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Produktneutralität: Zur verdeckten Ausschreibung eines Leitfabrikates (VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.08.2016 – 1 VK 36/16)

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BauleistungenRecht

EntscheidungGegen das verpflichtende Gebot einer produktneutralen Ausschreibung wird auch dann verstoßen, wenn verdeckt ein Leitfabrikat ausgeschrieben wird, weil nur ein einziges Produkt den Vorgaben der Leistungsbeschreibung gerecht wird.

 

§ 7 EG Abs. 8 VOB/A a.F.; § 7 Abs. 2 EU VOB/A 2016

Leitsatz

  1. In technischen Anforderungen darf nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren verwiesen werden, „das die von einem bestimmten Unternehmen bereitgestellten Produkte charakterisiert“.
  2. Gegen diese Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung wird nicht nur dann verstoßen, wenn ein Leitfabrikat offen und explizit in der Leistungsbeschreibung benannt worden ist, sondern auch, wenn durch die Vielzahl der Vorgaben verdeckt ein Leitfabrikat ausgeschrieben wurde, weil nur ein einziges Produkt allen Vorgaben gerecht wird.
  3. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die fehlende Produktneutralität auf sachlichen Gründen beruht, liegt beim Auftraggeber. Hierzu bedarf es einer detaillierten und dokumentierten Begründung.

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte für den Umbau eines Berufschulzentrums das Gewerk „Mobilwände“ im offenen Verfahren nach EG-VOB/A europaweit ausgeschrieben. Gegenstand war die Lieferung und Montage von 100 laufenden mobilen Trennwandanlagen aus Verbundwerkstoff und Glas. Nach Wertung der Angebote wurde Bieter C über die Absicht des AG informiert, den Zuschlag auf das Angebot des Bieters A zu erteilen; C war nach Bieter A und B Drittplatzierter. C rügte darauf seine Nichtberücksichtigung und trug vor, dass die beiden vor ihm platzierten Bieter die geforderten Kriterien nach dem LV nicht einhielten. Nach Nichtabhilfe seiner Rüge beantragte er Nachprüfung. In der mündlichen Verhandlung hatte die VK u.a. den Sachverhalt hinsichtlich einer möglichen Vorbefassung des Bieters C aufzuklären.

Die Entscheidung

Die VK gibt hier Bieter C zwar Recht, ordnet aber die Zurückversetzung des Verfahrens vor Versendung der Vergabeunterlagen an. Die VK verweist dabei auf frühere Rechtsprechung der VK Bund (Beschl. vom 16.03.2015-VK 2-9/15) sowie der VK Sachsen-Anhalt (Beschl.vom 16.09.2015-3 VK LSA 62/15) und führt folgendes aus:

Die Entscheidung, welcher Gegenstand mit welchen Eigenschaften beschafft werden solle, obliege dem öffentlichen Auftraggeber. Dieser sei in der Auswahl der von ihm zu beschaffenden Gegenstände grundsätzlich frei. Der AG müsse allerdings wegen drohender Ermessenüberschreitung vermeiden, durch zu spezifische technische Vorgaben das Gebot der produktneutralen Ausschreibung zu verletzen. Grenze des Bestimmungsrechts des öffentlichen AG sei die Verpflichtung zur produktneutralen  Ausschreibung.

Nach  § 7 EG Abs. 8, Satz 1 VOB/A a.F. dürfe in technischen Anforderungen nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren oder auf Marken, Patente oder Typen eines bestimmten Ursprungs verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen würden, es sei denn, dies sei durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt. Mit dem seit 18.04.2016 geltenden und im vorliegenden Falle anwendbaren § 7 Abs. 2 Satz 1 EU VOB/A sei der Halbsatz neu eingefügt worden, dass nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren verwiesen werden dürfe, „das die von einem bestimmten Unternehmen bereitgestellten Produkte charakterisiere“.

Gegen diese Verpflichtung werde nicht nur dann verstoßen, wenn ein Leitfabrikat offen und explizit in der Leistungsbeschreibung benannt worden sei, sondern auch dann, wenn durch die Vielzahl der Vorgaben verdeckt ein Leitfabrikat ausgeschrieben werde, weil nur ein einziges Produkt allen Vorgaben gerecht werden könne. Sinn und Zweck der hersteller- und produktoffenen Ausschreibung sei es, ein möglichst breites Anbieterfeld zu gewährleisten oder anders ausgedrückt, sachlich nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigte Wettbewerbsverengungen bzw. -verzerrungen zu verhindern.

Nach dem Ergebnis der Befragung in der mündlichen Verhandlung habe sich der Verdacht einer verdeckten Leitfabrikatausschreibung zur Überzeugung der Kammer erhärtet. Nach Darstellung des C und des AG in der mündlichen Verhandlung sei die Leistungsbeschreibung der Mobilwände das Ergebnis intensiver Abstimmungen zwischen  dem  AG und C  im Vorfeld der Ausschreibung gewesen, weshalb  die Leistungsbeschreibung im Detail exakt einem Produkt des C entsprochen habe, ohne jedoch dieses Leitfabrikat im LV offen zu benennen. C habe sich somit sicher sein können, dass er diese Vorgaben im LV erfüllen werde, während die beigeladenen  A und B sowohl nach dem Vortrag des C, aber auch nach dem Vortrag der Beigeladenen selbst, diese Vielzahl an Anforderungen nicht hätten erfüllen können.

Rechtliche Würdigung

Bestimmte Produkte  dürfen nur gefordert werden, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die fehlende Produktneutralität auf sachlichen Gründen beruht, liegt dabei beim AG. Hierzu bedarf es einer detaillierten und dokumentierten Begründung. Das neue Vergaberecht 2016 verlangt in § 8 Abs. 1 VgV eine sehr detaillierte, fortlaufende Dokumentation in Textform, soweit dies für die Begründung von Entscheidungen auf jeder Stufe des Verfahrens erforderlich ist. Dazu gehören u.a. auch die Dokumentation der Kommunikation mit Unternehmen und interne Beratungen sowie die Vorbereitung der Auftragsbekanntmachung und der Vergabeunterlagen.

Eine konkrete sachliche Begründung der Vielzahl der Vorgaben des im LV verdeckt und nicht offen (und damit für die anderen Bieter nicht transparent erkennbare Festlegung auf ein Leitfabrikat) ausgeschriebenen Leitfabrikats war im vorliegenden Fall jedoch nicht dokumentiert.

Das Vergabeverfahren verstößt damit gegen den Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung gemäß § 7 Abs. 2 EU VOB/A 2016 (vgl. §  7 Abs. 8 EG-VOB/A a.F.) sowie gegen die in § 8 Abs.1 VgV (vgl. § 20 EG-VOB/A a.F.) aktuell geregelte und durch den AG  zu befolgende Dokumentationspflicht. Der AG hat hier deshalb bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren in den Stand vor der Versendung der Vergabeunterlagen zurück zu versetzen und den Bietern Gelegenheit zur erneuten Angebotsabgabe auf Basis einer transparenten und produktneutralen Vorgabe zu geben.

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Praxistipp

Der vergaberechtliche Dauerbrenner „produktneutrale Ausschreibung“ bleibt auch im neuen Vergaberecht virulent und wird – wie die VK hier hinweist – durch den in § 7 Abs. 2 Satz 1 EU VOB/A eingefügten Halbsatz eher verschärft. Allen Auftraggeber ist daher zu raten, bei einer Festlegung auf ein bestimmtes Produkt in der Ausschreibung gemäß § 8 VgV sehr genau und sorgfältig zu dokumentieren und zu begründen, aus welchen Gründen auf ein konkretes  Leitfabrikat abgestellt wird.

Bietern ist zu raten, bei einer offenen wie verdeckten Ausschreibung von sog. Leitfabrikaten ganz genau hinzusehen und zu prüfen, ob das (bieterschützende) Gebot der produktneutralen Ausschreibung eventuell verletzt ist.

Anmerkung der Redaktion

Die rechtssichere Gestaltung der Vergabe von Bau- und Planungsleistungen ist Gegenstand des Bau-Vergabetag 2017, der am 16.02.2017 in Berlin stattfinden wird. Das Programm sowie eine Anmeldemöglichkeit findet Sie unter www.bau-vergabetag.de/.

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Das Wichtigste zur neuen Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) – Teil 2/2

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Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

Icon EUAm 31.08.2016 hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) den Diskussionsentwurf einer Unterschwellenvergabeordnung veröffentlicht, die den 1. Abschnitt der VOL/A ablösen soll. Lesen Sie im zweiten Teil dieses Beitrags, welche Neuerungen sie für Bekanntmachungen und den Versand der Vergabeunterlagen, Eignungs- und Zuschlagskriterien und die e-Vergabe bringt. „Das Wichtigste zur neuen Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) – Teil 1/2″ finden Sie hier.

6. Bekanntmachung und Vergabeunterlagen

Abweichend von § 12 Abs. 1 VOL/A sollen Aufträge gemäß § 28 Abs. 1 S. 1 UVgO künftig auf Internetportalen oder Internetseiten des Auftraggebers bekannt gemacht werden müssen. Die schon bisher genannten Veröffentlichungsmedien, namentlich Tageszeitungen, amtliche Veröffentlichungsblätter und Fachzeitschriften dürfen zusätzlich genutzt werden.

Nach § 28 Abs. 1 S. 2 UVgO „sollen“ Auftragsbekanntmachungen auf Internetportalen oder Internetseiten des Auftraggebers dagegen nur noch zentral über die Suchfunktion des Internetportals www.bund.de ermittelt werden können. Nach § 12 Abs. 1 S. 2 VOL/A ist dies für Internetportale verpflichtend. Eine Definition des Internetportals vermisst man auch in der UVgO. Allerdings wird man hierzu auf Anhang IV der VOL/A zurückgreifen können. Unter Abschnitt III., in der dortigen Anmerkung zu § 12 Abs. 1 werden diese näher umschrieben.

Die Vergabeunterlagen müssen nach § 29 Abs. 1 UVgO künftig unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt elektronisch abrufbar sein. Auch insoweit zieht das nationale Vergaberecht mit dem europäischen gleich (§ 41 Abs. 1 VgV). Der Gedanke der Unentgeltlichkeit scheint dem BMWi dabei besonders wichtig zu sein, denn in § 29 Abs. 3 wird nochmals betont, dass die Vergabeunterlagen, sofern keine elektronischen Mittel zum Einsatz kommen, auch unentgeltlich zu versenden sind. § 29 Abs. 3 UVgO ermöglicht Auftraggebern, unter Berufung auf den Schutz der Vertraulichkeit von Informationen den freien Zugang zu den Vergabeunterlagen zu beschränken. Denkbar wäre etwa, dass Bieter zunächst eine Verschwiegenheitserklärung abgeben, bevor sie die Vergabeunterlagen erhalten (Vgl. § 3 Abs. 3 UVgO).

7. Eignung

Wegen der Eignungsanforderungen an Bieter verweist § 31 Abs. 1 UVgO auf §§ 123, 124 GWB und die dort genannten fakultativen und zwingenden Ausschlussgründe. Auch die Grundsätze der Selbstreinigung nach § 125 GWB sollen entsprechend gelten.

Ebenso soll das Institut der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung in das nationale Vergaberecht übernommen werden. Unklar bleibt, ob öffentliche Auftraggeber eine solche immer akzeptieren müssen, oder nur, wenn sie deren Vorlage nach § 35 Abs. 3 S. 1 UVgO verlangen (vgl. insoweit § 48 Abs. 3 VgV).

Falls sich ein Bewerber oder Bieter zum Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit auf die Kapazitäten Dritter beruft (sog. „Eignungsleihe“), sollen Auftraggeber nach § 34 Abs. 3 UVgO anordnen dürfen, dass die Beteiligten entsprechend dem Umfang der Eignungsleihe gesamtschuldnerisch für die Auftragsausführung haften.

Nach § 31 Abs. 4 UVgO sollen Auftraggeber bei Öffentlichen Ausschreibungen entscheiden dürfen, ob sie die Angebotsprüfung vor der Eignungsprüfung durchführen. Anders als im EU-Vergaberecht (§ 42 Abs.3 VgV) ist dies allerdings keine Neuheit. Vielmehr wird in Abschnitt III. des Anhangs IV zur noch geltenden VOL/A zu § 16 Abs. 1 erläutert, dass aus der Anordnung der Absätze des § 16 VOL/A keine verbindliche Prüfungs- und Wertungsreihenfolge abzuleiten ist.

Ersatzlos weggefallen ist die bisher in § 8 Abs. 3 VOL/A geforderte abschließende Nachweisliste, ohne dass hierfür ein einleuchtender Grund ersichtlich wäre. Das Institut hat sich bewährt und war Bietern eine willkommene Hilfe im Dickicht der Vergabeunterlagen. Zudem hatte das OLG Düsseldorf die Auswirkungen eines Fehlens der Nachweisliste zuletzt deutlich abgeschwächt (17.07.2013, VII-Verg 10/13). Der Wegfall kann sicher nicht mit den erweiterten Nachforderungsmöglichkeiten begründet werden, die Auftraggeber nach § 41 Abs. 1 UVgO haben sollen. Zwar sollen sie hiernach, anders als nach § 16 Abs. 2 VOL/A, nicht nur fehlende, sondern auch unvollständige und fehlerhafte Unterlagen (bisher „Erklärungen und Nachweise“) nachfordern dürfen. Nach § 41 Abs. 2 S. 2 UVgO sollen sie aber auch die Möglichkeit haben, die Nachforderung fehlender Unterlagen von vornherein auszuschließen. Die entgegenstehende Rechtsprechung der VK Bund ist damit hinfällig (05.03.2015, VK 2-13/15). Diese Regelung darf zu Recht als verunglückt bezeichnet werden: Angesichts der Entwicklungen der letzten zehn Jahre (VOL/A 2006: jedes Fehlen von Unterlagen führt zum zwingenden Ausschluss → VOL/A 2009: abschließende Nachweisliste wird Pflicht und Auftraggeber haben erstmals Nachforderungsmöglichkeit → 2014: EU-Richtlinien geben Unterscheidung zwischen fehlenden und ehlerhaften Unterlagen auf) ist völlig unverständlich, weshalb es in die Hände des Auftraggebers gelegt werden soll, über diese bieterschützenden Vorschriften zu verfügen. Dabei weiß jeder Auftraggeber, der schon einmal ein gutes, erstplatziertes Angebot aus formalen Gründen ausschließen musste, wie ärgerlich dies sein kann. Auftraggebern kann deshalb nur geraten werden, nicht vorschnell von § 41 Abs. 2 S. 2 UVgO Gebrauch zu machen, da sie an die einmalige Festlegung gebunden sind. Immerhin soll der Vorrang der Eigenerklärung nach § 35 Abs. 2 UVgO erhalten bleiben.

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8. Zuschlagskriterien

Nach § 43 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 UVgO sollen Auftraggeber künftig auch die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals bewerten dürfen, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann. Diese schon 2013 mit der 7. VgV-Novelle für nachrangige Dienstleistungen eingeführte Aufgabe der strikten Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien entspricht § 58 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 VgV und geht auf Art. 67 Abs. 2 S. 2 lit. b) der Richtlinie 2014/24/EU zurück.

Eine begrüßenswerte Neuerung enthält § 43 Abs. 6 UVgO. Danach muss künftig, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auch in nationalen Vergabeverfahren die Gewichtung der Zuschlagskriterien angegeben werden. Eigentlich handelt es sich um eine Selbstverständlichkeit und Auftraggeber versperren selbst den Weg zu bestmöglich auf ihren Bedarf zugeschnittenen Angeboten, wenn sie hiervon absehen. Schwer nachvollziehbar ist deshalb auch die aktuelle Entscheidung des BGH (10.05.2016, X ZR 66/15), wonach Auftraggeber bei Unterschwellenvergaben die Wertungskriterien nicht bekanntgeben müssen, wenn für die Bieter „auf der Hand“ liegt, welche der im Gesetz genannten Wertungskriterien „nach den gesamten Umständen insbesondere nach Art des zu beschaffenden Gegenstands in Betracht kommen“ (sic!). Für Vergabeverfahren, die der künftigen UVgO unterliegen, dürfte die Entscheidung glücklicherweise weitgehend überholt sein.

9. Form der Angebote und e-Vergabe

In welcher Form Bieter ihre Angebote einreichen müssen, regelt § 38 UVgO. Schrittweise soll dabei auf die e-Vergabe umgestellt werden. Ab 01.01.2019 sollen Auftraggeber die elektronische Angebotsabgabe zulassen, auch wenn sie vorgeben, dass die Angebote auf anderem Weg (postalisch, Fax) eingereicht werden sollen. Ab 01.01.2021 sollen Angebote dann ausschließlich elektronisch eingereicht werden dürfen.

§ 38 Abs. 4 regelt Fälle, in denen Auftraggeber – auch nach dem 01.01.2021 – von einer elektronischen Angebotsabgabe absehen dürfen. Dies betrifft Auftragsvergaben mit einem Wert bis 25.000 Euro und im Wege von Beschränkten Ausschreibungen oder Verhandlungsvergaben ohne Teilnahmewettbewerb. Weshalb gerade in diesen Fällen die elektronische Kommunikation verzichtbar sein soll, will nicht recht einleuchten. Schließlich dürfte die e-Vergabe, wenn die Übergangszeit abgeschlossen und die Umstellung erfolgt ist, eher einfacher sein und auch eine schnellere Abwicklung erlauben.

10. Besondere Regelungen

Für soziale und andere besondere Dienstleistungen enthält § 49 UVgO einige Besonderheiten. Danach dürfen Auftraggeber frei zwischen der Öffentlichen Ausschreibung sowie der Beschränkten Ausschreibung und der Verhandlungsvergabe mit Teilnahmewettbewerb wählen. Bei der Vergabe von Dienstleistungen nach SGB II und III dürfen sie zudem Eingliederungs- und Abbruchquoten und erreichte Bildungsabschlüsse bewerten.

Für verteidigungs- und sicherheitsspezifische Aufträge enthält § 50 UVgO einige Besonderheiten. Danach dürfen öffentliche Auftraggeber zwischen allen Verfahrensarten wählen. Bei der Verhandlungsvergabe dürfen sie sogar in allen Fällen des § 8 Abs. 4 auf einen Teilnahmewettbewerb verzichten. Für Verschlusssachenaufträge wird § 7 VSVgV für entsprechend anwendbar erklärt.

§ 51 räumt Auslandsdienststellen – im Wesentlichen die Vertretungen des Auswärtigen Amts, aber auch staatliche Bildungsinstitute mit im Ausland ansässigen Dienststellen – einige Erleichterungen in Bezug auf Publikations- und Formvorschriften ein. Schließlich stehen ihnen sämtliche Verfahrensarten nach ihrer freien Wahl zur Verfügung.

Fazit

Die UVgO regelt Einiges neu und Manches klarer. Den großen Wurf bringt sie nach der Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien nicht mehr mit sich. Hauptsächliches Ziel ist daher die Angleichung des nationalen (Bundes-)Vergaberechts an die EU-Vorschriften. Zudem werden Auftraggebern, vor allen Dingen bei der Verfahrenswahl, mehr Freiheiten eingeräumt. Aus diesen Gründen ist nicht mit allzu großem Wiederstand gegen die UVgO zu rechnen und es darf vermutet werden, dass diese, wenn überhaupt, nur mit geringen Änderungen planmäßig gegen Ende des 1. Quartals 2017 in Kraft tritt. Spannend wird sein, ob und wie viele Bundesländer die UVgO durch entsprechende Verweise auch in ihr Landesrecht übernehmen. Ungeachtet berechtigter Kritikpunkte wäre es dem heillos zersplitterten nationalen Vergaberecht nur zu wünschen!

Anmerkung der Redaktion
Im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) wurde zur Veröffentlichung des Diskussionsentwurf der Fachausschuss „Entwurf UVgO“ eingerichtet. Hier soll der Entwurf im Ganzen als auch einzelne Regelungen daraus erörtert und diskutiert werden. Wir freuen uns auf für Ihre rege Beteiligung!

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Alle Jahre wieder – Informationsschreiben über die Feiertage (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.10.2016 – VII-Verg 24/16)

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EntscheidungDie Anwendung von § 134 GWB führt nach wie vor zu Praxisproblemen. Die Wartefrist nach § 134 GWB kann laut OLG Düsseldorf nur durch Information an alle nicht berücksichtigte Bieter verlängert werden. Eine derartige Information nur an einen Bieter ist wirkungslos. Erfolgt die Information kurz vor Feiertagen, welche die Warte- und Prüfungsfrist erheblich auf nur noch 4-5 Werktage verkürzt, läuft die Wartefrist nicht an. Ein nach der ursprünglichen Wartefrist eingelegter Nachprüfungsantrag ist insofern zulässig. Auch die Rügepflicht bezüglich des Inhalts der Information entfällt.

§ 134 GWB n. F. (§ 101 a GWB a. F.)

Leitsatz

  1. Eine verbindliche Zusage des Auftraggebers nach Erhalt einer Rüge, dass er den Zuschlag erst später als zu dem im Bieterinformationsschreiben mitgeteilten frühesten Zuschlagstermin erteilen werde, führt nicht automatisch zur Unwirksamkeit eines entgegen dieser Zusage doch erteilten Zuschlags.
  2. Die 10-tägige Wartefrist nach § 101a Abs. 1 GWB a.F. (§ 134 Abs. 1 GWB n. F.) wird nicht wirksam in Lauf gesetzt, wenn die Frist so über (Oster-)Feiertage und Wochenenden gelegt wird, dass einem Bieter für die Entscheidung über eine Nachprüfungsantrag praktisch nur vier bis fünf Tage verbleiben.

Sachverhalt

Im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung erhielt Bieter A am 23.03.2016 (das war der Mittwoch vor Ostern) mit entsprechender Begründung per Telefax die Information, dass Bieter B am 04.04.2016 der Zuschlag erteilt werde. A rügte am 31.03.2016 (das war der Donnerstag nach Ostern) gegenüber dem Auftraggeber den ausgebliebenen Ausschluss von B aus formalen Gründen. Am 01.04.2016 teilte der Auftraggeber „verbindlich“ mit, dass er am 04.04.2016 keinen Zuschlag erteilen, er die Rüge prüfen und sich deshalb die Wartefrist verlängern werde.

Gleichwohl versandte der Auftraggeber angeblich „versehentlich“ am 04.04.2016 ein Zuschlagsschreiben an B. Am 06.04.2016 wies der Auftraggeber die Rüge von A zurück und kündigte die Zuschlagserteilung für den 11.04.2016 an. Zugleich informierte der Auftraggeber den B über die Rüge von A und erklärte, dass der Zuschlag vom 04.04.2016 vorbehaltlich bis zur Aufklärung des Sachverhalts sei. Am 08.04.2016 reichte A einen Nachprüfungsantrag ein. Nach Auffassung des Auftraggebers ist dieser Nachprüfungsantrag unzulässig, weil er nach Erteilung des Zuschlags am 04.04.2016 eingereicht worden sei.

Die Entscheidung

Nach Meinung des OLG Düsseldorf ist der Zuschlag unwirksam. Es galt zunächst eine Wartefrist von 10 Tagen wegen der Übermittlung der Information per Fax. Demnach wäre die Wartefrist am Samstag, den 02.04.2016, abgelaufen. Der Zuschlag hätte somit am Montag, den 04.04.2016 erteilt werden können. Die Wartefrist wurde nach Auffassung des OLG durch die Schreiben vom 01./06.04.2016 jedoch nicht wirksam bis zum 11.04.2016 verlängert. Unabhängig davon, ob der Lauf einer gesetzlichen Frist, wie der Wartefrist nach § 101a Abs. 1 GWB a. F. (§ 134 GWB n. F. ) durch gewillkürte Erklärung des Auftraggebers überhaupt verlängert werden könne, sei die Fristverlängerung lediglich dem A bekannt gegeben worden, nicht aber allen Bietern, deren Angebot von einem Zuschlag ebenfalls ausgenommen bleiben sollten.

Obwohl die Frist nicht verlängert worden sei, läge kein wirksamer Vertrag vor.  Denn die Wartefrist sei durch Absendung der Information vor den Osterfeiertagen so drastisch auf im Ergebnis nur noch vier bis fünf Werktage verkürzt worden, dass effektiver Rechtsschutz  i. S. d. EU-Rechtsmittelrichtlinie nicht mehr gewährleistet gewesen sei. Die Frist sei deshalb überhaupt nicht in Gang gesetzt worden. Ein Zuschlag sei wegen des zwischenzeitlichen Nachprüfungsantrags folglich ohne Verstoß gegen das gesetzliche Zuschlagsverbot des § 115 Abs. 1 GWB a.F. (§ 169 Abs. 1 n. F.) nicht zustande gekommen. Der Nachprüfungsantrag sei somit zulässig (und im Übrigen begründet)

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung ist in zweifacher Hinsicht interessant. Zunächst ist bemerkenswert, dass nach Auffassung des OLG das erste Informationsschreiben vom 23.03.2016 nicht durch die weiteren Schreiben vom 01./06.04.2016 ersetzt wurde (wie es die erste Instanz noch gesehen hatte, vgl. VK Bund, B. v. 20.05.2016, VK 1-24/16). Immerhin wurde in diesen Schreiben verbindlich mitgeteilt, dass ein Zuschlag nicht am 04.04., sondern erst nach Prüfung der Rüge bzw. am 11.04.2016 erfolgen sollte. Offensichtlich meint das OLG, aus § 134 GWB ergäbe sich eine Pflicht zur Information an alle nicht berücksichtigte Bieter und somit auch eine Pflicht zur Korrektur einer Information gegenüber all diesen Bietern, damit der Inhalt dieser Änderung bindend wird. Das wirkt zunächst konsequent. Allerdings ist Sinn und Zweck der Informationspflicht der Rechtsschutz des jeweils betroffenen Bieters. Deshalb folgt die Unwirksamkeit des Vertrags bei Missachtung der Informationspflicht nur bei Einlegung eines Nachprüfungsantrags eines bestimmten Bieters. Der individuelle Rechtsschutz wird erschwert, wenn sich der Bieter nicht auf eine ihm gegenüber erklärte Verlängerung verlassen darf und zur Einlegung eines Antrags gezwungen wird. Teilweise wurde dem Auftraggeber bereits zugebilligt, die vom ihm selbst gesetzte Frist verbindlich zu verlängern und dies vertrauensschöpfend einem Bieter mitzuteilen (vgl. OLG Jena, B. v. 14.02.2005, Verg 1/05; Dreher, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, GWB § 101a, Rn. 57). Es wäre schön, wenn sich die Rechtsprechung hier zu einer einheitlichen, dem Rechtsschutz dienenden Auffassung durchringen könnte.

Der zweite Aspekt ist zwar bereits vom OLG schon einmal in 2014 festgestellt worden (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 05.11.2014, Verg 20/14). Es lohnt aber, angesichts der erneuten Beschlussfassung und vor den Feiertagen nochmals darauf ausdrücklich darauf hinzuweisen. Wenn eine Information ersichtlich kurz vor den Oster- oder Weihnachtsfeiertagen platziert wird, z. B. am Gründonnerstag oder 23.12. um 17:00 Uhr, dann wird wegen der zwangsläufigen Auswirkungen auf die Prüfungs- und Rechtsmittelfrist keine Wartefrist ausgelöst, sogar eine Rüge ist laut OLG entbehrlich. Der betroffene Bieter kann direkt und ohne Beachtung einer Wartefrist zur Vergabekammer schreiten mit der Folge der Unwirksamkeit eines zwischenzeitlichen Zuschlags.

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Praxistipp

Bieter, die per Informationsschreiben einen bestimmten Zuschlagstermin mitgeteilt bekommen haben und gegen die Vergabeentscheidung rügen, können sich nicht auf ein Schreiben der Vergabestelle verlassen, wonach der Zuschlag nicht zum angekündigten Termin sondern später erfolgt. Diese Änderung ist nur relevant, wenn sie der Auftraggeber gegenüber allen nicht für den Zuschlag vorgesehenen Bietern übermittelt hat. Im Zweifel ist der fragliche Bieter gezwungen, zur Vermeidung eines rechtswirksamen Zuschlags die Vergabekammer anzurufen.

Auftraggeber wiederum sollten derartiges nicht provozieren, sondern alle Bieter entsprechend § 134 GWB über die Verlängerung der Wartefrist informieren und die Tatsache der allseitigen Information ebenfalls im Verlängerungsschreiben mitteilen. Außerdem haben Auftraggeber gerade in der kommenden Weihnachtszeit darauf zu achten, dass die „Weihnachtsbotschaft“ am 23.12. nach § 134 GWB an nicht berücksichtigte Bieter keineswegs den erhofften Effekt hat, dass sich die Wartefrist über die Feiertage folgenlos erledigt. Vielmehr wird die Wartefrist nicht in Gang gesetzt, was die Gefahr erhöht, dass die „Neujahrsbotschaft“ in Gestalt eines Nachprüfungsantrags daher kommt. Besser sollte die Information im neuen Jahr oder deutlich vor den Feiertagen übermittelt werden.

Anmerkung der Redaktion

Die rechtssichere Gestaltung der Vergabe von Bau- und Planungsleistungen ist Gegenstand des Bau-Vergabetag 2017, der am 16.02.2017 in Berlin stattfinden wird. Das Programm sowie eine Anmeldemöglichkeit findet Sie unter www.bau-vergabetag.de/.

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Anmerkung zu: Über die „Befreiung“ des verkehrsüblichen Preises vom betriebssubjektiven Denken

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Recht

Diesen Titel trägt ein kürzlich erschienener Aufsatz von Dr. jur. Horst Greiffenhagen, Herausgeber des Loseblattwerkes Michaelis/Rhösa, Preisbildung bei öffentlichen Aufträgen. Der Aufsatz ist beim Bundesverband der Preisprüfer und Wirtschaftssachverständigen e.V. erschienen und bezieht sich im Untertitel auf die „Anmerkungen zum Urteil des Bundesverwaltunsgerichts vom 13. April 2016 – 8 C 2.15 – zur Marktpreisbildung bei öffentlichen Aufträgen“, Vergabeblog.de vom 17/07/2016, Nr. 26634.

Hintergrund

Wir erinnern uns: die zentrale Entscheidung des Gerichts war, dass ein Marktpreis auch bei einem Nachfragemonopol der öffentlichen Hand festzustellen sein kann, sofern die geforderte Leistung marktgängig ist und der Anbieter den Preis dafür im Wettbewerb mit anderen Anbietern gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber durchgesetzt hat. Wir berichteten im Vergabeblog darüber – nachzulesen hier

In Bezug auf diese Entscheidung merkt Dr. Greiffenhagen zurecht an, dass das Gericht damit die bereits in Nr. 5a) des Ersten Runderlasses betreffend die Durchführung der Verordnung PR Nr. 30/53 getroffene Regelung bestätigt, dass eine Leistung, die sogar nur der Deckung des Bedarfs eines öffentlichen Auftraggebers dient, eine marktgängige Leistung sein kann.

„Befreiung“ des verkehrsüblichen Preises

Wo das Gericht einerseits zutreffend davon ausgehe, dass der Wettbewerb die Voraussetzung für die Bildung eines verkehrsüblichen Preises für eine marktgängige Leistung sein muss, führt es andererseits jedoch auch aus, dass bei einem unvollkommenen Markt als verkehrsüblicher Preis i.S. des § 4 Abs. 1 der VO nur der betriebssubjektive Marktpreis des betreffenden Bieters in Betracht kommt. Diese Feststellung wird in dem vorliegenden Aufsatz jedoch hinterfragt, denn es werde mit keinem Wort auf die vom Bundesminister für Wirtschaft und vom Bundesminister der Finanzen erlassenen Richtlinien von 1955 zur Anwendung der Preisverordnung eingegangen. Dort wird in Nr. 18b) der Marktpreis als der im Verkehr übliche Preis bezeichnet und der verkehrsübliche Preis wiederum als „eine Mehrzahl verschiedener, am Markt wiederholt gezahlter Preise“ umschrieben. Der Verordnungsgeber habe auch nicht die Worte „die im Betrieb des Auftragnehmers üblichen Preise“, sondern „die im Verkehr üblichen Preise“ gewählt.

Eine Verengung des verkehrsüblichen Preises auf den betriebssubjektiven Marktpreis sei dann erst mit der 1. Auflage des Kommentars von Ebisch/Gottschalk über „Preise und Preisprüfungen“ erfolgt.

Vor dem Hintergrund der o.g. Richtlinien von 1955 müssten die Begriffe „Mehrzahl verschiedener Preise“ und „wiederholt“ näher konkretisiert werden. Dazu schreibt Dr. Greiffenhagen:

– Eine Mehrzahl verschiedener Preise kann nicht nur von einem einzigen Auftragnehmer, sondern kann vielmehr von mehreren Auftragnehmern herbeigeführt werden. Ein Markt setzt begriffsnotwendig das Tätigwerden mehrerer Teilnehmer voraus. Wenn mehrere Teilnehmer dieselbe marktgängige Leistung umsetzen, bilden sich in praxi mehrere Preise heraus. Dann muss der verkehrsübliche Preis auch die durch diese Umsätze gebildeten Preise in ihrer Gesamtheit umfassen; dann kann nicht jeweils der Preis eines einzelnen Auftragnehmers als Bezugspunkt herausgegriffen werden. Der verkehrsübliche Preis ist daher ein Preisband, das aus verschiedenen Preisen gebildet wird. Dieses Preisband ist, dem Höchstpreischarakter der Verordnung entsprechend, nach oben begrenzt.

– Eine Wiederholung knüpft sprachlich an ein Tätigwerden an. Sie kann sich daher nur auf Umsatzakte, nicht aber auf Personen beziehen. Sie fragt nicht danach, wer die Umsatzakte herbeigeführt hat, sondern danach, bei wie vielen Akten sie stattfindet.

Preisband statt betriebssubjektiver Preis

Die erwähnten Begriffsunterschiedlichkeiten sprächen für die weite Auslegung der Begriffe und gegen die Auslegung des verkehrsüblichen Preises als betriebssubjektiven Marktpreis. Preise, die sich dann innerhalb eines Preisbandes bewegen, könnten auch nicht als gegen die Preisstabilität gerichtet angesehen werden, nachdem sie zuvor nach den Grundsätzen der VOL/A gebildet worden sind.

Die Anerkennung eines Preisbandes – also von Preisen auch anderer Auftragnehmer auf dem Markt – würde auch die vom Gericht erkannte Problematik beim Fehlen von Vergleichsaufträgen bei neuen Anbietern (z.B. Start-up-Unternehmen) leichter lösen. Man bräuchte nicht überlegen, ob für die Beurteilung des Marktpreises bei einer nachträglichen Preisprüfung auch nachfolgende Umsätze als Vergleichsaufträge herangezogen werden könnten. Das Gericht hatte dies entsprechend ausgeführt – Dr. Greiffenhagen sieht das jedoch problematisch, da Veränderungen nach Vertragsabschluss den ursprünglichen Preistyp unberührt lassen müssten. Zumindest müsse in solchen Fällen gefordert werden, dass der dem ersten Auftrag folgende nächste Auftrag noch während der Laufzeit des ersten Vertrages vereinbart wird.

Den gesamten Aufsatz zum Nachlesen finden Sie hier.

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Einschätzung

Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Argumentation von Dr. Greiffenhagen in die Novellierung des Preisrechtes Eingang finden könnte. Aktuell sieht jedenfalls die Preisprüfungspraxis noch keine „Befreiung“ vom betriebssubjektiven Denken vor.

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EuGH zu inhouse-schädlichen Drittumsätzen (EuGH, Urt. v. 08.12.2016 – C-553/15 – Undis Servizi)

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Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

Entscheidung EUVergaberechtsfreie Inhouse-Aufträge sind spätestens seit dem Teckal-Urteil des EuGH (Urt. v. 18.11.1999 – C-107/98) von großer praktischer Bedeutung. Zahlreiche öffentliche Auftraggeber nutzen das Inhouse-Geschäft um vergaberechtliche Anforderungen beim Einkauf von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen legal zu vermeiden. In der vergaberechtlichen Spruchpraxis war häufig das Kontrollkriterium entscheidungserheblich. Das zweite Inhouse-Merkmal hingegen, das Wesentlichkeits-/Tätigkeitskriterium, beschäftigte kaum die Rechtsprechung. Der EuGH hat mit seiner Entscheidung vom 08.12.2016 zwar noch das bisherige, nicht normierte Wesentlichkeits-/Tätigkeitskriterium des Inhouse-Geschäfts auslegen müssen. Das Urteil ist aber auch für diese erstmals in Art. 12 Abs. 1 lit. b) RL 2014/24/EU bzw. § 108 Abs. 1 Nr. 2 GWB regulierte Inhouse-Voraussetzung bedeutsam.

Art. 12 Abs. 1 lit. b) RL 2014/24/EU, § 108 Abs. 1 Nr. 2 GWB

Leitsatz

Umsätze mit Dritten, die an dem im Wege eines Inhouse-Geschäfts zu beauftragenden Unternehmen nicht beteiligt sind und auch keine Kontrolle über dieses Unternehmen ausüben, finden bei der Ermittlung des Wesentlichkeits-/Tätigkeitskriteriums (mehr als 80% der Umsätze) grundsätzlich keine Berücksichtigung.

Sachverhalt

Eine italienische Gemeinde hat ein zu 100% im öffentlichen Anteilsbesitz befindliches Unternehmen mit der Abfallentsorgung im Wege eines Inhouse-Geschäfts beauftragt. Die Gemeinde selbst hielt knapp 17% des Gesellschaftskapitals. Der beauftragte Abfallentsorger wurde außerdem behördlicherseits dazu verpflichtet, die Abfälle weiterer, aber nicht an ihm beteiligter Gemeinden in der Region zu entsorgen.

Ein nicht berücksichtigter Abfallunternehmer monierte u.a., dass der Auftragnehmer lediglich 50% seiner gesamten Tätigkeit für seine öffentlichen Gesellschafter erbringen würde. Das ein Inhouse-Geschäft kennzeichnende Kriterium der wesentlichen Tätigkeit des Auftragnehmers für seine an ihm beteiligten öffentlichen Auftraggeber läge deshalb nicht vor.

Die Entscheidung

Der EuGH musste in verfahrensrechtlicher Hinsicht feststellen, dass sich der zur Vorabentscheidung vorgelegte Sachverhalt vor Ablauf der Frist zur Umsetzung der RL 2014/24/EU zugetragen hat. Folglich war allein die Vorgänger-RL 2004/18/EG in der Auslegung durch die EuGH-Rechtsprechung zum Inhouse-Geschäft maßgeblich (Rdnr. 22). Die neue Inhouse-Regelung in Art. 12 Abs. 1 RL 2014/24/EU war deshalb nicht verfahrensentscheidend.

Inhaltlich erinnern die Luxemburger Richter daran, dass das Inhouse-Geschäft als Ausnahme vom Vergaberecht eng auszulegen ist (Rdnr. 30). Daher ist es unerlässlich, dass das beauftragte Unternehmen hauptsächlich für die Körperschaft/en tätig wird, die seine Anteile hält/halten, wobei jede andere Tätigkeit nur nebensächlich sein darf. Dafür sind alle qualitativen und quantitativen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Relevant ist der Umsatz, den die Einrichtung aufgrund der Vergabeentscheidung/en der kontrollierenden Körperschaft/en erzielt (Rdnr. 32).

Das Erfordernis, dass das fragliche Unternehmen seine Tätigkeit im Wesentlichen für die Körperschaft/en verrichtet, die seine Anteile hält/halten, soll sicherstellen, dass Vergaberecht anwendbar bleibt, wenn ein kontrolliertes Unternehmen auf dem Markt tätig ist und daher mit anderen Unternehmen in Wettbewerb treten kann. Denn einem Unternehmen fehlt es nicht unbedingt allein deshalb an Handlungsfreiheit, wenn es noch einen bedeutenden Teil seiner wirtschaftlichen Tätigkeit mit anderen Wirtschaftsteilnehmern abwickeln kann. Wird das Unternehmen hingegen im Wesentlichen für die kontrollierenden Körperschaften tätig, so besteht für die Anwendung des Vergaberechts kein Grund, weil der Wettbewerb nicht berührt wird (Rdnr. 33).

Aus diesem Grund ist jede Tätigkeit des Auftragnehmers für andere Personen als die, die seine Anteile innehaben, d.h. Personen, die in keinem Kontrollverhältnis zu dieser Einrichtung stehen, auch wenn es sich dabei um Behörden handelt, als Tätigkeiten zugunsten Dritter anzusehen (Rdnr. 34). Dementsprechend sind die im Streitfall nicht an dem beauftragten Abfallunternehmen beteiligten Gemeinden als Dritte einzuordnen (Rdnr. 35).

Dieses Ergebnis wird auch nicht dadurch entkräftet, dass die Tätigkeit des beauftragten Unternehmens zugunsten der nicht beteiligten Gemeinden behördlich auferlegt wurde. Denn die Behörde selbst ist nicht an dem Auftragnehmer beteiligt und übt keine Kontrolle im Sinne der Inhouse-Rechtsprechung aus (Rdnr. 37).

Rechtliche Würdigung

Die Luxemburger Richter führen ihre bisherige Inhouse-Spruchpraxis konsequent fort: Einrichtungen oder Personen, die an der beauftragten Gesellschaft nicht beteiligt und deshalb keine unternehmerische Kontrolle ausüben, gelten bei der Beurteilung des Wesentlichkeits-/Tätigkeitskriteriums regelmäßig als unbeachtliche Dritte. Die mit solchen Dritten erzielten Umsätze des Unternehmens können der/n kontrollierenden Einrichtung/en nicht hinzugerechnet werden, selbst dann, wenn die Umsatzerlöse behördlich auferlegt sind. Mit anderen Worten: Inhouse-Umsätze können grundsätzlich nur mit den kontrollierenden Stellen allein erzielt werden.

Gilt diese restriktive Auslegung des Wesentlichkeits-/Tätigkeitskriterium ausnahmslos?

Der EuGH hat bereits in seinem Carbotermo-Urteil (Urt. v. 11.05.2006 C-340/04) festgestellt, dass der Umsatz ausschlaggebend ist, den der Auftragnehmer aufgrund der Vergabeentscheidung/en des/r kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber/s erzielt. Dazu zählen die mit der Vergabestelle selbst erzielten Umsatzerlöse aber auch die mit Dritten als Nutzern erzielten Umsätze. Wichtig ist, dass die Umsätze stets auf die vom öffentlichen Auftraggeber mit dem Auftragnehmer eingegangenen Rechtsbeziehungen zurückzuführen sind. Nicht entscheidend ist hingegen, wer den Auftragnehmer vergütet oder in welchem Gebiet die beauftragten Leistungen erbracht werden. Unter den vorgenannten Bedingungen ist es nach dem EuGH also unerheblich, wo die Leistungen erbracht werden und von wem sie vergütet werden. Deshalb können unter Umständen auch Leistungen an unbeteiligte Personen bei der Umsatzermittlung einbezogen werden, bspw. an Privathaushalte.

Von praktischer Bedeutung ist dies, wenn z.B. eine Stadt ihr eigenes Stadtwerk mit der Stromversorgung ihrer Liegenschaften beauftragen will: Kommunale Versorgungsunternehmen erwirtschaften ihre Umsatzerlöse in der Regel nicht im Wesentlichen direkt und unmittelbar mit dem sie kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber, sondern hauptsächlich mit den örtlichen Haushaltskunden. Für ein Inhouse-Geschäft sind daher nicht nur die mit der Stadt selbst erzielten Umsätze, sondern zusätzlich die mit in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Haushaltskunden erzielten Erlöse zu berücksichtigen. Denn die Stadt erfüllt mit dem von ihr kontrollierten Stadtwerk einen öffentlichen Zweck, nämlich den der Daseinsvorsorge. Das Stadtwerk wird kraft Gesellschaftsvertrags bzw. -satzung von der Stadt mit der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe (z.B. Elektrizitätsversorgung) betraut, was einer Vergabeentscheidung gleichkommt bzw. eine Rechtsbeziehung zwischen Stadt und Stadtwerk entspricht. Diese Ansicht wird letztlich durch § 108 Abs. 1 Nr. 2 GWB gestützt, der erstmals festlegt, dass mehr als 80% der Tätigkeiten des Auftragnehmers der Ausführung von Aufgaben dienen müssen, mit denen er von dem öffentlichen Auftraggeber oder von einer anderen von diesem kontrollierten juristischen Person betraut wurde. Der Begriff der Betrauung im Zusammenhang mit Inhouse-Geschäften ist neu und lässt die normative Absicht erkennen, die Zurechnung von Drittumsätzen zu erleichtern. Für das 80%-Kriterium kommt es deshalb vorrangig darauf an, ob die vom Auftragnehmer erzielten Umsätze auf eine Aufgabenbetrauung (z.B. Elektrizitätsversorgung) des öffentlichen Auftraggebers zurückzuführen sind. Maßgeblich im obigen Beispielsfall ist daher, dass sich die Endkunden im städtischen Hoheitsgebiet für das kommunale Daseinsvorsorgeangebot der Stadt(werke) zur Elektrizitätsversorgung entschieden haben. Die mit solchen Endkunden erzielten Umsätze sind daher keine inhouse-schädlichen Dritterlöse und sind bei der Berechnung der 80%-Umsatzschwelle zu berücksichtigen, weil es sich letztlich um Tätigkeiten für die Stadt handelt. Umsätze hingegen, die außerhalb des jeweiligen Hoheitsgebietes des öffentlichen Auftraggebers erwirtschaftet werden, können nicht hinzugerechnet werden, weil an der Gemeinde-/Stadtgrenze der Daseinsvorsorgeauftrag endet. Das kommunale Versorgungsunternehmen tritt insoweit am Markt und im Wettbewerb zu Dritten auf.

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Praxistipp

Die Auslegung des Wesentlichkeits-/Tätigkeitskriteriums nach § 108 Abs. 1 Nr. 2 GWB bzw. Art. 12 Abs. 1 lit. b) RL 2014/24/EU durch den EuGH steht noch aus. Angesichts der engen Auslegung von Ausnahmevorschriften steht auftraggeberseitig zu befürchten, dass auch die normierten Inhouse-Voraussetzungen formal-restriktiv ausgelegt werden und die qualitativen Einzelfallumstände außer Betracht bleiben könnten. Vor allem die gerichtliche Interpretation des Begriffs der Betrauung dürfte für Spannung sorgen. Das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 02.11.2016 Verg 23/16) etwa scheint keine zusätzlichen Anforderungen an die Art der zu erbringenden Tätigkeiten (z.B. nur Umsätze aus hoheitlichen Aufgaben) des betrauten Auftragnehmers zu stellen.

Es bleibt daher abzuwarten, ob und in welchem Umfang die Hinzurechnung von Umsatzerlösen mit Dritten bei der Beurteilung des Wesentlichkeits-/Tätigkeitskriteriums von der europäischen und mitgliedstaatlichen Rechtsprechung anerkannt wird. Die ältere Entscheidung des Hanseatischen OLG (Beschl. v. 14.12.2010 – 1 Verg 5/10), wonach Umsätze, die ein kommunaler Versorger mit ortsansässigen Privatkunden erwirtschaftet, dem öffentlichen Auftraggeber nicht zugerechnet werden könnten, scheint bislang jedenfalls kein anderer Vergabesenat ausdrücklich zu teilen.

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Angebot ist wegen Abweichungen auszuschließen: keine Antragsbefugnis! (OLG Naumburg, Beschl. v. 12.09.2016 – 7 Verg 5/16)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungAusgeschlossene Bieter fahren nicht selten zweigleisig. Zum einen wenden sie sich natürlich gegen den Angebotsausschluss selbst. Insbesondere, wenn die Chancen hier nicht so gut stehen, greifen sie aber gern auch das Verfahren in allen anderen erdenklichen, grundsätzlichen Punkten an – in der Hoffnung auf eine Rückversetzung des Verfahrens und damit zumindest auf eine zweite Chance. Beliebt ist seit der jüngeren Schulnotenrechtsprechung des OLG Düsseldorf vor allem die Beanstandung eines angeblich intransparenten Wertungssystems. Das OLG Naumburg erteilt einer solchen Strategie in einer aktuellen Entscheidung eine klare Absage.

BGB §§ 133, 157; GWB a.F. § 97 Abs. 2, 7, §§ 100, 107 Abs. 2, 3, § 118 Abs. 2; VOL/A 2009 § 8 EG Abs. 1, § 16 EG Abs. 4, § 19 EG Abs. 3 d, § 21 EG Abs. 1 Nr. 2

Leitsatz (nicht amtlich)

  1. Angebote, bei denen Änderungen an den Vertragsunterlagen vorgenommen wurden, sind zwingend von der Angebotswertung auszuschließen.
  2. Ob das Angebot eines Bieters von den Vertragsunterlagen abweicht und diese damit ändert, ist anhand der Leistungsbeschreibung einschließlich sämtlicher Anlagen, wie Erläuterungen, etwaigen Datenblättern etc., durch Auslegung zu ermitteln.
  3. Für die Auslegung der Vertragsunterlagen ist ein objektiver Maßstab anzulegen und auf den Empfängerhorizont eines fachkundigen Bieters, der mit der Leistung vertraut ist, abzustellen.
  4. Ein Angebotsausschluss wegen Änderungen an den Vertragsunterlagen setzt voraus, dass Gegenstand und Inhalt der Leistung entsprechend eindeutig beschrieben sind. Verstöße gegen interpretierbare oder missverständliche bzw. mehrdeutige Angaben in den Vergabeunterlagen führen somit nicht zum Angebotsausschluss.
  5. Ein Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ist abzulehnen, wenn unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen die nachteiligen Folgen der Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die Beschwerde die damit verbundenen Vorteile überwiegen. Darüber hinaus sind die Erfolgsaussichten der Beschwerde in die Abwägung einzubeziehen, was eine summarische Bewertung des Sachstands und zumindest eine Plausibilitätsprüfung der Rechtsfragen erforderlich macht.

Sachverhalt

Bei der Ausschreibung von Schülerbeförderungsleistungen im offenen Verfahren floss der angebotene Preis mit einem Gewicht von 70 % in die Gesamtwertung der Angebote ein. Der wertungsrelevante Gesamttagespreis für alle Touren errechnete sich dabei aus dem anzubietenden (und einzutragenden) Preis pro gefahrenem Kilometer sowie der ebenfalls anzugebenden Gesamtstrecke pro Tour. Dabei waren jeweils auch die Leerfahrten zum ersten Abholpunkt bzw. vom letzten Abholpunkt zum Ausgangspunkt zu berücksichtigen.

Der Auftraggeber schloss ein Angebot aus, das entgegen dieser Vorgabe offensichtlich lediglich die Besetztfahrten, also ab dem ersten bzw. bis zum letzten Abholpunkt, angab und kalkulativ berücksichtigte. Der Bieter griff seinen Ausschluss aus dem Verfahren mit einem Nachtprüfungsantrag an und beanstandete dabei auch die seines Erachtens vorliegende Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien sowie die vermeintlich intransparente Bewertungsmatrix als vergaberechtswidrig.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Das OLG Naumburg kam zu dem Ergebnis, dass der Bieter die geforderte Formularerklärung bezüglich der Touren unzulässig verändert habe, indem er die Kilometer vom Stützpunkt zum ersten Abholpunkt sowie vom letzten Abholpunkt zum Stützpunkt nicht angegeben habe, sondern stattdessen lediglich eine 0 eingetragen habe. Es lag aus Sicht des Senats daher eine unzulässige Änderung der Vertragsunterlagen vor, die zwingend zum Ausschluss gemäß § 19 Abs. 3 lit. d) i.V.m. § 16 Abs. 4 VOL/A EG führen musste, ohne dass der Auftraggeber ein Ermessen hatte. Die Vorgabe, dass auch die Leerkilometer anzugeben waren, war aus Sicht des OLG Naumburg insoweit auch transparent in den Vergabeunterlagen geregelt, insbesondere hatte der Auftraggeber dies durch nachträgliche Erläuterungen und Hinweise hinreichend klargestellt. Unerheblich war hingegen, ob die zwingende Berücksichtigung von Leerfahrten sinnvoll oder üblich war.

Da der Bieter zwingend auszuschließen war, waren die weiteren Beanstandungen nicht mehr zu prüfen. Bei objektiver Betrachtung hatte das Angebot nämlich unabhängig von der Gestaltung der Zuschlagskriterien keine Chance auf Erhalt des Zuschlags. Selbst wenn die Zuschlagskriterien also intransparent gewesen wären, drohte dem Bieter dadurch kein Schaden im Sinne des § 97 Abs. 7 GWB dies wäre jedoch für die Antragsbefugnis gemäß § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB insoweit erforderlich.

Rechtliche Würdigung

Zutreffend lehnt das OLG Naumburg eine Prüfung von Vergaberechtverstößen, die sich auf die konkrete rechtliche Position eines Bieters nicht mehr auswirken können, da er ohnehin aus dem Verfahren auszuschließen wäre, ab. Das Gericht verweist insoweit auf eine Vielzahl älterer Entscheidungen anderer Vergabesenate (ebenso des Weiteren: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.03.2010, Az.: Verg 46/09). Es widerspräche letztlich auch dem Wettbewerbs- und dem Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn ein Bieter Vergaberechtsverstöße, die für seine eigenen Zuschlagschancen wegen seines zwingenden Ausschlusses ohne Bedeutung sind, dazu instrumentalisieren könnte, sich an den ursprünglichen Fristen und Verfahrensbedingungen „vorbei die Möglichkeit einer zweiten Angebotsabgabe zu verschaffen.

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Praxistipp

Bieter sollten sich darüber im Klaren sein, dass bei einem rechtmäßigen Ausschluss aus dem Verfahren ein Nachprüfungsantrag, der auf allgemeine Verfahrensmängel abzielt, wenig Aussicht auf Erfolg hat. Vergabestellen und Auftraggebern ist natürlich dennoch eine transparente Verfahrensgestaltung unbedingt zu empfehlen. Dies liegt schon in ihrem eigenen Interesse, vergleichbare und passgenaue Angebote zu erhalten.

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2. IT-Vergabetag 2017 am 6. April in Berlin

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ITKPolitik und MarktRecht

Die Fachtagung des DVNW für öffentliche IT-Beschaffung

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Nachdem der 1. IT-Vergabetag des Deutschen Vergabenetzwerkes (DVNW) (Nachbericht hier) im vergangenen Jahr auf derart große Resonanz gestoßen ist, findet am 6. April 2017 in Berlin nun schon die zweite Auflage der Fachtagung für öffentliche IT-Beschaffung statt. Die Teilnehmer der eintägigen Konferenz erwartet wieder ein bunter Strauß an Themen, Fachvorträgen und Praxis-Workshops rund um die öffentliche Beschaffung von Informations- und Kommunikationsleistungen.

Hochkarätige Referenten – Vergabepraktiker aus Bund, Ländern und Kommunen und Experten aus der anwaltlichen Beratungspraxis – garantieren den hohen Praxis- und Erkenntniswert der Tagung.

Neben der Vorstellung des jüngst reformierten Vergaberechts, einem Ausblick auf die geplanten neuen UVgO-Vorschriften für unterschwellige Vergabeverfahren und aktuellen Entwicklungen in der vergaberechtlichen Rechtsprechung sind dies nur einige Themenschwerpunkte, um die es auf dem 2. IT-Vergabetag gehen wird:

  • Cloud Computing und eVergabe
  • Neue EU Datenschutzrichtlinie
  • Auswahl des Lizenzmodells für Standard- oder Individualsoftware

Darüber hinaus bietet der IT-Vergabetag wieder zahlreiche Praxis-Workshops u. a. zu den Themen:

  • Qualitative Bewertungsmethode im IT-Bereich
  • Produktneutrale Ausschreibung
  • Anforderungen an eine prüfsichere Vergabedokumentation

und anderen aktuellen Fragestellungen bei IT-Vergaben.

Zwischen den einzelnen Panels und Workshops besteht wie gewohnt reichlich Gelegenheit zum Networking und die Möglichkeit, die begleitende Fachausstellung zu besuchen.

Nähere Informationen zum 2. IT-Vergabetag 2017 und den Referenten, ein vollständiges Tagungsprogramm, Preise sowie Anmeldemöglichkeiten finden Sie unter

www.it-vergabetag.de.


Wir freuen uns auf Ihre Anmeldung und Ihren Besuch auf dem 2. IT-Vergabetag in Berlin, dem Event des Jahres zur Beschaffung von IT-Leistungen! Wenn Sie noch Aussteller auf dem IT-Vergabetag werden wollen, wenden Sie sich bitte per E-Mail an Johanna Schmidt unter johanna.schmidt@dvnw-kongress.de.


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Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) – finale Fassung kurz vor Veröffentlichung!

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Politik und MarktRechtUNBEDINGT LESEN!

Die neue Unterschwellenvergabeordnung – UVgO – soll als Nachfolgeregelung zur VOL/A, 1. Abschnitt für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte noch im Laufe des Januar 2017 in der finalen Fassung veröffentlicht werden.
Das würde exakt dem ursprünglichen Zeitplan des federführenden Bundeswirtschaftsministeriums entsprechen, nach dem die neuen Regelungen durch Bund und Länder nach Einigung auf einen finalen Text Anfang diesen Jahres in Kraft gesetzt werden sollten. Man beachte: Dies muss jedes Bundeland durch Verweis auf die UVgO in landesrechtlichen Vorschriften für sich tun! Es beibt spannend, ob und inwieweit die Länder dem folgen werden.

Vorausgegangen waren intensive Diskussionen, zahlreiche Verbände hatten Stellungnahmen eingereicht ( hier zusammengefasst). Die UVgO orientiert sich an der neuen Vergabeverordnung (VgV), gleichzeitig werden aber einfachere Regelungen für den Unterschwellenbereich eingeführt.

Die dem Vernehmen nach finale Fassung der UVgO finden Sie hier, die dazugehörigen Erläuterungen hier. Die Veröffentlichung im Bundesanzeiger soll noch im Januar erfolgen.

Quelle: u.a. Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr


Seminartipp:
„Die UVgO – Reform des Vergaberechts unterhalb der Schwellenwerte“ – Was kommt auf die Praxis zu?

uvgo

Das Seminar richtet sich nicht nur an Mitarbeiter von Vergabestellen, sondern auch und insbesondere an die entsprechende Leitungsebene, um sich einen grundlegenden Überblick über die geänderte Rechtslage zu verschaffen (Seminardetails und Anmeldung). Unser komplettes Seminarangebot finden Sie unter www.dvnw-akademie.de.


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Produktneutralität und Transparenz der Zuschlagskriterien im Unterschwellenbereich (VK Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 21.09.2016 – 3 VK LSA 27/16)

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BauleistungenRecht

EntscheidungDie Pflicht zur produktneutralen Ausschreibung gilt auch im Unterschwellenbereich. Das Vorliegen einer Ausnahme ist zu begründen und zu dokumentieren. Zuschlagskriterien müssen nach Ansicht der VK auch im Unterschwellenbereich in sämtlichen Ausschreibungen bekanntgemacht werden.

§§ 2, 7 Abs. 2, 12 a Abs. 4 VOB/A 2016

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb einen Bauauftrag zur Erneuerung verschiedener elektrotechnischer Systeme unterhalb der europäischen Schwellenwerte öffentlich aus. Im Leistungsverzeichnis waren für sämtliche Einzelpositionen bestimmte Produkte mit dem Zusatz oder gleichwertig vorgeschrieben, weil die vorgegebenen Produkte Leitprodukte zur Absicherung der Ausführungsqualität seien und nur durch qualitativ gleichwertige Produkte zu ersetzen seien, wenn dies erforderlich sei.

Für die Bereiche Systemsicherheit und Firewall waren die vorgeschriebenen Produkte hingegen zwingend zu verwenden. Inwieweit dies jeweils gerechtfertigt war, wurde in der Vergabeakte nicht begründet oder dokumentiert. Zuschlagskriterien waren in den Vergabeunterlagen zunächst nicht genannt. Diese wurden erst denjenigen Bietern bekannt gegeben, die in die engere Auswahl gekommen waren und daher zu einer abschließenden wertungsrelevanten Präsentation ihres Angebots aufgefordert wurden.

Die Entscheidung

Die nach § 19 Abs. 3 des Landesvergabegesetzes Sachsen-Anhalt auch im Unterschwellebereich zuständige VK Sachsen-Anhalt, hat dem Nachprüfungsantrag vollumfänglich stattgegeben.

Der Auftraggeber habe bereits gegen die Pflicht zur produktneutralen Ausschreibung aus § 7 Abs. 2 VOB/A verstoßen. Ein Verweis auf bestimmte Produkte sei nur zulässig, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt sei (Ausnahme 1) oder der Auftragsgegenstand andernfalls nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden könne (Ausnahme 2). In letzterem Fall sei der Zusatz oder gleichwertig anzufügen. Die Entscheidung, welcher Gegenstand mit welcher Beschaffenheit und welchen Eigenschaften beschafft werden soll, obliege zwar dem Auftraggeber. Die Bestimmungsfreiheit des Auftragsgebers finde aber ihre Grenze an der Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung. Diese sei eingehalten, wenn die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt sei, der Auftraggeber dafür nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben habe und die Bestimmung somit willkürfrei getroffen worden sei. Diese Gründe müssten zudem tatsächlich vorhanden (notfalls bewiesen) sein und die Bestimmung dürfe andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminieren. Die Grenze habe der Auftraggeber überschritten, indem er für alle Leistungspositionen Leitprodukte angegeben und hinsichtlich der Systemsicherheit und Firewall vorgegebene Produkte verlangt und dies weder begründet noch dokumentiert habe.

Weiterhin habe der Auftraggeber gegen die auch im Unterschwellenbereich geltende Transparenzpflicht verstoßen. Aus den allgemeinen vergaberechtlichen Geboten der Gleichbehandlung und Transparenz und aus dem Rechtsstaatsgebot ergebe sich, dass auch bei Vergaben im Unterschwellenbereich der Zuschlag nur anhand zuvor bekannt gegebener und eindeutig formulierter Kriterien ergehen dürfe. Der Auftraggeber habe dagegen verstoßen, indem er zunächst gar keine Zuschlagskriterien genannt und anschließend Zuschlagskriterien nur einer begrenzten Zahl von Bietern, welche eine engere Auswahl erreicht hatten, bekanntgemacht hatte.

Rechtliche Würdigung

Die Auftragsbekanntmachung fand nach dem 18. April 2016 statt, sodass insoweit die neuere VOB/A 2016 zur Anwendung kam.

Die Vergabekammer wendet zunächst die für Auftraggeber tendenziell eher niedrigen Anforderungen des OLG Düsseldorf an das Gebot der produktneutralen Ausschreibung auch im Unterschwellenbereich an. Dies ist nachvollziehbar, weil kein Grund besteht im Unterschwellenbereich strengere Anforderungen an das Gebot der produktneutralen Ausschreibung zu stellen, als im Oberschwellenbereich. Aber auch diese niedrigen Anforderungen hatte der Auftraggeber im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Hinsichtlich der Systemsicherheit und Firewall durften hier im vorliegenden Fall ausschließlich die vorgegebenen Produkte verwendet werden. Dies ist nur nach der ersten Ausnahme des § 7 Abs. 2 S. 1 VOB/A (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 VOB/A n.F.) zulässig, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist. Ob ein besonderes Vertrauen des Auftraggebers in bestimmte Produkte bei sicherheitsrelevanten Anlagenbestandteilen einen ausreichenden sachlichen Grund darstellen kann, musste die Vergabekammer hier nicht entscheiden. Denn der Auftraggeber hatte auf jegliche Begründung oder Dokumentation dieser Entscheidung verzichtet. Aus dem gleichen Grund war auch der Verweis auf bestimmte Leitprodukte bei den übrigen Leistungsteilen unzulässig. Aus dem Oberschwellenbereich ist bekannt, dass eine mangelnde Dokumentation der Rechtfertigung eine mangelnde Abwägung des Auftraggebers in der Sache nahelegen kann (Vgl. OLG Celle, Beschl. v. 22.5.2008 – 13 Verg 1/08; OLG Jena, Beschl. v. 26.6.2006 – 9 Verg 2/06).

Die Vergabekammer stellt zwar klar, dass eine strenge Vorgabe der Bekanntmachung von Zuschlagskriterien im Bereich unterhalb der Schwellenwerte gesetzlich nicht vorgeschrieben sei. Leitet sodann jedoch aus den allgemeinen vergaberechtlichen Geboten (Transparenz und Gleichbehandlung) und dem Rechtsstaatsgebot ab, dass Zuschlagskriterien dennoch bei sämtlichen Auftragsvergaben auch unterhalb der Schwellenwerte bekanntzumachen seien. Dies verwundert, weil der BGH erst kürzlich anders entschieden hat (BGH, Beschl. v. 10.05.2016 – X-ZR 66/15). Gleichwohl ist die Entscheidung der VK überzeugend und begrüßenswert. Denn eine transparente und diskriminierungsfreie Vergabe wird ohne die Bekanntgabe der maßgeblichen Zuschlagskriterien kaum zu erreichen sein (Vgl. Schröder, Vergabeblog.de vom 31/07/2016, Nr. 26827).

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Praxistipp

Wenn der Auftraggeber bestimmte Produkte in der Leistungsbeschreibung angeben möchte, muss er begründen warum eine der genannten Ausnahmen erfüllt ist und dies dokumentieren. Mit dem Verweis oder gleichwertig kann sich der Auftraggeber seiner Begründungs- und Dokumentationspflicht nicht entziehen.

Zur rechtssicheren Gestaltung einer Ausschreibung sollten die maßgeblichen Zuschlagskriterien auch im Unterschwellenberiech spätestens in den Vergabeunterlagen angegeben werden. Wenn keine Zuschlagskriterien genannt werden sollen, sollte dies zumindest mit Verweis auf die Wertungskriterien des § 16 d Abs. 1 Nr. 3 VOB/A genauestens begründet und dokumentiert werden.

Kontribution
Dieser Beitrag wurde von Frau RA´in Marieke Schwarz in Zusammenarbeit mit ihrem Kollegen, Herrn RA Alexander Falk, verfasst.

Alexander Falk

Über Alexander Falk

Der Autor Alexander Falk ist Rechtsanwalt bei Orth Kluth Rechtsanwälte in Düsseldorf. Als Mitglied der dortigen Praxisgruppe Öffentliches Recht und Vergaberecht berät und begleitet er bundesweit öffentliche Auftraggeber und Bieter bei verschiedensten Ausschreibungen.

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Schwellenwertberechnung: Auftragswerte zusammengehörender Leistungen sind zu addieren (OLG Köln, Beschl. v. 24.10.2016 – 11 W 54/16)

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BauleistungenRecht

EntscheidungDie ordnungsgemäße Schätzung des Auftragswertes nach § 3 VgV stellt den Rechtsanwender wiederholt vor schwierige Abgrenzungsfragen. Insbesondere stellt sich die Frage, welche Einzelaufträge einem Gesamtauftrag zuzurechnen sind, so dass sie in der Summe den Gesamtauftragswert bilden. Im Bereich der Vergabe von Bauleistungen musste das OLG Köln eine solche Frage für den Fall beantworten, dass der öffentliche Auftraggeber beabsichtigte, Leistungen in verschiedenen Abschnitten ausführen zu lassen. In einem solchen Fall ist nach dem OLG Köln von einem Gesamtauftrag auszugehen, sofern die einzelnen Leistungen in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht eine innere Kohärenz und eine funktionale Kontinuität aufweisen. Was dies im konkreten Fall bedeutet, soll im Folgenden dargestellt werden:

§ 3 VgV n.F.

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber schreibt nach den Vorschriften des 1. Abschnitts der VOB/A Bagger- und Transportleistungen an einer Bundeswasserstraße aus. Nach Vorliegen des Submissionsergebnisses hebt der Auftraggeber das Vergabeverfahren auf und teilt mit, die Leistungen in einem erneuten, diesmal europaweiten, Vergabeverfahren nach der VOB/A-EU ausschreiben zu wollen. Der in der ursprünglichen Ausschreibung nach durchgeführter Submission auf dem ersten Wertungsrang liegende Bieter will die Aufhebung des Verfahrens jedoch nicht akzeptieren und beantragt zunächst vor dem Landgericht Bonn und sodann vor dem OLG Köln den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Inhalt, dass dem Auftraggeber untersagt wird, ein erneutes Vergabeverfahren durchzuführen.

Hintergrund dieses Antrages ist, dass der Bestbieter den Zuschlag im ursprünglichen Verfahren erhalten will. Der Bieter ist der Ansicht, zur Berechnung des Auftragswertes sei lediglich auf den Wert der konkreten Leistung, also der Bagger- und Transportleistung abzustellen. Die Angebotssumme des Bieters lag hierfür bei ca. 2,5 Millionen netto. Der Auftraggeber war jedoch der Ansicht, dass zur Berechnung des Gesamtauftragswertes zudem auf den Auftrag Entsorgung von Baggergut abzustellen sei, welchen der betreffende Bieter bereits zu einer Angebotssumme von ca. 4 Millionen netto erhalten hatte.

UVgO-Version-2_256Die Entscheidung

Das OLG Köln weist den Antrag zurück. Die Aufhebung des nationalen Vergabeverfahrens sei nicht zu beanstanden, da aufgrund des Überschreitens des entsprechenden Schwellenwertes zwingend ein europaweites Vergabeverfahren nach den Regelungen des Oberschwellenbereiches durchzuführen ist. Im Zuge der Begründung beschäftigt sich das OLG damit, nach welchen Kriterien der Auftragswert gemäß § 3 VgV zu bestimmen ist, wenn Leistungen in einzelnen Abschnitten vergeben werden. Hierzu referiert das OLG die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, welche auch Grundlage der Gesetzesbegründung für die Vergaberechtsreform im April 2016 gewesen ist. Hiernach darf bei der Schätzung des Auftragswertes keine Aufteilung der Leistung vorgenommen werden, wenn diese im Hinblick auf ihre technische und wirtschaftliche Funktion einen einheitlichen Charakter aufweist. Sämtliche Leistungen sind im Rahmen einer funktionellen Betrachtungsweise auf das Bestehen organisatorischer, inhaltlicher, wirtschaftlicher sowie technischer Zusammenhänge zu überprüfen. Wenn zwischen Teilaufträgen unter Zugrundelegung dieser Kriterien eine Verbundenheit festzustellen ist, sind die Einzelaufträge als einheitlicher (Gesamt-)Auftrag anzusehen.

Die Auftragswerte sind auch dann zu addieren, wenn diese nicht gleichzeitig, sondern abschnittsweise ausgeführt werden sollen. Für den konkreten Fall kommt das OLG Köln zu dem Ergebnis, dass ein solcher Zusammenhang zwischen allen zur Erreichung des Werkerfolges (Freihaltung der Fahrrinne) erforderlichen Leistungen bestehe. Hierbei handelte es sich um die Arbeitsschritte auslagern, Transport des Baggergutes sowie Entsorgung des Baggergutes. Diese drei Leistungen bauen unmittelbar aufeinander auf und bedingten sich mit der Folge, dass sie notwendig in enger räumlicher, zeitlicher und technischer Abstimmung zu koordinieren seien. Aus diesem Grunde hätte der Auftraggeber die (geschätzten) Auftragswerte für alle Leistungen in einem ersten Schritt zusammenrechnen und aufgrund des Überschreitens des Schwellenwertes, auch wenn jeder Einzelauftrag für sich genommen den Schwellenwert unterschreitet, nach den Regelungen des Oberschwellenbereiches vergeben müssen.

Rechtliche Würdigung

Das OLG Köln bestätigt mit seiner Entscheidung insbesondere das in § 3 Abs. 2 VgV verankerte Verbot, Leistungen zum Zwecke der Umgehung der Vorschriften des Oberschwellenbereiches aufzuteilen. Diese Feststellung ist insbesondere deshalb relevant, da das deutsche Vergaberecht (obwohl unionsrechtlich nicht vorgeschrieben) in § 97 Abs. 3 GWB den Grundsatz der Losvergabe vorschreibt. Dieser kann dazu führen, dass auch Einzelaufträge mit den maßgeblichen Schwellenwert für Bauleistungen weit unterschreitenden Auftragsvolumina nach den Regeln der VOB/A-EU zu vergeben sind. Wenn solche Einzelaufträge Leistungen betreffen, die aufeinander aufbauen und einander bedingen, also für den Projekterfolg insgesamt erforderlich sind, sind diese in die Auftragswertberechnung einzustellen. Am Ende seiner Entscheidung erwähnt das OLG Köln, ohne dass es hierauf in der Entscheidung angekommen wäre, die erheblich praxisrelevante Neufassung des § 3 Abs. 6 Satz 1 VgV. Dieser beinhaltet, dass bei der Schätzung des Auftragswertes von Bauleistungen auch der geschätzte Gesamtwert aller Liefer- und Dienstleistungen zu berücksichtigen ist, die für die Ausführung der Bauleistung erforderlich sind und vom öffentlichen Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden. Nach dieser Vorschrift, welche erst im Zuge der Vergaberechtsreform 2016 in die VgV aufgenommen wurde, dürften zukünftig mehr Aufträge als bisher in einem europaweiten Vergabeverfahren zu vergeben sein.

 

Praxistipp

Öffentlichen Auftraggebern sollte diese Entscheidung vor Augen führen, dass eine solide Kostenschätzung vor Beginn jeder (Bau-)Maßnahme zwingend erforderlich ist, um zu ermitteln, nach welchem Vergaberegime die Leistungen vergeben werden müssen. Wird hierbei zu ungenau vorgegangen oder eigentlich zusammenzurechnende Leistungen nicht addiert, kann dies gravierende Folgen haben. So kann es sowohl zu erheblichen Zeitverzögerungen kommen, welche auch im Verfahren des OLG Köln eingetreten sein dürften, da hier die bereits nahezu abgeschlossene Vergabe aufgehoben und erneut durchgeführt werden musste.

(Noch) schlimmere Folgen kann eine fehlerhafte Berechnung des Schwellenwertes bei öffentlich geförderten Projekten haben, da die Anwendung des falschen Vergaberegimes der Regel einen schweren Vergabeverstoß darstellen dürfte, welcher jedenfalls zur teilweisen Rückforderung gewährter Zuwendungen führen kann. In diesem Zusammenhang sei auch an das kürzlich von Europäischen Kommission eingestellte Vertragsverletzungsverfahren in Sachen Stadt Elze erinnert, welches die gängige Praxis bei der Schätzung des Auftragswertes bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen betraf. Hier zielte die Argumentation der Kommission insbesondere darauf ab, dass zwischen den einzelnen Leistungsbildern der HOAI ein funktioneller Zusammenhang und eine innere Kohärenz bestehe, so dass die jeweiligen Auftragswerte zu addieren seien.

Obwohl der Beschluss des OLG Köln nur eine Bauvergabe betraf, sind die Grundsätze der Schwellenwertberechnung bei der Vergabe sämtlicher Leistungen anzuwenden. Hier ist weiterhin erhebliche Vorsicht geboten.

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Hinweis der Redaktion:
Der Autor Rechtsanwalt Oskar Maria Geitel hält in unserer DVNW-Akademie das Seminar „Die UVgO – Reform des Vergaberechts unterhalb der Schwellenwerte“ am 23.03.2017 in Berlin sowie am 09.05.2017 in Düsseldorf. Weitere Informationen sowie eine Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier.

Das Thema Auftragswertermittlung wird unter anderem auch Gegenstand eines Workshops auf dem 1. Bau-Vergabetag 2017 am 16. Februar in Berlin sein.

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Zum Wiedereinstieg in eine abgeschlossene Eignungsprüfung (VK Sachsen, Beschl. v. 20.10.2016 – 1/SVK/020-16)

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BauleistungenRecht

EntscheidungGrundsätzlich ist es für den öffentlichen Auftraggeber bis zum Zuschlag möglich, in die Eignungsprüfung erneut einzusteigen, wenn neue objektive Gründe dafür vorliegen.

§ 97 Abs. 4 Satz 1 GWB a.F.; § 16 Abs. 2 Nr. 1 EG VOB/A

Leitsatz

  1. Einem Wiedereinstieg in eine bereits abgeschlossene Eignungsprüfung stehen keine rechtlichen Bedenken entgegen, wenn neue objektive, sachbezogene und nichtdiskriminierende Gründe dafür vorliegen.
  2. Standen sich Auftraggeber und Bieter bisher ausschließlich in problembelasteten Vertragsverhältnissen gegenüber, die in einem Fall in einer gegen Mitarbeiter des Auftraggebers gestellte Strafanzeige mündeten und geht selbst der Bieter davon aus, dass die Zusammenarbeit (oder das Vertrauensverhältnis) mittlerweile völlig gestört sei, kann nicht mehr von üblichen Meinungsverschiedenheiten auf der Baustelle die Rede sein. In einem solchen Fall ist der Auftraggeber berechtigt, das Angebot des Bieters gemäß § 97 Abs. 4 Satz 1 GWB a.F. i.V.m. § 16 Abs. 2 Nr. 1 EG VOB/A 2012 wegen fehlender Eignung auszuschließen.

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Gerüstbauarbeiten europaweit im Offenen Verfahren  ausgeschrieben. Ende Juni 2016 informierte er Bieter A, dass er beabsichtige, dessen Angebot  anzunehmen. Einen Monat später forderte er jedoch A auf, weitere Unterlagen vorzulegen, u.a. die Urkalkulation. A rügte darauf diese Nachforderung, insbesondere die zu kurze Fristsetzung. Der AG  erklärte im folgenden, er wolle seine Vergabeentscheidung aufgrund neuer Tatsachen überprüfen. A  beantragte darauf Nachprüfung. Während des laufenden Nachprüfungsverfahrens erstellte der AG  einen neuen Vergabevermerk, wonach A nun wegen mangelnder Eignung ausgeschlossen werden sollte. Begründet wurde dies u.a. mit einer im Juli 2016 von A gegen Mitarbeiter des AG gestellten Strafanzeige wegen vermeintlicher Falschaussage

Die Entscheidung

Die VK gibt dem AG Recht; der Ausschluss des A ist nicht zu beanstanden. Bereits die vorliegende Strafanzeige gegen Mitarbeiter des AG berechtigt diesen zum Wiedereinstieg in die Eignungsprüfung. Bezüglich des Vorwurfs der Unzuverlässigkeit ist durch die Vergabekammer zunächst zu prüfen, ob es dem AG überhaupt möglich gewesen sei, nach Information über die beabsichtigte Zuschlagsentscheidung nochmals erneut in die Eignungsprüfung einzusteigen, da die Eignungsprüfung eine (Prognose-)Entscheidung darstellt und somit deren abschließende Durchführung die Ausübung eines Beurteilungsspielraumes beinhaltet, mit der Rechtsfolge, dass der AG an seine ursprünglich positive Einschätzung gebunden sein könne.

Für die Eignungsprüfung erscheint jedoch ein Wiedereinstieg mit Blick auf die Rechtsprechung des BGH (B.v. 07.01.2014- X ZB 15/13) unproblematisch; nach den vom BGH gesetzten Leitlinien ist ein öffentlicher Auftraggeber im Offenen Verfahren nicht an die einmal bejahte Eignung eines Bieters gebunden. Verneint er dessen Eignung nachträglich, kann dies lediglich den Nachprüfungsinstanzen Anlass geben, besonders kritisch zu prüfen, ob sich die Entscheidung des AG als gebotene Korrektur einer Fehleinschätzung darstellt oder von sachfremden Erwägungen getragen ist.

Der Auftraggeber ist hier berechtigt gewesen, das Angebot der A nach § 97 Abs. 4 Satz 1 GWB a.F. i.V.m. § 16 Abs. 2 Nr. 1 1  EG VOBB/A 2012 (§ 16 b Abs. 1 EU VOB/A 2016) wegen fehlender Eignung auszuschließen.

Rechtliche Würdigung

Gem. § 97 Abs. 4 GWB a.F. dürfen Aufträge nur an fachkundige, leistungsfähige, gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen vergeben werden. Die Feststellung, ob ein Bieter diese Eignung aufweist, um den Auftrag zufriedenstellend auszuführen, ist das Ergebnis einer Prognose, die der Auftraggeber im Rahmen eines gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraumes zu treffen hat. Dieser Beurteilungsspielraum ist nur dann überschritten, wenn das vorgeschriebene Verfahren nicht eingehalten, von einem unzutreffenden bzw. nicht hinreichend überprüften Sachverhalt ausgegangen worden ist, sachwidrige Erwägungen für die Entscheidung verantwortlich gewesen sind oder der Beurteilungsmaßstab nicht zutreffend angewandt worden ist.

Für die Bewertung der Zuverlässigkeit in einem Vergabeverfahren ist maßgebend, inwieweit die Umstände des Einzelfalles die Aussage rechtfertigen, ein Bieter werde die Leistungen, die Gegenstand des Vergabeverfahrens seien, vertragsgerecht und reibungslos erbringen. Dabei handelt es sich um eine Prognoseentscheidung aufgrund des in der Vergangenheit liegenden Geschäftsgebarens des Bieters. Dabei kann der AG auch das frühere Vertragsverhalten eines Unternehmens berücksichtigen, um dessen Eignung es geht.

Der AG hat hier seine negative Eignungsprognose –  neben anderen Gründen – auch mit der von A gegen eine Mitarbeiterin      gestellten Strafanzeige begründet. A hat insoweit eine Mitarbeiterin des AG der gerichtlichen Falschaussage bezichtigt und im hier anhängigen Verfahren dieses Vorgehen damit begründet, dass diese Mitarbeiterin die Entscheidungsgrundlage des Gerichtes „zu manipulieren versuche“. Das seien massive, ehrverletzende Vorwürfe von erheblicher strafrechtlicher Relevanz. Insoweit könne hier nicht mehr von „üblichen Meinungsverschiedenheiten auf der Baustelle“ die Rede sein. Insbesondere mit dieser Strafanzeige und den zuvor dargelegten Auseinandersetzungen gehe der Konflikt der Beteiligten und die hiermit verbundene Zerrüttung jeglichen Vertrauensverhältnisses weit über das übliche Maß an Meinungsverschiedenheiten hinaus.

Selbst im hier anhängigen Verfahren habe A die Behauptung ausgesprochen, dass der AG nicht gewillt sei, sich zukünftig rechtmäßig zu verhalten. Solche, jeweils mit Schärfe vorgetragenen Beschuldigungen und Vorwürfe ließen nicht auf ein zukünftig gedeihliches Miteinander hoffen. Selbst der Verfahrensbevollmächtigte des A habe im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass nach seinem Dafürhalten und dem Dafürhalten seiner Mandantin die Auseinandersetzung um die Nachtragsforderung „mittlerweile auch völlig eskaliert sei“.

Im Ergebnis hat hier der AG in vertretbarer Weise zu dem Ergebnis gelangen können, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit A in Bezug auf das zur Vergabe anstehende Bauvorhaben nicht mehr möglich ist.

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Praxistipp

Grundsätzlich gilt, dass der AG bis zum endgültigen Zuschlag erneut in die Eignungsprüfung einsteigen und diese korrigieren kann; dies kann er selbst noch im Nachprüfungsverfahren. Ein Bieter ist daher hinsichtlich der Eignungsprüfung erst dann auf der sicheren Seite, wenn sein Angebot tatsächlich den Zuschlag erhalten hat. Nach neuem Vergaberecht würde im vorliegenden Fall der Ausschluss des A wohl auf § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB (schwere Verfehlung) gestützt werden können.

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Gründung eines Zweckverbandes: Voraussetzungen für die Vergaberechtsfreiheit geklärt (EuGH, Urt. v. 21.12.2016, C-51/15 – Remondis)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

Entscheidung EUDer Europäische Gerichtshof hat sich kurz vor Weihnachten 2016 zu den Voraussetzungen geäußert, unter denen die Gründung eines Zweckverbandes durch mehrere öffentliche Auftraggeber einen vergaberechtsfreien Vorgang darstellt. Kernproblem des Falles war, wie die Gründung des Zweckverbandes rechtlich einzuordnen ist: Soll es sich hierbei um einen ausschreibungspflichtigen öffentlichen Auftrag handeln? Liegt ein Ausnahmetatbestand vom Anwendungsbereich des Vergaberechts vor, etwa öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit nach § 108 Abs. 6 GWB, um eine Inhouse-Vergabe nach § 108 Abs. 1-5 GWB? Diese Frage hat der EuGH seinen konkreten Einzelfall dahingehend beantwortet, dass die Gründung des Zweckverbandes keinen öffentlichen Auftrag darstellt. Hierfür müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Dies soll im Folgenden dargestellt werden.

§ 103 GWB; § 108 GWB; Art. 12 RL 2014/24/EU; Art. 1 Abs. 6 RL 2014/24/EU

Leitsatz

  1. Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.03.2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge ist dahin auszulegen, dass es sich bei einer Vereinbarung zwischen zwei Gebietskörperschaften, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht und auf deren Grundlage diese eine Satzung über die Gründung eines Zweckverbands – einer juristischen Person des öffentlichen Rechts – erlassen und dieser neuen öffentlichen Einrichtung Befugnisse zuweisen, die bisher diesen Körperschaften oblagen und fortan zu eigenen Aufgaben dieses Zweckverbands werden, nicht um einen öffentlichen Auftrag handelt.
  2. Eine solche die Erfüllung öffentlicher Aufgaben betreffende Kompetenzübertragung liegt jedoch nur vor, wenn die Übertragung sowohl die mit der übertragenen Kompetenz verbundenen Zuständigkeiten als auch die damit einhergehenden Befugnisse betrifft, so dass die neuerdings zuständige öffentliche Stelle über eine eigene Entscheidungsbefugnis und eine finanzielle Unabhängigkeit verfügt. Das vorlegende Gericht wird zu prüfen haben, ob dies der Fall ist.

Sachverhalt

Zum 01.01.2003 gründeten die Region Hannover und die Landeshauptstadt Hannover, jeweils öffentliche Auftraggeber, den Zweckverband Abfallwirtschaft Region Hannover. Der Zweckverband erhielt vormals den beteiligten Auftraggebern obliegende Rechte und Pflichten, insbesondere wurde der Zweckverband zum Entsorgungsträger nach dem damals gültigen KrW-/AbfG. Die Verbandsordnung des Zweckverbandes sieht unter anderem vor, dass sich dieser zur Erfüllung seiner Aufgaben Dritter bedienen kann (§ 22 KrWG) und dass er Satzungen und Verordnungen, etwa über Gebühren, erlassen darf. Außerdem brachte die Region Hannover 94,9 % der zuvor vollständig in ihrem Eigentum stehenden Abfallentsorgungsgesellschaft Region Hannover mbH ein. Der Zweckverband erwirtschaftete im Jahr 2011 einen Umsatz von ca. 189 Millionen .

Die Firma Remondis, welche als privates Unternehmen Abfallentsorgungsleistungen erbringt, war der Ansicht, dass die Gründung des Zweckverbandes sowie die Beauftragung des Zweckverbandes mit der Durchführung der Entsorgungsaufgaben einen öffentlichen Auftrag im Sinne des Vergaberechts darstellen. Nach Ansicht von Remondis habe der Zweckverband ab dem Jahr 2011 Umsätze mit Dritten in einer Größenordnung von mehr als 10 % seines Gesamtumsatzes erzielt. Die ursprünglich bestehenden Voraussetzungen einer vergaberechtsfreien Inhouse-Vergabe (der Region und der Landeshauptstadt Hannover an den Zweckverband) seien somit entfallen. Das entfallen dieser Voraussetzungen habe dazu geführt, dass die weiterhin fortbestehende Beauftragung des Zweckverbandes eine rechtswidrige de-facto-Vergabe darstelle.

Aus diesem Grund beantragte Remondis zunächst erfolglos vor der VK Lüneburg die Feststellung der Nichtigkeit des Auftrages von Landeshauptstadt und Region Hannover an den Zweckverband nach § 101a Abs. 2 GWB a.F. (§ 134 Abs. 2 GWB n.F.). Das in der 2. Instanz angerufene OLG Celle legte dem EuGH die nunmehr entschiedene Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Gründung eines Zweckverbandes überhaupt einen öffentlichen Auftrag darstellt.

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Die Entscheidung

Nach Ansicht des EuGH stellt die Gründung und die damit einhergehende Beauftragung des Zweckverbandes mit der Durchführung von Entsorgungsleistungen keinen öffentlichen Auftrag im Sinne des Vergaberechts dar.

Ein Vorgang, welcher sich stufenweise vollzieht (vorliegend zunächst die Gründung des Zweckverbandes mit anschließender Schaffung der Verbandssatzung und Übertragung der Zuständigkeiten) ist nach den Ausführungen des EuGH in seiner Gesamtheit unter Berücksichtigung seiner Zielsetzung zu prüfen. Im Zuge dieser Gesamtbetrachtung muss hierbei beachtet werden, dass die Aufteilung der Zuständigkeiten innerhalb eines Mitgliedstaats vom Schutzbereich des Art. 4 Abs. 2 EUV erfasst ist. Das Europarecht darf folglich rein innerstaatliche Vorgänge, welche die Umverteilung von Zuständigkeiten betreffen, nicht beeinträchtigen. Eine mit einer solchen Kompetenzverteilung einhergehende finanzielle Ausstattung der die Zuständigkeit empfangenden Einrichtung stellt demzufolge auch kein Entgelt dar, welches für die Annahme eines öffentlichen Auftrags im Sinne des Vergaberechts notwendig ist.

Der EuGH legt jedoch Wert darauf, dass nicht jede Kompetenzübertragung zwischen öffentlichen Stellen automatisch aus dem Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen ist. Vielmehr hat eine solche Zuständigkeitsübertragung konkreten Erfordernissen zu genügen: Zunächst muss die empfangende Einrichtung nicht nur die Zuständigkeit, sondern auch die damit einhergehenden Befugnisse erhalten. Der neue Zuständigkeitsinhaber muss somit die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Aufgaben selbständig organisieren und den hierfür erforderlichen rechtlichen Rahmen selbst schaffen können. Außerdem muss die neue Einrichtung über eine finanzielle Unabhängigkeit verfügen, welche es ihr erlaubt, die Finanzierung der neuen Aufgaben sicherzustellen. Der EuGH ist der Ansicht, dass in solcher Fall dann nicht vorliegt, wenn die ursprünglich zuständige Stelle die Hauptverantwortung für die Aufgaben behält, sich die finanzielle Kontrolle über die Aufgaben vorbehält oder Entscheidungen, die die neue Einrichtung treffen möchte, vorab zustimmen muss. Dies bedeutet nach Ansicht des EuGH jedoch nicht, dass die neu zuständige Einrichtung dem Einfluss des ursprünglichen Aufgabeninhabers vollständig entzogen sein müsste. Ein gewisses Überwachungsrecht sei diesen Einrichtungen weiterhin zuzubilligen.

Rechtliche Würdigung

Mit erfreulicher Klarheit stellt der EuGH die Ausschreibungsfreiheit der Gründung eines Zweckverbandes fest. Wenn die weiter von dem EuGH aufgestellten Anforderungen an einen solchen Gründungsakt erfüllt werden, kann die Beauftragung des Zweckverbandes durch seine Verbandsmitglieder zu einem späteren Zeitpunkt nicht angegriffen werden. Insbesondere sind weder die Voraussetzungen für eine Inhouse-Vergabe, noch die Voraussetzungen einer öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit zu beachten. Das vom EuGH gefundene Ergebnis deckt sich mit dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 6 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2014/24/EU, welchen der deutsche Gesetzgeber jedoch nicht in das deutsche Vergaberecht übernommen hat.

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Praxistipp

Die Entscheidung schafft Rechtssicherheit für Zweckverbände und deren Verbandsmitglieder. Werden die vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, droht auch bei einer Erhöhung des Drittumsatzes oder einer Veränderung der Tätigkeit des Zweckverbandes keine erfolgreiche vergaberechtliche Beanstandung. Es ist jedoch dringend anzuraten, dass die Zweckverbände oder ähnlichen kommunalen Einrichtungen ihre eigene Struktur, insbesondere den Inhalt und Umfang der Kompetenzübertragung mit einem besonderen Augenmerk auf den Umfang der Entscheidungsbefugnis und die finanzielle Unabhängigkeit, überprüfen. Gegebenenfalls müssen hier weitere Befugnisse vorgesehen oder übertragen sowie für eine weitergehende finanzielle Ausstattung gesorgt werden, um die vom EuGH geforderte Vollständigkeit der Kompetenzübertragung herbeizuführen. Entsprechende Rechtsgrundlagen sind in den jeweiligen Landesgesetzen über die kommunale Gemeinschaftsarbeit vorhanden.

Hinweis der Redaktion:
Der Autor Rechtsanwalt Oskar Maria Geitel hält in unserer DVNW-Akademie das Seminar „Die UVgO – Reform des Vergaberechts unterhalb der Schwellenwerte“ am 23.03.2017 in Berlin sowie am 09.05.2017 in Düsseldorf. Weitere Informationen sowie eine Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier.

Das Thema Auftragswertermittlung wird unter anderem auch Gegenstand eines Workshops auf dem 1. Bau-Vergabetag 2017 am 16. Februar in Berlin sein.

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Die praktische Umsetzung der „Binnenmarktrelevanz“ öffentlicher Aufträge im Unterschwellenbereich

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Recht

Vielen öffentlichen Auftraggebern ist der Begriff der Binnenmarktrelevanz bzw. des grenzüberschreitenden Interesses zumindest bekannt. Unklar ist vielen jedoch, wie die Handhabung der Binnenmarktrelevanz bzw. des grenzüberschreitenden Interesses in der Vergabepraxis erfolgt und welche Folgen die Nichtbeachtung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nach sich ziehen kann.

Binnenmarktrelevanz bedeutet, dass die Erteilung eines öffentlichen Auftrags für Mitgliedstaaten aus dem EU-Binnenmarkt interessant sein kann. Grundsätzlich werden Aufträge mit geschätzten Auftragswerten unterhalb der EU-Schwellenwerte unterschwellig, das heißt nach nationalem Vergaberecht, vergeben. Öffentliche Aufträge, die die EU-Schwellenwerte überschreiten, müssen oberschwellig, das heißt europaweit vergeben werden. Das Kriterium der Binnenmarktrelevanz erhöht die vergaberechtlichen Anforderungen an Auftragsvergaben für den unterschwelligen Bereich; sozusagen in Richtung oberschwelligen Bereich.

Kommt ein Aufraggeber zu dem Ergebnis, dass der nach nationalem Recht zu vergebenden Auftrag in anderen EU-Mitgliedsstaaten ein Interesse an der Teilnahme am Wettbewerb hervorrufen kann (Feststellung der Binnenmarktrelevanz), ist die Folge, dass die Vorgaben des europäischen Primärrechts einzuhalten sind. Sollte der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Beschaffungstätigkeit einen Auftrag, der grenzüberschreitendes Interesse aufweist, nicht entsprechend der europäischen Vorgaben vergeben, so handelt er vergabewidrig.

In einem Zuwendungsrechts-Verhältnis, in dem der Zuwendungsempfänger durch die Auflage zur Einhaltung des Vergaberechts verpflichtet wird, kann die Vergabewidrigkeit zur Folge haben, das ein Auflagenverstoß vorliegt, der zu einer Rückforderung der Zuwendung führt.

Aber auch außerhalb von zuwendungsrechtlichen Verhältnissen kann ein solcher Verstoß dazu führen, dass einem öffentlichen Auftraggeber die wirtschaftliche Verwendung der Haushaltsmittel abgesprochen wird oder er seitens der am Vergabeverfahren beteiligten Bieter mit Unterlassungs- und Schadenersatzansprüchen konfrontiert wird.

Weil sich öffentliche Auftraggeber und Zuwendungsempfänger der Risiken oftmals nicht bewusst sind, gilt es umso mehr die europäischen Vorgaben zu Aufträgen mit Binnenmarktrelevanz bzw. grenzüberschreitendem Interesse umzusetzen und Risiken zu vermeiden.

I. Kriterien für das Vorliegen von Binnenmarktrelevanz

Wann ein grenzüberscheitendes Interesse vorliegt, ist gesetzlich nicht geregelt. Es findet sich keine Legaldefinition, unter welchen Voraussetzungen ein öffentlicher Auftrag grenzüberschreitenden Charakter aufweist. Entwickelt wurden die Grundsätze zur Binnenmarktrelevanz durch die Rechtsprechung, darüber hinaus existieren Mitteilungen der europäischen Kommission, die sich mit der Binnenmarktrelevanz öffentlicher Auftragsvergaben im unterschwelligen Bereich befasst haben.

1. Rechtsprechung

In der Rechtsprechung ist zu erkennen, dass das Vorliegen des grenzüberschreitenden Interesses jeweils im konkreten Einzelfall zu prüfen ist und keine allgemein gültigen Kriterien aufgestellt werden können. Es ist daher auf den konkret zu vergebenden öffentlichen Auftrag abzustellen. Hier haben sich aber bereits unterschiedliche Kriterien herauskristallisiert, die jedoch keinesfalls als abschließend anzusehen sind.

Ein wichtiges Indiz für die Binnenmarktrelevanz eines Auftrags ist die örtliche Nähe zu anderen EU-Mitgliedstaaten. Je näher der Standort, an dem die zu erbringende Leistung vergeben wird, am anderen Mitgliedstaat gelegen ist, desto mehr spricht für ein grenzüberschreitendes Interesse.

Ein weiteres Indiz kann die Art der zu vergebenden Leistung sein. Wenn die Leistung international ausgelegt, das heißt, nicht nationalen Gepflogenheiten folgt, beispielswiese nicht die deutsche Sprache essentiell voraussetzt oder Kenntnisse im deutschen Recht gefordert sind, dann wird einiges für ein grenzüberschreitendes Interesse sprechen. Regelmäßig wird daher bei IT-Leistungen eine Binnenmarktrelevanz anzunehmen sein, weil diese in den seltensten Fällen national ausgerichtet sind, sondern problemlos von anderen europäischen Unternehmern erbracht werden können.

Darüber hinaus kann der geschätzte Auftragswert einen wichtigen Aspekt in der Beurteilung einer Auftragsvergabe als binnenmarktrelevant darstellen. Zwar können natürlich keine fixen Grenzen festgesetzt werden. Das verbietet die Zweiteilung in unterschwelliges und oberschwelliges Vergaberecht durch die entsprechenden EU-Schwellenwerte. Jedoch wird man sagen können, je höher der geschätzte Auftragswert ausfällt, desto eher wird ein Auftrag das Interesse anderer EU-Mitgliedsstaaten wecken. Denn Zeit- und Kostenaufwand werden sich mit steigenden Auftragswerten amortisieren.

2. Mitteilung der Europäischen Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht unter die Vergaberichtlinien fallen (2006/C 179/02).

Die genannte Mitteilung der Europäischen Kommission greift die Rechtsprechung auf, zeigt ihr Verständnis und Verfahren auf, um den Binnenmarkt im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergaben insbesondere im unterschwelligen Bereich bestmöglich zu beteiligen.

In diesem Zuge wird in der Mitteilung ausgeführt, welche Anforderung an die Bekanntmachung, die Auftragsvergabe und den Rechtsschutz zu stellen sind. Jedoch wird teilweise offen gelassen, wie Vergabeverfahren mit Binnenmarktrelevanz konkret in der nationalen Praxis ausgestaltet sein müssen.

Hinsichtlich der Binnenmarktrelevanz sind auch nach der Mitteilung abhängig vom konkreten Einzelfall unterschiedliche Kriterien zur Bewertung heranzuziehen. Hier werden Auftragsgegenstand, geschätzter Auftragswert, Besonderheiten der betroffenen Branche, Größe und Struktur des konkreten Marktes sowie wirtschaftliche Gepflogenheiten genannt.

II. Folgen des Vorliegens von Binnenmarktrelevanz

Wenn die Prüfung eines Auftraggebers anhand der Kriterien ergibt, dass ein öffentlicher Auftrag grenzüberschreitendes Interesse hat, dann stellt sich die Frage, welche Vorgaben vergaberechtlich zu beachten sind.

Auf der einen Seite darf wegen des Unterschreitens der EU-Schwellenwerte ein nationales Vergabeverfahren durchgeführt werden. Auf der anderen Seite müssen wegen der Binnenmarktrelevanz erhöhte europäische Vorgaben eingehalten werden.

Der EuGH sowie die Europäische Kommission gehen davon aus, dass zwar wegen der Unterschreitung der EU-Schwellenwerte keine der Vergaberichtlinien Anwendung findet, jedoch für öffentliche Auftraggeber dennoch das europäische Primärrecht gilt. Da hierunter auch die EU-Grundfreiheiten und die EU-Grundsätze fallen, sind diese zu beachten und einzuhalten. Umfasst sind der freie Warenverkehr, die Niederlassungsfreiheit, die Dienstleistungsfreiheit und die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, Gleichbehandlung, Transparenz, Verhältnismäßigkeit und der gegenseitigen Anerkennung.

Aus diesen Grundsätzen und Grundfreiheiten folgen für unterschwellige Auftragsvergaben im Verhältnis zum nationalen Vergabeverfahren Abweichungen für die Bekanntmachung, die Auftragsvergabe sowie den Rechtsschutz.

Hinsichtlich der Bekanntmachung bedeutet dies, dass andere EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhalten müssen, Kenntnis vom öffentlichen Auftrag zu erlangen, damit sie am Wettbewerb teilnehmen können.

Auch die Auftragsvergabe muss gleichberechtigt, nichtdiskriminierend und transparent sein. Das bedeutet insbesondere, dass Produktneutralität, gleiche, angemessene Fristen sowie durchgängig transparente Bedingungen für alle Teilnehmer herrschen müssen. Auf diese Weise erhalten auch die Interessenten aus anderen EU-Mitgliedstaaten eine gleichberechtigte Chance, am Wettbewerb teilzunehmen.

Damit diese erhöhten Vorgaben bei Auftragsvergaben mit Binnenmarktrelevanz nicht leer laufen, müssen konsequenterweise entsprechende Rechtsschutzmöglichkeiten für die Bieter vorhanden sein, die ihre Rechte geltend machen wollen. Die Möglichkeit eines Nachprüfungsverfahrens besteht jedoch nur für Auftragsvergaben, die unter die Vergaberichtlinien fallen, da hier die EU-Schwellenwerte überschritten werden. Eine Übertragung dieser Rechtsschutzmöglichkeiten scheidet daher nicht zuletzt wegen fehlender Analogiemöglichkeit mangels planwidriger Regelungslücken aus.

Dennoch muss ein effektiver gerichtlicher Schutz der sich aus der Gemeinschaftsordnung ergebenden Rechte möglich sein. Die Mitteilung der Europäischen Kommission legt jedoch nicht konkret fest, wie der Rechtsschutz ausgestaltet sein muss, sondern überlässt dies augenscheinlich den Mitgliedstaaten.

III. Praktische Umsetzung

In der Theorie lesen sich diese Grundsätze verständlich. Die Frage ist jedoch, wie diese Grundsätze beispielsweise bei einem nationalen Vergabeverfahren wie der Beschränkten Ausschreibung oder Freihändigen Vergabe praktisch anzuwenden sind, wenn der öffentliche Auftrag grenzüberschreitendes Interesse hat.

1. Grundsätzlich dürfte ein Auftraggeber bei der Freihändigen Vergabe und der Beschränkten Ausschreibung drei geeignete Unternehmen zur Abgabe von Vergleichsangeboten auffordern, mit ihnen bei ersterer sogar verhandeln, um dann das wirtschaftlichste Angebot zu bezuschlagen.

Da aus den EU-Grundfreiheiten und europäischen Grundsätzen jedoch zwecks Transparenz eine Pflicht zur Schaffung von Wettbewerb im EU-Binnenmarkt besteht, wird man bereits an dieser Stelle sagen müssen, dass sowohl bei einer Freihändigen Vergabe als auch einer Beschränkten Ausschreibung eine öffentliche Bekanntmachung des Auftrags erforderlich sein wird. Das bedeutet, beiden Vergabearten müsste zumindest ein öffentlicher Wettbewerb vorausgehen. Insoweit wäre es nach Ansicht des Verfassers unzulässig, nur eine begrenzte Anzahl von Unternehmen zur Angebotsabgabe aufzufordern, wie es für das nationale Recht genügt. Die mit der Möglichkeit der Verhandlung einhergehende Flexibilität bei der Freihändigen Vergabe wird zumindest teilweise wieder eingeschränkt.

An dieser Stelle ist in der Mitteilung aufgeführt, dass angemessene und gängige Veröffentlichungsmedien zum Beispiel das Internet, nationale Amts- und Ausschreibungsblätter, Zeitungen, Publikationen sowie lokale Medien sind. Demgegenüber wird darauf hingewiesen, dass eine Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union bzw. der TED-Datenbank nicht verpflichtend ist. An dieser Stelle wird durch einen Auftraggeber folglich nichts falsch gemacht, wenn er eine Bekanntmachung entsprechend den nationalen Erfordernissen der VOL/A bzw. VOB/A veröffentlicht.

Wenn infolge der Bekanntmachung eine Vielzahl von Teilnehmern ihr Interesse am Auftrag bekundet, dann wird der Auftraggeber, soweit er anhand der bekanntgemachten Eignungskriterien keine Vorauswahl ermöglicht hat, sämtliche interessierten Teilnehmer zur Abgabe eines Angebots auffordern müssen. Nach Ansicht der Europäischen Kommission ist das Kontaktieren einer bestimmten Anzahl potentieller Bieter nicht ausreichend, selbst wenn der Auftraggeber auch Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten zur Angebotsabgabe auffordert.

2. In Bezug auf die Wertung der Angebote und den Zuschlag ergeben sich nach Ansicht des Verfassers keine wesentlichen Abweichungen im Vergleich zu einem nationalen Vergabeverfahren. Wenn die Vorgaben des nationalen Vergaberechts zur Prüfung und Wertung der Angebote eingehalten werden, dürfte ein Auftraggeber auf der sicheren Seite sein. Denn diese dürften um einiges konkreter sein als die Grundsätze, die aus den EU-Verträgen und EU-Grundfreiheiten abgeleitet werden.

3. Sollte im Übrigen national eine öffentliche Ausschreibung oder eine Beschränkte Ausschreibung mit öffentlichem Teilnahmewettbewerb als Vergabeart zulässig sein, so dürften sich bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Interesses keine Abweichungen ergeben, soweit das Vergabeverfahren entsprechend dem nationalen Recht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Denn der wesentlichste Unterschied, nämlich die Bekanntmachung, erfolgt bei diesen Vergabearten ohnehin. Außerdem werden durch die Einhaltung des nationalen Vergaberechts gleichzeitig die Vorgaben des europäischen Primärrechts in den übrigen Stufen des Vergabeverfahrens wie Prüfung und Wertung der Angebote sowie Zuschlagsentscheidung beachtet.

IV. Rechtliche Beurteilung

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Interesses im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe entsprechend der Rechtsprechung und Mitteilung der Europäischen Kommission zumindest bei einfachen Beschränkten Ausschreibung und Freihändigen Vergabe eine abgewandelte Form der Vergabeverfahren, sozusagen eine Vergabeart sui generis, durchzuführen sein wird, die insbesondere eine erhöhte Transparenz beinhalten muss.

Zweifelhaft bleibt nach Ansicht des Verfassers, ob die europäischen Vorgaben zu öffentlichen Auftragsvergaben mit Binnenmarktrelevanz im unterschwelligen Bereich konsequent sind.

Denn wenn sie so weit gehen und festlegen, dass Auftragsvergaben bei grenzüberschreitendem Interesse in einem Umfang bekannt zu machen sind, dass Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten transparent Kenntnis von den beabsichtigen Auftragsvergaben erlangen müssen, weil europäisches Primärrecht unabhängig von der Anwendbarkeit der Vergaberichtlinien gilt, dann wird zumindest eine Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union gefordert werden müssen. Man darf bezweifeln, dass ein Bieter aus dem angrenzenden EU-Mitgliedstaat Bekanntmachungen auf nationaler bzw. sogar kommunaler Ebene zur Kenntnis nimmt, weil diese für „EU-binnenmarktrelevante“ Aufträge nicht die üblichen und gewöhnlichen Medien bzw. Informationsquellen darstellen.

Darüber hinaus macht es sich die Kommission nach Ansicht des Verfassers zu einfach damit, dass sie den Rechtsschutz bei Aufträgen mit grenzüberschreitendem Charakter den Mitgliedstaaten überlässt und dies damit begründet, dass diese effektiven Rechtsschutz für die Geltendmachung von Rechten aus der Gemeinschaftsordnung gewährleisten müssen. Auch an dieser Stelle müsste folgerichtig ein Rechtsschutz gewährt werden, der dem Rechtsschutz im oberschwelligen Bereich zumindest nahe kommt. Wenn wegen der Binnenmarktrelevanz erhöhte Anforderungen an die Vergabeverfahren in Form der Vorgaben des europäischen Primärrechts gesetzt werden, dann muss in ähnlicher Weise Rechtsschutz gewährt werden. Daher wäre es nicht abwegig, auch für diese Fälle die auf Vergaberecht spezialisierten Instanzen der Vergabekammern sowie der Oberlandesgerichte mit ihren Vergabesenaten als zweite Instanz zuzulassen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Beschlüsse der Nachprüfungsinstanzen ordentliche Gerichte in Schadenersatzprozessen binden, die mit Vergaberecht wenig in Berührung kommen und dadurch kaum Entscheidungen auf diesem speziellen Gebiet treffen müssen.

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Wann sind Referenzaufträge vergleichbar? (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.11.2016, VII-Verg 25/16)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungNach § 4 Abs. 2 S. 2 bis 4 VgV a.F. dürfen öffentliche Auftraggeber bei Aufträgen über nachrangige Dienstleistungen den Erfolg und die Qualität bereits erbrachter Leistungen berücksichtigen. Das OLG Düsseldorf hat nun die Anforderungen an die Wertung solcher eignungsbezogener Wertungskriterien präzisiert. Der Beschluss ist auch für andere öffentliche Aufträge von großer praktischer Bedeutung.

§ 97 Abs. 2 GWB, § 4 Abs. 2 S. 2-4 VgV a.F., § 16 SGB II, § 130 SGB III

Sachverhalt

Was ist geschehen? Die Bundesagentur für Arbeit (BA) schrieb im März 2016 Aufträge über „assistierte Ausbildung“ nach § 130 III SGB III und § 16 SGB II öffentlich aus. Die Angebote sollten anhand einer fünfstufigen Wertungsmatrix bewertet werden. Während die Wertungsbereiche 1 bis 4 die einzureichenden Konzepte betrafen, bezog sich der Wertungsbereich 5 auf die „bisherigen Erfolge und Qualität“ des Unternehmers. Folgende Kriterien wurden dort berücksichtigt:

V.1 Eingliederungsquote in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung

V.2 Eingliederungsquote in sozialversicherungspflichtige Ausbildung und

V.3 Abbruchquote.

Bieter konnten hier nur dann mehr als einen Punkt erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie schon einmal im „Bezirk der Arbeitsagentur, die Bedarfsträger des jeweiligen Loses ist“ (hier: Bayreuth-Hof) Maßnahmen durchgeführt haben.

Der auswärtige Antragsteller sah sich u.a. gegenüber ortsansässigen Bietern benachteiligt. Denn er konnte zwar erfolgreich durchgeführte Maßnahmen im unmittelbar benachbarten Agenturbezirk (Bamberg-Coburg) vorweisen. Diese sollten aber – da ortsfremd – bei der Wertung mit nur einem Punkt berücksichtigt werden. Seine diesbezügliche Rüge blieb erfolglos. Die Vergabekammer des Bundes gab dem Bieter Recht (VK 2-31/16). Die BA sah die Benachteiligung ortsfremder Bieter wegen vermeintlicher arbeitsmarktlicher Verschiedenheit der Agenturbezirke als gerechtfertigt an. Sie legte beim OLG Düsseldorf Beschwerde ein (VII-Verg 25/16): Ohne Erfolg!

Die Entscheidung

Der Vergabesenat des OLG Düsseldorf hält das Wertungssystem der BA für vergaberechtswidrig. Zwar erklärte er das Wertungssystem für grundsätzlich zulässig (Stichwort: „Schulnoten“, hierzu ausführlich: Neusüß, in: Vergabeblog vom 04.12.2016, Nr. 28130). Auch die Wertung eignungsbezogener Aspekte war vorliegend erlaubt. Bei den hier ausgeschriebenen Arbeitsmarktdienstleistungen ist eine Wertung früherer Erfolge nach § 4 Abs. 2 S. 2-4 VgV a.F. nämlich ausdrücklich zulässig. Allerdings verstieß die BA gegen das vergaberechtliche Gleichbehandlungsgebot nach § 97 Abs. 2 GWB. Denn ortsfremde Bieter, die Referenzen nicht im Bezirk der jeweiligen Agentur, sondern nur in einem angrenzenden Bezirk nachgewiesen haben, konnten in den drei Kriterien des Wertungsbereichs 5 höchstens einen Punkt erzielen. Dies, obwohl sich die erbrachten Leistungen unter Umständen qualitativ nicht unterscheiden. Erfahrungsgemäß kann ein auswärtiger Bieter diesen Rückstand kaum noch aufholen.

Das OLG Düsseldorf macht deutlich, dass öffentliche Auftraggeber in der Gestaltung der Ausschreibungsbedingungen zwar Freiheiten haben. Diese sind jedoch durch das Diskriminierungsverbot des § 97 Abs. 2 GWB begrenzt. Regionale Beschränkungen der geforderten Referenznachweise, die zur Bevorzugung ortsansässiger und zur Benachteiligung ortsfremder Bieter führen, sind nur zulässig, wenn sie ausnahmsweise erforderlich und verhältnismäßig sind, so der Vergabesenat.

Bei der Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen kann eine Ungleichbehandlung von Referenzen dann erforderlich sein, wenn die Arbeitsagenturbezirke unterschiedliche regionale Gegebenheiten und Besonderheiten (z.B. Arbeitslosenquote, Saisonspanne etc.) aufweisen.

Eine Ungleichbehandlung von Referenznachweisen ist aber dann unzulässig, wenn der Bezirk, in dem ein Bieter seine Referenzleistungen erbracht hat, mit dem Bezirk des ausgeschriebenen Auftrags im Wesentlichen inhaltlich vergleichbar ist. So lag es hier. Die Folge: Die Beschränkung war unzulässig, die Referenz des Bieters musste gewertet werden.

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Fazit

Der Beschluss des OLG Düsseldorf betrifft nicht nur die Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen. Die dort aufgestellten Grundsätze zur Vergleichbarkeit früherer Aufträge sind auch auf andere Leistungen übertragbar.

Das neue Vergaberecht regelt die Zulässigkeit eignungsbezogener Zuschlagskriterien nun in §§ 58 Abs. 2 S. 2 Nr. 2, 65 Abs. 5 S. 2 VgV. Der Beschluss des OLG Düsseldorf ist ohne Weiteres auch hiernach zu beachten.

Zudem spricht vieles dafür, dass auch bei der Eignungsprüfung (bisher: § 7 Abs. 1 EG VOL/A, jetzt: § 122 Abs. 4 S. 1 GWB) die Frage der Vergleichbarkeit früherer Aufträge nach den vom OLG Düsseldorf formulierten Anforderungen zu bewerten ist:

Verlangen öffentliche Auftraggeber von Unternehmen nach § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV bzw. § 6a Nr. 3 a) EU VOB/A die Vorlage von Referenzen über früher ausgeführte Aufträge, müssen sie diese grundsätzlich berücksichtigen, wenn sie vergleichbare Leistungen betreffen. Etwas Anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn sich aus den regionalen Verhältnissen im Einzelfall etwas Anderes ergibt. Sind Referenzen trotz inhaltsgleicher Leistungen allein wegen unterschiedlicher Leistungsorte nicht mehr miteinander vergleichbar, dürfen öffentliche Auftraggeber differenzieren. Bei verhältnismäßig standardisierten Leistungen wie Reinigungs-, Postdienstleistungs-, oder Bewachungsleistungen wird dies kaum denkbar sein. Es versteht sich von selbst, dass eine solche Entscheidung zudem ausführlich nach § 8 VgV zu dokumentieren ist.

Anmerkung der Redaktion
Dieser Beitrag ist Teil der Serie Arbeitsmarktdienstleistungen. Einen Überblick über die Beiträge zur Serie finden Sie hier.

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AVV-EnEff in Kraft getreten

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Politik und MarktRecht

Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung energieeffizienter Produkte und Dienstleistungen (AVV-EnEff) ist am 25. Januar in Kraft getreten.

Die Verwaltungsvorschrift verpflichtet die Behörden des Bundes, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge besondere Kriterien zur Energieeffizienz vorzugeben. Sie ergänzt und konkretisiert damit die Vorschriften der Vergabeverordnung (VgV) für die Auftragsvergabe oberhalb der EU-Schwellenwerte. Aber auch unterhalb der EU-Schwellenwerte verpflichtet die AVV-EnEff die Bundesbehörden zur Berücksichtigung eines hohen Energieeffizienzniveaus bei der Beschaffung. Ziel ist die angemessene Beachtung von Umweltschutz- und und Energieeffizienzaspekten bei öffentlichen Vergaben.

Die der Verwaltungsvorschrift angefügten Leitlinien enthalten Hinweise, wie die Kriterien im Vergabeverfahren im Einzelnen zu berücksichtigen sind. Hierbei orientiert sich die Gliederung an der typischen Konzeption eines Vergabeverfahrens (Bedarfsanalyse, Erstellung von Vergabeunterlagen und Leistungsbeschreibung, Ausführungsbedingungen, Eignungskriterien, Zuschlagskriterien). So sollen etwa die Auftraggeber des Bundes grundsätzlich nur solche Waren und Produkte beschaffen, welche die höchste Energieeffizienzklasse aufweisen.

Die Neufassung wurde am 24. Januar 2017 im Bundesanzeiger bekannt gemacht (Fundstelle: BAnz AT 24.01.2017 B1) und ist gemäß Art. 4 am 25. Januar 2017 in Kraft getreten. Die Geltung der Verwaltungsvorschrift ist zunächst befristet bis zum 31. Dezember 2019. Eine vollständige Textfassung finden Sie hier.

Quelle: BMWi

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Einen Schritt zurück, zwei Schritte nach vorne – Fehlerkorrektur durch Rückversetzung (VK Hamburg, Beschl. v. 23.09.2016 – Vgk FB 6/16)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungÖffentliche Auftraggeber sind nicht verpflichtet, erst im Rahmen des Vergabeverfahrens erkannte Fehler oder Ungenauigkeiten der Vergabeunterlagen bestehen zu lassen. Vielmehr ist eine Korrektur zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens möglich. Von diesem Instrument sollte aus unterschiedlichen Gründen verstärkt Gebrauch gemacht werden.

Auch die beste Vorbereitung schützt nicht davor, Fehler oder Ungenauigkeiten in den Vergabeunterlagen erst dann zu erkennen, wenn es vermeintlich bereits zu spät ist – nämlich im Vergabeverfahren. Die Entscheidung der Vergabekammer Hamburg zeigt, dass weitverbreitete Befürchtungen über die Zulässigkeit, die Grenzen und die Folgen von Korrekturen der Vergabeunterlagen unbegründet sind. Der Erfolg eines Verfahrens bemisst sich schließlich daran, ob die auszuführende Leistung zu dem Bedarf des Auftraggeber passt. Dementsprechend kann kein Zwang dahingehend bestehen, für den Auftraggeber nur beschränkt brauchbare Leistungen zu beschaffen.

§ 17 VOL/A

Leitsatz (sofern vorhanden)

  1. Stellt ein öffentlicher Auftraggeber vor Zuschlagserteilung einen erheblichen Fehler in den Vergabeunterlagen fest, ist er berechtigt, diesen Fehler zu korrigieren.
  2. Sind die Ausschreibungsbedingungen teilweise widersprüchlich und intransparent, ist es zulässig, die Ausschreibung teilweise aufzuheben und das Verfahren in eine zweite Angebotsrunde teilweise zurückzuversetzen.
  3. Wie und in welchem Umfang ein öffentlicher Auftraggeber erkannte Fehler in seiner Ausschreibung behebt, unterliegt seiner Gestaltungsfreiheit. Werden die vergaberechtlichen Gebote Transparenz, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung beachtet, ist ein ordnungsgemäßer und fairer Wettbewerb aufrechterhalten und keine Verletzung von Bieterrechten zu befürchten.

Sachverhalt

Der Auftraggeber beabsichtigte den Abschluss eines Rahmenvertrags über Dolmetscherdienstleistungen in sieben Regionallosen. Es erfolgte eine Loslimitierung in Bezug auf die Zuschlagerteilung auf maximal zwei Lose pro Bieter.

Bereits vor dem Verstreichen der ursprünglichen Frist zur Angebotsabgabe wandte sich die spätere Antragstellerin mit insgesamt 24 Fragen zu den Vergabeunterlagen an den Auftraggeber, welche dieser beantwortete. Einer umfangreichen Rüge der Antragstellerin half der Auftraggeber im Wesentlichen ab und änderte die Vergabeunterlagen durch ein erstes Bieterinformationsschreiben. Mit dieser Änderung ging einher, dass als Wertungskriterium ausschließlich noch der Preis maßgeblich sein solle. Von dem zuvor festgelegten Qualitätskriterium, welches zu 30 % in die Wertungsentscheidung eingehen sollte, nahm der Auftraggeber Abstand. Insgesamt gingen acht Angebote fristgerecht ein, darunter auch das der Antragstellerin.

Nach einer ersten Auswertung der Angebote entschloss sich der Auftraggeber, die Vergabeunterlagen erneut zu korrigieren und in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen und forderte alle beteiligten Bieter zur Abgabe neuer Angebote auf. Dem Auftraggeber waren erst nach Angebotsöffnung Unstimmigkeiten und widersprüchliche Formulierungen in den Vergabeunterlagen aufgefallen, welche wohl maßgeblich auf die erste Änderung der Unterlagen zurückzuführen waren. Eine Berichtigung hielt er bereits deshalb für notwendig, weil auf andere Weise keine eindeutige und erschöpfend Leistungsbeschreibung vorliege und nicht sichergestellt sei, dass alle Bieter die Unterlagen in gleichem Sinne verstehen würden.

Die Antragstellerin rügte die Rückversetzung binnen Wochenfrist, begehrt die Aufhebung der Rückversetzung und die Wertung auf Grundlage der eingegangenen Angebote. Inhaltlich wendete sie ein, es sei kein sachlicher Grund für die abermalige Änderung der Unterlagen ersichtlich. Diese Rüge wies der Auftraggeber zurück.

Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens führte die Antragstellerin weitergehend aus, dass die Rückversetzung dem Auftraggeber unzulässige Manipulationsmöglichkeiten eröffne und dies gegen die Grundsätze der Transparenz, der Gleichbehandlung und des fairen Wettbewerbs verstoße. Ebenso vermutete die Antragstellerin, die Rückversetzung sei lediglich deshalb erfolgt, um einem bestimmten Bieter eine unzulässige zweite Chance einzuräumen.

Der Auftraggeber tritt dem entgegen und führt aus, lediglich eine erneute Änderung der Vergabeunterlagen gewährleiste vergleichbare Angebote und damit die Einhaltung der vorbenannten Grundsätze. Rechtlich sei sein Vorgehen daher nicht zu beanstanden.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer bestätigt die Ansicht des Auftraggebers und weist den Nachprüfungsantrag zurück. Da die der Angelegenheit zugrunde liegende Vergabebekanntmachung vom 12.04.2016 stammte, war der Sachverhalt noch nach der „alten Rechtslage“ zu beurteilen.

Besonders war vorliegend zu beachten, dass es sich bei den zu vergebenden Dolmetscherleistungen um nachrangige Dienstleistungen i. S. d. Anhang I Teil B der VOL/A („Sonstige Dienstleistungen gem. Kategorie Nr. 27) handelte, eine europaweite Ausschreibung daher nicht vorgeschrieben und lediglich der 1. Abschnitt der VOL/A anwendbar war.

Die Kammer identifiziert die vorgenommene Zurückversetzung als zulässige Teilaufhebung, welche mit einer vergaberechtlich noch tragfähigen Begründung gem. § 17 VOL/A erfolgt sei. Eine Fehlerkorrektur stehe dem öffentlichen Auftraggeber bei erheblichen Fehlern der Vergabeunterlagen grundsätzlich zu. Diese Berechtigung werde auch durch eine bereits vorgenommene Angebotsöffnung nicht beeinträchtigt. Allerdings stehe diese Korrekturmöglichkeit nicht im Belieben des Auftraggebers, da eine beliebige Möglichkeit zur Nachbesserung von Angeboten gegen den Grundsatz der Transparenz verstieße. Dementsprechend bedürfe die Teilaufhebung zur Wirksamkeit eines sachlichen Grundes. Dieser sei infolge der unzweifelhaft bestehenden (Übertragungs-)Fehler und Unstimmigkeiten gegeben.

Es komme aber nicht darauf an, ob die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 VOL/A vorlägen. Diesbezüglich sei zwischen Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der (Teil-)Aufhebung zu unterscheiden. Liege keiner der eine Aufhebung rechtfertigenden Gründe des § 17 VOL/A vor, sei die Aufhebung zwar rechtswidrig und verpflichte den Auftraggeber zum Ersatz des negativen Interesses. Wirksam sei sie jedoch, solange der Auftraggeber einen sachlichen Grund anführen könne. Fehle ein solcher sachlicher Grund, könne eine Aufhebung willkürlich und diskriminierend sein oder nur zum Schein erfolgen und sei vor diesem Hintergrund dann auch im Nachprüfungsverfahren justiziabel. Lediglich in diesen Fällen seien Bieterrechte nach § 97 Abs. 7 GWB a. F. verletzt. Der vom Auftraggeber genannte sachliche Grund für die Teilaufhebung bewirke hier allerdings zumindest die Wirksamkeit. Da die Teilaufhebung und Zurückversetzung allen Bietern bekanntgegeben wurde, sei diese auch nicht diskriminierend und der Nachprüfungsantrag daher zurückzuweisen.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung überzeugt und stellt erneut klar, dass in Bezug auf eine (Teil-)Aufhebung zwischen Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit zu unterscheiden ist.

Auch im Falle einer rechtwidrigen Aufhebung besteht kein bieterseitiger Anspruch auf Erteilung des Zuschlags auf Grundlage zu überarbeitender oder aus anderen Gründen unzweckmäßiger Vergabeunterlagen. Hier besteht lediglich die Pflicht des Auftraggebers zur Erstattung des negativen Interesses, also der Aufwendungen für die Angebotserstellung. Die Bieter sind daher so zu stellen, als sei die Ausschreibung nie vorgenommen worden bzw. die Rückversetzung nicht erfolgt.

Justiziabel wird eine Zurückversetzung allerdings lediglich dann, wenn der Auftraggeber hierfür keinen sachlichen Grund anführt, die Rückversetzung mithin willkürlich erfolgt. Insbesondere nach vorgenommener Angebotsöffnung birgt eine Rückversetzung Manipulationsgefahr. Sofern die Rückversetzung deshalb erfolgt, um einzelnen Bietern die Möglichkeit zur erneuten Angebotsabgabe zu ermöglichen, wäre diese diskriminierend und entsprechend auch im Nachprüfungsverfahren aufzuheben. Hierauf weist die Vergabekammer eindringlich und zutreffend hin.

Allerdings weist die Vergabekammer auch darauf hin, dass das Recht zur Rückversetzung für den Auftraggeber nicht grenzenlos besteht und stets die Korrektur eines erheblichen Fehlers notwendig sei. Jeder kleinste Fehler kann mithin nicht genügen. Dementsprechend betont die Kammer auch, dass der Auftraggeber vorliegend eine noch tragfähige Begründung vorgelegt hat. Fraglich ist hier, wo die Grenze zu verlaufen hat. Nach Ansicht des Verfassers kann dies nicht pauschal beantwortet, sondern muss im Einzelfall betrachtet werden. Hier dürfte es auf Anzahl und Qualität der festgestellten Fehler ankommen. Reine Rechtschreibfehler in den Vergabeunterlagen können daher nicht ausreichen, wenn nicht die Gefahr besteht, dass Anforderungen der Vergabeunterlagen durch diese Fehler eine abweichende Bedeutung erlangen könnten. Ebenfalls liegt kein erheblicher Fehler vor, wenn der Auftraggeber eine nur unwesentliche Position der Leistungsbeschreibung missverständlich formuliert oder eine vielleicht nur nebensächliche Eignungsanforderung nicht wirksam gefordert hat. In diesen Fällen steht der Nutzen des Auftraggebers zu den damit verbundenen Missbrauchsmöglichkeiten außer Verhältnis.

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Praxistipp

Die Möglichkeiten zur Korrektur der Vergabeunterlagen für den Auftraggeber sind weitreichend und werden in der Praxis viel zu selten ausgeschöpft. Vielmehr entscheiden sich Vergabestellen allzuoft dazu, erkannte Fehler aus Furcht vor einem Nachprüfungsverfahren bestehen zu lassen und verlagern etwaige Auslegungsprobleme damit in die Vertragsausführung. Hierdurch entstehen regelmäßig aber weit größere Probleme. Dass die Befürchtungen der Auftraggeber in den meisten Fällen unbegründet sind, zeigt die besprochene Entscheidung.

Auch die Angst, wegen einer rechtswidrigen Aufhebung Schadenersatz leisten zu müssen, sind mehrheitlich unzutreffend. Zwar führt die rechtswidrige Aufhebung zu einem Schadenersatzanspruch dem Grunde nach. Tatsächlich wird den meisten Bietern in solchen Fällen gar kein ersatzfähiger Schaden entstanden sein, da Kosten der Angebotserstellung durch eigenes Personal keinen Schaden i. d. S. darstellen, weil diese regelmäßig auch angefallen wären, wenn die betroffenen Mitarbeiter sich nicht mit der Angebotserstellung befasst hätten. Für den Fall der Teilaufhebung durch Rückversetzung wird dieses Risiko noch geringer, da hier wohl nicht sämtliche Aufwendungen für die Angebotserstellung vergeblich sein dürften, sondern auch für die „zweite Runde“ auf dem ursprünglichen Angebot aufgebaut werden kann.

Insbesondere bei Bauvergaben ist zu bedenken, dass eine Rückversetzung vor hohen Mehrvergütungsansprüchen wegen verspäteter Zuschlagserteilung bewahren kann. Sofern Uneinigkeit zwischen dem Auftraggeber und einem Bieter über Inhalte und Anforderungen der Vergabeunterlage besteht, dürfte sich eine Rückversetzung mit gleichzeitiger Klarstellung anbieten. Auf diese Weise kann im Einzelfall ein oft langwieriges Nachprüfungsverfahren vermieden werden. Dieses führt auf der einen Seite zu einem Zeitverlust. Anderseits kann der Zuschlag aber auch für den Fall, in dem der Auftraggeber sich mit seiner Rechtsauffassung durchsetzen kann, nicht innerhalb der ursprünglichen vorgesehenen Vertragstermine erteilt werden, so dass in jedem Fall Mehrvergütungsansprüche wegen verzögerter Zuschlagserteilung drohen. Für diese Ansprüche kann auch der Antragsteller eines Nachprüfungsverfahrens nicht in Regress genommen werden (abgesehen von Fällen des Rechtsmissbrauchs nach § 180 GWB n. F.).

In solchen Fällen sollte eine Rückversetzung unter Anpassung der Vertragsfristen stets erwogen werden.

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Zum neuen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Vergaberechtsreform 2016

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RechtUNBEDINGT LESEN!

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde mit der Vergaberechtsreform 2016 in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in Form des § 97 I 2 eingearbeitet und stellt nunmehr einen Grundsatz für das öffentliche Beschaffungswesen im Oberschwellenbereich dar. Damit wird die „proportionalitas“ in einem Atemzug mit der Wirtschaftlichkeit genannt und als ebenso obwaltendes Prinzip eingesetzt[1].

Mit ihr sollen dem Wettbewerb und der Transparenz beim staatlichen Konsum Geltung verschafft werden. Der Ansatz des „verhältnismäßigen Handelns“ ist indes nichts Neues. In der Bundesrepublik Deutschland ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit universelles Verfassungsprinzip und ein wesentliches Merkmal des Rechtsstaates[2]. Insbesondere bei grundrechtsrelevanten Handlungen sind staatliche Organe verpflichtet sorgfältig zwischen kollidierenden schützenswerten Interessenslagen, Freiheiten und Rechtsgütern abzuwägen[3]. Es geht hierbei um eine Kompensation von Nachteilen unter gleichzeitiger größtmöglich beidseitiger Vorteilsgewinnung-/erhaltung.

Vom Ziel und Zweck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausgehend, galt dieser faktisch schon vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2016[4]. Überall dort, wo staatlichen Organen Ermessen im Vergabeverfahren eingeräumt war, galt es bereits im alten Recht keine Ermessensfehler, insbesondere nicht im Zuwiderhandeln gegen das Gleichbehandlungsgebot, zu begehen[5]. Die nationale Rechtsprechung hat die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Vergaberecht, oberhalb und unterhalb der Schwellen- werte, fortlaufend bestätigt und verfestigt[6]. Mit der Verabschiedung der zugrundeliegenden Richtlinie der Europäischen Union über die öffentliche Auftragsvergabe (RL 2014/24/EU) wurde nun auch im Wortlaut mit dem dort aufgeworfenen Postulat die grammatische Lücke im GWB geschlossen[7].

Die Intention des gesetzgeberischen Gestaltungansatzes der Europäischen Union folgt dem primärrechtlichen Idealen der Verträge sowie der flankierenden gemeinschaftsrichterlichen Jurisdiktion[8].

Es ist daher erkennbar und nachvollziehbar, dass die Proportionalität von Interessen und Rechtsgütern überall dort, wo der Normengeber keine gebundenen Entscheidungen im Vergabeverfahren vorgesehen hat, nur solche Erwägungen in Handlungen münden lassen soll, welche vom Prinzip der Verhältnismäßigkeit ausgegangen und getragen sind. Dadurch werden sowohl die rechtlichen Sphären der öffentlichen Auftraggeber und der Unternehmen gleichsam gewahrt.

Insofern ist die gleichrangige Nennung mit der Wirtschaftlichkeit eine logische Folge dieses gedanklichen Ansatzes. Das Interesse der Öffentlichkeit an der wirtschaftlichen Bedarfsdeckung der staatlichen Institutionen zur Herstellung und Aufrechterhaltung ihrer Funktionsfähigkeit umfasst eben nicht nur das Ergebnis, sondern auch das Zustandekommen des zivilrechtlichen Schuldverhältnisses[9].

Verfahrensunbilden, Härtefälle, Unregelmäßigkeiten und Bagatellverfehlungen können mit dem neu implementierten Verfahrensgrundsatz zwar nicht beseitigt, ihre teilweise disproportionalen Folgen aber für Unternehmen und Vergabestellen abgemildert werden. Dieses ist auch vor dem Hintergrund fiskalischer Ziele im Rahmen der wirtschaftlichen und sparsamen Haushaltsführung und parlamentarischen Konsolidierungszielen anstrebenswert; für die Unternehmen lassen sich positive Effekte durch die Chance als Zuschlagsdestinatär hervorzugehen und Transaktionskosten zu mindern, verzeichnen.

Der europäische Normengeber hat namentlich an fünf Stellen in der RL 2014/24/EU die Verhältnismäßigkeit in Ableitung der Grundsätze des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) herausgestellt:

  • Artikel 1, Satz 1 (Grundsätzliche und gleichrangige Proklamation neben Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, gegenseitige Anerkennung und Transparenz)
  • Artikel 57, Satz 1 (Sachliche Richtigkeit, Integrität und Identifizierung der Mitteilungen eines an der Auftragsvergabe interessierten Unternehmens)
  • Artikel 57, Satz 3 (Abstufung von Sicherheitsniveaus bei Kleinstwettbewerben)
  • Artikel 101, Satz 5 (Anwendung fakultativer Ausschlussgründe)
  • Artikel 136, Satz 2 (Grenzen der Verhältnismäßigkeit, vor allem den primärrechtlichen Grundsatz der Subsidiarität betreffend)

Der Deutsche Bundestag und Bundesrat haben fristgemäß diese Richtliniengehalte in nationales Recht umgesetzt. Bei dem im Bundesgesetzblatt verkündeten GWB lassen sich folgende einschlägige Fundstellen dem Wortlaut nach identifizieren:

  • § 97 I 2 (Grundsätzliche und gleichrangige Proklamation neben der Wirtschaftlichkeit)
  • § 123 V 2 (Ermessenserlaubnis beim ansonsten obligatorischen Ausschluss von Unternehmen mit abgaberechtlichen Verfehlungen)
  • § 124 I (Fakultativer Ausschluss von Unternehmen)

Darüber hinaus entwickelt das obwaltende Prinzip der Verhältnismäßigkeit ein Regulativ für den Entscheidungskorridor in allen Bereichen, in denen dem öffentlichen Auftraggeber mehrere Rechtsfolgen zur Verfügung stehen bzw. er das Vergabeverfahren einfach oder komplex gestalten möchte. Davon ausgehend hat der nationale Gesetzgeber implizit Formulierungen des Normentextes dazu genutzt, unter Beibehalten des umfassenden Leistungsbestimmungsrechts, dem Prinzip zur Verwirklichung zu verhelfen[10]:

  • Anforderungen an die Leistungsbeschreibung
  • Anforderungen an die Eignung
  • Anforderungen an den Zuschlag
  • Anforderungen an die Ausführungsbedingungen
  • Positive Berücksichtigung der ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen von Unternehmen
  • Aufhebung von Vergabeverfahren
  • Ausschluss vom Vergabeverfahren

Grundsätzlich erstrecken sich die Ausführungen auch auf die verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Aufträge in Würdigung der definierten Ausnahmen des § 117 GWB. Hierbei stehen vor allem wesentliche Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Vordergrund.

Wird der nun kodifizierte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Vergabeverfahren rechtlich, fiskalisch und ökonomisch verbessern?

Derzeit kann hierzu noch kein durch die Verwaltungs- oder Rechtsprechungspraxis untermauertes repräsentatives Meinungsbild als empirische Untermauerung dienen.

Seit Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2016 waren bei den Vergabekammern des Bundes beim Bundeskartellamt drei Nachprüfungsverfahren abgeschlossen, bei denen essentiell um das verhältnismäßige Handeln des öffentlichen Auftraggebers gestritten wurde. In einem Fall wurde der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen, in einem anderen Fall abgelehnt. Ein Obsiegen eines Antragstellers konnte auf Bundesebene einmal verzeichnet werden. Hier wurde eine Missachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowohl durch die Vergabekammer als auch durch das angerufene Obergericht rechtskräftig bestätigt. Die 2. Vergabekammer des Bundes beim Bundeskartellamt erkannte hierbei in ihrem Beschluss vom 30.05.2016[11]:

„Problematisch ist vorliegend allerdings die regionale Eingrenzung ausschließlich auf Referenzprojekte im identischen […]. Diese Vorgabe führt zu einer Bevorzugung des bisherigen Auftragnehmers und zu einer unverhältnismäßigen Benachteiligung nicht ortsansässiger Bieter, die in der Sache nicht erforderlich ist, um der legitimen Intention der Ag – Sicherstellung eines Erfolgs der Maßnahme – zu entsprechen. Das nunmehr ausdrücklich in § 97 Abs. 1 GWB (n.F.) normierte Verhältnismäßigkeitsgebot, das nach alter Rechtlage auch ohne explizite Normierung als allgemeiner Rechtsgrundsatz galt, wird hier durch diese regionale Eingrenzung bei diesem Wertungskriterium verletzt; alle Vorgaben, die den bisherigen und den ortsansässigen Bieter strukturell bevorteilen, sind einer genauen Prüfung zu unterziehen, auch wenn vorliegend aufgrund des Charakters als I B-Dienstleistung gerade kein europaweiter Wettbewerb geschuldet ist. Das ausschließliche Geltenlassen von Maßnahmen im […] kann im Ergebnis dazu führen, dass allein der derzeitige Leistungserbringer überhaupt die Chance bekommt, mehr als einen Punkt in diesem Kriterium zu erlangen.“

Der im Rahmen der sofortigen Beschwerde mit der Angelegenheit befasste Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf schloss sich der erstinstanzlichen Auffassung am 02.11.2016 an[12]:

„Zu einem (unerwünschten) pauschalen Vergleich sämtlicher Eingliederungs- und/oder Abbruchquoten aus sämtlichen Arbeitsagenturbezirken ohne Rücksicht auf regionale Verhältnisse (so die Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 07.10.2016, S. 6) muss eine vergaberechtskonforme Angebotswertung nicht führen. Solches muss die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Bestimmungsfreiheit bei den Ausschreibungsbedingungen ebenso wenig hinnehmen. Um dies zu verhindern, ist eine Beschränkung auf Referenzen aus dem jeweiligen Ausschreibungsbezirk – wie aufgezeigt – indes nicht erforderlich, nicht verhältnismäßig und erst recht nicht geboten.“

Und später heißt es in demselben nunmehr rechtskräftigen Beschluss:

„Zwar habe die Antragstellerin mit dem Nachprüfungsantrag begehrt, dass das Vergabeverfahren in den Stand vor Versendung berichtigter Vergabeunterlagen zurückversetzt werde (mit der Folge, dass die Bieter neue Angebote einreichen könnten). Im Unterschied dazu sei in der Entscheidung lediglich eine Wiederholung der Angebotswertung hinsichtlich des Kriteriums V. (Bisherige Erfolge und Qualität) angeordnet worden. Da die Antragsgegnerin die zur Wertung des Kriteriums V. erforderlichen Tatsachen ihrem Statistiksystem COSACH entnehmen könne und allein eine Neubewertung dieses Wettungskriteriums entscheidungserheblich sei, genüge jedoch im Sinn eines verhältnismäßigen Eingriffs in das Vergabeverfahren, der Antragsgegnerin eine erneute Wertung der Angebote unter Einbeziehung der von der Antragstellerin im Arbeitsagenturbezirk Bamber-Coburg erreichten Eingliederungs- und/oder Abbruchquoten aufzugeben. Denn die Antragsgegnerin könne jene Quoten ohne Weiteres dem Statistiksystem COSACH entnehmen. Diese praxisorientierte, insbesondere dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprechende Entscheidung verdient die Zustimmung des Senats.“

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Im Hinblick auf die Ausstrahlungswirkung für die Normen der nationalen Beschaffungsvorhaben hat sich die in der Diskussion befindliche „Unterschwellen- vergabeordnung“ (UVgO) in Gestalt des Entwurfs des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 31.08.2016 zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Vergabeverfahren grammatisch wie folgt dargestellt:

  • § 2 I 2 (Grundsätzliche und gleichrangige Proklamation neben der Wirtschaftlichkeit)
  • § 23 II 2 (Korrelation zwischen dem Auftragsgegenstand und Nachhaltigkeitszielen in Form von sozialen, umweltbezogenen und innovativen Aspekten bzw. den Lebenszykluskosten)

Im Übrigen gelten durch die verbale Angleichung der UVgO an die Oberschwellen- Terminologie die gleichen impliziten Anwendungsmöglichkeiten:

  • Anforderungen an die Leistungsbeschreibung
  • Anforderungen an die Eignung
  • Anforderungen an den Zuschlag
  • Anforderungen an die Ausführungsbedingungen
  • Positive Berücksichtigung der ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen von Unternehmen
  • Aufhebung von Vergabeverfahren
  • Ausschluss vom Vergabeverfahren

Aufgrund der abgegebenen Stellungnahmen der Wirtschafts- und Interessensverbände im Rahmen der Anhörungen zum Entwurf des Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2016, konnten weitestgehend positive Meinungsbilder zur Implementierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verifiziert werden[13]. Diese erwartungsvollen und bejahenden Positionierungen lassen für die Akzeptanz der noch zu beschließenden UVgO in dieser Frage Einvernehmen erahnen.

Das Jahr 2017 wird weitere Erkenntnisse in diesem Sachthema hervorbringen.

 


    1. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), das durch Artikel 5 des Gesetzes vom 13. Oktober 2016 (BGBl. I S. 2258) geändert worden ist
    2. BVerfGE 19, 342, Rn. 17
    3. Zippelius, Reinhold; Das Wesen des Rechts, 6. Auflage, Kohlhammer Verlag, Stuttgart, 2012; Kapitel 8d
    4. BKartA – 2. VgK Bund, Az VK 2 – 31/16, Beschluss vom 30.05.2016, Seite 14, 2. Absatz, Satz 3
    5. BVerfG, Az 1 BvR 1160/03, Beschluss vom 13.06.2006, Leitsatz 1
    6. BGH, Urteil vom 30.8.2011 – X ZR 55/10 – NZBau 2012, 46 = VergabeR 2012, 26; OLG Brandenburg, Beschluss vom 16.2.2012 – Verg W 1/12
    7. Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (Amtsblatt der Europäischen Union, Nr. L 94/65 vom 28.03.2014)
    8. Trstenjak, Verica/Beysen, Erwin; EuR, Heft 3, 2012, S. 265
    9. BVerfG, Az 1 BvR 1160/03, Beschluss vom 13.06.2006, Rn. 92
    10. BT-Drs. 18/6281, S. 68
    11. BKartA – 2. VgK Bund, Az VK 2 – 31/16, Beschluss vom 30.05.2016
    12. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.11.2016, Az VII-Verg 25/16
    13. Bundesrechtsanwaltskammer, Mitteilung Nr. 23/2015, Seite 6, Abschnitt 2.2.2; Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, Stellungnahme vom 14.08.2015, Abschnitt II.1; Bundesverband der Deutschen Industrie, Stellungnahme vom 16.09.2016, Seite 2; Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, Stellungnahme vom 26.05.2015, Seite 11; Deutscher Gewerkschaftsbund, Stellungnahme vom 22.05.2015, Seite 3; Deutscher Industrie- und Handelskammertag, Stellungnahme vom 30.10.2015, Seite 1

 

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UVgO im Bundesanzeiger bekanntgemacht!

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RechtUNBEDINGT LESEN!

Heute, am 7.2.2017, erfolgte die Bekanntmachung der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) im Bundesanzeiger (BAnz AT 07.02.2017 B1).

Vorausgegangen waren intensive Diskussionen, zahlreiche Verbände hatten Stellungnahmen eingereicht (hier zusammengefasst). Die UVgO orientiert sich an der neuen Vergabeverordnung (VgV), gleichzeitig werden aber einfachere Regelungen für den Unterschwellenbereich eingeführt.

Die UVgO tritt nicht durch die Bekanntmachung im Bundesanzeiger in Kraft! Sie muss jeweils für den Bund und jedes Land durch einen Anwendungsbefehl in den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften der Bundeshaushaltsordnung bzw. der jeweiligen Landeshaushaltsordnung/ Landesvergabegesetz in Kraft gesetzt werden (sog. „Einführungserlasse“). Für den Bund laufen hierzu die Vorbereitungen; anvisiert ist ein Inkraftsetzen im Frühjahr 2017.

Sie finden die bekanntgemachte UVgO nebst den Erläuterungen zur UVgO im Bundesanzeiger (Dokumente B 1 und B 2 vom 7.2.2017).
(Update: In der ursprünglichen Bekanntmachung gab es ein Redaktionsversehen, siehe Berichtigung vom 08.02.2017 in BAnz AT 08.02.2017 B1.)

Im geschlossenen Mitgliederbereich des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) haben wir zu den mit der UVgO verbundenen Fragen einen eigenen Bereich eingerichtet hier. Noch kein Mitglied? Zur kostenlosen Mitgliedschaft geht es hier.

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Der letzte Schliff der UVgO – Rolle rückwärts oder das Beste zum Schluss?

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Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

UVgOAm 07.02.2017 wurde die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) im Bundesanzeiger veröffentlicht. Sie soll den 1. Abschnitt der bisher geltenden Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A) ersetzen. In ihrer letzten Fassung wurde die UVgO noch in einigen Punkten geändert. Dieser Beitrag vergleicht die Endfassung der UVgO mit dem bislang bekannten Diskussionsentwurf (nachfolgend: Entwurf) vom 31.08.2016.

1. Wahl der Verfahrensart

Öffentliche Auftraggeber sollen grundsätzlich weiterhin die Wahl zwischen der Öffentlichen und der Beschränkten Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb haben, § 8 Abs. 2 UVgO. Wenn eine Öffentliche Ausschreibung zu keinem wirtschaftlichen Ergebnis geführt hat, dürfen sie eine Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb durchführen, § 8 Abs. 3 Nr. 1 UVgO. Eine Verhandlungsvergabe ist zulässig nach Aufhebung einer Öffentlichen oder Beschränkten Ausschreibung, wenn ihre Wiederholung kein wirtschaftliches Ergebnis verspricht, § 8 Abs. 4 Nr. 4 UVgO. Die neue Formulierung des fehlenden „wirtschaftlichen Ergebnisses“ soll die bisherige ersetzen, wonach keine zuschlagsfähigen Angebote eingereicht worden sind.

Eine Erleichterung ergibt sich bei der Beschaffung von Ersatzteilen für Maschinen und Geräte: Öffentliche Auftraggeber sollen jetzt direkt mit dem Lieferanten der ursprünglichen Leistung in die Verhandlungsvergabe eintreten dürfen, wenn eine anderweitige Beschaffung unwirtschaftlich wäre, § 8 Abs. 4 Nr. 13 UVgO.

Für die Vergabe von sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen i.S.v. § 130 GWB oder verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträgen enthalten § 49 und § 51 UVgO i.V.m. § 8 Abs. 2 S. 3 UVgO einige Sondervorschriften.

2. Freiberufliche Leistungen

Quasi in letzter Sekunde klammerte das BMWi die Vergabe freiberuflicher Leistungen vom Anwendungsbereich der UVgO aus und vollzog eine Kehrtwende. Während § 8 Abs. 4 Nr. 4 des Entwurfs dafür noch die Verhandlungsvergabe als Regelfall ansah, nimmt die Sondervorschrift des § 50 UVgO i.V.m. § 8 Abs. 2 S. 3 UVgO die Vergabe freiberuflicher Leistungen vom Anwendungsbereich der UVgO aus. Sie übernimmt die Regelung der Nummer 2.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 55 der Bundeshaushaltsordnung (VV-BHO) und beschränkt sich auf die Aussage, dass auch freiberufliche Leistungen im (größtmöglichen) Wettbewerb zu vergeben sind. Damit erledigt sich die wettbewerblich bedenkliche Regelung des § 12 Abs. 3 S. 2 des Entwurfs, die es ermöglichen sollte, für alle nach Gebühren- oder Honorarordnung abzurechnenden freiberuflichen Leistungen mit nur einem einzigen Unternehmen verhandeln zu dürfen (vgl. hierzu Soudry, in: Vergabeblog Nr. 28077 vom 01.12.2016).

3. Vergabeunterlagen

Vertragsstrafen sollen weiterhin die Ausnahme bleiben: Wie schon in § 9 Abs. 2 VOL/A sollen sie auch nach § 21 Abs. 3 UVgO nur dann vereinbart werden dürfen, wenn die Überschreitung der Ausführungsfrist erhebliche Nachteile verursachen kann.

Auch Sicherheitsleistungen sollen – wie schon nach § 9 Abs. 4 VOL/A – nach § 21 Abs. 5 UVgO nur ausnahmsweise gefordert werden.

4. Nebenangebote

Keine Änderung im Vergleich zur VOL/A, aber eine Abkehr von der geplanten Vereinheitlichung des Unter- und Oberschwellenvergaberechts: Öffentliche Auftraggeber sollen bei zugelassenen Nebenangeboten nicht zwingend Mindestanforderungen festlegen müssen, § 25 Abs. 2 des Entwurfs ist ersatzlos weggefallen. Haben sie jedoch Mindestangebote vorgegeben, so sollen sie gemäß § 42 Abs. 2 UVgO nur Angebote berücksichtigen dürfen, die diese erfüllen. Im Oberschwellenbereich schreibt § 35 Abs. 2 VgV die Festlegung von Mindestanforderungen vor.

5. Ausschluss wegen Schlechtleistung

Die Anforderungen an den Ausschluss eines Bieters wegen früherer Schlechtleistung wurden im Vergleich zum GWB-Vergaberecht deutlich gesenkt: § 31 Abs. 2 S. 5 UVgO fordert für einen Ausschluss nur noch, dass ein Bieter einen früheren öffentlichen Auftrag mangelhaft erfüllt hat. Anders als nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ist nicht erforderlich, dass die mangelhafte Ausführung auch zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Öffentliche Auftraggeber sind jedoch gut beraten, hiervon nicht vorschnell Gebrauch zu machen, denn die Beweislast für das Vorliegen von Ausschlussgründen tragen sie. Sofern es im Einzelfall an einer gerichtfest messbaren Sanktion fehlt, wird es künftig im Besonderen auf eine ausführliche Dokumentation der Mängel ankommen.


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6. Verschiedenes

Aufbewahrung: Gemäß § 6 Abs. 2 UVgO müssen öffentliche Auftraggeber die Dokumentation des Vergabeverfahrens einschließlich der Angebote, Teilnahmeanträge und Anlagen mindestens drei Jahre ab dem Zuschlag aufbewahren – in der letzten Entwurfsfassung waren noch fünf Jahre vorgesehen.

Information: § 46 Abs. 2 des Entwurfs enthielt – wie schon § 19 Abs. 2 VOL/A – die Verpflichtung, relevante Informationen über vergebene Aufträge ab einem Wert von 25.000 Euro im Internet zu veröffentlichen. Diese Pflicht, die wie bisher für Beschränkte Ausschreibungen und Verhandlungsvergaben ohne Teilnahmewettbewerb gelten sollte, ist in der Endfassung der UVgO ersatzlos weggefallen. Dasselbe Schicksal ereilte auch § 48 Abs. 2 des Entwurfs: Danach sollten öffentliche Auftraggeber die Bewerber und Bieter davon unterrichten müssen, wieso sie nach Aufhebung des Vergabeverfahrens auf die Vergabe des Auftrags oder auf ein erneutes Vergabeverfahren verzichteten. Die Abkehr von diesem „eisernen Grundsatz“ erscheint im Hinblick auf das Transparenzgebot des § 2 Abs. 1 S. 1 UVgO bedenklich.

Registrierung: Unternehmen sollen auf Verlangen eine eindeutige Unternehmensbezeichnung sowie eine elektronische Adresse benennen müssen, § 7 Abs. 3 UVgO. Diese Regelung ist wortgleich zu § 9 Abs. 3 VgV.

Klarstellung: Der Verweis in § 42 Abs. 1 Hs. 1 auf §§ 123, 124 des GWB ist entfallen. Zum einen war der Verweis auf das GWB missverständlich. Zum anderen ergibt sich der Ausschluss ungeeigneter oder von §§ 123, 124 GWB betroffener Unternehmen schon aus § 31 Abs. 1 UVgO.

Wie geht es weiter?

Während als sicher gilt, dass der Bund die UVgO bis zum Frühjahr 2017 durch entsprechenden Erlass für anwendbar erklären wird, ist offen, ob und welche Länder dem folgen werden. Ist die Reform des nationalen Vergaberechts einmal abgeschlossen, könnten sich Bund und Land an das nächste große Thema wagen: die Kodifizierung eines einheitlichen Rechtsschutzes in Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte.

Hinweis der Redaktion: Wir empfehlen weiterführend und vertiefend zum Thema den zweiteiligen Beitrag des Autors „Das Wichtigste zur neuen Unterschwellenvergabeordnung (UVgO)“ in Vergabeblog.de vom 01/12/2016, Nr. 28077 und Vergabeblog.de vom 11/12/2016, Nr. 28201.

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Aufklärungspflicht des Auftraggebers bei vermeintlichen Unterkostenangeboten (VK Thüringen, Beschl. v. 08.11.2016 – 250-4002-7852/2016-N-012-KYF)

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BauleistungenRecht

EntscheidungBei vermeintlichen Unterkostenangeboten ist der Auftraggeber verpflichtet, gezielte positions- und titelbezogene Fragen zur Aufklärung eines objektiv ungewöhnlich niedrigen Angebotes zu stellen.

 

§ 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A

Leitsatz

  1. Auch ein ungewöhnlich niedriger Angebotspreis ist als angemessen anzusehen, wenn das zugehörige Angebot des Bieters unter Berücksichtigung des rationellen Baubetriebs und sparsamer Wirtschaftsführung eine einwandfreie Ausführung ohne absehbare Nachtragsforderungen einschließlich der Haftung für Mängelrechte erwarten lässt.
  2. Dem Auftraggeber obliegt es, dem Bieter durch gezielte positions- und titelbezogene Anfragen Gelegenheit zu einer Aufklärung der von ihm benannten auffälligen Positionen oder Titel zu geben.

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte nach dem 1. Abschnitt der VOB/A (Basisparagraphen) die Umstellung der städtischen Straßenbeleuchtung auf LED national ausgeschrieben. Im Eröffnungstermin lagen 3 Angebote vor, wobei das Angebot des Bieters A das günstigste war, während die Angebote der beiden Mitbieter 79% bzw. 80 % über dem Angebot des A lagen. Daher hatte der AG den Bieter A am 23.09.2016 um schriftliche Aufklärung über die Ermittlung seines Angebotes gebeten. Mit Schreiben vom 26.09.2016 legte A darauf als Nachweis seiner Projektkalkulation das ausgefüllte Formular 221 VHB Preisermittlung über Zuschlagskalkulation vor. Eine weitere Nachfrage des AG erfolgte nicht. Vielmehr teilte der AG dem A mit, dass sein Angebot nicht in die engere Wahl komme, weil begründete, nicht ausgeräumte Zweifel bezüglich seines unangemessen niedrigen Preises bestünden. Einer darauf folgenden Beanstandung des A half der AG nicht ab und übergab die Vergabeakte der Vergabekammer zur Klärung.

Die Entscheidung

Die VK erkennt das Vergabeverfahren als rechtswidrig und verpflichtet den AG zur erneuten Wertung der Angebote. Eine Abweichung von mehr als 10% rechtfertigt allein nicht automatisch die Nichtberücksichtigung des betreffenden Angebotes. Es besteht zunächst nur der Verdacht, dass das Angebot unangemessen niedrig sei. Diesen Verdacht der Unangemessenheit kann der Bieter gegenüber dem Auftraggeber durch entsprechende Erklärungen und die Vorlage seiner Kalkulation und anderer Unterlagen aber ausräumen.

Rechtliche Würdigung

Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A obliegt es dem Auftraggeber, den Bieter durch gezielte positions- bzw. titelbezogene Anfragen Gelegenheit zu einer Aufklärung der von ihm benannten auffälligen Positionen oder Titel zu geben. Eine lediglich pauschale Aufforderung zur Erklärung der Kalkulation genügt nicht den Erfordernissen einer sachgerechten Aufklärung. Der Bieter bleibt sonst im Unklaren darüber, in welchen Positionen oder Titeln der Auftraggeber entsprechende Auffälligkeiten festgestellt hat, die nach seiner Meinung einer Aufklärung bedürfen. Ohne konkrete Anfragen ist der Bieter, der sein Angebot unter Ausnutzung der ihm zustehenden Kalkulationsfreiheit erstellt hat, nicht in der Lage, die betreffenden Positionen oder Titel zu erkennen und entsprechende Erklärungen, gegebenenfalls in Textform, abzugeben.

Der AG hat in seiner Stellungnahme gegenüber der VK selbst ein Argument angeführt, welches ein von einem realistischen Preis abweichendes Angebot rechtfertigt, nämlich die Tatsache, dass A ein Tochterunternehmen eines chinesischen Herstellers und somit in der Lage ist, die geforderten Leuchten sehr viel günstiger als die Mitbewerber anzubieten. Dieses Argument ist von ihm jedoch nicht selbst einer tiefergehenderen Prüfung unterzogen und rechtlich bewertet, sondern offenkundig ohne weiteres als Grund für die Nichtberücksichtigung des Angebotes gesehen worden. Technische Gründe, die gegen eine Installation der angebotenen Leuchten sprechen, sind aus der vorgelegten Vergabeakte indes nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen worden.
Allein ein großer Angebotsunterschied rechtfertigt nicht die Auffassung des AG bzw. des Fachplaners, aus diesem Grund von einer entsprechenden nochmaligen Aufforderung zur Aufklärung abzusehen. Es obliegt nicht dem AG, mögliche Aussagen des A vorwegzunehmen bzw. diesem von vornherein zu unterstellen, dieser könne einen entsprechenden Abstand nicht aufklären.

Aus diesen Gründen ist der Ausschluss des Angebotes des A rechtswidrig; der AG muss daher die Angebote einer erneuten Wertung unterziehen.

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Praxistipp

In Bundesland Thüringen besteht (ebenso wie in Sachsen- Anhalt) die Besonderheit, dass bei Bauvergaben unterhalb des europäischen Schwellenwertes, aber oberhalb einer Wertgrenze von 150.000 EUR den Bietern ein Vergaberechtschutz durch die Vergabekammern zur Verfügung steht. Beanstandet dort ein Bieter das Verfahren und hilft der AG dieser Beanstandung nicht ab, muss der AG selbst die VK unter gleichzeitiger Übersendung der Vergabeakte unterrichten. Inhaltlich ist die Entscheidung deshalb interessant, da sie dem AG aufzeigt, wie die Aufklärung gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A bei Vorliegen eines Unterkostenangebotes konkret auszusehen hat. Kann der Bieter die Fragen des AG beantworten bzw. seinen Angebotspreis vernünftig begründen (hier: besonders günstiger Einkauf), kann die Abweichung des Angebotes von einem realistischen Preis gerechtfertigt sein und darf nicht ohne weitere Prüfung als Grund für die Nichtberücksichtigung des Angebotes herangezogen werden.

The post Aufklärungspflicht des Auftraggebers bei vermeintlichen Unterkostenangeboten (VK Thüringen, Beschl. v. 08.11.2016 – 250-4002-7852/2016-N-012-KYF) appeared first on Vergabeblog.

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