind nur ausreichende Fristen gefordert. Das macht es für den Zuwendungsempfänger in der Regel schwieriger, die Nichteinhaltung von Fristen wegen Dringlichkeit zu begründen und zu dokumentieren, da hier wegen des unbestimmten Rechtsbegriffs ein Spielraum besteht.

3. Kausalzusammenhang zwischen unvorhersehbarem Ereignis und dringenden Gründen

Das unvorhersehbare Ereignis muss für das Entstehen der dringenden Gründe ursächlich sein. Es muss folglich ein innerer Zusammenhang zwischen dem unvorhersehbaren Ereignis und der entstandenen Zeitnot bestehen.  Im Falle von Naturkatastrophen wie z.B. Überschwemmungen wird für die Beschaffung von Sandsäcken in der Regel eine besondere Dringlichkeit bestehen. Für die Beschaffung eines neuen Dienstwagens der für die Hilfsarbeiten zuständigen Behörde besteht jedoch kein innerer Zusammenhang.

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IV. Rechtlicher Unterschied zwischen einfacher und besonderer Dringlichkeit

Zunächst bleibt festzuhalten, dass sowohl die einfache als auch die besondere Dringlichkeit grundsätzlich ein unvorhersehbares Ereignis sowie den Kausalzusammenhang zwischen diesem Ereignis und der entstehenden Dringlichkeit erfordern.

Nach Ansicht des Verfassers deuten jedoch Wortlaut, Systematik und Sinn der Vorschriften zu den Formen der Dringlichkeit darauf hin, dass zwingend eine Abstufung der Dringlichkeit in zeitlicher Hinsicht bei der Rechtsanwendung in der Praxis erfolgen muss.

In der Praxis geht regelmäßig unter, dass es sich bei den genannten Tatbeständen um unterschiedliche Arten der Dringlichkeit handelt. In Kommentierungen der Literatur finden sich sogar Verweise der „besonderen Dringlichkeit“ auf die einfache „Dringlichkeit“, ohne die Unterschiede zu veranschaulichen. Zwar sind beide Arten der Dringlichkeit Beispiele für Unzweckmäßigkeitsgründe, die eine für die Zulässigkeit der Beschränkten Ausschreibung, die andere für die Zulässigkeit der Freihändigen Vergabe. Die oben genannten Normen unterscheiden jedoch ausdrücklich die Begriffe „dringlich“ sowie „besonders dringlich“. Dies zeigt bereits, dass vom Normgeber rechtlich keine Gleichstellung gewollt war. Es soll entsprechend des Wortlauts eine Abstufung der Dringlichkeit vorgenommen werden[6].

Auch die Systematik der Vergabevorschriften bestätigt das Stufenverhältnis. Die einfache Dringlichkeit ist bei der Zulässigkeit der Beschränkten Ausschreibung aufgeführt. Die besondere Dringlichkeit findet sich in den Vorschriften zur Freihändigen Vergabe. Da die Einschränkung des Wettbewerbs bei der Freihändigen Vergabe größer ist als bei der Beschränkten Ausschreibung, muss auch die Anforderung an die Intensität der Dringlichkeit entsprechend höher gesetzt werden.

Erst wenn die einfache Dringlichkeit für eine Beschränkte Ausschreibung gegeben wäre, kann überhaupt über die besondere Dringlichkeit nachgedacht werden[7].

Was unter besondere Dringlichkeit zu fassen ist, ist zudem nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift zu bestimmen[8]. Wegen des Vorrangs der Öffentlichen Ausschreibung ist zwar größtmöglicher Wettbewerb zu schaffen. Dies gilt jedoch nur, wenn die Herstellung von Wettbewerb überhaupt möglich ist. Vor diesem Hintergrund ist der Begriff der Dringlichkeit zu lesen. Je höher die Intensität der Dringlichkeit, desto eher kommt die Möglichkeit der Einschränkung bzw. des Ausschlusses des Wettbewerbs in Betracht.

Eine Abstufung lässt sich vor dem Hintergrund schwerlich vornehmen, dass die Feststellung der Dringlichkeit für sich bereits eine Abwägung im konkreten Einzelfall erfordert[9]. Für die Praxis stellt sich daher die Frage, welche konkreten Umstände und Kriterien in diese Einzelfallabwägung einzustellen sind. Beide Arten der Dringlichkeit müssen objektiv nachweisbar vorliegen[10].

Es ist eine Abwägung sowie ein Ausgleich der widerstreitenden Interessen durchzuführen. Als Vorüberlegung muss die Prüfung der Möglichkeit der einfachen Dringlichkeit stattfinden, die lediglich eine Beschränkte Ausschreibung und damit größeren Wettbewerb eröffnet als eine Freihändige Vergabe. In die Abwägung einzustellen sind insbesondere die Hierarchie der Vergabearten mit der Möglichkeit der Schaffung des größtmöglichen transparenten Wettbewerbs, die Bedeutung des gefährdeten Rechtsguts sowie das Zeitmoment[11].

Vorstellen kann man sich die Abwägung als eine Art Waage. Je höher das gefährdete Rechtsgut auf der einen Seite wiegt, desto geringer dürfen die Anforderungen an die besondere Dringlichkeit auf der anderen Seite wiegen.

Die besondere Dringlichkeit wird grundsätzlich anzunehmen sein, wenn bedeutende Rechtsgüter wie etwa Leben und Leib sowie hohe Vermögenswerte unmittelbar gefährdet sind[12].

Handelt es sich um Leistungen im Bereich der Daseinsvorsorge, ist in der Rechtsprechung und der Literatur anerkannt, dass der Grundsatz der Kontinuität dieser Leistungen eine nahtlose Weiterführung gegenüber den Nutzern erfordert[13]. Der Fall, dass vertragslose Zustände im Bereich der Daseinsvorsorge drohen, bildet folglich die Ausnahme. Hier sind Interimsvergaben zulässig, obwohl der Auftraggeber diesen Zustand selbst verursacht haben kann[14]. Dies erklärt sich daraus, dass die Daseinsvorsorge als ein so gewichtiges Allgemeingut einzustufen ist, dass es auf die Unvorhersehbarkeit nicht ankommen darf.

Weiterhin steht nach Ansicht des Verfassers fest, dass das Zeitmoment berücksichtigt werden muss. Denn wo keine zeitliche Enge oder Knappheit bezüglich des zu vergebenden Auftrags vorhanden ist, da kann bereits begrifflich keine Dringlichkeit gegeben sein.

Im Falle eines Hochwassers wird einem Auftraggeber nicht zugemutet werden können, ein Bau-Vergabeverfahren mit einer Angebotsfrist einzuhalten, wenn weitere Schäden an Leben, Leib und Eigentum drohen.

Wenn andererseits ein unvorhersehbares Ereignis vorlag, aber die Prüfung des Zeitmoments ergibt, dass eine Angebotsfrist von zehn Kalendertagen eingehalten werden kann, wird in der Regel allenfalls die einfache Dringlichkeit vorliegen. Dies gilt selbst dann, wenn ein bedeutendes Rechtsgut betroffen ist, soweit die Möglichkeit der Schaffung des Wettbewerbs ohne Rechtsgutgefährdung besteht. Hier ist möglicherweise zeitlich eine Öffentliche Ausschreibung mit einer erwarteten Vielzahl von zu prüfenden Angeboten nicht zweckmäßig, eine Beschränkte Ausschreibung mit der Anforderung von drei Vergleichsangeboten sowie einer zehntätigen Angebotsfrist muss jedoch möglich sein. Eine Direktvergabe oder formlose Freihändige Vergabe wird aber nicht zulässig sein. Diese Ansicht fügt sich in die Fallgruppen ein, die in Literatur und Rechtsprechung genannt werden:

Dringlichkeit bejaht:

  • Abwendung akuter Gefahrensituationen oder unvorhersehbarer Katastrophenfälle
  • drohender vertragsloser Zustand in Fällen der Daseinsvorsorge
  • hochwasserbedingte Beschaffungen
  • u. U. Insolvenz des Auftragnehmers

Dringlichkeit verneint:

  • interne Gründe (Finanznot)
  • Termindruck wegen eigener Planungsfehler
  • Abrufbarkeit von Fördermitteln/Ende der Förderperiode
  • Jährlichkeitsgrundsatz beim Verfall von Haushaltsmitteln

V. Förderrechtliche Rechtsfolgen eines Vergabeverstoßes bei mangelnder (besonderer) Dringlichkeit

Liegt ein Vergabeverstoß vor, weil der Ausnahmetatbestand der (besonderen) Dringlichkeit nicht gegeben war, wird dieser zunächst durch den Fördermittelgeber im Rahmen seiner Prüfung objektiv festgestellt. Der Vergabeverstoß führt zwangsläufig dazu, dass ein Verstoß gegen die Auflage zur Einhaltung des Vergaberechts im Förderbescheid gegeben ist. Ein Auflagenverstoß berechtigt den Zuwendungsgeber grundsätzlich zum Widerruf bzw. zumindest Teilwiderruf des Zuwendungsbescheids gemäß § 49 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG i. V. m. den geltenden Ermessenleitlinien und zur Neufestsetzung der Zuwendung. Der Zuwendungsempfänger hat die teilweise Zuwendung dann gegebenenfalls nach § 49a VwVfG zu erstatten.

Unter Umständen kann eine solche Rückforderung der Zuwendung insbesondere für private Zuwendungsempfänger, deren Projekt in der Regel nur deshalb finanziert wird, weil sie es nicht vollständig selbst finanzieren konnten, ruinöse Folgen haben, sodass erst recht für die Rückzahlung keine Mittel zur Verfügung stehen.

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VI. Fazit

Im Ergebnis lässt sich sagen, dass der Umgang mit den sehr eng auszulegenden Tatbeständen der Dringlichkeit in der vergaberechtlichen Praxis Schwierigkeiten bereitet. Der Zuwendungsempfänger sollte sich bei der Vergabe einer Leistung im Rahmen seines Förderprojekts daher nur in offensichtlich einschlägigen Ausnahmefällen auf die Tatbestände der einfachen oder besonderen Dringlichkeit berufen. Soweit geringste Zweifel an der Beurteilung als dringlich bestehen, sollte vorsichtshalber ein entsprechendes – nach der jeweiligen Wertgrenze zulässiges – Vergabeverfahren durchgeführt werden. Denn selbst wenn der Fördermittelgeber auf Nachfrage die Zulässigkeit einer Vergabeart aufgrund von (besonderer) Dringlichkeit bejaht, können übergeordnete Prüfinstanzen, insbesondere die der EU, eine abweichende Ansicht vertreten und den Fördermittelgeber zur Rückforderung der Zuwendung anhalten.


[1] Weyand, Vergaberecht, 2015, Rn 47/2; Weyand, Vergaberecht, 2012, Rn. 49.
[2] Weyand, Vergaberecht, 2015, Rn 47/2; Weyand, Vergaberecht, 2012, Rn. 49.
[3] Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 2015, Rn. 20.
[4] Weyand, Vergaberecht, 2015, Rn 47/2; Weyand, Vergaberecht, 2012, Rn. 49.
[5] Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2013, Rn. 40.
[6] Weyand, Vergaberecht, 2012, Rn. 49/1.
[7] Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 2015, Rn. 20.
[8] Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, 2015, Rn. 67.
[9] Weyand, Vergaberecht, 2015, Rn 47/2; Weyand, Vergaberecht, 2012, Rn. 48/1.
[10] Weyand, Vergaberecht, 2015, Rn 47/2; Weyand, Vergaberecht, 2012, Rn. 48/1.
[11] Weyand, Vergaberecht, 2015, Rn 47/2; Weyand, Vergaberecht, 2012, Rn. 48/1.
[12] Weyand, Vergaberecht, 2015, Rn 47/2; Weyand, Vergaberecht, 2012, Rn. 48/1.
[13] Weyand, Vergaberecht, 2015, Rn 47/2; Weyand, Vergaberecht, 2012, Rn. 48/1.
[14] Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, 2015, Rn. 66.

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Vergaberecht gilt auch bei Störung der Geschäftsgrundlage (EuGH, Urt. v. 07.09.2016, C-549/14 – „Finn Frogne“)

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ITKRecht

Entscheidung EUVergleichsverträge zur Behebung schwerer Störungen des Vertragsverhältnisses unterliegen den gleichen Grenzen für Auftragsänderungen wie alle anderen öffentlichen Aufträge. Ein Vergleichsvertrag zur Behebung einer schweren Störung des Vertragsverhältnisses kann eine unzulässige wesentliche Auftragsänderung darstellen und somit zur Neuausschreibung verpflichten.

§ 132 GWB

Leitsatz

Art. 2 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge ist dahin auszulegen, dass ein öffentlicher Auftrag nach seiner Vergabe nicht wesentlich geändert werden darf, ohne dass ein neues Vergabeverfahren eröffnet wird, selbst wenn die betreffende Änderung objektiv eine Vergleichsvereinbarung darstellt, die von Seiten beider Parteien wechselseitige Zugeständnisse beinhaltet und dazu dient, einen Streit mit ungewissem Ausgang beizulegen, der aus einer Störung des Vertragsverhältnisses entstanden ist. Etwas anderes kann nur gelten, wenn die Auftragsunterlagen sowohl die Befugnis vorsehen, bestimmte, selbst wichtige Bedingungen nach der Auftragsvergabe anzupassen, als auch die Modalitäten regeln, nach denen von dieser Befugnis Gebrauch gemacht wird.

Sachverhalt

Der in Dänemark spielende Fall betrifft einen großvolumigen Auftrag zur Lieferung und Wartung eines Kommunikationssystems für Notfalldienste, u.a. Polizeieinheiten. Im Zuge der Auslieferung kam es zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zu erheblichen Problemen, für die sich beide Parteien gegenseitig die Schuld zuwiesen. Der Vertrag konnte daher nicht wie vorgesehen erfüllt werden. Zur Beilegung der Streitigkeiten schlossen die Parteien eine Vergleichsvereinbarung, in der beide Seiten erhebliche Zugeständnisse machten, um unverhältnismäßige Verlustrisiken auf beiden Seiten zu vermeiden. Gegen diesen Vergleich klagte ein Konkurrent, der bei der ursprünglichen Ausschreibung nicht zum Zug gekommen war. Das Oberste dänische Gericht legte den Fall schließlich dem EuGH vor. Die Vorlagefrage zielte darauf ab, ob auch dann eine neue Ausschreibung erfolgen müsse, wenn eine schwere Störung des Vertragsverhältnisses vorliege, zu deren Behebung ein Vergleich geschlossen werde.

Die Entscheidung

Der EuGH hat eine Pflicht zur Neuausschreibung bejaht. Es könne keine Rolle spielen, ob die wesentliche Änderung eines Auftrags auf dem gezielten Willen der Parteien beruhe oder der Überwindung von objektiven Schwierigkeiten diene, die bei der Durchführung des Auftrags aufgetreten sind, selbst wenn es sich um ein Vorhaben mit grundsätzlich unsicherem Charakter handele. Der Gleichbehandlungsgrundsatz, der dem Schutz der anderen potenziell am Auftrag interessierten Unternehmen wiege hier schwerer (Rdn. 32). Dies gelte auch dann, wenn die Schwierigkeiten auf Gründe zurückzuführen sind, auf die die Parteien überhaupt keinen Einfluss haben (Rdn. 34).

Es sei vielmehr Sache des Auftraggebers, den Auftragsgegenstand bei mit Unsicherheiten behafteten Aufträgen im Vergabeverfahren umsichtig zu bestimmen (Rdn. 36). Überdies könne er sich die Möglichkeit vorbehalten, nach Vertragsschluss selbst wesentliche Änderungen vorzunehmen, wenn er in den Auftragsbedingungen die Modalitäten dafür festlegt (Rdn. 37).

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des EuGH ist streng aber wenig überraschend. Die Fälle, in denen eine Ausschreibung ausnahmsweise unterbleiben darf, sind nach der überzeugenden Auffassung des Gerichtshofs in den Richtlinien abschließend geregelt. Für weitergehende Ausnahmen vom Vergaberecht ist kein Platz, zumal sonst ein hohes Risiko für Umgehungsgeschäfte entstehen würde.

Auch wenn der Fall nach altem Recht zu entscheiden war, dürfte das Urteil auf Vertragsänderungen nach der Vergabereform 2016 gleichermaßen anwendbar sein. Das Gesetz enthält in § 132 GWB für den Oberschwellenbereich nunmehr eine abschließende Aufzählung von Fallgestaltungen, in denen eine Auftragsänderung ohne Ausschreibung zulässig ist. Im Unterschwellenbereich soll im Rahmen der UVgO künftig die identische Rechtslage gelten. Den Fall einer schweren Störung des Vertragsverhältnisses kennen diese Vorschriften nicht.

Für den deutschen Rechtskreis sind die Auswirkungen der Entscheidung des EuGH durchaus erheblich, da nunmehr feststehen dürfte, dass auch Vertragsänderungen, die zivilrechtlich unter Anwendung der Regeln etwa über die sog. Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) vorgenommen werden, eine Pflicht zur Neuausschreibung auslösen können. Eine Ausschreibung kann nur dann unterbleiben, wenn die Störung der Geschäftsgrundlage zugleich einen in § 132 GWB geregelten Ausnahmetatbestand erfüllt. Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 GWB sind z.B. Änderungen ohne Ausschreibung möglich, wenn diese auf unvorhersehbaren Umständen beruhen. Die Regelung dürfte aber häufig deshalb nicht zur Anwendung gelangen, weil viele Umstände bei Anwendung der im Verkehr üblichen Sorgfalt doch vorhersehbar gewesen wären.

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Praxistipp

Ändern sich die Grundlagen einer Ausschreibung wesentlich, so entsteht häufig Streit zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer über die Vertragsdurchführung. Das Vergaberecht kennt hier aber leider kein Erbarmen. Auftraggeber sollten daher viel Wert darauf legen, solche Situationen so gut wie möglich zu antizipieren und im Vertragsentwurf entsprechende Änderungsmechanismen zu verankern, mit denen auf etwaige Störungen reagiert werden kann. Nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 GWB müssen solche Klauseln aber sehr exakt formuliert sein und auch klare Angaben zu Art, Umfang und Voraussetzungen von Anpassungen enthalten. Das stellen hohe Ansprüche an die Vertragsgestaltung dar.

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Selbsterbringungsquote von 70 % ist im Anwendungsbereich der VO Nr. 1370/2007 nicht zu beanstanden! (EuGH, Urt. v. 27.10.2016 – C-292/15 –“Hörmann Reisen”)

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Entscheidung EUDer EuGH hatte über die Rechtsfrage zu entscheiden, ob im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung von öffentlichen Personenverkehrsdiensten mit Bussen in den Vergabeunterlagen vorgeben werden kann, dass der mit der Dienstleistung betraute Betreiber max. 30 % der Leistung (gemessen an den Fahrplankilometern) an Subunternehmer vergeben darf, das heißt im Ergebnis 70 % der Leistungen selbst erbringen muss.

Richtlinie 2004/17/EG Art. 1 Abs. 3 b; Richtlinie 2004/18/EG Art. 1, 7, 20,25, Anhang II Teil A; Richtlinie 2014/24/EU Art. 90 Abs. 1 Satz 1, Art. 91 Abs. 2; Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 Art. 1, 2, 3, 4,5

Leitsatz

  1. Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1370/2007 ist dahin auszulegen, dass bei der Vergabe eines Auftrags für den öffentlichen Personenverkehrsdienst mit Bussen Art. 4 Abs. 7 der Verordnung auf den Auftrag anwendbar bleibt.
  2. Art. 4 Abs. 7 VO (EG) Nr. 1370/2007 ist dahin auszulegen, dass er einen öffentlichen Auftraggeber nicht daran hindert, einem Betreiber, der mit der Verwaltung und Erbringung eines öffentlichen Personenverkehrsdienstes mit Bussen wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden betraut ist, eine Selbsterbringungsquote von 70 % aufzuerlegen.

Sachverhalt

Der EuGH musste sich auf ein Vorabentscheidungsersuchen der Vergabekammer Südbayern nach Art. 267 AEUV hin mit der Rechtsfrage befassen, ob der zuständige Aufgabenträger als öffentlicher Auftraggeber im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung von öffentlichen Personenverkehrsdiensten mit Bussen in den Vergabeunterlagen verpflichtend vorgeben kann, dass der mit der Dienstleistung betraute Betreiber max. 30 % der Leistung (gemessen an den Fahrplankilometern) an Subunternehmer vergeben darf, das heißt im Ergebnis 70 % der Leistungen selbst erbringen muss.

Gegen eine derartige Vorgabe in den Vergabeunterlagen einer Ausschreibung für öffentliche Personenverkehrsdienste mit Bussen hatte sich ein privates Busunternehmen gewandt, das weniger als 70 % der Busverkehrsleistungen mit eigenen personellen und sachlichen Ressourcen erbringen wollte. Das klagende Busunternehmen machte geltend, dass die Beschränkung des zulässigen Einsatzes von Subunternehmern mit der Richtlinie 2004/18/EG (mittlerweile Richtlinie 2014/24/EU) unvereinbar sei. Art. 4 Abs. 7 der VO (EG) Nr. 1370/2007 sehe zwar in der Tat die Beschränkung von Unteraufträgen vor, doch finde diese Verordnung im Ausgangsverfahren wegen ihres Art. 5 Abs. 1 keine Anwendung.

Von Seiten der beklagten öffentlichen Auftraggeber wurde dagegen die Rechtsauffassung vertreten, dass Art. 4 Abs. 7 der VO (EG) Nr. 1370/2007 auch im Rahmen von Auftragsvergaben nach Art. 5 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 1370/2007 i.V.m. der allgemeinen Vergaberichtlinie 2004/18/EG gelte, da in diesem Fall nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 1370/2007 nur die Absätze 2-6 [dieses] Artikels nicht anwendbar seien, die übrigen Bestimmungen der Verordnung und insbesondere ihr Art. 4 Abs. 7 jedoch auf solche Aufträge anwendbar blieben.

Zur Klärung dieser Rechtsfrage legte die Vergabekammer Südbayern dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor, die im Kern das Verhältnis der Vorschriften der VO Nr. 1370/2007 einerseits und der Vorschriften der allgemeinen vergaberechtlichen Richtlinie 2004/18/EG (mittlerweile Richtlinie 2014/24/EU) andererseits betreffen.

Die Entscheidung

Formal stellt der EuGH zunächst fest, dass die Vergabekammer Südbayern als vorlagefähiges Gericht im Sinne des Art. 267 AEUV einzustufen ist. Ferner stellt der EuGH fest, dass für die Beurteilung im vorgelegten Fall noch die alte vergaberechtliche Richtlinie 2004/18/EG maßgebend sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sei grundsätzlich diejenige Richtlinie anwendbar, die zu dem Zeitpunkt gilt, zu dem der öffentliche Auftraggeber die Art des Verfahrens auswählt, das er anwenden wird, und endgültig darüber entscheidet, ob für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags die Verpflichtung zu einem vorherigen Aufruf zum Wettbewerb besteht.

In der Sache bestätigt der EuGH die Auffassung der beklagten öffentlichen Auftraggeber und beantwortet die ersten beiden Vorlagefragen zusammengefasst dahingehend, dass Art. 5 der VO Nr. 1370/2007 dahin auszulegen ist, dass bei der Vergabe eines Auftrags für den öffentlichen Personenverkehr mit Bussen Art. 4 Abs. 7 der VO Nr. 1370/2007 auf den Auftrag anwendbar bleibt.

Dies gilt, so der EuGH, auch für die Vergabe von öffentlichen Personenverkehrsdiensten mit Bussen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der VO Nr. 1370/2007, die nicht die Form einer Dienstleistungskonzession annehmen, sondern als öffentliche Dienstleistungsaufträge gemäß der Definition in der Richtlinie 2004/18/EG für öffentliche Personenverkehrsdienste mit Bussen und Straßenbahnen nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 1370/2007 gemäß den in jenen (allgemeinen vergaberechtlichen) Richtlinien vorgesehenen Verfahren vergeben werden. Zur Begründung führt der EuGH aus, dass laut Art. 5 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 1370/2007 in diesen Fällen die Absätze 2 bis 6 [dieses] Artikels nicht anwendbar sind und in keiner anderen Bestimmung von Art. 5 oder der VO Nr. 1370/2007 die Tragweite der Ausnahme weiter ausgedehnt wird. Daraus folgert der EuGH, dass auch bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge gemäß der Richtlinie 2004/18/EG nur die Bestimmungen von Art. 5 Absätze 2 bis 6 der VO Nr. 1370/2007 nicht anwendbar sind, während die übrigen Vorschriften dieser Verordnung (unter anderem Art. 4 Abs. 7 der VO Nr. 1370/2007) anwendbar bleiben.

Gemäß Art. 4 Abs. 7 Satz 1 der VO Nr. 1370/2007 ist

„in den Unterlagen des wettbewerblichen Vergabeverfahrens und den öffentlichen Dienstleistungsaufträgen transparent […] anzugeben, ob und in welchem Umfang eine Vergabe von Unteraufträgen infrage kommt. Werden Unteraufträge vergeben, so ist der mit der Verwaltung und Erbringung von öffentlichen Personenverkehrsdiensten nach Maßgabe dieser Verordnung betraute Betreiber verpflichtet, einen bedeutenden Teil der öffentlichen Personenverkehrsdienste selbst zu erbringen.“

Demgegenüber heißt es in Art. 25 der Richtlinie 2004/18/EG: „In den Verdingungsunterlagen kann der öffentliche Auftraggeber den Bieter auffordern oder er kann von einem Mitgliedstaat verpflichtet werden, den Täter aufzufordern, ihm in seinem Angebot den Teil des Auftrags, den der Bieter gegebenenfalls im Wege von Unteraufträgen an Dritte zu vergeben gedenkt, sowie die bereits vorgeschlagenen Unterauftragnehmer bekannt zu geben. Die Haftung des hauptverantwortlichen Wirtschaftsteilnehmers bleibt von dieser Bekanntgabe unberührt.“

Beide Vorschriften beinhalten inhaltlich sehr unterschiedliche Regelungen für die Vergabe von Unteraufträgen. Unter Berufung auf den Zweck der VO Nr. 1370/2007 gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1, nämlich festzulegen, wie die zuständigen Behörden unter Einhaltung des [Unionsrechts] im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs tätig werden können, um die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu gewährleisten, die unter anderem zahlreicher, sicherer, höherwertiger oder preisgünstiger sind als diejenigen, die das freie Spiel des Marktes ermöglicht hätte, stellt der EuGH zum Verhältnis der beiden Vorschriften fest, dass bei der Vergabe eines Auftrags für den öffentlichen Personenverkehrsdienst mit Bussen Art. 4 Abs. 7 der VO Nr. 1370/2007 als lex specialis Art. 25 der Richtlinie 2004/18/EG vorgeht.

Der EuGH führt weiter aus, dass der Unionsgesetzgeber in Art. 4 Abs. 7 der VO Nr. 1370/2007 den zuständigen Behörden in Bezug auf die Vergabe von Unteraufträgen für die Verwaltung und Erbringung eines öffentlichen Personenverkehrsdienstes ein weites Ermessen eingeräumt hat. Da es ihnen freisteht, die Vergabe von Unteraufträgen für einen öffentlichen Personenverkehrsdienst mit Bussen (vollständig) zu untersagen, schließe dies die Möglichkeit ein, die Vergabe von Unteraufträgen nur für einen Teil eines Auftrags zu verbieten. Allerdings gestatte Art. 4 Abs. 7 Satz 2 der VO Nr. 1370/2007 angesichts der Verpflichtung des mit dem öffentlichen Personenverkehrsdienst mit Bussen betrauten Betreibers, einen bedeutenden Teil davon selbst zu erbringen, für den betreffenden Auftrag keine vollständige Übertragung an Unterauftragnehmer.

Ohne sich auf eine bestimmte prozentuale Größe festzulegen, was ein bedeutender Teil ist, beantwortet der EuGH die dritte Vorlagefrage, dass Art. 4 Abs. 7 der VO Nr. 1370/2007 dahin auszulegen ist, dass er einen öffentlichen Auftraggeber nicht daran hindert, einen Betreiber, der mit der Verwaltung und Erbringung eines öffentlichen Personenverkehrsdienstes mit Bussen wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden betraut ist, eine Selbsterbringungsquote von 70 % aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

Der EuGH musste sich in der Entscheidung mit dem sehr praxisrelevanten Thema der Vergabe von Unteraufträgen befassen und konkret darüber befinden, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Vergabestelle bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in den Vergabeunterlagen verpflichtende Vorgaben machen kann, dass ein Auftragnehmer die angebotenen Leistungen selbst erbringen muss und nicht an Unterauftragnehmer vergeben darf.

Die Entscheidung des EuGH ist in allen Punkten nachvollziehbar. Sie macht deutlich, dass sich die Rechtsgrundlagen für die Vergabe von Unteraufträgen im allgemeinen Vergaberecht (Art. 25 Richtlinie 2004/18/EG, nunmehr Art. 72 Richtlinie 2014/24/EU) deutlich von der speziell für die Vergabe von öffentlichen Personenverkehrsdiensten geltenden Vorgabe in Art. 4 Abs. 7 VO Nr. 1370/2007 unterscheiden. Während es im allgemeinen Vergaberecht grundsätzlich nicht ausgeschlossen ist, dass ein Auftragnehmer sämtliche Leistungen an Unterauftragnehmer vergibt, schreibt die VO Nr. 1370/2007 für die Vergabe von öffentlichen Personenverkehrsdiensten zwingend vor, dass der Auftragnehmer einen bedeutenden Teil der öffentlichen Personenverkehrsdienste selbst zu erbringen hat. Dogmatisch überzeugend hat der EuGH hergeleitet, dass speziell bei der Vergabe von öffentlichen Personenverkehrsdiensten die Vorgaben des Art. 4 Abs. 7 VO Nr. 1370/2007 zur Selbsterbringung der Dienste als lex specialis zu beachten sind, und zwar ungeachtet davon, ob eine Dienstleistungskonzession oder ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag vergeben wird.

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Praxistipp

Der EuGH konnte im vorliegenden Fall die in ÖPNV-Kreisen kontrovers diskutierte Frage offenlassen, ob auch noch eine Selbsterbringung von weniger als 50 % des Gesamtauftrags als ein bedeutender Teil im Sinne von Art. 4 Abs. 7 VO Nr. 1370/2007 angesehen werden kann. Mit einer Vorgabe in den Vergabeunterlagen, dass der Auftragnehmer mindestens 51 % der öffentlichen Personenverkehrsdienste selbst erbringen muss, ist der öffentliche Auftraggeber nach der Entscheidung des EuGH jedenfalls aber auf „der sicheren Seite“.

The post Selbsterbringungsquote von 70 % ist im Anwendungsbereich der VO Nr. 1370/2007 nicht zu beanstanden! (EuGH, Urt. v. 27.10.2016 – C-292/15 – “Hörmann Reisen”) appeared first on Vergabeblog.

Das Wichtigste zur neuen Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) – Teil 1/2

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RechtUNBEDINGT LESEN!

Icon EU„Nach der Reform ist vor der Reform“ – dieses geflügelte Wort konnte man in vergaberechtlichen Newslettern und Veröffentlichungen der vergangenen Wochen des Öfteren lesen. Der Grund: Die Bundesregierung drückt aufs Tempo und will sich kurz nach Inkrafttreten des neuen Vergaberechts zum 18.04.2016 des nationalen Vergaberechts annehmen. Das Ergebnis ist der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) am 31.08.2016 veröffentlichte Diskussionsentwurf einer Unterschwellenvergabeordnung, die den 1. Abschnitt der VOL/A ablösen soll. Das Papier beschert der Vergabewelt weitere 52 Paragrafen, verordnet dem praktisch bedeutsamen nationalen Vergaberecht ein umfassendes Update und gleicht es in weiten Teilen an die EU-Reform an. Die zehn wichtigsten Neuerungen auf einen Blick:

1. Verfahrensarten

Wie die VgV unterscheidet die UVgO nun nach den Voraussetzungen für die Wahl der jeweiligen Verfahrensart (§ 8) und der Darstellung des Verfahrensablaufs (§§ 9 ff.).

Der Vorrang der Öffentlichen Ausschreibung wird aufgegeben und die Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb nach § 8 Abs. 2 S. 1 UVgO auf dieselbe Stufe gestellt. Öffentliche Auftraggeber dürfen hiernach also frei wählen, welche der beiden Verfahrensarten sie wählen, ohne dies näher begründen zu müssen. Beibehalten wurde nach § 8 Abs. 3 UVgO die Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb, die im EU-Recht keine Entsprechung hat.

Die Freihändige Vergabe wird nun Verhandlungsvergabe genannt, wobei das Gesetz zumindest dem Wortlaut nach deutlicher zwischen einem Verfahren mit und ohne vorherigen Teilnahmewettbewerb unterscheidet (§ 8 Abs. 1, 4). Während einige Tatbestände mehr oder weniger unverändert aus der VOL/A übernommen werden, sind in § 8 Abs. 4 UVgO andere neu hinzugekommen: So ist – sehr abstrakt gehalten – eine Verhandlungsvergabe nach Nr. 2 zulässig, wenn der Auftrag nicht ohne Verhandlungen vergeben werden kann. Nach Nr. 9 ist eine Verhandlungsvergabe zudem erlaubt, wenn der Aufwand einer anderen Verfahrensart im Missverhältnis zu dem erreichten Vorteil oder dem Wert der Leistung stünde. Wann dies mit Blick auf die weniger formalisierten, dafür aber aufwändigeren Verhandlungen überhaupt der Fall sein soll, erschließt sich nicht. Schließlich zählt Nr. 9 gerade nicht zu den in § 12 Abs. 3 S. 1 UVgO genannten Fällen, in denen auf die Beteiligung mehrerer Bieter verzichtet werden darf. § 8 Abs. 4 Nr. 13 UVgO nennt als Anwendungsfall der Verhandlungsvergabe schließlich die vorteilhafte Gelegenheit. Im Abschnitt der VOL/A fand sich diese nicht ausdrücklich, sondern – gut versteckt – im Anhang IV zur VOL/A, dort unter III. bei den Bemerkungen zu § 3 Abs. 5 lit l) VOL/A.

Neu ist auch, dass Auftraggeber – wie nach § 17 Abs. 11 VgV – nach § 12 Abs. 4 S. 2 UVgO ein Angebot ohne Verhandlungen annehmen dürfen, wenn sie bereits bei der Aufforderung zur Angebotsabgabe auf diese Möglichkeit hinweisen. Ob sich ein Auftraggeber zur Anwendung von § 8 Abs. 4 Nr. 9 UVgO auf diesen Gedanken berufen darf, erscheint zumindest zweifelhaft.

§ 14 verdoppelt schließlich die Wertgrenze für den Direktauftrag (bisheriger „Direktkauf“ nach § 3 Abs. 6 VOL/A) von 500 Euro auf 1.000 Euro.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Verhandlungsvergabe künftig leichter gewählt werden darf. Insoweit entspricht die Zielsetzung der EU-Reform.

2. Freiberufliche Leistungen

Die UVgO soll nach dem Willen des BMWi nunmehr auch auf freiberufliche Leistungen anwendbar sein. Das noch geltende Recht nimmt sie gemäß § 1 VOL/A von deren Anwendungsbereich aus. Hier gelten im Wesentlichen §§ 7, 55 BHO und die hierzu erlassenen Verwaltungsvorschriften des Bundes (vgl. Anhang IV, III zur VOL/A, dort zu § 1).

Für die Vergabe freiberuflicher Leistungen steht öffentlichen Auftraggebern nach § 8 Abs. 4 Nr. 4 UVgO grundsätzlich die Verhandlungsvergabe zur Verfügung. Betreffen die freiberuflichen Leistungen solche, die nach einer verbindlichen Gebühren- oder Honorarordnung abgerechnet werden dürfen, soll der Auftraggeber nach § 12 Abs. 3 S. 2 UVgO mit einem einzigen Unternehmen verhandeln dürfen. Dies erscheint wenig nachvollziehbar, dreht sich der Wettbewerb doch nicht allein um den Preis, sondern auch und vor allem um den Erhalt des Auftrags an sich (vgl. etwa die Ausschreibung preisgebundener Schulbücher).

§ 21 Abs. 2 UVgO erlaubt Auftraggebern schließlich vom Regelfall abzusehen und die VOL/B nicht zum Vertragsgegenstand zu machen.

3. Markterkundung

Wie § 28 VgV erklärt § 20 UVgO Markterkundungen ausdrücklich für zulässig. Die bisherige Regelung in § 2 Abs. 3 VOL/A, wonach Markterkundungen (nur!) unzulässig sind, wenn sie in Form eines Vergabeverfahrens erfolgen, ist missverständlich und führte allzu häufig zu dem falschen Verständnis, dass Markterkundungen generell vergaberechtswidrig seien (Vgl. Soudry, Vergabeblog Nr. 23752 vom 11.02.2015). Die Klarstellung ist daher zu begrüßen.

4. Losvergabe

Die Losvergabe ist nun deutlich ausführlicher als bisher geregelt. Nach § 22 Abs. 1 S. 2, 3 UVgO dürfen Auftraggeber sowohl eine Angebots- als auch eine Zuschlagslimitierung vorsehen, ohne dies begründen zu müssen. Damit wird das Unterschwellenvergaberecht nicht nur an § 30 VgV angeglichen, sondern auch in Gesetzesform gefasst, was entgegen kritischer Stimmen von der Rechtsprechung schon vor der EU-Reform für zulässig gehalten wurde (Vgl. Soudry, Vergabeblog Nr. 14465 vom 16.01.2013).

§ 22 Abs. 3 UVgO regelt, wie Auftraggeber vorgehen müssen, wenn sie den mehrere Lose kombinieren und an einen Bieter vergeben möchten.

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5. Unteraufträge

§ 26 UVgO enthält nun erstmals detaillierte Regelung zur Vergabe von Unteraufträgen an Nachunternehmer. Die Regelung entspricht § 36 VgV und setzt unter anderem die Rechtsprechung des BGH um, wonach die Benennung von Nachunternehmern bereits mit Angebotsabgabe gefordert werden darf, wenn dies für die Bieter zumutbar ist (Vgl. Mantler, Vergabeblog Nr. 13205 vom 22.07.2012). Zudem wird der Einsatz von Nachunternehmern – ebenfalls entsprechend der VgV – deutlicher von der Eignungsleihe (§ 34 UVgO) abgegrenzt.

Ein weites Nachforderungsrecht erhalten öffentliche Auftraggeber mit § 26 Abs. 5 UVgO eingeräumt: Benennt ein Bieter einen ungeeigneten Nachunternehmer, kann der Auftraggeber verlangen, dass dieser ersetzt wird, und zwar im laufenden Vergabeverfahren. Nach bisherigem Recht wäre dies, jedenfalls in Bezug auf letztverbindliche Angebote, eine unzulässige Nachverhandlung, weshalb das Angebot mangels nachgewiesener Eignung zwingend auszuschließen wäre (vgl. OLG Düsseldorf, 05.05.2004, VII-Verg 10/04). Das soll nur noch so sein, wenn der Bieter auf entsprechende Aufforderung keinen geeigneten Nachunternehmer anstelle des ungeeigneten benennen kann, § 26 Abs. 5 S. 5 UVgO.

Ganz neu ist § 26 Abs. 6 UVgO: Danach darf der Auftraggeber vorschreiben, dass der Bieter bestimmte Aufgaben bei der Leistungserbringung selbst ausführen muss und nicht an einen Nachunternehmer weiterreichen darf. Im Vergleich zu § 47 Abs. 5 VgV, der dies nur für „kritische Aufgaben bei Dienstleistungsaufträgen“ oder für „kritische Verlege- oder Installationsarbeiten“ erlaubt, ist § 26 Abs. 6 UVgO deutlich weiter formuliert. Vermutlich ist der größere Spielraum darauf zurückzuführen, dass das Selbstausführungsgebot im nationalen Vergaberecht – anders als im EU-Vergaberecht – grundsätzlich zulässig ist (vgl. EuGH, Urteil vom 18.03.2004, Rs. C-314/01, Rn. 43).

Im zweiten Teil des Beitrags lesen Sie unter anderem zu

– den Bekanntmachungspflichten

– der Zurverfügungstellung der Vergabeunterlagen

– der Eignung der Bieter sowie

– den Zuschlagskriterien und der Angebotswertung.

 

Anmerkung der Redaktion
Im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) wurde zur Veröffentlichung des Diskussionsentwurf der Fachausschuss „Entwurf UVgO“ eingerichtet. Hier soll der Entwurf im Ganzen als auch einzelne Regelungen daraus erörtert und diskutiert werden. Wir freuen uns auf für Ihre rege Beteiligung!

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OLG Düsseldorf bestätigt und konkretisiert Schulnotenrechtsprechung (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.11.2016 – VII-Verg 25/16)

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EntscheidungKann die Schulnotenrechtsprechung trotz des TNS-Dimarso-Urteils des EuGH unter dem novellierten Vergaberecht fortgesetzt werden? – zugleich eine Antwort auf Ortner, Vergabeblog.de vom 25/09/2016, Nr. 27344.

Das OLG Düsseldorf hält in seiner ersten einschlägigen Entscheidung nach dem TNS-Dimarso-Urteil des EuGH an seiner Auffassung fest, dass die Bewertungsmethode den Bietern spätestens in den Vergabeunterlagen bekannt gemacht werden muss und reine Schulnoten oder Punktesysteme als Bewertungsmethode nicht ausreichen. Diese Schulnotenrechtsprechung des OLG Düsseldorf ist hoch umstritten (dazu: Ortner, Vergabeblog.de vom 22/02/2016, Nr. 24682) und war vom EuGH nicht bestätigt worden (dazu:  Neusüß, Vergabeblog.de vom 21/08/2016, Nr. 27080).

Die noch zum alten Recht ergangene Entscheidung legt nahe, dass das Gericht beabsichtigt, die Schulnotenrechtsprechung unter dem novellierten Vergaberecht fortzusetzen. Das OLG Düsseldorf muss sich aber auch dann mit dem TNS-Dimarso-Urteil des EuGH auseinandersetzen. Nach dem Urteil des EuGH sind abstrakte Bewertungsmethoden zulässig und müssen dem Bieter nicht bekannt gegeben werden. Das Urteil erging zwar ebenfalls noch zum alten Recht. Nach Auffassung des Autors spricht aber viel dafür, das TNS-Dimarso-Urteil auf die neue Rechtslage zu übertragen.

Für die Praxis ist die Entscheidung aus zwei weiteren Gründen relevant:

Erstens hielt das OLG Düsseldorf die zu beurteilende Vergabe für ein gelungenes Beispiel, wie der öffentliche Auftraggeber der Schulnotenrechtsprechung gerecht werden kann: Für jedes Zuschlagskriterium hatte der Auftraggeber die Erfüllungsgrade durch Subkriterien ausdifferenziert. Daran können sich öffentliche Auftraggeber orientieren.

Zweitens soll die Schulnotenrechtsprechung auch im Unterschwellenbereich Anwendung finden.

Das vom Gericht zu beurteilende Vergabeverfahren war im Ergebnis nicht rechtmäßig, da durch andere Zuschlagskriterien ortsfremde Bieter ungerechtfertigt diskriminiert worden seien (dieser Punkt ist nicht Gegenstand dieser Besprechung).

§ 97 Abs. 1 und 2 GWB; §  127 Abs. 4 und 5 GWB

Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb Aufträge über „Assistierte Ausbildung“ nach §§ 130 SGB III und 16 SGB II für das Gebiet der Agentur für Arbeit Bayreuth-Hof aus.

Das Wertungssystem der Vergabestelle sieht fünf Wertungsbereiche vor. Die Wertungsbereiche I. bis IV. betreffen die einzureichenden Konzepte (Gewichtung 80 %); der Wertungsbereich V. bezieht sich auf Bisherige Erfolge und Qualität (Gewichtung 20 %).

In den Wertungsbereichen I. bis IV. sollen die Angebote nach folgendem Maßstab bewertet werden:

  • 0 Punkte erhält das Angebot, das nicht den Anforderungen entspricht.
  • 1 Punkt erhält das Angebot, das mit Einschränkungen den Anforderungen entspricht.
  • 2 Punkte erhält das Angebot, das den Anforderungen entspricht.
  • 3 Punkte erhält das Angebot, das der Zielerreichung in besonderer Weise dienlich ist.

In den streitbefangenen Wertungsbereichen I.2 und III.1 wurde das vorstehende Schema hinsichtlich Erfüllungsgraden wie folgt durch Subkriterien ausdifferenziert:

Wertungskriterium I.2 (Zusammenarbeit mit regionalen Akteuren)

  • 0 Punkte: Art und Umfang der Zusammenarbeit sind falsch bzw. nicht beschrieben. Oder: Zielsetzung und Zielgruppe sind falsch bzw. nicht berücksichtigt.
  • 1 Punkt: Art und Umfang der Zusammenarbeit sind nur allgemein/unkonkret beschrieben. Oder: Zielsetzung oder Zielgruppe sind falsch oder nicht berücksichtigt.
  • 2 Punkte: Art und Umfang der Zusammenarbeit sind konkret beschrieben. Und: Zielsetzung und Zielgruppe sind berücksichtigt.
  • 3 Punkte: Die Voraussetzungen für eine Bewertung mit 2 Punkten sind erfüllt. Und: Aufbau und Funktionalität einer Netzwerkbildung sind detailliert erläutert.

Wertungskriterium III.1 (Strategie für die Teilnehmer)

  • 0 Punkte: Die Erläuterungen zur Unterstützung der Teilnehmer (wie und womit) fehlen.
  • 1 Punkt: Erläuterungen zur Unterstützung der Teilnehmer (wie und womit) sind vorhanden.
  • 2 Punkte: Erläuterungen zur Unterstützung der Teilnehmer (wie und womit) sind vorhanden. Die Unterstützungsleistung ist konkret beschrieben und lässt einen Ausbildungsabschluss erwarten.
  • 3 Punkte: Die Voraussetzungen für eine Bewertung mit 2 Punkten sind erfüllt. Und: Zusätzlich wird dargestellt, wie der Teilnehmer auch weiterhin an den Austausch- und Lernangeboten teilnimmt, wenn die Teilnahme an diesen nur außerhalb der Arbeitszeit möglich ist.

Im Wertungskriterium V (Bisherige Erfolge und Qualität) konnte nur mehr als 1 Punkt erreicht werden, wenn ein Bieter mit der ausgeschriebenen Leistung vergleichbare Referenzen im Bezirk der Vergabestelle nachweisen konnte.

DVNW_Mitglied

Die Entscheidung

Das OLG Düsseldorf hält mit deutlichen Worten an seiner Schulnotenrechtsprechung fest (Rn. 44 der Entscheidung):

Unter anderem durch Beschluss vom 16. Dezember 2015 (VII-Verg 25/15) hat der Senat entschieden, dass das reine Schulnotensystem in Vergabeverfahren, welche die unionsrechtlichen Auftrags-Schwellenwerte erreichen (wegen der Gleichheit der Überprüfungsmaßstäbe freilich auch bei Ausschreibungen unterhalb der Schwellenwerte), aufgrund völliger Unbestimmtheit und Intransparenz der Bewertungsmaßstäbe als vergaberechtswidrig auszuscheiden hat. Das reine und durch keine weiteren Unterkriterien konkretisierte Schulnotensystem überantwortet die Angebotswertung in Gänze einem ungebundenen und völlig freien Ermessen des Auftraggebers, und zwar nicht nur auf der letzten Meile der Angebotswertung. Es gestattet willkürliche Bewertungen, die bei Massengeschäften wie dem vorliegenden praktisch kaum zu vermeiden und zu kontrollieren sind, und erzeugt die Gefahr von Manipulationen, vor denen der Wettbewerb als solcher sowie – mit drittschützender Wirkung – Bieterunternehmen durch Festlegen und Bekanntgeben transparenter Bewertungsmaßstäbe zu schützen sind.“ (Hervorhebungen durch Unterzeichner)

Die Vergabestelle habe den unbestimmten Wertungsmaßstab des Schulnotensystems aber weiter (wie im Sachverhalt angegeben) aufgegliedert und dadurch für fachkundige Bieterunternehmen hinreichend aussagekräftige und bestimmte Anhaltspunkte gegeben, worauf es der Vergabestelle für den jeweiligen Erfüllungsgrad ankomme. Der Wertungsmaßstab sei daher nicht zu beanstanden.

Rechtliche Würdigung

Überraschender Weise nutzt das OLG Düsseldorf nicht die Gelegenheit, sich mit dem Urteil des EuGH vom 14.07.2016 (C-6/15, TNS Dimarso) auseinanderzusetzen, es erwähnt dieses Urteil nicht einmal.

Der EuGH hat entschieden, dass Bewertungsmethoden nicht veröffentlicht werden müssen und einfache Bewertungskategorien zur Bestimmung der Qualität wie „hoch“, „ausreichend“ und „niedrig“ ausreichend sein können (dazu unter 1.). Die nochmals wiederholte Forderung des OLG Düsseldorf nach Veröffentlichung ausdifferenzierter Bewertungsmethoden lässt sich mit dieser Entscheidung nicht vereinbaren (dazu unter 2.).

Sowohl die bisherige Entscheidung des OLG Düsseldorf als auch die Entscheidung des EuGH ergingen aber zum alten Vergaberecht. Die Ausführungen des OLG Düsseldorf legen nahe, dass das Gericht die Schulnotenrechtsprechung künftig mit den neuen Regelungen zu den Zuschlagskriterien in §  127 Abs. 4 GWB und Art. 67 Abs. 4 Richtlinie 2014/24/EU begründen will. Dieser Ansatz überzeugt nicht, da diese Neureglungen lediglich die zum alten Recht ergangene Rechtsprechung des EuGH kodifizieren. Das TNS-Dimarso-Urteil ist daher auf die neue Rechtslage übertragbar (dazu unter 3.).

Auch unabhängig von der Rechtsprechung des EuGH überzeugt die Schulnotenrechtsprechung weiterhin nicht (dazu unter 4.).

1. Die TNS-Dimarso-Entscheidung des EuGH

a) Im Urteil vom 14.07.2016 (C-6/15, TNS Dimarso) hat der EuGH entschieden, dass eine Vergabestelle nicht verpflichtet ist, die Bewertungsmethode den Bietern mitzuteilen.

Die Feststellung des EuGH gilt ohne Ausnahme: Das vorliegende Gericht hatte den EuGH ausdrücklich danach gefragt, unter welchen Umständen eine Pflicht zur Transparenz besteht. Auch der Generalanwalt (Schlussanträge vom 10.3.2016 – C-6/15, Rn. 40, 47 und 85), dem der EuGH sonst regelmäßig folgt, hatte noch vorgeschlagen, eine Pflicht zur Bekanntmachung der Bewertungsmethode anzunehmen, wenn

  • durch die Bewertungsmethode die Zuschlagskriterien oder die Gewichtung der Kriterien verändert werden,
  • die Bewertungsmethode, wäre sie bei Erstellung des Angebots den Bietern bekannt gewesen, die Angebotserstellung hätte beeinflussen können
    oder
  • sie unter Berücksichtigung von Umständen erlassen wurde, die einen der Bieter diskriminieren konnten.

Der EuGH ist dieser Empfehlung des Generalanwalts nicht gefolgt, sondern hat eine Pflicht zur Veröffentlichung der Bewertungsmethode ganz allgemein abgelehnt. Er hat lediglich daran erinnert, dass die Bewertungsmethode keine Veränderung der Zuschlagskriterien oder ihrer Gewichtung bewirken darf. Diese und die übrigen vom Generalanwalt genannten Umstände haben aber nach Auffassung des EuGH offensichtlich nicht zur Folge, dass die Bewertungsmethode zu veröffentlichen ist.

b) In dem zitierten Urteil des EuGHhatte die Vergabestelle angegeben, dass das Kriterium Qualität mit 50 % zu gewichten ist. Als nicht veröffentlichte Bewertungsmethode hatte sie die Erfüllungsgrade „hoch“, „ausreichend“ und „niedrig“ festgelegt. Weder der EuGH noch der Generalanwalt haben diese Bewertungsmethode als grundsätzlich vergaberechtswidrig eingestuft. Beide haben sie nur unter dem Aspekt kritisiert, dass damit der Qualität kaum das Gewicht von 50 % zukommen könnte, da Unterschiede von Angeboten mit „hoher“ Qualität nicht mehr zum Tragen kämen, wenn eines dieser Angebote beispielsweise sogar „exzellent“ sei (Generalanwalt, a.a.O., Rn. 56).

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2. Anwendung auf die Schulnotenrechtsprechung

a) Das Urteil des EuGH steht der Schulnotenrechtsprechung des OLG Düsseldorf diametral entgegen. Im Vergleich zu den – nach dem EuGH grundsätzlich zulässigen Erfüllungsgraden – „hoch, ausreichend, niedrig“ ist das Schulnoten- oder Punktesystem deutlich differenzierter (so auch: VK Lüneburg, Beschl. v. 27.09.2016, VgK-39/2016, Rn. 121).

Dass es für den Bieter bei der Erstellung des Angebots vorteilhaft sein könnte, die Bewertungsmethode zu kennen, ist für den EuGH gerade kein Grund, dass die Bewertungsmethode veröffentlicht werden muss. Statt der vom OLG Düsseldorf befürchteten Willkür betont der EuGH, dass zur Wertung von Angeboten ein Beurteilungsspielraum des Auftraggebers erforderlich sei.

b) Auch der EuGH erinnert in der Entscheidung allerdings daran, dass die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung durch die Bewertungsmethode nicht verändert werden dürfen. Insbesondere muss die Bewertungsmethode eine der Gewichtung entsprechende differenzierte Bewertung erlauben (und bei 50 % Gewichtung nicht nur drei Stufen wie in der TNS-Dimarsio-Entscheidung). Die Bewertungsmethode und die Gewichtung der Zuschlagskriterien müssen daher miteinander in Einklang gebracht werden. Eine Anforderung, die Bewertungsmethode in ihren Abstufungen zu konkretisieren, also festzulegen, was hoch, ausreichend oder niedrig ist, wie dies vom OLG Düsseldorf verlangt wird, lässt sich daraus aber nicht ableiten.

c) Das OLG Düsseldorf könnte seine Schulnotenrechtsprechung aber vollständig aufrechterhalten, wenn es zu der Auffassung gelangt, dass das nationale Recht strengere Anforderungen an die Transparenz stellt als das EU-Recht.

aa) Entgegen der Auffassung von Ortner, Vergabeblog.de vom 25/09/2016, Nr. 27344, könnte der nationale Gesetzgeber höhere Anforderungen an die Transparenz stellen, als das EU-Recht vorgibt. Bei der Wirkungsweise europäischer Rechtssetzungsakte wird zwischen einer Voll- und einer Mindestharmonisierung unterschieden. Bei einer Vollharmonisierung dürfen die Mitgliedstaaten nicht von den EU-Regelungen abweichen, bei einer Mindestharmonisierung dürfen sie hingegen strengere Regelungen erlassen. Welche Art der Vollharmonisierung vorliegt ist – für jede Regelung einer Richtlinie – durch Auslegung zu ermitteln.

Ortner geht davon aus, dass es sich bei den Vergaberichtlinien um vollharmonisiertes Recht handelt. Das hätte zur Folge, dass die Mitgliedstaaten nicht transparenter sein dürften als von den Vergaberichtlinien vorgegeben. Da öffentliche Auftraggeber zumeist Teil des Mitgliedstaates sind, hätte dies absurde von Ortner auch nicht behauptete Folgen, dass eine zu transparente Vergabe vergaberechtswidrig wäre. Die Frage ist vielmehr, ob die Richtlinie es den Mitgliedstaaten verbietet, ihren öffentlichen Auftraggebern strengere Vorgaben zu machen als vom EU-Recht verlangt, also den Handlungsspielraum der öffentlichen Auftraggeber einzuschränken. Es ist aber EU-rechtlich kein Grund erkennbar, warum ein Mitgliedstaat die öffentlichen Auftraggeber nicht dazu zwingen können sollte, von mehreren europarechtskonformen Verhaltensweisen nur eine umzusetzen: Das Vergaberecht dient der Umsetzung des Binnenmarktes und nicht dem Schutz der öffentlichen Auftraggeber der Mitgliedstaaten vor zu strengen Regelungen ihrer Parlamente. Für eine solche Regelung hätte die EU im Übrigen auch gar nicht die erforderliche Kompetenz. Der nationale Gesetzgeber könnte daher seinen öffentlichen Auftraggebern höhere Transparenzpflichten vorgeben als EU-Recht dies verlangt.

bb) Die Auffassung, das nationale Recht sei im Hinblick auf Transparenzanforderungen strenger als das EU-Recht, ist aber nicht überzeugend: Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass der nationale Gesetzgeber über die Anforderungen des EU-Rechts hinausgehen wollte, vielmehr handelt es sich um eine teils wörtliche 1:1 Umsetzung der entsprechenden Richtlinien.

cc) Im Ergebnis ist das OLG Düsseldorf daher zwar nicht europarechtlich, aber durch bundesrechtliche Regelungen an die Rechtsprechung des EuGH gebunden.

3. Schulnotenrechtsprechung unter dem novellierten Vergaberecht

Fraglich ist aber, ob die Schulnotenrechtsprechung unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH unter dem novellierten Vergaberecht fortgesetzt werden könnte.

a) Die Richtlinie 2014/24/EU und das neugefasste GWB sehen Anforderungen an Zuschlagskriterien vor, die im bisherigen Recht nicht enthalten waren. In Art. 67 Abs. 4 2014/24/EU heißt es:

Die Zuschlagskriterien dürfen nicht zur Folge haben, dass dem öffentlichen Auftraggeber uneingeschränkte Wahlfreiheit übertragen wird. Sie müssen die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleisten und mit Spezifikationen einhergehen, die eine wirksame Überprüfung der von den Bietern übermittelten Informationen gestatten, damit bewertet werden kann, wie gut die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Im Zweifelsfall nehmen die öffentlichen Auftraggeber eine wirksame Überprüfung der Richtigkeit der von den Bietern beigebrachten Informationen und Nachweise vor.

Umgesetzt wird diese Regelung in §  127 Abs. 4 GWB:

Die Zuschlagskriterien müssen so festgelegt und bestimmt sein, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Lassen öffentliche Auftraggeber Nebenangebote zu, legen sie die Zuschlagskriterien so fest, dass sie sowohl auf Hauptangebote als auch auf Nebenangebote anwendbar sind.

Vergleicht man diese Vorgaben mit der oben zitierten Begründung der Schulnotenrechtsprechung durch das OLG Düsseldorf, so fällt auf, dass das OLG Düsseldorf auf die Willkürfreiheit, die Überprüfbarkeit und die Gewährleistung des Wettbewerbs abstellt, alles Punkte, die in § 127 Abs. 4 GWB ebenfalls genannt werden. Das Gericht scheint fast vorab unter die neue Norm zu subsumieren, obgleich noch das alte Recht anwendbar war.

Das Gericht könnte seine Schulnotenrechtsprechung zukünftig also mit einer Änderung der Richtlinie und des GWB rechtfertigen und sich auf diese Weise eine Auseinandersetzung mit der entgegengesetzten Rechtsprechung des EuGH ersparen, wenn die Feststellungen des EuGH zum alten Recht auf das neue Recht nicht übertragbar wären.

b) Es spricht allerdings viel dafür, dass Art. 67 Abs. 4 2014/24/EU und nachfolgend §  127 Abs. 4 GWB nur die bisherige Rechtsprechung des EuGH kodifizieren und damit keine Rechtsänderung bewirken. So hat der EuGH bereits zum alten Recht festgestellt, dass es für die Vergabestelle möglich sein muss, die Erfüllung von Zuschlagkriterien effektiv zu kontrollieren und das die Transparenzpflicht dazu dient, die Gefahr von willkürlichen Entscheidungen zu verhindern (EuGH, Urteil vom 06. November 2014 C-42/13, Rn. 44, juris; EuGH, Urteil vom 04. Dezember 2003 C-448/01, Rn 52, juris).

Auch die Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs hat der EuGH bereits aus dem Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsgrundsatz abgeleitet (Vgl. nur EuGH, Urteil vom 29. April 2004 C-496/99 P, Rn. 108ff., juris).

Aus den neuen Regelungen ergeben sich daher keine Anforderungen, die nicht vom EuGH in der TNS-Dimarso-Entscheidung bereits zu berücksichtigen waren.

Im Übrigen sieht auch die neue Rechtslage keine Pflicht zur Veröffentlichung der Bewertungsmethode, sondern ausdrücklich nur eine Pflicht zur Veröffentlichung der Zuschlagskriterien und ihrer Gewichtung vor, vgl. Art. 67 Abs. 5 Richtlinie 2014/24/EU und §  127 Abs. 5 GWB. Auf die nahezu gleichlautende Vorgängerregelung stellte der EuGH in der TNS-Dimarso-Entscheidung maßgeblich ab.

c) Im Ergebnis ist dem OLG Düsseldorf eine einfache Fortsetzung der Schulnotenrechtsprechung nach dem TNS-Dimarso-Urteil des EuGH auch unter dem neuen Vergaberecht verwehrt.

4. Inhaltliche Kritik an der Schulnotenrechtsprechung

Auch inhaltlich überzeugt die Schulnotenrechtsprechung (weiterhin) nicht:

Es ist nicht nachvollziehbar, warum ein Bieter nicht durch eine ex-post-Transparenz, d. h. eine Begründung der Bewertungsentscheidung durch die Vergabestelle und eine anschließende Überprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen, hinreichend geschützt werden kann. Immerhin ist anerkannt, dass das Bewertungsschema von Schulnoten im Bildungsbereich eine ausreichende ex-ante-Transparenz darstellt (vgl. zur Übertragbarkeit auf das Vergaberecht überzeugend: VK Lüneburg, a.a.O., Rn. 120), obgleich dort die Entscheidungen, beispielsweise bei Schulabschlüssen oder bei Staatsexamina, grundrechtssensibler sind als bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Die Bewertung von Konzepten als Zuschlagskriterium wird durch die Schulnotenrechtsprechung in weiten Teilen tatsächlich unmöglich: Welcher Bieter beschreibt die Zusammenarbeit mit regionalen Akteuren nicht konkret, wenn genau dies in den Bewertungsmethode gefordert wird. Ob sich aus dem eingereichten Konzept z. B. durch innovative Ansätze tatsächlich eine gute Zusammenarbeit mit den Akteuren ableiten lässt, ist hingegen gar nicht mehr Gegenstand der Bewertung. Der entschiedene Fall ist ein gutes Beispiel dafür: Alle Angebote hatten in den entsprechenden Zuschlagskriterien die volle Punktzahl. Die Schulnotenrechtsprechung widerspricht damit europäischem und nationalem Recht, wonach weiche Kriterien ausdrücklich zulässig sind – und zwar nicht nur pro forma. Dann muss der Auftraggeber diese Kriterien aber auch tatsächlich bewerten können.

Schließlich wird die Reichweite des allgemeinen Transparenzgrundsatzes im Hinblick auf die Zuschlagskriterien abschließend in § 127 Abs. 5 GWB festgelegt.

Richtig ist indes, dass die Bieter wissen müssen, worauf es dem öffentlichen Auftraggeber bei dem jeweiligen Zuschlagskriterium ankommt, §  127 Abs. 4 GWB. Dieses ist aber eine Frage der Ausgestaltung und der Beschreibung der Zuschlagskriterien, nicht der Bewertungsmethode. Falls das OLG Düsseldorf und andere Oberlandesgerichte die Schulnotenrechtsprechung aufgeben, ist zu erwarten, dass sie entsprechend höhere Anforderungen an die Ausformulierung der Zuschlagskriterien stellen.

Verwunderlich ist, dass dem OLG Düsseldorf eine Differenzierung nach konkreter und allgemeiner Beschreibung der Zusammenarbeit im entschiedenen Fall als Bewertungsmaßstab ausreicht (Wertungskriterium I.2). Unter welchen Umständen eine Beschreibung konkret ist oder nicht, lässt der Vergabestelle einen nahezu ebenso großen Beurteilungsspielraum wie bei der Festlegung von Schulnoten, wenn als Zuschlagskriterium eine konkrete Beschreibung der Zusammenarbeit gefordert wird.

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Praxistipp

In der Praxis müssen die Vergabestellen trotz der Fülle an Gegenargumenten die Schulnotenrechtsprechung regelmäßig zur Risikominimierung weiterhin berücksichtigen.

Es ist daher zu empfehlen,

  1. die Bewertungsmethode den Bietern spätestens in den Vergabeunterlagen bekannt zu geben,
  2. in den Zuschlagskriterien und der Bewertungsmethode so genau wie möglich zu beschreiben, worauf es der Vergabestelle ankommt,
  3. zu begründen, wenn eine konkrete Beschreibung der Zuschlagskriterien oder Bewertungsmethode nicht möglich ist oder zur Bewertung des Zuschlagskriteriums kontraproduktiv wäre (z. B. Vorwegnahme der Lösung, Verhinderung von innovativen Ansätzen).

Sie sollten dabei aber (weiterhin) beobachten, wie sich Ihre Vergabekammer und Ihr Oberlandesgericht zu der Schulnotenrechtsprechung und der Rechtsprechung des EuGH positionieren. Die erste Vergabekammer (VK Lüneburg, Beschl. v. 27.09.2016, VgK-39/2016) ist aufgrund der EuGH-Entscheidung jedenfalls schon von der Schulnotenrechtsprechung abgerückt.

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