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BGH zur Notifizierungspflicht von Zuwendungen

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Recht

Der u.a. für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des BGH hat entschieden, unter welchen Voraussetzungen Zuwendungen eines Landkreises an ein öffentliches Krankenhaus von der Pflicht zur Anmeldung bei der EU-Kommission befreit sind.

Der Kläger ist der Bundesverband Deutscher Privatkliniken, der mehr als 1.000 private Krankenhäuser vertritt. Der Beklagte, der Landkreis Calw, ist Gesellschafter der Kreiskliniken Calw gGmbH, die Krankenhäuser in Calw und Nagold betreibt. Diese Kreiskrankenhäuser sind in den Krankenhausplan des Landes Baden-Württemberg aufgenommen und vom Beklagten am 22. April 2008 und 19. Dezember 2013 mit der Erbringung medizinischer Versorgungsleistungen als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut worden.

Nachdem der Jahresabschluss der Kreiskliniken Calw für das Jahr 2011 einen Fehlbetrag von mehr als 3 Millionen Euro und derjenige für das Jahr 2012 einen Fehlbetrag von mehr als 6 Millionen Euro ausgewiesen hatten, fasste der Kreistag des Beklagten im Jahr 2012 den Beschluss, die Verluste der Kreiskliniken für die Jahre 2012 bis 2016 auszugleichen. Außerdem gewährte er in den Jahren 2010 bis 2012 den Kreiskliniken Ausfallbürgschaften zur Absicherung von Investitionsdarlehen, ohne hierfür Avalzinsen zu verlangen, und Investitionszuschüsse.

Der Kläger sieht in den Zuwendungen des Beklagten an die Kreiskliniken Calw staatliche Beihilfen, die mangels Anmeldung (Notifizierung) bei der Kommission rechtswidrig seien. Er hat den Beklagten auf Unterlassung des Verlustausgleichs für die Jahre 2012 bis 2016, der Übernahme von Bürgschaften und der Gewährung von Investitionszuschüssen in Anspruch genommen. Der Beklagte hat eingewandt, die Zuwendungen seien nicht notifizierungspflichtig, weil sie dem Ausgleich von Kosten für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse dienten, mit denen er die Kreiskliniken betraut habe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die Zuwendungen des Beklagten an die Kreiskliniken staatliche Beihilfen darstellen. Selbst wenn dies der Fall wäre, verstießen sie nicht gegen das Verbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV*, staatliche Beihilfen ohne vorherige Anmeldung bei der Kommission zu gewähren. Die Zuwendungen seien gemäß Art. 106 Abs. 2 AEUV** für die Erbringung von Dienstleistungen im allgemeinen Interesse erforderlich und deshalb nach der Freistellungsentscheidung 2005/842/EG der Kommission*** von der Notifizierungspflicht befreit.

Der Bundesgerichtshof hat auf die Revision des Klägers die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, soweit sich der Kläger gegen den Ausgleich der Verluste der Kreiskliniken für die Jahre 2012 und 2013 wendet, und im Übrigen die Revision zurückgewiesen. Er hat angenommen, dass die Zuwendungen des Beklagten an die Kreiskliniken von der Notifizierungspflicht freigestellt sind, soweit sie auf der Grundlage des seit dem 1. Januar 2014 wirksamen Betrauungsakts vom 19. Dezember 2013 gewährt werden.

Die Leistungen des Beklagten dienen der Aufrechterhaltung des Betriebs der defizitär arbeitenden Krankenhäuser Calw und Nagold. Bei den medizinischen Versorgungsleistungen der Kreiskrankenhäuser handelt es sich um Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Aus der Aufnahme der Krankenhäuser Calw und Nagold in den Krankenhausplan ergibt sich, dass ihr Betrieb zur bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung notwendig ist. Als Landkreis hat der Beklagte den Betrieb der Kreiskrankenhäuser nach § 3 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 des Landeskrankenhausgesetzes Baden-Württemberg sicherzustellen.

Der Betrauungsakt vom 22. April 2008 führt allerdings nicht zu einer Freistellung von der Pflicht des Beklagten, die Zuwendungen bei der Kommission anzumelden. Er genügt nicht den Transparenzanforderungen, die in der Freistellungsentscheidung 2005/842/EG der Kommission vorgesehen sind. Die Parameter für die Berechnung der Ausgleichsleistungen sind nur unzureichend ausgewiesen. Dagegen erfüllt der Betrauungsakt vom 19. Dezember 2013 sämtliche Transparenzanforderungen.

Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann deshalb nicht angenommen werden, dass der vom Beklagten beschlossene Verlustausgleich bei den Kreiskliniken für die Jahre 2012 und 2013 von der Notifizierungspflicht bei der Kommission befreit ist. Das Berufungsgericht muss nunmehr prüfen, ob es sich bei den Zuwendungen des Beklagten um staatliche Beihilfen handelt.

Vorinstanzen:

LG Tübingen – Urteil vom 23. Dezember 2013 – 5 O 72/13, MedR 2014, 401

OLG Stuttgart – Urteil vom 20. November 2014 – 2 U 11/14, WuW/E DE-R 4817

Karlsruhe, den 24. März 2016

*Artikel 108 AEUV lautet:

(3) 1Die Kommission wird von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig unterrichtet, dass sie sich dazu äußern kann. … 3Der betreffende Mitgliedstaat darf die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat.

**Artikel 106 AEUV lautet:

(2) Für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, gelten die Vorschriften der Verträge, insbesondere die Wettbewerbsregeln, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert. (…)

***Artikel 2 der Entscheidung 2005/842/ EG der Kommission lautet:
(1) Die vorliegende Entscheidung gilt für staatliche Beihilfen, die Unternehmen in Form von Ausgleichszahlungen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Sinne von Artikel 86 Absatz 2 EG-Vertrag [jetzt Artikel 106 Absatz 2 AEUV] gewährt werden, die in eine der folgenden Kategorien fallen:

b) Ausgleichszahlungen an Krankenhäuser und im sozialen Wohnungsbau tätige Unternehmen, die Tätigkeiten ausführen, die von dem jeweiligen Mitgliedstaat als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse eingestuft wurden;

***Artikel 3 der Entscheidung 2005/842/ EG der Kommission lautet:
Staatliche Beihilfen, die in Form von Ausgleichszahlungen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gewährt werden und gleichzeitig die in dieser Entscheidung genannten Voraussetzungen erfüllen, sind mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar und von der Notifizierungspflicht gemäß Artikel 88 Absatz 3 EG-Vertrag [jetzt Artikel 108 Absatz 3 AEUV] freigestellt, sofern in den sektorspezifischen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften in Bezug auf die Gemeinwohlverpflichtungen nichts anderes bestimmt ist.

Quelle: Bundesgerichtshof

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Unbefristete öffentliche Aufträge sind zulässig, oder doch nicht? (Teil 1)

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Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

Geht es nach der 2. Vergabekammer des Bundes so ist der Abschluss unbefristeter Verträge grundsätzlich unzulässig. Anders sieht dies anscheinend der Europäische Gerichtshof. Doch wer hat nun recht?

In gleich drei Entscheidungen postulierte die 2. Vergabekammer des Bundes (Beschl. v. 8. April 2015, Az. VK 2-21/15, v. 9. April 2015, Az. VK 2-19/15 und v. 16. April 2015, Az.: VK 2-27/15), dass der

„Abschluss unbefristeter Verträge … schon aufgrund des Wettbewerbsgedankens, der – wie die gesetzliche Regelung in § 97 Abs. 1 GWB zeigt – ein tragendes Prinzip des Vergabeverfahrens darstellt, grundsätzlich [vergaberechtlich] … nicht zulässig [ist]“ (Hervorhebung durch den Verfasser)

Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf sah im Rahmen der sofortigen Beschwerde in dem Verfahren VK 2-19/15 (Beschl. v. 16.12.2015, Az. VII-Verg 25/15, Vergabeblog.de vom 22/02/2016, Nr. 24682) keine Veranlassung, auf das aufgestellte Postulat einzugehen, da

„[d]ie Vergabekammer (…) im Rahmen der Untersuchungspflicht (§ 110 Abs. 1 GWB) eine unstatthafte allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle vorgenommen (hat).“

Auch wenn der Senat die Entscheidung der VK Bund aufgehoben und somit klargestellt hat, dass die rechtlichen Ausführungen der VK in unzulässiger Weise erfolgt sind, verbleibt dennoch ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit, da sich das OLG Düsseldorf inhaltlich nicht zu dem Postulat geäußert hat. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die bisherige europäische wie nationale Rechtslage zum Thema. Im Ergebnis sind unbefristete Verträge (Ausnahme bei Rahmenvereinbarungen) vergaberechtlich zulässig.

In einem weiteren Teil 2 dieses Beitrags wird hinterfragt, ob die Vereinbarung eines Kündigungsverzichts während einer Vertragsdurchführung vergaberechtlich zu beanstanden ist.

I. Rechtslage

1. Europäisches Vergaberecht

Die aktuelle Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe (Richtlinie 2014/24) enthält wie ihre Vorgängerinnen keine Regelung zu Laufzeitbeschränkungen außerhalb von Rahmenvereinbarungen.

Insoweit bestimmt Art. 33 (1) UAbs. 3 Richtlinie 2014/24, dass mit Ausnahme angemessen begründeter Sonderfälle, in denen dies insbesondere aufgrund des Gegenstands der Rahmenvereinbarung gerechtfertigt werden kann, die Laufzeit der Rahmenvereinbarung maximal vier Jahre beträgt. Für Verträge, die keine Rahmenvereinbarung darstellen, findet sich keine vergleichbare Regelung.

Dass öffentliche Verträge zumindest aus EU-Sicht über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus geschlossen werden können, ergibt sich mittelbar aus Art. 5 Abs. 14 lit. b Richtlinie 2014/24, nach dem für Verträge mit „unbestimmter Laufzeit oder mit einer Laufzeit von mehr als 48 Monaten“ der geschätzte Auftragswert auf Basis des geschätzten Monatswerts multipliziert mit 48 berechnet wird. Daraus folgt zwar nicht ipso iure eine pauschale Legitimierung, dass Verträge auf jeden beliebigen Zeitraum abgeschlossen werden können, es zeigt jedoch, dass langfristige Verträge nicht per se vergaberechtlich unzulässig sind.

Dieses Ergebnis bestätigt ebenfalls die Abgrenzung zu Art. 77 Abs. 3 Richtlinie 2014/24, der eine Ausnahmeregelung des Diskriminierungsverbotes darstellt. Danach dürfen öffentliche Auftraggeber bestimmte Aufträge für Organisationen i. S. d. Art. 77 Abs. 2 Richtlinie 2014/24 vorbehalten – in anderen Worten andere Unternehmen diskriminieren – mitunter vorausgesetzt, dass die Laufzeit des Vertrags drei Jahre nicht überschreiten darf.

Diese Intention wird auch in Erwägungsgrund 62 der Richtlinie 2014/24 bestätigt. Dort heißt es, dass

„die Laufzeit der einzelnen auf einer Rahmenvereinbarung beruhenden Aufträge jedoch nicht der Laufzeit jener Rahmenvereinbarung entsprechen muss, sondern gegebenenfalls kürzer oder länger sein kann.“

2. Nationales Vergaberecht

Wie das europäische Recht sieht auch das nationale Vergaberecht keine Höchstlaufzeiten von Verträgen vor. Rahmenvereinbarungen dürfen auch nach nationalem Recht nur in begründeten Sonderfällen die Höchstlaufzeit von vier Jahren überschreiten, § 21 Abs. 5 VgV (bislang § 4 EG Abs. 7 VOL/A).

Dem nationalen Haushaltsrecht ist ebenfalls keine gegenläufige Regelung zu entnehmen. Aus § 55 BHO/LHO folgt, dass dem Abschluss von Verträgen über Lieferungen und Leistungen eine öffentliche Ausschreibung vorausgehen muss. Eine Obergrenze der Vertragsdauer ist nicht geregelt. Allerdings unterliegt der Abschluss von Verträgen dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemäß § 7 Abs. 2 BHO/LHO. Haushaltsrechtlich sind Verträge daher alle fünf Jahre auf ihre Wirtschaftlichkeit hin zu untersuchen. Das Ergebnis einer solchen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung könnte sein, den Vertrag weiter laufen zu lassen oder eine Kündigung auszusprechen, verbunden mit einer Neuvergabe im Wettbewerb.

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II. Rechtsprechung

1. Europäischer Gerichtshof (EuGH)

Der EuGH hat bisher keine pauschale Höchstgrenze für die Laufzeit von öffentlichen Aufträgen entwickelt.

In der Entscheidung Pressetext (C-456/01, Urt. v. 19.06.2008, Rn. 73) urteilten die Richter,

„dass die Praxis der Vergabe eines unbefristeten öffentlichen Dienstleistungsauftrags an und für sich der Systematik und den Zielen der Gemeinschaftsvorschriften über öffentliche Dienstleistungsaufträge fremd ist. Eine solche Praxis kann auf lange Sicht den Wettbewerb zwischen potenziellen Dienstleistungserbringern beeinträchtigen und die Anwendung der Vorschriften der Gemeinschaftsrichtlinien über die Öffentlichkeit der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge verhindern.“

Trotzdem, so der Gerichtshof in Rn. 74,

„verbietet das Gemeinschaftsrecht bei seinem derzeitigen Stand nicht den Abschluss von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen auf unbestimmte Dauer.“

Nach dieser Rechtsprechung „kann“ also ein langfristiger Vertrag vergaberechtsschädlich sein, „muss“ es aber nicht. Der Entscheidung kann in Zusammenschau mit den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott entnommen werden, dass europarechtlich keine Bedenken an dem Abschluss von unbefristeten öffentlichen Aufträgen bestehen, sofern

  • keine konkreten wettbewerblichen Bedenken dem Abschluss entgegenstehen.

Solche rechtlichen Bedenken hatte der Gerichtshof bei einem 20-jährigen Dienstleistungsauftrag nicht (Urt. v. 9. Juni 2009, Az. C-480/06, „Stadtreinigung Hamburg“, Rn. 31-34, ). In diesem Verfahren war allerdings im Ergebnis eine Ausschreibung nicht obligatorisch, da es sich um einen „echten“ Fall der interkommunalen Zusammenarbeit handelte.

Anders entschied der EuGH hinsichtlich einer 20-jährigen Dienstleistungskonzession mit einer Verlängerungsmöglichkeit von zehn Jahren (C-323/03, Urt. v. 9. März 2006, „Komm./.Spanien, Rn. 44). Der Auftrag könnte somit 30 Jahre lang dem Markt entzogen werden. In diesem konkreten Fall erkannte der EuGH eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs. Eine solche Beschränkung könne nur aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden.

Auf die Entscheidung in Komm./.Spanien sowie die Entscheidung „Pressetext“ nahm der Gerichtshof in der späteren Entscheidung „Helmut Müller“ (C-451/08 Urt. v. 25. März 2010) Bezug. In Rn. 79 sprach der Gerichtshof aus, dass die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs als gewichtiger Grund die Annahme rechtfertigt, dass die unbefristete Erteilung von Konzessionen gegen die Rechtsordnung der Union verstoße.

Hierfür spricht im Ergebnis nun auch die Beschränkung der Dauer von Konzessionsverträgen in der ab dem 18. April 2016 geltenden Konzessions-Vergabeverordnung. Danach sind solche Verträge grundsätzlich auf fünf Jahre zu befristen, es sei denn, dass besondere Umstände eine längere Laufzeit rechtfertigen.

Im Übrigen wird man aber aus europarechtlicher Sicht dabei verbleiben müssen, dass unbefristete öffentliche Aufträge grundsätzlich zulässig sind, außer konkrete wettbewerbliche Bedenken stehen dem Abschluss entgegen.

2. Nationale Rechtsprechung

Das OLG Düsseldorf hatte im Jahr 2001 (Beschl. v. 14. Februar 2001, Verg 13/00), also noch vor der Pressetext-Entscheidung des EuGHs entschieden, dass

„[b]ereits die vertraglich vereinbarte Verlängerung eines Dienstleistungsvertrages … jedenfalls dann, wenn — wie hier — eine mehrjährige Prolongation stattfindet, in ihren rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen dem Neuabschluss eines entsprechenden Dienstleistungsvertrages gleich (steht).“ (Rn. 22)

Bei dieser „mehrjährigen Prolongation“, die der Neuvergabe des Auftrags gleichkommt, meinte der Vergabesenat jedoch die „Beschlussvorlage, die im Einzelnen die Bedingungen des Antragsgegners für eine letztmalige Vertragsverlängerung (Prolongation) auflistet“ und über die Verlängerung des Vertrages hinaus umfangreiche Änderungen an dem Vertragsinhalt vornahm.

In einer ebenfalls älteren Entscheidung sprach das OLG Celle (Beschl. v. 4. Mai 2001, Az. 13 Verg 5/00) andererseits aus, dass nicht stillschweigend ein neuer Vertrag abgeschlossen werde, indem eine Kündigung unterbleibe:

„In … dem Unterlassen einer Kündigung liegt kein neuer Vertragsabschluss. … Diese Entscheidung [des Auftraggebers] ist vergaberechtlich irrelevant.“ (Rn. 33).

Während der Fall vor dem OLG Düsseldorf eine Verlängerung des Auftrages mit erheblichen Veränderungen des Auftragsbestands betraf, hatte die Entscheidung des OLG Celle lediglich die – vergaberechtlich unbeachtliche – Nichtkündigung eines unbefristeten Vertrages zum Gegenstand. Das Zitat der Entscheidung des OLG Düsseldorf darf daher nicht aus dem Kontext herausgenommen und pauschalisiert werden. Erstens betrifft diese Entscheidung nicht die „einfache“ oder „mehrfache“ Verlängerung eines Auftrages, sondern erging im Zusammenhang mit umfangreichen Änderungen am Vertragsinhalt, welche nicht durch die Basisvereinbarung gedeckt wurden. Zweitens, und soweit ersichtlich, hat die Entscheidung keinen weiteren Eingang die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung gefunden.

Im Februar 2006 entschied die Vergabekammer Arnsberg, dass eine 30-jährige Laufzeit ohne stichhaltigen Grund wettbewerblich nicht hinnehmbar sei (Beschl. v. 21. Februar 2006, VK-29/05, Rn. 160). Es handelt sich hier um eine der seltenen Entscheidungen zur Vertragslaufzeit auf Vergabekammer-Ebene, die keine weitere Rezeption in der Rechtsprechung erfuhr.

Mit der hier bereits mehrfach zitierten Pressetext-Entscheidung des EuGHs fand auch im nationalen Bereich eine Zäsur statt, da sich die nationalen Nachprüfungsinstanzen zwangsläufig mit der Entscheidung zu befassen hatten, wenn es um langfristige Verträge ging.

Die Entscheidungen hierzu sind aber leider rar. Zu beobachten ist, dass in den letzten Jahren die Vertragslaufzeit von öffentlichen Verträgen in der nationalen Rechtsprechung eine Beschränkung „nach unten“ (in OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. Juni 2013, Az. VII-Verg 4/13, ) mit dem Argument erfahren hat, dass eine zu kurze reguläre Vertragslaufzeit unter Umständen geeignet sei, neue Anbieter zu benachteiligen und daher von einer Teilnahme am Wettbewerb abzuhalten (Rn. 46).

Die VK Nordbayern hatte 2011 in einer Sache zu entscheiden, in der der Auftragsgegenstand ebenfalls unbefristet ausgeschriebene Postdienstleistungen waren (Beschl. v. 12.01.2011, Az. 21.VK-3194-47/10). In dem Beschluss fand die unbefristete Laufzeit des öffentlichen Auftrags allerdings keinen Eingang in die rechtlichen Erwägungen.

Mithin ergibt sich auch aus der nationalen Rechtsprechung keine detaillierte Höchstgrenze für öffentliche Verträge.

DVNW_Mitglied

III. Die Entscheidungen der VK Bund

Das OLG Düsseldorf sprach zwar aus, dass die rechtlichen Ausführungen der VK Bund mit dem Mangel der Unzulässigkeit behaftet sind, es erscheint jedoch überprüfenswert, ob die Ausführungen der VK Bund neue Argumente in die Diskussion um vergaberechtlich zulässige Höchstlaufzeiten einführen.

1. Rechtliche Argumente der VK Bund

Dass der Abschluss unbefristeter Verträge grundsätzlich nicht zulässig sei, stützt die VK Bund argumentativ zunächst auf zwei Punkte.

· Erstens sei der betroffene Markt (hier: Briefdienstleistungen) seit wenigen Jahren für den Wettbewerb geöffnet, und es sei daher besonders wichtig, neuen Wettbewerb herzustellen, damit auch anderen Marktteilnehmern die Chance auf Teilnahme eröffnet werden könne.

· Zweitens sprechen keine Gründe dafür, eine längere, über vier Jahre hinaus bestehende Vertragslaufzeit auf dem relevanten Markt zu erlauben.

Hierzu ist anzumerken, dass die VK Bund ohne weitere Begründung konträr zu der vorgestellten Rechtsprechung des EuGHs davon ausgeht, dass rechtliche Bedenken an der Vereinbarkeit einer Handlung mit einem allgemeinen Grundsatz nicht positiv festzustellen, sondern vielmehr zu widerlegen seien.

Die VK Bund stützt ihre Entscheidung weiter darauf, dass es „erschwerend“ hinzukomme, dass es sich vorliegend um einen „Rahmenvertrag“ handele. Über den allgemeinen Wettbewerbsgrundsatz hinaus stehe auch § 4 EG Abs. 7 VOL/A einer Vertragslaufzeit von mehr als vier Jahren entgegen.

2. Rechtliche Würdigung

Die Schlussfolgerung der VK Bund ist rechtlich nicht nachvollziehbar.

Erstens sind Verbote, die mit einem allgemeinen Grundsatz begründet werden, zu belegen und nicht zu widerlegen.

Zweitens hat die VK fehlerhaft subsumiert. So ist das angeführte Argument, dass keine Gründe ersichtlich seien, die unbefristete Verträge rechtfertigen könnten, rechtlich unzulänglich. Sofern die VK sodann „erschwerend“ den Gegenstand der Ausschreibung als Rahmenvertrag (richtig wäre Rahmenvereinbarung) identifiziert, werden zwei Rechtsinstitute unzulässig vermengt.

Wie dargestellt, unterfällt die Rahmenvereinbarung – gewollt – anderen rechtlichen Anforderungen als ein öffentlicher Auftrag. Denn während ein öffentlicher Auftrag lediglich einen einzelnen konkreten Auftrag aus dem Markt nimmt, entzieht eine Rahmenvereinbarung dem Markt eine beliebige Anzahl an öffentlichen Aufträgen. Es ist daher gerechtfertigt, die Rahmenvereinbarung auf eine Höchstlaufzeit von vier Jahren zu begrenzen, bezüglich Verträgen, die keine Rahmenvereinbarung darstellen, wurde eine solche Begrenzung durch den Richtliniengeber aber gerade nicht vorgesehen. Insofern könnte man sogar die Auffassung vertreten, dass die VK Bund mit ihrem Postulat gegen den Geist der Richtlinie verstößt, ein solches Postulat wäre mithin seinerseits vergaberechtswidrig.

Richtigerweise hätte es in der Entscheidung der VK daher anstatt „erschwerend“, „entscheidend“ heißen müssen. Auch wenn die Einleitung des Absatzes mit „erschwerend“ eine Hilfsbegründung vermuten lässt, stellt die VK in ihren Entscheidungsgründen nämlich entscheidend auf die Eigenschaft des Auftragsgegenstands als Rahmenvereinbarung ab. Da das strittige Postulat aus Sicht der VK somit keine wesentliche Tragweite für die Entscheidung entfaltet, handelt es sich bereits um ein in den Entscheidungsgründen angelegtes obiter dictum, für das keine Rechtsverbindlichkeit gelten kann.

IV. Fazit und Empfehlung

Auch, wenn der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit ab dem 18. April 2016 eine Promotion in den Abs. 1 des § 97 GWB erfährt, kann daraus nicht hergeleitet werden, dass unbefristete Verträge vergaberechtlich grundsätzlich unzulässig sind.

Als allgemeiner Grundsatz des Vergaberechts bedarf es sachlicher Gründe, die einen Verbotsausspruch rechtfertigen. Die Herleitung einer zu widerlegenden Unzulässigkeitsvermutung ist dem Regelkatalog des Vergaberechts nicht zu entnehmen.

Daher gelten auch keine anderen Bedingungen für sich automatisch verlängernde Verträge, die dadurch „unbefristet“ wirken. Der Abschluss solcher Verträge ist auch weiterhin vergaberechtlich zulässig.

Haushaltsrechtlich ist allerdings zu empfehlen, den Vertrag alle fünf Jahre auf seine Wirtschaftlichkeit hin zu untersuchen. Das Ergebnis einer solchen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung könnte sein, den Vertrag weiter laufen zu lassen oder eine Kündigung auszusprechen, verbunden mit einer Neuvergabe im Wettbewerb.

Wie unbefristete Verträge rechtlich zu bewerten sind, sofern zusätzlich ein Kündigungsverzicht zwischen den Parteien vereinbart wird, lesen Sie im nächsten Teil.

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Hohe Substantiierungsanforderungen an Aufhebung eines Vergabeverfahrens wegen fehlender Finanzierbarkeit (OLG Celle, Beschl. v. 10.03.2016 – 13 Verg 5/15)

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BauleistungenRecht

EntscheidungDas OLG Celle stellt kaum zu erfüllende Substantiierungsanforderungen bei einer Aufhebung eines Vergabeverfahrens wegen fehlender Finanzierbarkeit – Aufhebung wegen fehlender Wirtschaftlichkeit liegt erst ab einer Überschreitung von 20 % nahe – zur Zulässigkeit von Feststellungsanträgen.

Überschreitet das zu bezuschlagende Angebot eine sorgfältig ermittelte Kostenschätzung um mehr als 10 %, kann das Vergabeverfahren rechtmäßig aufgehoben werden, wenn die Finanzierbarkeit nicht sichergestellt ist. Eine fehlende Finanzierbarkeit ist von der Vergabestelle im Einzelnen nachzuweisen – etwa durch Gespräche mit der Bank nach Submission und einem gescheiterten Versuch, eine Ausweitung von Fördermitteln zu erreichen. Die Anforderungen, die das OLG Celle an die Substantiierung des Nachweises stellt, wirken dabei teils überzogen, lassen sich aber dadurch erklären, dass die Begründung der Vergabestelle im konkreten Fall vorgeschoben erscheint.

§ 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A

Leitsatz

In Fällen, in denen der Antragsteller mit dem Ziel der Erlangung primären Vergaberechtsschutzes die Aufhebung des ausgeschriebenen Vergabeverfahrens zum Gegenstand einer Nachprüfung macht, ist die Vergabekammer oder das Beschwerdegericht bei Vorliegen eines Feststellungsinteresses des Antragstellers auf dessen Antrag auch zur Feststellung der durch die Aufhebung eingetretenen Rechtsverletzung befugt, wenn sich herausstellt, dass trotz eines Vergabeverstoßes aufgrund des dem Auftraggeber zustehenden Entscheidungsspielraums eine auf die Fortsetzung des aufgehobenen Vergabeverfahrens gerichtete Anordnung nicht ergehen kann.

Die Antragsbefugnis i.S.d. § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB setzt zwar einen „schlüssigen“ Vortrag der Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften voraus. Der Begriff der „Schlüssigkeit“ ist hier aber nicht im Sinne der zivilprozessualen Relationstechnik dahin zu verstehen, dass vorausgesetzt wäre, dass – die Richtigkeit des Tatsachenvortrags des Antragstellers unterstellt – die begehrte Rechtsfolge abschließend feststehen müsste. Vielmehr muss der Tatsachenvortrag nur „geeignet sein“, seine Richtigkeit unterstellt, einen Vergabeverstoß darzutun. Die Antragsbefugnis kann nur fehlen, wenn offensichtlich eine Rechtsbeeinträchtigung nicht vorliegt.

In Fällen, in denen die Preise eingereichter Angebote die von der Vergabestelle vorab ermittelten Kosten übersteigen, kommt eine (sanktionsfreie) Aufhebung des Vergabeverfahrens wegen eines anderen schwerwiegenden Grundes im Sinne des § 17 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A u. a. in folgenden Fällen in Betracht:

a) Eine mangelnde Finanzierbarkeit kann einen die Aufhebung des Vergabeverfahrens rechtfertigenden anderen schwerwiegenden Grund darstellen. Voraussetzung ist dabei zum einen, dass der Auftraggeber den Kostenbedarf mit der gebotenen Sorgfalt ermittelt hat. Weiter muss die Finanzierung des ausgeschriebenen Vorhabens bei Bezuschlagung auch des günstigsten wertungsfähigen Angebotes scheitern oder jedenfalls wesentlich erschwert sein.

Dies erfordert in einem ersten Schritt, dass der Auftraggeber die Kosten für die zu vergebenden Leistungen sorgfältig ermittelt. In einem zweiten Schritt hat er zu berücksichtigen, dass es sich bei der Kostenermittlung nur um eine Schätzung handelt, von der die nachfolgenden Ausschreibungsergebnisse erfahrungsgemäß mitunter nicht unerheblich abweichen. Er hat deshalb für eine realistische Ermittlung des Kostenbedarfs einen ganz beträchtlichen Aufschlag auf den sich nach der Kostenschätzung ergebenden Betrag vorzunehmen. Regelmäßig wird insoweit von der Rechtsprechung ein Aufschlag in Höhe von rund 10 % verlangt.

b) Weiter kommt eine Aufhebung des Vergabeverfahrens aufgrund eines anderen schwerwiegenden Grundes im Sinne des § 17 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A bei einer fehlenden Wirtschaftlichkeit in Betracht. Das Ausschreibungsergebnis kann unwirtschaftlich sein, wenn die wertungsfähigen Angebote ein unangemessenes Preis-Leistungsverhältnis aufweisen. Dies kommt in Betracht, wenn die vor der Ausschreibung vorgenommene Kostenschätzung der Vergabestelle aufgrund der bei ihrer Aufstellung vorliegenden und erkennbaren Daten als vertretbar erscheint und die im Vergabeverfahren abgegebenen Gebote deutlich darüber liegen.

Zumindest im Regelfall, in dem keine weiteren Umstände eine abweichende Beurteilung erfordern, rechtfertigt erst eine Abweichung des günstigsten Angebotes von vertretbaren Kostenschätzungen in Höhe von rund 20 % einen Rückschluss auf ein unangemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis.

c) Auch über den Fall des unangemessenen Preis-Leistungs-Verhältnisses hinaus kann die Bezuschlagung des wertungsfähigen Angebotes aus sonstigen Gründen in einem Maße unwirtschaftlich i. w. S. sein, dass dies einen anderen schwerwiegenden Grund im Sinne des § 17 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A darstellte, weil beispielsweise zwar ausreichendes Fremdkapital zu erlangen ist, die (gesteigerten) Kreditkosten aber einem späteren wirtschaftlichen Betrieb entgegenstehen. Denkbar erscheinen insoweit auch Fälle, in denen zwar in größerem Umfang Eigenkapital eingebracht werden könnte, dann aber die Aufgabenerfüllung in anderen Bereichen unzumutbar einzuschränken wäre.

Sachverhalt

Die Vergabestelle schreibt den Neubau eines Krankenhauses zunächst im nicht offenen Verfahren aus. Sie schätzt die Kosten auf 22,1 Mio. EUR brutto. Das Angebot der Antragstellerin beläuft sich auf 24,9 Mio EUR (Überschreitung der Kosten um 12,6 %), das Angebot der Beigeladenen auf 23,2 Mio. EUR (Überschreitung um 4,9 %). Nach entsprechender Rüge der Antragstellerin schloss die Vergabestelle das Angebot der Beigeladenen wegen fehlender Eignung (keine ausreichenden Referenzen) aus. Sie hob das Verfahren wegen fehlender Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit auf. Der bewilligte Finanzrahmen sei auf die geschätzten Kosten begrenzt; Gespräche zu einer Nachfinanzierung führte sie nach Submission aber offenbar allenfalls telefonisch. Nach erneuter Ausschreibung mit abgesenkten Eignungsanforderungen erhielt die Beigeladene (offenbar nach der Entscheidung der Vergabekammer) den Zuschlag auf ihr neues Angebot in Höhe von 23,8 Mio. EUR (Überschreitung 7,7 %).

Die Antragstellerin beantragte, die Aufhebung des ursprünglichen Verfahrens aufzuheben, hilfsweise die Rechtswidrigkeit der Aufhebung festzustellen. Die Vergabekammer lehnte den Hauptantrag ab und gab dem Hilfsantrag statt. Gegen letzteres richtete sich die sofortige Beschwerde der Vergabestelle.

Die Entscheidung

1. Der Feststellungsantrag sei zulässig. Ein hilfsweise gestellter Feststellungsantrag sei nur zulässig, wenn der Hauptantrag zulässig sei. Der Hauptantrag sei hier zulässig gewesen. Zwar scheitere die Aufhebung der Aufhebung an den dafür geltenden hohen Anforderungen des BGH (Beschluss vom 20. März 2014, X ZB 18/13), wonach die Rechtswidrigkeit der Aufhebung nicht ausreicht: Die Vergabestelle müsse zudem beabsichtigen, durch die Aufhebung die formalen Voraussetzungen dafür zu schaffen, in rechtlich zu missbilligender Weise den Auftrag außerhalb des eingeleiteten Vergabeverfahrens an einen bestimmten Bieter zu vergeben. Dies sei nach den Feststellungen der Vergabekammer nicht der Fall. Ausreichend für die Zulässigkeit des Hauptantrages sei aber, dass eine Aufhebung der Aufhebung möglich erschienen sei, schlüssig müsse der Vortrag eines Antragstellers für die Zulässigkeit nicht sein. Aufgrund der (gezielten?) Absenkung der Eignungsanforderungen sei eine Aufhebung der Aufhebung nicht offensichtlich ausgeschlossen gewesen.

2. Der Feststellungantrag sei auch begründet. Der öffentliche Auftraggeber trage die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines schwerwiegenden Grundes, der eine Aufhebung rechtfertigt, § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A. Eine fehlende Finanzierbarkeit oder Wirtschaftlichkeit könne zwar einen schwerwiegenden Grund darstellen, beides sei vorliegend aber nicht hinreichend dargelegt worden:

  •  Eine fehlende Wirtschaftlichkeit könne nach der Rechtsprechung des BGH zwar nicht anhand bestimmter Prozentzahlen bestimmt werden. Nach Auswertung einer Vielzahl von Entscheidungen kommt das OLG Celle allerdings zu dem Schluss, dass eine fehlende Wirtschaftlichkeit nur dann nahe liegt, wenn eine sorgfältig ermittelte Kostenschätzung um mehr als 20 % überschritten werde. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Auch seien keine Umstände des Einzelfalls dargelegt worden, eine fehlende Wirtschaftlichkeit auch bei einer geringeren Überschreitung der Kostenschätzung anzunehmen.
  • Eine fehlende Finanzierbarkeit komme zwar bereits ab einer Überschreitung der Kostenschätzung von 10 % in Betracht, da ein öffentlicher Auftraggeber mit einer Überschreitung der Kostenschätzung von mehr als 10 % nicht zu rechnen brauche. Die Vergabestelle habe vorliegend aber lediglich dargelegt, dass nach telefonischer Rücksprache mit der Bank eine weitergehende Fremdkapitalfinanzierung von über 1,0 Mio EUR ausgeschlossen sei. Die Vergabestelle hätte darüber hinaus konkrete Verhandlungen mit der Bank darlegen müssen, da bereits zum Zeitpunkt der Aufhebung Zweifel daran bestanden hätten, die zu Leistung nicht zu einem Preis in Höhe der Kostenschätzung zu vergeben gewesen sei. Auch habe die Vergabestelle keine Gespräche mit weiteren finanzierenden Banken oder dem Fördermittelgeber über eine Ausweitung der Förderung geführt bzw. dargelegt. Auch die schlussendlich erfolgte Vergabe zu einem Preis, der den ursprünglichen Rahmen um 7,8 % überschreite, lasse es nicht fernliegend erscheinen, dass auch das Angebot der Beigeladenen finanzierbar gewesen sein könnte.
  • Auch sonstige schwerwiegende Gründe seien nicht dargelegt. Ein schwerwiegender Grund könne z. B. darin liegen, dass höheres Fremdkapital zwar finanzierbar sei, aber die Kapitalkosten im laufenden Betrieb nicht erwirtschaftet werden könnten, oder aber darin, dass zwar weiteres Eigenkapital zugeschossen werden könne, dadurch aber die Aufgabenerfüllung in anderen Bereichen unzumutbar eingeschränkt werde.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung geht zwar von den richtigen rechtlichen Anforderungen an die Aufhebung eines Vergabeverfahrens  aus: Eine Aufhebung kann aufgrund eines schwerwiegenden Grundes nur erfolgen, wenn eine sorgfältig ermittele Kostenschätzung entweder um mehr als 20 % überschritten wird (regelmäßig fehlende Wirtschaftlichkeit) oder um mehr als 10 % überschritten wird, dann aber gleichzeitig die Mehrkosten nicht finanzierbar sind (fehlende Finanzierbarkeit). Die Anforderungen an die Darlegung der fehlenden Finanzierbarkeit legt das OLG Celle dann aber derart hoch, dass sie in der Praxis kaum erfüllt werden können: Nicht ausreichen soll die Aussage einer Bank, eine weitere Finanzierung in Höhe von 1,0 Mio. EUR sei nicht möglich. Vielmehr seien intensive Gespräche mit der Bank zu führen, da – so die Einschätzung des Gerichts – eine weitere Finanzierung nicht fernliegend gewesen sei. Nachvollziehbar ist dies nur ob des Umstandes, dass schlussendlich ein deutlich höherer Betrag finanziert werden konnte und das gesamte Manöver der Vergabestelle letztlich dazu diente, durch Absenkung der Eignungskriterien das günstigere Angebot der Beigeladenen bezuschlagen zu können. Die Gründe der fehlenden Finanzierbarkeit erschienen infolgedessen dem Gericht offenbar vorgeschoben. Die Vergabestelle wird es verschmerzen können: Der drohende Schadensersatz ist auf das negative Interesse beschränkt.

Praxistipp

1. Eignungsanforderungen mit Augenmaß
Die Entscheidung zeigt einmal mehr: Zu hohe Eignungsanforderungen und -nachweise können den Markt so verengen, dass das Ergebnis der Ausschreibung nicht mehr wirtschaftlich ist. Eine Nachkorrektur durch Aufhebung ist dann stets mit hohen Risiken verbunden.

2. Aufhebung wegen fehlender Finanzierbarkeit unrealistisch
Ob der hohen Anforderungen an die Darlegung ist eine Aufhebung wegen fehlender Finanzierbarkeit in der Praxis regelmäßig unrealistisch. Empfehlenswert ist es daher, für die Finanzierung einen Puffer von 20 % vorzusehen. Dann kann notfalls eine Aufhebung wegen fehlender Wirtschaftlichkeit erfolgen. Ist dies nicht möglich, sollte erwogen werden, eine Preisobergrenze transparent zu machen. Dann scheiden Schadensersatzforderungen nach einer Aufhebung aus, regelmäßig orientieren sich Bieter aber an dieser Preisobergrenze.

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Der richtige Preistyp bei öffentlichen Aufträgen

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Recht

Die Wahl des richtigen Preistyps ist entscheidend für die Form und den Umfang einer späteren Preisprüfung. Der öffentliche Auftraggeber muss genau wissen, welchen Preistyp er für einen bestimmten Auftrag ansetzen kann – aber auch der Auftragnehmer sollte die Anwendung und Abgrenzung der unterschiedlichen Preistypen kennen und nachvollziehen können.

Das öffentliche Preisrecht mit der Verordnung PR Nr. 30/53 (VO PR 30/53) unterscheidet generell zwischen Marktpreisen (§ 4) und Selbstkostenpreisen (§§ 5 bis 7). Dem Marktpreis wird ein absoluter Vorrang vor den nur ausnahmsweise zulässigen Selbstkostenpreisen eingeräumt. Dies verdeutlicht die sog. Preistreppe:

Preistreppe

Wann liegt ein Marktpreis vor?

Als Marktpreis bezeichnet man in der volkswirtschaftlichen Lehre den Preis, der sich auf einem Markt durch das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage ergibt. Das öffentliche Preisrecht geht von einem differenzierteren Ansatz aus. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht der (subjektive) Preis, zu dem der einzelne Anbieter seine Produkte und Dienstleistungen als „marktgängige Leistung“ zu einem „verkehrsüblichen Preis“ verkauft – und zwar sowohl an private als auch an öffentliche Auftraggeber.

Das Preisrecht unterscheidet zwischen dem allgemeinen und besonderen Markt.

Zum allgemeinen Markt zählen Leistungen des allgemeinen Bedarfs. Der öffentliche Auftraggeber beschafft diese dort ebenso wie der private Auftraggeber auch wenn nur ein Anbieter in Frage kommt. Dabei darf der öffentliche Auftraggeber beim Preis und den sonstigen Konditionen nicht schlechter gestellt sein als der private Auftraggeber.

Beim klassischen Marktpreis nach § 4 (1) VO PR verkauft ein Auftragnehmer hierbei z.B. identische Produkte und Leistungen in etwa der gleichen Menge bzw. Anzahl zu gleichen Konditionen sowohl an öffentliche als auch private Auftraggeber. Beim abgeleiteten Marktpreis nach § 4 (2) VO PR kann auch bei zumindest im Wesentlichen vergleichbaren Produkten oder Leistungen ein Marktpreis abgeleitet werden.

Ein besonderer Markt (im Gegensatz zum allgemeinen Markt) entsteht im Rahmen einer Vergabe aufgrund Ausschreibungen. Aber auch hier gelten die Voraussetzungen der marktgängigen Leistung und des verkehrsüblichen Preises – denn nicht jede Ausschreibung führt zwangsläufig zu einem Marktpreis im Sinne des Preisrechts.

DVNW_Mitglied

Wann dürfen Selbstkostenpreise vereinbart werden?

Sollten Marktpreise nicht festgestellt werden können, so dürfen nur ausnahmsweise Selbstkostenpreise in der Rangfolge der Preistreppe vereinbart werden.

Für den Selbstkostenfestpreis müssen die Kalkulationsgrundlagen vor Erstellung der Leistung hinreichend überschaubar sein.

Sind die Grundlagen zum Zeitpunkt der Vorkalkulation jedoch noch zu unsicher, ist aber mit einer hinreichenden Überschaubarkeit im Laufe der Auftragsabarbeitung zu rechnen, so ist eine Vereinbarung als Selbstkostenrichtpreis vorgesehen. Dieser wird zum Zeitpunkt der Überschaubarkeit der Kosten in einen Selbstkostenfestpreis oder Selbstkostenerstattungspreis umgewandelt.

Der Selbstkostenerstattungspreis ist die letzte Stufe auf der sog. Preistreppe. Eine Vereinbarung ist nur dann vorgesehen, wenn bis zur Beendigung der Leistungserstellung keine hinreichende Kostenermittlung stattfinden kann. Zu prüfen ist jedoch auch bei Selbstkostenerstattungspreisen, ob nicht Teilleistungen als marktgängige Leistungen angesetzt werden oder feste Sätze nach § 7 Abs. 2 VOPR vertraglich vereinbart werden können – z. B. in Form von Stundensätzen.

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Bietergemeinschaften sind auch zwischen konkurrierenden Unternehmen grundsätzlich zulässig (VK Südbayern, Beschl. v. 01.02.2016 – Z3-3-3194-1-58-11/15)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungBietergemeinschaften kommen auch zwischen konkurrierenden Unternehmen in Betracht, allerdings sollten sich Vergabestellen die Gründe der Zusammenarbeit regelmäßig im Rahmen einer Eigenerklärung erläutern lassen.

Fragen zur Zulässigkeit von Bietergemeinschaften stellen sich in der Praxis immer wieder. Sie sind für alle Beteiligten von Bedeutung: Die Vergabestelle ist gehalten, den Auftrag an einen rechtmäßig agierenden Bieter zu vergeben, dem kein kartellrechtliches Risiko anhaftet; die Mitglieder der Bietergemeinschaft bewegen sich in der Nähe des bußgeldbewehrten Kartellverbotes, das im Bereich öffentlicher Aufträge unter bestimmten Voraussetzungen durch § 298 StGB sogar strafbewehrt ist; die weiteren Wettbewerber sehen sich durch eine in unzulässiger Weise am Wettbewerb teilnehmende Bietergemeinschaft in ihren Chancen beeinträchtigt und versuchen, den Zuschlag zu verhindern, womit sich der Kreis wieder bei der Vergabestelle schließt.

Vor diesem Hintergrund hat die von dem KG Berlin (Beschl. v. 24. Oktober 2013 – Verg 11/13) kategorisch ausgesprochene Vermutung, dass eine Bietergemeinschaft stets gegen das Kartellverbot verstoße, zu Verunsicherung geführt. Entscheidungen zu diesem Problem werden zu Recht mit besonderer Aufmerksamkeit wahrgenommen, weil sie geeignet sind, zur Klärung der Rechtslage beizutragen. Allerdings zeigt auch die Entscheidung der VK Südbayern, dass in der Rechtsprechung zwar weitgehend Einigkeit hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung, nicht jedoch hinsichtlich des in der Praxis gebotenen Umgangs mit Bietergemeinschaften aus gleichartigen und mit einander konkurrierenden Unternehmen besteht: Vergabestellen sollten sich die Zusammenarbeit konkurrierender Unternehmen stets erläutern lassen. In Zukunft dürfte sich aufgrund der neuen Rechtslage im Oberschwellenbereich das Problem entschärfen.

§ 1 GWB, Art. 101 Abs 1 AEUV, § 6 EG Abs. 2 S 1, § 19 EG Abs 3 lit. f VOL/A 2009

Leitsatz (sofern vorhanden)

1. Die Bildung von Bietergemeinschaften ist grundsätzlich zulässig und unterliegt nicht dem Generalverdacht der Kartellrechtswidrigkeit. Eine Vereinbarung verschiedener Unternehmen, sich mit einer Bietergemeinschaft an der Ausschreibung für einen bestimmten Auftrag zu beteiligen, ist gemäß § 1 GWB nur verboten, wenn die Vereinbarung geeignet ist, die Marktverhältnisse durch Beschränkung des Wettbewerbs spürbar zu beeinflussen (BGH, Urt. v. 13. Dezember 1983 – KRB 3/83).

2. Existieren zureichende Anhaltspunkte dafür, dass es sich um eine unzulässige Bietergemeinschaft handelt, hat die Vergabestelle die Bietergemeinschaft aufzufordern, die Gründe für die Bildung der Bietergemeinschaft darzulegen. Dies kann insbesondere bei einem Angebot einer Bietergemeinschaft aus gleichartigen Unternehmen, die möglicherweise gesondert leistungsfähig wären, der Fall sein.

3. Auch bei gleichartigen Unternehmen ist der Zusammenschluss zu einer Bietergemeinschaft hinzunehmen, wenn dieser von den Unternehmen in der Erkenntnis getroffen wurde, dass eine selbständige Teilnahme an einer Ausschreibung wirtschaftlich nicht zweckmäßig und kaufmännisch nicht vernünftig wäre. Dabei kommt den Unternehmen eine nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbare Einschätzungsprärogative zu.

Sachverhalt

Die Vergabestelle beabsichtigte, den Zuschlag für ein ÖPNV-Linienbündel an eine Bietergemeinschaft zu vergeben, die aus zwei miteinander in Wettbewerb stehenden Unternehmen gebildet war. Die Vergabestelle hatte frühzeitig alle am Verfahren teilnehmenden Bietergemeinschaften aufgefordert, die Gründe darzulegen, die für die Bildung ihrer Bietergemeinschaft sprechen. Diese Darlegungen hat die Vergabestelle geprüft und die Ergebnisse im Vergabevermerk festgehalten. Der zweitplatzierte Bieter, ebenfalls eine von der Vergabestelle für zulässig gehaltene Bietergemeinschaft, rügte die beabsichtigte Auftragserteilung und stellte schließlich bei der Vergabekammer den Nachprüfungsantrag. Zur Begründung trug die Antragstellerin vor, der Zusammenschluss sei rechtswidrig, weil er aus gleichartigen Unternehmen bestehe und diese jeweils mit eigenen Angeboten am Wettbewerb teilnehmen könnten, jedenfalls stünden einem eigenen Angebot keine objektiv unüberwindbaren Hindernisse entgegen. Die Bietergemeinschaft beruhe auf subjektiven unternehmerischen Erwägungen. Daher sei die Bietergemeinschaft unzulässig und verstoße gegen das in § 97 Abs. 1 GWB normierte Wettbewerbsprinzip, auf dessen Einhaltung die Bieter ein subjektives Recht hätten.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer hat den eingehend begründeten Nachprüfungsantrag zurückgewiesen: Zwar seien behauptete Verstöße gegen Kartellrecht im Vergabeverfahren und im Nachprüfungsverfahren ausgehend von einer vergaberechtlichen Anknüpfungsnorm, hier § 6  EG VOL/A, inzident zu prüfen. Allerdings habe die Vergabestelle das Angebot nach der gebotenen Prüfung der Zulässigkeit der Bietergemeinschaft zu Recht nicht ausgeschlossen. Der subjektive Prüfungsmaßstab sei zutreffend gewählt und die Vergabestelle habe eine entsprechende Erklärung der Bietergemeinschaft zu akzeptieren, wenn diese hinreichend plausibel sei. Da die Antragstellerin dem von ihr geforderten strengeren objektiven Maßstab selbst nicht genüge, wäre ihr Angebot danach ebenfalls auszuschließen.

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Rechtliche Würdigung

Um es vorwegzunehmen: Die Entscheidung der Vergabekammer verdient in rechtlicher Hinsicht Zustimmung. Aus praktischen Gründen sollten Vergabestellen die im 2. Leitsatz der Entscheidung formulierte Pflicht, sich die Gründe für die Bildung der Bietergemeinschaft erläutern zu lassen, jedoch dahin verstehen, dass zureichende Anhaltspunkte für eine Erläuterung des Zusammenschlusses stets dann bestehen, wenn miteinander konkurrierende Unternehmen eine Bietergemeinschaft bilden. Der gebotene Umfang der Erläuterung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

a)            Angebote von Bietern, die in Bezug auf die Vergabe eine unzulässige, wettbewerbsbeschränkende Abrede getroffen haben, werden ausgeschlossen (§ 19 EG Abs. 3 lit. f) VOL/A). Diese die Prüfungspflicht der Vergabestelle konkretisierende Norm nicht etwa der von der VK Südbayern herangezogene § 6 EG VOL/A verlangt von der Vergabestelle eine Inzidentprüfung: Innerhalb der Angebotsprüfung ist bei gegebenen Anhaltspunkte für eine wettbewerbsbeschränkende Abrede die Zulässigkeit der Bietergemeinschaften zu prüfen. Diese Prüfung ist nicht etwa deshalb entbehrlich, weil § 6 EG Abs. 2 VOL/A bestimmt, dass Bietergemeinschaften wie Einzelbewerber zu behandeln sind. § 6 EG VOL/A setzt die rechtliche Zulässigkeit voraus, ohne sie zu begründen oder gar begründen zu können.

b)           Selbst wenn § 19 EG Abs. 3 lit. f VOL/A weit auszulegen ist und nicht nur kartellrechtswidrige Beschränkungen erfasst (Müller-Wrede in: Müller-Wrede (Hrsg.), VOL/A, 4. Auflage 2014, § 19 EG Rn 147 f.), ist gerade bei Bietergemeinschaften die Frage ihrer Zulässigkeit an §§ 1 ff. GWB auszurichten. Dass bei Bietergemeinschaften auch Verstöße gegen den Geheimwettbewerb vorliegen und einen Ausschluss nach § 19 EG Abs. 3 lit. f VOL/A begründen können, steht dem nicht entgegen. Eine gegen das Kartellrecht verstoßende Bietergemeinschaft ist jedenfalls unzweifelhaft auszuschließen. Nach § 1 GWB verboten sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Durch § 2 GWB von dem Verbot freigestellt sind Vereinbarungen, die beispielsweise zwischen sog. KMU aus Rationalisierungsgründen geschlossen werden.

Angesichts der Komplexität, die die Anwendung des Kartellrechts mit sich bringen kann, ist es naheliegend und verständlich, dass Vergabestellen Sicherheit durch gerichtlich bestätigte Vermutungsregeln wünschen und zwischen Gerichten sowie Vergabekammern bestehende Meinungsverschiedenheiten große Unsicherheit verursachen. Allerdings: Weder spricht eine aus gleichartigen Unternehmen bestehende Bietergemeinschaft für die Unzulässigkeit, noch lässt sich generell die kartellrechtliche Zulässigkeit einer Bietergemeinschaft feststellen (Müller-Wrede, aaO, Rn 153 m.w.N.).

Die Feststellung des KG, dass die zwischen konkurrierenden Unternehmen getroffene Vereinbarung zur Bildung einer Bietergemeinschaft eine potentiell wettbewerbsbeschränkende Wirkung zeitigt, ist für sich genommen zutreffend. Damit liegt jedoch nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für ein verbotenes Kartell vor. § 1 GWB erfordert darüber hinaus, dass zwischen den Unternehmen ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht und der Wettbewerb spürbar beschränkt wird. Die Frage nach dem Bestehen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zwischen zwei Unternehmen ist bei dem Wettbewerb um die Vergabe eines öffentlichen Auftrags nach Maßgabe der zwar alten, aber noch immer einschlägigen Entscheidung Bietergemeinschaft Schramberg (BGH, Urt. v. 13. Dezember 1983 – KRB 3/83) zu prüfen.

Danach ist der sog. objektive Prüfungsmaßstab, den das KG anwendet, abzulehnen. Der BGH stellt insoweit fest, dass ein konkretes Wettbewerbsverhältnis fehlt, wenn und soweit die Beteiligten ein eigenes Angebot aus nachvollziehbaren unternehmerischen Gründen nicht abgeben. Nicht erforderlich ist, dass diese Gründe so schwerwiegend sind, dass ihnen objektiv unüberwindbare Hindernisse entgegenstehen. Sieht also ein Beteiligter subjektiv aus nachvollziehbaren Gründen von einem eigenen Angebot ab, wäre er also nicht in den konkreten Wettbewerb um den ausgeschriebenen Auftrag getreten, so fehlt insoweit ein nach § 1 GWB schützenswerter Wettbewerb (zustimmend auch: Bechtold/Bosch, GWB, 8. Auflage 2015, § 1 Rn 104).

Zur Klarstellung: In diesem Zusammenhang ist objektiv mit absolut gleichzusetzen und subjektiv meint, auf den Bieter bezogen. Daher müssen die Bieter durchaus objektiv nachvollziehbare Gründe für ihre Entscheidung nennen, sich um den Auftrag nicht selbständig zu bewerben. Diese Gründe müssen aber nicht so schwerwiegend sein, dass die eigene Bewerbung absolut unmöglich, also völlig ausgeschlossen ist. Eine unternehmerisch hinreichend plausible Erklärung des Bieters haben nach der Rechtsprechung des BGH die Behörden und die Gerichte hinzunehmen. Für die Vergabestelle kann nichts anderes gelten.

c)            Gleichwohl bleibt trotz der klaren rechtlichen Vorgabe offen, wie sich die Vergabestelle in der Praxis verhalten soll. Diese Unsicherheit wird auch durch die VK Südbayern nicht beseitigt, sondern noch forciert, wenn sie im 2. Leitsatz formuliert, dass bei zureichenden Anhaltspunkten für eine unzulässige Bietergemeinschaft von dieser die Darlegung der Gründe verlangt werden soll. Denn es ist nicht klar, welche besonderen Anhaltspunkte bestehen sollen, die auf eine Unzulässigkeit hindeuten. Wegen der Prüfungspflicht nach § 19 EG Abs. 3 VOL/A und des zwingend gebotenen Ausschluss, der drittschützenden Wirkung, die der Prüfung der Angebote auf wettbewerbswidrige Absprachen zukommen und der besonderen Bedeutung des Wettbewerbsprinzips für das Vergaberecht scheint ein pragmatisches Vorgehen empfehlenswert:

Eine Vergabestelle sollte grundsätzlich eine Darlegung zur Arbeitsteilung der Bietergemeinschaft und den Gründen ihrer Bildung verlangen, wenn Unternehmen an ihr beteiligt sind, die sonst miteinander in Wettbewerb stehen (s.a. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17. Dezember – VII-Verg 22/14, Vergabeblog.de vom 08/02/2015, Nr. 21496). Die Vergabestelle sollte mit den Vergabeunterlagen verlangen, dass solche Bietergemeinschaften eine entsprechende Eigenerklärung mit dem Angebot einreichen. Aus der Eigenerklärung sollte sich ergeben, warum die Unternehmen eigenständiger Angebot nicht abgeben und warum die Kooperation in der Bietergemeinschaft die dem eigenen Angebot entgegenstehenden Gründe beseitigt. Entsprechend dem kartellrechtlichen Erfordernis einer subjektiven Begründung und den geringen kartellrechtlichen und wettbewerblichen Prüfungsmöglichkeiten der Vergabestelle sind die Anforderungen an die Darlegung und die Prüfung nicht allzu hoch zu stellen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09. November 2011 – VII-Verg 35/11). Liefert die Bietergemeinschaft eine für die Vergabestelle nachvollziehbare Begründung, ist im Vergabeverfahren von der kartellrechtlichen Zulässigkeit der Bietergemeinschaft auszugehen. Gelingt dies im ersten Wurf nicht, so ist eine Nacherklärung zu konkreten Fragen der Vergabestelle geboten.

Mit einer solchen Darlegung wird eine Bietergemeinschaft nicht überfordert sein, weil keine rechtlichen Ausführungen verlangt werden, sondern Gegenstand die eigenen unternehmerischen Erwägungen sind. Für dieses Vorgehen spricht auch, dass es aus Gründen der kartellrechtlichen Compliance naheliegt, dass sich die Unternehmen vorab die Frage stellen und beantworten, ob das Zusammenwirken mit einem Wettbewerber zulässig ist (sog. kartellrechtliche Selbsteinschätzung). Je größer der Auftrag, je enger der Markt und je größer die Wettbewerber, desto größer der Erläuterungsbedarf. Im Extremfall kann sogar die Expertise eines Kartellrechtlers erforderlich sein. Jedenfalls sollten die Unternehmen die Vergabestellen an diesen Überlegungen teilhaben lassen.

d)           Das hier vertretene Vorgehen entspricht im Ergebnis demjenigen, das auch die Vergabestelle in dem von der VK Südbayern entschiedenen Fall gewählt hat. Mit einem solchen Vorgehen ist sowohl dem Eigeninteresse als auch dem Drittschutz der Bieter auf die Einhaltung der wettbewerblichen und sonstigen rechtlichen Regeln gedient. Das Eigeninteresse der Vergabestelle besteht gerade bei längerfristigen Vertragsbeziehungen darin, eine rechtlich und wirtschaftlich belastbare Grundlage der Zusammenarbeit zu schaffen. Dem Auftraggeber ist nicht damit gedient, wenn die Tätigkeit der Bietergemeinschaft durch die Kartellbehörden untersagt und die Vertragserfüllung beendet wird. Der für diesen Fall vorzusehende Schadensersatzanspruch kompensiert die Nachteile nur wirtschaftlich.

e)           Für die neue Rechtslage ab dem 18.04.2016 gilt im Prinzip nichts anderes. Auch dort wird die kartellrechtliche Zulässigkeit inzident zu prüfen sein. Unverändert bleiben auch die Regelungen zum Kartellverbot (§§ 1 ff. GWB). Ändern werden sich formal die Voraussetzungen und Folgen eines Ausschlusses vom Vergabeverfahren. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB-neu bestimmt, dass ein öffentlicher Auftraggeber ein Unternehmen vom Vergabeverfahren ausschließen kann, wenn er über hinreichende Anhaltspunkte dafür verfügt, dass das Unternehmen Vereinbarungen mit anderen Unternehmen getroffen hat, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Der Wettbewerbsverstoß begründet also nach der neuen Gesetzeslage nur noch einen fakultativen Ausschlussgrund. Dadurch erhöhen sich für Vergabestellen grundsätzlich die Beurteilungsspielräume. Zudem dürfte dadurch das Risiko von Nachprüfungsverfahren durch konkurrierende Bieter sinken und das Risiko wettbewerblicher Beeinträchtigungen steigen.

DVNW_Mitglied

Praxistipp

Bietergemeinschaften konkurrierender Unternehmen haben nicht stets eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung, vielmehr kann das Gegenteil der Fall sein. Daher sind sie auch nicht von vornherein als unzulässig einzustufen. Ungeachtet dessen ist der Vergabestelle und einer solchen Bietergemeinschaft zu empfehlen, eventuelle kartellrechtliche Bedenken von vornherein durch das Verlangen nach Vorlage einer die Kooperation erläuternden Eigenerklärung auszuräumen. Eine belastbare positive kartellrechtliche Selbsteinschätzung schafft Klarheit und genügt regelmäßig den Prüfungsanforderungen, die die Vergabestelle zu beachten hat.

Auch wenn ein Verstoß gegen das Kartellrecht nach der neuen Rechtslage nur noch einen fakultativen Ausschlussgrund bildet, ist der Vergabestelle ein solches Vorgehen für die Zukunft zu empfehlen.

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OLG Karlsruhe: Vergabesache DB Regio / Land Baden-Württemberg – Ausschluss der DB Regio rechtmäßig (Beschluss v. 29.04.2016 – 15 Verg 1/16)

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Recht

Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat mit Beschluss vom 29.04.2016 bestätigt, dass der Ausschluss der Angebote der DB Regio AG vom Vergabeverfahren „Stuttgarter Netze“ rechtmäßig war.

Das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg hatte 2015 Verkehrsdienstleistungen im Großraum Stuttgart für die Dauer von bis zu 13,5 Jahren ab 2019 europaweit in drei Losen („Neckartal“, „Rems-Fils“ und „Franken-Enz“) ausgeschrieben. Im November 2015 teilte das Land Baden-Württemberg der mitbietenden DB Regio AG mit, dass ihr Angebot wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen auszuschließen sei. Das Land beabsichtige, den Zuschlag auf die Angebote der Mitbewerber, Abellio und Go-Ahead, zu erteilen. Die DB Regio AG reichte gegen diese Entscheidung im November 2015 einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Baden-Württemberg ein. Die Vergabekammer wies den Antrag im Februar 2016 zurück. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der DB Regio AG, die der Senat mit Beschluss vom heutigen Tage zurückgewiesen hat.

Der Senat hat entschieden, dass der Ausschluss des Angebots der DB Regio AG zu allen drei Losen rechtmäßig war. Das Angebot eines Bieters darf nur ausgeschlossen werden, wenn die Leistungsbeschreibung widerspruchsfrei und eindeutig ist. Dies war vorliegend der Fall. Trotzdem hat die DB Regio AG nicht mit den durch die Ausschreibung vorgegebenen Zahlen gerechnet und hierdurch die Vertragsunterlagen im Sinne des Vergaberechts geändert.

Ob der Ausschluss des Angebots darüber hinaus auch deshalb rechtmäßig war, weil die DB Regio AG keine gesondert ausgewiesenen Kosten für Werkstätten angegeben hat und dies im Verfahren damit begründete, dass sie bereits über Werkstätten verfüge, hat der Senat – ebenso wie die Vergabekammer – offen gelassen.

Gegen die Entscheidung des Vergabesenates ist kein Rechtsmittel gegeben.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 29.04.2016
– 15 Verg 1/16 –

§ 19 Abs. 3 EG VOL/A in der maßgebliche Fassung lautet auszugsweise:

(3) Ausgeschlossen werden:

d) Angebote, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an
den Vertragsunterlagen vorgenommen worden sind,

Quelle: OLG Karlsruhe

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Der Umfang geforderter Referenzen muss angemessen sein (VK Bund, Beschl. v. 22.02.2016 – VK 2-131/15)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungEs ist zweifelhaft, ob der Grundsatz der Angemessenheit eingehalten wird, wenn bei Reinigungsleistungen Referenzen in einem Umfang gefordert werden, die die Größenordnung der ausgeschrieben Reinigungsleistungen übersteigen. Jedenfalls ist dies in der Vergabedokumentation zu begründen.

Unklarheiten bei der Definition des Mindestumfang führen dazu, dass der Bieter eine zweite Chance erhält, indem das Verfahren in den Stand vor Abgabe der Angebote zurückzuversetzen ist.

§ 7 EG Abs. 1 VOL/A, Art. 44 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG

Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb Reinigungsleistungen in 2 getrennten Losen europaweit aus. Die zu reinigenden Flächen hatten jeweils einen Umfang von. ca. 20.000 qm. Dabei forderte sie Referenzen vergleichbarer Art und definierte die Vergleichbarkeit so, dass jeweils drei Referenzen für jedes Los mit einer Mindestreinigungsfläche von jeweils 20.000 qm vorgelegt werden mussten.

Wegen des Umfangs der geforderten Referenzen und wegen Streitigkeiten um die genaue Auslegung der Mindestanforderungen an die Referenzen stellte ein Bieter Nachprüfungsantrag und erreichte dort, dass das Vergabeverfahren in den Stand vor Abgabe der Angebote zurückversetzt wurde.

Die Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag war schon deshalb erfolgreich, weil die Definition der Mindestanforderungen an vergleichbare Referenzen nach Auffassung der Vergabekammer nicht hinreichend genau und somit intransparent war. Die Aussagen zum Umfang der Referenzen erfolgten daher als obiter dictum, sind aber dennoch sehr aufschlussreich und zeigen, wie ein obiter dictum dazu beitragen kann, künftige Nachprüfungsverfahren zu vermeiden.

In der Entscheidung differenziert die Vergabekammer zunächst zwischen den Anforderungen an die einzelne Referenz (20.000 qm) und den Anforderungen an den Gesamtumfang (drei mal 20.000 qm je Los).

Die Vergabekammer hält es durch den Auftragsgegenstand zunächst für gerechtfertigt und angemessen, dass die Vergabestelle nur solche Referenzen als vergleichbar akzeptieren wollte, die jeweils einen Umfang von 20.000 qm aufweisen. Denn hierdurch kann nach Ansicht der Vergabekammer dokumentiert werden, dass der Bieter leistungsfähig ist, eine ausgeschriebene Fläche dieser Größenordnung zu reinigen zu können. Die Anforderungen an die einzelne Referenz hält die Vergabekammer folglich für angemessen.

Im Hinblick auf die Anforderungen an den Gesamtumfang formuliert die Vergabekammer aber erhebliche Bedenken hinsichtlich der Angemessenheit: Sie verweist zunächst darauf, dass es schon zweifelhaft sein kann, bei einem Ausschreibungsumfang von 40.000 qm Referenzen in Höhe von 60.000 qm zu fordern. Bei der gewählten Formulierung müsse sogar ein Bieter, der nur für ein Los, also für 20.000 qm, anbieten wolle, 60.000 qm Referenzen und damit das Dreifache nachweisen müsse.

Letztlich vermisste die Vergabekammer auch eine Begründung des Umfangs der geforderten Referenzen. Weder in der Vergabedokumentation noch im Nachprüfungsverfahren hatte sich die Vergabestelle dazu verhalten. Die Vergabekammer „entließ“ die Vergabestelle daher mit ihren Zweifeln an der Angemessenheit und dem dringen Hinweis, den Umfang der geforderten Referenzen künftig zu begründen, wenn sie an dem geforderten Maß festhalten will.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung verdeutlicht sehr schön, dass nicht nur auf die Formulierung von Mindestbedingungen größte Sorgfalt zu verwenden ist, sondern der Umfang von Anforderungen, hier Referenzen, zu begründen ist, wenn diese den Ausschreibungsgegenstand übersteigen. Ohne eine solche Begründung kann die Vergabekammer die Ermessensentscheidung der Vergabestelle nicht überprüfen. Damit gilt der alte Grundsatz, je höher die Anforderungen, desto mehr muss begründet werden. Gleiches gilt bspw. auch für die Ermittlung des Schwellenwertes: Je näher an der Schwelle, desto höher sind die Anforderungen an die Begründung der Ermittlung des Schwellenwertes.

Die Entscheidung ist daher vollkommen richtig und zu begrüßen. Denn eines ist auch klar: Hohe Referenzangaben ohne eine Öffnungsklausel sind geeignet, den Wettbewerb auf wenige große Anbieter zu verengen. Dies führt zu einer Verschiebung des Preis-/Leistungsverhältnisses zu Gunsten der wenigen Großen. Diese machen dann vielleicht kurzfristig gute Umsätze. Auf lange Sicht wird das kaum gelingen, weil die öffentliche Hand irgendwann über eine Eigenerbringung nachdenken wird und dies auch muss, nämlich dann, wenn sie die Erkenntnis gewinnt, die fraglichen Leistungen selbst günstiger ausführen zu können.

DVNW_Mitglied

Praxistipp

In der Sache selbst wird es meines Erachtens der Vergabestelle kaum gelingen können, derart hohe Anforderungen an die Referenzen hinreichend zu begründen. In der Regel dürfte sich nämlich der Umfang der zu fordernden Referenzen auf den Ausschreibungsgegenstand zu beschränken haben. Generell ist empfehlenswert, jedenfalls bei marktüblichen Leistungen mit einem großen Bieterkreis, diese Spielraum nicht unbedingt auszuschöpfen oder durch eine Newcomer-Klausel zu entschärfen. Ansonsten werden Märkte reduziert und zementiert.

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Der „No Spy“-Erlass und die Folgen für die IT-Beschaffung – Zum Vortrag im Rahmen des 1. IT-Vergabetags 2016

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ITKRechtUNBEDINGT LESEN!

Die IT-Sicherheit in Deutschland ist in Gefahr! Daher ist die durch den „No Spy“-Erlass in der durch die Handreichungen vom 19.08.2014  und 17.03.2016 klargestellten Vorgehensweise zwingend im Rahmen von Vergabeverfahren zu berücksichtigen:

Die Forderung von sog. „No Spy“-Klauseln als Ausführungsbedingungen im Sinne des neuen § 128 Abs. 2 GWB und als „technische no-spy-Klauseln“ in EVB-IT-Verträgen ist auch nach der aktuellen Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zulässig und deren Forderung in der Praxis daher unerlässlich.

Dass die IT-Sicherheit in Deutschland in Gefahr ist, ist nicht erst seit den „Snowden“-Enthüllungen bekannt, doch seitdem ist die stetige Diskussion um Spionageangriffe ausländischer Geheimdienste und die in diesem Zusammenhang immer wieder geäußerte Kritik an der NSA in den Medien omnipräsent. Dies hat in der Bundesrepublik unter anderem im Vergaberecht zur Verwendung sog. „No Spy“-Garantien geführt. Die Zulässigkeit solcher „No Spy“-Garantien wird dabei insbesondere im Hinblick auf eine etwaige Diskriminierung von US-amerikanischen Bietern teilweise kritisiert, wurde jedoch im Oktober vergangenen Jahres vom OLG Düsseldorf in einem obiter dictum grundsätzlich bestätigt (vgl. Beschluss vom 21.10.2015, Verg 28/14). Voraussetzung sei, so der Vergabesenat, dass die Forderung nach Datensicherheit, auf „einen anerkennenswerten und durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigten sachlichen Grund, wie einen Schutz sensibler, für den Schutz des Staates relevanter Daten“ gestützt werde und diskriminierungsfrei gegenüber allen Bietern erfolge. Der Beschluss erging nur wenige Wochen nach der vom EuGH aus datenschutzrechtlicher Sicht ebenfalls wegweisenden Entscheidung zum „Safe-Harbor“-Beschluss der EU-Kommission in der Rechtssache „Schrems“ (vgl. Urteil vom 6. Oktober 2015, C-362/14).

Der folgende Beitrag stellt zunächst die hinter den Entscheidungen stehenden Entwicklungen dar und beleuchtet dabei das Thema „No Spy“ und die zum Schutz der Daten ergriffenen bzw. geplanten Maßnahmen vor allem aus vergaberechtlicher, aber auch aus datenschutzrechtlicher Sicht.

I. Vergaberechtliche Forderung sog. „No Spy“-Klauseln durch öffentliche Auftraggeber – Entwicklung und aktueller Stand der Dinge

Die Diskussion um die IT-Sicherheit in der Bundesrepublik hat sich seit den Enthüllungen Edward Snowdens über die diversen Überwachungsmaßnahmen ausländischer Geheimdienste und Sicherheitsbehörden etabliert. Sie wird regelmäßig durch neue Meldungen über Cyberattacken, wie im letzten Jahr der Angriff auf den Bundestag oder die NSA-Spähangriffe auf Mitglieder der Bundesregierung und anderer Behörden, immer wieder von Neuem angefeuert. In den Fokus gerückt sind dabei insbesondere auch die weitreichenden Rechte US-amerikanischer Sicherheitsbehörden gegenüber US-amerikanischen Unternehmen oder auch deren ausländischen Tochtergesellschaften. Denn US-amerikanische Unternehmen – ebenso wie deren ausländische Tochtergesellschaften – sind gesetzlich verpflichtet, den US-Sicherheitsbehörden (FBI u.a.) Zugriff auf ihre Server zu gestatten. Ein Beispiel aus der Praxis verdeutlicht dabei die Reichweite dieser Herausgaberechte, wonach ein New Yorker Bundesgericht in einem Fall urteilte, dass sich die Verpflichtung der Unternehmen zur Herausgabe von Daten nicht nach dem Speicherort, sondern allein nach der Frage der Kontrolle der Information richte und damit auch Daten, die sich auf Servern außerhalb der USA befänden, der Herausgabepflicht unterlägen (vgl. Urteil des United States District Court Southern District of New York vom 25.04.2012, 13 Mag. 2814).

Als gesetzliche Grundlage solcher Überwachungen sind beispielsweise das TEMPORA-Programm oder der USA FREEDOM Act (= Uniting and Strengthening America by Fulfilling Rights and Ending Eavesdropping, Dragnet-collection and Online Monitoring Act; Public law 114-23, June 2, 2015), der dem vielfach in diesem Zusammenhang zitierten USA PATRIOT Act (= Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism Act; Public law 107-56, Oct. 26, 2001) im Juni 2015 nachfolgte.

Neben Unternehmen aus den USA werden beim Thema Datensicherheit zwar auch Unternehmen aus anderen Staaten, wie etwa China oder Russland, immer wieder als problematisch eingestuft; dennoch wird die Anwendung der „No Spy“-Klauseln primär im Zusammenhang mit US-amerikanischen Unternehmen diskutiert. Kritisiert wird daher von einigen Stimmen, dass „No Spy“-Erklärungen sich lediglich gegen die Staaten richteten, die ihre Zugriffsrechte transparent regeln.

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1. Der sog. „No Spy“-Erlass des BMI vom 30. April 2014

Das Bundesministerium des Innern (BMI) reagierte auf diese öffentliche Diskussion und die Forderung nach mehr IT- und Datensicherheit im Frühjahr 2014 mit dem intern an das Beschaffungsamt des BMI gerichteten sog. „No Spy“-Erlass (Erlass des BMI zur „Verwendung einer Eigenerklärung und einer Vertragsklausel in Vergabeverfahren im Hinblick auf Risiken durch nicht offengelegte Informationsabflüsse an ausländische Sicherheitsbehörden“ vom 30. April 2014, vgl. Vergabeblog.de vom 01/07/2014, Nr. 19375).

Darin war vorgesehen, dass bei „Vergabeverfahren mit möglicher Sicherheitsrelevanz“ künftig von den Bietern eine „im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung“ zu berücksichtigende Eigenerklärung verlangt wird, mit der dieser sich verpflichtet, im Falle eines Zuschlags, alle im Rahmen des Vertragsverhältnisses erlangten vertraulichen Informationen, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, auch vertraulich zu behandeln und nicht an Dritte weiterzugeben oder anders als zu vertraglichen Zwecken zu verwenden (vgl. Mustereigenerklärung zum „No Spy“-Erlass). Diese Erklärung soll zudem die Bestätigung enthalten, dass „zum Zeitpunkt der Abgabe des Angebotes keine Verpflichtungen [bestehen], Dritten solche Informationen zu offenbaren oder in anderer Weise zugänglich zu machen.“ Sollte sich daran etwas nach Zuschlagserteilung ändern, soll der Auftragnehmer verpflichtet werden, den Auftraggeber „sofort schriftlich benachrichtigen“.

Zusätzlich sollten im Vertrag entsprechende Klauseln zur Einhaltung der Vertraulichkeit aufgenommen werden. Das BMI schlug hierfür die folgende Musterklausel vor:

„Der Auftragnehmer ist verpflichtet, den Auftraggeber sofort schriftlich zu benachrichtigen, wenn er die Einhaltung dieser Verpflichtung nicht mehr gewährleisten kann, insbesondere, wenn für ihn eine Notwendigkeit oder Verpflichtung entsteht oder er eine solche hätte erkennen können, die ihn an der Einhaltung der Vertraulichkeit hindern könnte.“

Ausdrücklich nicht unter die „No Spy“-Vereinbarungen fallen, Offenlegungspflichten gegenüber ausländischen Stellen, die keine Sicherheitsbehörden sind. Als Beispiele nennt der „No Spy“-Erlass hier die Börsenaufsicht, Regulierungsbehörden oder die Finanzverwaltung.

Bezweckt wurde mit dem „No Spy“-Erlass zum einen, die Herbeiführung einer Beweiserleichterung zugunsten des öffentlichen Auftraggebers bzw. der Bundesrepublik Deutschland, wonach für einen Ausschluss oder einen Rücktritt (§ 324 BGB) bzw. bei Dauerschuldverhältnissen eine Kündigung (§ 314 BGB) lediglich der Nachweis ausreichen sollte, dass der Bieter einer Verpflichtung zur Datenweitergabe unterliegt. Zum anderen sollte mit dem Erlass der Schutz von Verschlusssachen im Bereich der Verteidigung und Sicherheit verstärkt und „Vereinbarungen zum VS-Schutz ergänzt“ nicht jedoch ersetzt werden.

2. Vergaberechtliche Beurteilung der Zulässigkeit von „No Spy“-Erklärungen durch die Rechtsprechung

a) VK Bund, Beschluss vom 24. Juni 2014

Mit Beschluss vom 24. Juni 2014 beurteilte die zweite Vergabekammer des Bundes die Forderung einer „No Spy“-Erklärung durch die Bieter zum Nachweis ihrer Zuverlässigkeit als vergaberechtlich unzulässig (VK Bund, Beschluss vom 24. Juni 2014, VK 2-39/14). In dem zu entscheidenden Fall, hatte das Beschaffungsamt des BMI einen Vertrag zur Weiterentwicklung von Verwaltungssoftware ausgeschrieben. Ein konkurrierender Bieter rügte die beabsichtigte Zuschlagserteilung an eine deutsche Tochterfirma eines US-amerikanischen Unternehmens und berief sich auf den „No-Spy-Erlass“ des BMI vom 30. April 2014. Denn nach Ansicht des Bieters handelte es sich um einen sicherheitssensiblen IT-Auftrag, bei dessen Vergabe der öffentliche Auftraggeber folglich verpflichtet sei, von den Teilnehmern eine entsprechende „No Spy“-Erklärung zu verlangen. Die darin zu erklärende Verpflichtung zur vertraulichen Behandlung von erlangten Informationen und zur Nichtherausgabe der Daten an Dritte könnten US-amerikanische Unternehmen aus gesetzlichen Gründen aber gerade nicht gewährleisten.

Die Vergabekammer des Bundes folgte dem Antrag nicht und sah keinen Ausschlussgrund wegen mangelnder Zuverlässigkeit. In ihrem Beschluss führte die Vergabekammer zwar aus, dass die – zu dem Zeitpunkt noch – auf dem USA PATRIOT Act beruhende Pflicht US-amerikanischer Unternehmen und ihrer Tochtergesellschaften zur Datenweitergabe an US-amerikanische Sicherheitsbehörden „höchst problematisch“ sei, dies jedoch nicht im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung berücksichtigt werden dürfte. Denn Eignungsanforderungen seien bieterbezogen, sodass im Rahmen der Eignungsprüfung „ausschließlich Sachverhalte“ berücksichtigt werden dürften, „die dem Bieter in irgendeiner Form zurechenbar“ und durch den Bieter beeinflussbar seien. Diese Voraussetzung sei bei gesetzlichen Verpflichtungen zur Datenweitergabe, denen ein Bieter unterworfen sei, aber nicht der Fall.

Zulässig sei die Abfrage der „No Spy“-Erklärungen nach Auffassung der Vergabekammer aber dann, wenn diese – wie im Falle von Verpflichtungserklärungen zur Einhaltung der sog. ILO-Kernarbeitsnormen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Januar 2014, Verg 28/13) – lediglich als „besondere Anforderung an die Auftragsausführung“ gemäß § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB a.F. (vgl. nun § 128 Abs. 2 GWB, § 61 VgV) verlangte werde.

b) OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Oktober 2015

Das OLG Düsseldorf äußerte sich in seiner viel beachteten Entscheidung vom 21. Oktober 2015 (Verg 28/14) in einem ausführlichen obiter dictum ebenfalls dahingehend, dass die Forderung von „No Spy“-Garantien“ durch öffentliche Auftraggeber zwar nicht als Eignungsanforderung, jedoch als besondere Anforderungen an die Auftragsausführung im Sinne des § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB a.F. zulässig ist. Die Entscheidung betraf ein Vergabeverfahren nach der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) zur Beschaffung von Antivirensoftware für die Bundesverwaltung, inklusive Unterstützungs- und Beratungsleistungen. Der Auftraggeber stellte in den Vergabeunterlagen und im Vertragsentwurf Anforderungen, welche die Gewährleistung umfassender „Vertraulichkeit“ umfassten und als sog. „No Spy“-Garantie zu qualifizieren waren. Der Zuschlag sollte auf das Angebot eines Bieters erfolgen, der nach Auffassung eines unterlegenen Bieters diese Anforderungen aufgrund von gesetzlichen Verpflichtungen zur Datenweitergabe nach dem USA PATRIOT Act nicht erfüllen könne.

Der Vergabesenat betonte in seiner Entscheidung, dass die Forderung von „No Spy“-Garantien – entgegen der teilweise aufkommenden Kritik – nicht diskriminierend wirke. Die Forderung von „No Spy“-Garantien durch öffentliche Auftraggeber sei als Ausführungsbedingung jedoch dann zulässig, wenn der öffentliche Auftraggeber sie auf „einen anerkennenswerten und durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigten sachlichen Grund, wie einen Schutz sensibler, für den Schutz des Staates relevanter Daten,“ stütze und sämtliche auftragsinteressierten Unternehmen – unabhängig von ihrem Sitz – „diskriminierungsfrei mit derselben Anforderung belegt“ würden. Es bestehe aber gerade keine Pflicht des öffentlichen Auftraggebers, „Ausschreibungen so zuzuschneiden, dass sie – auch unter den Bedingungen, denen sie nach jeweils nationalem Recht (also nach ausländischem Recht) unterliegen – zum Unternehmens- und Geschäftskonzept jedes potentiellen Bieters passen.“

3. Die Handreichung zum „No Spy“-Erlass vom 19. August 2014

Bereits im Nachgang zu dem Beschluss der Vergabekammer des Bundes vom 24. Juni 2014 (VK 2-39/14) veröffentlichte das BMI am 19. August 2014 zusätzlich eine ergänzende Handreichung zur Reichweite und Auslegung des sog. „No Spy“-Erlasses. Diese enthält einheitliche Definitionen und Vorgehensweisen bei Vergabeverfahren mit möglicher Sicherheitsrelevanz und soll auf diese Weise den „No Spy“-Erlass ergänzen und präzisieren. Dabei wird insbesondere darauf hingewiesen, dass die Frage einer möglichen Sicherheitsrelevanz grundsätzlich unabhängig vom Gegenstand der Beschaffung und stets einzelfallabhängig zu prüfen ist. Die Beurteilung obliegt dabei dem Bedarfsträger.

Unabhängig vom Beschaffungsgegenstand kann sich die Sicherheitsrelevanz beispielsweise ebenso aus nicht öffentlich bekannten Informationen über die Personalausstattung, Organisation und Zuständigkeiten von Mitarbeitern in Behörden oder deren Organisationseinheiten ergeben. Für den IT-Bereich nennt die Handreichung vor allem Komponenten oder Dienstleistungen zur Regierungskommunikation, Beratungsleistungen zur IT-Infrastruktur oder kritische Infrastrukturen auf.

Die Umsetzung des „No Spy“-Erlasses sollen danach im konkreten Verfahren dergestalt erfolgen, dass die „No Spy“-Anforderungen – unter Verweis auf die bisherige Rechtsprechung – nicht mehr im Rahmen der Prüfung der Eignung des Bieters/Bewerbers (konkret in der Zulässigkeitsprüfung), sondern als Ausführungsbedingung i. S. d. § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB a.F. (d.h. jetzt § 128 Abs. 2 GWB) erfolgen. Es wird in der Handreichung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die neben der Vertragsklausel zu verlangende Eigenerklärung „(lediglich) die ausdrückliche, schriftliche Bestätigung des Bieters/Bewerbers [ist], diese Ausführungsbedingung später auch einzuhalten“.

Darüber hinaus ist gemäß Ziffer 4 f. der Handreichung, der „No Spy“-Erlass ausdrücklich auch auf Subunternehmer und Vorlieferanten anzuwenden, wenn deren Einsatz beabsichtigt ist. In diesem Fall sollen die Eigenerklärungen auch von den Subunternehmern bzw. Lieferanten eingeholt werden und eine entsprechende „No Spy“-Klausel auch in den Vertrag zwischen Hauptauftragnehmer und Subunternehmer aufgenommen werden. Für den Fall eines Lieferanten, soll dieser der „No Spy“-Klausel ebenfalls „unterworfen“ werden. Für die Frage der Einordung eines nachgeschalteten Unternehmers soll dieser „im Zweifel nicht als Vorlieferant, sondern als Subunternehmer anzusehen“ sein.

4. Handreichung zur sog. „technischen no-spy-Klausel“ in bestimmten EVB-IT Verträgen vom 17.03.2016

In den Musterverträgen der Ergänzenden Vertragsbedingungen für die Beschaffung von Informationstechnik (EVB-IT), die überwiegend die früheren Besonderen Vertragsbedingungen für die Beschaffung von DV-Anlagen und Geräten (BVB) abgelöst haben, finden sich seit einiger Zeit ebenfalls Klauseln zur Informationssicherheit (vgl. Ziffer 2.3 der EVB-IT Überlassung Typ A-AGB vom 16.07.1015, Ziffer 1.4 EVB-IT Pflege S-AGB vom 16.07.2015, Ziffer 2.4 EVB-IT Kauf-AGB vom 17.03.2016 und Ziffer 1.5 EVB-IT Instandhaltungs-AGB vom 17.03.2016). Mit diesen Klauseln muss sich der Auftragnehmer beispielsweise verpflichten, die Standardsoftware frei von Schaden stiftender Software zu überlassen und darüber hinaus versichern, dass sie frei von Funktionen ist, welche die Integrität, Vertraulichkeit und Verfügbarkeit der Standardsoftware oder anderer Daten gefährden und den Vertraulichkeits- und Sicherheitsinteressen des Auftraggebers zuwiderlaufen. Die EVB-IT sind als Verwaltungsvorschriften zu § 55 BHO für Bundesbehörden in Ihrer Anwendung verbindlich.

Im Hinblick auf die Verwendung dieser sog. „technischen no-spy-Klauseln“ in bestimmten EVB-IT Verträgen wurde kürzlich ebenfalls eine Handreichung erlassen (vgl. Handreichung zur sog. „technischen no-spy-Klausel“ in bestimmten EVB-IT Verträgen vom 17.03.2016). Mit der „technischen no-spy-Klausel“ soll die Virenfreiheit der Software abgesichert werden. Die Software darf hiernach keine unerwünschten Funktionen aufweisen, welche die Integrität, Vertraulichkeit und Verfügbarkeit von Software, Hardware oder Daten gefährden würde (sog. „Backdoors“). Was konkret als unerwünschte Funktion gilt, legt die Vertragsklausel wiederum fest. Danach sind Funktionen unerwünscht, wenn sie in dieser Art und Weise weder vom Auftraggeber in seiner Leistungsbeschreibung gefordert, noch vom Auftragnehmer unter konkreter Beschreibung der Aktivität und ihrer Funktionsweise angeboten und vom Auftraggeber so bezuschlagt, noch im Einzelfall vom Auftraggeber ausdrücklich autorisiert wurde („opt in“).

5. Ausführungsbedingungen nach dem neuen § 128 Abs. 2 GWB

All diese „No Spy“-Garantien werden demnach als Ausführungsbedingungen angesehen, bisher auf der Basis des § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB a.F. Mit der Vergaberechtsreform wurde diese bisherige Regelung zu den Ausführungsbedingungen nunmehr in § 128 Abs. 2 GWB neu gefasst. Danach können Ausführungsbedingungen vom Auftraggeber festgelegt werden, sofern diese mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen und sich eindeutig, d.h. für alle Bieter gleichermaßen ersichtlich, aus der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen ergeben. Regelbeispielhaft („insbesondere“) wird in § 128 Abs. 2 GWB dabei unter anderem der „Schutz der Vertraulichkeit von Informationen“ genannt.

Diskutiert wird in diesem Zusammenhang, ob eine „No Spy“-Eigenerklärung, die aufgrund der Vorgaben im „No Spy“-Erlass formularmäßig verfasst ist, den geforderten Bezug zum konkreten Auftragsgegenstand aufweist (vgl. jetzt § 128 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 127 Abs. 3 GWB).

Nach vereinzelten kritischen Meinungen sei dies zu verneinen und die „No Spy“-Eigenerklärung als eine allgemeine Anforderung an die Unternehmensführung des Bieters anzusehen. Begründet wird dies damit, dass die Forderung an die Bieter, eine solche Erklärung abzugeben, „quasi formularmäßig“, d. h. ähnlich wie bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen, ohne eine spezifisch auftragsbezogene, konkretisierte Formulierung erfolge. Daher fehle es regelmäßig an einem Bezug zu dem jeweiligen konkreten Auftragsgegenstand, sodass § 128 Abs. 2 Satz 1 GWB tatbestandlich schwer zu begründen sei, zumal dieser ohnehin eng auszulegen sei.

Dem ist jedoch – mit der wohl herrschenden Ansicht – nicht zuzustimmen. Die vorausgesetzte Verbindung zum Auftragsgegenstand kann nicht aufgrund einer „formularmäßigen“ Verwendung von Musterklauseln generell ausgeschlossen werden, sondern ist für den Einzelfall konkret zu prüfen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass durch die Ergänzung in § 128 Abs. 2 GWB auch der Gesetzgeber ausdrücklich den „Schutz der Vertraulichkeit von Informationen“ als möglichen Belang, der in Form einer Ausführungsbedingung gefordert werden kann, vorgesehen und entsprechend regelbeispielhaft in § 128 Abs. 2 Satz 3 GWB genannt hat. Die Ergänzung greift insoweit auch die oben genannte Rechtsprechung des OLG Düsseldorf im Beschluss vom 21.10.2015 (Verg 28/14) auf bzw. korrespondiert mit den dortigen Ausführungen. Das OLG Düsseldorf betonte hier explizit, dass die Forderung als Ausführungsbedingung zulässig ist, sofern ein anerkennenswerter und durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigter sachlicher Grund, wie der Schutz sensibler, für den Schutz des Staates relevanter Daten vom Auftraggeber benannt wird. Mit der Ausfertigung des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes und der damit einhergehenden Einführung eines Regelbeispiels zum Schutz vertraulicher Informationen in § 128 Abs. 2 Satz 3 GWB hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zur Zulässigkeit der „No Spy“-Erklärungen in Form der Ausführungsbedingung bestätigt und damit der vorstehend genannten kritischen Ansicht eine Ablehnung erteilt. Insofern dürfte die Diskussion mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen deutlich leiser geworden sein

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II. Auswirkungen aktueller datenschutzrechtlicher Entwicklungen auf die Forderung von „No Spy“-Garantien durch öffentliche Auftraggeber?

Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen im Datenschutzrecht, unter anderem durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Schrems“ (C-131/12), mit der das „Safe-Harbor“-Abkommen inzident für ungültig erklärt wurde und daher nun die Verhandlungen der EU-Kommission mit den Regierungsbehörden der USA zum „EU-US-Datenschutzschild“ (engl. „EU-US Privacy Shield“) erforderlich wurden, stellt sich die Frage, ob sich daraus Folgen für die Verwendung von „No Spy“-Garantien durch öffentliche Auftraggeber ergeben.

1. EuGH-Urteil „Schrems“ vom 6. Oktober 2015

In der Rechtssache „Schrems“ urteilte der EuGH über eine Vorlagefrage des Irischen High Court. Der österreichische Staatsangehörige Maximilian Schrems hatte in erster Instanz bei der irischen Datenschutzbehörde Beschwerde gegen die Übermittlung seiner personenbezogenen Daten durch eine irische Tochtergesellschaft von Facebook an den, in den USA befindliche Server des Facebook Mutterkonzerns (Facebook Inc.), eingelegt. Die Datenschutzbehörde hatte die Beschwerde mit der Begründung zurückgewiesen, dass es keine Beweise für den Zugriff der NSA auf die personenbezogenen Daten gebe. Die EU-Kommission habe mit der „Safe Harbor“-Entscheidung bereits festgestellt, dass in den USA ein angemessenes Datenschutzniveau bestehe, sodass die irische Datenschutzbehörde nicht zur Prüfung der Vereinbarkeit des US-Datenschutzniveaus mit Art. 7 und Art. 8 der Europäischen Grundrechtecharta befugt sei. Gegen die Entscheidung der Datenschutzbehörde erhob Maximilian Schrems Klage beim Irischen High Court. Dieser setzte das Verfahren aus und legte die Sache dem EuGH vor.

Im Rahmen der Vorlagefragen prüfte der EuGH auch die Vereinbarkeit des „Safe Harbor“-Beschlusses der EU-Kommission mit Art. 7, 8 und 47 der Europäischen Grundrechtecharta (Recht auf Achtung des Privatlebens und des Schutzes der eigenen personenbezogenen Daten sowie auf effektiven Rechtsschutz) und erklärte den „Safe Harbor“-Beschluss inzident für ungültig. Denn der massenhafte und undifferenzierte Zugriff auf die in die USA übermittelten personenbezogenen Daten durch den US-Geheimdienst verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dies entspricht den Grundsätzen, die der EuGH bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung „Digital Rights Ireland“ (C-293/12) entwickelt hat. Der EuGH hob besonders kritisch die fehlenden Rechtsschutzmöglichkeiten gegen staatliche Eingriffe in das Recht des Schutzes der eigenen personenbezogenen Daten hervor und rügte, dass die EU-Kommission im „Safe-Harbor“-Beschluss keinerlei Nachweise zur Feststellung eines angemessenen US-amerikanischen Datenschutzniveaus erbringe. Die Kommission habe nach Ansicht des EuGH darüber hinaus keine Kompetenz, die Befugnisse der nationalen Datenschutzbehörden in dieser Weise zu beschränken.

2. Aktuelle Rechtsentwicklungen zum Schutz der Daten

Nachdem der EuGH den „Safe Harbor“-Beschluss für unwirksam erklärt hat, wurden zahlreiche Datenübertragungen in die USA rechtswidrig. Die Datenschutzbehörden kündigten an, nach einer Übergangszeit bis Ende Januar 2016 gegen den rechtswidrigen Datentransfer vorzugehen. Kurz vor Ablauf dieser Frist verkündete die EU-Kommission, dass es zu einer Einigung mit der US-Regierung gekommen sei und die USA in dem sogenannten „EU-US Privacy Shield“ erhebliche Zugeständnisse gemacht hätten. Am 29. Februar 2016 legte die EU-Kommission den Entwurf eines Angemessenheitsbeschlusses vor, der vorsieht, dass ein angemessenes Datenschutzniveau bestehe, wenn Unternehmen aus den USA die Grundsätze des „Privacy Shields“ einhalten.

Die sog. „Artikel 29-Gruppe“, in der die Datenschutzbehörden der EU-Mitgliedsstaaten vertreten sind, hat sich bislang kritisch zu dem Beschlussentwurf geäußert. Es wird jedoch damit gerechnet, dass bestimmte Vorbehalte noch ausgeräumt werden können. Nach Ankündigung der EU-Kommission soll der Beschluss verabschiedet werden, sobald die EU-Mitgliedsstaaten in der sog. „Artikel 31-Gruppe“ zugestimmt haben.

VI. Fazit – No-Spy-Klauseln bleiben weiterhin erforderlich!

Im Rahmen der aktuellen Diskussion hat das für viel Aufsehen erregende Urteil des EuGH in Sachen „Schrems“ die besondere Bedeutung des Datenschutzes nochmals betont und erneut in das Bewusstsein der EU Mitgliedstaaten gebracht. Das Urteil bewirkte mit dem sog. „Privacy Shield“ auch den Versuch einer neuen Einigung mit den USA über ein angemessenes Datenschutzniveau, das derzeit im Rahmen des Angemessenheitsbeschlusses überprüft wird.

Trotz dieser Maßnahmen zeigt sich dennoch, dass „No Spy“-Garantien auch in Zukunft nicht obsolet sein werden. Auch der neu verhandelte „Privacy Shield“ wird die Notwendigkeit der Verwendung von „No Spy“-Klauseln bei der Vergabe öffentlicher Aufträge mit Sicherheitsrelevanz nicht ersetzen. Gerade auch im Hinblick auf die aktuellen Bedrohungen durch Terrorismus und die steigende Angst vor neuen Anschlägen, dürfte das erhöhte Sicherheitsinteresse gegenüber dem generellen Interesse am Datenschutz mehr in den Fokus rücken und die Spionagetätigkeit vieler Staaten eher zu- als abnehmen. Die Kluft zwischen dem Ziel eines grenzüberschreitenden und diskriminierungsfreien einheitlichen öffentlichen Beschaffungswesens auf europäischer und internationaler Ebene auf der einen Seite und der Wunsch nach Datenschutz und Gewährleistung eines unbedenklichen Umgangs mit vertraulichen Daten auf der anderen Seite, dürfte vor diesem Hintergrund nicht zusammenwachsen, sondern sich eher verhärten. Insofern besteht weiterhin das Bedürfnis öffentlicher Auftraggeber nach einer Absicherung gegen ausländische Spionagetätigkeiten. Ob die Forderung von „No Spy“-Erklärungen diese tatsächlich unterbinden kann, wird letztendlich nur die Praxis zeigen. Dennoch muss dem Auftraggeber die Möglichkeit eröffnet bleiben, bei Vergabeverfahren mit einer möglichen Sicherheitsrelevanz entsprechende Anforderungen an die Bieter zu definieren.

Die Forderung von „No Spy“-Klauseln ist nach der Rechtsprechung und der neu erlassenen Gesetzgebung als Ausführungsbedingungen i. S. d. § 128 Abs. 2 GWB zulässig und deren Anwendung in der Praxis weiterhin notwendig. Bieter mit Auslandsbezug müssen sich folglich mit organisatorischen Maßnahmen auseinandersetzen, um eine erfolgreiche Teilnahme an Vergabeverfahren im Bereich der Verteidigung und Sicherheit sicherzustellen. Denn wie das OLG Düsseldorf zutreffend in seinem Beschluss vom 21.10.2015 (Verg 28/14) ausführte, ist der öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtet, seine Ausschreibungen auf jeden potentiellen Bieter zuzuschneiden.

Anmerkung der Redaktion
Der Beitrag folgt dem Vortrag der Autorin im Rahmen des 1. IT Vergabetag am 28. April 2016 in Berlin.Eine Zusammenfassung des 1. IT Vergabetags finden Sie im Blog, .

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Auftraggeber durfte zulässigerweise einen schwimmfähigen Bagger verlangen (VK Bund, Beschl. v. 09.02.2016 – VK 1 – 130/15)

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BauleistungenRecht

EntscheidungZur Abgrenzung von Hauptangeboten und Nebenangeboten sowie zum Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers. Weicht ein Angebot von einer technischen Spezifikation ab, kann es sich gleichwohl um ein zulässiges Hauptangebot handeln, wenn es mit dem geforderten Schutzniveau in Bezug auf Sicherheit, Gesundheit und Gebrauchstauglichkeit gleichwertig ist.

§ 7 EG Abs. 8 VOB/A 2012, § 13 EG Abs. 2 Satz 1 VOB/A 2012

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb europaweit Bodenverdichtungsmaßnahmen im Uferbereich eines Sees aus (sog. wasserseitige Rütteldruckverdichtungsarbeiten). Im Uferbereich dieses Sees war es zuvor zu Böschungsabbrüchen gekommen. Es sollten daher zwingend schwimmende Amphibienbagger zum Einsatz kommen, damit die Verdichtungsarbeiten schwimmend aus dem Wasser heraus durchgeführt werden konnten. Zum Nachweis der Schwimmfähigkeit der einzusetzenden amphibischen Bagger mussten die Bieter eine Schiffszulassung vorlegen. Dadurch sollte sichergestellt werden, dass bei Böschungsabbrüchen während des Betriebs keine Gefahr für den Bagger besteht. Nebenangebote waren nicht zugelassen.

Der bestplatzierte Bieter hatte lediglich ein Angebot für den Einsatz eines nicht schwimmenden Baggers eingereicht, für den entsprechend auch keine Schiffzulassung bestand. Sein Angebot sollte daher ausgeschlossen werden. Gegen diesen Ausschluss hat der Bieter sich gewehrt und u.a. argumentiert, dass ein Schwimmbagger nur von einem einzigen Unternehmen angeboten werden könne und mit der Leistungsbeschreibung daher der Wettbewerb unzulässig eingeschränkt worden sei. Ein Abrutschen des von ihm angebotenen Baggers sei außerdem praktisch ausgeschlossen, weil er zuvor den Boden im Uferbereich so verdichten werde, dass eine Art Damm entstehe. Sein Angebot sei daher jedenfalls gleichwertig.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer hat den Angebotsausschluss als rechtmäßig angesehen. Unklar war allerdings, ob das Angebot des auszuschließenden Bieters als Nebenangebot oder als Hauptangebot zu qualifizieren war. Wäre es als Nebenangebot zu qualifizieren, wäre es sicher auszuschließen gewesen, da Nebenangebote nicht zugelassen waren.

Die Vergabekammer hat aber erwogen, ob das Erfordernis einer Schiffszulassung eine technische Spezifikation im Sinne von § 7 EG Abs. 8 VOB/A 2012 darstellte. Wäre das der Fall, wäre die Abweichung nach § 13 EG Abs. 2 VOB/A 2012 zulässig, wenn sie mit dem geforderten Schutzniveau in Bezug auf Sicherheit, Gesundheit und Gebrauchstauglichkeit gleichwertig ist. Ein solches Angebot wäre dann ein zulässiges Hauptangebot, da die Abweichung von technischen Spezifikationen per se vergaberechtlich zulässig sei. Die Vergabekammer kam aber zu dem Ergebnis, dass jedenfalls die notwendige Gleichwertigkeit nicht gegeben sei. Denn im Fall eines Abrutschens des nicht schwimmfähigen Baggers verbleibe ein Sicherheitsrisiko für Gerät und Bedienpersonal. Die Forderung einer Schiffszulassung sei auch nicht unzulässig gewesen, sondern bewege sich innerhalb des Bestimmungsrechts des Auftraggebers. Bei der Erteilung einer Schiffszulassung werde zwar nicht die Situation eines Geländeabrutschens geprüft. Es stelle aber gleichwohl einen nachvollziehbaren objektiven und auftragsbezogenen Grund dar, wenn der Auftraggeber mit der Schiffszulassung, die ja immerhin die Schwimmfähigkeit gewährleiste, zumindest eine gewisse Risikoverringerung erreichen wolle.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung zeigt anschaulich, wie viel Freiheit den Auftraggebern bei der Festlegung der Leistungsbeschreibung mittlerweile zugebilligt wird. Hat ein Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe für eine bestimmte Anforderung an die Leistung, so ist eine damit einhergehende Beschränkung der Anbieter hinzunehmen, auch wenn diese so weit geht, dass im Ergebnis nur ein Hersteller in der Lage ist, die Anforderungen zu erfüllen.

Relevant ist die Entscheidung aber vor allem deshalb, weil sie zeigt, wie wichtig die Abgrenzung von Hauptangeboten und Nebenangeboten in der Praxis sein kann. Die Abweichung von technischen Spezifikationen führt nicht zwangsläufig zum Vorliegen eines Nebenangebots. Bieter können vielmehr grundsätzlich von technischen Spezifikationen abweichen, soweit die angebotene Leistung mit dem geforderten Schutzniveau in Bezug auf Sicherheit, Gesundheit und Gebrauchstauglichkeit gleichwertig ist (§ 13 EG Abs. 2 VOB/A 2012). Nur wenn diese Gleichwertigkeit nicht besteht, liegt begrifflich ein Nebenangebot vor.

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Praxistipp

Auftraggeber sollten sich noch einmal vergegenwärtigen, was unter technischen Spezifikationen zu verstehen ist. Die neue VOB/A 2016 listet diese in ihrem Anhang TS auf. Es spricht einiges dafür, dass das Erfordernis einer Schiffzulassung hier tatsächlich eine technische Spezifikation darstellte. Will ein Bieter von einer technischen Spezifikation abweichen, muss er in seinem Angebot nachweisen, dass seine Leistung mit dem geforderten Schutzniveau in Bezug auf Sicherheit, Gesundheit und Gebrauchstauglichkeit gleichwertig ist. Er muss seinem Angebot also mindestens entsprechende Unterlagen beilegen, aus denen sich die Gleichwertigkeit ergibt.

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Erstattungsanspruch verjährt in drei Jahren ab Schlussrechnungszahlung (OLG Koblenz, Beschl. v. 06.02.2014 – 2 U 1116/12, BGH, 06.04.2016 – VII ZR 45/14 – NZB zurückgewiesen)

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Recht

EntscheidungDie Entscheidung des OLG Koblenz ist zwar nicht so aktuell wie vom Vergabeblog gewohnt, hat aber durch die zurückgewiesene Nichtzulassungsbeschwerde des BGH vom 06.04.2016 wieder an Aktualität gewonnen. Insgesamt handelt es sich um ein wichtiges und wegweisendes Urteil, das bisher nicht die Aufmerksamkeit gefunden hat, die es verdient.

Auch Rückforderungen aufgrund Feststellungen der Preisprüfung verjähren gemäß § 195 BGB nach drei Jahren zum Jahresende. Aber setzt die genannte Verjährung in Einzelfällen möglicherweise schon vor bzw. unabhängig von der Feststellung der Preisprüfung ein? Wie sind in diesem Zusammenhang die teilweise sehr langen Zeiträume bis zur tatsächlichen Durchführung von Preisprüfungen und dem Vorliegen des Preisprüfungsberichtes zu bewerten?

Die Entscheidung

Mit diesen Fragen hat sich das OLG Koblenz mit Beschluss vom 06.02.2014 – 2 U 1116/12 beschäftigt. Der verhandelte Fall war ein in 1998 geschlossener Vertrag zum Selbstkostenerstattungspreis – die Preisprüfung des hier relevanten Unterauftrages wurde 2008 – also 10 Jahre danach abgeschlossen. In 2011 erhob der Auftraggeber Klage auf Rückzahlung.

Das Gericht stellt fest, dass Feststellungen der Preisprüfung als innerbehördliche Stellungnahme zu sehen sind und die Verjährung unter Umständen – wie in dem verhandelten Fall – bereits vor dem Zugang des Prüfungsberichtes beginnt.

Die Leitsätze aus dem Beschluss des OLG Koblenz lauten:

  1. Ein Anspruch des Auftraggebers auf Erstattung einer Überzahlung entsteht mit vollständiger Zahlung, wenn die Leistungen zu diesem Zeitpunkt komplett erbracht und unter Vorlage der entsprechenden Nachweise abgerechnet waren.
  2. Ein öffentlicher Auftraggeber muss sich die Fachkenntnisse der von ihm eingeschalteten Prüfbehörde zurechnen lassen. Daraus folgt, dass er so zu behandeln ist, als sei er aufgrund der ihm überlassenen bzw. auf entsprechende Anforderung hin zur Verfügung gestellten Unterlagen zur Preisprüfung so, wie dann von den Preisprüfungsbehörden auch tatsächlich erfolgt, imstande gewesen.
  3. Eine durch die Prüfungsbehörde verursachte unangemessene Verzögerungen der Preisprüfung muss sich der öffentliche Auftraggeber ebenfalls zurechnen lassen.

Entscheidend und interessant sind vor allem folgende Urteilsauszüge:

„(es) … standen der Klägerin … sämtliche relevanten Informationen bereits im Jahr 1998 zur Verfügung oder hätten ihr jedenfalls innerhalb einer angemessenen Prüfungsfrist – sei diese orientiert an der Dauer der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB oder aber an der 5-Jahresfrist nach § 9 Abs. 1 VO PR Nr. 30/53 – ohne grob fahrlässige Versäumnisse und Verzögerungen zur Verfügung stehen können und müssen.“

Diese grob fahrlässigen Versäumnisse und Verzögerungen wurden hier gesehen. Hier geht das Gericht auch auf die Aufbewahrungsfrist des § 9 Abs. 1 VO PR Nr. 30/53 ein, nach der Unterlagen für eine Preisprüfung mindestens 5 Jahre aufzubewahren sind, und nennt diese Frist richtigerweise nicht Verjährungsfrist, stellt aber hierzu fest:

„Gleichwohl liegt hierin aber ein gewichtiges Indiz für eine faktische Beschränkung (Ebisch/Gottschalk, § 9 Rn. 117). Nach Ablauf dieser Frist liegt es nahe, dass die Preisprüfung auf kaum noch zu überwindende praktische Schwierigkeiten stoßen dürfte (vgl. Ebisch/Gottschalk, wie vor). Genau diese Gefahr hat sich im vorliegenden Fall auch realisiert, als zum Zeitpunkt der Prüfung durch die Regierung von … bei dem Subunternehmer … nicht mehr alle Nachweisunterlagen vorhanden waren.“

Die genannte Aufbewahrungsfrist erfährt damit m.E. über den konkreten Fall hinaus auch eine generelle Aufwertung für vergleichbare Fälle.

Abschließend stellt das OLG Koblenz noch fest:

„Selbst wenn man mithin den Verjährungsbeginn nicht bereits mit Ablauf des Jahres 1998 annehmen wollte, sondern erst unter Hinzurechnung einer angemessenen Prüffrist (vgl. insoweit Staudinger-Peters/Jacoby, BGB, Neubearbeitung 2009, § 199 Rn. 77) – orientiert an den vorgenannten Zeiträumen – war die erst im Jahr 2011 erhobene Klage damit gleichwohl nicht geeignet, die zu diesem Zeitpunkt in jedem Fall bereits eingetretene Verjährung noch zu hemmen.“

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Auswirkungen der Entscheidung

Ich sehe durch dieses Urteil zwar eine gewisse Stärkung der Position des Auftragnehmers – im Endeffekt kommt es aber immer auf den speziellen Einzelfall und dessen Umstände an. Hier haben wir aber meiner festen Überzeugung nach ein Thema (nämlich eine eventuelle Verjährung für Preisprüfungen), die erst nach der Mindestaufbewahrungsfrist stattfindet. Dies sollte bei einer möglichen Novellierung des Preisrechts Berücksichtigung finden.

The post Erstattungsanspruch verjährt in drei Jahren ab Schlussrechnungszahlung (OLG Koblenz, Beschl. v. 06.02.2014 – 2 U 1116/12, BGH, 06.04.2016 – VII ZR 45/14 – NZB zurückgewiesen) appeared first on Vergabeblog.

Kann der Auftraggeber grundsätzlich eine Zertifizierung als Eignungsanforderung verlangen? Welche Anforderungen bei Abgabe von Eigenerklärungen? (VK Sachsen, Beschl. v. 15.03.2016 – 1/SVK/045-15)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungEine Zertifizierung kann auch dann verlangt werden, wenn diese gesetzlich für die Auftragsausführung nicht vorgeschrieben ist. Geringfügige Unrichtigkeiten in Eigenerklärungen können u.U. bereits einen Ausschluss aus dem Vergabeverfahren rechtfertigen.

Nach den vergaberechtlichen Bestimmungen (früher: § 7 EG Abs. 1 S. 1 VOL/A; seit dem Inkrafttreten des neuen Vergaberechts am 18.04.2016: § 122 Abs. 4 GWB) dürfen von den Bietern nur solche Eignungsnachweise gefordert werden, die durch den Gegenstand des Auftrages gerechtfertigt sind. Für den Betrieb einer abfallrechtlichen Müllumladestation ist eine Zertifizierung nach der Entsorgungsfachbetriebsverordnung durch den Gegenstand des Auftrages gerechtfertigt, selbst dann wenn die ausgeschriebenen Leistungen als solche ohne Zertifizierung erbracht werden dürfen. Im Hinblick auf den Vorrang von Eigenerklärungen (früher in § 7 EG Abs. 1 Satz 2 VOL/A, seit dem 18.04.2016 in § 48 Abs. 2 Satz 1 VgV geregelt) kann von den Bietern als Gegengewicht zur Minimierung des Nachweisaufwands eine erhöhte Sorgfaltspflicht bei der Abgabe von Eigenerklärungen verlangt werden.

§§ 6 EG Abs. 6e, 7 EG Abs. 6 S. 2, 9 EG Abs. 4, 19 EG Abs. 3, 5 VOL/A 2009; §§ 22, 56 KrWG (seit dem 18.04.2016 u.a. §§ 122 Abs. 4 GWB, 33 Abs. 1 VgV, 48 Abs. 2 S. 1 VgV)

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb die Vergabe des Auftrages Dienstleistungen im Zusammenhang mit Siedlungs- und anderen Abfällen europaweit im offenen Verfahren aus. Gegenstand des ausgeschriebenen Auftrages war im Wesentlichen die Übernahme der angelieferten Abfälle. Hinzu kam die Gestellung einer Umladestation mit geeichter Lkw-Waage einschließlich geeigneter Arbeitsplätze für zwei Mitarbeiter des Auftraggebers sowie die Beladung von Transporteinheiten und schließlich die Bereitstellung von Stellflächen für Container für Abfälle. Weiter ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Vergabebekanntmachung und den Vergabeunterlagen, dass auch das zeitweilige Lagern von gefährlichen und nicht gefährlichen Abfällen für die vorgesehene Umladestelle mit zum Leistungsgegenstand gehört, jedenfalls soweit der umzuladende Abfall nicht taggleich zur Entsorgung verbracht werden kann. Die zu erbringenden abfallrechtlich relevanten Tätigkeiten (Abfallübernahme, Abfalllagerung, Abfallumladung) prägten damit das Gesamtbild der geschuldeten Leistungen.

Zum Nachweis der Eignung verlangte der Auftraggeber zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe das Vorliegen einer gültigen Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb nach § 56 KrWG für den vorgesehenen Standort der Umladestelle. Über das Vorliegen eines solchen Zertifikats durften die Bieter zunächst eine Eigenerklärung abgeben. Der Auftraggeber hat sich vorbehalten, später im Verfahren den Nachweis des tatsächlichen Vorliegens des Zertifikats von den Bietern zu fordern. Die Antragstellerin legte eine entsprechende Eigenerklärung vor. Später stellte sich heraus, dass sie über die geforderte Zertifizierung nicht verfügte. Der Auftraggeber schloss die Antragstellerin daraufhin vom Verfahren aus. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Das Angebot der Antragstellerin ist vom Auftraggeber zu Recht gemäß § 19 EG Abs. 3 lit. a) VOL/A i.V.m. § 19 EG Abs. 5 VOL/A von der Angebotswertung ausgeschlossen worden.

Voraussetzung eines etwaigen Ausschlusses eines Angebotes ist, dass der Auftraggeber die Nachweise wirksam gefordert hat. In formeller Hinsicht hat ein Auftraggeber Nachweise nur dann wirksam gefordert, wenn er sie bereits in der Vergabebekanntmachung angegeben und in einer abschließenden Liste in den Vergabeunterlagen aufgeführt hat. Dabei ist der öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtet, sämtliche Einzelheiten, z.B. seiner Nachweisforderungen, schon in der Bekanntmachung anzugeben. Für ein transparentes Vergabeverfahren und die Wahrung der Gleichbehandlung aller Bieter reicht es vielmehr aus, wenn der Auftraggeber in der Vergabebekanntmachung angibt, welche Nachweise er von den Bietern fordert. Ein darüber hinausgehender Inhalt der Vergabebekanntmachung, insbesondere die Auflistung und Konkretisierung von Nachweisen mit weiteren Einzelheiten, muss nicht in der Bekanntmachung, sondern kann in den Vertragsunterlagen erfolgen (so auch OLG Celle, Beschluss vom 24.04.2014 Az. 13 Verg 2/14). Dem Erfordernis einer ordnungsgemäßen Bekanntgabe des Zertifizierungsnachweises war der Auftraggeber nachgekommen.

Entscheidend war daher vorliegend, ob von den Bietern der Eignungsnachweis in Gestalt einer Zertifizierung verlangt werden durfte, obgleich eine solche gesetzlich für die Ausführung des Auftrags nicht benötigt wird. Richtig ist, dass nach § 7 EG Abs. 1 S. 1 VOL/A von Bietern nur solche Eignungsnachweise gefordert werden dürfen, die durch den Gegenstand des Auftrages gerechtfertigt sind. Hinsichtlich der Frage, welche Angaben und Nachweise durch den Gegenstand des Auftrages gerechtfertigt sind und somit zur Eignungsprüfung verlangt werden können, steht dem Auftraggeber ein Ermessensspielraum zu. Dieser ist von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbar. Die Nachprüfung beschränkt sich auf die Kontrolle von Ermessensfehlern (beispielweise die Zugrundelegung eines unzutreffenden Sachverhalts, sachfremde Erwägungen oder Willkür). Entscheidend ist, ob aus verständiger Sicht des Auftraggebers ein berechtigtes Interesse hinsichtlich der verlangten Angaben und Nachweise besteht, sodass diese sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig erscheinen und den Bieterwettbewerb nicht unnötig einschränken (so auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 18.09.2015 Az. 11 Verg 9/15).

Bei Beurteilung der Sachbezogenheit und Angemessenheit der vorliegend geforderten Zertifizierung ist zu berücksichtigen, dass sich die ausgeschriebene Dienstleistung im sensiblen Bereich der Abfallentsorgung bewegt. Bei der Ausschreibung von umweltrelevanten Tätigkeiten ist der Auftraggeber nach Auffassung der Vergabekammer berechtigt, die Einhaltung bestimmter, umweltschützender Qualitätsstandards für die Tätigkeiten zu fordern. Die Forderung nach Einhaltung bestimmter Umweltkriterien stellt nur dann ein unzulässiges Kriterium dar, wenn dieses von den Bietern ganz allgemein unabhängig von der zu erbringenden Leistung verlangt wird. Zur Gewährleistung der vom Auftraggeber geforderten Qualitätsstandards ist beispielsweise eine Zertifizierung nach der Entsorgungsfachbetriebsverordnung sowohl geeignet, als auch erforderlich; auch wenn die ausgeschriebenen Leistungen als solche ohne Zertifizierung erbracht werden dürfte (im Ergebnis ebenso OLG Naumburg, Beschluss vom 02.08.2012 Az. 2 Verg 3/12). Aufgrund der Vielschichtigkeit der Leistung sind nach Auffassung der Vergabekammer die Eignungsanforderungen sowohl als sachgerecht und angemessen, als auch im engeren Sinne als verhältnismäßig anzusehen. Die Vergabekammer betont dabei, dass sie nicht verkennt, dass die organisatorischen, personellen und sachlichen Voraussetzungen für die Zertifizierung nach der Entsorgungsfachbetriebsverordnung hoch sind.

Rechtliche Würdigung

Im zu entscheidenden Einzelfall ist die Entscheidung der Vergabekammer nachvollziehbar und in Anbetracht der detaillierten Auseinandersetzung mit den Fragen des Einzelfalles auch richtig. Ohne dass die Vergabekammer dies explizit anspricht, ist die Forderung nach einer Zertifizierung im Bereich der Abfallentsorgung auch als eine Ausprägung des Leistungsbestimmungsrechts des Auftraggebers zu sehen. Denn dieser kann bestimmen, ob und welche Leistungen er ausschreibt und dabei auch festlegen, welches Eignungsniveau und welche Eignungsanforderungen er als angemessen und sachgerecht erachtet. Sofern hier keine Unverhältnismäßigkeit anzunehmen ist, können die aufgestellten Eignungsanforderungen mithin regelmäßig nicht in Frage gestellt werden. Diese Grundsätze haben auch nach dem Inkrafttreten der Vergaberechtsreform am 18.04.2016 weiterhin Bestand. In § 33 Abs. 1 VgV wird nunmehr sogar klarstellend geregelt, dass der Auftraggeber als Beleg dafür, dass eine Liefer- oder Dienstleistung bestimmten, in der Leistungsbeschreibung geforderten Merkmalen entspricht, die Vorlage von Bescheinigungen in Gestalt von Zertifizierungen (einer Konformitätsbewertungsstelle) verlangen darf.

In Anbetracht der mit der Vergaberechtsreform 2016 einhergehenden Stärkung des Instruments der Eigenerklärung, nicht zuletzt aufgrund der Zulässigkeit der Abgabe einer Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung (EEE) als vorläufiger Eignungsnachweis (§ 50 VgV), sollten Bietern sehr genau prüfen, welche Erklärungen sie in welcher Form abgeben. Die Vergabekammer betont dabei zu Recht, dass von den Bietern als Gegengewicht eine erhöhte Sorgfaltspflicht bei der Abgabe von Eigenerklärungen verlangt werden kann. Insoweit muss ein bedingter Vorsatz, d.h. eine leichtfertig ungenaue Abgabe oder die Abgabe einer Erklärung ins Blaue hinein genügen, um den Tatbestand des § 6 EG Abs. 6 lit. e) VOL/A (vorsätzlich unzutreffende Erklärung„) als erfüllt anzusehen. Einen identischen Tatbestand erhält das aktuelle Vergaberecht zwar nicht mehr. Unter den fakultativen Ausschlussgründen, deren Ausübung im Ermessen des Auftraggebers stehen, finden sich unter § 124 Abs. 1 Nr. 8 (schwerwiegende Täuschung„) und Nr. 9 lit. c) (fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Informationen übermittelt„) aber vergleichbare Regelungen. Ob sich diese eher strenge Sichtweise der Vergabekammer in der Praxis durchsetzen ist allerdings sehr zweifelhaft:

  • Erstens heißt es in der Verordnungsbegründung vom 20.01.2016 zu § 48 VgV, dass den Auftraggeber dann, wenn er Anhaltspunkte dafür hat, dass eine Eigenerklärung unzutreffend ist, eine Pflicht zur Aufklärung und gegebenenfalls zur Anforderung von weiteren Nachweisen trifft.
  • Zweitens wird eine solche Aufklärungspflicht in jüngster Zeit auch von den Nachprüfungsinstanzen, nicht zuletzt dem OLG Düsseldorf, betont (KG, Beschl. v. 07.08.2015 – Az. Verg 1/15; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.10.2015 – Az. Verg 35/15).
  • Drittens meint das OLG Düsseldorf in dem Beschluss vom 21.10.2015, dass der Begriff der Erklärungen oder Nachweise – gleichviel, ob er auftragsbezogene oder unternehmensbezogene Angaben, Willenserklärungen oder Wissensmitteilungen betrifft – nach dem Zweck der Norm denkbar weit“ zu verstehen ist. Falsche Erklärungen könnten mithin nachgefordert werden (müssen).
  • Viertens ermöglicht die neue Nachforderungsregelung in § 56 Abs. 2 VgV, dass auch fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen, insbesondere Eigenerklärungen, korrigiert werden dürfen, wenn der Auftraggeber dies zulässt.

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Praxistipp

Bevor Auftraggeber eine Zertifizierung verlangen, sollten sie sehr genau prüfen, welche Voraussetzungen für den Erhalt einer solchen Zertifizierung erfüllt werden müssen und ob der mit der Vergabemaßnahme angesprochene Markt hierüber in aller Regel verfügen dürfte. Des Weiteren sollte der Auftraggeber im zweiten Schritt prüfen, ob eine solche Zertifizierung tatsächlich geeignet ist, das Qualitätsniveau der Auftragsausführung sachlich gerechtfertigt anzuheben. Nur wenn beide vorstehenden Fragen zu bejahen sind, sollte der Auftraggeber den Eignungsnachweis in Gestalt einer Zertifizierung bzw. vorläufig in Gestalt einer entsprechenden Eigenerklärung verlangen. Anderenfalls sollte aus Gründen eines wirksamen Wettbewerbs darauf verzichtet werden.

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Wer die Leistung anders als angeboten ausführen möchte, wird ausgeschlossen (VK Nordbayern, Beschl. v. 31.03.2016 – 21.VK-3194-02/16)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungZu unzulässigen Abweichungen von Ausschreibungsbedingungen gibt es viele Entscheidungen. Doch was gilt bei beabsichtigten Abweichungen vom eigenen Angebot?

 

GWB §§ 101a, 101b, 107 Abs. 3; VOL/A 2009 § 7 EG Abs. 9, § 19 EG Abs. 5

Leitsatz

  1. (…)
  2. Hat ein Bieter zwar alle Erklärungen abgegeben und das Leistungsverzeichnis vollständig ausgefüllt, jedoch subjektiv die Absicht, die Ausführung der Leistung abweichend vom Angebot durchzuführen, fehlt diesem Bieter die notwendige Zuverlässigkeit
  3. Bedient sich ein Bieter der Fähigkeiten Dritter zur Leistungserbringung, so muss die VSt auch die Eignung der Dritten vor Zuschlagserteilung prüfen können. Hierzu kann sie mit dem Angebot zunächst die Angabe von Nachunternehmerleistungen fordern.
  4. Bei der Abgrenzung von Nachunternehmerleistungen und reinen Hilfsleistungen kommt es entscheidend darauf an, welche konkreten Leistungen nach dem ausgeschriebenen Vertrag im Einzelnen zu erbringen sind.

Sachverhalt

Bei der Ausschreibung von Verpflegungsleistungen im offenen Verfahren mussten die Bieter in einem Formblatt angeben, ob und ggf. welche Leistungen durch Unterauftragnehmer erbracht werden sollten. Ein Unternehmen stellte die angebotenen Getränke zwar selbst her, konnte sie mangels Fuhrpark aber nicht selbst ausliefern. Als es den Zuschlag erhalten sollte, leitete ein Konkurrent ein Nachprüfungsverfahren ein. Der Wettbewerber wusste nämlich, dass der ausgewählte Bestbieter nach Angebotsabgabe an einen Dritten als potentiellen Lieferanten herangetreten war und vermutete eine wahrheitswidrig unterbliebene Angabe dieses Subunternehmers im ausgewählten Angebot.

Die Entscheidung

Mit Erfolg! Der Bestbieter hatte tatsächlich nicht angegeben, dass die Belieferung durch Dritte erfolgen sollte. Da er subjektiv die Absicht hatte, die Leistung abweichend von seinem Angebot auszuführen, war er nach Ansicht der Vergabekammer Nordbayern nicht zuverlässig und damit auszuschließen. Richtigerweise hätte er das ausliefernde Unternehmen als Nachunternehmer angeben müssen. Der Vergabekammer zufolge ließ der Vertrag erkennen, dass es sich um eine Hauptleistungspflicht handelte. Sie verwies insbesondere darauf, dass verspätete Lieferungen zu einer Ablehnung der Ware berechtigten.

Rechtliche Würdigung

Eine zweifelhafte Entscheidung. Der seitens der Vergabekammer zitierte Beschluss des OLG München bezog sich auf ein von der Leistungsbeschreibung abweichendes Angebot (vgl. OLG München, Beschluss vom 15.11.2007, Az.: Verg 10/07). Auf den vorliegenden Fall dürfte das nicht unmittelbar übertragbar sein, denn den Ausführungen der Vergabekammer zufolge wich nicht das Angebot von der Leistungsbeschreibung ab, sondern die beabsichtigte Ausführung von der tatsächlich angebotenen Leistung. Die Sanktion von Vertragsverstößen ist aber eigentlich nicht Aufgabe des Vergaberechts.

Zwar können vorsätzlich unzutreffende Erklärungen in Bezug auf die Eignung gemäß § 7 EG Abs. 6 lit e VOL/A zum Ausschluss führen. Wenn der Bieter allerdings im vorliegenden Fall nicht erkannt hat, dass die Auslieferung als Nachunternehmerleistung einzuordnen war, fehlte der erforderliche Vorsatz. Die Einordnung als Nachunternehmer kann im Einzelfall schwierig sein (vgl. z.B. VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.07.2014, Az.: 1 VK 28/14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.10.2010, Verg 47/10 m.w.N). Im entschiedenen Fall bezogen sich die qualitativen Zuschlagskriterien zudem allein auf die Produkteigenschaften. Man hätte also diese Kenntnis wohl nicht so ohne Weiteres unterstellen können. Die Entscheidung enthält zu dieser Frage allerdings keine Aussage.

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Praxistipp

Auftraggeber sollten nicht darauf vertrauen, dass sich die Linie der Vergabekammer Nordbayern allgemein durchsetzt.  Das richtige Mittel, um eine hinreichende Eignung sicherzustellen, sind vorausschauend und transparent gestaltete Eignungskriterien. Ohnehin wäre nach dem neuen § 56 VgV bei einer offensichtlich unzutreffenden unternehmensbezogenen Angabe vor einem Ausschluss wohl vorrangig eine Nachforderung in Betracht zu ziehen. Bietern ist dennoch zu empfehlen, das Risiko eines Angebotsausschlusses durch rechtzeitige Fragen zu unklaren Anforderungen zu vermeiden.

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Nachfordern von Erklärungen und Nachweisen: Elektronische Signatur des Angebots darf nicht nachgefordert werden (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.04.2016 – VII-Verg 52/15)

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ITKRecht

EntscheidungKaum eine Thematik hat die Praxis öffentlicher Auftraggeber und die Rechtsprechung der Nachprüfungsinstanzen in den vergangenen Jahren so sehr bewegt, wie die Reichweite der rechtlich zulässigen Nachforderung fehlender Erklärungen und Nachweise. Das OLG Düsseldorf hat nunmehr festgestellt, dass eine auf einem Angebotsvordruck geforderte elektronische Signatur nicht nachforderungsfähig ist, wenn diese nicht entsprechend den Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers erfolgte. Allerdings kann eine Auslegung des Angebots ergeben, dass die geforderte Signatur nicht fehlt, sofern diese an anderer Stelle in den Angebotsunterlagen geleistet wurde (Beschl. v. 14.04.2016 VII Verg 52/15). Die VK Bund hatte erstinstanzlich noch entschieden, dass die elektronische Signatur nachgefordert werden kann (Beschl. v. 06.10.2015 VK 2-91/15).

VOL/A § 19 EG Abs. 2; VOL/A § 16 Abs. 2; BGB §§ 133, 157

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb im Rahmen eines europaweiten offenen Verfahrens IT-Leistungen aus. Das Vergabeverfahren wurde elektronisch durchgeführt. Das Dokument Angebotsvordruck forderte an einer genau bezeichneten Stelle ausdrücklich eine elektronische Signatur. Neben dem Angebotsvordruck, der alle relevanten Erklärungen der Bieter enthalten musste, waren noch ein Preisblatt und eine Erklärung über soziale Nachhaltigkeit abzugeben, die jedoch nicht unterzeichnet werden mussten. Ein Bieter leistete im Angebotsvordruck nicht die geforderte elektronische Signatur, übersendete jedoch mit Einreichung seines Angebots ein Anschreiben, das in der geforderten Weise elektronisch signiert war.

Die Entscheidung

Der Vergabesenat entschied, dass das Angebot nicht gemäß § 19 Abs. 3 lit. b) EG VOL/A zwingend von der Vergabe auszuschließen war. Nach dieser Vorschrift werden Angebote ausgeschlossen, die nicht unterschrieben bzw. nicht elektronisch signiert sind. Dabei ist die Vorschrift nicht nur dann einschlägig, wenn überhaupt keine Unterschrift bzw. Signatur vorhanden ist, sondern auch dann, wenn die geforderte Art der Signatur fehlt.

Das OLG Düsseldorf ist der Auffassung, dass nicht automatisch ein zwingender Ausschluss des Angebots gemäß § 19 Abs. 3 lit. b) EG VOL/A eintritt, sofern die geforderte Form für die Signatur fehlt. Vielmehr ist das Angebot nach allgemeinen, auch im Vergaberecht geltenden Grundsätzen gemäß §§ 133, 157 BGB auszulegen. Diese Auslegung ergibt vorliegend, dass die im Anschreiben enthaltene, ordnungsgemäß geleistete elektronische Signatur den gesamten Angebotsinhalt abdeckt, auch wenn die Signatur auf dem Angebotsvordruck nicht den Vorgaben des Auftraggebers entspricht.

Eine Nachforderung der fehlenden elektronischen Signatur war nach Ansicht des OLG Düsseldorf vergaberechtlich jedoch nicht zulässig. Die Möglichkeit, eine Unvollständigkeit im Angebot zu heilen, gilt nur für fehlende Erklärungen und Nachweise. Daraus folgt, dass zwar die fehlende Unterschrift unter einer dem Angebot beigefügten Erklärung, nicht aber die fehlende Unterschrift unter dem Angebot bzw. dem Angebotsschreiben selbst vom öffentlichen Auftraggeber nachgefordert werden kann.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des Vergabesenats ist diskussionswürdig, weil der Bieter die geforderte elektronische Signatur nicht an der ausdrücklich hierfür vorgesehenen Stelle geleistet hat. Eine Zurechnung der im Anschreiben erfolgten elektronischen Signatur lag nicht ohne weiteres nahe. Zum einen war ein Anschreiben nicht gefordert und zum anderen stellte dieses Anschreiben eine andere Datei dar. Hinzu kommt, dass die Formvorgaben des Auftraggebers nicht eingehalten wurden. Der Auftraggeber hatte unter der Androhung eines zwingenden Angebotsausschlusses eindeutig gefordert, dass der Angebotsvordruck elektronisch in der geforderten Weise signiert werden musste, weil dieser sämtliche angebotsrelevanten Erklärungen enthielt. Das OLG Düsseldorf hatte in seiner bisherigen Rechtsprechung in vergleichbaren Fallkonstellationen zu erkennen gegeben, dass die Zurechnung einer Unterschrift oder einer elektronischen Signatur, die nicht an der geforderten Stelle erbracht wurde, rechtlich nur dann zulässig ist, wenn die Formvorgaben des Auftraggebers widersprüchlich waren (vgl. z. B. Beschl. v. 01.10.2014 VII Verg 14/14).

Bemerkenswert ist außerdem, dass die Vergabekammer des Bundes im erstinstanzlichen Kammerverfahren noch entschieden hatte, dass die fehlende bzw. nicht ordnungsgemäß erfolgte elektronische Signatur vom Auftraggeber nachgefordert werden könne. Die Vergabekammer des Bundes argumentierte, dass sich der Anwendungsbereich des § 19 Abs. 3 lit. a) EG VOL/A und der Tatbestand des § 19 Abs. 3 lit. b) EG VOL/A teilweise überschneiden. Der erste Tatbestand betrifft die Konstellation des Angebotsausschlusses, sofern nicht die geforderten oder nachgeforderten Erklärungen enthalten sind, der zweite Tatbestand den Ausschluss wegen fehlender Angebotsunterschrift oder -signatur.

Dieser wenig überzeugenden Auslegung der Vergabekammer des Bundes erteilte das OLG Düsseldorf eine klare Absage. Nach Ansicht des Senats handelt es sich bei dem Angebotsvordruck nicht um eine Erklärung oder um einen Nachweis. Zudem waren dem Angebot sämtliche Erklärungen und Nachweise beigefügt. Diese Überlegungen des OLG Düsseldorf überzeugen. Wenn jedoch der Angebotsvordruck letztlich den gesamten Angebotsinhalt darstellte, hätte es nahe gelegen, das Angebot wegen der fehlenden ordnungsgemäßen elektronischen Signatur von der weiteren Angebotswertung auszuschließen. Schließlich stand somit fest, dass das Angebot insgesamt nicht ordnungsgemäß elektronisch signiert war. Die Zurechnung einer ordnungsgemäß geleisteten Unterschrift aus einer anderen Datei begegnet darüber hinaus vor dem Hintergrund von Manipulationsmöglichkeiten gewissen rechtlichen Bedenken (vgl. hierzu auch VK Südbayern, Beschl. v. 21.05.2015 Z3-3-3194-1-08-02/15).

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Praxistipp

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf ist auch mit Blick auf das am 18. April 2016 in Kraft getretene neue Vergaberecht bei Liefer- und Dienstleistungsvergaben von Bedeutung. Während § 19 Abs. 2 Satz 1 EG VOL/A auf das Fehlen einer Erklärung oder eines Nachweises abstellte, kann nach der nunmehr geltenden Vorschrift des § 56 Abs. 2 VgV der öffentliche Auftraggeber

den Bewerber oder Bieter unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung auffordern, fehlende, unvollständige oder fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen, insbesondere Eigenerklärungen, Angaben, Bescheinigungen oder sonstige Nachweise, nachzureichen, zu vervollständigen oder zu korrigieren oder fehlende oder unvollständige leistungsbezogene Unterlagen nachzureichen oder zu vervollständigen.

Der Wortlaut des § 56 Abs. 2 VgV spricht gegenüber der alten Fassung des § 19 Abs. 2 EG VOL/A für eine etwas weitere Auslegung. Es ist damit zu rechnen, dass die vergaberechtliche Rechtsprechung klären muss, inwieweit unvollständige oder fehlerhafte Unterlagen vervollständig oder korrigiert werden dürfen. Vor diesem Hintergrund bleibt die weitere Rechtsentwicklung abzuwarten.

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Vergabe- und Vertragshandbuch für die Baumaßnahmen des Bundes (VHB) aktualisiert

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BauleistungenRecht

UnbenanntDas VHB setzt die VOB Teile A und B um und schafft die Voraussetzung für eine einheitliche, rechtssichere Durchführung von Vergabeverfahren. Es wird als Arbeitsmittel für die vertragliche Abwicklung von Bauaufträgen genutzt. Mit der Umsetzung der Richtlinie 2014/24/EU in nationales Recht geht auch eine Änderung des VHB einher.

Für neue Verfahren wurden Formblätter erarbeitet und in die Systematik des VHB eingeordnet (Formblatt 114 „Aufforderung zur Interessensbestätigung“, Formblätter 651-657 für Rahmenverträge im oberschwelligen Baubereich).

Änderungen der Regelwerke führten darüber hinaus zur Anpassung zahlreicher Formblätter und Richtlinien, teilweise mit wesentlichen materiellen Änderungen. Hier seien als Beispiel das Formblatt und die Richtlinie 313 genannt, die wegen der Änderung des Ablaufs der Angebotsfrist sowie wegen des Wegfalls der Teilnahme von Bietern und/oder deren Bevollmächtigten am Öffnungstermin im Oberschwellenbereich eine weitere Änderung erfuhren.

Die Möglichkeit der Angebotsabgabe in Textform (Angebot kann ohne Signatur aber mit Nennung der Person des Erklärenden auf die Vergabeplattform hochgeladen werden) zieht sich durch viele Formblätter und führte auch zur entsprechenden Vereinfachung in Absageschreiben, Auftrag und dgl.

Änderungen der Begrifflichkeiten (z.B. die aus der Richtlinie 2024/14 EU übernommene Definition von Bieter und Bewerber in die Regelwerke) sowie die Änderungen von GWB, VgV und VOB/A führten zur Anpassung der Begriffe und von Paragrafenverweisen.

Die Formulare und die neuen Lesefassungen finden Sie nachfolgend auf dem Server der Fachinformation Bundesbau (FIB) zum kostenlosen Download:

Quelle: FIB – Fachinformation Bundesbau

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Sozialplanaufwendungen preisrechtlich nicht als Kosten anerkannt (BGH, Beschl. v. 05.11.2015 – III ZR 41/15)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungEs ist tatsächlich eine Premiere: Zum ersten Mal hat die Rechtsprechung darüber entschieden, ob Abfindungen aufgrund eines Sozialplans preisrechtlich den Kosten oder dem allgemeinen Unternehmerwagnis zuzurechnen sind.

 

Leitsätze

  1. Auf der Grundlage eines Sozialplans gezahlte Abfindungen sind erstattungsfähige Selbstkosten im Sinne von § 8 der Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen in Verbindung mit Nummer 25 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 2 Buchst. b der Leitsätze für die Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten, wenn sie als Teil des normalen Betriebsgeschehens der Leistungserstellung zugeordnet werden können, betriebs- und branchenüblich sind und dem Grundsatz wirtschaftlicher Betriebsführung entsprechen.
  2. Abfindungszahlungen, welche die Existenz des Unternehmens als Ganzes berühren (hier: Stilllegung eines Tanklagers der Bundeswehr nach Kündigung des Bewirtschaftungsvertrags), sind grundsätzlich nicht dem normalen Betriebsgeschehen zuzurechnen und gehören zum allgemeinen Unternehmerwagnis, das mit dem kalkulatorischen Gewinn abgegolten wird.
  3. Vereinbaren die Parteien im Rahmen eines Selbstkostenerstattungsvertrags nach § 7 der Verordnung Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen, dass der endgültige Selbstkostenerstattungspreis durch die zuständige Preisüberwachungsstelle festgelegt wird, liegt regelmäßig eine Schiedsgutachtenabrede im engeren Sinn vor, auf die die §§ 317 bis 319 BGB entsprechend anzuwenden sind.
  4. Eine Schiedsgutachtenabrede im engeren Sinn bestimmt in der Regel die Leistungszeit gemäß § 271 Abs. 1 BGB dahingehend, dass die Fälligkeit der Vergütungsforderung bis zur Vorlage des Gutachtens (hier: bis zur Entscheidung der Preisüberwachungsstelle) aufge​schoben wird. Eine dennoch erhobene Klage ist als verfrüht („derzeit unbegründet“) abzuweisen (Fortführung des Senatsurteils vom 4. Juli 2013, III ZR 52/12, NJW RR 2014, 492).

Sachverhalt

Der verhandelte Fall betraf einen öffentlichen Auftrag zur Durchführung eines Tanklagerbetriebs und die Sicherung dieses Tanklagers durch einen Werkschutz. Zu diesem Zweck wurde das gesamte Tanklager nebst dazugehörigen Betriebsgebäuden und -einrichtungen dem Auftragnehmer zum Besitz überlassen. Dieser öffentliche Auftrag wurde durch Kündigung des Auftraggebers beendet – der Auftragnehmer klagte auf Erstattung der Kosten, die im Zusammenhang mit der Schließung des Tanklagers entstanden sind. Dabei handelte es sich vorwiegend um Sozialplanabfindungen für das entlassene Personal.

Zu klären war, ob die Kündigung des Auftrages ursächlich für eine Teilbetriebsschließung und die Entlassung des Personals oder ob diese Maßnahme dem allgemeinen Unternehmerwagnis zuzurechnen war.

Die Entscheidung

Das Gericht entschied, dass die gezahlten Abfindungsaufwendungen keine nach der vertraglichen Grundlage in Verbindung mit Nummer 25 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 2 Buchst. b LSP erstattungsfähige Selbstkosten darstellen und als allgemeines Unternehmerwagnis mit dem kalkulatorischen Gewinn abgegolten sind.

Abfindungskosten würden nur anerkannt werden, wenn sie als „zusätzliche Sozialaufwendungen“ im Sinne von § 8 VO PR Nr. 30/53 in Verbindung mit Nummer 25 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 2 Buchst. b LSP angesehen werden können. Entscheidend dabei ist, dass sie bei wirtschaftlicher Betriebsführung „zur Erstellung der Leistungen“ entstehen, also dem Produkt oder der Dienstleistung des Auftragnehmers direkt zurechenbar sowie nach Art und Höhe „betriebs- oder branchenüblich sind und dem Grundsatz wirtschaftlicher Betriebsführung entsprechen (vgl. Ebisch/Gottschalk/ Hoffjan/Müller/Waldmann, Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen, 8. Aufl.,  Nr. 25 LSP Rn. 1, 6)“.

Da nach Auffassung des Gerichts „ein direkter Zusammenhang zwischen einer einzelnen Leistung und Abfindungszahlungen grundsätzlich nicht gegeben ist, kommt eine preisrechtliche Anerkennung von Abfindungen regelmäßig nur in Betracht, wenn sie Teil des normalen Betriebsgeschehens sind.“ Für die Sozialplanaufwendungen hat der BGH diesen direkten Zusammenhang nicht anerkannt – weder unmittelbar noch mittelbar.

Auch der Sonderfall von anerkannten Abbauaufwendungen, die Kostencharakter haben (Ebisch/Gottschalk aaO Nr. 25 LSP Rn. 44; Michaelis/ Rhösa, Preisbildung bei öffentlichen Aufträgen, 102. Aktualisierung, Dezember 2014, Leitsätze Nr. 25 S. 13) wurde hier nicht gesehen. Dieser Sonderfall steht für öffentliche Aufträge, die dem Auftragnehmer den Aufbau einer speziellen Betriebsstätte vorschreiben, die nach Vertragsende von ihm wieder abgebaut werden muss.

Dazu der folgende Urteilsauszug:

„Die Klägerin hat lediglich die Bewirtschaftung und Unterhaltung der seit Jahrzehnten bestehenden Betriebsstätte übernommen. Der preisrechtliche Gedanke, dass der Auftraggeber auch für die Kosten des Personalabbaus aufkommen soll, wenn er den Auftragnehmer zum Aufbau einer vorübergehenden Betriebsstätte veranlasst hat, trifft deshalb nicht zu.“

Zum Abschluss der Argumentationskette hat das Gericht festgestellt:

„Die Abfindungsaufwendungen der Klägerin sind vielmehr dem allgemeinen Unternehmerwagnis (Nr. 47 Abs. 2 LSP) zuzurechnen und daher mit dem kalkulatorischen Gewinn abgegolten (Nr. 48 Abs. 1 und Nr. 51 Buchst. a LSP), wobei es nicht darauf ankommt, ob der von der Klägerin tatsächlich erzielte Gewinn zur Abdeckung der Abfindungszahlungen ausreicht.“

Die Klage des Auftragnehmers wurde abgewiesen. Das Urteil zum Nachlesen finden Sie hier.

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Praxishinweis

Auch wenn dieses Urteil auf zusätzlicher Basis der vorhandenen vertraglichen Situation zustande kam, hat es doch mit seinen grundsätzlichen Aussagen über die preisrechtliche Anerkennung von Abfindungskosten Grundsatzcharakter.

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Anforderungen an die Formulierung von Zuschlagskriterien bei Verfahren außerhalb des GWB (OLG Celle, Urt. v. 23.02.2016 – 13 U 148/15)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungAuch bei Vergaben außerhalb des Anwendungsbereichs des 4. Teils des GWB sind die Zuschlagskriterien transparent zu formulieren und bekanntzugeben.

Die Anforderungen an die Vergabe eines Auftrags oder einer Konzession, an denen ein grenzüberschreitendes Interesse besteht und die nicht unter den Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts fallen, sind von der Rechtsprechung bisher nur äußerst unakzentuiert geblieben. Von der Geltung der sich aus den Grundfreiheiten des EU-Primärrechts ableitenden Grundsätzen von Transparenz, Wettbewerb, Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung wird vielerorts gesprochen.

Wie diese konkret aussehen, bleibt jedoch oft unklar. Auftraggeber, welche in diesem Bereich keine Fehler riskieren wollen, halten sich bei ihren Verfahren sehr eng an die Vergaberichtlinien bzw. die Regelungen für europaweite Vergaben. Eine Entscheidung des 13. Zivilsenats des OLG Celle, welcher gleichzeitig auch Vergabesenat ist, hat nunmehr klargestellt, dass dieses Vorgehen zu empfehlen ist.

§ 311 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB

Leitsatz

  1. Öffentliche Auftraggeber haben auch im Unterschwellenbereich sowie bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen das Primärrecht der Europäischen Union zu beachten, sofern ein grenzüberschreitendes Interesse am Auftrag zu bejahen ist.
  2. Danach ist insbesondere das Transparenzgebot zu beachten. Auch außerhalb des Anwendungsbereiches der Vergabekoordinierungsrichtlinie sind hiernach alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens klar, präzise und eindeutig u. a. in der Vergabebekanntmachung zu formulieren, so dass zum einen alle gebührend informierten und mit der üblichen Sorgfalt handelnden Bieter die genaue Bedeutung dieser Bedingungen und Modalitäten verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können und zum anderen der Auftraggeber tatsächlich überprüfen kann, ob die Angebote der Bieter die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllen.
  3. Eine Grenze, ab der das Offenlassen konkreter Bewertungsmaßstäbe vergaberechtlich unzulässig ist, ist auch hier erreicht, wenn die aufgestellten Wertungsmaßstäbe so unbestimmt sind, dass die Bieter nicht mehr angemessen über die Kriterien und Modalitäten informiert werden, auf deren Grundlage das wirtschaftlich günstigste Angebot ermittelt wird, und sie in Folge dessen auch vor einer willkürlichen und/oder diskriminierenden Angebotsbewertung nicht mehr effektiv geschützt sind.
  4. Auch außerhalb des Anwendungsbereiches der Vergabekoordinierungsrichtlinie ist ein Selbstausführungsgebot nur in Ausnahmefällen vergaberechtskonform.

Sachverhalt

In dem Verfahren ging es um die Vergabe einer Dienstleistungskonzession über die Aufstellung von Altkleidercontainern auf öffentlichen Flächen, welche – zumindest zeitlich noch – nicht unter den Anwendungsbereich der Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) fiel. Ein Bewerber beantragte gegen die beabsichtigte Zuschlagserteilung den Erlass einer einstweiligen Verfügung.

Der Auftraggeber hatte die streitgegenständliche Konzession bereits im Jahr 2014 ausgeschrieben. Die jetzige Verfügungsklägerin wandte sich im Wege eines Nachprüfungsverfahrens gegen die damalige Vergabe. Im Beschwerdeverfahren stellte der Senat fest (B. v. 08.09.2014, Az.: 13 Verg 7/14), dass der Auftrag als Konzession nicht unter den Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB a. F. falle und ein Nachprüfungsverfahren daher unzulässig wäre. Da die Antragstellerin für diesen Fall jedoch Antrag auf Verweisung an die ordentliche Gerichtsbarkeit gestellt hatte und bei Verweisung erfolgreich gewesen wäre, verpflichtete sich der Auftraggeber in der mündlichen Verhandlung dazu, das Verfahren in den Stand vor der Bekanntmachung zurückzuversetzen. Nach Erledigung der Hauptsache war daher in diesem Verfahren lediglich noch über die Kosten zu entscheiden, was der Senat nutzte, um dem Auftraggeber einige Anleitungen für das nachfolgende Konzessionsvergabeverfahren in das Diktatheft zu schreiben. Er stellte u.a . fest, dass die Konzessionsvergabe von grenzüberschreitendem Interesse sein dürfte und daher die Grundsätze des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) anzuwenden seien. Hierzu gehörten u. a. eine angemessene Veröffentlichung, nichtdiskriminierende Anforderungen, ein transparenter und gleicher Zugang für alle Teilnehmer sowie eine Vergabeentscheidung auf Grundlage vorher festgelegter Verfahrensregeln. Vor diesem Hintergrund hält der Senat auch eine europaweite Bekanntmachung dieser Konzessionsvergabe für notwendig.

Auf dieser Grundlage führte der Auftraggeber sodann ein neues Verfahren durch.

Die Bewertung der Angebote sollte zu 60 % auf Grundlage des angebotenen Entgelts erfolgen. Für die übrigen 40 % sollte eine Bewertung der „eigenen Tätigkeiten, die über das Sammeln von Altkleidern hinausgehen und eine höherwertige eigene Sortierung oder Verwertung gewährleisten“ erfolgen. Diese eigenen Tätigkeiten sollten danach bewertet werden, ob sie die Erwartungen der Vergabestelle erfüllen, über sie hinausgehen bzw. gegenüber den Erwartungen Defizite oder Schwächen aufwiesen. Hierfür wurden insgesamt sechs Notenstufen bekanntgegeben.

Gegen diese Bewertung erhobene Rügen der Verfügungsklägerin half der Auftraggeber nicht ab, so dass diese den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragte. Diesen wies das erstinstanzlich zuständige Landgericht Hildesheim zurück. Gegen dieses Urteil wehrte sich die Verfügungsklägerin mit der Berufung.

Die Entscheidung

Die Berufung hat Erfolg, da sie zulässig und begründet ist.

Diesbezüglich stellt der Senat zunächst klar, dass Bietern bei Vergabeverfahren, welche nicht unter den Geltungsbereich der EU-Vergaberechtlinien fallen, ein Unterlassungsanspruch in Bezug auf eine Zuschlagserteilung aus §§ 311 Abs. 2 i. V. m. § 242 Abs. 2 BGB zustehen kann. Diesen Unterlassungsanspruch bejaht er vorliegend deshalb, weil der Auftraggeber die Zuschlagskriterien nicht in einer dem europarechtlichen Transparenzgebot entsprechenden Weise ausformuliert hat. An die Einhaltung dieses Gebots sei er deshalb gebunden gewesen, da der zu vergebende Vertrag von eindeutig grenzüberschreitendem Interesse sei.

Aus diesem Gebot folge, dass alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens so klar, präzise und eindeutig zu formulieren seien, dass alle Bieter diese verstehen und auslegen könnten. Darüber hinaus müsse der Auftraggeber tatsächlich überprüfen können, ob die Angebote die bestimmten Kriterien erfüllten. Zwar erkennt der Senat, dass dies insbesondere bei Konzepten problematisch sei, da durch die Vorgaben die konzeptionelle Darstellung der Bieter  eingeschränkt werde. Eine Grenze der Zulässigkeit müsse allerdings da verlaufen, wo die Wertungsmaßstäbe so unbestimmt aufgestellt werden, dass Bieter nicht mehr angemessen über die Durchführung der Angebotswertung informiert würden und sie in Folge dessen auch vor willkürlichen und diskriminierenden Auswertungen nicht geschützt wären.

Diese Grenze habe der Auftraggeber vorliegend mit der Formulierung seiner Angebotswertung für das Kriterium „über das Sammeln hinausgehende eigene Tätigkeit“ überschritten. Die Beschreibung lasse schon die Erwartungen des Auftraggebers offen. Darüber hinaus sei ebenso unklar, in welchem Verhältnis der Wunsch des Auftraggebers zu einer möglichst hochwertigen Abfallbehandlung zu einer – ebenso gewünschten – hohen Verwertungsquote stehe. Weiterhin sei nicht sicher, ob der Auftraggeber ggf. weitere Gesichtspunkte in seine Wertungsentscheidung einfließen lasse. Seine Unterkriterien habe der Auftraggeber nicht bekanntgegeben.

Letztlich sei auch die Unterteilung in sechs Notenstufen derart unbestimmt, dass erheblicher Raum für objektiv willkürliche Entscheidungen verbleibe.
Aus diesen Gründen untersagt der Senat dem Auftraggeber die Zuschlagserteilung durch einstweilige Verfügung.

Rechtliche Würdigung

Die einstweilige Verfügung gem. §§ 935 ff. ZPO  kommt außerhalb des Kartellvergaberechts mehr und mehr in Mode, was zweifelsohne daran liegen mag, dass der Unterlassungsanspruch (aus welchen Rechtsgrundlagen auch immer) mittlerweile allgemein anerkannt ist. Insofern war es keine Überraschung, dass das OLG Celle diesen vorliegend grundsätzlich auch anerkannte, auch wenn die dogmatische Herleitung vielleicht nicht gänzlich stringent möglich ist und am Ende auch ergebnisorientiert sein mag.

Auf den ersten Blick überraschend mögen die vom Senat hoch gelegten Anforderungen an die Formulierung der Zuschlagskriterien sein – geht man doch allgemein davon aus, dass außerhalb des Anwendungsbereichs des 4. Teils des GWB allenfalls „Vergaberecht light“ zu beachten sei. Es mag zunächst irritierend sein, wenn hier ähnliche Anforderungen an die Transparenz gestellt werden, wie sie unlängst vom OLG Düsseldorf (B. v. 21.10.2015, Az.: Verg 28/14; B. v. 16.12.2015, Az.: Verg 25/15) aufgestellt wurden und die einige Auftraggeber vor große Herausforderungen stellen.

Bei genauer Betrachtung muss man jedoch sagen, dass die Übertragung nur folgerichtig ist. Auch das Kartellvergaberecht kennt keine ausdrücklichen Anforderungen an die Transparenz von Zuschlagskriterien. Insofern entstammen auch die vom OLG Düsseldorf aufgeworfenen Punkte aus dem primärrechtlichen Transparenzgrundsatz und gelten mithin auch außerhalb des Anwendungsbereichs des GWB.

DVNW_Mitglied

Praxistipp

Die Entscheidung hat nach Einführung der KonzVgV etwas an Bedeutung verloren, da die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen nunmehr ebenfalls im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens vor den Vergabekammern geprüft werden kann. Hierbei darf aber nicht vergessen werden, dass es immer noch Bereichsausnahmen (bspw. Trinkwasserkonzessionen) und Konzessionen (von grenzüberschreitendem Interesse), die den geschätzten Konzessionswert von 5.225.000 nicht erreichen, gibt. Neben diesen Konzessionsvergaben ist die Entscheidung selbstverständlich für den weiten Bereich der Auftragsvergaben im Unterschwellenbereich relevant.

Auftraggebern ist auch in diesen Bereichen anzuraten, ein entsprechendes Augenmerk auf die Verfahrensbedingungen und speziell die Wertungsmatrix zu legen. Vielfach wird diese Notwendigkeit übersehen bzw. mit dem Argument abgetan, dass lediglich – völlig unbestimmtes – „Vergaberecht light“ gelte. Hierbei wird allerdings oft vollkommen übersehen, dass sich einige Verfahrensanforderungen, welche in der „Oberschwellenjudikatur“ bereits seit Jahren geklärt und auch von Auftraggebern verinnerlicht sind, nicht aus den Vergaberichtlinien sondern aus den Grundfreiheiten ergeben. Mithin gelten diese strengen Anforderungen auch außerhalb des Kartellvergaberechts.

Bei der Formulierung konzeptioneller bzw. „weicher“ Zuschlagskriterien stecken die Auftraggeber momentan sowohl im Ober- als auch im Unterschwellenbereich in einer Zwickmühle: Einerseits wollen sie sich durch die Vorlage und Vorstellung von Ideen, Bieterwissen und -kreativität für eine bestmögliche Vertragsdurchführung zunutze machen. Andererseits verlangt die vergaberechtliche Judikatur im Sinne einer notwendigen Transparenz der Zuschlagskriterien, die eigenen Vorstellungen und Anforderungen (und mithin das eigene – unvollkommene (?!?) – Konzept) bekanntzugeben. Aspekte, die über diese Überlegungen hinaus gehen, müssten dann unberücksichtigt bleiben. Dies hindert Kreativität, Innovation und letztlich wird auch der Sinn dieser Wertungskriterien gemindert. Auftraggeber werden in diesem Bereich besondere Sorgfalt walten lassen müssen, um für das individuelle Verfahren das beste Ergebnis zu erzielen.

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Korrektur eines versehentlich falsch angegebenen Einheitspreises? (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.03.2016 – VII-Verg 48/15)

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BauleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungDer versehentlich falsch eingetragene Einheitspreis ist vergaberechtlicher Alltag. Diese instruktive Entscheidung zeigt, wie man es als Bieter besser nicht anstellen sollte, wenn man trotzdem den Auftrag haben will.

§§ 13 EG Abs. 1 Nr. 3, 15 EG Abs. 3, 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. c VOB/A a. F.

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb im offenen Verfahren Beton-/Stahlbetonarbeiten für den Neubau einer Schule aus. Ein Bieter hatte im Leistungsverzeichnis zu der Position 3.10.5 Betonstabstahl BSt500(A) alle Durchmesser als Bewehrung als Halbfertigteilhohlwände, BSt500S DIN 488 (A DIN 1045-1), alle Durchmesser, alle Längen mit einem Vordersatz von 68 Tonnen einen Einheitspreis von 1,01 /Tonne angeboten. Der Auftraggeber verlangte Aufklärung der Kalkulation hinter diesem Einheitspreis.

Der Bieter teilte mit, ihm sei bei der Eintragung des Preises bzw. der Kommastelle ein Fehler unterlaufen. Bei verständiger Auslegung des Angebots sei klar, dass ein Einheitspreis von 1.010,00 /Tonne gemeint gewesen sei. Der Auftraggeber schloss das Angebot daraufhin mit der Begründung aus, dass der Bieter sein Angebot gemäß § 119 Abs. 1 BGB wegen eines Erklärungsirrtums angefochten habe. Außerdem habe der Bieter durch die Erklärung, dass ein Einheitspreis von 1.010,00 /Tonne gemeint gewesen sei, gegen das Nachverhandlungsverbot verstoßen. Den dagegen gerichteten Nachprüfungsantrag wies die Vergabekammer Rheinland zurück.

Die Entscheidung

Der Vergabesenat bestätigt den Ausschluss, da das Angebot entgegen 13 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A a.F. (§ 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A) nicht die geforderten Preise enthalte. In Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung setzt das OLG Düsseldorf soweit es die Ausschlusssanktion des § 16 EG Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c) VOB/A a.F. (§ 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A) angeht den unzutreffenden, also falschen Preis mit einem fehlenden Preis gleich. Unzutreffend sei ein Preis, wenn er nicht der Kalkulation des Bieters entspricht (Anm.: Damit hat es der Bieter in der Hand, denn über die Kalkulation bestimmt er in der Regel allein). Den Beleg dafür, dass der Einheitspreis von 1,01 /Tonne nicht der eigenen Kalkulation entspricht, habe der Bieter im Zuge der Angebotsaufklärung selbst geliefert.

Dann wendet das OLG Düsseldorf den Grundsatz Auslegung vor Aufklärung an. Zwar so der Senat verbiete das Nachverhandlungsverbot des § 15 Abs.3 VOB/A a.F. (§ 15 EU Abs. 3 VOB/A) jede Änderung des unzutreffenden Einheitspreises im Zuge der Angebotsaufklärung. Das stehe aber einer Auslegung der Preisangabe im Sinne des objektiv erkennbar Gewollten nicht entgegen. Das allerdings nur dann, wenn sich aus den Angebotsunterlagen eindeutig und zweifelsfrei ergebe, dass ein ganz bestimmter Einheitspreis gemeint gewesen sei.

Bei der anschließenden Auslegung kommt das OLG nicht zu einem eindeutigen und zweifelsfreien Ergebnis: Bei anderen LV-Positionen über Betonstabstahl (allerdings zu anderen Einsatzzwecken) habe der Bieter zwar Einheitspreise von um die 1.000 /Tonne angeboten, aber in keinem Fall exakt 1.010,00 /Tonne. Die Berücksichtigung des angeblich verrutschten Kommas führe ebenfalls nicht zu genau diesem behaupteten Einheitspreis, da nicht zwingend sei, ob sich der Bieter nun um ein, zwei oder drei Stellen vertan habe. Auch wenn man einen Irrtum um drei Stellen annehmen wollte, bliebe immer noch eine Bandbreite von 1.010,00 bis 1.019,99 als möglicherweise gemeinter Einheitspreis, die durch Auslegung nicht geschlossen werden könne.

Eine Nachforderung des Einheitspreises gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. c, 2. Halbsatz VOB/A a.F. (§ 16 EU Abs. 1 Nr. 3, 2. Halbsatz VOB/A) sei schließlich auch nicht zulässig, denn ein unzutreffender Preis sei eben kein fehlender Preis.

Rechtliche Würdigung

Die Zweifel des OLG Düsseldorf, ob das Komma bei der Preisangabe 1,01 /Tonne nun um ein, zwei oder drei Stellen verrutscht war, wirken reichlich spitzfindig. Angesichts der Einstandskosten und der zu den anderen Betonstabstahl-Positionen angebotenen Einheitspreise liegt es auf der Hand, dass der Bieter sich bei der um den Faktor 1.000 vertan hatte. Unter dieser Prämisse kam ein gewollter Einheitspreis von 1.010,00 bis 1.019,99 je Tonne in Betracht, bei einem Vordersatz von 68 Tonnen bestand also eine Ungewissheit von ca. 680 . Der vergebene Auftrag hatte nach der Bekanntmachung vom 19.04.2016 einen Wert von über 5,7 Mio. Bei dieser Relation, unterstellt, dass die Differenz nicht wettbewerbsrelevant war, hätte dem OLG etwas Großzügigkeit bei der Auslegung gut zu Gesicht gestanden.

Dem redlichen, aber etwas schusseligen Bieter gibt das OLG Düsseldorf mit seinen strikten Anforderungen an die Auslegung einer Preisangabe also eher Steine statt Brot. Denn die Auslegung dahin, dass eindeutig und zweifelsfrei ein anderer, bis auf die zweite Nachkommastelle bestimmbarer Preis gemeint war, wird nur selten möglich sein, etwa wenn genau dieser Preis an anderer Stelle (z. B. im Anschreiben) zufällig genannt wird, oder wenn anhand der Einheitspreise zu identischen Positionen in anderen LV-Titeln der tatsächlich gewollte Einheitspreis eindeutig und zweifelsfrei festgestellt werden kann. In allen anderen Fällen ist der Ausschluss nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf unumgänglich.

DVNW_Mitglied

Praxistipp

Erfährt der Bieter durch ein Aufklärungsverlangen, dass er versehentlich einen falschen Preis eingetragen hat, muss er schnell entscheiden, ob er an dem Angebot festhalten will oder nicht. Wenn nicht, sollte er den Irrtum (wie im Fall) einräumen und zur Sicherheit sein Angebot und nicht nur die falsche Preisangabe! wegen des Erklärungsirrtums klar und unmissverständlich anfechten. Die Anfechtung muss, um wirksam zu sein, unverzüglich (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB: ohne schuldhaftes Zögern) erklärt werden.

Will der Bieter aber am Angebot festhalten, sollte er den Irrtum in keinem Fall offenlegen, sondern eine möglichst plausible Erklärung für den angezweifelten Einheitspreis liefern. Im entschiedenen Fall wäre das dem Bieter vermutlich schwer gefallen. Da der Bieter aber im Prinzip bis zur Grenze der Unauskömmlichkeit frei darin ist, wie er die Einheitspreise kalkuliert, ist es den Versuch allemal wert.

The post Korrektur eines versehentlich falsch angegebenen Einheitspreises? (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.03.2016 – VII-Verg 48/15) appeared first on Vergabeblog.

EuGH zum Bieterwechsel bei Insolvenz eines BiGe-Mitglieds (EuGH, Urt. v. 24.05.2016 – C-396/14 MT Hojgaard und Züblin)

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BauleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

Entscheidung EUZur Wahrung eines fairen und transparenten Vergabewettbewerbs ist es grundsätzlich unzulässig, nach Angebotsabgabe die Identität des Bieters zu ändern: Zum Inhalt eines Angebotes zählt nicht nur die Beschaffenheit der Leistung, sondern auch die Person des Leistenden (so schon OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.05.2005 – VII-Verg 28/05). Besondere Bedeutung kommen hierbei Änderungen der Zusammensetzung einer Bietergemeinschaft (BiGe) zu. Sie können vor allem vorliegen, wenn ein BiGe-Mitglied durch ein anderes BiGe-Mitglied ersetzt wird oder einzelne BiGe-Mitglieder aus der BiGe ausscheiden.

Der Gerichtshof hatte in einem dänischen Sachverhalt darüber zu entscheiden, ob nach der Auflösung einer BiGe an deren Stelle ein verbliebenes BiGe-Mitglied alleine an einem Verhandlungsverfahren weiter teilnehmen, anbieten und letztlich bezuschlagt werden durfte.

Art. 36 Abs. 1 RL 2014/25/EU (bzw. Art. 10 RL 2004/17/EG), Art. 18 Abs.1 RL 2014/24/EU (bzw. Art. 2 RL 2004/18/EG); § 97 Abs. 2 GWB

Leitsatz

Die Frage, ob ein Auftraggeber einen Wirtschaftsteilnehmer, der zu einer Gemeinschaft zweier Unternehmen gehört, die in der Vorauswahl berücksichtigt worden ist und das erste Angebot in einem Verhandlungsverfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrages abgegeben hat, nach Auflösung dieser Gemeinschaft nicht im eigenen Namen an diesem Verfahren weiter teilnehmen lassen darf (Rdnr. 34), fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Rdnr. 35). Bestehen insoweit keine spezifischen Bestimmungen, so ist die Frage nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, u.a. des Gleichbehandlungsgrundsatzes und der sich daraus ergebenden Transparenzpflicht, sowie der Ziele des Unionsrechts im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe zu prüfen (Rdnr. 36).

Sachverhalt

Das Vorabentscheidungsersuchen betraf ein Verhandlungsverfahren mit vorherigem Teilnahmewettbewerb zum Bau einer neuen Eisenbahnstrecke nach Kopenhagen. Nach den Ausschreibungsbedingungen sollten die ausgewählten Bewerber zu drei aufeinanderfolgenden Angeboten aufgefordert werden. Die ersten beiden Angebote sollten verhandelt werden, in der dritten Angebotsrunde sollten keine Verhandlungen mehr erfolgen.

Die ausschreibende Stelle forderte die favorisierten Bewerber, u.a. eine zweigliedrige Bewerbergemeinschaft, zur ersten Angebotsabgabe auf. Über das Vermögen eines Mitglieds der Bewerbergemeinschaft wurde allerdings das Insolvenzverfahren eröffnet. Trotz der Insolvenzeröffnung gab die BiGe ein erstes Angebot ab. Das verbliebene BiGe-Mitglied übernahm zudem 50 Arbeitnehmer des insolventen BiGe-Mitglieds. Die Vergabestelle entschied daraufhin, dass das nicht insolvente BiGe-Mitglied allein an dem Verfahren teilnehmen dürfe. Das BiGe-Mitglied reichte daher ein zweites und drittes Angebot im eigenen Namen ein. Die Angebotsauswertung ergab schließlich, dass das nun allein teilnehmende BiGe-Mitglied bestbietend war. Die ausschreibende Stelle informierte die nichtberücksichtigten Bieter entsprechend vorab. Gegen die Vergabeentscheidung wandte sich die unterlegene BiGe MT Hojgaard und Züblin. Sie monierte Verstöße gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz, weil das BiGe-Mitglied anstelle der BiGe an dem Verfahren teilgenommen hat.

Die Entscheidung

Der Gerichtshof führt aus, dass das europäische Vergaberecht keine spezifischen Vorgaben über die Änderung der Zusammensetzung einer Gemeinschaft von Wirtschaftsteilnehmern enthält, die als Bieter eines öffentlichen Auftrages in einem Teilnahmewettbewerb berücksichtigt wurde. Die Regelung eines solchen Sachverhaltes fällt in den Zuständigkeitsbereich der Unionstaaten (Rdnr. 35).

Bestehen insoweit wie in Dänemark – keine mitgliedstaatlichen Bestimmungen, sind die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts maßgeblich, insbesondere der Gleichbehandlungsgrundsatz und die sich daraus ergebende Transparenzpflicht. Hierbei sind auch die Ziele des europäischen Vergaberechts zu berücksichtigen (Rdnr. 36).

Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter, der die Entwicklung eines gesunden und effektiven Wettbewerbs zwischen den sich um einen öffentlichen Auftrag bewerbenden Unternehmen fördern soll, gebietet, dass alle Bieter bei der Abfassung ihrer Angebote die gleichen Chancen haben: Die Angebote aller Wettbewerber müssen den gleichen Bedingungen unterworfen sein (Rdnr. 38).

Eine strikte Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes würde dazu führen, dass nur die Wirtschaftsteilnehmer, die als solche im Teilnahmewettbewerb berücksichtigt wurden, Angebote einreichen und den Zuschlag erhalten können (Rdnr. 39). Dies setzt eine rechtliche und tatsächliche Identität zwischen dem im Teilnahmewettbewerb berücksichtigten Wirtschaftsteilnehmern und denjenigen voraus, die ein Angebot abgegeben haben (Rdnr. 40).

Die Anforderung einer rechtlichen und tatsächlichen Identität kann jedoch gesenkt werden, um in einem Verhandlungsverfahren einen angemessen Wettbewerb zu gewährleisten (Rdnr. 41).

Ein Auftraggeber verstößt daher nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung sämtlicher Bieter, wenn er es einem der beiden Wirtschaftsteilnehmer einer BiGe, die zur Angebotsabgabe aufgefordert wurde, gestattet, nach der Auflösung dieser BiGe an deren Stelle zu treten und im eigenen Namen an dem Verhandlungsverfahren teilzunehmen, soweit das BiGe-Mitglied die vom Auftraggeber festgelegten (Eignungs-)Anforderungen selbst erfüllt und seine Teilnahme die Wettbewerbssituation der übrigen Bieter nicht beeinträchtigt (Rdnr. 44).

Im entschiedenen Fall war der Gerichtshof davon überzeugt, dass das allein teilnehmende BiGe-Mitglied im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs auch dann berücksichtigt worden wäre, hätte es sich alleine beworben (Rdnr. 45). Ob die Übernahme von Arbeitnehmern des insolventen BiGe-Mitglieds dem im Wettbewerb verbliebenen BiGe-Mitglied einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den restlichen Bietern verschafft hat, ließen die Luxemburger Richter hingegen offen (Rdnr. 47).

Rechtliche Würdigung

Das Urteil des Gerichtshofs wäre nach deutscher Rechtslage wohl anders ausgefallen. Zwar ist die Rechtsprechung zu den Folgen einer Änderung der Zusammensetzung einer BiGe uneinheitlich (einerseits OLG Celle, Beschl. v. 05.09.2007 13 – Verg 9/07, andererseits OLG Hamburg, Beschl. v. 31.03.2014 – 1 Verg 4/13, OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.05.2005 – VII-Verg 28/05). Anders als in Dänemark hält das BGB aber eine Regelung für die Änderung der Zusammensetzung einer regelmäßig als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) einzuordnenden BiGe bereit: § 728 Abs. 2 Satz 1 BGB bestimmt, dass die GbR durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters aufgelöst wird. Damit besteht grundsätzlich eine Identitätsänderung. Ein bereits eingereichtes Angebot der (aufgelösten) BiGe ist zwingend auszuschließen. Wegen der bestehenden mitgliedstaatlichen Regelung bei der Insolvenz eins BiGe-Mitglieds sind die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere des Gleichbehandlungs- und Transparenzgrundsatzes, regelmäßig nicht weiter bedeutsam.

DVNW_Mitglied

Praxistipp

Eine BiGe kann die Rechtsfolge des § 728 Abs. 2 Satz 1 BGB vermeiden, wenn gesellschaftsvertraglich eine Fortsetzung der BiGe im Falle der Insolvenz eines Gesellschafters vereinbart wird. Allerdings ist dies nicht möglich, wenn die BiGe aus lediglich zwei Gesellschaftern besteht: Scheidet ein Gesellschafter aus, endet die GbR, die Identität der der GbR bleibt nicht gewahrt (Sprau, in: Palandt, § 736 Rdnr. 9).

Der Auftraggeber muss bei einer Fortsetzung der BiGe allerdings bewerten, ob sie trotz Ausscheidens des insolventen Gesellschafters weiterhin geeignet ist. Die Insolvenz alleine genügt jedenfalls nicht, die Fachkunde und Leistungsfähigkeit der BiGe in Abrede zu stellen.

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Auftraggeber müssen Bekanntmachungstexte auf Basis des Informationsweiterverwendungsgesetzes auch anderen Ausschreibungsdiensten überlassen (BVerwG, Urt. v. 14.04.2016 – 7 C 12.14)

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EntscheidungIn der jüngeren Vergangenheit waren zahlreiche kommunale Auftraggeber mit Anfragen von Ausschreibungsdiensten konfrontiert, die eine Überlassung von zu veröffentlichenden oder bereits veröffentlichten Bekanntmachungstexten forderten. Die anfragenden Ausschreibungsdienste stützten sich dabei regelmäßig auf das Gesetz über die Weiterverwendung von Informationen öffentlicher Stellen (Informationsweiterverwendungsgesetz IWG). Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat nunmehr entschieden, dass öffentliche Auftraggeber ausschreibungsbezogene Informationen auch anderen Anbietern als dem zur Veröffentlichung vorgesehenen Publikationsorgan zeitnah zur Verfügung stellen müssen (Urt. v. 14.04.2016 – 7 C 12.14).

IWG § 1 Abs. 2 Nr. 1, § 2 Nr. 2 und Nr. 3, § 3 Abs. 2 Satz 1; VOB/A § 12 Abs. 1; VOL/A § 12 Abs. 1

Leitsatz

1. Das Informationsweiterverwendungsgesetz begründet nach § 1 Abs. 2 a) IWG keinen Anspruch auf Zugang zu angefragten Informationen. Das IWG gilt nicht für Informationen, an denen gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 IWG kein oder nur ein eingeschränktes Zugangsrecht besteht. Ein Zugangsrecht an Informationen im Sinne dieser Vorschrift besteht auch dann, wenn eine öffentliche Stelle Informationen von sich aus veröffentlicht hat. (nicht amtlicher Leitsatz)

2. Öffentliche Auftraggeber sind verpflichtet, ausschreibungsbezogene Bekanntmachungen auf Anfrage nach Maßgabe des § 3 Abs. 2 Satz 1 IWG unverzüglich nach Veröffentlichung im vorgesehenen Publikationsorgan zur Verfügung zu stellen. (nicht amtlicher Leitsatz)

3. Öffentliche Auftraggeber müssen den jeweiligen Zeitpunkt der Veröffentlichung ausschreibungsbezogener Bekanntmachungen so verlässlich ermitteln, dass die Informationen im Anschluss unverzüglich zur Verfügung gestellt werden können. (nicht amtlicher Leitsatz)

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt ein Internetportal und veröffentlicht dort Bekanntmachungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge. Unter Bezugnahme auf das IWG bat sie die beklagte Gemeinde, ausschreibungsbezogene Bekanntmachungen zu übermitteln. Dies lehnte die Beklagte ab. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH BW) entschied im Berufungsverfahren, dass an den Informationen kein Zugangsrecht gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 IWG bestehe (Urt. v. 24.09.2013 10 S 1695/12; vgl. den Beitrag des Autors, vergabeblog.de vom 21.10.2013, Nr. 17370). Gegen diese Entscheidung wendete sich die Klägerin mit dem Argument, das IWG erfasse auch solche Informationen, die eine öffentliche Stelle von sich aus veröffentlicht und damit allgemein zugänglich gemacht hat.

Die Entscheidung

Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass die beklagte Gemeinde ausschreibungsbezogene Bekanntmachungen gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 IWG unverzüglich nach Veröffentlichung im vorgesehenen Publikationsorgan auch der Klägerin zur Verfügung stellen muss. Zwar treffe es zu, dass das IWG einen Anspruch auf Zugang zu Informationen nach § 1 Abs. 2 a) IWG nicht begründet. Entgegen der Rechtsauffassung des VGH BW erfordere das IWG jedoch keinen Anspruch auf voraussetzungslosen Zugang zu den begehrten Informationen. Das IWG umfasse vielmehr auch solche Informationen, die eine öffentliche Stelle von sich aus veröffentlicht und damit allgemein zugänglich gemacht hat.

Rechtliche Würdigung

Der Gesetzgeber hatte das IWG seit der Entscheidung des VGH BW novelliert. Der Anwendungsbereich des IWG wurde zum einen im Hinblick auf Einschränkungen von Zugangsrechten präzisiert. Zum anderen soll sich das IWG auch auf Informationen erstrecken, die von Behörden proaktiv veröffentlicht werden. Damit reagierte das Änderungsgesetz zum IWG auf den tatsächlichen Befund, dass amtliche Informationen von öffentlichen Stellen bereitgestellt und verbreitet werden (vgl. BT-Drs. 18/4614, Seite 9). Hinzu kommt, dass einer unzureichenden Nutzung von Informationen, die durch öffentliche Stellen erzeugt werden, entgegengewirkt werden soll. Dieses Förderungsziel des IWG kann aber auch und gerade durch die Weiterverwendung solcher Daten erreicht werden, welche die öffentliche Stelle von sich aus veröffentlicht. Denn auch hierdurch wird die wirtschaftliche Nutzung der Informationen angestoßen und ermöglicht.

3DVT-450-160

Praxistipp

Das Urteil hat massive Auswirkungen auf die Praxis. Kommunale Auftraggeber sind nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verpflichtet, ausschreibungsbezogene Bekanntmachungen anfragenden Ausschreibungsdiensten unverzüglich nach Veröffentlichung im eigentlich vorgesehenen Publikationsorgan zur Verfügung zu stellen. Problematisch ist in dieser Hinsicht insbesondere, dass öffentliche Auftraggeber nach der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts sogar gehalten sind, den jeweiligen Zeitpunkt der Veröffentlichung präzise zu ermitteln. Hierdurch soll nach Ansicht des BVerwG gewährleistet werden, dass die Informationen unmittelbar im Anschluss an die Veröffentlichung der Bekanntmachung unverzüglich auch den anfragenden Ausschreibungsdiensten zur Verfügung gestellt werden können.

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Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei Erledigung in sonstiger Weise (VK Rheinland Pfalz, Beschl. v. 31.05.2016 – VK2-7/16)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungDer Antragsteller hat im Falle der Erledigung des Nachprüfungsverfahrens ein Forstsetzungsfeststellungsinteresse, wenn der Nachprüfungsantrag ursprünglich zulässig und begründet war. Läuft während eines Nachprüfungsverfahrens die Bindefrist für das Angebot der für den Zuschlag vorgesehenen Beigeladenen ab, erledigt sich das Nachprüfungsverfahren in sonstiger Weise. Es ist dann auf Antrag noch über die Kostentragungspflicht der Anwaltskosten zu entscheiden, wenn der Nachprüfungsantrag ohne Erledigung erfolgreich gewesen wäre.

§ 128 GWB aF.§ 114 GWB aF

Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb in einem offenen Verfahren die Vermarktung der Fraktion Papier, Pappe und Kartonagen aus. Da sie an der finanziellen Leistungsfähigkeit und der Zuverlässigkeit des für den Zuschlag vorgesehenen Unternehmens und späteren Beigeladenen  Zweifel hatte, führte sie ein Aufklärungsgespräch durch. In diesem konnten die Zweifel der Vergabestelle beseitigt werden.

Gegen die beabsichtigte Zuschlagentscheidung wandte sich nach entsprechende Rüge der zweitplatzierte Bieter.

Die von der Vergabestelle getroffene Zuschlagentscheidung hielt die Vergabekammer für ermessensfehlerfrei. So hatte die Vergabestelle unter anderem eine Bankerklärung gefordert und die Beigeladenen hierzu eine Bank-an-Bank-Auskunft vorgelegt.

Jedoch stellte sich am Ende der mündlichen Verhandlung heraus, dass die Beigeladenen in dem Aufklärungsgespräch falsche Angaben gemacht hat.

Da die Bindefrist abzulaufen drohte, bat die Vergabestelle die Antragstellerin und die Beigeladenen um eine entsprechende Verlängerung. Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus der mündlichen Verhandlung lehnte die Beigeladene eine Verlängerung der Bindefrist ab.

Vergabestelle und Antragstellerin erklärten daraufhin die Erledigung des Nachprüfungsverfahrens. Die Antragstellerin beantragte sodann, der Vergabestelle die ihr entstandenen Anwaltskosten aufzugeben.

Die Vergabestelle trug unter Hinweis auf die Entscheidung der VK Saarland, Beschl. v. 24.02.2014 – 3 VK 01/2013 vor, dass die Antragstellerin mit keiner ihrer Rüge durchgedrungen sei und daher keine Erstattungspflicht bestehe.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer legt die Anwaltskosten der Antragstellerin jeweils zur Hälfte der Vergabestelle und der Beigeladenen auf. Die Vergabekammer stellt zunächst klar, dass eine Kostenerstattung nicht auf § 128 Abs. 4 GWB a.F. gestützt werden könne. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag der Antragstellerin sei aber anerkennenswert, da nur er geeignet sei, eine aus Sicht der Vergabekammer unbillige Kostenfolge aus § 128 Abs. 4 GWB a.F. zu vermeiden. Die hälftige Kostentragungspflicht leitet die Vergabekammer aus einem identischen Rechtsschutzziel von Vergabestelle und Beigeladenen ab.

Die Rüge der Antragstellerin, wonach eine Bank-an-Bank-Auskunft keine Bankerklärung sei, hat die Vergabekammer zurückgewiesen. Dabei kam es ihr entscheidend darauf an, dass in der Auskunft der Bank erklärt war, dass diese zur Vorlage in einem Vergabeverfahren dient.

Rechtliche Würdigung

Für die Vergabestelle ist diese Entscheidung natürlich ärgerlich. Sie hat alles richtig gemacht und trotzdem das Nachprüfungsverfahren verloren und muss der Antragstellerin auch noch die Hälfte der ihr entstandenen Anwaltskosten ersetzen. Andererseits ist die Antragstellerin mit ihrem Rechtsschutzziel durchgedrungen. So gesehen kann man die Entscheidung der Vergabekammer verstehen. Man hätte es allerdings auch mit der VK Saarland, aaO. halten können, die für einen prozessualen Erstattungsanspruch im Falle einer „anderweitigen Erledigung“ keine Anspruchsgrundlage sieht.

3DVT-450-160

Praxistipp

Für die Vergabepraxis ist alleine die Aussage interessant, dass eine Bankerklärung auch auf einem Formular abgegeben werden kann, dass eigentlich für Auskünfte zwischen Banken vorgesehen ist. Der Entscheidung der Vergabekammer ist nicht zu entnehmen, ob der vorliegend enthaltenen Zusatz, dass die Erklärung zur Vorlage in einem Vergabeverfahren erstellt wurde, entscheidend ist. Es empfiehlt sich daher der Hinweis in der Veröffentlichung und den Vergabeunterlagen, dass eine Bankerklärung auch in Form einer Bank-an-Bank-Auskunft erbracht werden kann.

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