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Ist eine Aufhebung des Verfahrens trotz angemessener Preise und fehlerhafter Kostenschätzung wirksam? (VK Bund, Beschl. v. 14.08.2017, VK1-75/17)

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BauleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungKann die Aufhebung eines Vergabeverfahrens Bestand haben, obwohl sie vergaberechtswidrig ist? Die VK Bund hat hierzu eine interessante und klare Entscheidung getroffen.

 

Leitsatz

1. Das Vorliegen eines sachlich rechtfertigenden Grunds reicht für eine wirksame Aufhebung des Vergabeverfahrens aus.
2. Die Korrektur von Fehlern im Vergabeverfahren stellt einen Grund dar, aus dem die Aufhebung eines Vergabeverfahrens sachlich gerechtfertigt ist. Dabei ist die Korrektur von Fehlern unabhängig von den Voraussetzungen des § 17 EU VOB/A 2016 zulässig.
3. Einer wirksamen Aufhebung steht auch nicht entgegen, dass der Auftraggeber den Fehler selbst zu vertreten hat.

§ 17 EU VOB/A

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Bauleistungen im Offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Nach Submission war das Angebot des Bieters A das preisgünstigste. Da aber alle Angebotspreise erheblich über den vom AG geschätzten Kosten lagen, hob der AG nach Durchführung der Aufklärungsgespräche das Verfahren auf, da nur Angebote mit unerwartet hohen, aber nicht unangemessen hohen Preisen vorlägen und die genehmigten Haushaltsmittel nicht ausreichten. Der AG kündigte daher an, die Vergabeunterlagen grundlegend z.B. im Hinblick auf günstigere Materialien, Konstruktion etc. zu überarbeiten und anschließend den Auftrag neu auszuschreiben. Bieter A rügte darauf, dass kein Aufhebungsgrund vorliege, der AG keine ordnungsgemäße Kostenschätzung vorgenommen und die Aufhebung somit selbst zu vertreten habe. Letztlich diene das durchgeführte Vergabeverfahren nur der Markterkundung. Des Weiteren berief er sich auf das Vorliegen einer Scheinaufhebung im Sinn der Rechtsprechung. Nachdem der AG der Rüge nicht abhalf, beantragte A Nachprüfung mit dem Ziel, die Aufhebung der Aufhebung zu erreichen, hilfsweise die Feststellung, dass die Aufhebung rechtswidrig war.

Die Entscheidung

Die VK gibt hier Bieter A nur bezüglich seines Hilfsantrags Recht, da das Vergabeverfahren rechtswidrig aufgehoben wurde und der Bieter A dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Der Hauptantrag ist aber unbegründet, d.h. die Aufhebung des Vergabeverfahrens ist zwar rechtswidrig, aber gleichwohl wirksam und hat Bestand.

Rechtliche Würdigung

Die Aufhebung des Vergabeverfahrens ist zwar rechtswidrig, aber trotzdem wirksam und hat Bestand. Denn unabhängig davon, ob ein Aufhebungsgrund i.S.d. § 17 EU VOB/A vorliegt, kann ein AG von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen. Nach ständiger Rechtsprechung (BGH, B. v. 20.03.2014, X ZB 18/13; OLG Düsseldorf, B. v. 16.10.2013, VII-Verg 16/13) unterliegt er keinem Kontrahierungszwang d.h. er braucht einen ausgeschriebenen Auftrag nicht zu erteilen und eine Vergabe nicht mit einem Zuschlag abzuschließen. In der Rechtsprechung (BGH, B. v. 20.03.2014, a.a.O.; BGH, B. v. 18.02.2003, X ZB 43/02; OLG Düsseldorf, B. v. 27.06.2012, VII-Verg 6/12; OLG Düsseldorf, B. v. 16.11.2010- VII-Verg 50/10) sind nur wenige Ausnahmen anerkannt, unter denen eine Aufhebung aufzuheben und das ursprüngliche Vergabeverfahren fortzuführen ist; dies sind das Fehlen eines sachlich gerechtfertigten Grundes oder die Scheinaufhebung zu dem Zweck, einen Bieter gezielt zu diskriminieren. Die Voraussetzungen dieser Ausnahmetatbestände sind hier aber nicht erfüllt.
Ein sachlich gerechtfertigter Grund für die Aufhebung besteht vorliegend darin, dass die bisher eingegangenen Angebote die dem AG zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel erheblich übersteigen. Um preislich niedrigere Angebote zu erhalten, will der AG die ausgeschriebenen Leistungen daher ändern, indem er u.a. preiswertere Materialien und Ausführungsarten vorschreibt, anschließend soll dann der geänderte Auftrag in einem neuen Vergabeverfahren vergeben werden. Die Korrektur solcher Fehler stellt einen Grund dar, aus dem die Aufhebung eines Vergabeverfahrens sachlich gerechtfertigt ist ( BGH, B. v. 20.03.2014, a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 12.01.2015, VII-Verg 29/14; v. 16.11.2010, VII-Verg 50/10; vom 10.11.2010, VII-Verg 28/10). Dass der AG den Fehler, der zur Aufhebung des Verfahrens führt, möglicherweise selbst zu vertreten hat, weil seine Kostenschätzung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist und er deshalb zu wenig Haushaltsmittel eingeworben hat, steht einer wirksamen Aufhebung nicht entgegen. Denn es würde gegen den Grundsatz der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung verstoßen, wenn man einen AG dazu zwingen könnte, einen Auftrag zu vergeben, den er nicht bezahlen kann und den er – wie hier – in der ursprünglich ausgeschriebenen Ausführung gar nicht mehr will. Auch in diesem Fall ist das Interesse des A hinreichend dadurch geschützt, dass er Schadensersatz dafür verlangen kann, dass er vergeblich ein Angebot auf eine fehlerhafte Ausschreibung hin erstellt hat.

Des Weiteren handelt es sich vorliegend nicht um eine Scheinaufhebung, die erfolgt ist, um den Auftrag anderweitig an einen bestimmten Bieter zu vergeben und so andere Bieter gezielt zu diskriminieren. Denn der AG beabsichtigt, den Zuschlag erst im Anschluss an ein neu durchzuführendes Vergabeverfahren, also im Wettbewerb, zu erteilen. Jedenfalls wird A hierbei nicht diskriminiert, weil er an dem vorgesehenen Verhandlungsverfahren zu beteiligen ist. Der Nachteil, den der A durch die Aufhebung erleidet, besteht vielmehr darin, dass sein möglicherweise zu bezuschlagendes Angebot jetzt gegenstandslos ist. Dabei handelt es sich aber nicht um eine gezielte Diskriminierung des A, sondern um einen jeder Aufhebung innewohnenden Reflex. Allein dieser Reflex kann jedoch nicht dazu führen, dass der AG – wie bereits aufgezeigt – dazu gezwungen werden kann, am alten Vergabeverfahren festzuhalten anstatt dieses aus Gründen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit aufzuheben, was selbst dann gilt, wenn er es selbst zu vertreten hat, dass ihm die benötigten finanziellen Mittel nicht zur Verfügung stehen.

Da ein Bieter allerdings gemäß § 97 Abs. 6 GWB einen Anspruch darauf hat, dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält, kann er – im Wege eines Antrags auf Feststellung, dass er durch die Aufhebung in seinen Rechten verletzt ist – Schadensersatz verlangen, wenn der Auftraggeber das Vergabeverfahren – wie hier – rechtswidrig aufgehoben hat.

Praxistipp

Auf den ersten Blick eine etwas kuriose Entscheidung: Die Aufhebung des Verfahrens hat weiterhin Bestand, obwohl sie eindeutig rechtswidrig ist. Dies gilt auch dann, wenn wie hier alle Angebotspreise selbst nach Einschätzung des AG durchaus angemessen und seine eigene Kostenschätzung fehlerhaft waren. Allerdings zeigt die Entscheidung, dass die Hürden für eine Aufhebung der Aufhebung doch sehr hoch sind. Wie die VK dazu hinweist, könnten zwar die dazu von der Rechtsprechung anerkannten Fallgruppen (Fehlen eines sachlich gerechtfertigten Grundes, Scheinaufhebung) durchaus erweiterungsfähig sein. Diese müssten sich aber immer danach orientieren, dass ein Kontrahierungszwang des AG ausnahmsweise nur dann besteht, wenn die Aufhebung aus ähnlichen und rechtlich zu missbilligenden Gründen oder gar missbräuchlich erfolgt. Ist dies aber nicht der Fall, bleibt in solchen Fällen dem betroffenen Bieter letztlich nur ein Schadensersatzanspruch, gerichtet auf das negative Interesse, d.h. auf den Ersatz seiner vergeblich aufgewendeten Angebotserstellungskosten.

Seminarhinweis:
Am 24.01.2018 wird in Berlin ein DVNW Akademie Seminar zur Vergabe von Bauleistungen unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung zum Vergaberecht stattfinden. Informationen zum Seminarinhalt und eine Anmeldemöglichkeit finden Sie unter diesem Link.

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Rüge intransparenter Bewertungskriterien ist nach Teilnahmewettbewerb präkludiert! (OLG München, Beschl. v. 10.08.2017 – Verg 3/17)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

Durch die frühere, strenge Schulnotenrechtsprechung des OLG Düsseldorf gerieten Wertungssysteme zunehmend in den Fokus von Nachprüfungsverfahren. Erfolglose Bieter sahen dies zuletzt zunehmend als Chance, Vergabeverfahren – mitunter auch in einem sehr späten Stadium – noch zu blockieren und nach einer Rückversetzung ihr Glück noch einmal zu probieren. Doch damit könnte nun Schluss sein! 

GWB § 97 Abs. 1, 2, § 106 Abs. 3 Nr. 2, § 163

Leitsatz

  1. Ergibt sich bereits aus der Bekanntmachung, dass die Auswahl von Teilnehmern für einen Wettbewerb (hier: nicht offener Realisierungswettbewerb für Architekten) anhand allgemein gehaltener, wertender Begriffe wie „Innovation, Originalität, gestalterische Qualität“ erfolgt, ohne dass diese gegenseitig abgegrenzt werden und/oder aufgeschlüsselt ist, welche Einzelfaktoren/Unterkriterien für die Einstufung in die vorgegebenen Kategorien maßgeblich sind, muss dies als möglicher Vergabeverstoß in aller Regel vor Abgabe seines Teilnahmeantrags gerügt werden.*)
  2. Es ist mit den Grundsätzen des Vergabeverfahrens, das auf Beschleunigung und eine möglichst rasche, rechtssichere Klärung strittiger Vergabeverstöße ausgerichtet ist, nicht vereinbar, dass sich ein Antragsteller zunächst mit dem teilweisen Unterliegen vor der Vergabekammer abfindet, um dann, wenn die partielle Wiederholung eines Verfahrensteils nicht zum gewünschten Ergebnis führt, sein ursprüngliches Petitum mit denselben Erwägungen wieder aufzugreifen. Verfolgt er nicht im Instanzenzug sein primäres Hauptanliegen weiter, steht die bestandskräftige Abweisung seines Antrags durch die Vergabekammer einer erneuten Geltendmachung des Anspruchs mit derselben Begründung entgegen.*)
  3. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass nicht gerügte, präkludierte Verstöße nicht von Amts wegen aufgegriffen werden dürfen, ist nur in ganz besonders gelagerten Fällen gerechtfertigt, nämlich dann, wenn ein so schwerwiegender Fehler vorliegt, dass eine tragfähige Zuschlagsentscheidung bei einer Fortsetzung des Verfahrens praktisch nicht möglich ist, etwa weil nur willkürliche oder sachfremde Zuschlagskriterien verbleiben oder das vorgegebene Wertungssystem so unbrauchbar ist, dass es jede beliebige Zuschlagsentscheidung ermöglicht (hier verneint).*)
  4. Zum Grundsatz der Gleichbehandlung bei einer angeordneten Neubewertung von Referenzen.*)

 

Sachverhalt

1. Der Auftraggeber eines nicht offenen Realisierungswettbewerbs nach RPW 2013 beschränkte die Zahl der Teilnehmer und gab die Auswahlkriterien in der EU-weiten Wettbewerbsbekanntmachung an. Entscheidend für die Auswahl sollte die Bewertung der technischen Leistungsfähigkeit einerseits und der planerisch-gestalterischen Leistungsfähigkeit andererseits sein. Beides wollte der Auftraggeber anhand von Bewerberangaben zu eingereichten Projektreferenzen bewerten. Die Bekanntmachung verwies auf zwei im Internet abrufbare Anlagen, welche die Bewertung näher erläuterten.

2. Ein rangabgeschlagener Bewerber rügte die Bewertung seines Teilnahmeantrags als intransparent, nicht hinreichend begründet und nicht überprüfbar und begehrte in einem ersten Nachprüfungsverfahren die Aufhebung des Verfahrens und Zurückversetzung in den Stand der Bekanntmachung.

Mit diesem Antrag hatte er aber keinen Erfolg, denn es fehlte so die Vergabekammer Südbayern bezüglich der Auswahlkriterien an einer vorigen Rüge. Nur der hilfsweise Antrag auf Neubewertung hatte Erfolg, da der Auftraggeber auch bei einer zwischenzeitlich erfolgten Nachbewertung zur Überzeugung der Vergabekammer teils sachfremde und unzulässige Erwägungen herangezogen habe.

3. Da keine Seite gegen diese Entscheidung Rechtsmittel einlegte, wurde sie bestandskräftig.

4. Als der Bewerber auch im Zuge der zweiten Neubewertung nicht im weiteren Verfahren berücksichtigt wurde, reichte er erneut einen Nachprüfungsantrag ein und begehrte wie schon im ersten Nachprüfungsverfahren – in der Hauptsache die Aufhebung und Rückversetzung des Verfahrens.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Soweit sich der Nachprüfungsantrag auf die Unbestimmtheit und Intransparenz der Zuschlagskriterien stützte, scheiterte dies aus verschiedenen Gründen.

1. Transparenzmängel des Wertungssystems schon in der Bekanntmachung bzw. deren Anlagen hinreichend erkennbar

So war der Vortrag aus Sicht des OLG München mangels Rüge vor Ablauf der Bewerbungsfrist gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB präkludiert. Zur Überzeugung des Gerichts waren die geltend gemachten Transparenzmängel nämlich schon aus der Bekanntmachung bzw. den veröffentlichten Anlagen  hinreichend erkennbar:

· So sei selbst ohne rechtliche Beratung erkennbar, dass die Auswahlkriterien Originalität, Innovation, gestalterische Qualität und Übertragbarkeit der vorgenannten Aspekte auf das anstehende Projekt sehr allgemein gehalten sind. Es sei erkennbar, dass die Kriterien in keiner Weise gegeneinander abgegrenzt oder konkretisiert wurden und dass sie nicht in weitere Unterkriterien aufgeschlüsselt wurden.

· Auch, dass für die (schulnotenähnlichen) vier Bewertungsstufen von weniger gut geeignet bis hin zu besonders geeignet keine Anknüpfungspunkte mitgeteilt worden waren, war erkennbar.

· Das gleiche gilt in Bezug auf den Umstand, dass bei der vorgesehenen Bewertung durch ein Auswahlgremium subjektive Komponenten eine wichtige Rolle spielen würden und dass dies dem Auftraggeber erhebliche Bewertungsfreiräume verschaffe.

· Ebenso fiel dem Gericht zufolge ins Auge, dass bei der Bewertung der technischen Leistungsfähigkeit einerseits und der planerisch-gestalterischen Leistungsfähigkeit andererseits jeweils unterschiedlich viele Referenzen gewertet werden sollten  und für die Bewertung dabei auch unterschiedliche Punktesysteme zugrunde vorgesehen waren.

All diese vermeintlichen Mängel hätte der Bewerber daher bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist rügen müssen daran fehlte es hier aber.

2. Kriterien nicht sachfremd oder willkürlich: keine zweite Chance bei bestandskräftigem Vergabekammerbeschluss

Darüber hinaus hatte der Bewerber dieselben Einwände schon in dem ersten, inzwischen bestandskräftig beschiedenen Nachprüfungsantrag erfolglos erhoben. Selbst, wenn die strittigen Kriterien wenig präzise gefasst waren, wäre ein Aufgreifen von Amts wegen nur ausnahmsweise in Betracht gekommen. Die Vergaberechtsfehler hätten so schwerwiegend sein müssen, dass eine tragfähige Zuschlagsentscheidung nicht möglich gewesen wäre. Dafür hätten die Zuschlagskriterien schon willkürlich oder sachfremd sein müssen oder das Wertungssystem so unbrauchbar, dass es jede beliebige Zuschlagsentscheidung ermöglichte. Das verneinte der Senat hier. Alle Kritikpunkte führten nämlich nicht dazu, dass eine rechtskonforme, überprüfbare Auswahlentscheidung nicht mehr möglich sei.

Rechtliche Würdigung

Bisherige Rechtsprechung

Hinsichtlich der Transparenzanforderungen an Wertungssysteme knüpft der Senat des OLG München explizit an die Entscheidung des BGH vom 4.04.2017 (Az. X ZB 3/17) an und überträgt die dortigen Erwägungen zur grundsätzlichen Zulässigkeit von Schulnotensystemen auf Realisierungswettbewerbe nach RPW 2013. Man wird also davon ausgehen können, dass umgekehrt auch seine eigenen Erwägungen zu der Rügeobliegenheit entsprechend auch in normalen Vergabeverfahren gelten.

Ob intransparente Zuschlagskriterien und Bewertungssysteme für durchschnittliche Bieter erkennbar sind und damit eine Rügeobliegenheit auslösen, wird in der Rechtsprechung bislang nicht ganz einheitlich entschieden. Ebenso wie hier das OLG München bejahte auch schon das OLG Naumburg die Erkennbarkeit (vgl. Beschluss vom 16.12.2016, Az: 7 Verg 6/16). Das OLG Düsseldorf lehnte dies hingegen zumindest in der Tendenz mit Blick auf die sich erst noch entwickelnde Rechtsprechung zu den Anforderungen an Bewertungssysteme bislang noch eher ab, ließ das im Ergebnis aber im entschiedenen Fall ausdrücklich offen (vgl. Beschluss vom 8.03.2017, Az.: Verg 39/16, ihm folgend: VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 8.06.2017, Az.: 1 VK 14/17). Allerdings gesteht auch das OLG Düsseldorf in der betreffenden Entscheidung zu, dass angesichts der breiten öffentlichen Diskussion über die vergaberechtlichen Anforderungen an Wertungssysteme ein gewisses Problembewusstsein der Bieter erwartet werden kann. Das erscheint lebensnah.

Frühe Präklusion bei Anlagen zur Bekanntmachung

Interessanterweise behandelt das Gericht auch Vergaberechtsfehler, die nicht in der Bekanntmachung selbst, sondern in im Internet abrufbaren Anlagen zu dieser enthalten sind, als Vergaberechtsfehler, die aufgrund einer Bekanntmachung erkennbar sind und nicht erst als Fehler in den Vergabeunterlagen, so dass die Präklusion schon zum Ablauf der Bewerbungsfrist gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB eintrat. Dies erscheint insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Beanstandungen hier den Teilnahmewettbewerb betrafen, auch sachgerecht. Aber auch darüber hinausgehend lässt sich fragen, ob nicht eigentlich seit der Vergaberechtsreform eine solch frühe Rügepräklusion generell in zweistufigen Verfahren greifen muss. Soweit Vergabeunterlagen durch einen Link bereits in der Bekanntmachung abrufbar sind, sind dort enthaltene, erkennbare Mängel schließlich schon aufgrund einer Bekanntmachung erkennbar. Es ist nicht so recht einzusehen, weshalb der Bieter hier den Ausgang eines Teilnahmewettbewerbs abwarten und sich bis zur Angebotsabgabe mit einer Rüge erkennbarer Mängel Zeit lassen können sollte. Hier bleibt die weitere Rechtsprechung abzuwarten.

Praxistipp

Bieter sollten sich nach dieser Entscheidung nicht darauf verlassen, intransparente Auswahlkriterien noch als Trumpf aus dem Ärmel ziehen zu können, wenn alle andere Stricke reißen!

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Die Angebotsfrist bei der Freihändigen Vergabe nach der VOB/A

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Liefer- & DienstleistungenRecht

Bei vielen Vergabestellen, aber auch bei Bietern herrscht nach wie vor häufig der Irrglaube, dass die zehntägige Angebotsfrist des § 10 Abs. 1 VOB/A bei der Freihändigen Vergabe von Bauleistungen keine Anwendung findet. Dieser Irrtum kann teuer werden, wie der nachfolgende Rechtsbeitrag verdeutlicht.

I. Einleitung

Regelmäßig gehen Vergabestellen, Fördermittelempfänger sowie Bieter davon aus, dass die Angebotsfrist von zehn Kalendertagen nach § 10 Abs. 1 VOB/A bei der Vergabe von Bauleistungen lediglich für die Öffentliche und Beschränkte Ausschreibung zu beachten ist, für die Freihändige Vergabe jedoch nicht. Begründet wird dies in der Regel damit, dass bei einer Anwendung der Mindestfrist von zehn Kalendertagen auf die Freihändige Vergabe die Flexibilität dieses Vergabeverfahrens mit Verhandlungsmöglichkeit eingeschränkt werde und die Vorschrift lediglich die Ausschreibungen umfasse.

Die Annahme, die Angebotsfrist von zehn Kalendertagen müsse bei einer Freihändigen Vergabe nicht eingehalten werden, führt jedoch zu einem Vergabefehler, der für Vergabestellen eine Beanstandung durch die Rechnungshöfe, für Fördermittelempfänger eine Rückforderung der Zuwendung nach sich ziehen und zudem Bieter in die Lage versetzen kann, unter Umständen Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche gegen den öffentlichen Auftraggeber geltend zu machen.

II. Regelung des § 10 Abs. 1 VOB/A

§ 10 Abs. 1 VOB/A regelt, dass für die Bearbeitung und Einreichung der Angebote eine ausreichende Angebotsfrist vorzusehen ist, die auch bei Dringlichkeit nicht weniger als zehn Kalendertage betragen darf.

Sinn und Zweck der Regelung ist, dass die Bieter, die Angebote abgeben, ausreichend Zeit haben, die Entscheidung zur Teilnahme an dem Vergabeverfahren zu treffen, ein qualitativ hochwertiges Angebot zu erarbeiten und dieses bei der Vergabestelle auch form- und fristgerecht einzureichen. Es sollen insbesondere nicht ordnungsgemäße Angebotskalkulationen vermieden werden.

Darüber hinaus setzt die Norm eine Untergrenze. Die Angebotsfrist darf selbst bei Dringlichkeit nicht auf unter zehn Kalendertagen festgelegt werden. Damit wird der Bezug zur einfachen Dringlichkeit hergestellt, bei der überhaupt noch Vergleichsangebote eingeholt werden können. Bei der besonderen Dringlichkeit, bei der unter Umständen eine Direktvergabe des öffentlichen Auftrags zulässig ist, wäre die Einhaltung der Angebotsfrist nicht sachgerecht, weil die Vergabestelle aufgrund unvorhersehbarer Umstände auf die unverzügliche Beschaffung angewiesen ist und wegen der zeitlichen Enge kein Raum für die Aufforderung von Unternehmen zur Angebotsabgabe bleibt. Die strikte Untergrenze verdeutlicht die Bedeutung der Mindestfrist, die zugunsten einer sorgfältigen Angebotsbearbeitung- und -einreichung der Bieter bezweckt, dass selbst bei dem ohnehin sehr eng auszulegenden Tatbestand der einfachen Dringlichkeit die zu setzende Angebotsfrist 10 Kalendertage keinesfalls unterschreiten darf.

III. Anwendung des § 10 Abs. 1 VOB/A bei der Freihändigen Vergabe

Dass die Angebotsfrist auch bei Freihändiger Vergabe gilt, zeigt sich insbesondere daran, dass der § 10 Abs. 1 VOB/A keine Einschränkung auf Ausschreibungen vornimmt. Wenn dies gewollt wäre, dann wäre eine Formulierung wie in § 10 Abs. 3 VOB/A aufgenommen worden, der die Vergabeart explizit nennt, für die der Absatz gelten soll. Die allgemeine Formulierung lässt den Schluss zu, dass die Regelung für alle Vergabearten der VOB/A gelten soll.

Auch die Regelung des § 10 Abs. 1 S. 2 VOB/A, die bei der Bemessung einer ausreichenden Angebotsfrist insbesondere auch auf den zusätzlichen Aufwand für die Besichtigung von Baustellen oder die Beschaffung von Unterlagen für die Angebotsbearbeitung abstellt, spricht für die Anwendung der Mindestfrist auch bei der Freihändigen Vergabe. Denn ein solcher zusätzlicher Aufwand kann durchaus auch bei einer Bauleistung vorhanden sein, die aufgrund ihres geschätzten Auftragswertes lediglich freihändig vergeben wird.

Zuweilen wird aus § 10 Abs. 6 VOB/A, der die Absätze 4 bis 5 auch bei der Freihändigen Vergabe für entsprechend anwendbar erklärt, im Umkehrschluss gefolgert, dass § 10 Abs. 1 VOB/A gerade nicht für entsprechend anwendbar erklärt wird, weil dieser nicht genannt ist, und die Angebotsfrist von zehn Kalendertagen daher nicht gilt.

Aus § 10 Abs. 6 VOB/A kann jedoch nach Ansicht des Autors nicht gefolgert werden, dass eine 10-tägige Angebotsfrist bei Freihändigen Vergaben nicht gilt. § 10 Abs. 6 VOB/A besagt lediglich, dass die Regelungen zur Bindefrist in den Absätzen 4 – 5 für die Freihändige Vergabe „entsprechend“ gelten. Hier ist aus dem Umkehrschluss nicht zu folgern, dass die Regelungen zur Angebotsfrist in § 10 Abs. 1 VOB/A nicht gelten, weil eine „entsprechende“ Anwendung nicht geregelt wird.

Vielmehr knüpfte die Regelung bereits in der alten Fassung in § 10 Abs. 5 VOB/A 2012, für die § 10 Abs. 8 VOB/A 2012 die entsprechende Anwendung auf die Freihändige Vergabe festlegte, den Beginn der Zuschlagsfrist an den Eröffnungstermin. Da es bei der Freihändigen Vergabe jedoch keinen formellen Eröffnungstermin gibt, musste hier eine „entsprechende“ Anwendung festgelegt werden. Bei § 10 Abs. 1 VOB/A 2012 demgegenüber, der die Länge der Angebotsfrist regelte, wurde demgegenüber nicht an Umstände geknüpft, die bei der Freihändigen Vergabe nicht zu finden waren, sodass hier ohne Weiteres eine direkte Anwendung stattfand, ohne dass es überhaupt einer „entsprechenden“ Anwendung bedurfte.

In der neuen Fassung ordnet die Regelung des § 10 Abs. 6 VOB/A weiterhin die „entsprechende“ Anwendung der Abs. 4 und 5 an, obwohl der Begriff des Eröffnungstermins entfallen ist. Diese Absätze treffen nunmehr Regelungen zur Bindefrist.

Grundsätzlich muss für die Angebote im Rahmen einer Freihändigen Vergabe wie bei den Ausschreibungen ebenfalls eine Bindefrist festgelegt werden. Da sich mangels bestehenden Verhandlungsverbots bei der Freihändigen Vergabe die Angebotsinhalte regelmäßig ändern, soll die entsprechende Anwendung dafür Sorge tragen, dass auch bei der Freihändigen Vergabe mit sich ändernden Angeboten ein fester Beginn sowie ein festes Ende der Bindefrist festgelegt sein müssen. Ansonsten könnte der Rechtsanwender auf die Idee kommen, dass bei aufgrund von Verhandlungen neuem Inhalt des Angebots eine Bindefrist des Angebots erneut zu laufen beginnt, sodass die Verhandlungsmöglichkeit bei der Freihändigen Vergabe die Vorgaben zu der Bindefrist aufweichen würde. Durch die entsprechende Anwendung wird lediglich dies verhindert. Einer entsprechenden Anwendung des § 10 Abs. 1 VOB/A bedarf es wegen der schon direkten Anwendung aber nicht.

Der mit § 10 Abs. 1 VOB/A verfolgte Sinn und Zweck muss auch bei der Freihändigen Vergabe von Bauleistungen erfüllt werden. Bauleistungen sind Arbeiten, durch die eine bauliche Anlage hergestellt, instandgehalten, geändert oder beseitigt wird. Zwar können Bauleistungen einen geringen Umfang einnehmen, bei dem ein Angebot aufgrund des geringen Aufwands qualitativ hochwertig auch in einer Frist unter zehn Kalendertagen erarbeitet werden kann. Für diese Bauleistungen bietet aber bereits § 3 Abs. 5 S. 2 VOB/A die Erleichterung, dass unter Umständen sogar eine Direktvergabe des Auftrags ohne Einhaltung einer Angebotsfrist bis zu einem geschätzten Auftragswert in Höhe von 10.000,00 Euro vorgenommen werde darf.

Regelmäßig erfordern die Bauleistungen über diesem Wert im Vergleich zu reinen Liefer- und Dienstleistungen jedoch umfangreiche Planungs- und Konzeptarbeiten. Hierfür benötigen die Bieter ausreichende Angebotsfristen, sodass zum Schutz der Bieter zugunsten qualitativ hochwertiger Angebote eine Mindestfrist sachgerecht erscheint. An dieser Stelle darf für die Anwendung der Angebotsfrist die konkrete Vergabeart keinen Unterscheid ausmachen, da dieses Bedürfnis bei der Freihändigen Vergabe ebenso wie bei der Öffentlichen und Beschränkten Ausschreibung besteht.

IV. Beginn, Länge und Ende der Angebotsfrist bei der Freihändigen Vergabe

Eine ausdrückliche Regelung zum Beginn der Angebotsfrist bei der Freihändigen Vergabe einer Bauleistung ist nicht normiert. Wie bereits in § 10a Abs. 1 Nr. 1 EG VOB/A als Pendant zu § 10 Abs. 1 VOB/A geregelt, ist es jedoch sachgerecht, dass die Angebotsfrist vom Tag nach der Angebotsaufforderung gerechnet wird.

§ 187 BGB ist wie stets in Rechtsgebieten außerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuchs auch auf die Angebotsfristen anwendbar. Die Angebotsfrist ist eine Ereignisfrist. § 187 Abs. 1 BGB setzt für eine Ereignisfrist voraus, dass für den Beginn einer Frist ein Ereignis oder ein in den Lauf eines Tages fallender Zeitpunkt maßgebend sein soll. In diesem Fall wird bei der Berechnung der Frist der Tag nicht mitgerechnet, in welchen das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Im Gegensatz dazu regelt § 187 Abs. 2 BGB, dass, wenn der Beginn eines Tages der für den Anfang einer Frist maßgebende Zeitpunkt ist, dieser Tag bei der Berechnung der Frist mitgerechnet wird.

Bei der Freihändigen Vergabe stellt die Absendung der Aufforderung zur Angebotsabgabe das in den Tag fallende Ereignis im Sinne des § 187 Abs. 1 BGB dar, das den Beginn der Angebotsfrist auslöst. Es ist kein Beginn eines Tages im Sinne des § 187 Abs. 2 BGB vorgesehen. Folglich ist die Angebotsfrist eine Ereignisfrist, sodass die Frist mit dem Tag nach Angebotsaufforderung beginnt.

Dies wird auch durch die EU-Verordnung Nr. 1182/71 (EWG, EURATOM) gestützt, die Grundregeln für Fristen, Daten und Termine regelt. In Artikel 3 Absatz 1 dieser Verordnung wird ebenfalls festgelegt, dass bei der Berechnung derjenige Tag der Frist nicht mitgerechnet wird, in den das Ereignis fällt, wenn der Zeitpunkt, in den das Ereignis fällt, für den Beginn der Frist wie vorliegend maßgebend ist. Zwar kann über die Anwendung dieser Verordnung auf das unterschwellige Vergaberecht gestritten werden, im Sinne eines immer weiter zunehmenden Gleichlaufs zwischen dem nationalen und dem europäischen Vergaberecht kann sie jedoch als stützendes Argument dienen.

Die Regelung des § 10 Abs. 1 VOB/A setzt eine Angebotsfrist von „zehn Kalendertagen“ voraus. Das bedeutet, die Regelung setzt zehn „volle“ Kalendertage für die Einreichung und Bearbeitung der Angebote fest. Gegenteiliges kann weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik der Regelung abgeleitet werden. Gerade um „angebrochene“ Tage zu vermeiden, weil eine rechtssichere Mindestfrist gleichberechtigt für eine sorgfältige Angebotsbearbeitung und -einreichung zugunsten aller Bieter gewährleistet sein soll, wird der Beginn der Frist auf den darauffolgenden Tag gesetzt, um mindestens volle zehn Kalendertage bis zu der in den Bewerbungsbedingungen terminlich festgelegten Öffnung der Angebote, dem Ende der Angebotsfrist, für eine sachgerechte Angebotsbearbeitung sicherzustellen. Das bedeutet auch: Wenn die Öffnung der Angebote in den Lauf eines Tages fällt, dass dieser kein voller Kalendertag im Sinne der Angebotsfrist gemäß § 10 Abs. 1 VOB/A ist.

V. Praxistipp

Vergabestellen, Bietern und Fördermittelempfängern ist anzuraten, sich zwingend an die Angebotsfrist von mindestens 10 vollen Kalendertagen zu halten. Selbst bei Vorliegen von einfacher Dringlichkeit, deren enger Tatbestand selbst bereits nur in Ausnahmefällen erfüllt ist, darf die Angebotsfrist nämlich zehn Kalendertage keinesfalls unterschreiten. Lediglich in äußersten Ausnahmefällen, bspw. bei einer zulässigen Direktvergabe wegen besonderer Dringlichkeit, wird die Mindestfrist unterschritten werden dürfen. Darüber hinaus sollte die Mindestfrist nicht zuletzt zugunsten qualitativ hochwertiger Angebote und damit der späteren Leistungsqualität gewahrt werden. Besonders darauf zu achten ist, dass die Tage der Absendung der Aufforderung sowie der Öffnung der Angebote grundsätzlich nicht als volle Kalendertage der Mindestfrist hinzugerechnet werden. Wenn die Mindestfrist im Übrigen nicht eingehalten wird, drohen Rückforderungen, Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche sowie Beanstandungen.

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Polen: Höhere Standards an Erklärungen zum ungewöhnlich niedrigen Angebotspreis

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Liefer- & DienstleistungenRecht

Bieter, die sich um öffentliche Aufträge in Polen bewerben, sollten besonders auf die Formulierung ihrer Aufklärung gegenüber Auftraggebern achten, in denen sie aufzeigen, dass der angebotene Preis nicht ungewöhnlich niedrig ist. Dies folgt aus der neuesten Rechtsprechung der polnischen Landesberufungskammer (poln. Krajowa Izba Odwoławcza), die auf das geänderte polnische Vergabegesetz zurückzuführen ist.

Ungewöhnlich niedriger Preis?

Entsprechend dieser Rechtsprechung ist der Preis ungewöhnlich niedrig, wenn er die Kosten der Auftragserfüllung nicht deckt. Stellt der Auftraggeber fest, dass ihm der Auftragnehmer einen ungewöhnlich niedrigen Preis angeboten hat, ist er verpflichtet, dieses Angebot auszuschlagen. Zuvor hat er den Auftragnehmer zur Abgabe einer Aufklärung aufzufordern, aus der folgt, wie der angebotene Preis berechnet wurde, ob er alle Kosten der Auftragsausführung berücksichtigt und sie auf dem ihm verfügbaren Marktniveau festgelegt hat. Die Beweislast dafür, dass der angebotene Preis dem Marktpreis entspricht, trägt der Auftragnehmer.

Verpflichtung des Auftraggebers zur Aufforderung

Der öffentliche Auftraggeber ist verpflichtet, Auftragnehmer zu Abgabe von Aufklärungen aufzufordern, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:

  • der angebotene Preis, die Kosten oder deren maßgebliche Bestandteile erscheinen im Verhältnis zum Auftragsgegenstand ungewöhnlich niedrig
  • und sie wecken beim Auftraggeber Zweifel an der Ausführung des Auftragsgegenstandes entsprechend seinen oder den sich aus gesonderten Vorschriften ergebenden Anforderungen.

Der öffentliche Auftraggeber kann die Aufklärung bereits dann verlangen, wenn lediglich die wesentlichen Teile des Preises oder der Kosten Zweifel aufwerfen, unabhängig der jeweiligen Vergütungsart (Pauschalbasis oder Kostenschätzung).

Der Auftraggeber kann auf die Aufforderung zur Abgabe der Aufklärung grundsätzlich dann nicht verzichten, wenn der Gesamtpreis des Angebots um mindestens 30% niedriger ist als:

  • der Auftragswert zuzüglich der fälligen Mehrwertsteuer, der je nach Vertragsgegenstand entweder drei (bei Lieferungen oder Dienstleistungen) oder sechs (bei Bauleistungen) Monate vor Einleitung des Vergabeverfahrens ermittelt wird,
  • das arithmetische Mittel aller abgegebenen Angebotspreise.

Das Vorgenannte gilt nicht, wenn die Abweichung auf offensichtlichen Umständen beruht.

Der Auftraggeber hat in seiner Aufforderung genau anzugeben, welche Bestandteile des Angebots er anzweifelt und welche Bestandteile der Unternehmer besonders zu erläutern hat. Oft begnügen sich polnische öffentliche Auftraggeber jedoch mit einer allgemeinen Aufforderung zur Abgabe der Aufklärung. In solchen Fällen entscheidet der Auftragnehmer über den Inhalt seiner Aufklärung. Hierbei sollte er jedoch die ihm obliegende Beweislast beachten.

Beweise zur Unterstützung der Aufklärung

Nach der neuesten Rechtsprechung der Landesberufungskammer genügt die bloße Angabe des Auftragnehmers, er sei in der Lage den Auftrag zum angebotenen Preis auszuführen und der Preis sei nicht ungewöhnlich niedrig, nicht. Die Aufklärung ist sachlich und ausführlich abzugeben. Daher legen Auftragnehmer ihren Aufklärungen weitere Berechnungen der Preise oder Stückpreise sowie zahlreiche Berechnungsnachweise wie Verträge, Angebote und Rechnungen bei. Diese Unterlagen können als Geschäftsgeheimnisse gekennzeichnet werden. Die Angaben sollten weder oberflächlich noch allgemein sein.

Die Landesberufungskammer lässt nunmehr – anders als in den Vorjahren – eine weitere Aufforderung des Auftragnehmers zu, bereits gemachte Angaben zu konkretisieren und Beweise einzureichen. Der Auftraggeber hat das Recht, jedes Angebotsdetail zu erfragen: die Art und Menge der Materialien, die Ausrüstung, die anerkannten Komponenten, das Konzept der Vertragserfüllung, die festgelegte Arbeitsorganisation.

Unvereinbarkeit des Angebots mit der Spezifikation (poln. Abkürzung „SIWZ“)

Nach polnischem Vergabegesetz ist ein Angebot abzulehnen, wenn es inhaltlich nicht den Vorgaben der Spezifikation der wesentlichen Auftragsbedingungen (nachfolgend „Spezifikation“) entspricht, d.h. wenn es nicht den in der Vergabedokumentation aufgeführten Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers entspricht.

Es besteht daher die Gefahr, dass Auftragnehmer im Rahmen der Aufklärung der Preisberechnungsmethode zugleich Informationen erteilen, die Zweifel wecken an der Vereinbarkeit des Angebots mit dem Inhalt der Spezifikation, nebst Beschreibung des Auftragsgegenstandes.

Legen Auftragnehmer die Berechnung des Angebotspreises dar, haben sie daher besonders darauf zu achten, ob die von ihnen beschriebenen Lösungen den Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers entsprechen.

Die Landesberufungskammer hat in letzter Zeit bestätigt, dass öffentliche Auftraggeber auf Grundlage von Aufklärungen des Bieters zum ungewöhnlich niedrigen Preis, die Unvereinbarkeit des Angebots mit Regelungen der Spezifikation annehmen können.

Diese Möglichkeit nutzen die öffentlichen Auftraggeber dergestalt, dass sie Aufklärungen der Auftragnehmer äußerst umfassend daraufhin überprüfen, ob die Angebote mit der Vergabedokumentation zu vereinbaren sind. In der Praxis ist es nämlich einfacher auf Grundlage gemachter Angaben der Auftragnehmer die Unvereinbarkeit des Angebots mit der Spezifikation aufzuzeigen als darzulegen, dass das Preisangebot nicht dem Marktpreis entspricht.

Praxistipp

Zusammenfassung

Auftragnehmer trifft die Nachweispflicht darüber, dass das Angebot weder ungewöhnlich niedrig ist noch ungewöhnlich niedrige Kosten beinhaltet.

Ausländischen Auftragnehmern, die sich um öffentliche Aufträge in Polen bemühen, sollte bewusst sein, dass Ungenauigkeiten bei der Preisaufklärung, insbesondere bei der Kostenberechnung, zur Angebotsablehnung führen können. Ein Angebot kann auch dann abgelehnt werden, wenn aus der Aufklärung ersichtlich wird, dass die Berechnung auf einer fehlerhaften Annahme beruht, was dazu führt, dass das Angebot nicht der Beschreibung des Auftragsgegenstandes entspricht.

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Erforderliche Vorbereitungsmaßnahmen stehen Vergabereife nicht entgegen (VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 07.08.2017 – 1 VK 26/17 )

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Öffentliche Auftragsvergaben stehen häufig unter großem zeitlichen Druck. Dieser Zeit- und Termindruck entsteht bereits durch die relativ lange Verfahrensdauer europaweiter Ausschreibungsverfahren. Hinzu kommt, dass öffentliche Auftraggeber im Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung den Bietern sämtliche Unterlagen vollständig zur Verfügung stellen müssen. Mit Blick auf die Herstellung der Vergabereife ist es außerdem erforderlich, alle rechtlichen Voraussetzungen (z.B. behördliche Genehmigungen) zu schaffen, damit die ausgeschriebenen Leistungen wie vorgesehen rechtzeitig ausgeführt werden können. Zu dem skizzierten Spannungsverhältnis zwischen rechtzeitiger Einleitung des Vergabeverfahrens einerseits und den Anforderungen des Grundsatzes der Vergabereife andererseits hat vor kurzem die Vergabekammer Baden-Württemberg aussagekräftige Feststellungen getroffen (Beschluss vom 07.08.2017, 1 VK 26/17).

GWB §§ 121, 132 Abs. 1; VgV § 8

Leitsätze (nicht amtlich)

1. Dem Auftraggeber ist abzuverlangen, dass er vor der Ausschreibung alle rechtlichen Voraussetzungen schafft, damit innerhalb der in den Vergabeunterlagen genannten Fristen mit der ausgeschriebenen Leistung begonnen werden kann.

2. Ein noch zu bewerkstelligender Umbau einer vom Auftraggeber zu stellenden Umschlagstelle für PPK-Abfälle steht der Vergabereife nicht entgegen, wenn unter gewöhnlichen Umständen damit zu rechnen ist, dass die erforderliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung rechtzeitig erteilt wird. Es ist dem Auftraggeber nicht zuzumuten, unter solchen Umständen so lange zu warten, bis er alle vorbereitenden Maßnahmen erledigt hat.

Sachverhalt

Der Auftraggeber (AG) schrieb unter anderem die Sammlung von Papier, Pappe, Kartonagen (PPK) europaweit aus. Leistungsbeginn sollte am 01.01.2018 sein. Die Umschlagstelle für die gesammelten PPK-Abfälle, die vom AG zu stellen war, musste zur Bewältigung des geschätzten Abfallaufkommens noch umgebaut werden. Die erforderliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung, die nach § 10 Abs. 6a BImSchG innerhalb von drei Monaten zu erteilen ist, stellte der AG am 24.05.2017. Der Antragsteller (AS), stützte seinen Nachprüfungsantrag u. a. auf eine fehlende Vergabereife. Es sei nicht sichergestellt, dass eine Umschlagstelle mit den erforderlichen Umschlagskapazitäten zum Zeitpunkt des beabsichtigen Leistungsbeginns vorliege. Daher könne der AS den Sammelbetrieb möglicherweise zunächst nur eingeschränkt aufnehmen und müsste dann ihren Fuhrpark anderweitig auslasten.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Die Vergabekammer Baden-Württemberg entschied, dass Vergabereife vorlag. Zwar sei dem Auftraggeber grundsätzlich abzuverlangen, dass er vor der Ausschreibung sämtliche rechtlichen Voraussetzungen schaffe, die später für den Leistungsbeginn erforderlich sind. Allerdings liege eine fehlende Vergabereife nur dann vor, wenn dem AG ein zögerliches Handeln hinsichtlich der Herbeiführung der notwendigen Voraussetzung vorzuwerfen sei (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 12.05.2005 13 Verg 6/05).

Rechtliche Würdigung

Zögerliches Verhalten des AG lag nach Auffassung der Vergabekammer nicht vor. Der AG habe die erforderliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung so zeitig beantragt, dass ihr Vorliegen aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen noch deutlich vor Vertragsbeginn zu erwarten ist. Der AG konnte somit zur Überzeugung der Vergabekammer glaubhaft darlegen, dass die für die Leistungserbringung erforderliche Umschlagstelle bis zum beabsichtigen Leistungsbeginn bestehen werde.

Die Vergabekammer begründet ihre Entscheidung außerdem damit, dass dem AG ein Zuwarten auf die Genehmigung unter diesen Umständen nicht zumutbar sei. Denn es sei beispielsweise für die Ausschreibung des Neubaus eines Gebäudes auch nicht erforderlich, dass das alte Gebäude vor Beginn der Ausschreibung bereits abgerissen wurde.

Für den Fall, dass der Umbau der Umschlagstelle dennoch nicht rechtzeitig erfolge, könne sich der AS ohnehin nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) schadlos halten.

Praxistipp

Die Entscheidung zeigt, dass es bei der Herstellung der für die Vergabereife erforderlichen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Voraussetzungen auch auf deren Zumutbarkeit für den Auftraggeber ankommt. Vorbereitungsmaßnahmen können noch während des Vergabeverfahrens zum Abschluss gebracht werden, wenn ihr rechtzeitiger Abschluss hinreichend sicher ist und der Auftraggeber bei der Herbeiführung dieser Voraussetzungen nicht zögerlich handelt.

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Mittelwertmethode ist vergaberechtlich problematisch! (VK Sachsen, Beschl. v. 10.08.2017 – 1/SVK/004-17)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungNicht immer ist Auftraggebern ein günstigster Angebotspreis wichtig. Oft genug reicht ihnen ein Angebot, das schlicht nicht überteuert ist, dafür aber eine ordentliche Leistung erwarten lässt. Wie eine aktuelle Entscheidung der Vergabekammer Sachsen zeigt, ist die so genannte Mittelwertmethode dabei aber nicht zu empfehlen!

GWB § 97 Abs. 1; VgV § 58 Abs. 3

Leitsatz (nicht amtlich)

Bei Verwendung der Mittelwertmethode werden im Kriterium Preis Aspekte berücksichtigt, die nichts mit dem Preis an sich, sondern der Qualität des Angebots zu tun haben. Damit fließen in die preisliche Wertung auch qualitative Kriterien mit ein und es kommt zu einer Vermischung von nicht preisbezogenen Kriterien mit der Preiswertung. Soweit ein Auftraggeber aufgrund der Besonderheiten der ausgeschriebenen Leistung qualitative Kriterien als wichtiger als den Preis erachtet, kann und sollte er dies im Wege der Gewichtung der Zuschlagskriterien sicherstellen.

Sachverhalt

Bei der Ausschreibung von Ingenieurleistungen bestimmte der Auftraggeber als Zuschlagskriterium u.a. das angebotene Pauschalhonorar für frei vereinbare Leistungen. Die beste Bewertung sollte in diesem Kriterium dabei dasjenige Angebot erhalten, welches am wenigsten vom Mittelwert aller angebotenen Pauschalhonorare abwich.

Die Entscheidung

Das Bewertungssystem litt im Übrigen an vielen Fehlern, so dass der Nachprüfungsantrag eines unterlegenen Bieters schon aus anderen Gründen erfolgreich war. Die Vergabekammer Sachsen wies jedoch auch über die gerügten Mängel hinaus darauf hin, dass die vorgesehene Mittelwertmethode vergaberechtlich bedenklich sei. Sie könne nämlich dazu führen, dass ein sehr günstiges Angebot schlechter bewertet werde als ein leicht über dem Durchschnitt liegendes, teures Angebot. Insbesondere bei Planungsleistungen im Anwendungsbereich der HOAI sei aber der Preiswettbewerb ohnehin schon eingeschränkt. Durch ein solches Wertungssystem werde den Bietern faktisch der Anreiz zu einem möglichst preisgünstigen Angebot genommen.

Auch dürfe die Mittelwertmethode nicht dazu genutzt werden, Aspekte der Qualität in der Preiswertung unzulässig noch einmal zu berücksichtigen. Wenn dem Auftraggeber die Qualität besonders wichtig ist, könne er dieses Kriterium höher gewichten. Schließlich eigne sich die Methode auch nicht als Schutz vor Dumpingangeboten dazu sei eigens die Auskömmlichkeitsprüfung vorgesehen.

Rechtliche Würdigung

Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung einer Bewertungsmethode gilt: der Zuschlag muss gemäß § 127 Abs. 1 GWB auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt werden. Das wirtschaftlichste Angebot bestimmt sich dabei aber nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Die Bewertung muss also darauf abzielen, dass der für die angebotene Leistung geforderte Preis möglichst gut ist, nicht möglichst durchschnittlich. Es geht darum, sich von konkurrierenden Angeboten möglichst positiv abzuheben, und nicht, ihnen möglichst zu entsprechen.

Nicht zu verwechseln ist die Mittelwertmethode dabei mit der erweiterten Richtwertmethode bzw Medianmethode nach UFAB (vgl. zur Zulässigkeit VK Baden-Württemberg vom 31.01.2017, Az. 1 VK 2/17).

Weitere Entscheidungen

Die Vergabekammer stützt sich unter anderem auch auf eine Entscheidung der EU- Kommission vom 30. Juni 2010. In einem vergaberechtlichen Leitfaden für ESF-geförderte Projekte aus dem Jahr 2015 bekräftigt die EU-Kommission ihre ablehnende Haltung zur Mittelwertmethode noch einmal und rechnet diese sogar zu den häufigen Fehlern in einem Vergabeverfahren (vgl. EU-Kommission, Öffentlichen Auftragsvergabe praktischer Leitfaden, 2015, Seite 76, abrufbar unter diesem Link.

Auch die Vergabekammer des Bundes bezweifelte bereits im Jahr 2013 die vergaberechtliche Zulässigkeit der so genannten Mittelwertmethode. Kurioserweise sollte dabei im damals entschiedenen Fall nicht einmal das durchschnittliche Honorarangebot die maximale Punktzahl erhalten. Vielmehr sollte das Honorar am besten bewertet werden, welches bei 90% des ermittelten Durchschnittspreises aus allen Angeboten lag diesen Durchschnittspreis also um 10% unterschritt. Insoweit gab es im damaligen Fall also schon einen Anreiz für einen wenn auch möglicherweise nur geringfügig – unterdurchschnittlichen Angebotspreis.

Praxistipp

Spätestens nach dieser Entscheidung ist öffentlichen Auftraggebern von der Mittelwertmethode dringend abzuraten! Vor Dumpingpreisen schützt die Mittelwertmethode ohnehin gerade dort nicht, wo Billigangebote üblich sind und damit für einen (zu) niedrigen Durchschnittspreis sorgen. Hier gibt es andere, wirksamere Möglichkeiten, wie beispielsweise verbindliche Kalkulationsvorgaben (s. auch OLG Düsseldorf, Beschluss v. 08.09.2011 Verg 80/11, Härtere Zeiten für Dumping-Angebote? in Vergabeblog.de vom 06/12/2011, Nr. 11489). Insbesondere in Bereichen, in denen Honorar- und Gebührenordnungen den Preiswettbewerb begrenzen, ermöglicht es § 58 Abs. 2 Satz 3 VgV überdies nunmehr, einen Festpreis vorzugeben und das wirtschaftlichste Angebot allein anhand von qualitativen Merkmalen zu bestimmen (ebenso: § 16d EU Abs. 1 Nr. 4 VOB/A). Wem dies zu weit geht, der kann aber auch qualitative Zuschlagskriterien einfach besonders hoch gewichten.

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Sind Inhouse-Unternehmen automatisch öffentliche Auftraggeber? (EuGH, Urt. v. 05.10.2017 – C-567/15 LitSpecMet)

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Bei öffentlich beherrschten Tochtergesellschaften stellt sich häufig die Frage, ob sie selbst Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 2 GWB (Einrichtung des öffentlichen Rechts) sind. Hierbei ist vor allem zu klären, ob das Tochterunternehmen im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art erfüllt. Manche unterstellen insoweit, dass schon die Wahrnehmung von allgemeinen Interessen bei der Mutter(gesellschaft) ausreichen würde, das Tochterunternehmen entsprechend zu infizieren. Der EuGH ist einer solchen Infizierung bereits in seinem Mannesmann-Urteil vom 15.01.1998 (Rs. C-44/96) entgegengetreten. Was aber gilt, wenn die Mutter(gesellschaft) für die Erfüllung ihrer im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben auf ihr „inhouse“ beauftragtes Tochterunternehmen angewiesen ist?

§ 99 Nr. 2 GWB; Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 RL 2014/24/EU (bzw. Art. 1 Abs. 9 RL 2004/18 EG)

Leitsatz

Eine Gesellschaft, die im Alleineigentum eines öffentlichen Auftraggebers steht, dessen Tätigkeit darin besteht, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, und die sowohl Geschäfte für diesen öffentlichen Auftraggeber als auch Geschäfte auf dem wettbewerbsorientierten Markt abwickelt, ist als Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinne des EU-Vergaberechts anzusehen, sofern die Tätigkeiten dieser Gesellschaft erforderlich sind, damit dieser öffentliche Auftraggeber seine Tätigkeit ausüben kann, und sich diese Gesellschaft zur Erfüllung der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt.

Sachverhalt

Der EuGH hatte zu entscheiden, ob eine 100%-ige Tochtergesellschaft eines staatseigenen Eisenbahnunternehmens, das zweifelsfrei öffentlicher Auftraggeber ist, ihrerseits als Auftraggeber dem europäischen Vergaberecht unterfällt. Der Gesellschaftszweck des Tochterunternehmens besteht vor allem in der Herstellung und Instandhaltung von Lokomotiven, Waggons sowie Triebfahrzeugen. Knapp 90% ihrer Umsätze erzielt die Tochtergesellschaft inhouse mit ihrem Mutterunternehmen.

Die Entscheidung

Die Luxemburger Richter stellen klar, dass die funktionell und weit auszulegende Einrichtung des öffentlichen Rechts drei Voraussetzungen kumulativ erfordert (Rdnr. 30 f.).

Erstens: Die Einrichtung muss über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügen. Zweitens: Sie muss (a) von der öffentlichen Hand oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts überwiegend finanziert werden, oder (b) hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegen oder (c) deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane müssen mehrheitlich aus Mitgliedern bestehen, die von der öffentlichen Hand oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt wurden. Drittens: Die Einrichtung muss zu dem besonderen Zweck gegründet worden sein, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen (Rdnr. 29).

Der EuGH bestätigt erneut, dass auch die dritte Voraussetzung von demjenigen Unternehmen erfüllt werden muss, dessen öffentliche Auftraggebereigenschaft geprüft wird, und von keinem anderen, selbst wenn es sich um eine Mutter(gesellschaft) handelt, für die Dienstleistungen erbracht oder an die Waren geliefert werden. Ein Unternehmen kann daher nicht bereits dann öffentlicher Auftraggeber sein, nur weil es von einem solchen gegründet wurde oder seine Tätigkeiten mit dessen Geldmitteln finanziert werden (Rdnr. 34).

Im vorliegenden Fall spricht nach Ansicht der Luxemburger Richter aber einiges dafür, dass die Leistungen des Tochterunternehmens, insbesondere die Herstellung und Instandhaltung von Lokomotiven und Schienenfahrzeugen sowie die Erbringung von entsprechenden Dienstleistungen für die staatliche Eisenbahngesellschaft, offenkundig erforderlich sind, damit die Staatseisenbahn ihre im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben erfüllen kann (Rdnr. 38 f.).

Vor diesem Hintergrund bleibt es ohne Bedeutung, dass die Tochtergesellschaft nicht nur solche Tätigkeiten ausübt, die der Erfüllung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben dienen, sondern auch auf dem wettbewerbsorientierten Markt Leistungen anbietet (Rdnr. 40 f.). Nach Ansicht der Luxemburger Richter sprechen somit gute Gründe dafür, dass das Tochterunternehmen selbst im Allgemeininteresse liegende Aufgaben erfüllt (Rdnr. 39).

Zum Merkmal der Nichtgewerblichkeit hat der EuGH seine bislang angewandten Abgrenzungskriterien wiederholt. Danach ist eine nichtgewerbliche Tätigkeit wenig wahrscheinlich, wenn das Tochterunternehmen (a) unter normalen Marktbedingungen tätig ist, (b) Gewinnerzielungsabsicht hat und (c) die mit diesen Tätigkeiten verbundenen Verluste selbst trägt (Rdnr. 44). Es sind daher immer alle rechtlichen und tatsächlichen Umstände zu prüfen, ob die Unternehmenstätigkeiten in einer Wettbewerbssituation ausgeübt werden und insbesondere festzustellen, ob sich das Unternehmen von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lassen konnte (Rdnr. 46).

Rechtliche Würdigung

Der EuGH hat schon in seinem Mannesmann-Urteil die Ausgliederung von Tochtergesellschaften ermöglicht, denen gewerbliche Aufgaben übertragen werden. Solche Tochterunternehmen teilen somit nicht automatisch die Eigenschaft ihrer als öffentliche Auftraggeber einzuordnenden Mütter. Hingegen können ausgegliederte Tochtergesellschaften ihrer Rechtsnatur nach dann nicht anders als ihre Mütter beurteilt werden, wenn sie tatsächlich deren im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben erfüllen, z.B. im Rahmen von Inhouse-Geschäften. In ähnlicher Form hat dies auch bereits das OLG Düsseldorf in seinem g.e.b.b.-Beschluss vom 30.4.2003 (Az.: VII-Verg 67/02) bestätigt. Insoweit stellen die Luxemburger Richter also klar, dass öffentliche Auftraggeber, die Tochterunternehmen für ihre im Allgemeininteresse liegende Aufgabenerfüllung gründen und deshalb inhouse beauftragen, diese quasi indirekt mit dem Allgemeininteresse infizieren können.

Praxistipp

Bei der Gründung bzw. Ausgliederung von Tochterunternehmen durch öffentliche Auftraggeber sind die Merkmale des Allgemeininteresses und der Nichtgewerblichkeit weiter die wichtigsten Voraussetzungen, wenn es gilt, die öffentliche Auftraggebereigenschaft nach § 99 Nr. 2 GWB zu beurteilen. So dürfte am Vorliegen des Allgemeininteresses bei einer Tochtergesellschaft bspw. dann kein Zweifel bestehen, wenn deren Unternehmenszweck nahezu ausschließlich in der Erfüllung der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben der Mutter besteht. Das vielfach verfolgte Ziel, die öffentliche Auftraggeberschaft von Tochterunternehmen einerseits vermeiden und andererseits diese möglichst vergaberechtsfrei im Wege von Inhouse-Geschäften beauftragen zu wollen, fordern die Rechtsgestaltung in jedem Einzelfall heraus.

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Die Festlegung und Prüfung der Eignung im Vergabeverfahren

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Die Prüfung der Eignung und Zuverlässigkeit des Bewerbers/Bieters stellt Auftraggeber häufig vor größere Herausforderungen. Zunächst müssen sie sich genau überlegen, welche Nachweise und Erklärungen die Bewerber/Bieter vorzulegen haben, um sicherzugehen, dass der Auftrag ordnungsgemäß erfüllt wird. Aber welche Belege darf der Auftraggeber überhaupt verlangen, welche Spielregeln gibt das Vergaberecht vor? Was ist, wenn der Auftraggeber schlechte Erfahrung mit dem Bieter hatte? Darf er diese bei der Eignungsprüfung berücksichtigen? Und wann darf der Auftraggeber den Nachunternehmereinsatz verbieten? Muss er eine EEE überhaupt akzeptieren? Welche Unterschiede gibt es bzgl. der Festlegung der Eignung und der Prüfung im Unter- und Oberschwellenbereich und bei Bauvergaben. Fragen über Fragen. Unser langjähriger Autor, Herr Rechtsanwalt Dr. Roderic Ortner, hat sich schon einmal mit dem Thema in einer Serie befasst (siehe hier und hier), allerdings zum alten Recht. Mit dem neuen Recht wurde natürlich alles „einfacher“, und daher hat sich der Umfang der Serie auch verdoppelt. Viel Vergnügen bei der Lektüre.

Einführung in die Thematik

Öffentliche Aufträge werden an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben, die nicht nach den §§ 123 oder 124 GWB ausgeschlossen worden sind, vgl. § 122 Abs. 1 GWB und § 31 Abs. 1 UVgO. „Eignung“ ist damit gesetzlich definiert als Fachkunde und Leistungsfähigkeit eines Unternehmens. Vormals gehörte auch die „Zuverlässigkeit“ zur Definition der Eignung. Die Zuverlässigkeit als eigenständigen Begriff kennt das GWB und die UVgO nicht mehr. Im Prinzip wird jedoch die Zuverlässigkeit eines Unternehmens durch die Abfrage zu den Ausschlussgründen gemäß § 123 und 124 GWB geprüft. Es handelt sich in der Praxis um Formulare, welche den Vergabeunterlagen beigefügt werden; die Einheitliche Europäische Eigenerklärung (EEE) enthält die Abfrage ebenfalls [siehe hierzu Vergabeblog.de vom 10/01/2016, Nr. 24560 und Vergabeblog.de vom 13/09/2017, Nr. 32875]. Bei der Eignung handelt es sich um ein subjektives Kriterium. Daraus folgt, dass der Auftraggeber eine Prognoseentscheidung treffen muss, ob das Unternehmen Gewähr dafür bietet, den Auftrag ordnungsgemäß ausführen zu können. Abzustellen ist dabei grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Leistungserbringung. Da der Auftraggeber nicht in den Kopf des Unternehmens hineinschauen kann und er sich nicht allein auf sein Bauchgefühl verlassen sollte, ist diese Prognoseentscheidung auf Grundlage objektiver Informationen zu treffen. Dabei handelt es sich um Unterlagen (Eigenerklärungen, Angaben, Bescheinigungen und sonstige Nachweise), die das Unternehmen vorlegt und die auf dessen Eignung schließen lassen sollen. Gemäß § 122 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen daher geeignet, wenn es die durch den öffentlichen Auftraggeber im Einzelnen zur ordnungsgemäßen Ausführung des öffentlichen Auftrags festgelegten Kriterien (Eignungskriterien) erfüllt. Die Prüfung der Eignung kann der Auftraggeber auch anderen überlassen, wenn ein Präqualifizierungssystem vorhanden ist; eine Präqualifizierung ersetzt dann die Vorlage von Eignungsnachweisen beim Auftraggeber (dazu später).

Festlegung von Eignungskriterien – was allgemein zu beachten ist

Bei der Festlegung der Eignungskriterien hat der öffentliche Auftraggeber bestimmte Regeln zu beachten. Die Eignungskriterien dürfen ausschließlich die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung und die wirtschaftliche, finanzielle, technische oder berufliche Leistungsfähigkeit betreffen (§ 122 Abs. 2 GWB; § 30 Abs. 2 S. 2 UVgO). In der UVgO steht zwar „können (…) betreffen“. Daraus ist jedoch nicht zu folgern, dass Kriterien außerhalb dieser Bereiche festgelegt werden dürfen, lies daher „können nur betreffen“.

Anders als in §§ 44 bis 46 VgV enthält die UVgO keine Hinweise, welche Erklärungen und Nachweise zur Prüfung der Eignung in Betracht kommen. In den BMWi-Erläuterungen zur UVgO vom 05.01.2017 heißt es jedoch, dass die Bezugspunkte für die Eignungskriterien in der UVgO denen der §§ 44 bis 46 VgV entsprechen.

Praxistipp: Auftraggebern ist zu empfehlen, sich bei Verfahren nach der UVgO zur Festlegung der Eignungskriterien an den Vorgaben der §§ 44 bis 46 VgV zu orientieren und ausschließlich die dort zugelassenen Unterlagen abzufordern.

Eine Differenzierung ist aus folgendem Grund wichtig: Die Vorgaben der §§ 44 bis 46 VgV sind nur im Oberschwellenbereich verbindlich. Im Unterschwellenbereich bilden sie dagegen nur eine (wenn auch wichtige) Orientierung. Dies ist auch bei den folgenden Ausführungen zu bedenken.

Die Festlegung der Eignungskriterien zur wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit ist in § 45 VgV geregelt und zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit in § 46 VgV. Unbedingt zu beachten ist, dass die Auflistung der Eignungskriterien in § 46 Abs. 3 VgV, anders als bei § 45 VgV, abschließend ist („ausschließlich (…) verlangen“). Dies ist, wenn auch reichlich versteckt, in den Vergaberichtlinien der EU angelegt und wurde von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in zwei Entscheidungen bekräftigt (Rechtssache C-213/07 – Michaniki und C-538/07 – Assitur).

Praxistipp: In der VOB/A-EU hat es der Gesetzgeber versäumt, auf die Ausschließlichkeit der Eignungskriterien zur Prüfung der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit hinzuweisen, statt dessen steht dort im § 6a EU Nr. 3 VOB/A „kann“, was auf ein (tatsächlich nicht vorhandenes) Ermessen hindeutet. Richtlinienkonform ist daher statt kann zu lesen: „kann (…) nur verlangen: (…).“

Allgemein bei der Festlegung von Eignungskriterien ist außerdem zu beachten, dass diese mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen (§ 122 Abs. 4 Satz 1 GWB; § 33 Abs. 1 S. 2 UVgO). Weiterhin sind auch die in § 97 Abs. 1, 2 und 4 GWB verankerten Grundsätze Transparenz, Wettbewerb und Nichtdiskriminierung zu berücksichtigen, die normhierarchisch über der VgV und der VOB/A stehen. In der UVgO sind diese Grundsätze eigenständig durch § 2 UVgO eingebunden. Gemäß § 97 Abs. 4 GWB bzw. § 2 Abs. 4 UVgO sind mittelständische Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge „vornehmlich“ zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung mittelständischer Interessen beschränkt sich dabei nicht nur auf die reine Losaufteilung, sondern ist z. B. – und gerade – auch bei der Festlegung der Eignungskriterien zu berücksichtigen.

Grundsatz der Eigenerklärung und Ausnahmen davon

Auftraggeber fordern bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen grundsätzlich die Vorlage von Eigenerklärungen an (§ 48 Abs. 2 VgV; § 35 Abs. 2 UVgO). Eigenerklärungen sind solche, die aus der Sphäre des Bieters stammen. Die Forderung von anderen Nachweisen (also von dritter Stelle = Fremd- bzw. Dritterklärungen) ist nur ausnahmsweise zulässig, etwa in sicherheitsrelevanten Bereichen. Beispiele für Dritterklärungen sind: Bankauskunft, Bescheinigung einer Versicherung, Bescheinigung des zuständigen Finanzamts, Bescheinigung einer Zertifizierungsstelle. Eine Eigenerklärung könnte etwa lauten: „Hiermit erkläre ich, dass unser Unternehmen nach ISO 9100 zertifiziert ist.“

Praxistipp: Bei Ausschreibungen nach VOB/A gilt der Grundsatz der Eigenerklärung nicht, dort liegt es im Ermessen des Auftraggebers, ob und inwieweit er Eigenerklärungen genügen lässt. Lässt der Auftraggeber Eigenerklärungen nach der VOB/A zu, so sind Eigenerklärungen, die als vorläufiger Nachweis dienen, von den Bietern, deren Angebote in die engere Wahl kommen, durch entsprechende Bescheinigungen der zuständigen Stellen zu bestätigen, § 6b EU Abs. 1 Nr. 2 S. 2 VOB. Eine solche Regelung fehlt in der VgV/UVgO. Gleichwohl dürfte sich der Auftraggeber auch bei VgV/UVgO-Verfahren häufig vorbehalten, noch vor Bezuschlagung Dritterklärungen einzufordern. Dies scheint mir vor dem Hintergrund des § 50 Abs. 2 S. 2 VgV auch zulässig.

Im Oberschwellenbereich hat der öffentliche Auftraggeber, wenn er Bescheinigungen und sonstige Nachweise anfordert, sich in der Regel an den im Online-Dokumentenarchiv e-Certis abgelegten Vorlagen zu bedienen. Die Regelung geht derzeit mangels Vorlagen ins Leere; im Unterschwellenbereich gilt sie ohnehin nicht.

Einheitliche Europäische Eigenerklärung (EEE)

Die EEE besteht aus einem Formular, das der Vereinheitlichung der Formulare in der EU dienen soll und sämtliche Eignungskriterien und Ausschlussgründe umfasst. Folgende Rechtslage gilt derzeit: Weder im Oberschwellen- noch Unterschwellenbereich ist der Auftraggeber verpflichtet, die EEE zu verwenden. Im Oberschwellenbereich darf jedoch ein Unternehmen die EEE verwenden, um seine Eignung nachzuweisen und der Auftraggeber ist dann auch verpflichtet, die EEE zu akzeptieren und zu prüfen, § 48 Abs. 3 VgV. Im Unterschwellenbereich gilt im Anwendungsbereich der UVgO diese Akzeptanzpflicht dagegen nicht (so ausdrücklich in den Erläuterungen des BMWi).

Soll im Oberschwellenbereich auf das Angebot eines Bieters der Zuschlag erteilt werden, der eine EEE vorgelegt hatte, so ist der Auftraggeber verpflichtet, von diesem vor Zuschlagserteilung, die in der EEE geforderten Unterlagen zu fordern, § 50 Abs. 2 S. 2 VgV. Nach der UVgO gilt diese Pflicht dagegen nicht, d.h. der Auftraggeber kann den Zuschlag auch ohne weitere Prüfung erteilen, er kann aber auch nachprüfen. Die VOB/A, 1. Abschnitt lässt die EEE hingegen völlig unerwähnt, so dass die o.g. Grundsätze zur UVgO entsprechend herangezogen werden können.

Sollte eine vom Auftraggeber im Rahmen der EEE zu überprüfende Unterlage in einer kostenfreien Datenbank ohne großen Aufwand abrufbar sein, so kann der Bieter darauf verweisen und muss die Unterlage nicht gesondert einreichen. In der Regel wird dies ein anerkanntes Präqualifizierungssystem (pq-Stelle) sein.

Eine Beibringungspflicht besteht auch dann nicht, wenn die besagte Unterlage beim Auftraggeber bereits vorliegt, zum Beispiel aus einer alten oder einer Parallelausschreibung. Ein Verweis auf eine solche Unterlage ist jedoch nur zulässig, wenn der Bieter eine EEE eingereicht hat. Um dieser Hürde zu entgehen empfiehlt Summa (in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 50 VgV, Rn. 46) folgenden Satz in die Bekanntmachung aufzunehmen:

„Unternehmen, die sich in den vergangenen zwölf Monaten mit einem Angebot oder einem Teilnahmeantrag an einer unserer Ausschreibungen beteiligt und Unterlagen i.S.d. § 48 Abs. 1 VgV eingereicht hatten, von denen sie jetzt annehmen, diese seien immer noch zutreffend und gültig, können (sie?) anstelle einer erneuten Vorlage auf diese Unterlagen, die genau zu bezeichnen sind, verweisen.“

Festlegung von Eignungskriterien zum Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit

Die Prüfung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit ist vor allem dann sinnvoll, wenn der Auftragnehmer in eine nicht nur unerhebliche Vorleistung gehen muss. Dies dürfte bei Bauleistungen regelmäßig der Fall sein; oder wenn sich aus dem Auftragsgegenstand für den Auftragnehmer ein nicht nur geringes Haftungsrisiko realisieren könnte. Der Gesetzgeber macht im Oberschwellenbereich Vorschläge, welche Belege zur Prüfung eingefordert werden könnten:

  • Bankerklärungen,
  • Nachweis einer Berufs- oder Betriebshaftpflichtversicherung,
  • Jahresabschlüsse (Bilanzen), allerdings muss der Bieter bilanzierungspflichtig sein und der Auftraggeber Bilanzen lesen können (der Jahresabschluss 2016 der Telekom umfasst 99 Seiten),
  • eine Erklärung über den Gesamtumsatz und gegebenenfalls den Umsatz in dem Tätigkeitsbereich des Auftrags;

Es gibt allerdings einige Regeln zu beachten:

Bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen gilt der Grundsatz der Eigenerklärung, d.h. eine Bankerklärung oder der Nachweis durch eine Versicherung darf nur ausnahmsweise gefordert werden, grundsätzlich muss beispielsweise also eine Erklärung des Bieters, dass und in welcher Höhe er versichert ist genügen. Auch hier ist natürlich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Mindestversicherungsdeckungssummen, die in keinem Verhältnis zum Auftrag und Risiko stehen, sind unzulässig.

Es darf durchaus ein Mindestgesamtumsatz und ein Mindestumsatz im ausgeschriebenen Tätigkeitsbereich als Eignungshürde vorgegeben werden. Allerdings darf ein solch festgelegter Mindestjahresumsatz das Zweifache des geschätzten Auftragswerts grundsätzlich nicht überschreiten. Eine Ausnahme ist nur zulässig, wenn aufgrund der Art des Auftragsgegenstands spezielle Risiken bestehen.

Beispiel: Der Auftraggeber schreibt die Wartung und Instandhaltung seiner Heizungsanlagen für einen Zeitraum von vier Jahren aus. Er schätzt den Auftragswert über die gesamte Laufzeit gemäß § 3 VgV auf 340.000 EUR. Als Mindestjahresumsatz dürfte er nun nicht mehr als 680.000 EUR festlegen.

Ungeklärt ist noch, ob diese Regel auch bei der Auswahl der Bewerber aufgrund objektiver und nichtdiskriminierender Eignungskriterien beim Teilnahmewettbewerb gemäß § 51 Abs. 1 S. 2 VgV bzw. für Bauaufträge § 3b EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A gilt.

Beispiel: Der Auftraggeber legt im o.g. Fall als ein solches Auswahlkriterium fest, dass die Bewerber mindestens einen Jahresumsatz in Höhe von 680.000 EUR belegen müssen und dass Bewerber, die einen höheren Umsatz belegen können, entsprechend mehr Punkte für die Auswahl für die nächste Stufe (nämlich den Bieterwettbewerb) erhalten.

Eine solche Vorgabe dürfte den Sinn und Zweck der Begrenzung auf das Doppelte des Mindestumsatzes unterlaufen und insofern unzulässig sein. Zur Wahrung mittelständischer Interessen und Vermeidung einer nicht zu rechtfertigenden Diskriminierung dürfte ebenfalls erforderlich sein, die zu erzielende Maximalpunktzahl angemessen zu deckeln.

Bezüglich der Abfrage des Umsatzes stellt sich auch die Frage, welchen Zeitraum dieser umfassen darf. Im Gesetz heißt es dazu ausdrücklich, dass „eine solche Erklärung höchstens für die letzten drei Geschäftsjahre verlangt werden kann und nur, sofern entsprechende Angaben verfügbar sind.“ Für den Auftraggeber bedeutet dies zweierlei: Zum einen darf er Umsatzzahlen höchstens für die letzten drei Jahre verlangen. Er muss aber auch die Vorlage eines geringeren oder keines (!) Zeitraums zunächst akzeptieren, d.h. allein die Nichtvorlage darf nicht formal zum Ausschluss führen, wenn bei dem Unternehmen solche Zahlen schlicht (noch nicht) vorliegen, wobei eine Äußerung des Unternehmens hierzu zu fordern ist. Diese Regelung ist ein klares Bekenntnis für Newcomer, die sonst im Vergaberecht nicht besonders geschützt werden. Ein solcher Newcomer muss freilich dann ggf. anderweitig belegen, dass er finanziell geeignet ist und der Auftraggeber muss die Geeignetheit des Belegs entsprechend prüfen. Das gilt übrigens auch im Hinblick auf alle anderen vom Auftraggeber verlangten Nachweise, so heißt es in der VgV im § 45 Abs. 5: „Kann ein Bewerber oder Bieter aus einem berechtigten Grund die geforderten Unterlagen nicht beibringen, so kann er seine wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit durch Vorlage anderer, vom öffentlichen Auftraggeber als geeignet angesehener Unterlagen belegen.“ Etwas unschärfer heißt es in der VOB-EU: „Der öffentliche Auftraggeber wird andere ihm geeignet erscheinende Nachweise der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit zulassen, wenn er feststellt, dass stichhaltige Gründe dafür bestehen.“

Summa (in: jurisPK, a.a.O, § 45, Rn. 58) sieht die praktische Bedeutung als gering an, da „die üblicherweise geforderten Nachweise für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit nur selten ein in- oder ausländisches Unternehmen objektiv überfordern dürften.

Ich denke, die praktische Bedeutung ist höher einzuschätzen. An einem Beispiel möchte ich dies kurz aufzeigen: Angenommen, ein DAX-notiertes Unternehmen entscheidet sich dazu, eine Tochtergesellschaft zu gründen, um den Bereich Elektromobilität auszugliedern und auszubauen. Diese Tochtergesellschaft reicht nun in einem Vergabeverfahren anstatt der verlangten Mindestumsätze (die sie nicht hat) unter Berufung auf § 45 Abs. 5 VgV eine Erklärung der Muttergesellschaft ein, dass sich diese für alle finanziellen Verpflichtungen der Tochtergesellschaft stark macht, eine sog. Patronatserklärung. Der Auftraggeber entscheidet nun, ob ihm dies ausreicht. Reicht es aus, bedürfte es auch nicht des Kunstgriffs einer Eignungsleihe, bei dem sich die Tochtergesellschaft die Umsätze der Muttergesellschaft im Wege der Eignungsleihe leiht.

Praxistipp: Die oben beschriebenen Regeln gelten nur für den Oberschwellenbereich, für den Unterschwellenbereich hat man auf eine entsprechende Anwendung verzichtet. Dort haben die Auftraggeber somit mehr Flexibilität, allerdings auf Kosten der Rechtssicherheit. Soweit der Auftraggeber die Regeln auch im Unterschwellenbereich anwendet, dürfte dies die Rechtssicherheit des Verfahrens erhöhen.

Festlegung von Eignungskriterien zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit

Der Auftraggeber hat ein Interesse daran, dass nur Unternehmen den Auftrag erfüllen, die auch über die personellen und technischen Mittel sowie ausreichende Erfahrungen in Bezug auf den Auftragsgegenstand verfügen. Der Oberschwellenbereich bietet eine abschließende (siehe oben) Auflistung der Belege, die der Auftraggeber zur Prüfung der erforderlichen technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit verlangen kann. An dieser Stelle werden einige der in der Praxis gängigsten Belege (im Überblick!) aufgezeigt:

  • Referenzen über früher ausgeführte Aufträge in Form einer Liste der Referenzprojekte, zu denen Angaben über die erbrachten wesentlichen Leistungen, den Auftragswert, den Auftragszeitraum sowie den Kunden gemacht werden.
  • Angabe der technischen Fachkräfte oder der technischen Stellen, die im Zusammenhang mit der Leistungserbringung eingesetzt werden sollen, unabhängig davon, ob diese dem Unternehmen angehören.
  • Beschreibung der technischen Ausrüstung (im Allgemeinen),
  • Erklärung, aus der ersichtlich ist, über welche Ausstattung, welche Geräte und welche technische Ausrüstung das Unternehmen für die Ausführung des Auftrags verfügt,
  • Beschreibung der Qualitätssicherungsmaßnahmen,
  • Studien- und Ausbildungsnachweise der Führungskräfte des Unternehmens, sofern diese Nachweise nicht als Zuschlagskriterium bewertet werden,
  • Angabe der Umweltmanagementmaßnahmen, die das Unternehmen während der Auftragsausführung anwendet,
  • Erklärung, aus der die durchschnittliche jährliche Beschäftigtenzahl des Unternehmens und die Zahl seiner Führungskräfte in den letzten drei Jahren ersichtlich ist,
  • Angabe, welche Teile des Auftrags das Unternehmen unter Umständen als Unteraufträge zu vergeben beabsichtigt.

Hinsichtlich der Referenzprojekte ist zu beachten, dass diese grundsätzlich in den letzten max. drei (bei VOB/A-EU fünf) Jahren erbracht worden sein müssen, die Erfahrung soll nach dem Willen des Gesetzgebers möglichst frisch sein. Ein längerer Zeitraum ist zu begründen, etwa, da die Leistungen besonders komplex und entsprechend selten beschafft werden. Schwierig ist die Frage, wann eine Leistung als „erbracht“ gilt. Dies ist eine Frage der Wertung, die in Teil 2 dieser Serie behandelt wird. Es sind „geeignete“ Referenzen zu fordern. Was mit dieser „Eignung“ gemeint ist, ist unklar. Man wird wohl sagen müssen, dass eine Referenz geeignet ist, wenn diese den Schluss zulässt, dass das Unternehmen den ausgeschriebenen Auftrag (erneut) ordnungsgemäß durchführen können wird. Das Unternehmen muss daher überlegen, welche Referenzen es beifügt, um dies zu belegen. Eine Beschränkung der Zahl solcher Referenzen ist unzulässig. Der Auftraggeber muss die Eignung der Referenz dann gegenprüfen, auch dies ist eine Frage der Wertung. Freilich kann (muss aber nicht) der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen näher konkretisieren, welche Maßstäbe er an die Eignung anlegt, z.B. dass ein Referenzprojekt geeignet ist, „wenn die damit verbundenen Leistungen vergleichbare oder sehr ähnliche Tätigkeiten, organisatorischen Abläufe und/oder Instrumente beinhalteten“.

Möchte ein Auftraggeber die Qualifikation und Erfahrung des Personals prüfen, das für die Leistungsdurchführung eingesetzt werden soll (z.B. des Ingenieurs oder des Softwareentwicklers), so sucht er vergebens nach einem passenden Beleg; es sei daran erinnert, dass die Auflistung im Gesetz abschließend ist. Am nächsten kommt noch die „Angabe der technischen Fachkräfte, die im Zusammenhang mit der Leistungserbringung eingesetzt werden sollen.“ Allerdings wird eine bloße Angabe dem Auftraggeber nicht reichen, sondern er wird Studien- und Ausbildungsnachweise sowie Bescheinigungen über die Erlaubnis zur Berufsausübung haben wollen. Diese wiederum sind ausdrücklich jedoch nur von den Führungskräften des Unternehmens einforderbar, die aber in aller Regel selbst nicht den Auftrag ausführen werden. Die richtige Antwort ist wohl, dass auf der Ebene der Eignung abgefragt werden kann, ob das Unternehmen überhaupt über entsprechendes Personal verfügt, das dann für die Leistung eingesetzt werden könnte. Die Eignung bezieht sich auf das Unternehmen selbst und gerade nicht auf die angebotene oder zu erbringende Leistung. Erst bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit des Angebots wird diese Perspektive konkretisiert und das tatsächlich für die konkrete Leistungserbringung angebotene Personal geprüft, wozu entsprechende Belege (Lebenslauf u.ä.) vom Bieter vorzulegen sind, sofern der Auftraggeber diesen qualitativen Aspekt des Angebots bewerten möchte. Zulässig ist dies aber auch nur, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung hat.

Praxistipp: Unternehmen sollten sich bereits im Teilnahmewettbewerb mit den Unterlagen des Bieterwettbewerbs vertraut machen. Insb. sollten eventuelle Vorgaben an das einzusetzende Personal und die damit verbundenen Einsatzzeiten untersucht werden. Denn wenn das Unternehmen an diesem Punkt scheitern wird, bedarf es auch keines unnötigen Aufwands zur Beteiligung an einem Teilnahmewettbewerb.

§ 46 Abs. 2 VgV enthält noch eine Regelung, die deplatziert im Eignungskanon wirkt, dort heißt es: „Der öffentliche Auftraggeber kann die berufliche Leistungsfähigkeit eines Bewerbers oder Bieters verneinen, wenn er festgestellt hat, dass dieser Interessen hat, die mit der Ausführung des öffentlichen Auftrags im Widerspruch stehen und sie nachteilig beeinflussen könnten.“ Es handelt sich hier um den Fall eines möglichen Interessenkonflikts, wie er auch bei sog. vorbefassten Unternehmen („Projektanten“) bestehen kann. Da hier die berufliche Leistungsfähigkeit angesprochen wird, könnte es sich um einen Konflikt handeln, bei dem das Unternehmen im Fall einer Beteiligung in zwei unterschiedlichen Lagern stünde. Wird etwa ein Beratungsunternehmen gesucht, das für den Bund Steuerschlupflöcher ausfindig machen soll, so könnten berufliche Interessen der Eignung entgegenstehen, wenn sich das Unternehmen darauf spezialisiert hat, für andere Kunden entsprechende Steuersparmodelle zu entwickeln. Oder möchte das für Verbraucherschutz zuständige Ministerium einen Auftrag an ein Unternehmen vergeben, das prüfen soll, ob ein großer Anbieter von Suchmaschinen seine beherrschende Stellung ausnutzt, so könnte ein Unternehmen ungeeignet sein, wenn es für eben diesen Anbieter entsprechende technische Tools entwickelt. Allerdings gilt auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der im Rahmen des Ermessens („kann“) zu beachten ist, nicht jeder scheinbare Interessenkonflikt ist tatsächlich einer.

Eignungsleihe

Die Eignungsleihe ist in § 47 VgV und in § 34 UVgO geregelt. Die Eignungsleihe ist zu komplex, um sie hier in allen Facetten darstellen zu können; es bedürfte eines eigenen Blogbeitrags. Das Wichtigste ist aber wohl, dass es der Gesetzgeber den Unternehmen erlaubt, ihre Eignung dadurch zu belegen, indem sie sich die Eignung bei einem anderen Unternehmen besorgen, „leihen“. Der Auftraggeber wiederum darf diese Möglichkeit nur ausnahmsweise einschränken, nämlich wenn die zu erfüllende Aufgabe so kritisch ist, dass der unmittelbare Vertragspartner diese selbst durchführen können muss und auch selbst durchführen soll. Das Eigenleistungsgebot ist vergaberechtlich die Ausnahme.

Beispiel für eine Eignungsleihe: Der Auftraggeber schreibt eine komplexe Softwareprogrammierung aus und verlangt geeignete Referenzen unter anderem auch für den Bereich SQL. Ein an der Ausschreibung interessiertes Unternehmen kann die meisten Referenzen bedienen; nur bei SQL fehlt die Erfahrung im Hause. Es holt sich daher ein mit entsprechender Erfahrung ausgestattetes Unternehmen ins Boot (z.B. als Nachunternehmer) und reicht dem Auftraggeber dessen entsprechende Referenzen ein.

Gerade bei der Konstellation der Eignungsleihe im Wege der Nachunternehmerschaft kann der Auftraggeber von dem Nachunternehmer nun auch verlangen, dass dieser nachweist, dass er mit seinen Ressourcen dann auch tatsächlich für die Leistung zur Verfügung steht und nicht bloß „vorgeschoben“ ist. Hierzu reicht der Nachunternehmer eine sog. Verpflichtungserklärung oder auch Nachunternehmererklärung ein, es handelt sich um ein Formblatt, das jeder Auftraggeber im Köcher haben sollte.

Nimmt ein Bewerber oder Bieter die Kapazitäten eines anderen Unternehmens im Hinblick auf die erforderliche wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit in Anspruch, so kann der öffentliche Auftraggeber eine gemeinsame Haftung des Bewerbers oder Bieters und des anderen Unternehmens für die Auftragsausführung entsprechend dem Umfang der Eignungsleihe verlangen. Eine solche gemeinsame Haftungserklärung bietet sich in der Regel bei größeren Bauprojekten an oder bei risikoaffinen Leistungen.

Eignungskriterien gehören in die Bekanntmachung

Traditioneller Weise verwendet das deutsche Vergaberecht den Begriff der „Fachkunde“. Im EU-Jargon ist damit die berufliche Leistungsfähigkeit gemeint. Bei Vergabeverfahren, bei denen eine Bekanntmachung vorgesehen ist, sind die zur Überprüfung der Eignung abgefragten Unterlagen zwingend in der Bekanntmachung festzulegen. Grund hierfür ist, dass interessierte Unternehmen mit einem Blick erkennen können sollen, ob der Auftrag in ihr Portfolio fallen könnte und sie sich um eine weitere Bewerbung bemühen sollten. In der EU-Bekanntmachung sind die Eignungskriterien unter Ziffer III zu benennen. Eine Benennung nur in den Vergabeunterlagen reicht daher nicht aus, ebenso wenig ein Verweis in der Bekanntmachung („siehe Vergabeunterlagen“).

Zulässig sein dürfte jedoch, wenn ein Verweis (Link) genau an die entsprechende Stelle in den Vergabeunterlagen führt, so dass ein manuelles Durchsuchen derselben für die Bieter/Bewerber nicht erforderlich ist. Eine Konkretisierung der Eignungskriterien in den Vergabeunterlagen ist indes möglich, wobei der Auftraggeber sich dann häufig in das gefährliche Fahrwasser der Abgrenzung begibt: Wo hört die Konkretisierung auf und wo beginnt ein neues Kriterium? Keinesfalls darf eine strengere Vorgabe erst aus den Vergabeunterlagen folgen. Unterlässt der Auftraggeber die Benennung in der Bekanntmachung, besteht die Gefahr, dass er den erwünschten Nachweis dann nicht mehr zulässigerweise nachfordern darf.

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Mindestjahresumsatz als Eignungsanforderung: Wie zu berechnen und wie zu begründen? (OLG Jena, Beschl. v. 02.08.2017 – 2 Verg 2/17)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

Fordert ein Auftraggeber einen Mindestjahresumsatz als Mindestanforderung an die Eignung, so ist diese Entscheidung auch dann zu dokumentieren und zu begründen, wenn der Mindestjahresumsatz das Doppelte des geschätzten Auftragswertes nicht überschreitet.
Schreibt ein öffentlicher Auftraggeber einen Dienstleistungsvertrag mit einer Laufzeit von mehr als 48 Monaten oder mit unbegrenzter Laufzeit aus, so ist der hiernach berechnete Auftragswert Grundlage für den Mindestjahresumsatz im Sinne von § 45 Abs. 2 Nr. 1 VgV. Dies kann dazu führen, dass der doppelte Mindestjahresumsatz das Achtfache des jährlichen Auftragsvolumens beträgt. Dies soll nach Entscheidung des OLG Jena indes grundsätzlich nicht zu beanstanden sein. Der als Mindestanforderung an die Eignung geforderte Mindestjahresumsatz muss jedoch stets im Vergabevermerk dokumentiert und begründet werden. Fehlt eine solche Begründung, ist die Anforderung unwirksam.

Leitsätze

  1. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der geforderte Mindestjahresumsatz bei Dienstleistungsaufträgen mit unbestimmter Laufzeit nicht doppelt, sondern um ein Vielfaches so hoch ist, wie der jährliche Auftragswert.
  2. Die Forderung eines Mindestjahresumsatzes in Höhe des doppelten Auftragswerts ist nach § 8 Abs. 1 Satz 1 VgV zu begründen und zu dokumentieren. Fehlt die Dokumentation und Begründung, ist die Mindestanforderung nicht wirksam gefordert.

§ 122 GWB; § 45 VgV

Sachverhalt

Der Antragsgegner (AG) schrieb einen unbefristeten, mit einer Dreimonatsfrist kündbaren, in sechs Lose unterteilten öffentlichen Auftrag „Separatwachdienst, Empfangsdienst, Streifendienst und Revierdienst für öffentliche Liegenschaften“ im Wege des offenen Verfahrens europaweit aus. Für das streitgegenständliche Los 4 schätzte der AG den Auftragswert gemäß § 3 Abs. 11 Nr. 2 VgV (48-facher Monatswert) auf ca. 7.290.000 . Als vom Bieter als Mindestanforderung an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit zu erfüllenden jährlichen Mindestumsatz legte der AG in der Bekanntmachung 14.500.000 fest.

Dies beanstandete ein Unternehmen der bisherige Auftragnehmer vor Ablauf der Angebotsfrist als vergaberechtswidrig. Er meint, der AG habe die Anforderung gezielt aufgestellt, um ihn aus dem Wettbewerb herauszuhalten. Außerdem sei der Mindestumsatz unangemessen hoch, nicht zuletzt aufgrund der kurzen Kündigungsfrist von 3 Monaten. Da der AG der Rüge nicht abhalf, legte der Unternehmer (im Folgenden ASt) einen Nachprüfungsantrag bei der VK Thüringen ein.

Die VK Thüringen gab dem Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 29.05.2017 statt (Entscheidung im Volltext hier abrufbar). Der vom AG geforderte Mindestumsatz stehe in keinem angemessenen Verhältnis mit dem Auftragsgegenstand, § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB, und verstoße zudem gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des § 97 Abs. 1 GWB.

Zwar erlaube es § 45 Abs. 1 Nr. 1 VgV dem AG, zum Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit einen Mindestjahresumsatz zu fordern. Dieser dürfe nach § 45 Abs. 2 Satz 1 VgV das Zweifache des geschätzten Auftragswertes nur dann überschreiten, wenn aufgrund der Art des Auftragsgegenstands spezielle Risiken bestehen. Nach Ansicht der VK sei bei der Bestimmung des zweifachen Auftragswertes indes eine annualisierte Betrachtungsweise geboten. Der nach § 3 Abs. 11 Nr. 2 VgV ermittelte Auftragswert sei nicht geeignet und würde dem AG erlauben, überzogene Eignungsanforderungen aufzustellen. Im vorliegenden Fall fordere der AG das Achtfache des jährlichen Auftragsvolumens als Mindestjahresumsatz. Dies sei vergaberechtlich unzulässig.

Die Entscheidung

Gegen diese Entscheidung legte der AG sofortige Beschwerde zum OLG Jena ein. Dieses wies das Rechtsmittel zwar zurück, begründete die Entscheidung jedoch im wesentlichen Punkt anders als die Vergabekammer. Das Zweifache des Auftragswertes bestimme sich nicht nach einem Jahreswertbetrag, sondern anhand des geschätzten Auftragswertes und damit nach § 3 VgV. Werde ein Dienstleistungsauftrag ohne zeitliche Begrenzung vergeben, sei der 48-fache Monatswert als Auftragswert anzusetzen. Dass dies dazu führe, dass ein Vielfaches des jährlichen Auftragswertes als Mindestumsatz gefordert werden könne, sei hinzunehmen.

Von der Frage der richtigen Bezugsgröße sei aber die Frage zu unterscheiden, ob der im Einzelfall geforderte Mindestumsatz rechtmäßig war. § 45 Abs. 2 VgV erlaube es nämlich gerade nicht, schematisch das Doppelte des geschätzten Auftragswertes als Mindestjahresumsatz zu fordern. Dies sei nur zulässig, um sicher[zu]stellen, dass die Bewerber oder Bieter über die erforderlichen wirtschaftlichen und finanziellen Kapazitäten für die Ausführung des Auftrags verfügen, § 45 Abs. 1 VgV. Der doppelte Auftragswert (vorbehaltlich besonderer Umstände) stelle die äußere Grenze einer rechtmäßigen Ermessensausübung dar. Der AG müsse in jedem Falle die Angemessenheit im Verhältnis zum Gegenstand des Auftrags sicherstellen, auch wenn er sich im vorgegebenen Rahmen bewege.

Der Vergabevermerk des AG lasse jedoch nicht erkennen, aus welchen Gründen und mit welchen Erwägungen er die Festlegung des Mindestjahresumsatzes vorgenommen hatte. Dies sei vergaberechtswidrig. Insbesondere gestatte § 45 Abs. 2 Satz 1 VgV es dem AG nicht per se im Rahmen eines indendierten Ermessens, stets das Doppelte des Auftragswertes als Mindestjahresumsatz zu fordern. Insbesondere könne nicht aus § 45 Abs. 2 S. 2 VgV, wonach die Forderung eines das Doppelte des Auftragswerts übersteigenden Mindestjahresumsatzes einer besonderen Begründung bedarf, geschlossen werden, ohne Weiteres die Forderung nach einem Mindestjahresumsatz in Höhe des doppelten Auftragswerts zulässig sei. Da eine Ermessenausübung und die dazugehörige Dokumentation und Begründung fehlen, sei die Anforderung vergaberechtswidrig und unwirksam. Bei der Festlegung der Eignungskriterien, sei sowohl dem vergaberechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als auch dem Gebot der Mittelstandsfreundlichkeit unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweils zu vergebenden Auftrags Rechnung zu tragen. Solche Erwägungen waren indes für das OLG nicht erkennbar.

Rechtliche Würdigung

Der Entscheidung des OLG Jena sind zwei Kernaussagen zu entnehmen: Zum einen soll es zulässig sein, den geforderten Mindestjahresumsatz nicht anhand des jährlich anfallenden Auftragsvolumens, sondern anhand des geschätzten Auftragswertes zu bemessen. Dies kann dazu führen, dass insbesondere bei unbefristeten Dienstleistungsverträgen oder zeitintensiven Baumaßnahmen Mindestjahresumsätze gefordert werden können, welche das tatsächliche jährliche Auftragsvolumen um ein Vielfaches übersteigen. Zum anderen darf eine solche Mindestanforderung an die Eignung der Bieter/Bewerber nicht ohne auftragsbezogene Dokumentation und Ermessensausübung erfolgen. Ohne tragfähige Begründung, warum der geforderte Mindestumsatz für die Prognoseentscheidung, ob der Bieter/Bewerber über die wirtschaftlichen Kapazitäten zur Ausführung des Auftrages verfügt, relevant ist, ist die Eignungsanforderung vergaberechtswidrig und unwirksam.

Praxistipp

Hinsichtlich des zweiten Punktes ist der Entscheidung des OLG Jena uneingeschränkt zu folgen. Jede Mindestanforderung an die Eignung der Bieter/Bewerber wirkt sich per se wettbewerbsbeschränkende aus, so dass eine solche Entscheidung der Rechtfertigung und damit der Begründung und Dokumentation bedarf. Fehlt eine solche, ist die Eignungsanforderung unwirksam. Auftraggeber werden zu berücksichtigen haben, dass nicht pauschal und ohne Begründung der doppelte Auftragswert als Mindestumsatz gefordert werden darf, sondern vielmehr jedwede Mindestanforderung an die Eignung der Bieter/Bewerber entsprechend § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB nach § 8 VgV zu begründen und dokumentieren ist.

Hinsichtlich des ersten Punktes der Entscheidung jedenfalls Zweifel angebracht, ob es von der Vertragsgestaltung des Auftraggebers der damit verbundenen Auftragswertberechnung abhängen soll, in welcher Höhe ein Mindestjahresumsatz zulässigerweise gefordert werden kann. Jedenfalls geht mit einem solchen Vorgehen eine erhebliche Marktverengung einher. Ob sich dies positiv auf die Wirtschaftlichkeit einer Beschaffung auswirkt, darf stark bezweifelt werden. Abzuwarten ist schließlich, ob sich weitere Vergabesenate dieser Auffassung anschließen werden. Gegebenenfalls muss diese Frage endgültig vom BGH entschieden werden.

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Bieter müssen Sicherheitspuffer für zeitliche Verzögerungen bei der Angebotsübermittlung einplanen (VK Bund, Beschl. v. 15.8.2017 – VK 2-84/17)

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RechtIn der Endphase der Vorbereitung eines Angebots wird es auf Bieterseite häufig hektisch. Die Angebotskonzepte und die Kalkulation müssen nochmals geprüft, letzte Nachweise zusammengestellt und Unterschriften unter Umständen auch noch von als Unterauftragnehmern vorgesehenen Unternehmen für die Fertigstellung der Angebotsunterlagen beschafft werden. Die Frist zur Angebotsabgabe wird häufig bis zur Grenze ausgereizt. Eine aktuelle Entscheidung der Vergabekammer Bund zeigt, dass dies für Bieter riskant sein kann.

§ 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV

Leitsatz (nicht amtlich)

Dem Bieter steht es frei, die Angebotsfrist bis zuletzt auszuschöpfen. Einen verspäteten Eingang seines Angebots hat der Bieter aber zu vertreten, wenn sich ein typisches Risiko des von ihm ausgewählten Transportmittels realisiert und er einen unzureichenden Sicherheitspuffer einkalkuliert hat.

Sachverhalt

Da die Angebotsfrist in dem Vergabeverfahren am Folgetag um 10:00 Uhr abläuft, übergibt der Bieter sein Angebot am Vorabend gegen 21:30 Uhr in Berlin einem Kurierdienst zur Auslieferung an den in Bonn ansässigen Auftraggeber. Die Auslieferung soll im Zeitraum von 8:00 Uhr bis 9:00 Uhr erfolgen. Das Fahrzeug des Kurierdienstes bleibt aber wegen eines Fahrzeugdefekts auf der Autobahn liegen und muss zunächst in die Werkstatt gebracht werden. Das Angebot geht daher bei dem Auftraggeber erst um 10:18 Uhr ein. Der Bieter stellt einen Nachprüfungsantrag gegen den Ausschluss seines Angebots.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer bestätigt den Angebotsausschluss. Der Bieter habe den nicht fristgerechten Eingang seines Angebots gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV zu vertreten.

Rechtliche Würdigung

Die Vergabekammer stellt zunächst fest, dass den Bieter kein Auswahlverschulden hinsichtlich des gewerbsmäßig auch mit Sendungsübermittlungen über Nacht befassten Kurierdienstes treffe. Der Bieter könne auch weder tatsächlich noch rechtlich für das Liegenbleiben und den Werkstattaufenthalt des Transportfahrzeugs verantwortlich gemacht werden.

Der Fahrzeugdefekt sei jedoch nur eine von zwei Ursachen der Verspätung. Die chronologisch erste Ursache liege in der Entscheidung des Bieters, das Angebot erst am Vorabend an den Kurierdienst zu übergeben. Anhand der Vorgabe der Zustellung bis 9:00 Uhr ergebe sich ein Sicherheitspuffer von lediglich einer Stunde bis zum Ablauf der Angebotsfrist. Dies sei zum Ausgleich auch nur geringfügiger Zeitverluste aus nicht fernliegenden Komplikationen, wie beispielsweise einem Fahrzeugdefekt, zu knapp bemessen. Der Bieter habe den verspäteten Eingang des Angebots daher zu vertreten.

Praxistipp

Verspätete Angebote sind sowohl für den Bieter als auch für die Vergabestelle misslich. Dem Bieter entgeht die Chance auf den Auftrag. Der Auftraggeber muss ein möglicherweise attraktives Angebot ausschließen.

Die Entscheidung zeigt, dass Bieter zur Vermeidung eines Angebotsausschlusses gut beraten sind, einen ausreichend großen Zeitpuffer für jedenfalls nicht völlig ungewöhnliche Vorkommnisse bei der Übermittlung des Angebots einzukalkulieren. Einen Defekt des Transportfahrzeugs wird man hierzu in der Tat zählen müssen. Schwierige Wetterbedingungen wohl nur dann, wenn sie jahreszeitbedingt und daher jedenfalls bis zu einem gewissen Grad für den Bieter erwartbar sind. Höhere Gewalt und damit ein Grund für ein Nichtvertretenmüssen des Bieters kann demgegenüber vorliegen, wenn kurzfristig und in ihrem Ausmaß so extreme Wetterbedingungen eintreten, dass auf den Straßen gar nichts mehr geht.

Soweit Angebote in Papierform gefordert sind, können Auftraggeber den Bietern dadurch entgegenkommen, dass sie den Fristablauf beispielsweise auf einen Zeitpunkt um die Mittagszeit setzen. Dies entschärft zumindest die logistischen Abläufe bei einer Übermittlung des Angebots per Kuriersendung über Nacht. Zukünftig wird die elektronische Angebotsabgabe das Risiko verspäteter Angebote weiter senken. Zumindest dann, wenn der Bieter rechtzeitig mit dem Upload auf der Vergabeplattform beginnt.

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Die Zulässigkeit der Abänderung von Bieterfragen durch die Vergabestelle

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Bieterfragen sind ein effektives und kostengünstiges Mittel für Unternehmen, die sich an Vergabeverfahren beteiligen, um bei Unklarheiten bezüglich der Vergabeunterlagen Auskünfte und ergänzende Informationen zu erhalten. Die Beantwortung der Bieterfragen durch die Vergabestelle versetzt die Bieter regelmäßig in die Lage, den Vergabeunterlagen entsprechende, qualitativ gute Angebote abzugeben und unter Umständen sogar Rückschlüsse auf die Angebotsstrategien der Mitbewerber zu ziehen.
Der fehlerhafte Umgang mit Bieterfragen kann für die Vergabestelle jedoch drastische Folgen wie die Rückversetzung oder Aufhebung des Vergabeverfahrens nach sich ziehen. Umso bedeutender ist der richtige Umgang mit den Bieterfragen und deren Beantwortung. Eine interessante Frage vor diesem Hintergrund ist regelmäßig, ob die Vergabestelle die Bieterfragen wortwörtlich, wie sie gestellt worden sind, veröffentlichen bzw. bekanntgeben muss oder diese vor Veröffentlichung anpassen, modifizieren oder abändern darf, um eigene oder Bieterinteressen zu schützen.

Grundsätze zu Bieterfragen

Konkrete Regelungen zu Bieterfragen finden sich in § 12a Abs. 3 EU VOB/A, § 12a Abs. 4 VOB/A und § 18 KonzVgV. Die VgV und UVgO[1] enthalten keine ausdrückliche Regelung zu Bieterfragen, zumindest werden diese aber in § 20 Abs. 3 VgV und § 13 Abs. 4 UVgO sowie den Erläuterungen zur UVgO vorausgesetzt. In den Regelungen des § 20 Abs. 5 VSVgV, § 16 Abs. 3 SektVO sowie §§ 10a Abs. 6, 10b Abs. 6 EU VOB/A werden Bieterfragen im Zusammenhang mit Fristenregelungen ebenfalls zumindest vorausgesetzt. Weiterhin enthalten die europäischen Vergaberichtlinien entsprechende Regelungen.

Darüber hinaus sind insbesondere die vergaberechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung, Transparenz sowie der Geheimhaltung zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass die auf Bieterfragen erteilten Auskünfte grundsätzlich allen Bietern gleichberechtigt und transparent bereitzustellen sind, ohne Rückschlüsse auf die Identität der Mitbewerber zuzulassen, soweit nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie ausnahmsweise nur einen einzigen Bieter betreffen.

Materiell dient der Regelungsinhalt des § 12a Abs. 4 VOB/A als guter Ansatz für eine entsprechende Anwendung im Vergaberecht.[2] Der Inhalt ist insoweit auf die übrigen konkreten Regelungen zu den Bieterfragen übertragbar. Dieser spricht von „zusätzlichen sachdienlichen Auskünften über die Vergabeunterlagen, die allen Unternehmen unverzüglich in gleicher Weise zu erteilen sind“.

„Sachdienlich“ sind Auskünfte, wenn sie objektiv mit dem Auftragsgegenstand im Zusammenhang stehen und Missverständnisse ausräumen oder Verständnisfragen zu den Vergabeunterlagen beantworten. Die Sachdienlichkeit einer Auskunft ist aus Sicht des bietenden Unternehmens und dessen Verständnis von der Ausschreibung zu beurteilen[3]. Auf die inhaltliche Qualität der Frage kann es hingegen nicht ankommen, sodass auch irrelevante Verständnisfragen, die sich bei einer sorgfältigen Lesart der Vergabeunterlagen nicht stellen würden, grundsätzlich beantwortet werden müssen. Da die Vorschrift einen fairen, mit möglichst großer Beteiligung geführten Wettbewerb gewährleisten soll, besteht grundsätzlich eine uneingeschränkte Auskunftspflicht der Vergabestelle. Sie ist jedoch keine allgemeine „Rechtsauskunftsstelle“ für vergaberechtliche oder andere Rechtsfragen. Auskünfte zu Fragen, die auf eine Verlängerung der Teilnahme- oder Angebotsfrist abzielen, oder sich eindeutig aus den Vergabeunterlagen beantworten lassen, sind jedoch nicht sachdienlich.[4] Die Erteilung der ergänzenden Auskunft ist insoweit eine bieterschützende Verpflichtung der Vergabestelle.

Zulässigkeit der Abänderung der Bieterfragen

Die genannten Regelungen zu den Bieterfragen lassen vom Wortlaut her keinen Rückschluss für die Antwort auf die Frage zu, ob gestellte Bieterfragen vor deren Veröffentlichung formell oder inhaltlich durch die Vergabestelle abgeändert werden dürfen.

Aus der Tatsache, dass zwar die Möglichkeit des Stellens von Bieterfragen im Vergabeverfahren den oben genannten Regelungen entnommen werden kann, jedoch keine Regelung zu deren Abänderung normiert wurde, könnte im Umkehrschluss zunächst vielmehr abgeleitet werden, dass eine Abänderung nicht vorgesehen ist, sondern die gestellten Bieterfragen mit entsprechenden Antworten allen Teilnehmern und Bietern in derselben Fassung gleichermaßen zugänglich gemacht werden müssen.

1. Schutzwürdige Interessen

Ausgehend vom Sinn und Zweck der Möglichkeit, Bieterfragen im Vergabeverfahren zu stellen und beantworten zu lassen, kann aber jedenfalls festgestellt werden, dass im Rahmen der Bieterfragen und deren Beantwortung unterschiedliche Interessen berührt werden.

Einerseits sollen die Regelungen der § 12a Abs. 3 EU VOB/A, § 12 Abs. 4 VOB/A und § 18 KonzVgV die Einhaltung eines fairen, gleichen und möglichst großen Wettbewerbs sicherstellen. Sie sind bieterschützend und ermöglichen den Bietern, sachdienliche Auskünfte zu verlangen, um der Leistungsbeschreibung entsprechende und qualitativ hochwertige Angebote einzureichen, sodass zunächst das Informationsinteresse der Bieter berücksichtigt werden muss. Je mehr Bieter über die Vergabeunterlagen aufgeklärt sind und diese richtig verstehen, desto mehr transparenter Wettbewerb wird gewährleistet.

Daneben ist der Grundsatz der Geheimhaltung seitens der Vergabestelle zu wahren. Die Identitäten der Bieter oder Informationen, die Rückschlüsse hierauf erlauben, dürfen keinesfalls offenbart werden.

Weiterhin gelten der Gleichheits- und Transparenzgrundsatz im Vergabeverfahren. Sämtliche Bewerber bzw. Bieter sind gleich zu behandeln. Grundsätzlich verstößt eine Vergabestelle gegen den Gleichbehandlungs- und Transparenzgrundsatz, wenn sie die gestellten Bieterfragen nicht allen Bietern gleich und transparent zur Verfügung stellt, sondern lediglich einem oder einzelnen Bietern zugänglich macht. Diese erhalten auf diese Weise einen Wettbewerbsvorteil, soweit es sich um sachdienliche Auskünfte handelt.

Können jedoch aus dem Inhalt der Fragestellung Rückschlüsse auf schutzwürdige Bieterinteressen gezogen werden, muss eine Vergabestelle die entsprechenden Passagen in der Frage streichen bzw. unkenntlich machen, bevor sie diese zusammen mit der Antwort an andere Bieter weiterleitet.[5]

Die Frage ist, welche Interessen im konkreten Einzelfall als schutzwürdig anzusehen sind. Dies wird stets nur vor dem Hintergrund des Spannungsverhältnisses des Informationsinteresses der Bieter zu den durch die Vergabestelle einzuhaltenden und auch die Mitbewerber schützenden Grundsätzen der Gleichbehandlung, Transparenz und Geheimhaltung sowie einer diesbezüglichen Abwägung beantwortet werden können.

2. Abwägung

Die Vergabestelle muss einerseits schutzwürdige Interessen der Bieter beachten. Andererseits muss sie dafür Sorge tragen, dass die vergaberechtlichen Grundsätze für die übrigen Bieter berücksichtigt werden, um zudem zu vermeiden, dass ihr Verfahren unter Umständen gerügt wird und Nachprüfungsverfahren eingeleitet werden.

Problemlos ist die Zulässigkeit der Abänderung der Bieterfragen für den Fall, dass Rechtsschreibung, Grammatik sowie Zeichensetzung der Bieterfragen richtiggestellt werden. Hierbei dürfen jedoch der wesentliche Inhalt sowie der Sinn der Bieterfrage nicht verfälscht werden.

Unstreitig ist nach Ansicht des Autors weiterhin die Zulässigkeit der Abänderung, wenn Bieterfragen Unternehmensangaben wie den Namen oder Anschrift des Bieters enthalten. Eine Veröffentlichung der Bieterfrage mit ihrem ursprünglichen Wortlaut würde einen Verstoß gegen den Geheimhaltungsgrundsatz bedeuten. Es entstünde sogar das Risiko von wettbewerbswidrigen Absprachen zwischen den Bietern, die in diesem Fall die Mitbewerber kennen. Im Sinne eines geheimen und damit auch fairen Wettbewerbs sind der Name und/oder die Anschrift des Bieterunternehmens daher zu entfernen und die Bieterfrage ohne diese Angaben zu veröffentlichen. Die Veröffentlichung ohne diese Angaben wahrt sowohl das Informationsinteresse des Fragestellers an einer sachdienlichen Auskunft als auch die seitens der Vergabestelle einzuhaltenden Grundsätze der Gleichheit, Transparenz und Geheimhaltung.

In die gleiche Richtung ist nach Ansicht des Autors die Frage der Zulässigkeit der Abänderung zu beantworten, wenn zwar weder Name noch Anschrift in der Bieterfrage enthalten sind, die verwendeten Angaben und Ausführungen aber wegen ihrer Besonderheiten, ihrer Eigenart oder Spezialität Rückschlüsse auf ein konkretes Unternehmen erlauben. Dies könnte bei bietenden Unternehmen der Fall sein, deren spezielle Konzepte, Prozesse oder Methoden am Markt durch die Mitbewerber eindeutig diesem einen Unternehmen zugeordnet werden können. Insoweit ist dem Geheimhaltungsgrundsatz der Vorrang vor dem Informationsinteresse des fragenden Bieters an diesen Angaben einzuräumen.

Schwieriger ist die Frage der Zulässigkeit der Abänderung zu beantworten, wenn zwar keine Rückschlüsse auf die Identität der Bieter möglich sind, die Inhalte der Bieterfrage aber Rückschlüsse auf konkrete Angebotsinhalte erlauben.

Sollten tatsächlich Preisbestandteile in den Bieterfragen enthalten sein, werden auch diese zu Gunsten eines geheimen (Preis-)Wettbewerbs entfernt werden müssen, es sei denn, es handelt sich um Festpreis-Ausschreibungen.

Insbesondere jedoch bei Vergabeverfahren für Leistungen, im Rahmen derer Konzepte, Prozessabläufe oder Methoden gefordert werden, kann auf konkrete Angebotsinhalte der Mitbewerber geschlossen werden, wenn diese zum Inhalt von Bieterfragen werden. Regelmäßig werden sie zu solch wesentlichen Leistungsbestandteilen, dass ihre Qualität gerade aus diesem Grunde mit einer bestimmten Gewichtung zum Zuschlagskriterium gemacht wird und für die Wertungs- und Zuschlagsentscheidung ausschlaggebend ist. Der Grundsatz der Geheimhaltung dürfte in diesen Fällen nicht mehr gewahrt sein, wenn ein Bieter solche wesentlichen und konkreten Teile des Angebots seines Mitbewerbers kennt. Er kann sich unter Umständen darauf qualitativ sowie preislich einstellen, dementsprechend sein eigenes Angebot danach ausrichten und in Kenntnis der bekanntgemachten Bewertungsmatrix im Ergebnis sogar die Wertung der Angebote im Rahmen des Vergabeverfahrens zumindest teilweise „steuern“.

In der Literatur ist zwar regelmäßig die Rede davon, dass Bieterfragen es ermöglichen, aber auch die Gefahr bergen, Kenntnisse über Angebotsstrategien der Mitbieter zu erlangen. Das mag in der Praxis tatsächlich zutreffen, jedoch treffen diese Ausführungen keine Aussage zur Zulässigkeit eines derartigen Umgangs mit Bieterfragen. Nach Ansicht des Autors muss die Zulässigkeit der Veröffentlichung von Bieterfragen dort ihre Grenze haben, wo die Grundsätze der Geheimhaltung und Transparenz im Vergabeverfahren durch Veröffentlichung wesentlicher und konkreter Angebotsinhalte eines Mitbewerbers dadurch beeinträchtigt werden, dass die Gefahr der „Steuerung“ des Verfahrensergebnisses entsteht. Insoweit muss eine Abänderung der Bieterfrage in diesen Fällen zulässig sein, um einen transparenten, gleichberechtigten und geheimen Wettbewerb sicherzustellen.

Alternativen zur Abänderung von Bieterfragen

Im Rahmen der Beantwortung der Bieterfragen kommt darüber hinaus ausnahmsweise die Möglichkeit in Betracht, diese aus Geheimhaltungsgründen nicht allen Bietern, sondern nur dem die Frage stellenden Bieter zu beantworten.

Der Grundsatz der Gleichbehandlung erfordert zwar, dass eine Vergabestelle regelmäßig jede Auskunft, die er einem anfragenden Bieter gibt, auch allen anderen Bietern erteilt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Auftraggeber gegen das Gebot der Gleichbehandlung und Chancengleichheit aller Bieter verstößt. Ein Auftraggeber kann jedoch im Einzelfall eine Bieterfrage ausnahmsweise individuell beantworten, wenn sie offensichtlich ein individuelles Missverständnis des Bieters betrifft und die allseitige Beantwortung der Frage Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse verletzen oder die Identität des Bieters preisgeben würde.[6] Die Beantwortung einer Bieterfrage an nur einen Bieter wird jedoch nur ausnahmsweise zulässig sein, wenn diese nicht sachdienlich ist, weil sie offensichtlich ausschließlich den fragenden Bieter betrifft, was aufgrund des weiten Verständnisses des Begriffs „Sachdienlichkeit“ selten der Fall sein wird.

In die gleiche Richtung ist die Alternative zu bewerten, dass die Bieterfrage gar nicht beantwortet wird. Zwar dürften der Gleichheits-, Transparenz- und Geheimhaltungsgrundsatz in diesem Fall gewahrt sein, dem schutzwürdigen Informationsinteresse des Bieters wird jedoch nicht Rechnung getragen.

Praxistipp

Grundsätzlich ist Vergabestellen zu empfehlen, soweit möglich, die vollständigen Bieterfragen und die entsprechenden Antworten, soweit sie sachdienlich waren, für alle Bieter gleich und transparent ohne Abänderung zu veröffentlichen bzw. bekanntzugeben. Teile der Bieterfragen, die Namen, Anschriften, Preisbestandteile oder Angaben enthalten, die Rückschlüsse auf die Identität der Bieter zulassen, können nach Ansicht des Autors grundsätzlich bedenkenlos entfernt bzw. die Bieterfrage dementsprechend abgeändert werden, weil deren unveränderte Veröffentlichung zu Vergabeverstößen führen würde. Für den nicht unproblematischen Fall, dass Konzepte, Prozessabläufe oder Methoden auf konkrete und wesentliche Angebotsinhalte schließen lassen, ist eine präzise Prüfung im Einzelfall anzuraten, wobei die Zulässigkeit der Abänderung der Bieterfrage zu bejahen sein wird, soweit Mitbewerber ohne eine solche das Ergebnis des Verfahrens beeinflussen könnten.

Darüber hinaus besteht zwar ausnahmsweise unter den oben genannten Umständen noch die Alternativen, die Bieterfrage lediglich individuell dem Fragesteller oder gar nicht zu beantworten. Im Zweifel ist jedoch wegen des Grundsatzes der Gleichheit und Transparenz sowie des Informationsinteresses des Fragestellers die Veröffentlichung an alle Bieter vorzuziehen, da eine Bieterfrage wegen vorliegender Sachdienlichkeit selten ausschließlich den Fragesteller betreffen wird.

Für welche Alternative sich die Vergabestelle auch entscheidet: Eine ordnungsgemäße Dokumentation der jeweiligen Gründe in einem Vergabevermerk ist zwingend anzuraten. Im Übrigen riskiert die Vergabestelle beim fehlerhaften Umgang mit Bieterfragen, das Vergabeverfahren aufheben zu müssen, sowie Beanstandungen, Rügen und Nachprüfungsverfahren.


[1] Amtliche Erläuterungen zu §§ 7 Abs. 3, 38 Abs. 4 bis 5 UVgO, BAnz. AT 7.2.2017 B2.
[2] Schwabe/Henzel, in: Müller-Wrede, UVgO, § 28 UVgO, Rn. 220.
[3] von Wietersheim, in: Igenstau/Korbion, VOB, § 12 VOB/A, Rn. 47; Völlink, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 12 VOB/A, Rn. 46.
[4] Franzius, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, Rn. 69.
[5]Franzius, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, Rn. 71.
[6] VK Sachsen, Beschluss vom 24.08.2016 – 1/SVK/017-16.

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Angebotsausschluss wegen fehlender wesentlicher Preisangaben (OLG München, Beschl. v. 07.11.2017, Verg 8/17)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

RechtPreise im Vergabeverfahren sind, wie vom öffentlichen Auftraggeber in den Ausschreibungsunterlagen gefordert, anzugeben. Im Falle von fehlenden Preisangaben besteht für den Bieter das Risiko eines Ausschlusses nach § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV, sofern es sich bei der fehlenden Preisangabe um wesentliche Preisposition handelt. Das OLG München unterstreicht im vorliegenden Fall nochmals, dass eine Entscheidung über das Fehlen einer wesentlichen Preisangabe und den Ausschluss vom Vergabeverfahren nicht schematisch, sondern unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls und insbesondere der Art der jeweiligen Preisposition und ihrer konkreten Bedeutung für die jeweilige Ausschreibung erfolgen soll.

§ 57 Abs. 7 Satz 2, § 56 Abs. 3, 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV

Leitsatz

  1. Der öffentliche Auftraggeber kann Bieterfragen und die Antworten hierauf allen interessierten Unternehmen auch über seine Internetseite zur Verfügung stellen, wenn er dies zuvor bekannt gemacht hat.
  2. Ein Angebot ist zwingend auszuschließen, wenn eine wesentliche Preisangabe fehlt, wobei es auf die wettbewerbliche Relevanz der fehlenden Preisangabe nicht ankommt.
  3. Über die Wesentlichkeit ist aufgrund des fraglichen Leistungsgegenstands und seiner Bedeutung, seines wertmäßigen Anteils für die Gesamtleistung sowie für den Gesamtpreis im Einzelfall zu entscheiden.

Sachverhalt

Im Vergabeverfahren ausgeschrieben waren linienweise aufgeteilte Schülerbeförderungsleistungen in fünf Losen. Zu den einzelnen Linien waren die Bieter aufgefordert ihre Preise pro Beförderungskilometer anzugeben (Preis/km). Die Preise waren für jede ausgeschriebene Linie so anzugeben, dass der Kilometerpreis den Preis für den unbegleiteten und begleiteten Transport der Schüler ausweist. Der Auftraggeber erwartete einen Anstieg der Schülerzahlen, wodurch losweise ein Bedarf an begleiteten Transporten erwartet wurde.

Der Bieter trägt für das Los 2 nur den Preis für unbegleitete Fahrten ein. Preisangaben für begleitete Fahrten macht er nicht. Sein Angebot wird wegen fehlender Preisangaben ausgeschlossen. Hiergegen wendet er sich im Wege des Nachprüfungsantrags, in dem er vorträgt, die Preisangabe für begleitete Fahrten sei nicht wirksam gefordert worden und sofern gleichwohl eine wirksame Forderung vorliegen sollte, könne der Auftraggeber aus den übrigen Angaben des Bieters (insbesondere Personalkosten) den Preis für begleitete Fahrten selbst errechnen. Nach Auffassung des Bieters ist daher die fehlende Preisangabe nicht wesentlich und der Ausschluss vergaberechtswidrig.

Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag ist erfolglos. Der Bieter habe in seinem Angebot die erforderliche Preisangabe nicht gemacht, sodass sein Angebot nach § 57 Abs. 1 Nr. 5, § 56 Abs. 3 Satz 1, § 53 Abs. 7 Satz 2 VgV zwingend auszuschließen sei.

1. Eine Ergänzung der fehlenden Preisangabe sei dem öffentlichen Auftraggeber nicht möglich gewesen, weil der Kilometerpreis für begleitete Fahrten nicht ohne Weiteres aus den Personalkosten des Bieters habe errechnet werden könne. Dies insbesondere deswegen, weil es den Bietern freistehe, ihre Personalkosten in unternehmerischer Eigenverantwortung für selbst festzulegen, indem sie bestimmen, ob sie für das in den Losen jeweils eingesetzte Personal den Mindestlohn oder eine höhere Vergütung zahlen wollen. Dem öffentlichen Auftraggeber steht es nicht zu, diese unternehmerische Entscheidung des Bieters durch eigene Preisberechnungen zu ersetzen.

2. Eine Nachforderung der fehlenden Preisangabe für begleitete Fahrten scheide ebenfalls aus, da die Preisangabe wesentlich im Sinne von § 56 Abs. 3 Satz 2 und § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV sei. Ob eine Preisposition wesentlich im Sinne dieser Vorschriften sei, bestimme sich nach den Umständen des Einzelfalls unter Beachtung des jeweiligen Leistungsgegenstands, seiner Bedeutung, und seines wertmäßigen Anteils für die Gesamtleistung sowie für den Gesamtpreis im Einzelfall.

Das OLG München geht von der Wesentlichkeit der Preisposition aus, da der Preis für die begleiteten Fahrten als eine von insgesamt 10 Einzelpositionen in den Gesamtpreis einfließe, wobei eine Gewichtung der Einzelpositionen nicht stattfinde. Der Gesamtpreis sei der Durchschnittspreis aller 10 Einzelpositionen. Im Ergebnis bedeute das, dass die fehlende Position 1/10 des Gesamtpreises ausmache. Dadurch komme ihr ein deutlicher Einfluss auf den Gesamtpreis zu.

3. Da die fehlende Preisangabe wesentlich war, komme es nach Auffassung des OLG München nicht darauf an, ob die fehlende Preisangabe Auswirkungen auf die Rangfolge der Bieter hat.

Rechtliche Würdigung

Der vom OLG München gewählte Maßstab für die Entscheidung, ob eine Preisposition wesentlich im Sinne der § 56 Abs. 3 Satz 2 und § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV ist, ist nicht schematisch. Das OLG München will diese Frage vielmehr anhand einer Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls entscheiden wissen, bei der der wertmäßige Anteil der jeweiligen Einzelposition am Gesamtpreis mit zu berücksichtigen ist. Damit reiht sich das OLG München in die bisherige Instanzrechtsprechung ein. Der Maßstab ist richtig gewählt, jedoch fällt die Subsumtion des OLG München etwas kurz aus. Es begründet seine Auffassung von der Wesentlichkeit der Preisposition ausschließlich damit, dass die fehlende Preisposition immerhin 1/10 des Gesamtpreises darstellt. Auch wenn es sich vorliegend um einen Hinweisbeschluss handelt, wäre eine etwas umfangreichere Begründung durch das OLG München wünschenswert gewesen. Dabei wäre insbesondere auch auf die Bedeutung der Preisposition für den Auftraggeber und die Bedeutung der bepreisten Leistung für die Leistungsausführung einzugehen gewesen (siehe dazu v.a. VK Bund, Beschl. .v. 23.05.2014 VK 1 30/14).

Praxistipp

Der Beschluss des OLG München verdeutlicht einmal mehr, die Bedeutung vollständiger Preisangaben für den Erfolg eines Angebotes. Bieter sollten daher alle formellen und inhaltlichen Vorgaben der Ausschreibungsunterlagen hinsichtlich der Preisangaben zwingend beachten, um die Gefahr eines Ausschlusses zu vermeiden. Keinesfalls sollten sich Bieter darauf verlassen, der Auftraggeber werde sich aus den vorhandenen Angaben im Angebot den richtigen Angebotspreis im Rahmen der Angebotsprüfung irgendwie zusammenrechnen.

Öffentlichen Auftraggebern ist zu empfehlen, bei der Erstellung der Ausschreibungsunterlagen stets vor Augen zu haben, Bieter bei der Angebotserstellung nicht unnötig zu verwirren und die Anzahl der Preispositionen und Preisuntergliederungen auf das für die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes zwingend Erforderliche beschränkt zu halten. Musterformulare sollten daher bei jeder neuen Ausschreibung neu durchdacht und gegebenenfalls entschlackt werden. Um den Bietern die Bedeutung bestimmter Einzelpositionen mit Nachdruck zu verdeutlichen, können Auftraggeber die Wesentlichkeit bestimmter Preispositionen in den Ausschreibungsunterlagen ausdrücklich festlegen (siehe dazu: VK Nordbayern, Beschl. v. 03.02.2011 – 21.VK – 3194 – 50/10; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.09.2014 – VII-Verg 19/14.

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Keine interkommunale Zusammenarbeit zwischen Landkreis und kreisangehöriger Stadt bei der Abfallsammlung (VK Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 11.12.2017, VK 2 – 29/17)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

Die Bereichsausnahme einer vergabefreien interkommunalen Kooperation setzt unter anderem eine Zielidentität voraus. Diese ist nach Auffassung der VK Rheinland-Pfalz nur erfüllt, wenn sich die Kooperation auf die Wahrnehmung einer allen gleichermaßen obliegenden Aufgabe bezieht.

Leitsatz des Bearbeiters

Die Vergabekammer Rheinland-Pfalz zu den Voraussetzungen einer vergabefreien interkommunalen Kooperation nach neuem Vergaberecht.

§ 108 Abs. 6 GWB

Sachverhalt

Ein Landkreis in Rheinland-Pfalz hatte beschlossen, zukünftig die Einsammlung von Haushaltsabfällen in Eigenregie wahrzunehmen. Eine im Landkreis gelegene kreisangehörige Kurstadt sollte aus historischen Gründen mit ihrem Bauhof in die Leistungserbringung einbezogen werden.

Der Bauhof in der Stadt war bisher regelmäßig als Subunternehmer des bisherigen privaten Dienstleisters im Stadtgebiet tätig gewesen. Um die Leistungserbringung in der Stadt durch den dortigen Bauhof auch weiterhin zu ermöglichen schlossen Landkreis und Stadt einen Kooperationsvertrag als mandatierende Aufgabenwahrnehmung. Es wurde also nicht die Aufgabe selbst übertragen sondern nur die Aufgabenwahrnehmung. Als Entgelt wurde eine reine Kostenerstattung vereinbart. Die zur Abfallsammlung in der Stadt notwendigen Abfallsammelfahrzeuge sollte der Landkreis der Stadt beistellen.

Gegen den beabsichtigten Vertragsabschluss reichte ein privates Entsorgungsunternehmen Klage ein.

Die Entscheidung

Mit Erfolg! Die Vergabekammer sah in dem beabsichtigten Kooperationsvertrag im Ergebnis keine Bereichsausnahme nach § 108 Abs. 6 GWB. Der Nachprüfungsantrag war daher zunächst zulässig.

Nach § 108 Abs. 6 GWB liegt eine vergabefreie interkommunale Kooperation (im Gesetz als öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit bezeichnet) vor, wenn

  1. der Vertrag eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern begründet oder erfüllt, um sicherzustellen, dass die von ihnen zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden,
  2. die Durchführung der Zusammenarbeit nach Nummer 1 ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt wird und
  3. die öffentlichen Auftraggeber auf dem Markt weniger als 20 Prozent der Tätigkeiten erbringen, die durch die Zusammenarbeit nach Nummer 1 erfasst sind.

Die Vergabekammer prüfte nun im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung die einzelnen Merkmale des § 108 Abs. 6 GWB durch:

Das Erfordernis einer Zusammenarbeit bzw. eines kooperativen Konzepts sah die Vergabekammer dabei als gegeben an. Denn der Landkreis würde ja nicht nur eine Leistung beziehen, sondern sei für die Bereitstellung und Instandhaltung der Abfallsammelfahrzeuge verantwortlich. Außerdem sei er auch für die Gestellung der Abfallsammelbehälter zuständig gewesen. Daher liege nicht nur eine Leistungsbezug gegen Entgelt vor. Ob auch diese Konstellation der bloßen Leistungsbeziehung gegen Entgelt eine vergabefreie interkommunale Kooperation sein kann, konnte die Vergabekammer daher offen lassen.

Allerdings fehlte es der Vergabekammer an dem Erfordernis der Zielidentität. Eine Zielidentität sei nur gegeben, wenn die Kooperation auf die Wahrnehmung einer allen Kooperationspartnern gleichermaßen obliegende Aufgabe gerichtet sein. Vorliegend sei aber gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Landeskreislaufwirtschaftsgesetzes (LKrWG) nur der Landkreis öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger. Diesem sei die Aufgabe der Abfallsammlung alleine zugewiesen.

Der Antragsgegner und die beigeladenen Stadt konnten sich mit ihren Einwänden hiergegen nicht durchsetzen. Insbesondere die sich aus Landesrecht ergebenden allgemeinen Kooperationspflichten und die Zuständigkeit der Stadt für den „wilden Müll“ reichten der Kammer nicht, um eine Zielidentität zu begründen.

Ebenfalls nicht gehört wurde der Antragsgegner mit dem Argument, der Antragstellerin drohe kein Schaden und somit sei sie gemäß § 160 Abs. 2 GWB nicht antragsbefugt. Der Antragsgegner hatte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass eine Ausschreibung für das Stadtgebiet aufgrund der anderslautenden Beschlusslage so oder so nicht in Frage komme und die Antragstellerin daher gar keine Chance auf die Beteiligung an einer Ausschreibung hätte. Dieses Argument hielt die Vergabekammer für unbeachtlich, da es ausreiche, dass eine Ausschreibung zumindest theoretisch noch stattfinden könnte.

Ebenfalls als nicht erfüllt sah die Vergabekammer die Marktklausel des § 108 Abs. 6 Nr. 3 GWB, da der Bauhof der Stadt jedenfalls im Jahr 2018 noch als Subunternehmer des privaten Dienstleisters tätig sei und dieser Umsatz mehr als 20 % der abfallwirtschaftlichen Umsätze darstelle.

Der Nachprüfungsantrag war auch begründet, nachdem eine Bereichsausnahme eben nicht vorlag.

Rechtliche Würdigung

Nach den Entscheidungen des OLG Koblenz, Beschl. v. 03.12.2014 Verg 8/14, und des OLG Naumburg, Beschl. v. 17.03.2017 7 Verg 8/16 kam die Entscheidung der Vergabekammer nicht wirklich überraschend. Sie ist, auch wenn man sich das Ergebnis aus kommunaler Sicht vielleicht anders gewünscht hätte, juristisch gut begründet und liegt auch im Trend der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH. Vergabefreie interkommunale Kooperationen sind daher auch nach neuem Vergaberecht nur eingeschränkt möglich. Im Übrigen wäre der hier streitige Kooperationsvertrag auch nach altem Vergaberecht, auch darauf weist die Vergabekammer zu Recht hin, nicht ausschreibungsfrei gewesen.

Zu begrüßen ist, dass die Vergabekammer die Anforderungen an den kooperativen Charakter einer Kooperation nicht allzu hoch gehängt hat.

Praxistipp

Liegen die Voraussetzungen des § 108 Abs. 6 GWB nicht vor, weil wie hier keine Zielidentität vorliegt, ist eine vertragliche vergabefreie interkommunale Kooperation ausgeschlossen. Eine Kooperation kann dann ggf. durch eine Institutionalisierung (gemeinsamer Rechtsträger) begründet werden. Dafür kommt es dann auf die entsprechenden Vorschriften des jeweiligen Bundeslandes an. Ob das in Rheinland-Pfalz bei fehlender Zielidentität zulässig wäre ist allerdings fraglich. Denn nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die kommunale Zusammenarbeit (KomZG) können kommunale Gebietskörperschaften nur Aufgaben, zu deren Erfüllung sie berechtigt oder verpflichtet sind, gemeinsam wahrnehmen.

Bisher war in der Beratungspraxis eher die Frage des kooperativen Charakters einer interkommunalen Kooperation in der Diskussion. Hier reicht der Vergabekammer, dass jeder Kooperationspartner zumindest Teilleistungen übernimmt. Dies ist aus kommunaler Sicht zu begrüßen, aber eben auch bei der Gestaltung zu beachten.

Hinweis: Der Autor hat in dem Nachprüfungsverfahren den Antragsgegner vertreten.

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Besserer Schutz vor Dumpingangeboten durch neuen § 60 VgV? (VK Nordbayern, Beschl. v. 07.09.2017, 21.VK-3194-02-04)

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Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

Der neue § 60 Abs. 3 Satz 2 VgV ordnet den zwingenden Angebotsausschluss an, wenn ein festgestellter Verstoß gegen Verpflichtungen nach § 128 Abs. 1 GWB ursächlich für einen ungewöhnlich niedrigen Preis ist. Eine aktuelle Entscheidung der Vergabekammer Nordbayern konkretisiert die insoweit bestehenden Anforderungen in Bezug auf einen mutmaßlichen Verstoß gegen das Mindestlohngesetz.

Leitsatz (nicht amtlich)

Entsprechend § 60 Abs. 2 Nr. 4 VgV darf die Vergabestelle auch die Einhaltung der Verpflichtungen nach § 128 Abs. 1 GWB prüfen. Somit ist grundsätzlich auch die Prüfung der Einhaltung der Vorschriften nach dem Mindestlohngesetz gerechtfertigt.

GWB §§ 128, 134, 160, 168; VgV § 15, 60

Sachverhalt

Bei einer Ausschreibung von Beförderungsdienstleistungen wiesen die Allgemeinen Vertragsbedingungen auf den verpflichtenden gesetzlichen Mindestlohn hin sowie darauf, dass zukünftige Anhebungen des Mindestlohns während der Vertragslaufzeit einzukalkulieren seien. Ein Bieter, dessen Angebot auffällig niedrig war, füllte nach entsprechender Aufforderung ein ergänzendes Kalkulationsformblatt aus und erklärte auf Nachfrage, dass das Angebot im Hinblick auf den Mindestlohn auskömmlich kalkuliert sei. Gegen den gleichwohl erfolgten Ausschluss seines Angebots mangels Auskömmlichkeit und den beabsichtigten Zuschlag auf ein Konkurrenzangebot wendete dieser Bieter sich mit einem Nachprüfungsantrag.

Die Entscheidung

Mit Erfolg! Zwar durfte der Auftraggeber im entschiedenen Fall aus anderen Gründen den Zuschlag nicht erteilen. Darüber hinaus hatte aber auch der Ausschluss mangels Auskömmlichkeit keinen Bestand.

Prüfung der Kalkulation auf Verstöße gegen das Mindestlohngesetz ist grundsätzlich zulässig

Zunächst einmal stellte die Vergabekammer fest, dass der Auftraggeber durchaus gemäß § 60 Abs. 2 Nr. 4 VgV im Rahmen der Auskömmlichkeitsprüfung auch Verstöße gegen das Mindestlohngesetz prüfen könne. Das Gesetz ist in § 128 Abs. 1 GWB ausdrücklich genannt. Der an diese Norm anknüpfende zwingende Ausschluss gemäß § 60 Abs. 3 Satz 2 VgV sei aber nur möglich, wenn ein entsprechender Verstoß auch nachgewiesen sei. Die Vergabekammer forderte für einen solchen Nachweis, dass der Bieter eine entsprechende Verpflichtungserklärung nicht oder nur unzureichend abgegeben habe. Das war aber nicht der Fall.

Prognoseentscheidung: Wiedereintritt in die Eignungsprüfung nur in Bezug auf finanzielle Erwägungen

Auch auf den fakultativen Ausschlussgrund des § 60 Abs. 3 Satz 1 VgV konnte sich die Vergabestelle nicht stützen. Die Aufklärung sei zu stark auf den Mindestlohn fokussiert gewesen, erforderlich sei aber nach vorheriger Preisaufklärung eine abgewogene Prognoseentscheidung. Daraus, dass der Bieter bislang kein Personalkonzept vorgelegt habe, lasse sich nicht auf eine fehlende Leistungsfähigkeit schließen. Im Rahmen der Auskömmlichkeit sei der Wiedereintritt in die Eignungsprüfung auf finanzielle Erwägungen begrenzt.

In dem Hinweis auf eine fehlende Preisanpassungsmöglichkeit sah die Vergabekammer zudem auch keine Kalkulationsvorgabe, von der der Bieter abgewichen wäre. Daher war der Ausschluss auch nicht gemäß § 57 Abs.1 Nr.5 VgV gerechtfertigt.

Rechtliche Würdigung

Erscheint es zweifelhaft, ob der Angebotspreis zu dem gesetzlichen Mindestlohn passt, ist ein Verstoß gegen § 128 Abs. 1 GWB nicht zwingend anzunehmen. Es könnte ja auch beispielsweise ein im Rahmen der Kalkulationsfreiheit zulässiges Unterkostenangebot vorliegen, das der Bieter auf andere Weise quersubventioniert, ohne dabei insbesondere gegen gesetzliche Lohnbestimmungen zu verstoßen. Der Verstoß muss gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 VgV jedoch „festgestellt“ werden – eine allein auf eine Kalkulation gestützte Prognose dürfte insoweit also nicht ausreichen. Die Schwierigkeit liegt hier darin, dass sich die Prüfung auf die noch bevorstehende, tatsächliche Auftragsausführung bezieht.

Der fakulative Ausschlussgrund des § 60 Abs. 3 Satz 1 VgV greift dann nur, wenn der Auftraggeber ermessensfehlerfrei zu der Einschätzung gelangt, dass sich die Gründe des niedrigen Preises nicht zufrieden stellend aufklären lassen, wobei er Art und Umfang der tatsächlich im konkreten Fall bestehenden Risiken berücksichtigen muss (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 31.01.2017, Az: X ZB 10/16).

Praxistipp

Für den Nachweis, dass ein Bieter Löhne zahlen wird, die mit dem Mindestlohngesetz unvereinbar sind, benötigt der Auftraggeber nach dem neuen § 60 Abs. 3 Satz 2 VgV wohl schon eine verbindliche Erklärung über die gezahlten Löhne und nicht nur eine allgemeine Auskunft zur Kalkulation. In der Praxis aber dürfte kaum ein Bieter einen Verstoß gegen das Mindestlohngesetz offen einräumen. Wirksamer gegen Dumpingangebote dürften daher auch weiterhin zulässige und transparente bindende Kalkulationsvorgaben sein, deren Einhaltung überprüft werden kann.

(Siehe zum Ganzen auch: [Mittelwertmethode ist vergaberechtlich problematisch! (VK Sachsen, Beschl. v. 10.04.2017 1/SVK/004-17, Vergabeblog.de vom 16/11/2017, Nr. 34227; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 08.09.2011 Verg 80/11, Härtere Zeiten für Dumping-Angebote?, in Vergabeblog.de vom 06/12/2011, Nr. 11489]).

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Die EU-Schwellenwerte

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Politik und MarktRecht

EUAllen Stellen und Unternehmen, die mit Vergaberecht zu tun haben, ist der Begriff der EU-Schwellenwerte bekannt. Immerhin richtet sich die Anwendbarkeit des „europäischen“ Vergaberechts nach genau diesen Schwellenwerten, die für die verschiedenen Arten von zu vergebenden Leistungen in unterschiedlicher Höhe festgesetzt sind. Die meisten werden mittlerweile auch wissen, dass sich die EU-Schwellenwerte zum Jahresanfang 2018 wieder ändern bzw. angepasst werden und daher ab dem 01.01.2018 für alle Beschaffungen öffentlicher Auftraggeber und solcher, die zur Einhaltung des Vergaberechts verpflichtet sind, strikt anzuwenden sind.
Viele werden sich jedoch noch keine Gedanken darüber gemacht haben, wo die EU-Schwellenwerte herrühren und wie sie zustande kommen, sondern nehmen sie als gegeben hin. Dies soll nachfolgend in aller Kürze einmal beleuchtet werden.

Sinn und Zweck der EU-Schwellenwerte

Das Vergaberecht ist in „nationales“ und „europäisches“ Vergaberecht unterteilt. Die Unterteilung ist an die EU-Schwellenwerte gekoppelt. Werden diese bei der Schätzung des Auftragswertes für einen zu vergebenden Auftrag erreicht, so ist „europäisches“ Vergaberecht mit seinen EU-Richtlinien als sekundäres EU-Recht anwendbar (Oberschwellenbereich). Dieses ist als Kartellrecht ausgestaltet. Werden die Schwellenwerte nicht erreicht, gilt das „nationale“ Vergaberecht, das als Haushaltsrecht ausgestaltet ist (Unterschwellenbereich).

Die EU-Schwellenwerte stellen folglich Wertgrenzen dar, bei deren Erreichen öffentliche Auftraggeber und Unternehmen, die durch behördliche Bescheide oder Verträge zur Einhaltung des Vergaberechts verpflichtet sind, rechtlich zur Anwendung des „europäischen“ bzw. auch „oberschwelligen“ Vergaberechts angehalten sind.

Infolgedessen sind in diesen Fällen europaweite offene, nicht offene und Verhandlungsverfahren und eben nicht nationale Öffentliche, Beschränkte Ausschreibungen oder Freihändige Vergaben die zulässigen Vergabearten. Dies hat insbesondere zur wesentlichen Folge, dass bei öffentlichen Aufträgen mit einem geschätzten Auftragswert, der die EU-Schwellenwerte erreicht, ein besonderer vergaberechtlicher Rechtsschutz gewährleistet wird, der bei öffentlichen Auftragsvergaben im Unterschwellenbereich nicht gegeben ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit bezüglich dieser umstrittenen Thematik jedoch bestätigt, dass die Unterteilung des Vergaberechts, die an die EU-Schwellenwerte gekoppelt ist, nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG oder den Justizgewährungsanspruch aus Art. 20 Abs. 3 GG verstößt und die Festlegung der EU-Schwellenwerte somit nicht verfassungswidrig und grundrechtskonform ist.

Zustandekommen der EU-Schwellenwerte

Die EU-Schwellenwerte kennen deutsche Vergabestellen als Beträge in der Währungseinheit der EU, nämlich dem Euro und richten ihre Vergabeverfahren danach aus. Aber wie kommt die konkrete Höhe dieser EU-Schwellenwerte in Euro zustande?

Die EU-Kommission kann gemäß § 290 AEUV delegierte Rechtsakte erlassen, um die EU-Schwellenwerte neu festzusetzen. Das hat sie mit Wirkung zum 01.01.2018 erneut getan. Die EU-Schwellenwerte sind an die so genannten Sonderziehungsrechte (SZR) oder Special Drawing Rights (SDR) gekoppelt. Die SZR stellen eine vom internationalen Währungsfonds (IWF) eingeführte Währungseinheit dar, die eine künstliche Währung ist und international sogar als Zahlungsmittel verwendet werden kann, jedoch nicht an Devisenmärkten gehandelt, sondern lediglich als Buchkredit geführt wird. Das „Ziehen“ dieser Rechte bezieht sich grundsätzlich erst einmal auf das Anfordern von Fremdwährungen durch Mitgliedstaaten des IWF im Austausch gegen die eigene Währung. Diese künstliche Währung der SZR wird durch einen so genannten Währungskorb bedeutender Weltwährungen definiert, die jeweils unterschiedlichen Gewichtungen unterliegen. Darunter befinden sich der US-Dollar, der Euro, der Britische Pfund Sterling, der Japanische Yen sowie seit Ende 2016 der Chinesische Renminbi (Yuan).

Die Gewichtung der einzelnen Währungen im Währungskorb ergibt sich aus dem Anteil des jeweiligen Staates am Welthandel und der in der jeweiligen Währung durch die Mitgliedstaaten des IWF gehaltenen Währungsreserven. Der IWF schreibt alle fünf Jahre die für den Währungskorb relevanten Währungen und ihre Gewichtung fest.

Diese SZR sind im Government Procurement Agreement (GPA) festgeschrieben. Das GPA ist ein internationales, plurilaterales Vergabeabkommen der World Trade Organization (WTO), dem die EU mit Wirkung zum 01.01.1996 beigetreten ist. Es ist eine Vereinbarung der EU und weiterer 18 Mitgliedstaaten der WTO über die diskriminierungsfreie, transparente und rechtsstaatliche Vergabe öffentlicher Aufträge. Dem GPA beigetreten sind bisher die EU, Schweiz, Norwegen, Island, Hong-Kong, Japan, Liechtenstein, Taiwan, Aruba, Südkorea, Singapur, Israel, Armenien, USA, Kanada. Moldawien, Montenegro, Neuseeland, Ukraine. Bezweckt werden soll eine stärkere Liberalisierung und Ausweitung des Welthandels sowie die Verbesserung seiner Abwicklung. Das Abkommen soll dem Abbau spezifischer Hemmnisse des grenzüberschreitenden Wettbewerbs bei der Vergabe öffentlicher Aufträge dienen.

Den auf diese Weise zustande kommenden Schwellenwerten, ausgedrückt in SZR, steht ein Wert in Euro in Form des Wechselkurses gegenüber. Der Kurs der Sonderziehungsrechte des IWF wird zwar täglich neu festgesetzt. Zum Ausgleich der Kursschwankungen zwischen den SZR und dem Euro werden die EU-Schwellenwerte in Euro von der EU-Kommission jedoch nur alle zwei Jahre überprüft und bei Bedarf angepasst. Ein solcher Bedarf entsteht, wenn ein Ausgleich von Wechselkursschwankungen zwischen den Unterzeichnern des GPA erforderlich wird, weil sich diese unter Umständen auf die Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte dieser Staaten für den Wettbewerb von Unternehmen in anderen Unterzeichnerstaaten auswirken. Die Berechnung der EU-Schwellenwerte hat den durchschnittlichen Tageskurs des Euro im Verhältnis zu den SZR während der letzten 24 Monate als Grundlage, die am letzten Augusttag enden, der der Neufestsetzung zum 01.01. des Folgejahres vorausgeht.

Die angepassten bzw. geänderten EU-Schwellenwerte in der Währungseinheit Euro und ihr entsprechender Gegenwert in den Währungseinheiten der einzelnen EU-Mitgliederstaaten, in denen der Euro noch nicht eingeführt ist, werden dort zu Beginn des Monats November im Supplement der EU veröffentlicht. Bei der Berechnung der Schwellenwerte handelt es sich um ein ausschließlich mathematisches Verfahren im Rahmen eines technischen Vorgangs, dessen Durchführung im GPA vereinbart ist. Eine Umsetzung jeweils auf diese Weise geänderter bzw. angepasster EU-Schwellenwerte ist in Deutschland nicht erforderlich, weil das GWB in § 106 eine dynamische Verweisung auf die jeweils geltenden Schwellenwerte enthält.

Fazit

Vor diesem Hintergrund wird noch einmal daran erinnert, dass öffentliche Auftraggeber, zur Einhaltung des Vergaberechts verpflichtete Unternehmen und Bieter die EU-Schwellenwerte bei der öffentlichen Auftragsvergabe zwingend beachten sollten. Es ist also im Hinterkopf zu behalten, dass sich die EU-Schwellenwerte regelmäßig ändern bzw. angepasst werden und durch die Verweisung im GWB unmittelbar Anwendung finden, folglich keiner Umsetzung in nationales Recht bedürfen. Bei Nichtbeachtung könnten unter Umständen erhebliche Folgen eintreten. Die Nichtbeachtung der aktuellen Eu-Schwellenwerte oder die Annahme falscher EU-Schwellenwerte kann zur Anwendung falscher vergaberechtlicher Vorschriften und Normen und damit auch zur Durchführung nicht zulässiger Vergabearten führen. Dies bedeutet Vergabeverstöße, die Beanstandungen, Rückforderungen und Schadenersatzansprüchen nach sich ziehen können.

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E-Vergabe: Kein Verweis auf externe Quellen für Vergabeunterlagen!

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungBei einer elektronischen Vergabe (E-Vergabe) müssen alle Vergabeunterlagen vollständig zum Download bereitstehen. Der Verweis auf externe Quellen reicht nicht aus und ist vergaberechtswidrig.

 

Leitsätze

  1. Ein Ausschluss wegen fehlender Angaben und Erklärungen setzt voraus, dass diese zuvor wirksam gefordert wurden.
  2. Der öffentliche Auftraggeber hat bereits in der Auftragsbekanntmachung eine elektronische Adresse anzugeben, unter der die Vergabeunterlagen insbesondere uneingeschränkt und vollständig abgerufen werden können. Ein bloßer Verweis auf externe Quellen für etwaige Vorgaben ist damit nicht vereinbar.

§ 97 GWB; § 41 Abs. 1, § 53 Abs. 7, § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV; § 11 Abs. 3, § 16 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Nr. 3 EU VOB/A

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte einen vierjährigen Rahmenvertrag für Gebäude- und Glasflächenreinigungsarbeiten losweise europaweit im offenen Verfahren ausgeschrieben. Die Vergabeunterlagen wurden von ihm online bereitgestellt. Teil dieser elektronisch verfügbaren Unterlagen war auch ein sog. Merkblatt für den Bieter, in dem der AG eine Kalkulationsvorgabe formulierte, in der er u.a. folgendes angab: „Dem Preisblatt ist auf einem gesonderten Blatt Ihre Kalkulation des jeweils angegebenen Stundenverrechnungssatzes nach dem Muster des Handbuchs der Gebäudereinigung des BIV (Bundesinnungsverband) des Gebäudereinigerhandwerks je Los offen zu legen. Das in Ziffer III des Merkblatts angegebene Muster/Kalkulationsschema des BIV war aber nicht Teil der Vergabeunterlagen bzw. nicht zum Download beigefügt. Bieter A gab darauf fristgemäß ein Angebot ab, dessen Kalkulation geringfügig von dem seitens des AG vorgegebenen Kalkulationsschema abwich. Diese Abweichung beruhte im wesentlichen darauf, dass A bei seiner Internetrecherche nach dem Muster des BIV auf eine andere Fassung als die vom AG angegebene gestoßen war und jene seinem Angebot zugrunde legte. Der AG hatte darauf das Angebot des A ausgeschlossen, wogegen sich A mit Nachprüfungsantrag wehrte.

Die Entscheidung

Die VK gibt hier Bieter A Recht, da der Ausschluss seines Angebotes rechtswidrig war. Das Vergabeverfahren muss daher auf den Zeitpunkt vor dem Angebotsausschluss zurückversetzt werden.

Rechtliche Würdigung

Die VK hält den Ausschluss des Angebotes aus mehreren Gründen für rechtswidrig:

Erstens ist der Angebotsausschluss bereits deshalb rechtswidrig, weil der AG das Muster/Kalkulationsschema nicht online für den freien und ungehinderten Download bereitgestellt hat. Damit hat der AG gegen § 41 Abs. 1 VgV (bzw. § 11 Abs. 3 EU VOB/A ) verstoßen. Nach § 41 Abs. 1 VgV hat der öffentliche Auftraggeber bereits in der Auftragsbekanntmachung eine elektronische Adresse anzugeben, unter der die Vergabeunterlagen uneingeschränkt und vollständig abgerufen werden können. Das umfasst auch etwaige Kalkulationsvorgaben, die der Auftraggeber den Bietern verbindlich vorgeben will. Ein bloßer Verweis auf externe Quellen für etwaige Vorgaben – wie hier in Ziffer III des Merkblattes – ist damit nicht vereinbar. Diese Obliegenheit folgt unabhängig von § 41 Abs. 1 VgV bereits aus dem Grundsatz eines transparenten und chancengleichen Vergabewettbewerbs gemäß § 97 Abs. 1 und 2 GWB.

Zweitens kann der Ausschluss auch nicht auf § 57 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 53 Abs. 7 VgV (bzw. § 16 Nr. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 3 EU VOB/A) gestützt werden. Nach § 57 Abs. 1 VgV sind Angebote auszuschließen, die nicht den Erfordernissen des § 53 VgV entsprechen. § 53 Abs. 7 Sätze 1 und 2 VgV schreiben vor, dass Änderungen an den Vergabeunterlagen unzulässig sind und Angebote vollständig sein und alle geforderten Angaben und Erklärungen enthalten müssen. Eine diesen Maßgaben entsprechende Abweichung liegt bei den vom AG bemängelten Angaben des A im Kalkulationsblatt aber nicht vor. Die AG kann sich für einen Ausschluss des Angebots des A weder darauf stützen, dass der A die Vergabeunterlagen durch seine nicht den aktuellen Sätzen entsprechenden Angaben abgeändert hat noch darauf, dass diese fehlerhaften Angaben die geforderte Kalkulationsübersicht möglicherweise unvollständig machen könne. Denn der AG hat in den Vergabeunterlagen keine entsprechenden Angaben wirksam gefordert. A kann daher keine Änderung an einer Vergabeunterlage vorgenommen haben, die ihm durch den AG gar nicht bereitgestellt worden ist.

Drittens ist ein Ausschluss des Angebotes des A auch nicht wegen einer etwaigen Wettbewerbsverzerrung geboten. Denn die Abweichungen im Kalkulationsblatt des A bewegen sich im Ergebnis im Hundertstel/Prozentbereich und stellen daher die Vergleichbarkeit des Angebots des A mit den übrigen zu wertenden Angeboten nicht in Frage, da nicht ersichtlich ist, dass sich angesichts der Preisabstände die Wertungsreihenfolge im Ergebnis verändern wird.

Praxistipp

Im Hinblick auf die Entscheidung der VK Bund sind sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer noch einmal an folgendes zu erinnern:

Seit 18.04.2016 gilt verpflichtend, dass die Übermittlung der Bekanntmachung sowie die Bereitstellung der Vergabeunterlagen elektronisch zu erfolgen hat, wobei beide Unterlagen jedem Interessierten ohne Registrierung zugänglich sein müssen. Nach dem 18.10.2018 müssen dann auch die Übermittlung von Teilnahmeanträgen und Angeboten ebenso auf elektronischem Wege erfolgen wie die gesamte Kommunikation zwischen Auftraggebern und Bietern.

Mit dieser E-Vergabe zwingend verbunden sind entsprechende Transparenzpflichten, die sich aus allen Vergabeverfahrensordnungen entnehmen lassen (z.B. § 41 VgV; § 11 EU VOB/A; § 41 SektVO; § 19 VSVgV; § 29 UVgO) Das heißt konkret, dass sich zukünftig bisher bei öffentlichen Auftraggebern beliebte Begründungen wie z.B. dass die Unterlagen an anderer Stelle bezogen oder heruntergeladen werden können oder ohnehin branchenbekannt sind, von vornherein verbieten.


Veranstaltungstipp: Die eletronische Vergabe wird natürlich auch ein Thema auf dem 3. IT-Vergabetages des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) sein, welcher am 26. April 2018 in Berlin stattfindet! Jetzt anmelden auf www.it-vergabetag.de.

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Polen: Übermittlung irreführender Informationen als zwingender Ausschlussgrund in Polen

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Politik und MarktRecht

Während in Deutschland die mit der Täuschung des Auftraggebers verbundenen Ausschlussgründe mit denen nach der Richtlinie 2014/24/EU inhaltlich übereinstimmen, sieht die diesbezügliche Regelung in Polen etwas anders aus.

Zwingende Ausschlussgründe

Im Gegensatz zum deutschen Vergaberecht liegt nach dem polnischen Recht bei der Übermittlung irreführender Informationen bei der Vergabe eines Auftrags – im Sinne der Täuschung des Auftraggebers ein zwingender Grund vor, einen Bieter vom Verfahren auszuschließen. Der Auftraggeber ist daher verpflichtet, in jedem Fall zu prüfen, ob die Angaben und Informationen des Auftragnehmers wirklichkeitsgetreu sind.

Nach dem polnischen Vergabegesetz („VgG“) ist von der Teilnahme am Verfahren ein Bieter auszuschließen:

  • der infolge vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Handelns den Auftraggeber darüber getäuscht hat, dass er vom Verfahren nicht auszuschließen ist, die Voraussetzungen für die Teilnahme am Verfahren oder objektive und nichtdiskriminierende Kriterien erfüllt, oder der bestimmte Informationen verheimlicht hat oder nicht imstande ist, die geforderten Unterlagen vorzulegen (Art. 24 Abs. 1 Nr. 16 VgG) und
  • der durch Leichtfertigkeit oder Fahrlässigkeit dem Auftraggeber irreführende Informationen übermittelt hat, die maßgeblichen Einfluss auf die vom Auftraggeber im Vergabeverfahren zu treffenden Entscheidungen haben können (Art. 24 Abs. 1 Nr. 17 des VgG).

Die Landesberufungskammer (das für die Entscheidung vergaberechtlicher Nachprüfungsverfahren in Polen zuständige Organ) stellt Bietern als professionellen Marktakteuren sehr hohe Anforderungen hinsichtlich der Sorgfaltspflichten, indem sie darauf hinweist, dass einem Wirtschaftsteilnehmer bei Nichterfüllung dieser Anforderungen Fahrlässigkeit zugeschrieben werden kann. Die Nachlässigkeit des Bieters bei der Überprüfung des Wahrheitsgehalts der dem Auftraggeber übermittelten Daten, auch wenn dabei keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt, kann zum Ausschluss vom Verfahren führen.

Im Hinblick auf den so rigorosen Ansatz, den der polnische Gesetzgeber und die Landesberufungskammer in Bezug auf Wahrheitsgehalt von Aussagen und Auskünften der Bieter verfolgen, sollten ausländische Bewerber alle dem Auftraggeber übermittelten Informationen sorgfältig prüfen, insbesondere jegliche Auskünfte über das Personal, das für die Ausführung des Auftrags verantwortlich ist.

Anforderungen der Auftraggeber – Vorsicht ist geboten

Polnische öffentliche Auftraggeber stellen Bewerbern, insbesondere bei Verfahren mit einem hohen Auftragswert, zahlreiche und sehr detaillierte Teilnahmeanforderungen. Dies kommt insbesondere bei Bauaufträgen, auch in der Eisenbahnindustrie vor.

Beispiel:
In einem Vergabeverfahren forderte der Auftraggeber, dass der Bieter über einen Ingenieur verfügt, der in den letzten fünf Jahren zwei Baugenehmigungsplanungen für Bau oder Umbau einer Eisenbahnlinie mit mindestens 5 km Gleisstrecke und 2 Bahnhöfen innerhalb einer elektrifizierten Eisenbahnstrecke erstellt hatte.
Mit der Abgabe des Angebots erklärte der Bieter, dass er über eine solche Person verfügt, die diese Voraussetzungen erfüllt, und gab entsprechend den Anforderungen des Auftraggebers sowohl den Vor- und Nachnamen dieser Person als auch die Bezeichnung des Projekts an, an dem diese Person beteiligt war und die geforderte Erfahrung gesammelt hatte. Der Auftraggeber hat überprüft, dass die vom Bieter benannte Person bei dem angegebenen Projekt nicht als Ingenieur (Planer) erwähnt war. Der Auftraggeber lehnte die Aufklärungen des Bewerbers ab, die von ihm benannte Person sei Projektteammitglied gewesen, auch wenn sie dabei nicht als sog. leitender Ingenieur/ Planer tätig war. Der Auftraggeber schloss den Bieter vom Verfahren wegen Irreführung aus.

Die Landesberufungskammer bestätigte, dass der Auftraggeber den Bewerber zu Recht ausgeschlossen hat. Sie stellte dabei fest, dass der Auftragnehmer verpflichtet war zu überprüfen, welche Funktion der benannte Ingenieur in dem Projektteam übernommen hatte, auch wenn der Auftragnehmer an dem Projekt selbst nicht beteiligt war und somit keinen direkten Zugriff auf dazugehörige Dokumentation hatte.
Wie das hier angeführte Beispiel zeigt, prüfen öffentliche Auftraggeber die Auskünfte der Bieter sehr sorgfältig. Ebenso genau werden solche Angaben durch andere Wettbewerber überprüft. Erfahrungsgemäß können etwaige irreführende Auskünfte der Bieter durch eine Vielzahl von verschiedenen Beweismitteln nachgewiesen werden. Sowohl Auftraggeber als auch konkurrierende Bieter prüfen jegliche Archivverträge, Planungsunterlagen anhand im Internet zugänglicher Daten, von Bildern auf Webseiten. Es werden sogar Standortbesuche veranlasst, auch in einem anderen EU-Mitgliedstaat, wie es bei einem der in der Kanzlei bearbeiteten Mandate der Fall war.

Ein Fehler des Bewerbers, selbst wenn nicht beabsichtigt, kann daher relativ leicht erkannt werden und zum Ausschluss des Bieters vom Verfahren führen.

Praxistipps

1. Bewerber sollten sämtliche in ihren Angeboten abgegebene Erklärungen und Informationen sorgfältig überprüfen, einschließlich der Auskünfte über die Erfahrung der zur Ausführung des Vertrages vorgeschlagenen Personen und über den Umfang der im Angebot als Referenzprojekte genannten Projekte (Projekte, bei denen der Bieter die erforderliche Erfahrung gesammelt hat). Der Bieter ist für die Irreführung verantwortlich, auch wenn sie fahrlässig erfolgt.

2. Von der Verpflichtung zur Überprüfung wird der Bieter nicht dadurch befreit, dass die Fertigstellung des Projektes lange zurückliegt, dass der Bieter das Projekt nicht allein durchgeführt hat, oder aber dass er gegebene Informationen von einem Mitarbeiter oder einem Unternehmen eingeholt hat, das mit ihm zusammenarbeiten will.

3. Im Streitfall, ob bestimmte Informationen mit dem tatsächlichen Zustand übereinstimmen, muss der Bieter entsprechende Nachweise erbringen.

4. Jegliche polnischen Vergabestellen vorzulegende Nachweise müssen ins Polnische übersetzt werden.

 

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Ausschluss wegen vorangegangener Schlechtleistung – Voraussetzungen? (VK Bund, Beschl. v. 18.09.2017, VK 2 – 86/17)

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Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungDie Vergabekammer des Bundes hat in ihrer Entscheidung vom 18.09.2017 die Voraussetzungen des Ausschlusses eines Bieters wegen vorangegangener Schlechtleistung konkretisiert. Die VK Bund stellt fest, dass auch eine Rechnungskürzung als “vergleichbare Rechtsfolge” im Sinne des § 124 Abs.1 Nr.7 GWB darstellen kann.

Es ist nicht unüblich, dass es bei Verträgen zu Uneinigkeiten oder sogar Streitigkeiten kommt. Streitigkeiten bei der Abnahme, Schlechtleistungen während der Durchführung, ein langes und zermürbendes Hinhalten oder eine nicht zufriedenstellende Kommunikation bei der die Eskalationsstufen rauf und runter gerannt werden, führt zu Frust. Bewirbt sich dann der ungeliebte (Ex-)Vertragspartner auf eine neue Ausschreibung ist die Frage, kommt man um ihn herum?

§ 124 Abs.1 Nr. 7 GWB

Sachverhalt

Der Entscheidung ging folgender Sachverhalt voraus: In einem Vertrag zur Erbringung von Leistungen des Winterdienstes war es zu erheblichen und fortwährenden Schlechtleistungen gekommen. Der Auftraggeber hatte diverse von der Antragstellerin gestellte Rechnungen für Einzelabrufe infolge der Schlechtleistungen bzw. wegen Schichtausfall etc., gekürzt bzw. gar nicht bezahlt. Dies konnte der Auftraggeber durch die auszugsweise Vorlage von Abrechnungen im Nachprüfungsverfahren glaubhaft machen. Die Antragstellerin hatte diesen Rechnungskürzungen, die aus den Monaten Dezember bis Februar des folgenden Jahres stammen, nicht widersprochen, sondern lediglich im vorliegenden Verfahren vorgetragen, zukünftig gegen die Kürzungen vorgehen zu wollen.

In der darauffolgenden Neuausschreibung bewarb sich auch der bisherige Auftragnehmer, bei dem es zu den Schlechtleistungen kam um den Auftrag. Der Auftraggeber schloss ihn auf der Grundlage des § 124 Abs.1 Nr.7 GWB aus, wogegen der Bieter die Vergabekammer anrief.

Die Entscheidung

Die VK Bund lehnte den hiergegen eingelegten Nachprüfungsantrag jedoch als unbegründet ab, da sie die Rechnungskürzung als eine vergleichbare Rechtsfolge i.S.d. § 124 Abs.1 Nr.7 GWB einstufte.

Dabei ist es aus ihrer Sicht gerade nicht erforderlich, dass die Rechtsfolge dasselbe gravierende Gewicht entfaltet, wie eine außerordentliche Kündigung.

Die Kammer kommt vielmehr zu dem Schluss, dass das Nichtbezahlen von Rechnungen bzw. die Kürzung von Einzelrechnungen infolge Nichterbringung der vertraglich geschuldeten Leistungen eine vergleichbare Rechtsfolge im Sinne von § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ist. Der Auftraggeber wäre berechtigt gewesen aufgrund der Schlechtleistung zu kündigen, hat dies jedoch nicht getan, da er sonst nach eigenem Vortrag ohne Dienstleister gewesen wäre. Ein Auftraggeber kann nach der VK Bund jedoch nicht gezwungen sein, stets außerordentlich kündigen zu müssen, um die Eignung eines Dienstleisters in einem nachfolgenden Vergabeverfahren verneinen zu können. Der vom Auftraggeber vorgebrachte Einwand, dann keinen Dienstleister mehr zu haben und die Schwierigkeit, noch im Februar des Jahres, “also während des Winters „auf die Schnelle“ einen Dienstleister für die ohnehin auslaufende Wintersaison zu finden oder ggf. eigene Kräfte einsetzen zu müssen”, sind laut der VK Bund nicht von der Hand zu weisen.[1]

Rechtliche Würdigung

1) Voraussetzungen

Nach dem seit dem April 2016 geltenden § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB können öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen von der Teilnahme ausschließen, wenn eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt wurde und dadurch die Eignungsprognose dieses Unternehmens für die Ausführung des ausgeschriebenen Auftrages negativ ausfällt.

Es ist dabei ausreichend, dass die Schlechterfüllung irgendeines öffentlichen Auftrags vorliegt; es muss sich also nicht um einen Auftrag des ausschreibenden Auftraggebers, gehandelt haben.[2] Tatsächlich wird aber nur ein in gleicher Auftragskonstellation abgewickelter Auftrag in Betracht kommen, da die Beurteilungsfähigkeit des schief gegangenen Auftrages sonst stark eingeschränkt sein dürfte.

Um eine negative Eignungsprognose treffen zu können muss die Fehlleistung erheblich und fortdauernd gewesen sein. Ein einmaliger Fehltritt reicht also nicht aus. Auch kleinere und leicht behebbare Mängel, genauso wie die Lieferung einer mangelhaften Ware, wenn der Auftraggeber sich mit einer Ersatzlieferung zufrieden gab, führen nicht zu einer wesentlichen Fehlleistung des Auftrages.

Im vorliegenden Fall handelte es sich unter anderem um das wiederholte verspätete Erscheinen und teilweise Nichterscheinen zum Arbeitsantritt zur Durchführung des Winterdienstes. Hierbei ist von einer Erheblichkeit auszugehen, da es bei Nichtdurchführung des Winterdienstes zu Gefahren für Leib und Leben und zu enormen wirtschaftlichen Schäden für den Auftraggeber kommen kann. Insofern kann hierdurch aufgrund der Bedeutung der Dienstleistung für die Sicherheit bereits die erhebliche mangelhafte Erfüllung einer wesentlichen Anforderung zu sehen sein.

Aufgrund der erheblichen Fehlleistung muss es ferner zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadenersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge gekommen sein.[3] Vergleichbar ist eine Rechtsfolge dann, wenn sie nicht zu einer Beendigung führt, aber hinsichtlich des Schweregrades mit dieser vergleichbar ist. Dies könnte bei einer Ersatzvornahme, wie einer Selbstvornahme nach § 637 BGB oder einer Ersatzvornahme nach § 13 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B oder aber auch bei dem Verlangen nach umfangreichen Nachbesserungen der Fall sein.[4] Eine Vertragsstrafe für den Fall der Überschreitung einer Lieferfrist ist jedoch nicht mit einer Schadensersatzforderung gleichzusetzen und reicht nicht aus, weil es insoweit an einem Verschuldenselement fehlt.[5] Nach der hier zur Diskussion stehenden Entscheidung der VK Bund ist eine Rechnungskürzung und das gänzliche Nichtbezahlen von Rechnungen aufgrund der vorausgegangenen erheblichen Fehlleistung nun also auch eine vergleichbare Rechtsfolge.

2) Nachweis der Voraussetzungen

Nun bleibt die Frage, welche Anforderungen im Vergabeverfahren an den Nachweis der Schlechterfüllung zu stellen sind, denn es genügt nicht, dass der Auftraggeber gekündigt, einen Schadensersatzanspruch geltend gemacht oder eine Maßnahme ergriffen hat, die eine vergleichbare Rechtsfolge nach sich zieht. Es muss vielmehr feststehen, dass dies auch zu Recht erfolgt ist.[6] Eine rechtskräftige Feststellung eines Zivilgerichts über eine erhebliche oder fortdauernde Schlechterfüllung muss jedoch nicht abgewartet werden. Das Vorliegen konkreter Tatsachen von einigem Gewicht, die die Entscheidung des Auftraggebers als nachvollziehbar erscheinen lassen, genügt. Es reicht also der Vortrag des Antragsgegners sowie die Vorlage von Urkunden, um die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses der Antragstellerin zu bejahen.[7]

Voraussetzung für den Vortrag des Auftraggebers ist, dass die einzelnen Prüfungsschritte die zur Negativprognose führen und die wesentlichen Erwägungen der Ermessensentscheidung über den Ausschluss zur Sicherstellung der Nachvollziehbarkeit in einem Nachprüfungsverfahren umfassend dokumentiert sind (vgl. § 8 VgV, § 20 EU VOB/A sowie § 6 UVgO) wie auch die Entscheidung der VK Thüringen, Beschl. v. 12.07.2017, 250-4003-5533/2017-E-016-EF zeigt. Der Auftraggeber muss belegen können, dass die Verfehlungen des Auftragnehmers erhebliche negative Auswirkungen für ihn gehabt haben.[8]

3) Grenzen der Ausschlusssanktion/Selbstreinigung

Der Auftraggeber darf jedoch keine Ausschlusssanktion treffen, wenn das vom Ausschluss bedrohte Unternehmen Selbstreinigungsmaßnahmen im Sinne des § 125 Abs. 1 GWB nachgewiesen hat. Nach § 126 Nr. 2 GWB ist ein Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB nur für einen Zeitraum von höchstens drei Jahren zulässig. Die Frist ist tagegenau zu berechnen und beginnt mit dem Zeitpunkt, an dem der Vertrag vorzeitig beendet wird, der Schadensersatzanspruch entsteht oder die vergleichbare Rechtsfolge eintritt. Wann der öffentliche Auftraggeber davon Kenntnis erlangt, ist unerheblich.


Veranstaltungshinweis: Am 26. April 2018 findet der 3. IT-Vergabetag in Berlin statt. Jetzt anmelden unter www.it-vergabetag.de und Frühbucherpreis sichern (gilt nur noch bis 31.01.2018)!


Praxistipp

Die Entscheidung der VK Bund verbessert zwar die Position des öffentlichen Auftraggebers, wenn er einen Bieter wegen einer vorangegangen Schlechtleistung ausschließen will, sie gibt ihm aber hierfür keinen Freibrief.

Zwar wird durch die Entscheidung für dauerhaft zu erbringenden Leistungen (hier: Winterdienst, aber wohl auch Abfallentsorgung und Gebäudereinigung) öffentlichen Auftraggebern mit der, vergleichbar schnell erreichten, Rechnungskürzung ein scharfes Schwert zukünftige Auftragsvergaben an die Hand gegeben. Dennoch folgt auf eine Rechnungskürzung nicht zwingend ein automatischer Ausschluss des bisherigen Auftragnehmers in zukünftigen Vergabeverfahren, da zum einen die Schlechterfüllung einer wesentlichen Anforderung hinzukommen muss und es sich bei den in § 124 GWB genannten Ausschlussgründen um fakultative Ausschlussgründe handelt. Insofern ist bei einem Ausschluss aufgrund vorangegangener Schlechtleistung stets mit Augenmaß vorzugehen.[9]

Öffentliche Auftraggeber sollten daher nach wie vor die Schlechtleistung auf welche Sie ihren Ausschluss stützen wollen genau dokumentieren. Wichtiger ist aber noch, dass sich der Auftraggeber (zumindest im Oberschwellenbereich) nicht “im stillen Kämmerlein” ärgert, sondern seinem Unmut mittels einer Kündigung, der Forderung nach Schadensersatz oder aber einer Rechnungskürzung Ausdruck verleiht. Etwas anderes gilt diesbezüglich im Geltungsbereich der UVgO: Hier gilt nach § 31 Abs.2 S.5 UVgO, dass es einer Kündigung bzw. einer anderen Rechtsfolge nach § 124 Abs.1 Nr.7 GWB nicht bedarf.


[1] VK Bund, Beschl. v. 18.09.2017, Az. VK 2 – 86/17.
[2] BT-Dars. 18/6281, S. 106.
[3] RL 2014/24 Art. 57 lit. g).
[4] Ley u.a., Das neue Vergaberecht 2016 von Rudolf Ley, Michael Wankmüller.
[5] Summa in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 124 GWB.
[6] Summa in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 124 GWB, Rn. 99.
[7] VergabeR 2017, 394 – 402 (Heft 3).
[8] OLG Celle vom 9.1.2017 (Az.: 13 Verg 9/16).
[9] VK Bund, Beschl. v. 18.09.2017, Az. VK 2 – 86/17.

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Wann liegt ein ungewöhnlich niedriges Angebot vor? (EuGH, Urt. v. 19.10.2017, C-198/16)

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Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

Entscheidung-EUMangels einer Definition des Begriffs ungewöhnlich niedriges Angebot oder feststehenden Regeln zur Identifizierung eines solchen Angebots, ist es Sache des öffentlichen Auftraggebers, die für die Identifizierung der ungewöhnlich niedrigen Angebote verwendete Methode festzulegen, vorausgesetzt, dass diese Methode sachlich und nicht diskriminierend ist.

Es spricht nichts dagegen, dass der öffentliche Auftraggeber die Angebote mit dem veranschlagten Budget vergleicht und eines davon als auf den ersten Blick ungewöhnlich niedrig identifiziert, wenn die Höhe dieses Angebots erheblich unter diesem Budget liegt. Eine Simulation eines konkurrierenden Bieters, die darin besteht, die im Angebot vorgeschlagenen Preise anhand der wirtschaftlichen Bezugsparameter im Einzelnen zu überprüfen, kann nicht den Nachweis erbringen, warum der öffentliche Auftraggeber im Vorhinein an der Seriosität dieses Angebots hätte zweifeln sollen.

Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 Art. 4, 7; Verordnung (EG) Nr. 2342/2002 Art. 139, 146 (§§ 60 VgV, 44 UVgO, 16d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A)

Sachverhalt

Mit einer Bekanntmachung veröffentlichte die Europäische Kommission eine Ausschreibung zum Aufbau eines Netzwerks für die Umsetzung der Europäischen Innovationspartnerschaft Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit. Die Aufgaben des zukünftigen Auftragnehmers waren in neun Hauptaufgaben unterteilt. In den Vergabeunterlagen war der Mindestpersonalbestand für die Erfüllung der Hauptaufgaben angegeben. Nach den Vergabeunterlagen musste der Auftragnehmer auch für eine angemessene Personalausstattung sorgen, um dem Personal neben den Hauptaufgaben auch die Erledigung von zusätzlichen Aufgaben zu ermöglichen. Ein Gesamtbudget von maximal EUR 2,5 Mio. pro Jahr war für die gemeinsame Durchführung der Hauptaufgaben und der zusätzlichen Aufgaben vorgesehen. Die Angebotspreise für die beiden Bieter, die für die Beauftragung in Betracht kamen, betrugen für die nicht zum Zuge gekommene Bieterin, die Rechtsmittelführerin Agriconsulting Europe SA, EUR 1,32 Mio. und für den anderen Bieter EUR 2,32 Mio. Nach einer Aufklärung des Angebotspreises der Rechtsmittelführerin teilte die Kommission dieser mit, dass ihr Angebot nicht ausgewählt worden ist, da es auch nach der Aufklärung und den überreichten Unterlagen als ungewöhnlich niedrig erachtet wird. Gegen dieses Vorgehen wandte sich die Rechtsmittelführerin mittels Klage. Das Gericht der Europäischen Union wies die Klage im Januar 2016 in vollem Umfang zurück. Hiergegen wandte sich Rechtsmittelführerin an den EuGH.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg. Der Ausschluss des Angebots der Rechtsmittelführerin wegen eines ungewöhnlich niedrigen Angebots ist nicht zu beanstanden.

Art. 139 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2342/2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften bestimmt (ähnlich wie auch die entsprechenden Bestimmungen in den Vergaberichtlinien, z.B. Art 69 der RL 2014/24/EU), dass, sofern bei einem bestimmten Auftrag Angebote im Verhältnis zur Leistung ungewöhnlich niedrig zu sein scheinen, der öffentliche Auftraggeber vor Ablehnung dieser Angebote schriftlich die Aufklärung über die Einzelposten des Angebots verlangen muss, die er für angezeigt hält.

Der öffentliche Auftraggeber ist aufgrund dieser Bestimmung daher verpflichtet,

  • erstens die zweifelhaften Angebote zu identifizieren,
  • zweitens den betroffenen Bietern zu ermöglichen, ihre Seriosität zu beweisen, indem er von ihnen Aufklärung verlangt, wo er dies für angezeigt hält,
  • drittens die Stichhaltigkeit der von den Betroffenen eingereichten Erklärungen zu beurteilen und
  • viertens über die Zulassung oder Ablehnung dieser Angebote zu entscheiden (Rn. 51 des Urteils).

Jedoch nur, wenn von vornherein zweifelhaft ist, ob ein Angebot verlässlich ist, gelten für den öffentlichen Auftraggeber die in dieser Bestimmung vorgesehenen Verpflichtungen, einschließlich der vorliegend maßgeblichen Verpflichtung, die Seriosität der vorgeschlagenen Preise anhand der wirtschaftlichen Bezugsparameter im Einzelnen zu prüfen. Insoweit ist es mangels einer Definition des Begriffs ungewöhnlich niedriges Angebot oder Regeln zur Identifizierung eines solchen Angebots Sache des öffentlichen Auftraggebers, die für die Identifizierung der ungewöhnlich niedrigen Angebote verwendete Methode festzulegen, vorausgesetzt, dass diese Methode sachlich und nicht diskriminierend ist.

Im vorliegenden Fall hat der Bewertungsausschuss der Kommission das Angebot der Rechtsmittelführerin als ungewöhnlich niedrig identifiziert, indem er deren Preis mit dem in den Vergabeunterlagen vorgesehenen Gesamtbudget von EUR 2,5 Mio. verglichen hat. Während das Angebot des anderen Bieters leicht unter diesem Budget lag, war das Angebot der Rechtsmittelführerin fast EUR 1 Mio. niedriger als dieses. Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin spricht nichts dagegen, dass der Auftraggeber die Angebote mit dem veranschlagten Budget vergleicht und eines davon als auf den ersten Blick ungewöhnlich niedrig identifiziert, wenn die Höhe dieses Angebots erheblich unter dem veranschlagten Budget liegt. Die Rechtsmittelführerin hat namentlich nicht dargetan, aus welchem Grund eine solche Vorgehensweise nicht sachlich oder warum sie diskriminierend sein sollte.

Schließlich stellt der EuGH fest, dass eine von der Rechtsmittelführerin vorgelegte Simulation für die Prüfung irrelevant ist. Diese Simulation, die darin besteht, die im Konkurrenzangebot vorgeschlagenen Preise anhand der wirtschaftlichen Bezugsparameter im Einzelnen zu überprüfen, kann nicht den Nachweis erbringen, warum der öffentliche Auftraggeber im Vorhinein an der Seriosität dieses Angebots hätte zweifeln sollen.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung ist zu begrüßen. Sie verdeutlicht, dass es Sache des Auftraggebers ist, zu beurteilen, ob ein Angebot ungewöhnlich niedrig ist (und einer Preisaufklärung bedarf) oder eben nicht. Sie steht auch im Einklang mit den Regelungen zu ungewöhnlich niedrigen Angeboten im deutschen Recht, u.a.

  • § 60 der Vergabeverordnung (VgV),
  • § 44 der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) und
  • § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A.

Danach gilt im Kern Folgendes:

Erscheinen der Preis oder die Kosten eines Angebots im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig, muss der Auftraggeber vom Bieter Aufklärung verlangen. Dabei hat der Auftraggeber die Zusammensetzung des Angebots zu prüfen. Die Prüfung kann insbesondere die Wirtschaftlichkeit der nachgefragten Leistung, die gewählten technischen Lösungen oder die außergewöhnlich günstigen Bedingungen, über die das Unternehmen bei der Lieferung der Waren oder bei der Erbringung der Dienstleistung (angeblich) verfügt sowie die Besonderheiten der angebotenen Leistung erstrecken. Kann der öffentliche Auftraggeber nach der Prüfung sodann die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten nicht zufriedenstellend aufklären, hat er also weiterhin Zweifel an der Auskömmlichkeit des Preises, darf er den Zuschlag auf dieses Angebot ablehnen. Anderenfalls kann er es im Verfahren belassen (und werten).

Der EuGH hat nunmehr zutreffend klargestellt, dass ein angebotener Preis auch dann ungewöhnlich niedrig erscheinen darf, wenn dieser von der im Vorfeld der Vergabe getroffenen Auftragswertschätzung (und dem veranschlagten Budget) abweicht. Dem pflichtgemäß geschätzten Auftragswert hat dabei der Wert zugrunde zu liegen, den ein umsichtiger und sachkundiger öffentlicher Auftraggeber nach sorgfältiger Prüfung des relevanten Marktsegmentes und im Einklang mit den Erfordernissen betriebswirtschaftlicher Finanzplanung bei der Anschaffung der vergabegegenständlichen Sachen bzw. Leistungen veranschlagen würde (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 29.06.2017 Az. 13 Verg 1/17; Vergabeblog.de vom 09/10/2017, Nr. 33284).

Der Ansatz des EuGH ist freilich nicht neu. Dieser Maßstab findet sich auch bereits in einigen Landesvergabesetzen. So nennen die Landesvergabesetze in Mecklenburg-Vorpommern (§ 6 Abs. 2 Satz 1 VgG M-V), in Berlin (§ 3 BerlAVG) und in Bremen (§ 14 Abs. 2 Tariftreue- und Vergabegesetz) beispielsweise bereits die ordnungsgemäße Kostenschätzung des Auftraggebers als einen maßgeblichen Anhaltspunkt, ob ein ungewöhnlich niedriges Angebot vorliegt oder nicht. Es ist mithin nicht zwangsläufig ein Vergleich mit den anderen im Wettbewerb eingegangenen Angebotspreisen durchzuführen oder gar immer auf das nächstgünstige Angebot abzustellen. Mit anderen Worten:

Wenn der Auftraggeber Sorge hat, dass der angebotene Preis auskömmlich ist, muss er den Preis mit dem betroffenen Bieter aufklären. Der Grund für die Sorge bzw. die Methode zur Bestimmung eines ungewöhnlich niedrig erscheinenden Angebots obliegt dabei einzig und allein dem Auftraggeber. Bieter haben darauf keinen Einfluss. Insofern kann die Simulation eines konkurrierenden Bieters, die darin besteht, die im Angebot vorgeschlagenen Preise anhand der wirtschaftlichen Bezugsparameter im Einzelnen zu überprüfen, nicht den Nachweis erbringen, warum der Auftraggeber im Vorhinein an der Seriosität dieses Angebots hätte zweifeln sollen. Dies stellt der EuGH klar.

Die in vielen Landesvergabegesetzen vorgesehene Aufgreifschwelle von mindestens 10% unter dem nächsthöheren Angebot (siehe z.B. § 3 des Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz (BerlAVG), § 4 Abs. 6 Satz 2 TVgG NRW oder § 7 Satz 2 des Niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetz (NTVergG)) können daher nur Indizien darstellen, ob ein Angebot ungewöhnlich niedrig ist oder nicht. Es kann insofern wie seitens der Spruchpraxis der Nachprüfungsinstanzen vereinzelt entschieden (vgl. aus jüngerer Zeit VK Lüneburg, Beschluss vom 13.07.2017 Az. VgK-17/2017; VK Nordbayern, Beschluss vom 07.09.2017 Az. 21.VK-3194-02-04) auch keine Regel dahingehend geben, dass ab einer Abweichung von 20% vom nächstniedrigeren Angebot generell von einem Niedrigangebot im Sinne der §§ 60 VgV, 44 UVgO, 16d EU VOB/A bzw. der Landesvergabegesetze auszugehen ist. Es kommt vielmehr entscheidend auf den konkreten Markt und den Vergabegegenstand an. Teilweise können bereits Abweichungen von 5% einen entsprechenden Verdacht begründen, teilweise Abweichungen von 30% als marktüblich und daher unkritisch anzusehen sein. Die Entscheidung des EuGH ist zu begrüßen und sorgt für mehr Rechtssicherheit bei der Preisprüfung.

Praxistipp

Der Zuschlag darf auch auf ein Angebot mit einem (sehr) niedrigen Preis erteilt werden, sofern der Auftraggeber eine sachlich fundierte, vertretbare Prognose trifft, dass der Bieter die Leistung zuverlässig und vertragsgerecht erbringen wird und konkrete Belege für ein wettbewerbsbeschränkendes oder unlauteres Unterangebot fehlen. Auftraggeber tun gut daran, bei der vergaberechtlichen Prüfung, ob ein Angebot ungewöhnlich niedrig erscheint, alle in Betracht kommenden Erkenntnisquellen heranzuziehen. Neben dem Ergebnis des Preiswettbewerbs und vor allem dem nächstniedrigeren Angebot, kommt dabei vor allem die Auftragswertschätzung in Betracht. Die Ermittlung des vermeintlichen Auftragswerts kommt also auch an dieser Stelle erhebliche Bedeutung zu. Bei Zweifeln empfiehlt es sich immer aufzuklären; zumal die Regeln über die Prüfung ungewöhnlich niedrig erscheinender Angebote bieterschützende Wirkung entfalten. Von Bietern kann die Aufklärung der Preise von Konkurrenten mithin eingefordert werden (BGH, Beschluss vom 31.01.2017 Az. X ZB 10/16 Notarztausschreibung; Vergabeblog.de vom 30/03/2017, Nr. 30394). Anderenfalls droht später bei der Leistungserbringung nicht selten das böse Erwachen. Die Aufklärung kann ungeachtet des ggf. einschlägigen Nachverhandlungsverbots zudem dazu dienen, die nachgefragten Leistungen dem Bieter noch einmal vor Augen zu führen und damit herauszufinden, ob der Bieter nicht möglicherweise etwas missverstanden hat.

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EU Kommission mahnt vergaberechtliche Auswirkungen des Brexit für Unternehmen an

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Am 18. Januar 2018 veröffentlichte die EU-Kommission (Generaldirektion GROW) ihre „Notice to stakeholder – Withdrawal of the United Kingdom and EU rules in the field of public procurement“, um Marktteilnehmer über vergaberechtliche Implikationen eines „hard Brexit“ [1] zu informieren. Die Bekanntmachung ist in englischer Sprache verfügbar und schildert die vergaberechtlichen Nachteile, die Unternehmen in Folge eines „hard Brexit“ erleiden können.

Adressaten

Die Bekanntmachung richtet sich an alle Marktteilnehmer und ist als bloße Information zu verstehen. Sie stellt keinen rechtssetzenden Akt der Europäischen Union dar und verfügt auch sonst über keinen zukünftig zu berücksichtigenden Regelungsgehalt. Angesichts der noch länger andauernden Austrittsverhandlungen kommt der Bekanntmachung zu diesem Zeitpunkt aber durchaus stimmungsbildende Wirkung zu.

Inhalt der Bekanntmachung

Die EU Kommission weist darauf hin, dass im Falle eines sog. „hard Brexit“ Großbritannien zu einem Drittstaat[2] wird. Diese Folge ist nicht nur für öffentliche Auftraggeber, sondern auch für private Unternehmen von Bedeutung, da ein „hard Brexit“ mit rechtlichen Auswirkungen für sie verbunden wäre.

Im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe sieht die EU-Kommission insbesondere vier solcher Rückschläge, wenn Großbritannien mit Ablauf des 29. März 2019 ohne weiteres aus der EU ausscheidet:

1. In Großbritannien ansässige Unternehmen[3] werden ab dem 30. März 2019 rechtlich wie Unternehmen aus einem Drittstaat behandelt.

2. In Ansehung von Art. 85 Richtlinie 2014/25[4] kann ein Angebot bei der Vergabe eines Sektorenauftrages zurückgewiesen werden, bei denen der Warenanteil zu mehr als 50 Prozent des Gesamtwertes aus Drittstaaten und mithin Großbritannien stammen. Wird ein Angebot nicht zurückgewiesen, ist bei einem Wertungsgleichstand das Angebot zu bevorzugen, dass aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem Vertragsstaat stammt.[5]

3. Im Bereich der Sicherheit und Verteidigung bleibt es den Mitgliedstaaten vorbehalten zu entscheiden, ob Unternehmen eine Teilnahme an dem Vergabeverfahren gestattet wird, wenn das Unternehmen in einem Drittstaat ansässig ist.

4. Ebenso ist es im Bereich der sicherheits- und verteidigungsspezifischen Auftragsvergaben für die Mitgliedstaaten nicht erforderlich, Sicherheitsbescheide und Ermächtigungen von Unternehmen aus Drittstaaten als gleichwertig anzuerkennen. Dies kann zu einem Ausschluss von britischen Unternehmen führen, die nach nationalen Sicherheitsbestimmungen überprüft wurden.

Rechtliche Würdigung

Die von der EU Kommission identifizierten Rückschläge für britische Unternehmen sind zutreffend.

1. Kein grundsätzliches Marktzugangshindernis

Es ist jedoch voranzustellen, dass die Drittstaatzugehörigkeit eines Unternehmens für den Großteil aller europäischen Auftragsvergaben, nämlich öffentliche Aufträge im Sinne des § 103 GWB, (noch) kein Marktzugangshindernis darstellt.

Das OLG Düsseldorf[6] entschied jüngst, dass es für die Ausübung subjektiver Bieterrechte in einem dem Kartellvergaberecht unterfallenden Vergabeverfahren nicht auf eine Zugehörigkeit des Bieters zur EU ankomme. Denn,

„(d)as Europäische Vergaberecht kennt (bisher) keine geographischen Einschränkungen für die Beteiligung an Vergabeverfahren. Der Zugang zu Vergabeverfahren für Unternehmen aus Drittstaaten wird als gegeben angesehen. Dies folgt zudem aus der derzeitigen Diskussion, ob der Zugang zum öffentlichen Beschaffungsmarkt der Europäischen Union für Unternehmen aus Drittländern zu begrenzen ist. Denn, so merkt die Europäische Kommission an, „während unser Markt für öffentliche Aufträge ausländischen Bietern offensteht, bleiben in Drittländern die Märkte für die Vergabe öffentlicher Aufträge ausländischer Waren und Dienstleistung de iure oder de facto weitgehend verschlossen“. Ziel der diskutierten Verordnung ist es, die öffentlichen Beschaffungsmärkte im Wege von Konsultationen zwischen der EU und dem Drittland gegenseitig zu öffnen. Bis zur Verabschiedung dieser Verordnung bleibt es aber dabei, dass jedes interessierte Unternehmen sich unabhängig etwaiger geographischer Einschränkungen an einem EU-Vergabeverfahren beteiligen kann (vgl. auch Willweber in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-VergR, 5. Aufl. 2016, § 15 VgV).“

Zur Vermeidung etwaiger Missinterpretationen wäre eine Klarstellung, dass eine britische Beteiligung an Vergabeverfahren um öffentliche Aufträge grundsätzlich weiterhin möglich ist, wünschenswert gewesen.

Ob für britische Unternehmen Nachteile im Hinblick auf einzureichende Unterlagen und Nachweise eintreten werden, bleibt abzuwarten. § 48 Abs. 6 VgV beschränkt die erforderliche Gleichwertigkeitsprüfung nicht lediglich auf EU-Mitgliedstaaten.

2. Nachteile bei der Vergabe von Aufträgen im Anwendungsbereich der SektVO

Unbestritten müssen britische Unternehmen bei der Vergabe von Aufträgen, die in den Anwendungsbereich der SektVO fallen, mit dem Risiko rechnen, dass ihr Angebot zurückgewiesen wird, sofern Lieferleistungen betroffen sind, die zu mehr als 50 Prozent in einem Drittstaat hergestellt werden. Auch wenn es sich hierbei um eine freie Entscheidung des Sektorenauftraggebers handelt, muss das britische Unternehmen bei einem Wertungsgleichstand davon ausgehen, dass sein Angebot zukünftig nicht zum Zuge kommt.

3. Marktzugang für Aufträge im Bereich der Sicherheit und Verteidigung

Als deutlich weitreichender dürften die Konsequenzen im Bereich der Sicherheit und Verteidigung zu erkennen sein. Die in Folge eines „hard Brexit“ eintretenden Zugangshindernisse dürften für britische Unternehmen schwer wiegen.

Erwägungsgrund 18 der Richtlinie 2009/81 verdeutlicht:

„Diese Ausnahmebestimmung bedeutet auch, dass die Mitgliedstaaten im spezifischen Kontext der Verteidigungs- und Sicherheitsmärkte weiterhin befugt sind zu entscheiden, ob ihr Auftraggeber Wirtschaftsteilnehmern aus Drittländern die Teilnahme an Vergabeverfahren gestatten darf.“

Soweit dies allerdings deutsche Auftragsvergaben im Anwendungsbereich der VSVgV betrifft, sind Marktzugangshindernisse grundsätzlich nicht zu befürchten. Weder die Vorschriften des GWB noch die der VSVgV sehen ein generelles Teilnahmeverbot für Unternehmen vor, die in einem Drittland ansässig sind.

4. Schwierige Nachweisführung betreffend den Schutz von Verschlusssachen

Auch wenn ein generelles Teilnahmeverbot nicht vorgesehen ist, ist die Auffassung der EU-Kommission zutreffend, dass Nachteile im Hinblick auf die Eignung von britischen Unternehmen entstehen werden. Diese können sogar dazu führen, dass eine Berücksichtigung von britischen Angeboten unmöglich gemacht werden.

Gemäß § 7 Abs. 7 Satz 1 VSVgV müssen nämlich nur Sicherheitsbescheide und Ermächtigungen anderer europäischer Mitgliedstaaten anerkannt werden, vorausgesetzt die Sicherheitsbescheide und Ermächtigungen sind den deutschen Bestimmungen gleichwertig. Eine darüber hinaus bestehende Pflicht, Sicherheitsbescheide und Ermächtigungen aus einem Drittstaat als gleichwertig anzuerkennen, besteht nicht.

Dies kann dazu führen, dass für Auftragsvergaben, deren Gegenstand Verschlusssachen des Geheimhaltungsrades „VS-VERTRAULICH“ oder höher umfassen, britische Unternehmen nur noch ausnahmsweise die Anforderungen an den Schutz von Verschlusssachen nachweisen werden können. Eine Pflicht des Auftraggebers etwaige britische Sicherheitsbescheide als Nachweis zu akzeptieren, wird bei nach einem „hard Brexit“ nicht weiterbestehen. Im Ergebnis wird dies regelmäßig einem Teilnahmeverbot für britische Unternehmen gleichstehen.

5. Übertragung der Bekanntmachung auf Vergaben von EU Institutionen

Auf die Vergaben öffentlicher Aufträge von EU Institutionen übertragen, dürfte die Bekanntmachung der Europäischen Kommission ganz erhebliche und umfassende Auswirkungen haben. Die EU Institutionen unterliegen in ihren Auftragsvergaben den Vorschriften der EU Haushaltsordnung[7] (EU-HO) und deren Anwendungsvorschriften[8]. In Artikel 119 Abs. 1 EU-HO heißt es:

„Die Teilnahme an Vergabeverfahren steht allen natürlichen und juristischen Personen im Geltungsbereich der Verträge zu gleichen Bedingungen sowie allen natürlichen und juristischen Personen mit Sitz in einem Drittland, das mit der Union ein besonderes Abkommen im Bereich der öffentlichen Aufträge geschlossen hat, unter den Bedingungen dieses Abkommens offen. Ebenso können internationale Organisationen an solchen Verfahren teilnehmen.“

Wenngleich für sich genommen positiv hinsichtlich der Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes formuliert, handelt es sich bei Artikel 119 Abs. 1 EU-HO nach Verlautbarung der für die Haushaltsordnung zuständigen Generaldirektion Haushalt von 2013 um eine geographische Beschränkung. Die Teilnahme von Drittstaaten an Ausschreibungen von EU Institutionen ist danach ausgeschlossen, sofern es mit diesen keine Abkommen zur Teilnahme gibt. Daran würde es bei einem „hard Brexit“ fehlen. Unternehmen aus Großbritannien wären danach also von der Teilnahme an dem nicht unerheblichen Beschaffungsmarkt der EU Institutionen ausgeschlossen.

Ausblick

Die von der EU-Kommission in Aussicht gestellten Nachteile für britische Unternehmen sind beachtlich. Es sollte dabei auch nicht in Vergessen geraten, dass dies vice versa auch für europäische Unternehmen zutrifft, die sich um britische Aufträge bewerben wollen.

Der oftmals in Diskussion eingebrachte Hinweis, dass ein Marktzugang (zumindest) durch das Agreement on Government Procurement (GPA) der Welthandelsorganisation gewährleistet wird, dürfte zurückzuweisen sein. Mitgliedstaat des GPA ist die Europäische Union, die gemäß Art. 3 Abs. 2 AEUV die ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss internationaler Übereinkünfte hat. Großbritannien dürfte dem GPA demnach zunächst individuell beitreten müssen, bevor Marktzugangsreglungen des GPA greifen können.


[1] D.h. ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU ohne Erzielung einer Austrittsvereinbarung, in der insbesondere Fragen eines Marktzugangs geregelt werden (können).
[2] Betrifft sowohl Nicht-Mitgliedstaat der EU als auch Unternehmen aus Staaten mit denen die EU kein Handelsabkommen unterhält.
[3] Die Richtlinien (2014/23/EU und 2014/24/EU) sprechen von Wirtschaftsteilnehmern.
[4] Umgesetzt in § 55 SektVO.
[5] Siehe § 55 Abs. 2 SektVO.
[6] Beschl. v. 31.05.2017, VII-Verg 36/16 – Drohnen.
[7] Verordnung (EU, EURATOM) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates.
[8] Verordnung (EU, EURATOM) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates.

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