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Rückforderung von Fördermitteln bei Nichtbeachtung der Binnenmarktrelevanz öffentlicher Aufträge

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Die Rückforderung von Fördermitteln bei Vergaberechtsverstößen ist immer eine heikle Sache. Oft vergeht eine lange Zeit, bis der Verstoß festgestellt wird, dabei ist das Projekt schon längst erfolgreich abgeschlossen. Eine Rückforderung trifft die Zuwendungsempfänger meist schwer. Über das Thema wird derzeit auch im DVNW diskutiert. Unser Autor Michael Pilarski nimmt sich in seinem heutigen Beitrag der Fragestellung an, ob auch eine etwaige Nichtbeachtung der Binnenmarktrelevanz zu einer Rückforderung von Zuwendungsmitteln führen könnte:

I. Einleitung

Die praktische Umsetzung der Binnenmarktrelevanz öffentlicher Aufträge im Unterschwellenbereich, die Kriterien sowie Folgen wurden bereits im Vergabeblog.de vom 26/01/2017, Nr. 28917, thematisch behandelt. Noch einmal kurz zusammengefasst bedeutet Binnenmarktrelevanz, dass die Erteilung eines öffentlichen Auftrags für Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten des EU-Binnenmarkts interessant sein kann. Grundsätzlich werden Aufträge mit geschätzten Auftragswerten unterhalb der EU-Schwellenwerte unterschwellig, das heißt nach nationalem Vergaberecht, vergeben. Öffentliche Aufträge, die die EU-Schwellenwerte überschreiten, müssen oberschwellig, das heißt europaweit ausgeschrieben werden. Stellt ein öffentlicher Auftraggeber im Rahmen einer Unterschwellen-Vergabe das Vorliegen der Binnenmarktrelevanz fest, weil ein grenzüberschreitendes Interesse am öffentlichen Auftrag besteht, so muss er in der Folge die Vorgaben des europäischen Primärrechts einhalten.

Vor diesem Hintergrund ist die Frage interessant, ob ein Fördermittelgeber bei Nichtbeachtung der Binnenmarktrelevanz zum Widerruf der Zuwendung und zur Rückforderung der Fördermittel berechtigt ist, wenn der Zuwendungsempfänger einen öffentlichen Auftrag mit grenzüberschreitendem Interesse nicht entsprechend dem EU-Primärrecht mit den gegenüber dem nationalen Recht erhöhten vergaberechtlichen Anforderungen vergeben hat.

II. Grundsätzliche Bindung an das Vergaberecht

Zuwendungsempfänger sind grundsätzlich durch Regelungen im Fördervertrag oder durch Auflagen in Förderbescheiden zur Einhaltung des Vergaberechts verpflichtet. Grundsätzlich werden in der Förderung Bescheide erlassen, in denen direkt Auflagen enthalten sind, oder zumindest allgemeine Nebenbestimmungen zum Gegenstand des Förderbescheids gemacht, die eine Pflicht zur Einhaltung des Vergaberechts für Zuwendungsempfänger begründen.

Die Frage, ob die Fördermittel durch den Fördermittelgeber zurückgefordert werden können, wenn der Zuwendungsempfänger trotz Vorliegens eines grenzüberschreitenden Interesses bei der Unterschwellen-Vergabe die erhöhten Anforderungen des EU-Primärrechts nicht erfüllt hat, hängt also davon ab, ob die Formulierung der konkreten Regelung, Nebenbestimmung bzw. Auflage im Zuwendungsrechts-Verhältnis diese Verpflichtung zur Einhaltung der erhöhten Anforderungen des EU-Primärrechts und damit zur Beachtung der Binnenmarktrelevanz umfasst.

In den Bundesländern sowie auf Bundesebene sind allgemeine Nebenbestimmungen, die zum Gegenstand der Förderung gemacht werden, in unterschiedlicher Weise ausgestaltet.

Die ANBest-GK für Gebietskörperschaften, die ANBest-I für die institutionelle Förderung, die ANBest-P für die Projektförderung sowie die ANBest-K für die kommunalen Körperschaften enthalten regelmäßig Regelungen zur Vergabepflicht jeweils unter der Ziffer 3. Dort wird festgelegt, dass der Zuwendungsempfänger bei der Beauftragung von Dritten das GWB, den 2. Abschnitt der VOL/A bzw. die VgV, den 1. und 2. Abschnitt der VOB/A, den 1. Abschnitt der VOL/A bzw. die UVgO, das Mittelstandsförderungsgesetz (MFG), Wertgrenzenverordnungen oder -erlasse sowie die Umweltrichtlinien zum öffentlichen Auftragswesen zu beachten hat. Zudem wird zuweilen die Verpflichtung des Zuwendungsempfängers mit Verweisen auf übrige Haushaltsbestimmungen oder „andere Vergabebestimmungen“ festgelegt.

Die ANBest-ESF/EFRE enthalten für den oberschwelligen Bereich üblicherweise ebenfalls Regelungen zur Anwendbarkeit des GWB, des 2. Abschnitts VOL/A bzw. der VgV, des 2. Abschnitts VOB/A und für den unterschwelligen Bereich zur Anwendbarkeit des 1. Abschnitts VOL/A bzw. der UVgO, des 1. Abschnitts VOB/A sowie der Wertgrenzenverordnungen bzw. -erlasse bei der Auftragsvergabe. Ähnlich ist es oftmals in den ANBest-ELER geregelt.

Allen allgemeinen Nebenbestimmungen ist im Wesentlichen gemein, dass die Frage der Art der jeweils im konkreten Fall anzuwendenden Bestimmungen davon abhängt, welcher Leistungsart der zu vergebende Auftrag unterfällt, ob die EU-Schwellenwerte über- oder unterschritten werden und ob es sich um einen öffentlichen oder privaten Auftraggeber handelt, der Zuwendungen erhält.

Durch die genannten Regelungen in den Bescheiden selbst oder in den Nebenbestimmungen sind damit sowohl öffentliche Auftraggeber als auch private Auftraggeber an unterschiedliche vergaberechtliche Regelungen gegenüber dem Fördermittelgeber gebunden. Würde die Anwendbarkeit dieser Regelungen nicht auf diese Weise festgelegt werden, wären weder private noch öffentliche Auftraggeber im Zuwendungsrechts-Verhältnis gegenüber dem Fördermittelgeber zur Einhaltung des Vergaberechts verpflichtet, auch wenn unter Umständen Letztere den Rechnungshöfen gegenüber vergaberechtlich Rechenschaft ablegen müssen. Denn dies betrifft nicht das Zuwendungsrechts-Verhältnis.

III. Ist Nichtbeachtung der Binnenmarktrelevanz ein Auflagenverstoß?

Damit der Fördermittelgeber gegenüber Zuwendungsempfängern die Zuwendungen jedoch widerrufen und zurückfordern kann, benötigt er eine Rechtsgrundlage. Als Rechtsgrundlage für den Widerruf sowie die Rückforderung kommen grundsätzlich §§ 49 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, 49a Abs. 1 VwVfG in Betracht. Danach kann ein rechtmäßiger Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen und die Fördergelder zurückgefordert werden, wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht erfüllt hat.

Kern des Problems bei der Verpflichtung zur Einhaltung des EU-Primärrechts bei öffentlichen Aufträgen im Unterschwellenbereich ist die Frage, ob die Nichtbeachtung der Binnenmarktrelevanz als „Vergabeverstoß“ im Zuwendungsrechtsverhältnis gleichzeitig einen Auflagenverstoß darstellt.

Gegen eine Auflage kann ein Zuwendungsempfänger nur dann verstoßen, wenn die Auflage wirksam Bestandteil des Förderbescheids geworden ist.

Aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGHs sowie der Mitteilung der EU-Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht (2006/C 179/02) ergibt sich, dass bei Unterschwellen-Vergaben von öffentlichen Auftraggebern, bei denen die EU-Vergaberichtlinien wegen Unterschreitens der EU-Schwellenwerte keine Anwendung finden, bei Vorliegen der Binnenmarktrelevanz des öffentlichen Auftrags dennoch das EU-Primärrecht Anwendung findet.

Das EU-Primärrecht umfasst die EU-Grundfreiheiten und die EU-Grundsätze. Dazu zählen genauer der EU-Vertrag (EUV), der Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV), der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom), die Grundrechte-Charta sowie allgemeine Rechtsgrundsätze. Darunter fallen der freie Warenverkehr, die Niederlassungsfreiheit, die Dienstleistungsfreiheit und die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, Gleichbehandlung, Transparenz, Verhältnismäßigkeit und der gegenseitigen Anerkennung.

Die oben genannten Arten von Nebenbestimmungen zu den Förderbescheiden beinhalten für Zuwendungsempfänger in der Regel Verweise auf die Verpflichtung zur Einhaltung des GWB, des 2. Abschnitts VOL/A bzw. der VgV, 1. Abschnitts VOL/A bzw. der UVgO, des 1. und 2. Abschnitts VOB/A, des MFG, der Wertgrenzenverordnungen oder -erlasse, der allgemeinen haushaltsrechtlichen Vorschriften oder bestenfalls „anderer Vergabebestimmungen“. In den Bescheiden selbst sieht es regelmäßig nicht anders aus.

Aus diesen Regelungskomplexen wird das Kriterium der Binnenmarktrelevanz jedoch nicht abgeleitet. Abgeleitet wird die Verpflichtung zur Einhaltung der im Vergleich zum nationalen Vergaberecht erhöhten Anforderungen beim Vorliegen von grenzüberschreitendem Interesse insbesondere aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und dem EU-Vertrag (EUV). Der freie Warenverkehr ist in Art. 28 – 37 AUEV, die Niederlassungsfreiheit in Art. 49 – 55 AEUV, die Dienstleistungsfreiheit in Art. 56 – 62 AEUV, die Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung in Art. 10, 18 – 25 AEUV, die Transparenz in Art. 15 AEUV, die Verhältnismäßigkeit in Art. 5 EUV sowie die gegenseitige Anerkennung in Art. 81, 82 AUEV EU-primärrechtlich geregelt.

Konkret und ausdrücklich wird in den Regelungen zur Einhaltung des Vergaberechts in den Bescheiden, Nebenbestimmungen bzw. Auflagen auf diese Artikel des AEUV und EUV nicht verwiesen. Auch pauschal erfolgt keine Erklärung der Anwendbarkeit des EU-Primärrechts.

Der Begriff der Binnenmarktrelevanz oder des grenzüberschreitenden Interesses wird selbst nicht erwähnt. Die vom EuGH aufgestellten und in der genannten Mitteilung der EU-Kommission aufgeführten Kriterien und Folgen beim Vorliegen eines grenzüberschreitenden Interesses eines öffentlichen Auftrags finden dort auch keine Erwähnung.

Die Binnenmarktrelevanz ist auch nicht Ausfluss haushaltsrechtlicher Bestimmungen, die lediglich im Sinne der so genannten Haushaltslösung das Unterschwellen-Vergaberecht gestalten und die vorrangig der Einhaltung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei der Verwendung öffentlicher Gelder, nicht jedoch der Sicherung eines EU-Binnenmarktes mit den oben genannten EU-Grundfreiheiten und EU-Grundsätzen dienen.

Allenfalls erwogen werden kann, ob das EU-Primärrecht sich unter die in den Bescheiden oftmals zu findende Formulierung der „anderen Vergabebestimmungen“ fassen lässt.

Im Ergebnis muss dies nach Ansicht des Verfassers verneint werden. Sicherlich können mit „anderen Vergabebestimmungen“ Regelungen der VgV, des GWB, der Vertrags- und Vergabeordnungen und der Gestaltung des Vergaberechts dienende Vergabegesetze, Tariftreuegesetze, Verordnungen und Erlasse gemeint sein, die eigens für Zwecke der Gestaltung ordnungsgemäßer Vergabeverfahren kodifiziert wurden, wenn sie keine eigenständige ausdrückliche Erwähnung in den Nebenbestimmungen finden.

Das EU-Primärrecht stellt jedoch die Spitze der Normhierarchie des Unionsrechts dar. Mit seinen Grundfreiheiten und Grundsätzen verfolgt es den Sinn und Zweck die Grundordnung der Europäischen Union zu bestimmen. Es wurde aber nicht speziell und konkret zur Ausgestaltung des Vergaberechts kodifiziert. Darüber hinaus richtet es sich an öffentliche Auftraggeber in den Mitgliedstaaten, das heißt, insbesondere die Gebietskörperschaften wie der Bund, die Länder und die Kommunen. Private Auftraggeber sind jedoch bei ihrem Handeln grundsätzlich nicht gehalten, das EU-Primärrecht zu beachten. Ihnen kommt in der freien Marktwirtschaft die Privatautonomie in Form der Vertragsfreiheit zu.

IV. Überlagerung durch das EU-Recht

Etwas Anderes wird sich allenfalls in der Förderung mit EU-Mitteln ergeben, da das EU-Recht das nationale Recht überlagert. Dazu wurde im Rahmen der Förderung bereits im Vergabeblog.de vom 29/01/2018, Nr. 35265 ausführlich Stellung genommen. Da sich die Förderung mit EU-Mitteln, ihre Verwaltung, Begleitung sowie Kontrolle nach dem EU-Recht richten, für dessen wirksame Durchsetzung das Effizienzgebot des „effet utile“ gilt, ist es trotz fehlenden Verweises auf die Pflicht zur Beachtung der Binnenmarktrelevanz öffentlicher Aufträge möglich, dass EU-Mittel aufgrund von Rechtsgrundlagen in den entsprechenden EU-Verordnungen wiedereingezogen werden. Das gilt dann unabhängig von der Wirksamkeit eines Bescheids, der Nebenbestimmung oder einer Auflage.

V. Fazit

Zwar hängt es stets von der Formulierung der Bescheide, Nebenbestimmungen bzw. Auflagen im konkreten Einzelfall ab: Im Ergebnis werden Förderverträge und Förderbescheide aber regelmäßig nicht dahingehend ausgelegt werden können, dass der Fördermittelgeber Konsequenzen gegenüber dem Zuwendungsempfänger aus wegen Nichtbeachtung der Binnenmarktrelevanz herrührender Vergabewidrigkeit wird knüpfen können. Das gilt sowohl für öffentliche als auch private Auftraggeber. Ein Zuwendungsempfänger wird daher unter Umständen europarechtswidrig, nicht jedoch förderrechtswidrig handeln. Bei der EU-Förderung wird es wegen des vorherrschenden Effizienzgebots zur wirksamen Durchsetzung des EU-Rechts jedoch unter Umständen für Fördermittelgeber dennoch möglich sein, die EU-Mittel bei Nichtbeachtung der Binnenmarktrelevanz durch Zuwendungsempfänger wiedereinzuziehen.

VI. Praxistipp

Für die Praxis bedeutet dies: Unter Umständen und abhängig von der Formulierung der konkreten Regelung oder Nebenbestimmung bzw. Auflage im Förderbescheid können Widerrufe und Rückforderungen von Fördermitteln wegen Nichtbeachtung der Binnenmarktrelevanz rechtswidrig sein. Zuwendungsempfänger sollten sich jedoch nicht darauf verlassen und es auf einen Rechtsstreit ankommen lassen. Es ist daher zwingend anzuraten, Vergabeverfahren dennoch stets in Abstimmung mit dem Fördermittelgeber durchzuführen. Bei der Förderung mit EU-Mitteln ist ohnehin höchste Vorsicht und Absprache mit dem Fördermittelgeber geboten, da in diesem Bereich durch das Effizienzgebot strengere und höhere rechtliche Anforderungen herrschen und die Fördermittel bei Unregelmäßigkeiten in Form von Vergabeverstößen fast ausnahmslos wiedereingezogen werden dürfen.

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Auftragsbekanntmachung – Verweis auf die Eignungskriterien genügt (VK Nordbayern, Beschl. v. 09.04.2018 – RMF-SG21-3194-3-5)

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EntscheidungDie Eignungskriterien in einem Vergabeverfahren müssen nicht abschließend in der Auftragsbekanntmachung enthalten sein, vielmehr kann die Auftragsbekanntmachung für die Eignungskriterien auf die nach § 12a EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt elektronisch abrufbaren Ausschreibungsunterlagen verweisen.

§ 97 Abs. 1 GWB, § 122 Abs. 4 GWB, § 12a EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A, § 16 EU Nr. 4 VOB/A

Leitsatz

  1. Ein Direktlink in der Auftragsbekanntmachung genügt, die Eignungskriterien wirksam bekanntzumachen. Entscheidend ist, dass ein Bieter, der die Bekanntmachung durchsieht, ohne Mitwirkung der Vergabestelle Kenntnis von den Eignungskriterien als auch von den vorzulegenden Unterlagen, mit denen die Eignung zu belegen ist, nehmen kann.
  2. Legt ein Bieter eignungsbezogene Erklärungen oder Nachweise, deren Vorlage sich der Auftraggeber vorbehalten hat, auf Anforderung nicht innerhalb einer angemessenen, nach dem Kalender bestimmten Frist vor, muss sein Angebot ausgeschlossen werden. Die Angemessenheit der Frist für jede Erklärung oder jeden Nachweis bestimmt sich nach dem Umfang des Aufwands, der zur Beibringung der jeweils geforderten Unterlage notwendig ist.
  3. Bei einem Sachverhalt, wenn die Bieterin bezüglich der geforderten Referenzbescheinigungen zum Ausdruck bringt, dass sie alle Unterlagen, die sie beibringen wollte, auch vorgelegt hat, kann sie sich später nicht darauf berufen, dass die Frist unangemessen kurz gewesen sei.

Sachverhalt

Der öffentliche Auftraggeber schrieb im offenen Verfahren nach der VOB/A-EU die Ausführung von Wärmeverbundsystemarbeiten aus. Die Ausschreibungsunterlagen wurden unter einem in der Auftragsbekanntmachung enthaltenen Link uneingeschränkt und direkt zum Download bereitgestellt. Zu den Eignungskriterien im Vergabeverfahren hieß es in der Auftragsbekanntmachung: „Eignungskriterien gemäß Auftragsunterlagen“. Öffnete ein Interessent den Downloadlink für die Ausschreibungsunterlagen, stieß er unter anderem auf eine sofort sichtbare PDF-Datei mit der Bezeichnung: „124 Bekanntmachung zur Eignung“. Diese PDF Datei enthielt das Formblatt 124 (Eigenerklärung zur Eignung für nicht präqualifizierte Unternehmen) des Vergabehandbuches Bayern (VHB), in dem sich der Auftraggeber im Vergabeverfahren die Forderung der Vorlage von Referenzbescheinigungen für drei Referenzaufträge von den Unternehmen in der engeren Wahl vorbehielt.

Die Antragstellerin gab ein Angebot ab. Im Rahmen der Eignungsprüfung forderte der öffentliche Auftraggeber die Antragstellerin unter anderem dazu auf, zu drei Referenzaufträgen detaillierte Angaben zu machen und Referenzbescheinigungen in Anlehnung an das dem Formblatt 124 Eigenerklärung zur Eignung beiliegenden Muster innerhalb einer 6-tägigen Frist vorzulegen. Für den Fall des Nichteinreichens der geforderten Referenzbescheinigungen wies der öffentliche Auftraggeber auf den zwingenden Ausschluss des Angebotes nach § 16 EU Nr. 4 VOB/A, wegen des Nichtvorlegens von Unterlagen, deren Anforderung sich der öffentliche Auftraggeber vorbehalten habe, hin.

Innerhalb der Frist machte die Antragstellerin zu drei Referenzaufträgen die geforderten Angaben, legte jedoch keine Referenzbescheinigungen vor. Insbesondere aufgrund der fehlenden Referenzbescheinigungen wurde die Antragstellerin daraufhin vom Vergabeverfahren ausgeschlossen. Der öffentliche Auftraggeber informierte die Antragstellerin über den Ausschluss und die beabsichtigte Erteilung des Zuschlags an ein anderes Unternehmen. Gegen diese Entscheidung wendete sich die Antragstellerin nach erfolgloser Rüge im Wege des Nachprüfungsverfahrens. Im Verlauf des Nachprüfungsverfahrens legt die Antragstellerin eine formell fehlerhafte Referenzbescheinigung für den Referenzauftrag 1 vor.

Die Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag hat keinen Erfolg. Nach Auffassung der VK Nordbayern sei insbesondere der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin nach § 16 EU Nr. 4 VOB/A rechtmäßig erfolgt, da die Antragstellerin die geforderten Referenzbescheinigungen nicht vorgelegt habe.

Entsprechend dem Formblatt 124 VHB habe der öffentliche Auftraggeber rechtswirksam festgelegt, dass Bieter, falls sie in die engere Wahl kommen, für drei Referenzen jeweils Referenzbescheinigungen vorlegen müssen. Für die rechtswirksame Festlegung dieser Eignungsanforderung habe ein Direktlink in der Auftragsbekanntmachung genügt. Entscheidend sei, dass ein Bieter, der die Bekanntmachung durchsehe, ohne Mitwirkung der Vergabestelle Kenntnis von den Eignungskriterien als auch von den vorzulegenden Unterlagen, mit denen die Eignung zu belegen ist, nehmen könne. Dies sei bei einem Direktlink auf die Ausschreibungsunterlagen erfüllt. Durch das Öffnen des Direktlinks aus der Auftragsbekanntmachung zeige sich unter anderem für den Bieter sofort sichtbar ein PDF-Symbol mit der Bezeichnung 124 Bekanntmachung zur Eignung. Bei diesem PDF-Dokument handele es sich um das Formblatt 124 des Vergabehandbuchs Bayern (VHB). Dadurch sei gewährleistet gewesen, dass der Bieter ohne Weiteres an das Formblatt 124 VHB mit den geforderten Eignungskriterien und Nachweisen gelange. Jeder Bieter habe durch diese Gestaltung der Auftragsbekanntmachung erkennen können, ob er als potenziell geeigneter Wettbewerbsteilnehmer in Betracht komme. Da der öffentliche Auftraggeber sich die Forderung von Referenzbescheinigungen für drei Referenzaufträge im Formblatt 124 vorbehalten habe, diese Referenzbescheinigungen von der Antragstellerin auch konkret gefordert habe und die Antragstellerin dieser Forderung nicht innerhalb der dafür gesetzten Frist nachgekommen sei, sei ihr Angebot vom Vergabeverfahren zwingend auszuschließen gewesen.

Rechtliche Würdigung

Nachdem die VK Nordbayern im Beschluss vom 03.08.2017 – 21. VK-3194-14/17 bereits für die Vorinformation für die Bekanntgabe der Eignungskriterien und ihrer Nachweise eine Verlinkung auf einen Anhang zur Vorinformation als ausreichend ansah, wendet sie ihre Auffassung zur Verlinkung auch auf die Auftragsbekanntmachung an. Entscheidend ist schließlich, dass ein Bieter, der die Bekanntmachung durchsieht, ohne Mitwirkung der Vergabestelle Kenntnis von den Eignungskriterien als auch von den vorzulegenden Unterlagen, mit denen die Eignung zu belegen ist, nehmen kann. Damit schließt sich die VK Nordbayern der VK Südbayern an, die in einem ähnlich gelagerten Fall für das modernisierte Vergaberecht nach dem April 2016 ebenfalls die Verlinkung auf die in den Ausschreibungsunterlagen enthaltenen Eignungskriterien als ausreichend ansah (VK Südbayern, Beschl. v. 16.10.2017 – Z3-3-3194-1-30-06/17).

Vor der Vergaberechtsreform vom April 2016 war es zumindest umstritten, ob ein Hinweis in der Auftragsbekanntmachung auf die in den Ausschreibungsunterlagen enthaltenen Eignungskriterien ausreichend war (dagegen damals noch: VK Südbayern, Beschl. v. 10.09.2013 – Z3-3-3194-1-22-08/13; zumindest die für den Eignungsnachweis vorzulegenden Unterlagen müssten durch die Bekanntmachung abschließend benannt werden: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.06.2010 – Verg 18/10).

Ob diese Auffassung auf das modernisierte Vergaberecht übertragen werden kann, ist fraglich. Nach dem § 12a EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A müssen die Ausschreibungsunterlagen ohnehin unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt zum Download bereitgestellt werden. Der Link für diesen Download muss in der Auftragsbekanntmachung enthalten sein. Interessenten müssen nach dem modernisierten Vergaberecht somit nur noch dem Direktlink folgen, um die Eignungskriterien und die vorzulegenden Unterlagen zur Kenntnis zu nehmen. Dies ist ein überschaubarer Aufwand für jeden Interessenten. Zudem gestattet das EU-Standardformular zur Auftragsbekanntmachung hinsichtlich der Eignungskriterien und der vorzulegenden Unterlagen ausdrücklich den Verweis auf die Ausschreibungsunterlagen. Es wäre daher widersprüchlich etwas als vergaberechtswidrig einzustufen, was das Formblatt ausdrücklich zulässt. Darüber hinaus ist für die Auftraggeber der Verweis auf die Ausschreibungsunterlagen allerdings eine entscheidende Erleichterung. Von ihnen wird nicht mehr gefordert, die Eignungskriterien und die dazu vorzulegenden Unterlagen im Detail in die engen Felder des EU-Standardformulars zu füllen. In der Vergangenheit waren hier wohl auch insbesondere aufgrund der unübersichtlichen Gestaltung der Eingabemaske Fehler zu beobachten, die allen Beteiligten am Vergabeverfahren viel Kopfzerbrechen bescherten. Vor diesem Hintergrund ist sowohl für die Interessenten als auch für die öffentlichen Auftraggeber zu hoffen, dass sich die Rechtsprechung der VK Nordbayern und der VK Südbayern durchsetzt und eine Verlinkung auf die Ausschreibungsunterlagen künftig ausreicht.

Praxistipp

Die Auffassung der VK Nordbayern und der VK Südbayern ist nicht unumstritten. Insbesondere hält wohl die VK Bund an der für das Vergaberecht vor dem April 2018 vertretenen Auffassung fest (VK Bund, Beschl. v. 18.09.2017 – VK 2-96/17).

Äußerungen anderer Vergabenachprüfungsinstanzen zur Position der VK Nordbayern liegen – soweit ersichtlich – noch nicht vor. Öffentliche Auftraggeber sollten daher bis zur Bildung einer gefestigten Rechtsprechung einstweilen von einer bloßen Verlinkung auf die Eignungskriterien in den Ausschreibungsunterlagen absehen. Die Entwicklung der Rechtsprechung sollte abgewartet werden.

Hinweis der Radaktion
Im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) wird derzeit in dem Fachausschuss Recht zu dem Thema: „Eignungskriterien und -nachweise“ diskutiert. Diskutieren Sie mit. Noch kein Mitglied? Zur kostenlosen Mitgliedschaft geht es hier.

The post Auftragsbekanntmachung – Verweis auf die Eignungskriterien genügt (VK Nordbayern, Beschl. v. 09.04.2018 – RMF-SG21-3194-3-5) appeared first on Vergabeblog.

Zur Ausschreibung der Nachrüstung von Abfallsammelbehältern mit Ident-Chips (VK Hessen, Beschl. v. 17.05.2018 – 69d VK 2 – 18/2018)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungEin Nachprüfungsantrag ist nur zulässig, wenn eine Rechtsverletzung oder ein drohender Schaden dargetan wird.

Wenn ein Bieter kein Angebot abgibt, muss er für jede Rüge dartun, dass die vermeintliche Rechtsverletzung ihn in eigenen Rechten verletzen würde. Insoweit gilt die im Rahmen des Art. 19 GG, § 42 Abs. 2 VwGO anerkannte Möglichkeitstheorie entsprechend auch im Vergaberecht.

§ 160 Abs. 2 VgV

Sachverhalt

Der Antragsgegner schrieb die Nachrüstung seines Bestands an Abfallsammelbehältern (ca. 170.000 Stück) mit Ident-Chips in einem offenen Verfahren aus. Der Behälterbestand beinhaltete dabei einen geringen Anteil an Abfallsammelbehältern, die werkseitig noch nicht über ein so genanntes Chip-Nest zur Aufnahme der Chips verfügt. Daher war Ausschreibungsgegenstand auch das Nachfräsen eines solchen Chipnests, wo dies notwendig war. Der Antragsgegner legte dabei den Bietern das Risiko auf, dass durch das Nachfräsen Abfallsammelbehälter kaputt gehen sollten.

Die spätere Antragstellerin rügte einen Tag vor Angebotsende insgesamt 18 vermeintliche Vergaberechtsverstöße und gab kein Angebot ab. Der Antragsgegner führte die Submission plangemäß am nächsten Tag durch und beantwortete das Rügeschreiben erst nach der Submission. Dabei half er einigen Rügen ab, andere wies er zurück.

Bereits zuvor, also vor Erhalt der Antwort auf ihre Rügen, leitete die Antragstellerin das Nachprüfungsverfahren ein. Mit ihrem Nachprüfungsantrag verfolgte sie ihre Rügen weiter.

Im Folgenden sollen nicht alle Rügen besprochen werden, sondern nur die rechtlich und praktisch interessanten Fragestellungen behandelt werden.

Die Entscheidung

Die Antragstellerin scheiterte mit ihre Nachprüfungsantrag. Der Nachprüfungsantrag erwies sich teilweise bereits als unzulässig, im Übrigen als unbegründet.

Die Antragstellerin konnte für eine Vielzahl von Rügen keine subjektive Rechtsverletzung bzw. keinen drohenden Schaden darlegen.

Nur bespielhaft erwähnt sei die Rüge der vermeintlich rechtswidrig unterbliebenen Losteilung. Die Antragstellerin sah die Notwendigkeit, ein Fachlos nur für das Nachfräsen zu bilden. Da sie aber gleichzeitig erklärte, sie könne auch ohne Losteilung ein Angebot abgeben, sah die Vergabekammer insoweit keine Rechtsverletzung.

Weiter wurde vorgetragen, das Nachfräsen verstoße gegen arbeitsschutzrechtliche Vorschriften. Auch hier sah die Vergabekammer keine Antragsbefugnis, da die Einhaltung von Vorschriften des Arbeitsschutzrechts nicht in ihre Prüfungskompetenz falle.

Ebenso sah die Vergabekammer keine Rechtsverletzung in dem Umstand, dass die Bieter das Beschädigungsrisiko im Falle des Nachfräsens zu tragen hatten.

Unter anderem für die nachfolgenden Rügen hat die Vergabekammer die Antragsbefugnis der Antrgastellerin bejaht:

  1. Vorgabe, dass elektronische Angebote nur mit fortgeschrittener oder qualifizierter elektronischer Signatur eingereicht werden konnten.
  2. Zeitliches Zusammenfallen von Angebotsfristende und Angebotsöffnung.
  3. Länge der Bindefrist

Die Vorgabe einer fortgeschrittenen oder qualifizierten elektronischer Signatur für die elektronische Angebotseinreichung hat die Vergabekammer akzeptiert, da der Antragsgegner ein nach § 53 Abs. 3 VgV erhöhtes Sicherheitsniveau dargelegt hat. Der Antragsgegner hatte insoweit vorgetragen, dass ein hart umkämpfter Markt vorliege und insoweit die Angebotsinhalte vor dem Zugriff Dritter geschützt werden müsse.

Das zeitliches Zusammenfallen von Angebotsfristende und Angebotsöffnung (beide Termine waren in den Vergabeunterlagen auf den 27.03.2018 um 12:00 Uhr festgelegt) sei bereits nach § 55 Abs. 2 statthaft. Im Übrigen läge zwischen Angebotsende und Angebotsöffnung eine juristische bzw. logische Sekunde. Außerdem reiche es, wenn sicher gestellt ist, dass die Angebotsöffnung nach der Angebotsfrist stattfinde. Das war ausweislich der Niederschrift über die Eröffnung der Angebote gegeben.

Auch die als zu lang gerügte Bindefrist (vorgegeben war als Ende der Bindefrist der 31.07.2018, Angebotseröffnung war am 27.03.2018) hielt die Vergabekammer für angemessen. Der Antragsgegner hatte sich für die Bemessung der Bindefrist darauf berufen, dass er notwendige Gremienläufe, die Angebotswertung und eine mögliche Vergabenachprüfung berücksichtigt habe. Vor diesem Hintergrund hielt die Vergabekammer die viermonatige Bindefrist für angemessen.

In ihrer Kostenentscheidung bejahte die Vergabekammer die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für den Antragsgegner. Zur Begründung führte sie aus, dass in diesem Nachprüfungsverfahren nicht nur auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen gehörten, sondern darüber hinaus auch Rechtsfragen, die gerade vor dem Hintergrund der Vergaberechtsmodernisierung nicht ohne anwaltliche Hilfe beantwortet werden können. Außerdem sei eine anwaltliche Unterstützung auch vor dem Hintergrund der Waffengleichheit und der umfangreichen Rügen und kurzen Fristen.

Rechtliche Würdigung

Der Entscheidung der Vergabekammer ist in allen Punkten zuzustimmen. Insbesondere ist der Vergabekammer dabei beizupflichten, dass nur insoweit Nachprüfung verlangt werden kann, als es um die Verletzung subjektiver Bieterrechte geht. Dogmatisch hätte m.E. auch die Rüge des Zusammenfallens von Angebots- und Bindefrist als unzulässig eingeordnet werden müssen, da auch insoweit keine Rechtsverletzung erkennbar ist.

Zuzustimmen ist der Vergabekammer vor allem im Hinblick auf die Zulässigkeit einer viermonatigen Bindefrist. Aus der eigenen Beratungspraxis kann der Verfasser bestätigen, dass insbesondere die Einbindung der politischen Gremien auf der Zeitschiene große Probleme bereiten kann. Als Denkanstoß sei darauf hingewiesen, dass die Zuschlagsentscheidung in nahezu allen Fällen eine rechtlich gebundenen Entscheidung ist; das Gremium also nur eine einzige rechtmäßige Entscheidung treffen kann. Wenn das so ist sollte man daher darüber nachdenken, ob nicht bereits bei dem Beschluss, eine Ausschreibung zu starten schon eine Ermächtigung für die Verwaltung ausgesprochen wird, entsprechend dem Ausschreibungsergebnis auch den Zuschlag zu erteilen.

Praxistipp

Für die Bieter: Prüfen Sie immer sorgfältig, ob bei einem möglichen Vergaberechtsverstoß auch eine Verletzung in eigenen Rechten oder ein drohender Schaden dargetan werden kann. Ist das nicht der Fall, ist eine Nachprüfung nicht nur erfolglos, sondern auch noch teuer. Teuer deswegen, weil im vorliegenden Fall die Antragstellerin neben den Gebühren der Vergabekammer auch die Anwaltskosten des Antragsgegners (neben den eigenen) zu tragen hat.

Und warten Sie bitte eine Antwort der Vergabestelle auf ihre Rüge ab, bevor Sie einen Nachprüfungsantrag stellen.

Für die öffentlichen Auftraggeber: Von praktischer Relevanz sind vor allem die Ausführungen zu der hier zulässigen viermonatigen Bindefrist. Gleichwohl ist davor zu warnen, dies als Freibrief für lange Bindefristen zu verstehen. Es ist immer im konkreten Einzelfall zu prüfen, wie lange die Bindefrist sein darf. Immerhin ist durch diese Entscheidung klar, dass ein mögliches Nachprüfungsverfahren bei der Bemessung der Bindefrist ebenso berücksichtigt werden darf wie die notwendige Gremienbefassung.

Der Verfasser hat in diesem Nachprüfungsverfahren den Antragsgegner vertreten.

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Heilung von Dokumentationsmängeln bei der Festlegung des Beschaffungsgegenstands (OLG München, Beschl. v. 09.03.2018 – Verg 10/17)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungDie Festlegung des Beschaffungsgegenstands unterliegt vergaberechtlichen Grenzen. Die Anforderungen an die zu beschaffenden Leistungen müssen durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt sein, nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe müssen angegeben und die Bestimmung muss willkürfrei getroffen worden sein. Eine aktuelle Entscheidung des OLG München befasst sich mit der Frage, was ein Auftraggeber tun muss, damit eine zunächst nicht hinreichend dokumentierte Ausübung seines Leistungsbestimmungsrechts einem Angriff im Nachprüfungsverfahren standhält.

§ 167 GWB, § 8 VgV

Leitsatz (nicht amtlich)

Die Heilung von Dokumentationsmängeln hinsichtlich der Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts erfordert, dass der Auftraggeber eine ausreichende Abwägung der zunächst nicht berücksichtigten Informationen und Erkenntnisse mit seinen bisherigen Erwägungen anstellt. Der Auftraggeber muss eine neue und ergebnisoffene Bewertung aller relevanten Aspekte anstellen.

Sachverhalt

Der Auftraggeber schreibt die Vergabe von Entsorgungsdienstleistungen aus. Der bei den Straßenbaumaßnahmen der staatlichen Bauämter anfallende teer- und pechhaltige Straßenaufbruch soll in einer geeigneten Verwertungsanlage thermisch verwertet werden. Der Antragsteller beanstandet, dass die Verpflichtung zur vollständigen thermischen Verwertung nicht im Einklang mit den Vorschriften des Kreislaufwirtschaftsgesetzes stehe. Es handele sich nicht um die umweltschonendste Maßnahme. Es müsse zumindest gestattet sein, den Straßenaufbruch im Deponiebau verwerten zu können.

In der Vergabeakte ist nicht dokumentiert, aufgrund welcher Erwägungen und unter Berücksichtigung welcher Aspekte sich die Vergabestelle auf die thermische Verwertung als einzig zulässige Maßnahme festgelegt hat. Im Nachprüfungsverfahren geht der Auftraggeber auf die Argumente des Antragstellers ein. Er legt dar, aus welchen Gründen er seine Festlegung bei einer Abwägung der Vor- und Nachteile der verschiedenen Verwertungsmethoden für vertretbar erachtet.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer hatte den Nachprüfungsantrag mit Verweis auf das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht München der sofortigen Beschwerde des Antragstellers statt und hebt die Entscheidung der Vergabekammer auf.

Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 8.2.2011 – X ZB 4/10) stellt das Oberlandesgericht fest, dass nicht jeder Dokumentationsmangel zur Notwendigkeit der Anordnung der Wiederholung der betreffenden Verfahrensabschnitte führe, weil andernfalls der Ablauf des Vergabeverfahrens unangemessen beeinträchtigt werden könne. Eine Heilung von Dokumentationsmängeln sei möglich, wenn der Auftraggeber die Dokumentation nachhole und Gründe dartue, die er nach Aufhebung in einem wiederholten Verfahren ohne weiteres seiner Entscheidung zugrunde legen kann.

Dies sei aber dann anders zu beurteilen, wenn zu besorgen sei, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten. Beide Möglichkeiten der Verwertung seien nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz vertretbare Optionen. Im Zusammenhang mit der vorgesehenen thermischen Verwertung sei zu berücksichtigen, dass hierfür ein Transport zu einer Anlage in den Niederlanden erforderlich sei, was entsprechende Umweltfolgen nach sich ziehe. Inhaltlich eingehender geprüft werden müsse auch der Aspekt, dass die thermische Verwertung vor Ort zu weiteren Emissionen führe und welcher Energieeinsatz nötig sei, um bestimmte Inhaltsstoffe zu beseitigen und stattdessen nutzbares Material zu gewinnen.

Der Senat gibt dem Auftraggeber auf, das Vergabeverfahren in den Stand vor Bekanntmachung zurückzuversetzen und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut über die Vorgaben für seine Beschaffungsmaßnahme zu entscheiden.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des OLG München zeigt, dass Vergabestellen nicht darauf spekulieren sollten, mit dem Totschlagargument der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers jeden gegen die konkrete Festlegung des Beschaffungsgegenstands gerichteten Nachprüfungsantrag abschmettern zu können. Zwar geht das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers im Grundsatz weit. Das vom OLG Koblenz (Beschl. v. 5.9.2002 – Verg 2/02) im Zusammenhang mit einer Schienenverkehrsausschreibung formulierte Bild, dass die Ausstattung der Zugtoiletten mit goldenen Armaturen mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Fall für die Aufsichtsbehörde oder den Rechnungshof, vergaberechtlich jedoch nicht zu beanstanden ist, gilt nach wie vor. Ebenso gelten aber auch die insbesondere vom OLG Düsseldorf herausgearbeiteten vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers. Danach muss die Bestimmung der Anforderungen an die zu beschaffenden Leistungen durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt sein, nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe müssen angegeben, die Bestimmung muss willkürfrei getroffen worden, die angegebenen Gründe müssen tatsächlich vorhanden sein und die Bestimmung darf andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminieren (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 7.6.2017 – Verg 53/16; Beschl. v. 14.9.2016 – Verg 10/12; Beschl. v. 27.6.2012 – Verg 7/12).

Nachdem das OLG München keine hinreichende Dokumentation der Gründe für die Festlegung des Beschaffungsgegenstands in der Vergabeakte finden konnte, kam es darauf an, ob es dem Auftraggeber gelungen war, diesen Mangels im Nachprüfungsverfahren zu heilen. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 8.2.2011 – X ZB 4/10) und des OLG Düsseldorf (Beschl. v. 9.5.2018; Beschl. v. 21.10.2015 – Verg 28/14) bejaht das OLG München im Grundsatz die Heilungsmöglichkeit, lehnt im konkreten Fall aber eine Heilung aufgrund der nicht vollständig geklärten Sachverhaltsfragen und der seiner Meinung nach nicht ausreichenden Abwägung aller relevanten Aspekte im Ergebnis ab.

Praxistipp

Die Rechtsprechung zur Heilung von Dokumentationsmängeln geht auf das im Nachprüfungsverfahren geltende Beschleunigungsgebot zurück. Ein Vergabeverfahren soll daher dann nicht zurück auf Start gesetzt werden, wenn es aufgrund der zwischenzeitlichen Heilung des Dokumentationsmangels in wettbewerbskonformer Weise fortgeführt werden kann.

Hieran hatte das OLG München offenkundig Zweifel, da es keine vollständige Klärung der Sachverhaltsfragen erkennen konnte und die Gefahr einer bloß ergebnisorientierten Bewertung der Tatsachen sah. Auch im vom OLG München entschiedenen Fall hätte der Auftraggeber seine Ausschreibung möglicherweise noch retten können, wenn er sich im Rahmen seines Vortrags im Nachprüfungsverfahren mit den vom Antragsteller vorgetragenen Argumenten vertiefter auseinandergesetzt und dabei einen stärkeren Fokus auf eine ergebnisoffene Abwägung mit seiner bisherigen Einschätzung gelegt hätte.

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Freihändige Vergabe in Polen – Immer mehr Aufträge werden ohne Wettbewerb vergeben

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Recht

Das polnische Vergabegesetz sieht vor, dass öffentliche Auftraggeber den Auftrag nach Verhandlungen mit nur einem Unternehmen vergeben können (sog. Freihändige Vergabe). Andere potentielle Bieter werden in diesem Verfahren nicht zur Verhandlung eingeladen. Von einem solchen Verfahren können interessierte Bieter auch erst nach Vertragsschluss erfahren. Denn eine freihändige Vergabe muss nicht zwingend vor dem Vertragsschluss bekannt gemacht werden.

Wann ist die freihändige Vergabe in Polen zulässig?

Der Auftrag kann vor allem dann freihändig vergeben werden, wenn Lieferungen, Dienstleistungen oder Bauleistungen nur durch ein Unternehmen erbracht werden können, und zwar aus technischen Gründen objektiver Art, aus Gründen im Zusammenhang mit dem Schutz von ausschließlichen Rechten oder falls der Auftrag im kreativen oder künstlerischen Bereich zu vergeben ist.

Eine Freihändige Vergabe ist auch dann zulässig, wenn im Hinblick auf eine besondere Situation, die sich aus Gründen ergibt, die nicht vom Auftraggeber zu vertreten sind und von ihm nicht vorausgesehen werden konnten, der Auftrag dringend ausgeführt werden muss.

Von einem wettbewerblichen Vergabeverfahren kann auch abgesehen werden, wenn in einem vorher durchgeführten wettbewerblichen Verfahren kein Teilnahmeantrag eingegangen ist oder kein Angebot abgegeben wurde, beziehungsweise wenn alle Angebote wegen deren Unvereinbarkeit mit der Beschreibung des Auftragsgegenstandes abgelehnt worden sind oder alle Bieter von dem Verfahren ausgeschlossen wurden und die ursprünglichen Auftragsbedingungen nicht wesentlich geändert worden sind.

Des Weiteren kann der Auftrag dem bisherigen Anbieter von Dienstleistungen oder Bauleistungen freihändig vergeben werden, wenn dies in der Bekanntmachung des Hauptauftrags vorgesehen war, der Auftrag dem Gegenstand des Hauptauftrags entspricht und in der Wiederholung von vergleichbaren Dienstleistungen oder Bauleistungen besteht. Bezieht sich der Auftrag auf zusätzliche Lieferaufträge, die eine teilweise Ersetzung der gelieferten Produkte oder Anlagen oder die Erhöhung laufender Lieferungen oder die Erweiterung bestehender Anlagen zum Zweck haben, so kann er dem bisherigen Anbieter vergeben werden, wenn bei Auftragnehmerwechsel der Auftraggeber das Material mit anderen technischen Eigenschaften erwerben müsste, was zu einer technischen Inkompatibilität oder zu unverhältnismäßig großen technischen Schwierigkeiten bei der Nutzung und Instandhaltung dieser Produkte oder Anlagen führen würde.

Ein Rechtsinstitut, das Polen als eines der wenigen EU-Länder eingeführt hat, ist die sog. Inhouse-Vergabe. Bei der Inhouse-Vergabe an eine juristische Person müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

– Der öffentliche Auftraggeber übt über die juristische Person eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Organisationseinheiten aus und diese Kontrolle beruht auf dem beherrschenden Einfluss auf die strategischen Ziele und maßgebliche Entscheidungen bezüglich der Verwaltung der Angelegenheiten der kontrollierten juristischen Person;

– Mehr als 90% der Tätigkeiten der kontrollierten juristischen Person müssen sich auf die Ausübung der Aufgaben beziehen, mit denen sie vom beherrschenden öffentlichen Auftraggeber betraut wurde;

– An der kontrollierten juristischen Person besteht keine direkte private Kapitalbeteiligung.

Freihändige Vergabe in der polnischen Praxis

Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Auftragsbekanntmachung und mit nur einem Anbieter sind nach den unionsrechtlichen Vorschriften zulässig. Und sie kommen auch in anderen Mitgliedstaaten vor. Allerdings sieht das polnische Recht sehr viele Gründe für die Freihändige Vergabe vor. Obwohl sich Pendants dazu oft auch in den Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten oder aber unmittelbar im Unionsrecht finden, werden die Gründe für die Wahl eben dieses Vergabeverfahrens in letzter Zeit sehr weit, sogar liberal, verstanden.

Anders als in den zurückliegenden Jahren wählen polnische Auftraggeber diese Vergabeform immer öfter. Mehr und mehr findet die Freihändige Vergabe in Polen bei besonders staatsrelevanten Aufträgen mit sehr hohem Auftragswert Verwendung. Freihändig werden Aufträge sowohl durch zentrale öffentliche Auftraggeber (z.B. eines der letzten Vergabeverfahren für die Beschaffung von Hubschraubern für die Polizei) als auch kleinere öffentliche Auftraggeber, davon im kommunalen Bereich (Auftragsvergaben zur Abholung von Siedlungsabfällen an eigene, oft gerade für diesen Zweck gegründete Gesellschaften) vergeben. Obwohl die Freihändige Vergabe nach den unionsrechtlichen Vorschriften angesichts der negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen zur Anwendung kommen sollte, kann man den Eindruck gewinnen, dass sie in Polen ihren außergewöhnlichen Charakter verliert.

Die Wahl dieser Vergabeform durch den öffentlichen Auftraggeber kann angefochten werden. In Streitfällen in diesem Bereich entscheiden die Landesberufungsbehörde (poln. abgekürzt: KIO, zentrale Nachprüfungsstelle in Polen) und – im zweiten Rechtszug – ordentliche Gerichte (Bezirksgerichte).

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Bei der Vergabe von Architektenleistungen sollte das Bewusstsein für „Baukultur“ gestärkt werden

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BauleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

Barbara Ettinger-Brinckmann, Präsidentin der Bundesarchitketenkammer (BAK), kritisierte auf dem 2. Bau-Vergabetag des DVNW, dass eine unbedachte Anwendung des Vergaberechts insbesondere für kleinere Architektenbüros nicht selten zum Ausschluss führe. Über 80 Prozent der Architekturbüros in Deutschland verfügten über weniger als vier Mitarbeiter. Werde im Rahmen der Eignungsprüfung zudem auf den Jahresumsatz anhand des geschätzten Auftragswerts abgestellt, schließe man damit etwa 90 Prozent der Büros aus. Eignungskriterien sollten daher nur auf absolut notwendige Kriterien beschränkt werden, um einen besseren Zugang zu öffentlichen Aufträgen für KMU zu gewährleisten.

Den vollständigen Vortrag können Sie hier nachlesen.

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Kein automatischer Ausschluss von Konzernunternehmen (EuGH, Urt. v. 17.5.2018 – C-531/16 – Specializuotas transportas)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

Entscheidung-EUWenn sich zwei oder mehrere konzernverbundene Unternehmen an einem Vergabeverfahren mit verschiedenen Angeboten beteiligen, kann der vergaberechtliche Geheimwettbewerb gefährdet sein. Öffentliche Auftraggeber sind daher häufig mit besonderen Vergabefragen konfrontiert.

Art. 18 Abs. 1 UA 1 RL 2014/24/EU; § 97 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GWB, § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB

Leitsatz

Miteinander verbundene Bieter, die in demselben Vergabeverfahren gesonderte Angebote einreichen, sind nicht verpflichtet, von sich aus dem öffentlichen Auftraggeber ihre Konzernverbindungen offenzulegen, wenn dies ausdrücklich weder speziell in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen noch allgemein normativ gefordert ist.

Sachverhalt

Ein litauisches Abfallbewirtschaftungszentrum veröffentlichte einen Auftrag zur Sammlung kommunaler Abfälle. Vier Unternehmen reichten ein Angebot ein. Zwei Bieter waren Tochtergesellschaften eines nicht am Vergabewettbewerb teilnehmenden Unternehmens. Die Leitungsorgane der beiden Bieter waren mit denselben natürlichen Personen besetzt. Die Vergabeunterlagen verpflichteten ebenso wie das litauische Vergaberecht – die Bieter nicht dazu, ihre Verbindungen mit anderen an demselben Vergabeverfahren teilnehmenden Unternehmen offenzulegen.

Ein Konkurrent der beiden Bieter rügte, dass diese als verbundene Unternehmen gelten und dadurch die vergaberechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz verletzt würden. Die Angebote der beiden Bieter wären deshalb auszuschließen.

Die Entscheidung

Die Luxemburger Richter erinnern daran, dass das EU-Vergaberecht miteinander verbundenen Unternehmen nicht generell verbietet, Angebote in einem Vergabeverfahren abzugeben. Denn es besteht ein unionsweites Interesse daran, dass die Beteiligung möglichst vieler Bieter an einer Ausschreibung sichergestellt wird. Ein systematischer Ausschluss miteinander verbundener Unternehmen würde dem zuwiderlaufen (Rdnr. 21).

Außerdem ist es nicht ausgeschlossen, dass abhängige Unternehmen bei der Teilnahme an Vergabeverfahren über eine gewisse Eigenständigkeit verfügen. So können miteinander verbundene Unternehmen z.B. die Unabhängigkeit und Vertraulichkeit bei der Ausarbeitung von Angeboten für dasselbe Vergabeverfahren vertraglich geregelt haben (Rdnr. 22).

Eine Offenlegungspflicht der Bieter über ihre Verbindung mit anderen Bietern besteht allerdings nicht per se. Für die Bieter wäre die genaue Tragweite einer nicht geregelten oder ausbedungenen Offenlegungsverpflichtung schwer zu erkennen, weil es wegen der Natur des Vergabeverfahrens nicht immer möglich wäre, die Identität aller Bieter ein und desselben Verfahrens vor dem Ende der Angebotsabgabefrist in Erfahrung zu bringen. Wegen der Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung bedarf eine Offenlegungspflicht daher entweder einer normativen Regelung oder einer eindeutigen Festlegung in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen (Rdnr. 24).

Besteht keine solche im Voraus eindeutig festgelegte Offenlegungsverpflichtung miteinander verbundener Unternehmen, sind die Angebote solcher Firmen in demselben Vergabeverfahren als vergaberechtskonform einzustufen, solange und soweit keine objektiven Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die von den miteinander verbundenen Bietern eingereichten Angebote abgesprochen oder abgestimmt sind, d.h. weder eigenständig noch unabhängig abgegeben wurden (Rdnr. 25).

Hat ein öffentlicher Auftraggeber objektive Anhaltspunkte erlangt, die an der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit eines Angebotes zweifeln lassen, so muss er aber alle relevanten Umstände prüfen, um Verstöße gegen die eigenständige und unabhängige Angebotsabgabe zu verhindern, aufzudecken und zu beheben. Gegebenenfalls muss der öffentliche Auftraggeber die betroffenen Bieter auffordern, bestimmte Informationen und Beweise vorzulegen (Rdnr. 33).

Ein Angebotsausschluss kommt dann in Betracht, wenn festzustellen ist, dass die Verbindung zwischen den Bietern den Inhalt der in demselben Vergabeverfahren eingereichten Angebote beeinflusst hat. Dagegen berechtigt die bloße Feststellung eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen den miteinander verbundenen Unternehmen aufgrund von Eigentum oder wegen der Anzahl der Stimmrechte, den öffentlichen Auftraggeber noch nicht dazu, diese Unternehmen automatisch auszuschließen, ohne zu prüfen, ob sich die Verbindung auf das Verhalten der Unternehmen in diesem Vergabeverfahren konkret ausgewirkt hat (Rdnr. 38).

Rechtliche Würdigung

Der EuGH hat seine Rechtsprechung (Urt. v. 19.5.2009 C-538/07 Assitur) bestätigt, dass die Beteiligung konzernverbundener Unternehmen an ein und demselben Vergabeverfahren zu keiner unwiderleglichen Vermutung dergestalt führt, dass die Angebote wegen der gesellschaftsrechtlichen, organisatorischen oder personellen Verflechtung stets voneinander beeinflusst werden (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.5.2011 VII-Verg 8/11). Erlangt der öffentliche Auftraggeber allerdings Kenntnis (bspw. aufgrund einer Verfahrensrüge) von der Konzernverbundenheit von Bietern, muss er aktiv werden und prüfen, ob die Angebote der betroffenen Unternehmen tatsächlich eigenständig und unabhängig eingereicht wurden (vgl. auch EuGH, Urt. v. 12.3.2015 C-538/13 eVigilio, Rdnr. 44).

Objektive Anhaltspunkte für eine solche Kenntnis kann sich der öffentliche Auftraggeber auch dadurch verschaffen, indem er schon in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen eindeutig festlegt, dass die Bieter ihre Kozernverbindungen offenzulegen haben. Fehlt eine solche Regelung hingegen, sind konzernverbundene Unternehmen nicht von sich aus verpflichtet, ihre Konzernverflechtung (z.B. bereits mit der Angebotsabgabe) zu offenbaren.

Praxistipp

Öffentliche Auftraggeber dürften gut beraten sein, möglichst frühzeitig Konzernverbindungen der Bieter in Erfahrung zu bringen. Hierzu dient die eindeutige Festlegung einer entsprechenden Offenbarungspflicht in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen. Konzernverbundenen Unternehmen obliegt es dann, die konkreten Umstände und Vorkehrungen (z.B. organisatorische, technische, räumliche, personelle Trennung, sog. chinese walls) darzulegen, die eine Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Angebotsabgabe nachweisen. Andernfalls droht der Angebotsausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB.

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Neuregelungen im nordrhein-westfälischen Unterschwellenrecht

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Liefer- & DienstleistungenRecht

In NRW ist seit dem 9.6.2018 die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) in Kraft. Die UVgO betrifft Liefer- und Dienstleistungsaufträge und ist zum jetzigen Zeitpunkt in Kraft gesetzt worden für Auftraggeber, die der Landeshaushaltsordnung unterfallen – sprich Landesbehörden.

Rechtliche Grundlage für das Inkrafttreten der UVgO sind geänderte Verwaltungsvorschriften (VV) zu § 55 der Landeshaushaltsordnung. Diese beinhalten den Anwendungsbefehl für die UVgO (vgl. Nr. 2 VV zu § 55 LHO). Daneben werden auch die bisherigen Schwellenwerte abgelöst und durch großzügigere Beträge ersetzt. Im Liefer- und Dienstleistungsbereich gilt diesbezüglich Folgendes (vgl. Nr. 2.2 VV zu § 55 LHO):

  • bis 50.000 € netto ist die beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb zulässig
  • bis 25.000 € netto ist die Verhandlungsvergabe ohne weitere Begründung zulässig

Bei Bauleistungen verdoppeln sich die Wertgrenzen des § 3a Absatz 2 Nummer 1 VOB/A, wenn vor einer beschränkten Ausschreibung ein Teilnahmewettbewerb durchgeführt wird und die freihändige Vergabe ist bis 25.000 € netto zulässig.

Auch der Wert für Direktaufträge ist angehoben worden. Diese sind bis 1.000 € netto ohne Vergabeverfahren, jedoch mit Mindestdokumentation und unter Einhaltung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit möglich (vgl. Nr. 2.2.3 VV zu § 55 LHO).

Im Hinblick auf die elektronische Vergabe gilt in NRW, dass die Auftraggeber zur Nutzung der E-Vergabeplattform Vergabemarktplatz NRW verpflichtet sind (vgl. Nr. 3 VV zu § 55 LHO). Eine Ausnahme hierzu und zugleich eine praktische Erleichterung der Verfahrensabwicklung für Bieter und Auftraggeber findet sich darin, dass Verfahren bis 25.000 € netto per E-Mail abgewickelt werden können. Gleiches gilt für die Fälle des § 12 Absatz 3 UVgO, wonach, wenn nur ein Unternehmen in Betracht kommt (§ 8 Absatz 4 Nr. 9-14 UVgO), ebenfalls eine Abwicklung per E-Mail möglich ist.

Aus Sicht der Praxis sind die Verfahrenserleichterungen, die Anhebung der Wertgrenzen sowie die Einführung der UVgO zu begrüßen. Zeitgleich mit den Änderungen ist auch das „Vergabehandbuch des Landes Nordrhein-Westfalen für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen“, auf dessen Anwendung die Öffentlichen Auftraggeber bei UVgO-Vergaben verpflichtet worden sind (vgl. Nr. 6 VV zu § 55 LHO), aktualisiert worden.

Insgesamt stellt die Reform einen weiteren Schritt zur Rechtsvereinheitlichung des Haushaltsvergaberechts in Deutschland dar.

Für eine Verpflichtung der kommunalen Auftraggeber auf die UVgO und somit eine flächendeckende Einführung der UVgO in NRW, müsste noch der Runderlass Kommunale Vergabegrundsätze, der derzeit überarbeitet wird, entsprechend angepasst werden.

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Blockchains und Smart Contracts – der Bitcoin erreicht das Vergaberecht

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ITKRechtUNBEDINGT LESEN!

Die Blockchain-Technologie als Basis verschiedener Kryptowährungen ist spätestens seit der rasanten Kurssteigerung des Bitcoin im Dezember letzten Jahres in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Grund genug, die Technologie und ihre Anwendungsmöglichkeiten aus einer ganz anderen Perspektive zu beleuchten, nämlich die der öffentlichen Hand im Vergaberecht. Denn Blockchain und sogenannte Smart Contracts könnten die Abwicklung von Vergabeverfahren künftig stark vereinfachen.

Blockchain – Was ist das?

Eine Blockchain besteht aus digitalen Datensätzen, den sogenannten Blöcken („block“), die miteinander verkettet („chain“) sind. Zum besseren Verständnis der Blockchain hilft ein Blick auf die Kryptowährungen, weil dies ihr bisher größter Anwendungsbereich ist.

In den Blockchains von Kryptowährungen sind, vereinfacht gesprochen, alle Finanz-Transaktionen seit der Entwicklung einer digitalen Währung gespeichert – von der Übertragung der ersten generierten Einheit („coin“) an eine digitale Geldbörse („wallet“) bis hin zur aktuellsten Überweisung eines Coins von einem Käufer an einen Verkäufer. Während der Umlauf einer physischen Euro-Münze nicht mehr nachvollzogen werden kann, sobald sie einmal das eigene Portemonnaie verlassen hat, sind die Wege der digitalen Währungseinheiten in der Blockchain lückenlos, für immer und grundsätzlich für jedermann nachvollziehbar.

Eine Transaktion wird innerhalb eines Blocks gespeichert. Weil die Blöcke nur eine begrenzte Kapazität haben, müssen stets neue Blöcke produziert werden („mining“). Dies geschieht durch aufwändige kryptographische Rechenoperationen. Ein neu generierter Block enthält die sogenannte Prüfsumme („hash“) des vorherigen Blocks. Dadurch erhält jeder neue Block seine feste Position am aktuellen Ende der Kette – die Blockchain wächst.

Die Bitcoin-Blockchain liegt in zigtausenden identischen Kopien weltweit verteilt vor. Diese dezentrale Ausrichtung gewährleistet eine hohe Sicherheit vor Manipulationsversuchen. So können etwa einmal übertragene Bitcoins kein zweites Mal übertragen werden, weil in der Blockchain verzeichnet ist, wann sie an wen übertragen wurden. Auch Angriffe gegen die Blockchain des Bitcoin sind kaum erfolgversprechend: Ein Angreifer, der etwa vergangene Transaktionen an sich selbst umleiten möchte, müsste leistungsfähiger sein als 50% der Produzenten von Bitcoin-Blöcken zusammen („51-Prozent-Angriff“), was als praktisch ausgeschlossenes Szenario gilt.

Kurz gesagt, können durch die Blockchain-Technologie neue Datensätze gespeichert werden, die allein durch ihre Existenz beweisen, dass die vorangegangenen Datensätze so und nicht anders gespeichert wurden – die Blockchain bestätigt sich permanent selbst.

Und was sind Smart Contracts?

Smart Contracts sind digitale Abbildungen von Verträgen, die selbständig die Erfüllung von Vertragsbedingungen überwachen (deshalb „smart“) und bei ihrem Eintritt zuvor festgelegte Ereignisse auslösen, beispielsweise Zahlungen freigeben können. Eine Art von Smart Contracts existiert schon seit einiger Zeit im Finanzmarktbereich: Eine Bank verpflichtet sich etwa gegenüber ihrem Kunden, seine Aktien automatisch zum Verkauf anzubieten, wenn ein bestimmter Kurswert unterschritten wird, um Verluste zu begrenzen. Standardisierte Transaktionen lassen sich auf diese Weise automatisch abwickeln.

Smart Contracts lassen sich auch mit der Blockchain-Technologie verknüpfen: Dabei werden etwa Vertragspflichten und die bei Erfüllung der Pflichten auszulösenden Ereignisse in einer Blockchain gespeichert. Haben etwa zwei Parteien eines Kaufvertrags Zweifel an der Zuverlässigkeit des jeweils anderen, können sie die Kaufpreiszahlung über die digitale Geldbörse eines vertrauensvollen Mittelsmanns, etwa einer Bank, laufen lassen, der das Geld beim Eintritt der vordefinierten Bedingung (etwa: Übertragung von Aktien auf Depot des Käufers) automatisiert per Smart Contract an den Verkäufer auszahlt. Die Bank übernimmt in diesem Fall die Rolle eines Quasi-Notars.

Wo macht die Blockchain im Vergaberecht Sinn?

In der Verwaltung reichen die Vorschläge von elektronischen Wahlen bis hin zur vollautomatischen Abwicklung staatlicher Leistungen. Während diese Szenarien bislang nur als grobe Ideen im Raum stehen, gibt es für einige vergaberechtlich relevante Bereiche konkrete Planungen. Dabei geht es hauptsächlich um Modalitäten öffentlicher Register, der Verifizierung und der Herkunftsnachweise.

Nahezu alle öffentlichen Register lassen sich über eine Blockchain abbilden. „Die Idee ist insofern naheliegend, als die Blockchain mit ihrer nachweisbaren, transparenten Dokumentation von Transaktionen einer klassischen Registerführung sehr ähnelt.“, heißt es beim Kompetenzzentrum Öffentliche IT (nachfolgend: KIT). Diese Register können dezentral verwaltet und eingesehen werden. Die Vorlage von Registerauszügen im Vergabeverfahren, etwa zum Nachweis einer Eintragung des Bieters in ein Gewerbe- oder Berufsregister, würde überflüssig.

Elektronische Vergabeverfahren (e-Vergabe) erfordern zwei grundlegende Sicherheitsvorkehrungen. Einerseits muss die Vergabestelle die Gewissheit haben, dass der im e-Vergabe-System angezeigte Firmenname des Bieters mit dem tatsächlichen Bieter übereinstimmt, dass also derjenige die Unterlagen eingereicht hat, der sich dafür ausgibt (Authentizität). Andererseits muss die Vergabestelle der Integrität der ihr übermittelten Daten vertrauen können. Die Daten müssen also so gespeichert werden, wie sie der Bieter abgesendet hat. Dafür sorgen relativ umständliche Verschlüsselungs- und Signatursysteme. Die Blockchain-Technologie könnte den Vorgang vereinfachen: Der Nachweis des Absenders und der Integrität der übermittelten Unterlagen ergibt sich aus den Eintragungen in der manipulationssicheren Blockchain. Darüber hinaus muss die Vergabestelle bisweilen die Echtheit eingereichter öffentlicher Urkunden prüfen. Wenn Behörden öffentliche Urkunden auf elektronischem Wege ausstellen und mit Verifizierungsschlüsseln in der Blockchain hinterlegen würden, könnte die Echtheit der übermittelten Urkunde sehr leicht überprüft werden. Beglaubigte Kopien ließen sich so einsparen. Die Echtheit eines Auszugs etwa aus dem Gewerbezentralregister mit hinterlegtem Verifizierungsschlüssel könnte von jedermann überprüft werden.

Ein weiterer Anwendungsfall betrifft Herkunftsnachweise. Häufig müssen in Vergabeverfahren Herkunft und Produktionsbedingungen der gelieferten Waren nachgewiesen werden, etwa bei der Beschaffung oder Verwendung von zertifiziertem Holz und Holzprodukten. Nur selten besteht ein praktikables und funktionierendes System dafür. Nach dem KIT können durch die Blockchain-Technologie aber „Eigentümerwechsel oder eine Verwendung in einem anderen Produkt dargestellt werden. Auf diese Weise können Produktions- und Wertschöpfungsketten oder Wartungszyklen nachvollzogen werden.“ Herkunftsnachweise würden die Bieter nicht mehr vor unlösbare Aufgaben stellen, wenn sie durch Rückgriff auf die Eintragungen einer Blockchain erbracht werden können, und könnten im Vergabeverfahren bedenkenlos verlangt werden.

Gibt es auch Nachteile und Grenzen der Blockchain-Technologie?

Ja, einige. Da die Blockchain-Technologie auf der Lösung kryptographischer Rechenaufgaben basiert, muss hierfür Rechenleistung aufgewendet werden, die Strom verbraucht. Wie viel Strom benötigt wird, hängt von der Beschaffenheit der jeweiligen Blockchain ab. So benötigte das Bitcoin-Netzwerk im Mai 2018 bereits mehr Strom als die gesamte Schweiz – Tendenz steigend. Weil die kryptographischen Aufgaben mit der Zeit immer schwieriger zu lösen sind, steigt der Stromverbrauch exponentiell an. Deshalb gibt es bereits alternative Technologien, die ein sich selbst bestätigendes Datensystem mit geringem Energieverbrauch verbinden, beispielsweise der „IOTA-Coin“ durch die sogenannte „tangle“. Diese reichen aber bei Weitem nicht an die Bedeutung der Bitcoin-Blockchain heran.

Der Einsatz energieintensiver Technologie für öffentliche Zwecke muss daher mit dem Ziel der schonenden Verwendung von Ressourcen abgewogen werden.

Hinzu kommen Sicherheitsbedenken beim Einsatz einer eigenen Blockchain durch die öffentliche Hand. Denn in diesem Fall ist nur eine stark begrenzte Anzahl von Rechenzentren an das System angeschlossen, was die Umsetzbarkeit eines 51-Prozent-Angriffs erleichtert. Das KIT gibt daher zu bedenken: „Je größer ein Blockchain-Netzwerk ist, desto unwahrscheinlicher wird diese Möglichkeit. Insbesondere beim Aufbau einer neuen öffentlichen Blockchain mit wenigen Teilnehmern muss dieser Aspekt berücksichtigt werden.“ Dieses Problem kann umgangen werden, wenn die öffentliche Hand bereits etablierte Blockchain-Technologien verwendet, also das sprichwörtliche Rad nicht neu erfindet.

Werden bald nur noch „smarte“ Verträge vergeben?

Nein, der Anwendungsbereich der Smart Contracts ist aktuell noch begrenzt.

Denn eine Blockchain kennt weder Ermessen noch Graubereich. Verträge zu komplexeren Vergabeverfahren lassen sich nicht ohne Weiteres in ein einfaches Wenn-Dann-Schema überführen. Von daher heißt es beim KIT: „Die in jedem Vertragswerk erforderliche Flexibilität geht bei deterministischer Auslegung beispielsweise verloren, weshalb sich grundsätzlich nur vergleichsweise triviale Regelungen abbilden lassen.“ Lediglich bei der Abwicklung von Verträgen über den Kauf von Alltagsgegenständen oder die Erbringung von leicht nachweisbaren Dienstleistungen (z.B. Reinigungs- oder Sicherheitsdienstleistungen) könnte meines Erachtens auf Smart Contracts zurückgegriffen werden. Zeichnet beispielsweise ein Sicherheitsmitarbeiter seine täglichen Kontrollgänge über das Gelände einer Behörde an den einzelnen Meldestellen per Transponder auf und werden diese Daten in einer Blockchain gespeichert, kann ein Smart Contract am Monatsende durch einen automatisierten Abgleich der geleisteten mit den geschuldeten Kontrollgängen die Auftragserfüllung feststellen und die monatliche Vergütung anweisen. Eine manuelle Prüfung der Leistungserbringung durch Behördenmitarbeiter ist zur Zahlungsanweisung nicht mehr nötig – die Effizienz steigt.

Treten allerdings Komplikationen auf (z.B. eine Schlechtleistung), werden menschliche Eingriffe in das Smart-Contract-System erforderlich. Einige Autoren weisen zudem auf die Unvereinbarkeit eines automatisch vollziehenden Vertrags mit einigen Instituten des deutschen Zivilrechts (bspw. der ex-tunc-Nichtigkeit) hin.

Ist der Einsatz von Blockchain-Technologie beim neuen Wettbewerbsregister sinnvoll?

Das ist zumindest zweifelhaft. Denn weder Struktur noch Logik des Wettbewerbsregisters eignen sich für einen Blockchain-Einsatz.

Am 01.06.2017 hat der Deutsche Bundestag das „Gesetz zur Einführung eines bundesweiten Wettbewerbsregisters“ (WRegG) beschlossen, das seit dem 29.07.2017 in Kraft getreten ist. Das Bundeskartellamt richtete zuletzt einen Aufbaustab ein, der nun an der technischen Umsetzung des Registers arbeitet. Seinen Betrieb soll das Wettbewerbsregister 2020 aufnehmen.

Das Wettbewerbsregister ist als rein zentral geführtes Register konzipiert: Allein das Bundeskartellamt trägt die ihm gemeldeten Tatsachen ein und speichert sie. Die Blockchain-Technologie basiert aber auf dezentral gelagerten Datensätzen. Zwar wäre es prinzipiell unter Beibehaltung der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundeskartellamts möglich, die Blockchain des Wettbewerbsregisters bundesweit verteilt zu speichern, etwa auf Servern eines jeden Gewerbeaufsichtsamts. Das Konzept des Wettbewerbsregisters müsste dafür aber – in der Aufbauphase – vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Der technische Aufwand hierfür steht in keinem Verhältnis zum erzielbaren Vorteil der Transparenz und Nachverfolgbarkeit der Registereinträge.

Hinzu kommt, dass diese Vorteile zugleich einen Nachteil mit sich bringen: Die Blockchain kennt keine Löschtaste. Einmal gespeicherte Eintragungen können, ähnlich den Eintragungen in einem Grundbuch, nicht entfernt werden. Möglich ist nur eine neue Eintragung, die die in Bezug genommene widerruft. Trägt die Registerbehörde beispielsweise fälschlicherweise ein Unternehmen wegen einer schweren Straftat in das Wettbewerbsregister ein, bleiben Ein- und Austragung in der Blockchain hinterlegt. Dass ein Unternehmen wegen einer schweren Straftat im Wettbewerbsregister stand, bleibt also für immer in der Blockchain gespeichert – unabhängig von der Richtigkeit der Eintragung. Bei Registern mit erheblicher Stigmatisierungsgefahr sollte die Blockchain-Technologie daher nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen.

Fazit: Verwaltungsvereinfachung, aber keine Revolution

Die Beispiele zeigen: Die Blockchain-Technologie kann zu einer deutlichen Verfahrensvereinfachung führen. In einigen Bereichen wird sich die Technologie sicherlich durchsetzen und auch Vergabestellen und Kanzleien erreichen. Es besteht kein jedoch kein Grund zur Panik. Denn all dies wird nicht über Nacht geschehen. Außerdem ist die Technologie kein Universalwerkzeug, sondern muss mit Bedacht eingesetzt werden.

An der Blockchain-Technologie wird aber unter Hochdruck gearbeitet. In Zukunft sind deshalb weitere Anwendungen denkbar. Vergaberechtler sollten die Diskussion daher mit Interesse verfolgen, ohne sich verrückt machen zu lassen.

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Cloudbasierte Bibliotheksinfrastruktur: Wettbewerbsausschluss aufgrund zu strenger Eignungskriterien vergaberechtswidrig (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.06.2018 – VII-Verg 4/18)

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ITKLiefer- & DienstleistungenRecht

ITKDer Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat Ende Juni entschieden, dass der von 42 Hochschulbibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen unter Führung des Hochschulbibliothekszentrums (hbz) ausgeschriebene Vertrag zur Einführung einer cloudbasierten Next-Generation-Bibliotheksinfrastruktur nicht mit nur einem Bewerber verhandelt werden darf.

Der Vergabesenat bestätigte damit eine vorangegangene Entscheidung der Vergabekammer Rheinland, die den auf seine fehlende Eignung gestützten Ausschluss eines weiteren Bewerbers von dem durchgeführten Vergabeverfahren (Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb) beanstandet hatte. Die Eignungsanforderungen an die Bewerber dürften, so der Senat, nicht so hoch sein, dass sie zu einem gänzlichen Ausschluss des Wettbewerbs führten. Wenn nur ein einziger Bewerber die Eignungsanforderungen erfüllen könne, seien diese wegen ihrer wettbewerbsbeschränkenden Wirkung unangemessen. Gewichtige Gründe, die im Einzelfall derart hohe Eignungsanforderungen rechtfertigen könnten, lagen nach Auffassung des Senats nicht vor.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle: OLG Düsseldorf, PM 15/2018

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Zuschlagszeitpunkt entscheidend für Eignungsprognose!? (VK Saarland, Beschl. v. 07.02.2018 – 3 VK 04/17)

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BauleistungenRecht

Entscheidung§ 122 Abs. 4 GWB fordert, dass Eignungskriterien in der Bekanntmachung aufzuführen sind. Werden die Voraussetzungen einer wirksamen Bekanntmachung nicht erfüllt, hat der Auftraggeber die entsprechenden Eignungsnachweise nicht wirksam gefordert. Der Bieter muss diese mithin auch nicht vorlegen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Durchführung der Eignungsprüfung und Erstellung der Eignungsprognose ist derjenige der rechtswirksamen Zuschlagserteilung; das heißt, der öffentliche Auftraggeber hat beispielsweise die Erkenntnisse, die ein etwaiges Nachprüfungsverfahren zur Frage der Eignung und Zuverlässigkeit erbracht hat, zu berücksichtigen und (zwingend) eine erneute Eignungsprüfung durchzuführen.

§§ 122, 123 GWB; § 16b EU Abs. 1 VOB/A 2016

Sachverhalt

Der Auftraggeber (AG) schreibt Erd-, Mauer-, Beton- und Stahlbetonarbeiten (als Los 1) für den Neubau eines 6-geschossigen Büro- und Verwaltungsgebäudes (BGF: 11.303 qm, NF: 9.495,23) in Saarbrücken im Wege eines offenen Verfahrens aus. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis. In der Bekanntmachung verweist der AG auf einen Link für einen uneingeschränkten und vollständigen direkten Zugang zu den Vergabeunterlagen. Bestandteil der Vergabeunterlagen waren auch die im Rahmen der Teilnahmebedingungen genannten Vordrucke (aus dem VHB Bau). Die Teilnahmebedingungen (Eignungsnachweise) in der Bekanntmachung waren u.a. wie folgt formuliert:

III.1.2) Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit

Auflistung und kurze Beschreibung der Eignungskriterien:

Eintrag in das Präqualifikationsverzeichnis oder Präqualifikationsregister. Nicht präqualifizierte Bieter haben den Vordruck EFB 124 Eigenerklärung zur Eignung mit dem Angebot der Vergabestelle vollständig ausgefüllt und rechtsverbindlich unterschrieben einzureichen. Bei Angeboten von Arbeits- bzw. Bietergemeinschaften ist die gesamtschuldnerische Haftung sämtlicher Mitglieder der Bieter- oder Arbeitsgemeinschaft zu bestätigen und ein bevollmächtigter Vertreter für die Bieter- oder Arbeitsgemeinschaft zu benennen (Vordruck EFB 234). Auf Verlangen der Vergabestelle hat der Bieter die Vordrucke EFB 221 Preisermittlung bei Zuschlagskalkulation, EFB 222 Preisermittlung bei Kalkulation über die Endsumme sowie EFB 223 Aufgliederung der Einheitspreise der Vergabestelle innerhalb von 6 Kalendertagen nach Zugang der Aufforderung vollständig ausgefüllt und rechtsverbindlich unterschrieben einzureichen.

III.1.3) Technische und berufliche Leistungsfähigkeit

Eignungskriterien gemäß Auftragsunterlagen

Explizite Mindestanforderungen oder Mindeststandards an die Eignung der Bieter waren mit der Bekanntmachung nicht veröffentlicht worden. Der nicht präqualifizierte Bieter B reicht den halbwegs vollständig ausgefüllten Vordruck EFB 124 ein.

Nach Angebotseingang steht fest, dass der Bieter B das günstigste Angebot abgegeben hat.

Der AG schließt das Angebot des Bieters B wegen mangelnder Eignung, insbesondere Zuverlässigkeit, fehlender Fachkunde sowie mangelnder personeller und finanzieller Leistungsfähigkeit, von der Wertung aus. Unter anderem sei das Angebot formal unvollständig, da Bieter B lediglich den Jahresumsatz eines Jahres anstatt wie gefordert der letzten drei Geschäftsjahre angegeben habe.

Bieter B rügt die Entscheidung und trägt vor, dass Mindestanforderungen hinsichtlich Bauzeit und der Größenordnung der anzugebenden Referenzen nicht gestellt worden seien. Zudem gebe es auch (überhaupt) keine Mindestvoraussetzung an die Bietereignung, bei Abgabe des Angebots bereits mindestens drei Jahre auf dem einschlägigen Markt tätig zu sein.

Im Laufe des eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens legt Bieter B sodann (unaufgefordert) umfangreiche Unterlagen und Nachweise zum Beleg seiner Eignung vor. Zum für den Bauauftrag erforderlichen Personaleinsatz trägt Bieter B u.a. Folgendes vor:

Das Personal müsse auch nicht zu Beginn der Arbeiten bereits in voller Stärke zur Verfügung stehen. Das benötigte Personal könne die Antragstellerin sich ohne Probleme am Arbeitsmarkt beschaffen, denn es handele sich hierbei nicht um absolute Spezialisten, sondern nur“ um erfahrene Betonbauer, die durchaus am Markt verfügbar seien.

Bei der Antragstellerin handele es sich um ein stark expandierendes Unternehmen. Neben den ausgewiesenen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bestünden auch noch Arbeitsverhältnisse auf 450-Euro-Basis und es sei vorgesehen, mehrere Mitarbeiter des Unternehmens des Schwiegervaters der Geschäftsführerin der Antragstellerin zu übernehmen. Außerdem seien Vorverträge mit xx weiteren Personen abgeschlossen worden, die bereits bei einem weiteren befreundeten Unternehmen in Deutschland fest angestellt seien und im Auftragsfall zur Antragstellerin wechseln würden. Die Vorverträge seien arbeitsrechtlich auch nicht zu beanstanden.

Darüber hinaus stehe auch ein erfahrener Bauleiter als freier Mitarbeiter zur Verfügung und zur Not könnten auch noch Leiharbeitnehmer eingesetzt werden.

Im Ergebnis der mündlichen Verhandlung äußerte sich die Vergabekammer dahingehend, dass sie dazu neige, die Sache an die Antragsgegnerin zurückzuverweisen. Die Vorsitzende der Vergabekammer hatte sich auch mit der Frage an die Antragsgegnerin gewandt, ob es denkbar sei, dass die Antragstellerin durch das Einreichen weiterer Unterlagen ihre Eignung im Sinne einer Angebotsaufklärung noch nachweisen könne.

Daraufhin teilte der AG mit, dass er anhand der weiteren vorgelegten Erklärungen und Nachweise eine erneute Angebotsprüfung und -wertung vorgenommen habe und das Angebot des Bieters B nunmehr nicht mehr mangels Eignung ausgeschlossen werden muss. Der AG erteilt nach Ablauf der Wartefrist gemäß § 134 GWB den Zuschlag auf das Angebot des Bieters B.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer stellt das Verfahren als erledigt ein. Eine Entscheidung ergeht nur noch hinsichtlich der Kosten. Die Vergabekammer weist darauf hin, dass ein Ausschluss des Bieters B mangels Eignung nicht vergaberechtskonform war. Der Bieter B hatte die Eigenerklärung 124 wahrheitsgemäß ausgefüllt, mehr war nicht verlangt. Zur Begründung führte die Vergabekammer Folgendes aus:

· Das Fehlen der Angaben und Erklärungen, die der Auftraggeber nicht wirksam gefordert hat, ist für die Vollständigkeit des Angebots unerheblich und bleibt für den betreffenden Bieter dementsprechend folgenlos. § 122 Abs. 4 GWB fordert, dass Eignungskriterien in der Bekanntmachung aufzuführen sind. Werden die Voraussetzungen einer wirksamen Bekanntmachung nicht erfüllt, hat der Auftraggeber die entsprechend Eignungsunterlagen nicht wirksam gefordert. Findet sich in der Bekanntmachung lediglich ein Verweis auf die dann auf einem Formblatt in den Vergabeunterlagen ersichtlichen Eignungsanforderungen, sind diese nicht hinreichend transparent und somit nicht wirksam erhoben. Die Transparenzanforderungen sind auch dann nicht erfüllt, wenn es sich bei dem in der Bekanntmachung genannten Formblatt um ein ausfüllungsbedürftiges Standardformular aus dem Vergabehandbuch des Bundes (VHB) handelt, das regelmäßig öffentlichen Ausschreibungen zugrunde gelegt wird. Sind aufgrund eines Bekanntmachungsdefizits keine oder praktisch keine Eignungsanforderungen wirksam erhoben, kann dies einen schwerwiegenden Mangel des Vergabeverfahrens darstellen, welcher von Amts wegen die Rückversetzung des Vergabeverfahrens jedenfalls bis zur Neuerstellung und Versendung von Vergabeunterlagen erfordert.

· Da der AG die überwiegende Zahl seiner Ausschlussgründe auf die Angaben des Bieters B in diesem Formular gestützt hat und diese von ihm zugrunde gelegten Umstände mangels ausreichend ermittelten Sachverhalts seiner Eignungsprognose nicht zuverlässig zugrunde gelegt werden durften, ist der AG gehalten, eine neue Eignungsprüfung durchzuführen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist hierbei derjenige der rechtswirksamen Zuschlagserteilung; das heißt, er hat die Erkenntnisse, die das Nachprüfungsverfahren zur Frage der Eignung und Zuverlässigkeit erbracht hat, zu berücksichtigen.

· Die Eignungsprüfung ist alleinige Aufgabe des Auftraggebers; Vergabekammern und senate sind nicht befugt, sich an dessen Stelle zu setzen. Stützt der Auftraggeber seine für einen Bieter negative Eignungsprognose auf mehrere Umstände und erweist sich einer dieser Umstände als nicht tragfähig, ist eine Nachprüfungsinstanz nicht befugt, darüber zu befinden, ob die übrigen Umstände ausreichen, um dem Bieter die Eignung abzusprechen. Vielmehr muss der Auftraggeber dann eine neue Eignungsprüfung durchführen.

Durch die im Verfahren eingereichten Unterlagen hatte Bieter B sein Angebot konkretisiert. Der AG musste die Eignungsprüfung wiederholen, da die zuvor zugrunde gelegten Umstände mangels ausreichend ermittelten Sachverhalts keine zuverlässige Eignungsprognose zuließen. Der AG ist durch die nun erfolgte Wertung des Angebotes des nunmehr geeigneten Bieters B dem ursprünglichen Nachprüfungsantrag des Bieters gefolgt, so dass der AG dem Bieter B seine Aufwendungen gem. § 182 Abs. 4 GWB zu erstatten hat.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung legt die Probleme in der Praxis bei der Prüfung der Eignung sehr anschaulich offen, wenngleich die Ausführungen und Schlussfolgerungen nicht (durchgehend) überzeugen können. Vorliegend sollen zwei Fragen anhand des Beschlusses der Vergabekammer thematisiert werden:

Wie sind die Anforderungen an die Eignung ordnungsgemäß bekannt zu machen?

Fraglich ist, ob der Auftraggeber in der Bekanntmachung bereits alle Eignungsnachweise der drei Eignungskategorien (§ 123 Abs. 2 Satz 2 GWB, §§ 44 bis 46 VgV, 6 EU Abs. 2 Satz 2 i.V.m. 6a EU VOB/A) abschließend benennen muss. Gemäß § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB sind Eignungskriterien in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung aufzuführen. Eignungsanforderungen sind entweder direkt in dem Bekanntmachungstext zu nennen oder so mit dem Bekanntmachungstext zu verbinden (z.B. durch einen Direktlink), dass ein Bieter, der die Bekanntmachung durchsieht, ohne Mitwirkung der Vergabestelle Kenntnis von den Anforderungen nehmen kann. Werden die Voraussetzungen einer wirksamen Bekanntmachung nicht erfüllt, hat der Auftraggeber die entsprechenden Eignungsunterlagen nicht wirksam gefordert (VK Nordbayern, Beschluss vom 27.09.2017 Az. RMF-SG 21-3194-2-2).

Des Weiteren ist eine Eignungsanforderung unwirksam, wenn sie sich nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit aus der Bekanntmachung ergibt. Die Nichterfüllung unklarer Vorgaben darf einem Bieter nicht vorgehalten werden (VK Bund, Beschluss vom 17.03.2014 Az. VK112/14). Ein Bieter muss also bereits aus der Bekanntmachung erkennen können, ob er die Eignungsanforderungen erfüllen kann, so dass es sich lohnt, die Vergabeunterlagen überhaupt abzurufen (VK Bund, Beschluss vom 22.02.2016 Az. VK2-135/15). Die Vergabestelle trifft bei der Veröffentlichung der Vorgaben an die Eignung von Bietern in der Bekanntmachung quasi eine Bringschuld, dem Bieter obliegt insoweit keine Holschuld! (anschaulich VK Südbayern, Beschluss vom 10.09.2013 Az. Z3-3-3194-1-23-08/13).

Verlangt der Auftraggeber in der Vergabebekanntmachung, dass ein Bieter entweder präqualifiziert ist oder eine Eigenerklärung zur Eignung auf einem Formblatt vorlegen muss, welches erst den Vergabeunterlagen beigefügt wird, ist der Verweis in der Bekanntmachung auf die dann aus den Vergabeunterlagen ersichtlichen Eignungsanforderungen nicht hinreichend transparent und somit unwirksam. Allein ein solcher Verweis in der Bekanntmachung auf die dann aus den Vergabeunterlagen ersichtlichen Eignungsanforderungen ist damit nicht ausreichend (VK Südbayern, Beschluss vom 10.09.2013 Az. Z3-3-3194-1-23-08/13). Insofern lief vorliegend auch der Verweis Eignungskriterien gemäß Auftragsunterlagen“ leer. Die Eignungsanforderungen waren in vergaberechtswidriger Weise nicht eindeutig formuliert (in diesem Sinne auch VK Bund, Beschluss vom 28.09.2017 Az. VK 1-93/17).

Dieser Auffassung schließt sich die Vergabekammer Saarland zutreffend an.

Welcher Zeitpunkt für die Eignungsprognose ist maßgeblich?

Hier vertritt die Vergabekammer die Auffassung, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Durchführung der Eignungsprüfung und Erstellung der Eignungsprognose derjenige der rechtswirksamen Zuschlagserteilung ist. Diese Auffassung ist schon deshalb falsch, weil im Zeitpunkt der Zuschlagsentscheidung die (positive) Eignungsprognose bereits abgeschlossen sein muss. Um festzustellen, ob ein Bieter geeignet ist, hat der öffentliche Auftraggeber vielmehr auf der Grundlage der ihm zum Zeitpunkt der Eignungsprüfung verfügbaren Informationen eine in die Zukunft auf die mögliche Auftragsausführung gerichtete Prognose vorzunehmen. Hierbei kommt dem öffentlichen Auftraggeber eine Einschätzungsprärogative zu, die von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt dahin überprüfbar ist, ob die Entscheidungsfindung im Hinblick auf die Prognose fehlerfrei erfolgt ist. Dazu gehört die Prüfung, ob der Auftraggeber den für die Prognose entscheidungserheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat und die von ihm bekanntgemachten Nachweise, hier im Hinblick auf die als Mindeststandards geforderten Referenzen, beachtet hat (insoweit jüngst zutreffend die VK Bund, Beschluss vom 28.03.2018 Az. VK 2-20/18).

Ganz so einfach ist es freilich nicht.

Richtig ist, dass ein Auftraggeber an die einmal bejahte Eignung eines Bieters nicht gebunden ist, sondern bei nachträglichem Bekanntwerden weiterer Informationen diese dann auch verneinen kann (OLG Naumburg, Beschluss vom 22.09.2014 Az. 2 Verg 2/13). Ebenso kann eine einmal verneinte Eignung ggf. später im Verlauf eines Nachprüfungsverfahrens oder sonstiger Verfahrensverzögerungen wieder bejaht werden.

Fraglich ist allerdings, ob es einem Bieter nach Ablauf der Angebotsfrist gestattet ist, unaufgefordert, d.h. außerhalb einer durch den Auftraggeber initiierten Angebotsaufklärung, einer Aufforderung zur Nachreichung von verlangten Unterlagen (vgl. § 50 Abs. 2 VgV im Zusammenhang mit der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung) oder einer klassischen Nachforderung von unternehmensbezogenen Unterlagen (vgl. §§ 56 Abs. 2 Satz 1 VgV, 16a EU VOB/A) weitere Unterlagen, Informationen etc. zum Beleg der Eignung vorzulegen bzw. vorzutragen. Die Vergabekammer hat dies in der vorliegenden Entscheidung ohne weiteres bejaht und sich in der mündlichen Verhandlung am 14.11.2017 mit der Frage an den Auftraggeber gewandt, ob es denkbar sei, dass die Antragstellerin durch das Einreichen weiterer Unterlagen ihre Eignung im Sinne einer Angebotsaufklärung noch nachweisen könne. Diese Auffassung ist jedenfalls diskussionswürdig. Zum einen verliert der Auftraggeber dadurch ein Stück weit die Verfahrensherrschaft, zum anderen widerspricht diese Möglichkeit der Systematik des Vergaberechts. Danach hat der Bieter die verlangten Unterlagen vollständig bis zum Ablauf der vorgegebenen Angebots- bzw. Teilnahmefrist vorzulegen. Dies dürfte erst recht dann gelten, wenn es sich – anders als in dem vorliegenden offenen Verfahren – um ein Verfahren mit Teilnahmewettbewerb handelt. Fehlen Unterlagen oder sind solche fehlerhaft, greift das Nachforderungsregime mit den freilich unterschiedlichen Ausprägungen im Bau- bzw. Liefer- und Dienstleistungsbereich.

Praxistipp

Auftraggebern ist, gerade auch im Baubereich und im Zusammenhang mit dem Beleg der Eignung mittels Präqualifikation, dringend anzuraten, die verlangten Eignungsnachweise vollständig, eindeutig und unmissverständlich bereits in der Bekanntmachung anzugeben und von pauschalen Verweisen auf (auch allseits bekannte) Formblätter oder Regelungen in den Vergabeunterlagen abzusehen. In der Praxis wird hiergegen ganz häufig verstoßen, weil der Bekanntmachung nicht die Bedeutung beigemessen wird, welche das Vergaberecht an sie stellt.

Nicht präqualifizierte Bieter sollten im Baubereich ernstlich über das Erlangen einer Präqualifikation nachdenken. Dadurch lassen sich die Risiken einer negativen Eignungsprognose deutlich minimieren (und Nachprüfungsverfahren vermeiden). Bieter sollten ungeachtet dessen die verlangten Nachweise jedenfalls vollständig vorlegen und hier eine hinreichende häufig vermisste Sorgfalt an den Tag legen. Bei Zweifeln oder Unklarheiten sind im ersten Schritt Fragen an den Auftraggeber häufig geboten. Dies gilt erst recht auch dann, wenn präqualifizierte bzw. in einem amtlichen Verzeichnis eingetragene Bieter unsicher sind, ob der Auftraggeber gegen die privilegierenden Regelungen (in § 6b EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A bzw. in § 48 Abs. 8 VgV) verstoßen hat. Im zweiten Schritt besteht in Abhängigkeit von der Antwort des Auftraggebers dann, zumindest im Bereich oberhalb der Schwellenwerte, immer noch die Möglichkeit der Vergaberüge.

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Addition von Planungsleistungen bei der Auftragswertberechnung? Einzelfallbetrachtung entscheidet (VK Nordbayern, Beschl. v. 09.05.2018 – RMF-SG21-3194-3-10)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungBei der Vergabe von Planungsleistungen ist nach wie vor nicht abschließend geklärt, ob unterschiedliche Planungsdisziplinen bei der Ermittlung des Auftragswerts zusammenzurechnen sind. In diesem Zusammenhang hat die Vergabekammer Nordbayern entschieden, dass eine Addition der Auftragswerte unterschiedlicher Leistungsbilder nur in Betracht kommt, wenn eine besonders enge Verzahnung zwischen den unterschiedlichen Planungsleistungen vorliegt, wie es für komplexe oder hochtechnische Anlagen typisch ist.

VgV, § 3 Abs. 7 S. 2

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb die Planungsleistungen des Leistungsbildes Objektplanung Gebäude und Innenräume zur Neuerrichtung eines Kindergartens im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb aus. Die Kostenschätzung des Auftraggebers für die Objektplanungsleistungen lag unterhalb des derzeit geltenden Schwellenwerts in Höhe von 221.000,00 netto. Eine konkretisierte Kostenschätzung für die Planungsgewerke der Tragwerksplanung und der technischen Gebäudeausrüstung lag noch nicht vor. Eine Addition der geschätzten Planungskosten der drei Planungsdisziplinen insgesamt hätte zur Folge gehabt, dass der Schwellenwert erheblich überschritten wäre. Der Auftraggeber beabsichtigte jedoch, zunächst nur den Architekten mit dem Projekt zu befassen. Die übrigen Fachplaner seien erst nach grober Einschätzung des Architekten in der Folge hinzuzuziehen.

Die Antragstellerin war im Nachprüfungsverfahren der Auffassung, dass die Objektplanungsleistungen dem europäischen Vergaberecht unterfallen, weil bei einer Addition der für die Errichtung des Kindergartens erforderlichen Planungsdisziplinen der Schwellenwert erheblich überschritten wäre.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg. Die Vergabekammer stellte fest, dass der Rechtsweg nicht eröffnet sei, weil der geschätzte Auftragswert der Objektplanungsleistungen den Schwellenwert nicht erreiche.

Die Vergabekammer ist der Auffassung, dass es an einer Dokumentation einer funktionalen, wirtschaftlichen und technischen Einheit der Planungsleistungen fehlt. In diesem Zusammenhang nimmt die Kammer Bezug auf den Beschluss des Oberlandesgerichts München (Beschl. v. 13.03.2017 Verg 15/16), das in einem ähnlich liegenden Fall zu einer gegenteiligen Einschätzung gelangte (siehe den Beitrag des Autors, Vergabeblog.de vom 03/04/2017, Nr. 30404). Der Beschluss des Oberlandesgerichts München bezog sich nach Ansicht der Vergabekammer Nordbayern jedoch auf Planungsleistungen, bei denen der Auftraggeber in der Bekanntmachung ausdrücklich auf die funktionale, wirtschaftliche und technische Einheit hingewiesen hatte.

Eine Anlage mit durchschnittlicher Komplexität, wie es einen Kindergarten darstellt, erfordere zwar standardmäßig eine Integration der anderen Planungsleistungen. Diese Integrationsleistung sei für sich genommen allerdings nicht bereits als funktionelle, wirtschaftliche und technische Einheit der einzelnen Planungsleistungen zu sehen.

Rechtliche Würdigung

Zum Hintergrund: Ausgangspunkt im deutschen Recht ist die Vorschrift des § 3 Abs. 7 S. 2 VgV (inhaltsgleich: § 2 Abs. 7 S. 2 SektVO), wonach die Werte gleichartiger Planungsleistungen zusammenzurechnen sind. Die alte Rechtslage stellte vor dem 18. April 2016 in § 3 Abs. 7 S. 3 VgV a. F. noch auf Teilaufträge derselben Leistung ab und ließ sich daher eher im Sinne einer leistungsbezogene Betrachtung (entsprechend der Leistungsbilder der HOAI) interpretieren.

Ebenso wie das Oberlandesgericht München stellt die Vergabekammer Nordbayern klar, dass eine funktionale Betrachtung im Einzelfall maßgebend dafür ist, ob unterschiedliche Planungsdisziplinen für die Berechnung des Auftragswerts gemäß § 3 Abs. 7 S. 2 VgV addiert werden müssen. Allein die Tatsache, dass dem Objektplaner gemäß der HOAI (Anlage 10, 10.1 Leistungsbild Gebäude und Innenräume) eine Integration der Planungsleistungen der anderen Fachplaner aufgegeben ist, genügt für eine funktionale Einheit alleine noch nicht. Sofern nach dem Willen des Auftraggebers oder aus den Vergabeunterlagen eine enge Verzahnung der Planungsleistungen nicht hervorgeht, handelt es sich um Einzelplanungsgewerke.

Praxistipp

Öffentliche Auftraggeber sollten bei der Vergabe von Planungsleistungen jeweils sorgfältig prüfen, ob eine Addition unterschiedlicher Planungsdisziplinen vorzunehmen ist oder im Einzelfall doch von Einzelplanungsgewerken ausgegangen werden kann. Die Rechtsentwicklung, insbesondere die Auslegung des Begriffs der funktionalen Einheit ist noch nicht abgeschlossen. Ob die dem Objektplaner aufgegebene Integration der weiteren Fachplanungsdisziplinen in der Regel zu einer funktionalen Betrachtungsweise führt, konnte das Oberlandesgericht München im vergangenen Jahr offen lassen. Eine besonders enge Verzahnung liegt nach Auffassung der Vergabekammer Nordbayern jedenfalls bei komplexen oder technisch anspruchsvollen Anlagen nahe.

Besondere Vorsicht müssen kommunale Auftraggeber bei der Verwendung von Fördermitteln walten lassen. Denn bei Vergaberechtsverstößen droht eine (Teil-) Zurückforderung gewährter Zuwendungen. Diese Risiken bestehen auch noch fort, nachdem das Vergabeverfahren abgeschlossen ist und nicht mehr von nicht berücksichtigten Wettbewerbern angegriffen werden kann.

Hinweis der Redaktion
Die Planungskosten sind ein häufig diskutiertes Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW). So wird z.B. derzeit das Thema: “Sind Planungskosten bei der Schätzung des Gesamtauftragswertes einer Baumaßnahme einzubeziehen?” diskutiert. Interessante und lehrreiche Diskussion im Mitgliederbereich des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) hier. Noch kein Mitglied? Zur kostenlosen Mitgliedschaft geht es hier.

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Düsseldorf muss die soziale Betreuung von Flüchtlingen nicht europaweit ausschreiben (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.07.2018 – VII-Verg 1/18)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat entschieden, dass die Stadt Düsseldorf die soziale Betreuung von Flüchtlingen nicht europaweit ausschreiben muss, sondern die Aufgabe der sozialen Betreuung den örtlichen Wohlfahrtsverbänden überlassen kann und diesen dafür finanzielle Zuwendungen zukommen lassen darf. Der Senat änderte damit eine anderslautende Entscheidung der Vergabekammer Rheinland und gab der Stadt Düsseldorf und dem Sozialdienst katholischer Frauen und Männer Düsseldorf e.V. (SKFM) Recht, die gegen die Entscheidung der Vergabekammer sofortige Beschwerde eingelegt hatten.

Die Stadt Düsseldorf betreibt die Flüchtlingsunterkünfte im Stadtgebiet in eigener Verantwortung. Lediglich die soziale Betreuung der Flüchtlinge überlässt sie den örtlichen Wohlfahrtsverbänden, die dafür finanzielle Zuwendungen erhalten. Ein Unternehmen, das Betreuungsleistungen kommerziell anbietet, sah in einer entsprechenden Zuwendung der Stadt an den SKFM einen Verstoß gegen Vergaberecht. Es verlangte eine europaweite Ausschreibung der Leistungen, um den Zuschlag für den Auftrag erhalten zu können. Anders als die Vergabekammer verneinte der Vergabesenat eine Ausschreibungspflicht der Stadt, weil sich eine solche Pflicht aus dem geltenden Recht nicht ergebe.

Quelle: OLG Düsseldorf, PM 17/2018

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DVNW-Akademie: Das neue Bauvertragsrecht 2018 am 29.08.2018 in Berlin

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BauleistungenRecht

DVNW_Akademie_SeminarDie neuen Vorschriften im BGB zur rechtlichen Behandlung von Bauverträgen haben zahlreiche Auswirkungen auf die Beschaffung. Wie ist mit den Änderungen in der Baupraxis und bei Ausschreibungen umzugehen? Wo liegen die Abweichungen zur VOB/B? Welche Widersprüche und rechtlichen Konflikte sind entstanden? Übersichtlich und verständlich werden in dem Seminar die Änderungen vermittelt, welche sich für die Beschaffung, Baupraxis, Vertragsgestaltung und Planerverträge ergeben. Weitere Informationen und Anmeldung. Melden Sie sich bis zum 29.07.2018 an und sichern Sie sich den Frühbucherrabatt!

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Preisprüfstatistik 2017 – 31% aller Preisprüfungen enden mit einer Rechnungskürzung

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Politik und MarktRecht

Es bleibt dabei – beinahe jede dritte Preisprüfung endet mit einer Rechnungskürzung. Zu einem ähnlichen Ergebnis wie in den Vorjahren kam auch die aktuell veröffentlichte Preisprüfstatistik 2017 des BMWi für geprüfte öffentliche Aufträge und Zuwendungen. Nach einer schrittweisen Steigerung dieser Quote von 24% in 2005 bis 28% in 2010 und 2011, pendelt sich der Anteil der Kürzungen seitdem zwischen 29 und 31% ein.

Im Jahr 2017 wurden 1.993 (Vorjahr: 2.238) öffentliche Aufträge und Zuwendungen mit einer Gesamtsumme von ca. 2,8 Mrd. (Vorjahr: 2,4 Mrd.) Euro geprüft. In 31% der Fälle (Vorjahr: 30%) ergab sich eine Rechnungskürzung aufgrund des Ergebnisses der Preisprüfung. Die Rechnungskürzungen ergaben die Gesamtsumme von 58,6 Mio. (Vorjahr 75,9 Mio.) Euro.

Wie im Vorjahr fanden 63% aller Preisprüfungen in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfallen statt. 494 Preisprüfungen wurden in Bayern durchgeführt, 395 in Baden-Württemberg und 370 in Nordrhein-Westfalen. Bayern ist damit seit 2009 (mit Ausnahme in 2013) weiterhin Spitzenreiter bei der Anzahl von Preisprüfungen – Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen wechselten sich hier jeweils mit dem 2. und 3. Platz ab – lediglich in 2013 waren in Baden-Württemberg die meisten Preisprüfungen zu verzeichnen. Unter diesen Top 3 – Ländern ist es aber Nordrhein-Westfalen, das seit 2005 mit einigem Abstand die höchsten durchschnittlichen Kürzungen vorweist.

Interessant ist zudem, dass Nordrhein-Westfalen zwar bundesweit die meisten öffentlichen Aufträge vergibt, bei der Anzahl der Preisprüfungen jedoch oft hinter Bayern und Baden-Württemberg liegt.

Ausreißer bei der Quote der Rechnungskürzungen auf Basis der Preisüberwachungsbehörden waren in 2017 Brandenburg (91% nach 39% im Vorjahr), Berlin (60% nach 65% im Vorjahr), Bremen (53% nach 51% im Vorjahr), Würzburg (50% nach 28% im Vorjahr), Schleswig-Holstein (49% nach 48% im Vorjahr), Hamburg (46% nach 47% im Vorjahr), Düsseldorf (ebenfalls 46% nach 40% im Vorjahr), Mecklenburg-Vorpommern (45% nach 47% im Vorjahr) und Thüringen (44% nach 35% im Vorjahr). Besonders erwähnenswert ist, dass die Rückzahlungsquote bei der Preisüberwachungsbehörde Bremen seit 2005 mit 40 bis 70% auf einem fortwährend hohen Niveau im Vergleich zum Bundesdurchschnitt liegt.

Die Risiken einer Preisprüfung werden in der Einzelstatistik wiederum am Beispiel Düsseldorf ganz besonders deutlich. Von 120 geprüften Aufträgen ergaben sich bei 55 Aufträgen Rechnungskürzungen in Höhe von gesamt 34 Mio. € – im Durchschnitt also 623 T€ pro Auftrag (im Vorjahr 1,2 Mio. € pro Auftrag). Mit großem Abstand – aber immer noch überdurchschnittlich hoch folgen Arnsberg (198 T€) und Freiburg (110 T€). Bei diesen Durchschnittswerten muss auch noch erwähnt werden, dass sich dahinter Rückforderungen in der Spanne von unter 1.000 bis zu ca. 1 Mio. Euro verbergen.

Geldbußen wurden – wie in den Jahren 2005 bis 2016 – auch 2017 nicht verhängt.

Die Preisprüfstatistiken des BMWi von 2010 bis 2017 sind hier nachzulesen:

http://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Wirtschaft/vergabeverfahren.html

Hinweis der Redaktion
Unser Autor, Herr Singer, berichtet bereits seit 2014 über die jährliche Preisprüfstatistik auf Vergabeblog.de. Die Beiträge des Autors aus den vergangenen Jahren können Sie hier finden.

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Vorerst kein neues Dach fürdas Poppelsdorfer Schloss in Bonn (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.07.2018 – VII-Verg 24/18)

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BauleistungenRecht

Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat entschieden, dass das Vergabeverfahren des Bau- und Liegenschaftsbetriebs NRW(BLB), das die Sanierung des Schieferdachs des Poppelsdorfer Schlosses in Bonn betrifft, nicht durch Erteilung des Zuschlags abgeschlossen werden darf. Der Senat änderte damit eine anderslautende Entscheidung der Vergabekammer Rheinland und gab einem Dachdecker Recht, der gegen seinen Ausschluss vom Vergabeverfahren vorgegangen war.

Der Bau- und Liegenschaftsbetrieb war der Auffassung, dem Dachdecker fehle die für die Durchführung des Auftrags erforderliche Eignung. Die Vergabekammer Rheinland schloss sich dieser Auffassung an. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Dachdeckers hatte nun Erfolg. Der Vergabesenat stellte fest, dass der BLB überhaupt keine wirksamen Eignungsanforderungen aufgestellt hatte, auf die ein Ausschluss vom Vergabeverfahren gestützt werden konnte. Dies sei ein schwerwiegender Mangel des Vergabeverfahrens, der von Amts wegen zu berücksichtigen sei.

Quelle: OLG Düsseldorf

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Zu Fragen der Eignungsprüfung, der Auskömmlichkeit und des Bieterschutzes des § 67 VgV (VK Nordbayern, Beschl. v. 28.06.2018 – RMF-SG21-3194-3-18)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

Entscheidung§ 67 VgV dient allgemeinen politischen Zielen und verleiht daher keinen Bieterschutz. § 67 schränkt das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers ein und ist daher nicht bieterschützend. Im Übrigen ist § 67 VgV auf die Sammlung von Abfällen schon nicht anwendbar, da gem. Art. 1 Abs 3 lit. b der Richtlinie RL 2010/30/EU, die in § 67 VgV umgesetzt wurde, Verkehrsmittel zur Güterbeförderung von dem Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen sind. Die Beförderung von Abfällen ist nach Ansicht der Vergabekammer ein Fall des Gütertransports.

§§ 60, 67 VgV

Sachverhalt

Ein Landkreis in Bayern hatte die Sammelleistungen für die Fraktionen Rest- Bio, Sperr- und Altpapierabfälle in einem europaweiten Vergabeverfahren in drei Losen ausgeschrieben. Einziges Wertungskriterium war der Angebotspreis.

Hinsichtlich des Nachweises der Eignung hat der Antragsgegner unter anderem ein Entsorgungsfachbetriebszertifikat für die gegenständlichen Abfälle gefordert. Nicht gefordert hat er die Vorlage einer Genehmigung für den Betriebsstandort der Bieter, auf den die Abfälle umgeschlagen werden müssen.

Obwohl die Aufgreifschwelle von 20% Preisabstand zum nächstplatzierten Bieter in keinem Los erreicht war hat der Antragsgegner das Angebot des Zuschlagsprätendenten auch im Hinblick auf eine mögliche Unauskömmlichkeit überprüft. Zu diesem Zwecke hat sie bestimmte Kalkulationsannahmen hinterfragt und anschließend eine Auskömmlichkeitsprüfung durchgeführt. Diese hatte zum Ergebnis, dass die Angebotspreise nur geringfügig unter der Auskömmlichkeitsschwelle lagen. Dies hat der Antragsgegner als nicht hinreichend für einen Ausschluss wegen Unauskömmlichkeit eingestuft.

Nach Erteilung der Vorabinformation rügte der langjährige vorherige Auftragsinhaber die beabsichtigte Vergabe an ein anderes Unternehmen unter vier Gesichtspunkten:

  • Bei dem Angebot des Zuschlagsprätendenten handele es sich um ein Unterkostenangebot.
  • Dem Zuschlagsprätendenten fehle die rechtliche Leistungsfähigkeit, weil er für seinen Standort über keine Genehmigung verfüge.
  • Der Zuschlagprätendent habe kein hinreichendes EfB-Zertifikat vorgelegt.
  • Der Antragsgegner habe § 67 VgV nicht beachtet.

Nachdem der Antragsgegner der Rüge nicht abgeholfen hat, reichte das rügenden Unternehmen einen Nachprüfungsantrag ein.

Die Entscheidung

Dieser blieb im Ergebnis ohne Erfolg.

Soweit die Antragstellerin eine Verstoß gegen § 67 gerügt hatte, hielt die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag bereits für unzulässig. Es fehle an dem bieterschützenden Charakter dieser Vorschrift. Diese diene der Durchsetzung allgemeiner politischer Ziele und schränke so das Leistungsbestimmungsrecht des öffentlichen Auftraggebers ein. Sie diene daher nicht dem Schutz des Wettbewerbs und der Wettbewerbschancen der Unternehmen. Überdies sei die Vorschrift auf die Abfallsammlung gar nicht anwendbar. Denn gemäß Art. 1 Abs 3 lit. b der Richtlinie RL 2010/30/EU, die in § 67 VgV umgesetzt wurde, seien Verkehrsmittel zur Güterbeförderung von dem Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen sind. Die Beförderung von Abfällen ist nach Ansicht  der Vergabekammer ein Fall des Gütertransports.

Die Vergabekammer hielt den Nachprüfungsantrag auch insoweit für unzulässig, als ein fehlendes EfB-Zertifikat gerügt wurde. Es handele sich um eine Rüge „ins Blaue“ hinein. Dass der Zuschlagsprätendent über eine EfB-Zertifikat verfüge, hätte die Antragstellerin wissen müssen. Ein Zertifikat mit Standortbezug sei ausdrücklich und auch zulässigerweise nicht gefordert gewesen.

Im Übrigen hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückgewiesen.

Die rechtliche Leistungsfähigkeit sei gegeben, da die Vergabestelle bewusst aus Gründen der Wettbewerbsöffnung nicht schon mit dem Angebot eine Genehmigung für den Betriebsstandort gefordert hat. Da der Zuschlagsprätendent im Aufklärungsgespräch hierzu plausible Angaben gemacht hat, durfte der Antragsgegner von der rechtlichen Leistungsfähigkeit des Zuschlagsprätendenten ausgehen. Der Antragsgegner hat hier auch zu Recht berücksichtigt, dass innerhalb der Rüstzeit von einem halben Jahr eine Genehmigung ohne Weiteres zu erlangen sei, das eine solche nach § 10 Abs. 6a BImSChG regelmäßig in einer Frist von drei Monaten erteilt werden muss.

Auch die Rüge der fehlenden Auskömmlichkeit des Angebots des Zuschlagsprätendenten hatte keinen Erfolgt. Die Vergabekammer hielt die preisliche Aufklärung, die der Antragsgegner vorgenommen hatte, für ausreichend. Sie weist darauf hin, dass insbesondere bei Nichterreichen der Aufgreifschwelle der Umfang der Prüfpflicht bestimme. Da der Antragsgegner die Plausibilität des Angebots des Zuschlagsprätendenten geprüft und die Kalkulationsannahmen nachgerechnet hat, sie vollkommen ausreichend. Deshalb hatte die Vergabekammer der Antragstellerin auch keine Einsicht in die diesen betreffenden Teil der Vergabedokumentation gewährt.

Rechtliche Würdigung

Interessant sind vor allem die Ausführungen der Vergabekammer zu § 67 VgV. Ihr ist zuzustimmen, dass § 67 VgV keinen Bieterschutz verleiht. Es geht hier in der Tat um die Durchsetzung umweltpolitischer Zielvorstellungen und nicht um den Schutz des Wettbewerbs.

Auch den Ausführungen der Vergabekammer zu der Frage, welche Nachweise bereits mit dem Angebot vorzulegen sind, ist zuzustimmen. Überhöhte Anforderungen können nämlich in der Tat dazu führen, dass kein Wettbewerb entsteht, weil unter Umständen nur der bisherige Auftragsinhaber in der Lage ist, diese Nachweise bereits mit dem Angebot beizubringen. Nachweis mit Standortbezug sind vergaberechtlich nicht zwingend. Es muss genügen, dass die Vergabestelle aus nachvollziehbaren Gründen davon ausgehen darf, dass die entsprechenden Genehmigungen und Zertifikate bei Auftragsbeginn vorliegen.

Praxistipp

Ausschreibungen machen nur dann einen Sinn, wenn ein Mindestmaß an Wettbewerb gewährleistet ist. Deshalb will es bei der Gestaltung der Vergabeunterlagen wohl überlegt sein, welche Nachweise bereits mit dem Angebot verlangt werden. Werden die Anforderungen zu hoch geschraubt, verhindert dies unter Umständen den Wettbewerb. Vorliegend hat die Vergabestelle daher ganz bewusst auf die Vorlage einer Genehmigung zum Abfallumschlag mit dem Angebot verzichtet, da sie wusste, dass aktuell nur der bisherige Auftragnehmer über eine solche verfügte. Ihr genügte es daher, dass die Genehmigung spätestens zum Leistungsbeginn vorliegen musste.

Zu der sicherlich im Grundsatz zu begrüßenden Regelung in § 67 VgV ist zu sagen, dass diese bei der Ausschreibung von Abfallsammelleistungen wohl leider nicht praktikabel ist. Dies liegt daran, dass es für Abfallsammelfahrzeuge keine Normverbräuche wie für PKW gibt und daher mögliche unterschiedliche Kraftstoffverbräuche nicht ermittelbar und damit nicht bewertbar sind. Es liegt also nicht am mangelnden Willen der öffentlichen Auftraggeber zur Umsetzung, sondern an einer praktikablen Lösung. Interessanterweise hatte die Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass ihr auch nach eingehender Recherche keine Ausschreibung bekannt geworden ist, die § 67 VgV versucht umzusetzen. Dieser empirische Befund stützt die These des Autors.

Der Autor hat in diesem Nachprüfungsverfahren den Antragsgegner vertreten.

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Dr. Christine Maimann tritt Nachfolge von Hans-Peter Dicks am OLG Düsseldorf an

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RechtUNBEDINGT LESEN!

DVNW_Akademie_Seminar

Das OLG Düsseldorf hat gegenüber dem DVNW bestätigt, dass Dr. Christine Maimann die neue Vorsitzende Richterin des Vergabesenats, des 2. Kartellsenats und des 27. Zivilsenats ist. Die Ernennung erfolgte rückwirkend zum 01. Juni 2018. Frau Dr. Maimann, die schon seit einigen Jahren im Vergabesenat tätig ist, übernimmt damit die Position, die der im März diesen Jahres in den Ruhestand getretene Hans-Peter Dicks seit 2005 inne hatte. Eine offizielle Pressemitteilung des OLG Düsseldorf zur Nachfolge liegt derweil noch nicht vor.

Für die neue Tätigkeit wünscht das DVNW Frau Dr. Maimann alles Gute.

Herr Dicks wird am 25.10.2018 um 11:30 Uhr auf dem 5. Deutschen Vergabetag zu seinen Entscheidungen im Vergabesenat des OLG Düsseldorf vortragen sowie ein persönliches Resumée und einen Ausblick liefern.

Hier gelangen Sie zum vollständigen Programm des Deutschen Vergabetages und zur Anmeldung. Bitte beachten Sie, dass die Veranstaltung demnächst ausverkauft sein wird. Eine Warteliste wird wieder einrichtet.

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Die Vergabe von Stromnetzkonzessionen unterfällt nicht dem Vergaberecht (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 16.04.2018 – 11 Verg 1/18)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungDie Vergabe von Stromnetzkonzessionen und auch das Rechtsschutzverfahren richten sich ausschließlich nach dem EnWG. Gleichwohl ist Auftraggebern zu empfehlen, zusätzlich auch die Bestimmungen der Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) zu beachten. Stromnetzkonzessionen unterfallen nicht der Konzessionsvergabeverordnung, sondern dem EnWG. Dementsprechend sind für Rechtsstreitigkeiten auch nicht die Vergabekammern, sondern die ordentlichen Gerichte zuständig.

§ 47 Abs. 5 EnWG, § 102 EnWG, KonzVgV

Sachverhalt

Eine Stadt schrieb die Vergabe einer Stromkonzession für ihr Stadtgebiet europaweit aus. Der künftige Konzessionsnehmer sollte vertraglich verpflichtet werden, das Netz für die gesamte Laufzeit zu betreiben, auszubauen und instand zu halten. Dafür sollte er kein Entgelt erhalten, sondern sich über die Nutzer refinanzieren. In der europaweiten Bekanntmachung war als Nachprüfungsbehörde die für das Land Hessen zuständige Vergabekammer benannt, da die Auftraggeberin die Stromkonzession als Dienstleistungskonzession im vergaberechtlichen Sinne ansah. Ein Bieter hat zahlreiche Rügen gegen das Verfahren erhoben, auf deren Inhalt es für diesen Beitrag nicht ankommt. Den Rügen wurde von der Auftraggeberin nicht vollständig abgeholfen. Daher wandte sich der Bieter an die in der Bekanntmachung genannte Vergabekammer. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag jedoch abgewiesen, da sie sich für unzuständig gehalten hat. Gegen die Entscheidung der Vergabekammer wurde Beschwerde zum OLG Frankfurt a.M. eingelegt.

Die Entscheidung

Der Vergabesenat des OLG Frankfurt a.M. bestätigte die Entscheidung der Vergabekammer Hessen. Stromnetzkonzessionen seien rechtlich betrachtet Wegenutzungsverträge nach § 46 EnWG. Das Verfahren zur Vergabe solcher Verträge sei in §§ 46, 46a, 47 EnWG geregelt. Diese Regelungen enthalten in § 47 Abs. 5 EnWG auch eine ausdrückliche Zuweisung von Rechtsstreitigkeiten zu den ordentlichen Gerichten (d.h. in erster Instanz: Landgericht), so dass die Vergabekammer unzuständig gewesen sei. Die Regelungen des EnWG gehen den Vorschriften des im GWB geregelten allgemeinen Vergaberechts einschließlich der Vorschriften über das Nachprüfungsverfahren auch vor, da sie spezieller sind und zudem neuer als das GWB.

Offen sei zwar, ob eine Stromkonzession zugleich eine Dienstleistungskonzession im Sinne des europäischen Vergaberechts sei. Der deutsche Gesetzgeber hatte diese Frage im Gesetzgebungsverfahren für das EnWG verneint. In der Literatur wird der Gesetzgeber hierfür kritisiert. Der Vergabesenat stellt jedoch fest, dass diese Frage gar nicht entschieden werden müsse. Denn selbst wenn eine Stromkonzession eine Dienstleistungskonzession sei, würde das lediglich dazu führen, dass die Vorgaben des europäischen Vergaberechts und insb. der Konzessionsvergaberichtlinie 2014/23/EU einzuhalten wären. Diese Vorgaben würden aber durch die Verfahrensvorschriften des EnWG auch erfüllt.

Rechtliche Würdigung

Dem Vergabesenat des OLG Frankfurt a.M. ist zuzustimmen, dass der Rechtsweg zur Vergabekammer versperrt ist. Die eigentlich spannende Frage, ob Stromkonzessionen Dienstleistungskonzessionen sind, musste das Gericht jedoch nicht entscheiden. Es spricht einiges dafür, dass der deutsche Gesetzgeber bei seiner Einschätzung, dass Stromkonzessionen keine Dienstleistungskonzessionen seien, falsch liegt. Der Gesetzgeber beruft sich in der Gesetzesbegründung zum EnWG allein auf den 16. Erwägungsgrund der Konzessionsvergaberichtlinie (BT-Drucks 18/8184, Seite 10). In diesem 16. Erwägungsgrund heißt es jedoch lediglich, dass solche Wegenutzungsverträge vom Anwendungsbereich der Konzessionsvergaberichtlinie ausgenommen sind, in denen dem Auftragnehmer keinerlei Leistungsverpflichtungen auferlegt werden (darunter würde z.B. eine reine Vermietung der Flächen fallen). Solche Geschäfte stellen nach der Rechtsprechung des EuGH keine Beschaffungsvorgänge dar, da der Auftraggeber keinen Anspruch auf die Leistungserbringung hat (so in der Rechtssache C-451/08 Müller vs. BImA Rn. 59 ff.). Bei qualifizierten Wegenutzungsverträgen wie im vorliegenden Fall werden dem künftigen Auftragnehmer aber ganz zahlreiche Leistungsverpflichtungen (insb. Betriebs- und Ausbaupflichten) auferlegt, so dass ein Beschaffungsvorgang zweifellos gegeben ist. Die Ausnahmetatbestände der Konzessionsvergaberichtlinie enthalten auch keine Hinweise auf einen generellen Ausschluss von Stromkonzessionen. Es ist daher davon auszugehen, dass Stromkonzessionen selbstverständlich in den Anwendungsbereich der Konzessionsvergaberichtlinie fallen.

Praxistipp

Das OLG Frankfurt a.M. liegt mit seiner Einschätzung, dass die Vorgaben der Konzessionsvergaberichtlinie auch durch die Regelungen in den §§ 46 ff. EnWG erfüllt werden können, nicht grundsätzlich falsch. Allerdings stellt die Konzessionsvergaberichtlinie ein 64 Seiten langes Regelwerk dar, während die Regelungen im EnWG lediglich drei Paragrafen umfassen. Es ist daher durchaus gewagt, zu behaupten, dass damit alle Anforderungen der Konzessionsvergaberichtlinie restlos in nationales Recht umgesetzt seien. Es besteht daher durchaus das ernstzunehmende Risiko, dass aus der Konzessionsvergaberichtlinie doch zusätzliche Anforderungen an die Vergabe folgen, deren Nichtbeachtung eine Vergabe europarechtswidrig machen könnte.

Auftraggebern ist daher zu empfehlen, jede Vergabe darauf zu prüfen, ob neben den Regelungen des EnWG auch die Vorgaben der Konzessionsvergaberichtlinie (die national in der KonzVgV umgesetzt ist) eingehalten sind. Dazu zählen z.B. die Vorgaben zur Laufzeit (in der Regel 5 Jahre), zur Nutzung der Standardformulare, zur elektronischen Verfügbarkeit der Konzessionsunterlagen, zur Prüfung der Ausschlussgründe (§§ 123, 124 GWB) und zur Bekanntgabe der Zuschlagskriterien. Umgekehrt begegnet es etwa erheblich europarechtlichen Bedenken, dass gemäß § 46 Abs. 4 EnWG Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft berücksichtigt werden können sollen oder dass die Auswahlkriterien nur auf Anfrage mitgeteilt werden müssen. Auch die Pflicht zur europaweiten Bekanntmachung erst ab 100.000 Nutzern dürfte so kaum europarechtskonform sein.

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Verpachtung über die Ausübung des Fischereirechts ist ausschreibungspflichtig (OLG Koblenz, Beschl. v. 10.07.2018 – Verg 1/18)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungEin Pachtvertrag über die Ausübung des Fischereirechts ist ein ausschreibungspflichtiger öffentlicher Auftrag. Die Annahme einer Dienstleistungskonzession bei der Verpachtung eines Fischereirechts scheitert daran, dass der Pächter im Ergebnis kein wirtschaftliches Risiko trägt.

§ 103 Abs. 1, 4, § 105 Abs. 1 Nr 2 GWB

Sachverhalt

Das Land Rheinland-Pfalz ist Inhaber des Fischereirechts an der  linksrheinischen Rheinstrecke. Inhalt des Fischereirechts ist im Wesentlichen der Fischfang und die Hegepflicht.

Nach § 16 LFischG kann die Ausübung des Fischereirechts durch Abschluss eines Fischereipachtvertrages für mindestens zwölf Jahre auf Andere übertragen werden.

Zum 01.01.2019 wollte das Land die Pachtverträge neu vergeben. Zu diesem Zweck hat sie Interessensbekundungsverfahren durchgeführt und zwei Gebietslose gebildet. Den elektronisch bereit gestellten Unterlagen war ein Vertragsentwurf beigefügt, der neben dem Pachtzins lediglich Eckpunkte enthielt, so dass eine spätere Konkretisierung (nach dem Zuschlag) erforderlich war. Eine EU-Bekanntmachung erfolgte nicht.

Als Zuschlagskriterien waren neben der Höhe des Pachtzinses die „strukturelle Qualifikation“ und „fachliche Referenzen des Bieters“ vorgesehen.

Nach den Vorgaben der Leistungsbeschreibung waren neben der Hegepflicht weitere Verpflichtungen, insbesondere die Ausstellung von sog. Angelkarten für Freizeitfischer, für die Bieter vorgesehen. Die Einnahmen aus dem Verkauf dieser Angelkarten sollten zu einem Drittel bei dem Pächter verbleiben, der Rest sollte an das Land abgeführt werden.

Gegen die Vergabe des Loses 1 wurde von dem dort unterlegenen Bieter ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet.

Dieses blieb bei der Vergabekammer ohne Erfolg, da sie von einer Dienstleistungskonzession und nicht von einem Dienstleistungsauftrag ausging. Für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen lag der maßgebliche Schwellenwert bei 5,225 Mio. EUR, so dass die vorliegende Vergabe mit einem deutlich niedrigeren Auftragswert der Prüfung durch die Vergabekammer nicht zugänglich war. Gegen die Entscheidung der Vergabekammer wurde sofortige Beschwerde eingelegt.

Die Entscheidung

Mit Erfolg! Das OLG Koblenz gelangt zu der Auffassung, dass der Abschluss des Fischereipachtvertrags ein Dienstleistungsauftrag und keine Dienstleistungskonzession sei.

Zunächst musste sich das OLG aber mit der Frage beschäftigen, ob überhaupt ein öffentlicher Auftrag vorliegt, da es ja um den Abschluss eines Pachtvertrages ging. Dies bejaht das OLG mit dem Argument, dass der Pachtvertrag auch Auftragselemente enthalte, es also nicht nur um den Abschluss des Pachtvertrags gehe, was vergaberechtsfrei wäre. Der vorgesehene Vertrag enthalte für die Bieter Leistungspflichten, die im Zweifel auch einklagbar seien.

Diese Auftragselemente wiederum seien von dem Pachtvertrag nicht zu trennen. Deshalb sei das Vergaberecht nach der Entscheidung des EuGH (Urteil v. 06.05.2010 – C-145/08 -, siehe ) einschlägig.

Die Annahme einer Dienstleistungskonzession lässt das OLG dann an § 105 Abs. 2 GWB und somit dem mangelnden Betriebsrisikos des Pächters scheitern. In der mündlichen Verhandlung hatte sich zuvor herausgestellt, dass selbst bei einem hälftigen Rückgang der Erlöse aus dem Verkauf der Angelkarten der Pächter immer noch schwarze Zahlen schreiben würde. Daraus leitet das OLG ab, dass „nach menschlichem Ermessen“ rote Zahlen während der Vertragslaufzeit ausgeschlossen werden können.

Im Hinblick auf die fehlende EU-Bekanntmachung verneinte das OLG die Antragsbefugnis der Antragstellerin. Die fehlende EU-Bekanntmachung könne sich vorliegend nicht schadenskausal ausgewirkt habe, da die Antragstellerin ja schließlich ein Angebot abgegeben habe. Die Antragstellerin habe nicht dargelegt, dass sie im Falle einer EU-Bekanntmachung ein chancenreicheres Angebot hätte abgeben können.

Für zulässig und begründet hält das OLG sodann die angegriffenen Zuschlagskriterien. Diese seien weitestgehend unternehmensbezogen und könnten daher über das Preis-Leistungs-Verhältnis nichts aussagen. Sie seien daher untauglich und somit unzulässig (Stichwort: Mehr an Eignung).

Rechtliche Würdigung

Im Mittelpunkt der Entscheidung stand die Frage des Betriebsrisikos des Pächters, weshalb auch nur hierzu Stellung genommen werden soll.

Das Betriebsrisiko hatte die Vergabekammer noch „eindeutig“ bejaht und dies damit begründet, dass die Pachtzinsen vom Pächter auch dann zu zahlen sind, wenn Fische oder Fischer wegbleiben.

Das OLG hielt einen Rückgang von Fischern und/oder Fischen für so unwahrscheinlich, dass Verluste des Pächters „nach menschlichem Ermessen“ ausgeschlossen seien.

Damit stellt sich die Frage, wie wahrscheinlich ein Verlust sein muss, damit aus vergaberechtlicher Sicht ein Betriebsrisiko vorliegt. Ein Risiko definiert sich bekanntermaßen als Produkt aus Schadenseintrittswahrscheinlichkeit und möglicher Schadenshöhe. Vorliegend mag es unwahrscheinlich sein, dass die Fischpopulation plötzlich verschwindet und das Fischereirecht nichts mehr wert ist. Es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden. Ein plötzliches Fischsterben, etwa durch Krankheiten oder Umweltkatastrophen kann aber – auch nach menschlichem Ermessen – meines Erachtens gerade nicht ausgeschlossen werden.

Ich tendiere daher eher zu der Auffassung der Vergabekammer und sehe ein Betriebsrisiko als gegeben an.

Praxistipp

Die Frage nach dem Vorliegen eines Betriebsrisikos stellt sich nach der Entscheidung des OLG Koblenz auch für andere Bereiche unter Umständen neu. Wie wahrscheinlich ist bspws. ein Verlust bei dem Betrieb von Kantinen? Oder bei Dienstleistungskonzessionen für die Vermarktung von Altkleidern?

Nach der Entscheidung des OLG Koblenz ist auf jeden Fall zu empfehlen, sich mit der Frage des Betriebsrisikos näher zu beschäftigen als in der Vergangenheit. Auch sollten die einschlägigen Überlegungen Eingang in die Vergabedokumentation finden.

Im Übrigen bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung zu dieser Frage weiter entwickelt. Denn dogmatisch durchdrungen scheint mir diese Thema noch nicht zu sein.

Der Autor hat in diesem Nachprüfungsverfahren den Antragsgegner vertreten.

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