Quantcast
Channel: Recht Archives - Vergabeblog
Viewing all 798 articles
Browse latest View live

VK Niedersachen: Angebotseröffnung durch Beauftrage grundsätzlich nicht problematisch

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenRecht

Die VK Südbayern hatte mit Beschl. v. 02.01.2018 u.a. entschieden, dass ein Auftraggeber die Sicherstellung des Vier-Augen-Prinzips nicht übertragen werden dürfe, sondern dies vom Auftraggeber selbst durchzuführen sei (siehe Dem setzt sich die VK Niedersachen nun entgegen.

Mit Beschluss vom 8. Mai 2018, Az. VgK-10/2018, entschied die VK Niedersachen u.a., dass sie „anders als die Vergabekammer Südbayern (…) von einer Verletzung des § 55 Abs. 2 VgV nur dann aus(geht), wenn zumindest die konkrete Möglichkeit besteht, dass einer der bei der Submission anwesenden Vertreter mit einem der Anbieter zusammengearbeitet haben könnte. Liegt dies nicht vor, so handelt es sich nur um einen Dokumentationsmangel gemäß § 8 VgV, der grundsätzlich im Vergabenachprüfungsverfahren geheilt werden kann.

Lesen Sie hierzu demnächst eine ausführliche Besprechung im Vergabeblog.

The post VK Niedersachen: Angebotseröffnung durch Beauftrage grundsätzlich nicht problematisch appeared first on Vergabeblog.


e-Vergabe: Ab heute oder morgen verpflichtend?

$
0
0
Politik und MarktRecht

Gemäß § 81 VgV können öffentliche Auftraggeber bis zum 18. Oktober 2018 abweichend von § 53 Absatz 1 VgV die Übermittlung der Angebote, Teilnahmeanträge und Interessensbestätigungen auch auf dem Postweg, anderem geeigneten Weg, Fax oder durch die Kombination dieser Mittel verlangen.

Bis zu diesem Zeitpunkt kann der öffentliche Auftraggeber also auch noch z. B. die papierbasierte Übermittlung von Angeboten vorgeben. Hießt dies aber nun, dass ab diesem Zeitpunkt alleine der Grundsatz des § 53 Abs. 1 VgV gilt, wonach Unternehmen ihre Interessensbekundungen, Interessensbestätigungen, Teilnahmeanträge und Angebote in Textform nach § 126b des Bürgerlichen Gesetzbuchs mithilfe elektronischer Mittel gemäß § 10 VgV an den öffentlichen Auftraggeber übermitteln?

Welchen Zeitpunkt meint § 81 VgV?

Dürfen heute noch Vergabeverfahren eingeleitet werden, in denen ohne triftige Gründe (§ 53 Abs. 2 VgV) die Einreichung von Angeboten in Papierform vorgesehen wird? Meint „bis zum“ in § 81 VgV nun einschließlich 18. Oktober 2018?

Gemäß § 82 VgV bestimmen sich in der VgV geregelten Fristen nach der Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 des Rates vom 3. Juni 1971 zur Festlegung der Regeln für die Fristen, Daten und Termine (ABl. L 124 vom 8.6.1971, S. 1). Doch auch ein Blick in die Verordnung hilft nicht unmittelbar weiter.

Art. 4 VO (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 sieht vor:

„(2) Rechtsakte des Rates oder der Kommission oder einzelne Bestimmungen dieser Rechtsakte, für deren Inkrafttreten, deren Wirksamwerden oder deren Anwendungsbeginn ein bestimmtes Datum festgesetzt worden ist, treten mit Beginn der ersten Stunde des diesem Datum entsprechenden Tages in Kraft bzw. werden dann wirksam oder angewandt.“

(3) Rechtsakte des Rates oder der Kommission oder einzelne Bestimmungen dieser Rechtsakte, deren Geltungsdauer, Wirksamkeit oder Anwendbarkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt enden, treten mit Ablauf der letzten Stunde des diesem Zeitpunkt entsprechenden Tages ausser Kraft bzw. werden dann unwirksam oder nicht mehr angewandt.“

Überträgt man jedoch diesen Rechtsgedanken, dürfte § 81 VgV wohl ein Fall des Art. 4 Abs. 3 VO (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 darstellen. Die Übergangsregelung tritt nämlich zum 18. Oktober 2018 außer Kraft. Entsprechend Art. 4 Abs. 3 endet die Wirksamkeit der Übergangsbestimmung dann mit ABlauf der letzten Stunde des 18. Oktober 2018.

Andererseits steht in § 81 VgV nicht, dass die Übergangsbestimmung am 18. Oktober 2018 außer Kraft tritt, sodass im Umkehrschluss auch gelesen werden könnte, dass öffentliche Auftraggeber sich ab dem 18. Oktober 2018 nicht mehr auf diese Übergangsbestimmung berufen können.

Für letztere Auffassung votiert jedenfalls der Verordnungsgeber.

Auch wenn er eigentlich Oktober 2018 meint, kann der Begründung zu § 81 der Vergabeverordnung entnommen werden:

„Spätestens ab dem 18. April 2018 (sic!) sind für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen oberhalb der EU-Schwellenwerte elektronische Mittel von allen Beteiligten des Vergabeverfahrens verbindlich vorzugeben und zu verwenden.“

Im Ergebnis sollte der Meinungsstreit jedoch gelassen gesehen werden. Die Rechtserheblichkeit beschränkt sich auf einen Zeitraum, der gerade einmal 24 Stunden umfasst. Öffentliche Auftraggeber, die sicher gehen wollen, sollten mithin heute kein Vergabeverfahren einleiten, in dem nicht in nach § 53 Abs. 2 VgV begründeter Weise von der Verwendung elektronischer Mittel gemäß § 10 VgV abgesehen wird. Alle anderen müssen dies jedenfalls zwingend ab morgen tun.

Zur Abgrenzung: Die Bekanntmachung (§ 40 Abs. 1 VgV) sowie die Bereitstellung der Vergabeunterlagen (§ 41 Abs. 1 VgV) muss bereits seit dem 18.04.2016 elektronisch erfolgen. Eine verpflichtende Vorgabe, wonach nun auch Angebote unter Rückgriff auf elektronische Mittel einzureichen sind, war bisher nur für zentrale Vergabestellen im Sinne von § 120 Abs. 4 Satz 1 GWB erforderlich. Und dies auch erst seit dem 18. April 2017; oder war es der 19. April 2017.

Siehe zu dem Thema auch:

eVergabe: Licht und Schatten des Rechtsrahmens zur elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren (Teil 1),

eVergabe: Licht und Schatten des Rechtsrahmens zur elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren (Teil 2),

The post e-Vergabe: Ab heute oder morgen verpflichtend? appeared first on Vergabeblog.

Anforderungen an die Eignungsprüfung und deren Überprüfbarkeit durch die Nachprüfungsinstanz (VK Bund, Beschl. v. 03.06.2018 – VK 2-44/18)

$
0
0
BauleistungenRecht

EntscheidungMacht der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen eignungsrelevante Vorgaben, die einen differenzierten Arbeits- und Personalaufwand bedingen, hat er diese von ihm selbst aufgestellten Bedingungen auch im Rahmen der Eignungsprüfung zu beachten.

 

GWB § 122 Abs. 1

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb im offenen Verfahren einen Auftrag zur Instandhaltung von Stahltragpfählen in zwei Losen aus. 50% der zu erbringenden Leistungen bildeten Unterwasserschweißarbeiten. Für beide Lose waren je zwei feste Fertigstellungsfristen vorgegeben (Los 1: 15. Dezember 2018 und 30. November 2019; Los 2: 15. Dezember 2018 und 31. Oktober 2019). Für die beiden Bauabschnitte waren damit in beiden Losen jeweils unterschiedliche maximale Umsetzungszeiträume vorgesehen. Der Personaleinsatz und die Anzahl der Tauchergruppen waren von den Bietern ausweislich der Vergabeunterlagen entsprechend den Fertigstellungsterminen einzuplanen. Für das eingesetzte Personal waren auf Verlangen Befähigungsnachweise und weitere Unterlagen einzureichen.

Die Antragstellerin und die Beigeladene gaben Angebote für beide Lose ab. Der Auftraggeber beabsichtigte, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen, da sie das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hätte. Die Antragstellerin wandte sich dagegen mit einer Rüge. Sie machte u.a. geltend, die Beigeladene sei nicht geeignet, da sie nicht in der Lage sei, den Auftrag innerhalb der vorgegebenen Zeit zu erfüllen. So verfüge sie nicht über hinreichend Taucherpersonal.

Der Auftraggeber war jedoch der Meinung, die Eignung ordnungsgemäß geprüft und festgestellt zu haben. Aus dem die Eignungsprüfung dokumentierenden Vergabevermerk ist ersichtlich, dass der Auftraggeber bei der Beigeladenen für Los 1 eine Umsetzungsdauer von insgesamt 83 Wochen unterstellt hat. Dies entspricht der Summe der maximalen Ausführungszeiträume aus den beiden Bauabschnitten. Darüber hinaus brachte der Auftraggeber eine Wochenarbeitszeit von zehn Arbeitsstunden pro Tag und fünf Arbeitstagen in Ansatz und unterstellte, dass 15% der von der Beigeladenen kalkulierten Arbeitsstunden nicht durch Tauchergruppen verbraucht würden. Auf dieser Basis gelangte der Auftraggeber zu dem Ergebnis, dass die Beigeladene mit der geplanten Personalmenge die maximale Umsetzungsdauer von 83 Wochen unterschreiten würde und auch im Übrigen eine ordnungsgemäße Auftragsdurchführung zu erwarten sei. In Bezug auf Los 2 galt Entsprechendes. Dagegen rief die Antragstellerin die zuständige Vergabekammer an.

Die Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag hatte insoweit Erfolg! Die VK Bund stellte fest, dass dem Auftraggeber im Rahmen der Prüfung der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen mehrere Beurteilungs- und Prognosefehler unterlaufen sind. Statt bei der Berücksichtigung des angebotenen Personaleinsatzes nach den einzelnen Bauabschnitten zu differenzieren und die jeweiligen Ausführungszeiträume isoliert zu betrachten, stelle der Auftraggeber pro Los pauschal auf die gesamte Bauzeit ab. Durch diese pauschalierende Betrachtungsweise missachte der Auftraggeber die von ihm selbst aufgestellten eignungsrelevanten Vorgaben. Die Fertigstellungstermine würden gerade einen differenzierten Arbeits- und Personalaufwand bei beiden Bauabschnitten erfordern.

Ferner enthalte der Vergabevermerk keine schlüssige Begründung, warum der Auftraggeber davon ausgehe, dass ausgerechnet 15% der von der Beigeladenen kalkulierten Stunden nicht durch Tauchergruppen verbraucht würden. Der Auftraggeber habe den genauen Anteil von Arbeiten, die nicht durch Taucher erbracht werden sollen, nicht selbst ermittelt.

Auch die unterstellte Arbeitszeit von zehn Arbeitsstunden pro Tag bei fünf Arbeitstagen sei unsachgemäß. Denn der Auftraggeber habe nicht überprüft, ob dieser Arbeitszeitansatz mit § 3 ArbZG in Einklang zu bringen sei. Danach betrage die regelmäßige Arbeitszeit nämlich acht Stunden pro Werktag. Ausnahmen hiervon seien nur unter besonderen Voraussetzungen möglich.

Schließlich habe der Auftraggeber auch nicht berücksichtigt, dass die von der Beigeladenen für die Auftragsdurchführung eingeplanten Taucher während der Bauzeit krankheits- oder urlaubsbedingt ausfallen können. Zwar dürfe der Auftraggeber in der Regel davon ausgehen, dass die Bieter solche Ausfälle bei ihrer Personalplanung berücksichtigt haben. Anders liege der Fall aber dann, wenn es wie hier für die termingerechte Umsetzung einer spezifischen Baumaßnahme essentiell ist, dass die einzusetzenden Taucher regelmäßig einsatzbereit sind. In so einem Fall dürfe der Auftraggeber diesen Punkt im Rahmen der Eignungsprüfung nicht unberücksichtigt lassen, sondern müsse vielmehr selbst (ggf. im Wege der Aufklärung) ermitteln, ob die Personalplanung des Bieters die fristgerechte Umsetzung realistischerweise erwarten lässt.

Rechtliche Würdigung

Die Grenzen des dem Auftraggeber bei der Eignungsprüfung zustehenden Beurteilungsspielraums wurden bereits in mehreren Entscheidungen der Vergabekammern und Vergabesenate thematisiert. So ist zwar geklärt, dass der Beurteilungsspielraum des Auftraggebers grundsätzlich weit ist. Gleichwohl bedeutet weit keineswegs grenzenlos: Der Auftraggeber darf die von ihm selbst aufgestellten Kriterien nicht missachten und darf keine sachwidrigen Erwägungen anstellen.

Die Entscheidung der VK Bund baut darauf auf. Die VK Bund setzt sich dabei äußert detailliert mit den im Vergabevermerk dokumentierten Erwägungen des Auftraggebers zur Eignungsprüfung auseinander, was zu begrüßen ist. Denn schließlich normiert § 122 GWB nicht nur eine generelle Pflicht des Auftraggebers zur Eignungsprüfung, sondern gerade auch eine Pflicht zur auftragsbezogenen Eignungsprüfung. Bei der Eignungsprüfung geht es darum, festzustellen, ob der Bieter seine vertraglichen Verpflichtungen aus dem konkret in Rede stehenden Auftrag voraussichtlich ordnungsgemäß erfüllen wird. Daher ist richtigerweise zu fordern, dass der Auftraggeber die von ihm selbst vorgegebenen fixen Fertigstellungszeiträume sowie sonstige spezifische Vorgaben entsprechend würdigt.

Praxistipp

Der Inhalt des konkreten Auftrags gibt vor, wie die Eignungsprüfung auszusehen hat. Je spezifischer die Anforderungen des ausgeschriebenen Auftrags sind, desto detaillierter muss der Auftraggeber diese bei der Prüfung der Leistungsfähigkeit berücksichtigen. Es liegt im eigenen Interesse der Auftraggeber, zumindest ihre wesentlichen Erwägungen, die sie im Rahmen der Eignungsprüfung anstellen, nachvollziehbar zu dokumentieren. Wie die vorliegende Entscheidung zeigt, müssen die dokumentierten Erwägungen eine differenzierte auftragsbezogene Herangehensweise erkennen lassen und dürfen sich nicht in Widerspruch zu den vom Auftraggeber selbst aufgestellten eignungsrelevanten Kriterien setzen. Übergangene Bieter, die einen Nachprüfungsantrag stellen, sollten ihrerseits stets sehr sorgfältig die Unterlagen aus der Akteneinsicht in der Vergabeakte studieren. Hierbei lassen sich etwaige Anknüpfungspunkte für eine fehlerhafte oder unvollständige Beurteilung durch den Auftraggeber finden und in ein Nachprüfungsverfahren einbringen.

 

The post Anforderungen an die Eignungsprüfung und deren Überprüfbarkeit durch die Nachprüfungsinstanz (VK Bund, Beschl. v. 03.06.2018 – VK 2-44/18) appeared first on Vergabeblog.

Zusätzliche Flexibilität bei gleichzeitigem Erhalt der deutlich einfacheren Regelungen nach VOL/A in der UVgO? – Teil 1

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenPolitik und MarktRecht

Mit der abgeschlossenen Vergaberechtsreform wurde insbesondere im Unterschwellenbereich für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge nach dem neuen Regelwerk der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) mit Blick auf die Vergabeverordnung (VgV) im Oberschwellenbereich der vergabepolitische Anspruch auf mehr Flexibilität  erhoben. Gleichzeitig sollten die bisher einfacheren Regelungen nach dem Abschnitt 1 der VOL/A erhalten bleiben. In zwei zeitlich nah aufeinander folgenden Beiträgen wird der Frage kritisch nachgegangen, ob die neue Wirklichkeit dem vergabepolitischen Anspruch gerecht geworden ist oder nicht.  Dabei werden zwei wesentliche Teilbereiche des neuen Regelwerks näher beleuchtet.

Teil I: Erweiterung des Vergaberegimes auf den Teilnahmewettbewerb / Teilnahmeanträge

1. Einleitung

Die Vergaberechtsreform 2016/2017 ist mit Veröffentlichung der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) am 07. Februar 2017[i] abgeschlossen.  Der Bund setzte die UVgO mit Rundschreiben des Bundesfinanzministeriums vom 1. September 2017  durch  Neufassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 55 BHO am 2. September 2017 in Kraft. Die Länder setzen sukzessive die verpflichtende Anwendung der UVgO für ihren Bereich um.

Alleine für die Vergaberechtsreform 2016 hat der Gesetz- und Verordnungsgeber für den Bereich ab den EU-Schwellenwerte die Messlatte hoch angelegt. In den Begründungen zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) bzw. der Verordnung zur Modernisierung des Vergaberechts[ii] wurde als Leitmotiv formuliert, dass mit der Neuregelung den Rechtsanwendern ein möglichst übersichtliches und leicht handhabbares Regelwerk zur Vergabe öffentlicher Aufträge und von Konzessionen an die Hand gegeben werden soll. Durch eine stärkere Gliederung und Strukturierung der Regelungen soll es – als Ergebnis der Reform –  einfacher werden, die beim jeweiligen Verfahrensschritt im Vergabeprozess anzuwendenden Vorschriften zu ermitteln. Zudem sollten nach Angaben auf der Internetseite des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) öffentliche Auftraggeber und Unternehmen mehr Flexibilität bei der Vergabe öffentlicher Aufträge erhalten.

Mehr noch:

Nach den Zielvorgaben des BMWi für die  UVgO sollen „die flexiblen Regelungsansätze im neuen Oberschwellenvergaberecht nun auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge für Liefer- und Dienstleistungsaufträge auf nationaler Ebene zur Anwendung kommen. Gleichzeitig sollen aber die auch bisher schon deutlich einfacheren Regeln  für den Unterschwellenbereich[iii] erhalten bleiben.“ [iv]

Betrachtet man die Anzahl der Paragraphen vor und nach der Reform, drängt sich prima facie im Vergleich zum bisherigen Rechtsrahmen der Schluss auf, dass das Ziel krachend verfehlt wurde, hat sich doch die Paragraphenzahl insgesamt von ursprünglich 187 auf nunmehr 429 Paragraphen und damit um 129 %  erhöht.  Wenn man so will, ist dies eine Kehrtwende von 180 Grad nach einer Reform vor acht Jahren, die sich in 2008 das Ziel gesetzt hat, die Vergaberegeln auf das erforderliche Maß zu beschränken, bürokratische Vorgaben zu streichen und die Vergabeordnungen substanziell zu vereinfachen.

Geht man jedoch davon aus, dass nach allgemeiner Schätzung ca. 95 % der Vergaben im Unterschwellenbereich abgewickelt werden, könnte man sich für den Liefer- und Dienstleistungsbereich getrost alleine an die UVgO halten, da doch alles flexibler geworden ist und die deutlich einfacheren  Regeln des Abschnitt 1 der VOL/A erhalten geblieben sein sollen.

Frage: Ist das so?

2. Weitgehende Gleichbehandlung der Teilnahmeanträge mit Angeboten

Legt man beide Vorschriften (VOL/A – Abschnitt 1 und UVgO) nebeneinander und vergleicht sie, wird man zunächst feststellen, dass der Regelungsschwerpunkt der VOL/A  über die Angebotsabgabe und deren  Behandlung durch den öffentlichen Auftraggeber –  im Wesentlichen in den Vorschriften zur

  • Form und Inhalt der Angebote (§ 13 VOL/A)
  • Öffnung der Angebote (§ 14 VOL/A)
  • Prüfung und Wertung der Angebote (§ 16 VOL/A)
  • Aufhebung, wenn kein Angebot eingegangen ist, das den Bedingungen entspricht (§ 17 VOL/A)

geregelt –  in der UVgO um die Teilnahmeanträge und damit den Teilnahmewettbewerb erweitert wurde. Dies drückt sich schwerpunktmäßig in den Vorschriften des Unterabschnitts 6 der UVgO über die Einreichung, Form und Umgang mit Teilnahmeanträgen (und Angeboten) und des Unterabschnitts 7 über die Prüfung und Wertung der Teilnahmeanträge (und Angeboten) aus. Insbesondere die Tatsache, dass nunmehr auch Teilnahmeanträge in verschlossenen Umschlägen eingereicht, gekennzeichnet, bis zum Angebotsschlusstermin verschlossen aufbewahrt werden müssen und erst nach Fristablauf von deren Inhalten Kenntnis genommen werden darf, erfordert zusätzlichen Bearbeitungs- und Kontrollaufwand, der vor dem Hintergrund der großzügig bemessenen Ausnahmeregelungen von der Verpflichtung zur elektronischen Abgabe von Teilnahmeanträgen für einen beträchtlichen Anteil nationaler Vergaben dauerhaft bleiben dürfte.[v] Im Ergebnis wurde das haushaltsrechtlich geprägte Vergaberegime von der reinen Angebotsbetrachtung nach VOL/A auch im Unterschwellenbereich auf den Teilnahmewettbewerb ausgedehnt.

Frage: Warum hat sich der Vorschriftengeber dazu entschieden?

3. Gleichklang mit dem Ziel der EU-Vergaberichtlinien im Unterschwellenbereich

Die Erläuterungen des BMWi nach dem „Warum“ schweigen sich darüber aus. Eine  Erklärung ergibt sich aus den eingangs erwähnten Zielvorgaben, durch die  ein  Gleichziehen mit der Vergabeverordnung (VgV) im Oberschwellenbereich verfolgt wurde. Damit erfolgte eine Abkehr von der bisherigen Schwerpunktsetzung im haushaltsrechtlich geprägten Unterschwellenbereich. Ausgehend vom Haushaltsgrundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit[vi] und der Tatsache, dass öffentliche Aufträge immer zivilrechtliche Verträge zwischen Staat (Bund, Länder, Kommunen) und  Unternehmen sind[vii], konzentrierten sich die Vorschriften des 1. Abschnitts der VOL/A folgerichtig auf das Angebot als erste maßgebliche  Willenserklärung im Vertragsanbahnungsprozess. Der Haushaltsgrundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit wurde alleine durch den  Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot als Annahme des Antrags i.S. des §§ 145 ff BGB durch den der Vertrag zustande kommt, realisiert. Folgerichtig war bisher im Vergabeverfahren nur der Umgang mit Angeboten regelungsrelevant. Der Teilnahmeantrag bzw. Teilnahmewettbewerb war (und ist) für das Zustandekommen des Vertrages vollkommen unerheblich und fand daher auch  keine vergleichbare Regelung im 1. Abschnitt der VOL/A. Lediglich in § 3 Abs. 1 Satz 2 VOL/A wurde im Zusammenhang mit der Definition der Beschränkten Ausschreibung  der Teilnahmewettbewerb eher am Rande als „öffentliche Aufforderung zur Teilnahme“ definiert. In § 12 VOL/A wurden zudem die „Mindestanforderungen an die Bekanntmachungen“ u.a. mit Blick auf den Teilnahmewettbewerb geregelt, jedoch keinen weiteren Form- und Vertraulichkeitsvorschriften unterworfen.  Mit der selbstgewählten Abhängigkeit der UVgO vom Oberschwellenbereich übernahm das BMWi als Vorschriftengeber somit auch für das traditionell haushaltsrechtlich geprägte Unterschwellenvergaberecht eine europäische Richtlinienbetrachtung. Schon der Titel zeugt vom derivativen Charakter der UVgO als „VgV-light“.

Geht man aber von einer Richtlinienbetrachtung bei Schaffung der UVgO aus, so muss man sich auch die Frage stellen, was das eigentliche Ziel von EU-Vergaberichtlinien ist? Dabei muss man die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft bis hin zur Union vor Augen haben. Die kontinuierliche Fortentwicklung der Marktfreiheiten und der Ausbau des europäischen Binnenmarktes konnte an den volkswirtschaftlich bedeutenden öffentlichen Aufträgen nicht vorübergehen – zumal es in allen Mitgliedstaaten der Union üblich war, den öffentlichen Einkauf auf die heimischen Märkte zu beschränken. Daher dienten bis 2014 die als „Koordinierungs“- Richtlinien bezeichneten  EU-Vergaberichtlinien dazu, die verschlossenen nationalen Beschaffungsmärkte zugunsten des europäischen Binnenmarktes aufzubrechen. Erst ab des neuen Richtlinienpakets in 2014 kamen die sog. „strategischen“ Ziele wie innovative Lösungen, Sozial- und Umwelterträglichkeit hinzu, die in einer Vielzahl von Detailregelungen zum Ausdruck kommen. Zudem entfiel der Begriff der „Koordinierung“ im Titel der maßgeblichen Richtlinien 2014/23/EU, 2014/24/EU, 2014/25/EU.

Das Aufbrechen der nationalen Beschaffungsmärkte zugunsten des europäischen Binnenmarktes als Ziel der EU-Vergaberichtlinien findet in allen Mitgliedstaaten in Form  koordinierter und damit eigens für die Bedarfsdeckung der öffentlichen Hand organisierter Vergabeverfahren statt, die vorrangig im Wettbewerb durchzuführen sind. Dieser Wettbewerb muss, um das Richtlinienziel zu erreichen,  grenzüberschreitend stattfinden. Grenzüberschreitender Wettbewerb ist jedoch nur über eine zuvor hergestellte Transparenz möglich. Nur transparente Vergabeverfahren machen Wettbewerb überhaupt erst möglich. Das Transparenzgebot verlangt daher eine umfassende Information der Bewerber und eine nachvollziehbare Gestaltung des Vergabeverfahrens von Anfang an. Daraus folgt, dass der öffentliche Auftraggeber die Bekanntmachungsvorschriften – gewissermaßen als Einfalltor zum Wettbewerb –  bei der Ausschreibung einzuhalten hat, damit alle interessierten Unternehmen gleichermaßen über die Vorhaben informiert werden. Aus Sicht des europäischen Gesetzgebers war es daher von Anbeginn seiner vergaberechtlichen Richtliniensetzung selbstverständlich, sich für die Gleichrangigkeit von offenen und nicht offenen Verfahren zu entscheiden, da in beiden Verfahren durch die Verpflichtung zur Veröffentlichung von Bekanntmachungen, in denen entweder öffentlich zur Abgabe von Angeboten oder von Teilnahmeanträgen aufgefordert wird, gleichzeitig auch Transparenz hergestellt wird.[viii]

Beide Verfahren erfüllen somit die unabdingbare Voraussetzung der Transparenz als wettbewerbliches Einfallstor, jedoch mit einem wesentlichen Unterschied:

Während beim offenen Verfahren durch öffentliche Aufforderung zur Angebotsabgab alle interessierten Unternehmen ein Angebot abgeben können, können bei nicht offenen Verfahren nur die Unternehmen ein Angebot abgeben, die nach einem Teilnahmewettbewerb –  gfl. nach einer Begrenzung der Anzahl der Bewerber –  vom öffentlichen Auftraggeber zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. Diese zulässige Möglichkeit der Begrenzung potenzieller Wettbewerber geht letztlich soweit, dass ohne weitere Begründung zumindest 5 Bewerber zur Angebotsabgabe aufgefordert werden müssen, sofern genügend Bewerber als Ergebnis des Teilnahmewettbewerbs zur Verfügung stehen, die die Eignungskriterien erfüllen.[ix] Durch die Festlegung dieser Untergrenze soll ein Mindestwettbewerb im nicht offenen Verfahren sichergestellt werden, den das offene Verfahren logischerweise nicht kennt. Damit hat das nicht offene Verfahren im Gegensatz zum offenen Verfahren das Potenzial zu einer begründungslosen Wettbewerbsbeschränkung.

Dieses wettbewerbliche Defizit des nicht offenen Verfahrens hat den deutschen Gesetz- und Verordnungsgeber bis 2016 davon abgehalten, die Gleichrangigkeit beider Verfahren in nationales Vergaberecht umzusetzen. Der bis 2016 geltende Vorrang des offenen Verfahrens im deutschen Vergaberecht stand somit in der deutschen Tradition des nationalen Vergaberechts durch den Vorrang der öffentlichen Ausschreibung, der sowohl  das Transparenzziel der EU-Vergaberichtlinien als auch den haushaltsrechtlichen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit durch größtmöglichen Wettbewerb im Blick hatte. Dieser Vorrang stand auch nicht im Widerspruch zu den EU- Richtlinien, da auch mit dem offenen Verfahren das richtlinienrelevante Transparenzziel erreicht wurde, allerdings ohne die Möglichkeit, ohne weitere Begründung den Wettbewerb beschränken zu können. Dieses national kodifizierte „Mehr an Wettbewerb“ durch den Vorrang des offenen Verfahrens bei der öffentlichen Beschaffung im Oberschwellenbereich war somit auch richtlinienkonform.

4. Fazit: Weniger flexible Regelungsansätze durch zusätzliche Regulierung des Teilnahmewettbewerbs

Durch die Abkehr von der bisherigen Philosophie eines größtmöglichen Wettbewerbs durch den Vorrang des offenen Verfahrens hin zur Wahlfreiheit und deren 1:1 Übernahme in die UVgO als Wahlfreiheit zwischen öffentlicher Ausschreibung und Beschränkter Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb ergab sich aus Sicht des nationalen Vorschriftengebers im Lichte der VgV zusätzlicher Regelungsbedarf für die Behandlung von Teilnahmeanträgen im Unterschwellenbereich. Dieser Bedarf war jedoch aus haushaltsrechtlicher Sicht und mangels Geltung der EU-Richtlinien für den Unterschwellenbereich nicht zwingend. Ob insbesondere die hohen Vertraulichkeitsanforderungen an die Übermittlung und Verschlusshaltung von Teilnahmeanträgen (wie bei Angeboten)[x] der mit der Reform beabsichtigen Schaffung zusätzlicher flexibler Regelungsansätze im Unterschwellenbereich dienen, darf mit einem vergleichenden Blick auf den 1. Abschnitt der VOL/A, der dazu nichts regelte, bezweifelt werden.

Ausblick auf Teil II:  Verhandlungsvergabe vs. Freihändige Vergabe

_______________________

[i] Bundesanzeiger AT 07.02.2017 B1
[ii] BGBl. I S. 624
[iii] d.h. der Abschnitt 1 der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen, Teil A  –  VOL/A
[iv] http://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Wirtschaft/reform-der-nationalen-vergaben.html[v] §§, 38 Abs. 4+8,  39, 40 Abs. 1 UVgO
[vi] § 6 Abs. 1 Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG), § 7 Abs. 1 Bundeshaushaltsordnung (BHO) entsprechend Landeshaushaltsordnungen (LHO)
[vii] Dem Abschluss von Verträgen über Lieferungen und Leistungen muss eine Öffentliche Ausschreibung oder eine Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb vorausgehen, sofern nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme rechtfertigen. (§§ 30 HGrG, 55 BHO/LHO)
[viii] Erstmals in Artikel 4 der Richtlinie 77/62/EWG des RATES vom 21. Dezember 1976 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge wurde diese Gleichrangigkeit des „offenen“ und „nicht offenen Verfahrens“ mittels öffentlicher Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften geregelt, die sich über alle nachfolgenden Richtlinien bis heute fortsetzte.
[ix] Artikel 65 RL 2014/24/EU, § 51 VgV
[x] Stichworte: Verschlossener Umschlag, Kennzeichnung, verschlossene Aufbewahrung bis zum Ablauf der Teilnahmefrist, Verbot der vorfristigen Kenntnisnahme vom Inhalt der Teilnahmeanträge

The post Zusätzliche Flexibilität bei gleichzeitigem Erhalt der deutlich einfacheren Regelungen nach VOL/A in der UVgO? – Teil 1 appeared first on Vergabeblog.

BGH: Spekulationsangebote sind auszuschließen! (BGH, Urt. v. 19.06.2018 – X ZR 100/16 – Uferstützmauer)

$
0
0
BauleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

Entscheidung

Der BGH setzt der Kalkulationsfreiheit der Bieter Grenzen. Spekulative Preisangaben, welche beim Eintritt bestimmter Voraussetzungen zu erheblichen Vergütungsvorteilen des Bieters führen können, sind nach Ansicht des BGH unzulässig. Angebote, welche solche Angaben enthalten, sind zwingend auszuschließen.

Der BGH hat sich im Rahmen der Klage eines Bieters auf Schadensersatz zur Reichweite der Bietern im Rahmen von Vergabeverfahren zustehenden Kalkulationsfreiheit geäußert. Der BGH setzt der Kalkulationsfreiheit zwei Grenzen: Zum einen die Mischkalkulation, zum anderen die Spekulation. In welchen Fällen entsprechende Sachverhalte vorliegen sollen, bleibt insbesondere hinsichtlich der Spekulation auch nach dem Urteil des BGH unkonturiert. Die Entscheidung hinterlässt mehr offene Fragen als sie beantworten kann. Im Ergebnis ist festzustellen, dass der BGH Bieter mit einem Angebotsausschluss bestraft, wenn er infolge einer vergaberechtswidrigen Leistungsbeschreibung Kalkulationsmöglichkeiten erkennt und diese zum eigenen Vorteil nutzen will. Diese Rechtsprechung ist zudem nicht mit der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des BGH zu sittenwidrigen Einheitspreisen in Einklang zu bringen.

BGB § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 1; VOB/A 2016 § 13 Abs. 1 Nr. 3, § 13 EU Abs. 1 Nr. 3

Leitsatz

1. Der Umstand, dass das Angebot des Bieters bei einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses Preise enthält, die deutlich unter den Kosten des Bieters liegen, rechtfertigt für sich genommen nicht die Annahme, der Bieter habe die geforderten Preise nicht angegeben.

2. Eine Angebotsstruktur, bei der deutlich unter den zu erwartenden Kosten liegenden Ansätzen bei bestimmten Positionen auffällig hohe Ansätze bei anderen Positionen des Leistungsverzeichnisses entsprechen, indiziert jedoch eine unzulässige Verlagerung von Preisangaben auf hierfür nicht vorgesehene Positionen. Kann der Bieter die Indizwirkung nicht erschüttern, rechtfertigt dies die Annahme, dass das Angebot nicht die geforderten Preisangaben enthält.

3. Ein Angebot, das spekulativ so ausgestaltet ist, dass dem Auftraggeber bei Eintritt bestimmter, zumindest nicht gänzlich fernliegender Umstände erhebliche Übervorteilungen drohen, ist nicht zuschlagsfähig. Vielmehr verletzt der betreffende Bieter seine Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB, wenn er für eine Position einen Preis ansetzt, der so überhöhte Nachforderungen nach sich ziehen kann, dass aus Sicht eines verständigen Teilnehmers am Vergabeverfahren das Ziel verfehlt wird, im Wettbewerb das günstigste Angebot hervorzubringen, und dem zu einem verantwortungsvollen Einsatz der Haushaltsmittel verpflichteten Auftraggeber nicht mehr zugemutet werden kann, sich auf ein derartiges Angebot einzulassen.

Sachverhalt

Ein Bieter beteiligte sich im Jahr 2011 an einer nationalen Ausschreibung nach dem 1. Abschnitt der VOB/A für die Stützmauersanierung am Wupperufer. Das einzige Zuschlagskriterium war der Preis. Das Angebot des späteren Klägers lag mit ca. 320.000 EUR brutto rund 8000 EUR vor dem preislich zweitplatzierten Bieter. Der Auftraggeber schloss das Angebot des erstplatzierten Bieters ohne vorhergehende Aufklärung aus und erteilte den Zuschlag an den zweitplatzierten Bieter. Der erstplatzierte Bieter machte anschließend geltend, dass der Zuschlag zwingend hätte auf sein Angebot erteilt werden müssen. Aus diesem Grunde sei er finanziell so zu stellen, als hätte er den Zuschlag erhalten. Diesen Schaden bezifferte er mit ca. 89.000 EUR. Nachdem der Auftraggeber dieser Zahlungsaufforderung nicht nachkam, verklagte der Bieter den Auftraggeber vor dem Landgericht Wuppertal. Nachdem das Gericht die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.09.2015 – 7 O 390/14) und auch das OLG Düsseldorf die anschließende Berufung zurückgewiesen hatte (Urteil vom 05.10.2016 – 27 U 21/15) wandte sich der Bieter an den BGH.

Die Entscheidung

Im Ergebnis ohne Erfolg. Nach Ansicht des BGH war zwar die Begründung des OLG Düsseldorf, das Angebot des Klägers sei aufgrund einer unzulässigen Mischkalkulation auszuschließen, unzutreffend. Jedoch habe der Bieter die Grenzen der ihm zustehenden Kalkulationsfreiheit unter Verletzung von Rücksichtnahmepflichten dadurch verletzt, dass er bei einer Eventualposition einen derart hohen Preis eingetragen hatte, welcher ihm am Ende nicht gerechtfertigte erhebliche Vergütungsansprüche hätte zukommen lassen können. Der Angebotsausschluss war somit berechtigt, dem Bieter stand kein Anspruch auf Schadensersatz zu.

In seiner Begründung stellt der BGH zunächst die einem Bieter in einem Vergabeverfahren grundsätzlich zustehende Kalkulationsfreiheit heraus (Rn. 9 ff. des Urteils). Solange der Bieter entsprechend § 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A die geforderten Preise angebe, müsse der Bieter weder die Positionen des Leistungsverzeichnisses nach den gleichen Maßstäben kalkulieren, noch für jede Position mindestens die für die Ausführung dieser Leistung entstehenden Kosten angeben. Auch bleibe es einem Bieter unbenommen, ein Unterkostenangebot abzugeben (Vergabeblog.de vom 30/03/2017, Nr. 30394). Dies gelte erst recht dann, wenn der Bieter lediglich einzelne Positionen anbietet, welche die hierfür entstehenden Kosten nicht vollständig decken. Eine ordnungsgemäße Ausführung der Leistung werde durch solche vereinzelt billig angebotene Positionen nicht gefährdet.

Aus diesen Grundsätzen folgert der BGH sodann die erste Grenze der Kalkulationsfreiheit: Die Mischkalkulation.

Die Kalkulationsfreiheit gehe nämlich nicht so weit, dass der Bieter seine zu deckenden Gesamtkosten nach Belieben einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses zuordnen dürfe. In einem solchen Fall werden nämlich die Zahlungspflichten des Auftraggebers durch die Verlagerung der Preisbestandteile manipuliert. Der Auftraggeber bezahlt tatsächlich nicht die ausgeführten Leistungen, sondern zusätzlich diejenigen Leistungen, welche der Bieter in den anderen Positionen des Leistungsverzeichnisses versteckt hat. Eine solche unzulässige Preisverlagerung liegt nach der Ansicht des BGH dann vor, wenn deutlich unter den zu erwartenden Kosten liegenden Ansätzen bei bestimmten Positionen auffällig hohe Ansätze bei anderen Positionen des Leistungsverzeichnisses gegenüberstehen. Eine solche Angebotsstruktur indiziert eine Mischkalkulation. Diesen Eindruck muss der Bieter erschüttern. Gelingt ihm der Nachweis nicht, dass keine Preisverlagerung vorliegt, ist das Angebot auszuschließen.

Sodann wendet sich der BGH der zweiten Grenze der Kalkulationsfreiheit und dem Schwerpunkt der Entscheidung zu: Die Ausnutzung der Ausgestaltung des Leistungsverzeichnisses zu unredlicher Spekulation.

In einer solchen Sachverhaltskonstellation erhöht der Bieter den Preis für einzelne Positionen drastisch und kompensiert dies dadurch, dass er andere Positionen mehr oder minder deutlich verbilligt. In einem solchen Sachverhalt liegt keine Mischkalkulation vor, da der Bieter sowohl den überhöhten als auch den heruntergesetzten Preis tatsächlich für die ausgeschriebene Leistung abrechnen will, ohne dass er Preisbestandteile zwischen den einzelnen Positionen verschiebt. Der BGH ist zwar der Ansicht, dass es nicht von vornherein in jedem Falle anstößig ist, wenn ein Bieter Unschärfen des Leistungsverzeichnisses bei den Mengenansätzen erkennt und durch entsprechende Kalkulation Vorteile zu erringen sucht. Es sei nämlich grundsätzlich Sache und Risiko des Auftraggebers, solche Spielräume zum Nachteil der öffentlichen Hand im Leistungsverzeichnis auszuschließen. Ein solches Vorgehen des Bieters findet jedoch seine Grenze dort, wo ein Bieter die Ausgestaltung des Leistungsverzeichnisses zu unredlicher Spekulation ausnutzt. In diesem Fall kann nämlich der Zweck des Vergabewettbewerbs, das günstigste Angebot hervorzubringen, nicht mehr erreicht werden. Die im Rahmen einer Ausschreibung bestehenden gegenseitigen Rücksichtnahmepflichten nach Treu und Glauben stehen einem solchen Verhalten des Bieters entgegen.

Im Ergebnis nimmt der BGH an, dass das Verhalten des klagenden Bieters diese Voraussetzungen für eine unredliche Spekulation erfüllt.

Was hatte der Bieter getan? Im Leistungsverzeichnis waren für den Aufbau, Abbau und die Vorhaltung des für die Ausführung der Arbeiten erforderlichen Gerüsts folgende zwei Positionen vorgesehen:

  • 01.000200: Einrüsten der sanierungsbedürftigen Mauerabschnitte, Auf- und Abbau sowie dreimonatige Vorhaltung des gesamten Gerüsts nebst An- und Abtransport sowie Hochwasserwartung (vom Bieter angebotener Preis: 68.878,45 Euro)
  • 01.000210: Vorhaltekosten für das Gerüst bei eventueller witterungsbedingter Verzögerung für eine Woche verlängerter Standzeit (vom Bieter angebotener Preis: 12.678 Euro).

Außerdem hatte der Bieter nach den Feststellungen des OLG Düsseldorf in der Vorinstanz bei weiteren Positionen des Leistungsverzeichnisses deutlich unter den Kosten liegende Preise angeboten.

Nach den Feststellungen des Landgerichts als erster Instanz war es zudem als nicht fernliegend anzusehen, dass es zu den in Pos. 01.000210 erwähnten witterungsbedingten Verzögerungen kommen würde. Während im Rahmen der Pos. 01.000200 der wöchentliche Preis für die Vorhaltung des Gerüsts etwas unter 5.300 EUR liege, verlange der Bieter pro Woche der Vorhaltung aufgrund witterungsbedingter Verzögerungen über 12.000 EUR. In diesem Preisunterschied liegt nach Ansicht des BGH eine erhebliche spekulative Aufpreisung. Diese wirke sich umso nachteiliger aus, je länger die Unterbrechung andauere. Durch diese Aufpreisung habe der Kläger gegen die ihm obliegenden Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) verstoßen, so dass sein Angebot auszuschließen sei. Der BGH weist zwar noch darauf hin, dass es sich bei der Pos. 01.000210 um eine Eventualposition handelt, welche der Auftraggeber nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 VOB/A überhaupt nicht hätte vorsehen dürfen. Dass sich der Auftraggeber hier vergaberechtswidrig verhalten hat, ändere jedoch nichts an der Ausschlussreife des Angebots des Bieters.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des BGH kann nur schwerlich nachvollzogen werden. Außerdem schafft die Entscheidung eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Da die Kriterien des BGH für eine unredliche Spekulation konturlos und unkonkret bleiben, wird die Entscheidung sowohl bei Bietern hinsichtlich der Frage zu Unsicherheiten führen, wie weit sie im Rahmen der Kalkulation ihrer Angebote gehen dürfen, als auch auf Auftraggeberseite hinsichtlich der Frage, wann sie berechtigt sind, ein Angebot aus diesen Gründen auszuschließen.

Es überrascht, dass der BGH die Entscheidung über den Ausschluss des Bieters selbst meint treffen zu können, obwohl das OLG seine Berufungsentscheidung noch auf eine Mischkalkulation gestützt und sich zur Frage der Spekulation nicht geäußert hatte. Überraschend ist das Ergebnis auch, dass der BGH die unstreitigen Feststellungen des Landgerichts, dass der Auftraggeber keinerlei Angebotsaufklärung vor dem erfolgten Ausschluss durchgeführt hatte, nicht aufgreift. Anders als in seiner Entscheidung zum Umgang mit Unterkostenangeboten vom 31.01.2017, in welcher er ausführlich zu Inhalt und Umfang der in diesem Fall erforderlichen Aufklärung ausgeführt hat, hält der BGH offensichtlich eine Aufklärung im Rahmen des Verdachts eines spekulativen Angebotes nicht für geboten. Des Weiteren vermisst man im Urteil des BGH Feststellungen und Kriterien dazu, wann eine Spekulation derart unredlich sein soll, dass diese einen Angebotsausschluss rechtfertigt. Im vorliegenden Fall hatte der Bieter für die Eventualposition der verlängerten Gerüstvorhaltung das 2,4-fache der angebotenen wöchentlichen Kosten für die Vorhaltung während der vorgesehenen Bauzeit angeboten. Dem BGH genügt zudem eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Eventualpositionen überhaupt zum Tragen kommt, für die Feststellung einer unredlichen Ausnutzung des Leistungsverzeichnisses. Weitere Tatsachenfestellungen hält der BGH nicht für erforderlich.

Diese Ausführungen des für Vergaberecht zuständigen X. Zivilsenats stehen zudem im Gegensatz zur Rechtsprechung des für Bausachen zuständigen VII. Zivilsenats des BGH für die Frage des Vorliegens sittenwidriger Einheitspreise. In der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats (Urteil vom 07.03.2013 – VII ZR 68/10 und Urteil vom 14.03.2013 – VII ZR 116/12) ist anerkannt, dass die nach § 2 Abs. 3 VOB/B (Mengenänderungen) oder § 2 Abs. 5 VOB/B (geänderte Leistungen) zu bestimmende Vergütung anhand des für die jeweilige Position angebotenen Einheitspreises unzulässig ist, wenn dieser Einheitspreis in einem auffälligen, wucherähnlichen Missverhältnis zur Leistung steht. Ein auffälliges Missverhältnis ist nur dann wucherähnlich, wenn der aufgrund dieses auffälligen Missverhältnisses über das übliche Maß hinausgehende Preisanteil sowohl absolut als auch im Vergleich gesehen zur Gesamtauftragssumme in einer Weise erheblich ist, dass dies von der Rechtsordnung nicht mehr hingenommen werden kann. Unter diesen Voraussetzungen besteht eine Vermutung für ein sittlich verwerfliches Gewinnstreben des Auftragnehmers. Im vom BGH entschiedenen Fall betrug die vom Bieter verlangte Vergütung das 8-fache und 22-fache des üblichen Preises. Kann der Bieter die Vermutung eines sittenwidrigen Gewinnstrebens entkräften, bleibt es ihm dennoch nach Treu und Glauben untersagt, sich auf den überhöhten Preis zu berufen. An die Stelle der Vereinbarung über die Vergütung tritt die Vereinbarung, die Leistungen nach dem üblichen Preis zu vergüten.

Da der Tatbestand des Wuchers bzw. der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB eine besondere Ausformung des Grundsatzes von Treu und Glauben ist, auf den der X. Zivilsenat seine Entscheidung stützt, ist somit eine unterschiedliche Beurteilung dieses Grundsatzes durch die verschiedenen Senate des BGH festzustellen. Überträgt man die Lösung des VII. Zivilsenats des BGH auch auf die vergaberechtliche Angebotsprüfung, so gelangt man indes zu praktikablen Ergebnissen.

Hiernach kann es nicht genügen, wenn lediglich ein Einheitspreis erheblich über dem üblichen Preis für die geforderte Leistung liegt. Durch diese Preisgestaltung muss sich auch das Gesamtpreisgefüge des Vertrages grundlegend ändern. Beide Voraussetzungen hat der X. Zivilsenat des BGH in seiner Entscheidung nicht geprüft. Weder hat er Feststellungen dazu getroffen, ob die vom Bieter angebotenen 12.678 EUR für die witterungsbedingte verlängerte Vorhaltung des Gerüsts für sich genommen sittenwidrig überhöht sind. Bei dieser Prüfung ist nicht auf die Grundposition im Leistungsverzeichnis abzustellen, sondern auf den objektiv marktüblichen Preis. Des Weiteren fehlen Feststellungen dazu, in welchem Umfang sich diese unterstellt sittenwidrige Preisgestaltung auf den Gesamtangebotspreis auswirken könnte.

Schließlich ist es vorzugswürdig, die Konstellation einer spekulativen Angebotsgestaltung mit den Mitteln des Vertragsrechts einzudämmen. In der dargestellten Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des BGH finden sich praktikable und insbesondere auch den öffentlichen Haushalt schützende Korrekturmechanismen für den Fall des Vorliegens sittenwidrig überhöhter Einheitspreise. Wenn es dem Auftragnehmer in diesen Fällen untersagt ist, die sittenwidrig überhöhten Einheitspreise zu seinen Gunsten fortzuschreiben und sich die Vergütung anschließend anhand der üblichen Vergütung bemisst, so nivelliert sich die im Rahmen des Vergabeverfahrens vorgenommene Spekulation und verhindert hierdurch im Ergebnis eine unwirtschaftliche Beschaffung.

Praxistipp

Da nicht davon auszugehen ist, dass der X. Zivilsenat des BGH seine Rechtsprechung kurzfristig wieder ändert, sind für die Praxis hieraus folgende Schlüsse zu ziehen:

Bieter in Vergabeverfahren werden künftig ihre Kalkulation mit besonderem Augenmerk darauf zu erstellen haben, ob die Preisstruktur nicht als unredliche Spekulation ausgelegt werden kann. Hier ist auf eine in sich konsistente und schlüssige Angebotserstellung und Preisgestaltung zu achten. Auf eine Aufklärung des Auftraggebers ist die Preisgestaltung nachvollziehbar zu erläutern.

Einen besonderen Appell beinhaltet die Entscheidung jedoch an den öffentlichen Auftraggeber: Wie der BGH mehrfach betont, ist von der Aufnahme von Eventualpositionen in das Leistungsverzeichnis abzusehen. Solche Positionen waren und sind stets das Einfallstor für eine spekulative Angebotsgestaltung. Das Vergaberecht verpflichtet den Auftraggeber zudem zur eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung. Kann der Bieter die Angebotsstruktur zu unredlicher Spekulation ausnutzen, wird diese Anforderung offenkundig nicht erfüllt. Entdeckt der Auftraggeber dennoch im Rahmen der Angebotsprüfung eine verdächtige Preisgestaltung, so sollte er dem Bieter stets die Gelegenheit geben, sich hierzu zu erklären. Ein Angebotsausschluss ohne vorherige Aufklärung dürfte von dem Bieter stets erfolgreich im Rahmen des vergaberechtlichen Rechtsschutzes angreifbar sein. Kann der Bieter bei objektiven Indizien für eine unredliche Preisgestaltung keine rechtfertigenden Umstände vorbringen, so kann hierauf ein Angebotsausschluss gestützt werden. Aufgrund der schwer greifbaren Kriterien des BGH ist ein solches Vorgehen jedoch mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Selbst wenn hier kein Angebotsausschluss erfolgt, bietet das Vertragsrecht wie dargestellt auch nach Vertragsschluss noch entsprechende Korrekturmechanismen, um zu verhindern, dass ein späterer Auftragnehmer durch spekulative Preisgestaltung auch tatsächlich einen ihm von der Rechtsordnung nicht zuzubilligenden monetären Vorteil ziehen kann.

The post BGH: Spekulationsangebote sind auszuschließen! (BGH, Urt. v. 19.06.2018 – X ZR 100/16 – Uferstützmauer) appeared first on Vergabeblog.

Zusätzliche Flexibilität bei gleichzeitigem Erhalt der deutlich einfacheren Regelungen nach VOL/A in der UVgO? – Teil 2

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenPolitik und MarktRecht

Mit der abgeschlossenen Vergaberechtsreform wurde insbesondere im Unterschwellenbereich für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge nach dem neuen Regelwerk der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) mit Blick auf die Vergabeverordnung (VgV) im Oberschwellenbereich der vergabepolitische Anspruch auf mehr Flexibilität erhoben. Gleichzeitig sollten die bisher einfacheren Regelungen nach dem Abschnitt 1 der VOL/A erhalten bleiben. In zwei zeitlich nah aufeinander folgenden Beiträgen wird der Frage kritisch nachgegangen, ob die neue Wirklichkeit dem vergabepolitischen Anspruch gerecht geworden ist oder nicht. Dabei werden zwei wesentliche Teilbereiche des neuen Regelwerks näher beleuchtet.

1. Einleitung

Im Teil I des Beitrags () wurde am Beispiel der neuen Regelungen über den Teilnahmewettbewerb  in der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) in Analogie zum Oberschwellenbereich untersucht, ob damit zusätzliche flexible Regelungsansätze übernommen wurden. Im Ergebnis konnte festgestellt werden, dass dieser zusätzliche Regelungsbedarf und damit die Ausweitung des nationalen Vergaberegimes über den Umgang mit Angeboten im Vertragsanbahnungsprozess hinaus weder haushalts- noch europarechtlich zwingend erforderlich war.

Im weiteren Verlauf (Teil II) soll untersucht werden, ob die deutlich einfacheren Regelungen nach dem Abschnitt 1 der VOL/A in der UVgO erhalten geblieben sind. In diesem Zusammenhang soll ein Vergleich der neuen Verhandlungsvergabe (§ 12 UVgO) mit der ehemaligen Freihändigen Vergabe (§ 3 Abs. 1 Satz 3 VOL/A) angestellt werden.

2. Regelungsschwerpunkt der Freihändigen Vergabe nach VOL/A im Vergleich zur UVgO

Die Freihändige Vergabe nach VOL/A unterschied sich von der Öffentlichen und  Beschränkten Ausschreibung dadurch, dass für sie kein förmliches Verfahren vorgesehen und ihre Anwendung an Ausnahmevorschriften gebunden war, die in  § 3 Abs. 5 VOL/A erschöpfend geregelt wurden. Mithin handelte es sich um ein Verfahren,  bei denen sich die Auftraggeber mit oder ohne Teilnahmewettbewerb grundsätzlich an mehrere ausgewählte Unternehmen wenden konnten, um mit einem oder mehreren über die Auftragsbedingungen zu verhandeln.[i]

Wesentliche Merkmale der Freihändigen Vergabe war die begrenzet Anzahl an Verfahrensteilnehmern sowie die Zulässigkeit von Verhandlungen mit den Bietern auch über Angebote und deren Inhalte. Die Verfahrensgestaltung lag jedoch weitgehend im Ermessen der Vergabestelle und ermöglichte so größtmögliche Flexibilität. Allerdings galten auch für die Freihändige Vergabe die zentralen vergaberechtlichen Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz sowie der Nichtdiskriminierung, wobei im Ausnahmefall auf Wettbewerb verzichtet werden konnte, beispielsweise in den Fällen, in denen aus faktischen oder rechtlichen Gründen  nur ein Unternehmen in Betracht kam.[ii] Ansonsten galt auch hier (wie bei der Beschränkten Ausschreibung) ein Mindestwettbewerb, der vorsah, dass mindestens 3 Bewerber zur Angebotsabgabe aufgefordert werden sollten.

Vergleicht man die Freihändige Vergabe mit dem neuen Verfahren der „Verhandlungsvergabe“ wird man bzgl. der Merkmale der Verhandlungsvergabe sowohl Übereinstimmungen als auch Unterschiede zur Freihändigen Vergabe nach VOL/A feststellen. Übereinstimmung findet man in der Zulässigkeit von Verhandlungen über den Ausschreibungsgegenstand und die Angebotsinhalte, in der begrenzten Anzahl an Verfahrensteilnehmern sowie in der Beachtung der Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz und der Nichtdiskriminierung.

Fehlende Übereinstimmung besteht in der Verfahrensgestaltung, die nach der UVgO nicht mehr im freien Ermessen der Auftraggeber liegt, verbunden mit einer erheblichen Einbuße an Flexibilität.

Frage: Woran kann man das festmachen?

3. Hohe Anforderungen an Datenintegrität und Vertraulichkeit

Es gibt in der UVgO mehrere Vorschriften, die eine erhebliche Formalisierung der Verhandlungsvergabe zur Folge haben.

Zunächst bestimmt § 3 Abs. 2 Satz 1 UVgO, dass „bei der gesamten Kommunikation sowie beim Austausch und der Speicherung von Informationen der Auftraggeber die Integrität der Daten und die Vertraulichkeit der Teilnahmeanträge und Angebote einschließlich ihrer Anlagen gewährleisten muss“.

Diese Bestimmung betrifft alleine schon wegen des neuen Grundsatzes der elektronischen Kommunikation gem. § 7 Abs. 1 UVgO in erster Linie Sicherheitsanforderungen an diese, hat aber mangels ausdrücklicher Begrenzung auf die elektronische Kommunikation, verbunden mit den großzügigen Ausnahmen von der elektronischen Kommunikation gem. § 38 Abs. 4 UVgO, auch Auswirkungen auf die schriftliche Kommunikation per Post oder der direkten Übermittlung. Nach den Erläuterungen des BMWi entspricht die Regelung wortgleich dem § 5 VgV zur Wahrung der Vertraulichkeit. Es handelt sich dem Wortlaut der Verordnungsbegründung zu § 5 VgV nach um eine (den eigentlichen Bestimmungen über die Kommunikation in den §§ 9-13 VgV) vorangestellte Klarstellung, der für die gesamte Kommunikation gilt und – dem Wortlaut der Norm nach – auch die Teilnahmeanträge und Angebote umfasst, deren Form und Übermittlung tiefergehend in § 38 UVgO geregelt ist.. Diese Bestimmung gilt unterschiedslos in allen Vergabeverfahren und somit auch für die Verhandlungsvergabe.

Sichergestellt werden Datenintegrität und Vertraulichkeit

  • bei postalischer u. direkter Übermittlung durch verschlossenen Umschlag und mittels Kennzeichnung (§ 38 Abs. 8 UVgO), Anbringen des Eingangsvermerks und Unterverschlusshaltung bis zum Ablauf der Angebotsfrist (§ 39 Satz 2 UVgO), wie dies in Ausschreibungsverfahren bisher für Angebote in 13 Abs. 2 Satz 2 VOL/A bestimmt war,
  • bei elektronischer Übermittlung in Textform gem. § 126b BGB mithilfe elektronischer Mittel gem. § 7 UVgO durch Verschlüsselung. Dies ergibt sich ziemlich verschachtelt aus § 7 Abs. 4 UVgO i.V. mit § 11 Abs. 2 VgV, wonach der öffentliche Auftraggeber für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten in einem Vergabeverfahren ausschließlich solche elektronischen Mittel (Geräte und Programme) verwenden darf, die neben der Echtheit auch die  Unversehrtheit und die Vertraulichkeit der Daten gewährleisten müssen. Des Weiteren ergibt sich aus der Verordnungsbegründung zu § 11 Abs. 2 VgV, dass zum Schutz der verwendeten Informations- und Kommunikationstechnologie vor fremden Zugriffen, geeignete organisatorische und technische Maßnahmen zu ergreifen sind, wobei nur solche technischen Systeme und Bestandteile eingesetzt werden sollen, die dem aktuellen Stand der Technik entsprechen“. Letzteres beschreibt zwar „nur“ den Umstand der Vertraulichkeit, nicht jedoch den der  Unversehrtheit der Daten (Datenintegrität). Datenintegrität verhindert  zwar nicht den unberechtigten (fremden) Zugriff auf die elektronischen Daten, kann ihn aber durch asymmetrische Verschlüsselungsverfahren  (wie diese beispielsweise bei Verwendung fortgeschrittener oder qualifizierter elektronische Signaturen eingesetzt werden) nachweisen. Hinzu kommt § 10 Abs. 1 Nrn. 1-7 VgV, der über § 7 Abs. 4 UVgO die „harten“ Anforderungen an die elektronischen Mittel beim Auftraggeber  für den Empfang von elektronischen Angeboten und Teilnahmeanträgen stellt, die die Erfordernisse nach Datenintegrität (Nr. 7) und Verschlüsselung (Nr. 4,5) umschreiben.
  • Unbeantwortet bleibt die Frage, wir Angebote und Teilnahmeanträge, die per Telefax übermittelt werden, den Anforderungen nach 3 Abs. 2 UVgO gerecht werden, denn auch das Telefax gehört gem. § 38 Abs. 1 UVgO zu den Übermittlungsmöglichkeiten für Teilnahmeanträge und Angebote und damit zur „gesamten Kommunikation“ i.S. des § 3 Abs. 2 Satz 1 UVgO. Auch in diesen Fällen dürfte es auf eine Verschlüsselung hinauslaufen, um die Anforderungen zu erfüllen, insbesondere dann, wenn die Übermittlung über Fax-Server, Modem oder Fax over IP stattfindet.

Im Vergleich dazu waren die Bestimmungen der VOL/A zum Thema Datenintegrität und Vertraulichkeit geradezu von einer erhellenden Deutlichkeit. Gem. § 13 Abs. 2 VOL/A sollte

  • Datenintegrität durch „entsprechende organisatorische und technische Lösungen nach den Anforderungen des Auftraggebers “ hergestellt werden, was zwar auch nicht besonders konkret war, aber durch den obligatorisch vorgegebenen Einsatz qualifizierter oder fortgeschrittener elektronischer Signaturen bei elektronischen Angeboten gem. § 13 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz VOL/A aufgrund der Signaturmechanismen durch asymmetrische Verschlüsselungsverfahren praktisch mit gelöst wurde (Verschlüsselung > mit geheimen Schlüssel: private Key, Entschlüsselung > mit einem in der Signatur mitgeführten korrespondierenden öffentlichen Schlüssel: Public Key),
  • Vertraulichkeit (Zugriffsschutz) durch Verschlüsselung (ebenfalls mittels asymmetrischer Verschlüsselungsverfahren durch Verschlüsselung mit öffentlichem Schlüssel und Entschlüsselung mit geheimem Schlüssel) hergestellt werden.

Ausschlaggebend für die Feststellung einer erhöhten Formalisierung der Verhandlungsvergabe im Vergleich zur Freihändigen Vergabe ist jedoch der Umstand, dass gem. § 13 Abs. 2 VOL/A diese Anforderungen nur für Ausschreibungsverfahren, nicht jedoch für Freihändige Vergaben galten.

Die Folge davon war, dass Angebote und Teilnahmeanträge bei Freihändigen Vergaben ohne verschlossenen Umschlag bzw. ohne Verschlüsselung und Gewährleistung von Datenintegrität  übermittelt werden konnten.

Fazit: Die Anforderungen an Datenintegrität und Vertraulichkeit erstreckt sich nunmehr auch auf die Verhandlungsvergabe.

4. Erweiterung der Formvorschriften auf Verhandlungsvergaben

Ein weiteres Indiz für eine erhöhte Formalisierung der Verhandlungsvergabe sind die Aufbewahrungs- und Öffnungsvorschriften von Angeboten und Teilnahmeanträgen in allen Vergabeverfahren  (§§ 39, 40 UVgO), wie bereits im vorangegangenen Kapitel 3 zur Datenintegrität und Vertraulichkeit angedeutet. Es geht demnach um die Behandlung von Teilnahmeanträgen und Angeboten nach deren Übermittlung. Gem. § 39 UVgO müssen unterschiedslos in allen Vergabeverfahren die Teilnahmeanträge und Angebote entweder nach elektronischer Übermittlung auf geeignete Weise gekennzeichnet sein und verschlüsselt gespeichert werden oder nach Übermittlung auf dem Postweg oder nach direkter Übermittlung verschlossen bleiben, mit Eingangsvermerk versehen werden und bis zum Zeitpunkt der Öffnung unter Verschluss gehalten werden. Per Telefax übermittelte Teilnahmeanträge und Angebote sind ebenfalls entsprechend zu kennzeichnen und auf geeignete Weise unter Verschluss zu halten.

Eine Kenntnisnahme vom Inhalt der Teilnahmeanträge und Angebote vor Ablauf der Teilnahme- oder Angebotsfrist ist unzulässig, es sei denn für den Fall, in dem nur ein Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert wurde und das Angebot bereits vorliegt, bevor die Angebotsfrist abgelaufen ist. Für die Praxis bedeutet dies, dass auch im Rahmen einer Verhandlungsvergabe der verschlossene Umschlag mit dem Teilnahmeantrag oder Angebot bis zum Ablauf der Fristen verschlossen aufzubewahren ist. Angebote sind danach auch im Rahmen einer Verhandlungsvergabe gem. § 40 Abs. 2 UVgO von mindestens zwei Vertretern des Auftraggebers gemeinsam an einem Termin unverzüglich nach Ablauf der Angebotsfrist zu öffnen (4-Augen-Prinzip).

Im Unterschied zur VOL/A galten die vergleichbaren Formvorschriften nach § 14 VOL/A ebenso nur für Ausschreibungsverfahren, nicht jedoch für die Freihändige Vergabe.

Fazit: Die bisherige Möglichkeit, eingehende Angebote (und Teilnahmeanträge) im Rahmen einer Freihändigen Vergabe unmittelbar nach Eingang unverschlossen und ohne Unterverschlusshaltung bis zum Ablauf der Angebotsfrist  –  d.h. offen und unmittelbar – dem zuständigen Sachbearbeiter zur Bearbeitung zuzuleiten, fällt künftig weg.

5. Ist künftig der Einsatz herkömmlicher E-Mails für die elektronische Abgabe von Angeboten und Teilnahmeanträgen im Rahmen einer Verhandlungsvergabe noch zulässig?

Vor dem Hintergrund dieser formalen Vertraulichkeitsanforderungen der Verhandlungsvergabe (Kapitel 3 und 4) stellt sich auch die Frage, ob E-Mails für die Angebotsabgabe noch zulässig sind?

Rückblick: Obwohl bei rückblickender Betrachtung die obligatorische Verpflichtung zur Verwendung fortgeschrittener oder qualifizierter elektronischer Signaturen für die elektronische Angebotsabgabe in allen Vergabeverfahren gem. § 13 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz VOL/A bzw. § 16 EG Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz VOL/A aufgrund mangelnder Interoperabilität der elektronischen Signaturen im europäischen Binnenmarkt eine flächendeckende elektronische Angebotsabgabe eher behinderte als sie zu fördern, bestand doch zumindest gem. § 13 Abs. 1 Satz 2, 3. Halbsatz VOL/A für die in § 3 Abs. 5 Buchst. i) geregelten. „Bagatellvergaben“ bereits die Möglichkeit die (einfache) elektronische Signatur zu verwenden[iii], die auch der Textform gem. § 126b des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entsprach.[iv] Es wurden – im Gegensatz zum Oberschwellenbereich in § 13 EG Abs. 3 VOL/A – keine besonderen technischen („harten“) Anforderungen an die Hard- und Software beim Auftraggeber für den Empfang von Angeboten und Teilnahmeanträgen gestellt. Im Ergebnis konnten in diesen Fällen bisher auch herkömmlich E-Mails für die elektronische Abgabe von Angeboten und Teilnaheanträgen genutzt werden, ohne besondere Anforderungen an Authentizität, Datenintegrität und Vertraulichkeit stellen zu müssen.

Betrachtet man sich die neuen unterschwelligen Vergaberegeln, könnte man eigentlich erleichtert aufatmen, werden fortgeschrittene oder qualifizierte elektronische Signaturen doch nicht mehr obligatorisch für die elektronische Angebotsabgabe gefordert. An deren Stelle ist der Grundsatz der Textform gem. § 126b BGB getreten, der nur noch im Ausnahmefall (bei erhöhten Anforderungen an die Sicherheit) das Verlangen nach elektronischen Signaturen für Teilnahmeanträge und Angebote erlaubt.[v] Der Haken an der Sache ist die ergänzende Regelung, wonach für die elektronische Einreichung von Teilnahmeanträgen und Angeboten zwar die im Vergleich zu elektronischen Signaturen weniger anspruchsvolle Textform nach § 126b BGB zu verlangen ist, diese jedoch „mithilfe elektronischer Mittel gem. § 7 erzeugt werden muss. Und hier rächt sich die pauschale 1:1-Verweisungstechnik aus der UVgO in die VgV, wobei unklar ist, ob dies in diesem Fall so gewollt oder unbeabsichtigt war. § 7 Abs. 4 UVgO verweist nämlich auf die §§ 10 bis 12 der VgV, die auch im Unterschwellenbereich für die Anforderungen an die verwendeten elektronischen Mittel und deren Einsatz entsprechend gelten sollen. § 10 Abs. 1 Satz 2  VgV stellt  jedoch in einem Katalog von 7 Punkten „harte“ Anforderungen an die elektronischen Mittel beim Auftraggeber für den Empfang von Angeboten und Teilnahmeanträgen, die insbesondere Datenintegrität, Verschlüsselung, Verschlusshaltung bis Fristablauf, ein Rollen- und Rechte-Konzept z.B. durch ein 4-Augenprinzip bei Angebotsöffnung erfordern.[vi] Letztlich kann dies nur durch den Einsatz komplexer Vergabeplattformen gewährleistet werden kann. Die herkömmliche E-Mail kann zwar die zivilrechtlichen Textformanforderungen erfüllen, nicht jedoch die vergaberechtlichen Anforderungen an die elektronischen Mittel.

6. Zusammenfassung

Das vergabepolitische Ziel der Reform des Vergaberechts im Unterschwellenbereich, wonach die auch bisher schon deutlich einfacheren Regeln für den Unterschwellenbereich (Abschnitt 1 der VOL/A) erhalten bleiben sollen, wurden zumindest für die Verhandlungsvergabe als Nachfolgeverfahren der Freihändigen Vergabe durch (beabsichtigte oder unbeabsichtigte) Ausweitung/Regelung

  • der Anforderungen an Datenintegrität und Vertraulichkeit für Teilnahmeanträge und Angebote
  • der technischen Anforderungen an die elektronischen Mittel beim Auftraggeber für den Empfang von Angeboten und Teilnahmeanträgen sowie
  • der Formvorschriften bzw. durch Wegfall der Begrenzung dieser Formvorschriften auf Ausschreibungsverfahren

nicht erreicht.

Es bleibt abzuwarten, ob angesichts dieses im diametralen Gegensatz zur politischen Zielvorgabe vorliegende „Reform“-Ergebnis vom Ordnungsgeber korrigiert wird. Der Praxis wäre es zu wünschen.

_______________________

[i] § 3 Abs. 1 Satz 3 VOL/A
[ii] § 3 Abs. 5 Buchst. l VOL/A i.V. mit den Erläuterungen (Anhang IV)
[iii] § 2 Nr. 1 Signaturgesetz a.F.
[iv] Eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben, wobei ein dauerhafter Datenträger jedes Medium ist, dass es dem Empfänger ermöglicht, die Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich und geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben ( § 126b BGB)
[v] § 38 Abs.1-3, 6 UVgO
[vi] Siehe auch Kapitel 3: Sicherstellung der Datenintegrität und Vertraulichkeit für die gesamte Kommunikation gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 UVgO

The post Zusätzliche Flexibilität bei gleichzeitigem Erhalt der deutlich einfacheren Regelungen nach VOL/A in der UVgO? – Teil 2 appeared first on Vergabeblog.

Die Innovationspartnerschaft – Ein Vergabeverfahren für innovative Beschaffungen

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

Forschung, Entwicklung und Innovation sind der Schlüssel zu einem langfristigen Wachstum. Ohne technologischen Fortschritt lebt unser Wohlstand nur auf Raten. Nicht nur die Wirtschaft, sondern auch der Staat ist daher gefordert, in den Fortschritt zu investieren. Die EU hat diesen Ansatz auch im Vergaberecht berücksichtigt, was dazu führte, dass Deutschland im Jahre 2016 ein neues Vergabeverfahren eingeführt hat, das es den öffentlichen Auftraggebern ermöglichen soll, „eine langfristige Innovationspartnerschaft für die Entwicklung und den anschließenden Kauf neuer, innovativer Waren, Dienstleistungen oder Bauleistungen zu begründen.“ (siehe in der Erwägung 49 zur Richtlinie 2014/24).

Einleitung

Die Innovationspartnerschaft wird in Deutschland kaum genutzt, wie ein rascher Blick in TED sofort zeigt. Dies ist bedauerlich, da die Innovationspartnerschaft ein durchaus sinnvolles Verfahren zur Förderung von F&E darstellen kann. Leider ist dieses Verfahren aber auch recht komplex, was ein Grund für dessen stiefmütterlichen Umgang sein dürfte. Ein anderer Grund dürfte sein, dass Einkaufs- und F&E-Abteilung in der Regel voneinander getrennt agierende Einheiten sind; bei der Innovationspartnerschaft müssen diese jedoch zwingend zusammenarbeiten. Nachstehend soll daher die Innovationspartnerschaft noch einmal kurz und prägnant erläutert werden. Dabei wird zunächst der vergaberechtliche Rahmen aufgezeigt, sodann wird der Definition nachgegangen, um sodann ihre Stellung und „Abgrenzung“ zu anderen Vergabearten aufzuzeigen.

Vergaberechtlicher Rahmen

Die Innovationspartnerschaft ist in den Richtlinien 2014/24 („klassische Vergaben“) sowie 2014/25 (Sektoren) geregelt. Entsprechend wurde sie im Jahre 2016 in deutsches Recht im GWB, der VgV, VOB/A-EU und der SektVO umgesetzt. Die Innovationspartnerschaft ist historisch bedingt indessen nicht in der VSVgV für den Bereich Sicherheit und Verteidigung geregelt, obgleich man sie gerade dort erwarten sollte. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass der EU-Gesetzgeber im Fall der Neuauflage der entsprechenden Richtlinie 2009/81 auch für den Bereich Sicherheit und Verteidigung die Innovationspartnerschaft als weitere Verfahrensart zur Verfügung stellt. Auch im Unterschwellenbereich sucht man leider vergebens nach der Innovationspartnerschaft. Denkbar wäre sie jedoch auch dort, wozu es jedoch einer haushaltsrechtlichen Anordnung bedürfte.

Definition der Innovationspartnerschaft

§ 119 Abs. 7 GWB definiert die Innovationspartnerschaft als ein Verfahren zur Entwicklung innovativer Leistungen, die nicht auf dem Markt verfügbar sind, und deren anschließendem Erwerb. Damit sind bereits die beiden wichtigsten Voraussetzungen zu ihrer Anwendbarkeit genannt. Im Detail geregelt ist die Innovationspartnerschaft in § 19 VgV. Nach dessen Absatz 6 wird sie „durch Zuschlag auf Angebote eines oder mehrerer Bieter eingegangen.“ Der Begriff der Innovationspartnerschaft ist somit doppelseitig: Zum einen handelt es sich um eine Verfahrensart des Vergaberechts, die z.B. neben dem offenen Verfahren und dem Verhandlungsverfahren steht. Zum anderen handelt es sich um einen Vertrag zwischen öffentlichem Auftraggeber und einem oder mehreren Unternehmen (Partnern), der in eine Forschungs- und Entwicklungsphase sowie eine Leistungsphase strukturiert ist (Innovationspartnerschaft „im engeren Sinn“).

Verhältnis zur vorkommerziellen Beschaffung

Um dem Sinn und Zweck der Innovationspartnerschaft näher zu kommen, lohnt ein kurzer Blick auf § 116 Abs. 1 Nr. 2 GWB. Danach müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein, damit eine beauftragte Leistung nicht dem Vergaberecht unterfällt:

  1. Es muss eine Forschungs- oder Entwicklungsdienstleistung beauftragt werden,
  2. die unter die Referenznummern 73000000-2 bis 73120000-9, 73300000-5, 73420000-2 und 73430000-5 CPV fällt,
  3. die Ergebnisse erzeugen soll, die nicht ausschließlich Eigentum (bzw. „Nutzungsrecht“) des Auftraggebers für seinen Gebrauch und bei der Ausübung seiner Tätigkeit werden, oder
  4. die Dienstleistung wird nicht vollständig durch den Auftraggeber vergütet.

Die Europäische Kommission hat auf Grundlage dieser Ausnahme (die bereits in den Vorgängerrichtlinien enthalten war) das Instrument der sog. „vorkommerziellen Beschaffung“ (pre-commercial procurement – PCP) geschaffen. PCP ist trotz des missverständlichen Namens gerade keine Vergabe, PCP ist vergabefrei (siehe dazu zuletzt Brussels, Commission notice of 15.5.2018 “Guidance on Innovation Procurement” C(2018) 3051 final). Der vorkommerziellen Beschaffung schließt sich in aller Regel eine Beschaffung innovativer Leistungen (public procurement of innovation solutions – PPI) an. Bei PPI findet das Vergaberecht Anwendung. PCP und PPI sind daher strikt zu trennen. Darin wird auch ein Nachteil gesehen, da die „Gewinner“ des PCP nicht unbedingt die Leistung im PPI auch produzieren und ausliefern. Anders bei der Innovationspartnerschaft: Dort muss der Auftraggeber grundsätzlich bei dem Unternehmen die innovative Leistung beschaffen, die vorher durch eben dieses Unternehmen entwickelt wurde.

Die Innovationspartnerschaft kann auch dann sinnvoll sein, wenn die Voraussetzungen des PCP, d.h. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht erfüllt werden, der Auftraggeber aber gleichwohl eine innovative Leistung beschaffen möchte und mehrere Partner an der innovativen Lösung arbeiten sollten. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Auftraggeber ein Interesse daran hat, dass er vollständig die gewerblichen Schutzrechte erhält, was bei einem PCP nicht möglich ist.

Verhältnis zum Verhandlungsverfahren

Auch das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb ist zulässig, wenn „der Auftrag konzeptionelle oder innovative Lösungen umfasst“, § 14 Abs. 3 Nr. 2 VgV. Im Unterschied zur Innovationspartnerschaft wird die Lösung aber von einem Unternehmen (dem bezuschlagten Bieter) entwickelt, während die Innvovationspartnerschaft eine Entwicklung durch mehrere Unternehmen („Partner“) zulässt (…). Ein weiterer Unterschied wird darin gesehen, dass das Verhandlungsverfahren zumindest eine grundlegende Vorstellung des öffentlichen Auftraggebers vom Beschaffungsgegenstand voraussetze (Knauff/Meurers, § 19 VgV, Rn. 18 m.w.N.). M.E. ist dies als Unterscheidungskriterium untauglich, da eine solche Vorstellung vom Beschaffungsgegenstand der Innovationspartnerschaft nicht schadet.

Die nachstehende Grafik zeigt vereinfacht die Unterschiede der beiden Verfahrensarten auf.

Verhältnis zum wettbewerblichen Dialog

Auch der wettbewerbliche Dialog eignet sich aufgrund seiner Flexibilität, innovative Leistungen zu beschaffen. Knauff (NZBau 2018, 134, 138) grenzt den wettbewerblichen Dialog zur Innovationspartnerschaft ab. Die Innovationspartnerschaft setze voraus, dass sich die Leistung letztlich als eine unmittelbare Fortentwicklung eines am Markt vorhandenen Angebots darstellen müsse oder der notwendige Entwicklungsschritt sich als so grundlegend erweisen müsse, dass die Leistung trotz ihrer fehlenden Neuartigkeit einer Neuentwicklung letztlich gleichstehe. Meines Erachtens ist bereits der Ansatz einer „Abgrenzung“ falsch, da die Verfahren in keiner Hierarchie zueinander stehen, d.h. sich auch nicht gegenseitig ausschließen müssen. Gerade und auch die Verbesserung bestehender Lösungen fällt in den Anwendungsbereich der Innovationspartnerschaft, der anderenfalls praktisch fast nicht eröffnet wäre. Die Verbesserung muss „deutlich“ sein, aber nicht, wie Knauff meint, einer „Neuentwicklung gleichstehen“. Die Kommission scheint in ihrer Mitteilung vom 15.05.2018 (“Guidance on Innovation Procurement” C(2018) 3051 final) geringe Anforderungen an die Zulässigkeit der Innovationspartnerschaft zu haben, danach genügt, dass die Leistung am Markt nicht verfügbar ist und irgendwie eine Innovation auftritt (Ziffer 4.2.3.4).

Voraussetzungen der Innovationspartnerschaft

Zusammengefasst ist die Innovationspartnerschaft unter folgenden Voraussetzungen zulässig:

1. Das GWB mit VgV bzw. SektVO bzw. VOB/A, 2. Abschnitt muss anwendbar sein
2. Ziel muss die Entwicklung einer innovativen Leistung und deren anschließender Erwerb sein
3. Die zu beschaffende Leistung darf am Markt nicht verfügbar sein

Die beiden wichtigsten Voraussetzungen werden nachstehend erläutert.

Voraussetzung: „Ziel muss die Entwicklung einer innovativen Leistung und deren anschließender Erwerb sein“

Zur Orientierung, was eine innovative Leistung bedeutet, ist die Definition in Art. 2 Richtlinie 2014/24 Nr. 22 heranzuziehen; diese lautet: „Innovation“ die Realisierung von neuen oder deutlich verbesserten Waren, Dienstleistungen oder Verfahren, einschließlich — aber nicht beschränkt auf — Produktions-, Bau- oder Konstruktionsverfahren, eine neue Vermarktungsmethode oder ein neues Organisationsverfahren in Bezug auf Geschäftspraxis, Abläufe am Arbeitsplatz oder externe Beziehungen, u. a. mit dem Ziel, zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen beizutragen oder die Strategie Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum zu unterstützen.

Voraussetzung: „Die zu beschaffenden Leistungen dürfen am Markt nicht verfügbar sein“

Daraus folgt, dass der öffentliche Auftraggeber eine Markterkundung nach § 28 Abs. 1 VgV durchzuführen hat, also eine Pflicht. Fraglich dabei ist, welchen Aufwand er dabei anstrengen muss. Dies ist gerichtlich noch nicht klar entschieden. Die EU Kommission empfiehlt in ihrem „Public Procurement Guidance for Practitioners“ (Februar 2018) die Verwendung der von der OECD entwickelten Vorgehensweise, welche eine (überschaubare) Vorlage für einen Marktanalysebericht umfasst („Tool: Template for market study report“). Zum genauen Inhalt und der Tiefe der Markterkundung wird leider geschwiegen. Auch liegt dazu noch keine gefestigte Rechtsprechung vor. Weitere Anforderungen an die Markterkundung ergeben sich weiterhin aus dem Beihilferecht.

So heißt es in der Mitteilung der Kommission vom 15.5.2018, dass öffentliche Auftraggeber, um eine Beihilfe zu vermeiden, in der Lage sein müssen, im Vorfeld der Vergabe alle Wirtschaftsteilnehmer identifizieren müsse, die sowohl die Entwicklung als auch die anschließende Lieferung des Endprodukts oder der Dienstleistung erfüllen können. So könnten relevanten Informationen über die Verfügbarkeit solcher Unternehmen oder möglicherweise interessierter Unternehmen durch eine vorangehende Marktkonsultation in Erfahrung gebracht werden, die vor der Veröffentlichung des eigentlichen Vergabeverfahrens zu erfolgen hat.

Besonderheiten bei den Vergabeunterlagen

Was die Vergabeunterlagen beinhaltet, ist in § 29 VgV geregelt. Bei der Innovationspartnerschaft ergeben sich dazu einige Besonderheiten, die vom öffentlichen Auftraggeber zu beachten sind:

1. Bewerbungsbedingungen

Der öffentliche Auftraggeber verhandelt mit allen Bietern. Er darf sich den Zuschlag auf ein Erstangebot nicht vorbehalten.

Der öffentliche Auftraggeber muss die zum Schutz des geistigen Eigentums geltenden Vorkehrungen festlegen, dies sind tatsächliche technische und ggfs. personelle Vorkehrungen.

2. Eignungskriterien

Es sind Eignungskriterien vorzugeben, die die Fähigkeiten der Unternehmen auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung sowie die Ausarbeitung und Umsetzung innovativer Lösungen betreffen (ergänzende Regelung zu § 46 VgV).

3. Zuschlagskriterien

Eine Erteilung des Zuschlags allein auf der Grundlage des niedrigsten Preises oder der niedrigsten Kosten ist ausgeschlossen (ergänzende Regelung zu § 58 VgV).

4. Leistungsbeschreibung / Vertragsbedingungen

Der öffentliche Auftraggeber muss in den Vergabeunterlagen die zum Schutz des geistigen Eigentums geltenden Vorkehrungen festlegen (ergänzende Regelungen zu § 31 VgV). Die Forschungs-, Entwicklungs- und Leistungsphase müssen geregelt werden. Die Phasen sind durch die Festlegung von Zwischenzielen zu untergliedern, bei deren Erreichen die Zahlung der Vergütung in angemessenen Teilbeträgen vereinbart wird. Die Kündigungsmöglichkeiten und -Gründe einzelner Verträge bei mehreren Partnern sind festzulegen. Das Leistungsniveau und die Kostenobergrenzen sind festzulegen.

Häufig wird es bei den Verhandlungen zu erforderlichen Anpassungen der Leistungsbeschreibung kommen; solche sind zulässig und gerade bei der Innovationspartnerschaft typisch, solange nicht der Kern der Leistung betroffen ist. Zwar darf dabei nach § 19 Abs. 5 S. 2 VgV nicht über die in den Vergabeunterlagen festgelegten Mindestanforderungen und Zuschlagskriterien verhandelt werden, allerdings betrifft dieses Postulat hinsichtlich der Mindestanforderungen zwingend nur das endgültige Angebot (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. März 2018, Az VII-Verg 40/17, VII-Verg 42/17, VII-Verg 52/17 und VII-Verg 54/17).

Beihilferecht bei der Innovationspartnerschaft

Eine besondere Herausforderung bei der Vergabe einer Innovationspartnerschaft ist, dass das Beihilferecht zu beachten ist.

Öffentliche Auftraggeber und Industrieunternehmen haben in der Regel gegenläufige Interessen, wenn es um die Frage der Einräumung von Nutzungs- und Verwertungsrechten (Intellectual Property Rights – IPR) an den Forschungsergebnissen geht.

Eine Innovationspartnerschaft könnte dazu führen, dass einem Unternehmen eine unzulässige Beihilfe nach Art. 107 AEUV gewährt wird. Eine Innovationspartnerschaft ist nach Auffassung der Kommission jedenfalls dann beihilferechtlich unbedenklich, wenn die Vorgaben aus dem Unionsrahmen für staatliche Beihilfen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation beachtet wurden. Leider ist aber die Anwendung des Unionsrahmens selbst nicht ganz trival und im Detail bestehen zwischen staatlichen Einrichtungen und Wirtschaft recht unterschiedliche Interpretationsansätze, wann eine unzulässige Beihilfe vorliegt.

Die Kommission gibt in ihrem Leitfaden vom 15.5.2018 unter Ziffer 4.2.3.4 zumindest ein (leider einziges) Beispiel dafür, wann keine Beihilfe vorliege: Nämlich dann, wenn der öffentliche Auftraggeber Leistungen beschafft, die so einzigartig oder speziell sind, dass er der einzige potentielle Käufer ist und dass es keine weiteren möglichen Unternehmen am Markt außerhalb der Innovationspartnerschaft gibt, die benachteiligt werden könnten. Diese Konstellation dürfte äußerst selten vorkommen und dürfte als Beispiel und Schützenhilfe daher auch nicht viel taugen.

Kritische Zusammenfassung und Praxishinweis

Die Innovationspartnerschaft hat aus meiner Sicht Potential, innovative Lösungen durch Vergabeverfahren zu beschaffen. Es ist das einzige Vergabeverfahren, das eine echte parallele Entwicklung zulässt, und was vergaberechtlich erlaubt ist, kann haushaltsrechtlich nicht verboten sein. Eine erfolgreiche Innovationspartnerschaft setzt jedoch eine eng verzahnte Zusammenarbeit der in Deutschland traditionell – teilweise strikt – getrennten „Abteilungen“ voraus, die da sind: Bedarfsträger (Fachbereich), Einkauf und Vergabestelle. Dazu kommt, dass die Innovationspartnerschaft rechtlich gesehen anspruchsvoll ist und neben der vergaberechtlichen, vor allem auch vertrags- und beihilferechtliche Expertise gefordert ist. Es fehlen nach wie vor Vorlagen für Vertrag und Bewerbungsbedingungen. Die Europäische Kommission wirbt derzeit damit, dass sie sich vergaberechtlich mit neuen Gesetzen zurückhalten wolle und nur noch praktische Anleitungen herausgeben möchte, um den Beschaffern zu helfen. Der jüngste Leitfaden vom 15.5.2018 (“Guidance on Innovation Procurement”) enttäuscht jedenfalls bei dem Kapitel zur Innovationspartnerschaft, da dort nur Altes wiederholt wird, und echte brauchbare Arbeitshilfen  ausbleiben.

The post Die Innovationspartnerschaft – Ein Vergabeverfahren für innovative Beschaffungen appeared first on Vergabeblog.

Die Neutralität eines Bieters ist ein Eignungskriterium (VK Bund, Beschl. v. 30.07.2018 – VK 1 – 61/18)

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungAls Eignungskriterium muss daher an der dafür vorgesehenen Stelle in der EU-Bekanntmachung veröffentlicht werden. Wird es fälschlich unter dem Gliederungspunkt Auftragsausführungsbedingungen aufgeführt, verstößt bereits dies gegen den Transparenzgrundsatz. Die Ausschreibung muss dann in den Stand vor der Vergabebekanntmachung zurückversetzt werden. Im Übrigen müssen alle Eignungskriterien zwingend bereits in der Auftragsbekanntmachung enthalten sein.

§ 46 Abs. 2 VgV, § 122 Abs. 4 GWB

Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb in einem europaweiten offenen Verfahren eine Projektträgerschaft zur Prüfung von Fördermittelanträgen aus. Vorgesehen war eine Beleihung des erfolgreichen Bieters.

Da der spätere Auftragnehmer maßgeblich an den Entscheidungen über die Gewährung von Fördermitteln beteiligt sein sollte, forderte die Vergabestelle insoweit die Neutralität der Bieter ein. Hierzu veröffentlichte sie in Ziffer III.2) Bedingungen für den Auftrag unter Ziffer III.2.2) Bedingungen für die Ausführung des Auftrags der EU-Bekanntmachung folgende Neutralitätserklärung:

– Neutralitätserklärung: Aufgrund der Leistungspflichten des AN ist eine Beteiligung an Projekten im Rahmen der in der Leistungsbeschreibung benannten Programme/Maßnahmen grundsätzlich unzulässig, es sei denn, eine Interessenkollision ist im Einzelfall ausgeschlossen. Der AN hat eine Eigenerklärung abzugeben, die darstellt, ob und auf welche Weise der Leistungserbringer mit Rechtssubjekten gesellschaftsrechtlich verflochten ist, die sich möglicherweise an künftigen Förderverfahren, die gemäß der vorliegenden Ausschreibung in den Zuständigkeitsbereich des künftigen Auftragnehmers fallen, beteiligen werden.

Laut den Vergabeunterlagen war eine Eigenerklärung abzugeben,

a) ob und auf welche Weise er ggf. mit Rechtssubjekten gesellschaftsrechtlich verflochten ist, die sich möglicherweise an künftigen Förderverfahren im zugrundeliegenden Förderprogramm beteiligen werden,

b) ob er beabsichtigt, selbst Antragsteller oder als Berater für Antragsteller zukünftiger Fördervorhaben im zugrundeliegenden Förderprogramm zu sein.

Weiter hieß es in den Vergabeunterlagen, dass ein Bieter ausgeschlossen wird, wenn im Rahmen einer Einzelfallprüfung ein Interessenkonflikt nicht ausgeschlossen werden kann.

Der spätere Antragsteller im Nachprüfungsverfahren gab ein Angebot ab, in dem er auch seine Neutralität bestätigte.

Die Vergabestelle schloss das Angebot des Bieters aus und begründete den Ausschluss unter anderem damit, dass ein Interessenkonflikt nicht ausgeschlossen werden könne. Sie warf dem Bieter vor, dass sein Institut [] am 20.03.2018 im Rahmen eines Förderantrags der Stadt [] ein indikatives Angebot abgegeben habe und damit potentieller Unterauftragnehmer sei.

Der ausgeschlossenen Bieter rügte die Ausschlussentscheidung der Vergabestelle. Er berief sich dabei unter anderem darauf, dass die Eignungsanforderungen, einschließlich der geforderten Eigenerklärung zur Neutralität, nicht im Amtsblatt der EU bekannt gemacht wurden, sondern in der EU-Bekanntmachung nur auf die Vergabeunterlagen verwiesen wurde. Daraus leitet der betroffene Bieter den Schluss ab, dass die Eignungskriterien insoweit nicht gelten.

Die Vergabestelle wies die Rüge zurück.

Die Entscheidung

Der vom ausgeschlossenen Bieter eingereichte Nachprüfungsantrag hatte Erfolg.

Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags bejaht die Vergabekammer zunächst die Antragsbefugnis gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB, obwohl der Antragsteller die fehlerhafte Bekanntmachung von Eignungskriterien erst nach der Mitteilung über seinen Angebotsausschluss erhoben hatte. Der Vergaberechtsverstoß war nach Ansicht der Vergabekammer nämlich nicht erkennbar. Da es zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe noch keine Rechtsprechung (die Entscheidung OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.072018 – VII-Verg 24/18 wurde erst später veröffentlicht) zu der Frage gab, ob ein Verweis in der EU-Bekanntmachung auf Eignungskriterien in den Vergabeunterlagen zulässig ist, sei der Vergaberechtsverstoß nicht erkennbar gewesen.

Die Vergabekammer hielt den Nachprüfungsantrag auch für begründet. Dabei stellt sie zwei rechtliche Ansatzpunkte in den Vordergrund ihrer Entscheidung:

Die von der Antragsgegnerin verlangte Neutralitätsverpflichtung hätte zwingend unter dem Gliederungspunkt III.1.3 Technische und berufliche Leistungsfähigkeit der EU-Bekanntmachung aufgeführt werden müssen.

Bereits in der Auftragsbekanntmachung sind gemäß § 122 Abs. 4 GWB zwingend alle Auftragskriterien zu benennen. Ein Verweis auf Vergabeunterlagen bzw. deren Abrufbarkeit über ein Vergabeportal reichen nicht aus.

Zunächst stellt die Vergabekammer klar, dass es sich bei der Neutralitätsverpflichtung um ein Eignungskriterium handelt. Denn – so die Vergabekammer – alle Anforderungen an Eignungskriterien seien erfüllt.

Werden nicht alle Eignungskriterien in der Auftragsbekanntmachung benannt, so wird dadurch nach Auffassung der Vergabekammer der Transparenzgrundsatz verletzt. Aber auch die Veröffentlichung eines Eignungskriteriums an einer falschen Stelle der EU-Bekanntmachung allein begründet nach Ansicht der Vergabekammer bereits die Rechtswidrigkeit der Bekanntmachung.

Vorliegend war die Neutralitätsverpflichtung unter dem Gliederungspunkt Bedingungen für den Auftrag aufgeführt. Dies sei bereits nicht hinreichend transparent. Die Bieter müssen darauf vertrauen dürfen, dass Eignungskriterien auch nur in den dafür in der EU-Bekanntmachung vorgesehenen Gliederungspunkten enthalten sind.

Aufgrund dieser Mängel ordnete die Vergabekammer die Rückversetzung des Vergabeverfahrens an. Es sei hier eine neue Auftragsbekanntmachung notwendig, da die Antragsgegnerin nicht auf die fehlerhaft bekannt gemachten Eignungskriterien verzichten könne. Die Neutralitätsverpflichtung könne auch nicht als Auftragsausführungsbedingung wirksam werden, weil ansonsten die Transparenz- und Bekanntmachungspflichten des § 122 Abs. 4 GWB umgangen werden könnten.

Rechtliche Würdigung

Was sich zunächst sehr formalistisch anhört ist im Ergebnis wohl gleichwohl richtig. Man hätte allerdings auch erwägen können, ob das an falscher Stelle der Auftragsbekanntmachung enthaltene Eignungskriterium nicht auslegungsfähig gewesen ist. Nach meiner Auffassung hat die Vergabekammer das nicht erwogen, weil die Vergabeunterlagen auch im Übrigen offenbar defizitär waren. So hatte die Vergabekammer auch Zweifel an der Klarheit der Regelungen insgesamt und auch die Beschreibung der Zuschlagskriterien war nach Ansicht der Vergabekammer verbesserungsfähig. Am Ende ließ die Vergabekammer diese Fragen aber mangels Entscheidungserheblichkeit offen. Ich stelle daher die These auf, dass die Vergabekammer wahrscheinlich anders entschieden hätte, wenn nur die Veröffentlichung eines Eignungskriteriums an einer falschen Stelle zu beklagen gewesen wäre. Dies würde dann auch dem Trend Rechnung tragen, einen Angebotsausschluss erst zu erwägen, wenn die Vergabestelle alle Möglichkeiten der Auslegung und Aufklärung ausgeschöpft hat.

Dogmatisch noch nicht durchdrungen scheint mir die Rechtsfolge der Vergabekammerentscheidung zu sein. Sie ordnet an, das Vergabeverfahren mit einer neuen Veröffentlichung zu wiederholen. Sie begründet das damit, dass auf die falsch bekannt gemachten Eignungskriterien nicht verzichtet werden könne. Damit trifft sie aber eine Entscheidung, die eigentlich der Vergabestelle zusteht. Richtiger wäre es daher meines Erachtens gewesen, die Vergabestelle dazu zu verpflichten, die Wertung unter Berücksichtigung ihrer Rechtsauffassung zu widerholen. Wenn die Vergabestelle dann die Ausschreibung ohne das Eignungskriterium beenden will, hätte sie das tun können. Alternative für die Vergabestelle wäre eine Aufhebung wegen eines schweren Mangels gewesen. Dies könnte dann ggf. einen Schadensersatzanspruch des ansonsten erfolgreichen Bieters auslösen.

Praxistipp

Die Praxishinweise bringen nicht viel Neues: Bei der Formulierung der Bekanntmachung ist äußerste Sorgfalt geboten. Fehler, die dort geschehen, sind meist nicht mehr ausbesserbar. Alle notwendigen Angaben gehören in die Vergabebekanntmachung und das bitte auch an die dafür vorgesehene richtige Stelle.

The post Die Neutralität eines Bieters ist ein Eignungskriterium (VK Bund, Beschl. v. 30.07.2018 – VK 1 – 61/18) appeared first on Vergabeblog.


5. Deutscher Vergabetag: Vortrag der EU-Kommission zu „Transparenz und Öffentliche Auftragsvergabe“

$
0
0
Recht

Deutsche Beschaffer veröffentlichen wenige ihrer Auftragsvergabe im TED (Tender Electronic Daily). Lediglich 5,4 % der öffentlichen Aufträge werden nachträglich im TED bekanntgemacht. Der EU-Durchschnitt hingegen beläuft sich auf 22 %.

Vortrag von Frau Anne Schröder, Legal Officer, Europäische Kommission, Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU mit dem Thema: „Transparenz – eine Grundvoraussetzung nachhaltiger und wirtschaftlicher Beschaffung“ im Rahmen des 5. Deutschen Vergabetags am 26.10.2018 in Berlin.

The post 5. Deutscher Vergabetag: Vortrag der EU-Kommission zu „Transparenz und Öffentliche Auftragsvergabe“ appeared first on Vergabeblog.

Ausschluss wegen unzureichendem Eignungsnachweis oder Nachforderung von fehlerhaftem Eignunsgnachweis? (OLG Koblenz, Beschl. v. 11.09.2018 – Verg 3/18)

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungIst ein Austausch von fehlerhaften Unterlagen durch Nachforderung nach § 56 VgV möglich, wenn der Nachweis der Eignung schlicht unzureichend ist?

GWB § 160 Abs. 2 Satz 2; SektVO § 51 Abs. 2 Satz 1

Leitsatz

1. § 51 Abs. 2 Satz 1 SektVO ermöglicht nicht den Austausch oder die „Anreicherung“ eines Eignungsnachweises, der formgerecht, lesbar und vollständig ist, dessen Inhalt aber nicht ausreicht, um das zu beweisen, was bewiesen werden soll.
2. Macht der Antragsteller geltend, es sei ermessenfehlerhaft gewesen, von der nach § 51 Abs. 2 Satz 1 SektVO grundsätzlich möglichen Nachforderung abzusehen, muss er zur Darlegung eines Schadens i.S.d. § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB in der Regel auch schlüssig vortragen, dass er zu einer Nachlieferung der fehlenden Unterlage in der Lage gewesen wäre.

Sachverhalt

Dem Nachprüfungsverfahren der VK Rheinland-Pfalz, Aktenzeichen VK 1-5/18, betreffend die Vergabe des Auftrags „Regionales Verbundsystem Westeifel, Verlegung einer Wasser- und Biogastransportleitung sowie Breitbandleerrohrsystem zwischen dem Hochbehälter Preist und dem Hochbehälter Ingendorf, 2. Bauabschnitt“ war folgender Sachverhalt vorausgegangen:

1. Ausschluss wegen fehlendem Fachkundenachweis

Das Angebot des Bieters wurde vom Vergabeverfahren ausgeschlossen. Der Auftraggeber begründete den Ausschluss zum einen damit, dass ein in der Bekanntmachung vom 3. März 2018 näher bezeichneter Fachkundenachweis für die Verlegung von Gas- und Wasserversorgungsleitungen (z.B. DVGW-Zertifikat) nicht dem Angebot beigelegen habe.

Der hiergegen gerichtete Nachprüfungsantrag war nach Ansicht der Vergabekammer jedoch unzulässig, weil der Bieter seine Antragsbefugnis (§ 160 Abs. 2 GWB) nicht dargelegt hatte. Es hätte dargestellt werden müssen, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht (§ 160 Abs. 2 Satz 2 GWB). Durch das Unterlassen einer Nachforderung hätte dem Bieter dann ein Schaden entstehen können, wenn dieser auch zu einer Nachlieferung in der Lage gewesen wäre. Dazu hat er aber nichts vorgetragen. Dem Vorwurf im Absageschreiben, dem Auftraggeber sei aus anderen Vergabeverfahren bekannt, dass der Bieter den geforderten Nachweis überhaupt nicht führen könne hat der Bieter nicht widersprochen.

2. Ausschluss wegen fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit

Zum anderen sollten laut Bekanntmachung die Bieter nachweisen, dass sie über eine Betriebshaftpflichtversicherung für die vom Auftrag umfassten Tätigkeiten mit einer Deckungssumme von mindestens 5 Mio. Euro verfügen oder die Bestätigung eines Versicherer vorlegen, dass er den Bieter im Falle der Auftragsvergabe entsprechend versichern werde. Der von dem Bieter mit dem Angebot vorgelegte Nachweis bescheinigte jedoch nur eine Versicherungssumme von höchstens 3 Mio. Euro je Versicherungsfall und eine maximale Versicherungssumme pro Versicherungsjahr von 6 Mio. Euro.

Die Kammer ist der Ansicht, dass die Forderung nach der „Deckungssumme“ und damit die Forderung des Auftraggebers nur so verstanden werden konnte, dass bei der Auftragsausführung entstehende Schäden auch bei nur einem einzigen Versicherungsfall mit mindestens 5 Mio. Euro abgesichert sein müssen, war die vorgelegte Unterlage nicht geeignet, den geforderten Beweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Schadensfall zu erbringen.

Vom Bieter wurde inhaltlich Gegenteiliges auf dieses Absageschreiben auch nicht behauptet. Darauf basierend wurde der Bieter als ungeeignet ausgeschlossen.

Der Bieter wendete sich hiergegen mit dem Nachprüfungsantrag und dem Vorwurf, es sei ermessenfehlerhaft gewesen, von der nach § 51 Abs. 2 SektVO grundsätzlich möglichen Nachforderung abzusehen.

Nach der Rücknahme des Nachprüfungsantrages des Bieters erging von der Vergabekammer die Kostenentscheidung mit Beschluss vom 19. Juli 2018, dass dem Bieter die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Auftraggebers und der Beigeladenen auferlegt werden. Weiterhin hat die Kammer die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten sowohl für die Auftraggeber als auch für die Beigeladene für notwendig erklärt. Hiergegen richtete sich die sofortige Beschwerde des Bieters.

Die Entscheidung

Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat am 11. September 2018 jedoch nicht zu Gunsten des Bieters entschieden.

Die Vergabekammer hat den Bieter zu Recht nach billigem Ermessen mit den Verfahrenskosten (§ 182 Abs. 3 Satz 5 GWB) und den notwendigen Auslagen des Auftraggebers (§ 182 Abs. 4 Satz 3 GWB) belastet. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre der Nachprüfungsantrag ohne Erfolg geblieben.

1. Fehlender Vortrag zur Antragsbefugnis des Bieters

Der Bieter hat in seinem Nachprüfungsantrag vorgetragen, es sei ermessenfehlerhaft gewesen, von der nach § 51 Abs. 2 SektVO grundsätzlich möglichen Nachforderung abzusehen. Nach Ansicht des OLG Koblenz hat die Vergabekammer die Antragsbefugnis zu Recht verneint. Der Bieter hat nicht ausreichend bzw. gar nicht vorgetragen, dass er zur Nachlieferung des geforderten Nachweises in der Lage war und damit die Gefahr eines Schadenseintritts oder einen bereits entstandenen Schaden nicht belegen können.

2. Der Anwendungsbereich zur Nachforderung von Unterlagen ist nicht eröffnet

Die Entscheidung der Vergabekammer und des Auftraggebers, dass eine Nachforderung eines Nachweises über eine ausreichende Deckungssumme nicht in Betracht kam, weil der Anwendungsbereich des § 51 Abs. 2 Satz 1 SektVO nicht eröffnet war ist nach Ansicht des OLG Koblenz richtig. Danach kann der Auftraggeber Bieter auffordern,

– fehlende unternehmensbezogene Unterlagen nachzureichen,
– unvollständige unternehmensbezogene Unterlagen zu vervollständigen,
– fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen zu korrigieren.

Vorliegend fehlte nach Ansicht der Kammer und des OLG Koblenz jedoch keine Unterlage, weil ein Nachweis über das Bestehen einer Betriebshaftpflichtversicherung vorgelegt wurde. Der Nachweis enthielt laut der Kammer auch alle Angaben bzw. Seiten, die vorgegeben waren. Mithin war der Nachweis also auch nicht unvollständig.

„Damit stellt sich die Frage, ob das Begriffspaar „fehlerhaft – korrigieren“ auch Unterlagen erfasst, die exakt den Inhalt haben, den sie nach dem Willen des Ausstellers haben sollen, deren Inhalt aber – wie hier – nicht ausreicht, das zu beweisen, was bewiesen werden soll. Letztlich geht es darum, ob § 51 Abs. 2 SektVO (oder § 56 Abs. 2 VgV) die Möglichkeit eröffnet, einen Eignungsnachweis, der formgerecht, lesbar und vollständig ist, aber inhaltlich als Beweismittel nicht ausreicht, ausgetauscht oder inhaltlich angereichert werden kann.“

Dies ist nach Ansicht des OLG Koblenz zu verneinen. Ein als Eignungsnachweis dienendes Schriftstück, „das genau den Inhalt hat, den es nach dem Willen des Verfassers haben soll und das auch sonst keine Mängel aufweist“, kann nicht als fehlerhaft bezeichnet werden.

Das OLG verweist hierzu auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 28.03.2018 – VII- Verg 42/17 nach der ein Austausch oder eine inhaltliche Änderung „jedenfalls dann, wenn sie über die bloße Korrektur offensichtlicher Tippfehler, Rechenfehler o.ä. hinausginge, eine unzulässige nachträgliche Veränderung des Inhalts eines Teilnahmeantrags oder Angebots“ wäre.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung bestätigt, dass man unzureichende Eignungsnachweise im Sinne des Vergabeverfahrens und nicht fehlerhaft im Sinne des eigentlichen Erklärungswillens des Bieters nicht einfach austauschen kann.

Unter den Begriff „Fehlerhaft“ des § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV kann also nicht fehlerhaft bzw. unzureichend im Sinne der Anforderungen der Vergabeverfahrens subsumiert werden, sondern es beschränkt sich auf die „bloße Korrektur offensichtlicher Tippfehler, Rechenfehler o.ä.“ – also die fehlerhafttigkeit im Sinne des Erklärungswillens des Bieters, wie schon das OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 28.03.2018 – VII- Verg 42/17 bestätigt hat.

Der zur Diskussion gestellte Einwand, dass eine Nachforderung in Betracht kommn könnte, wenn der Bieter überhaupt keinen Nachweis vorlegt, weshalb es ungerecht sei, nur deshalb eine Nachreichung zu verweigern, weil etwas Unzureichendes vorgelegt wurde. Dem hält das OLG zu recht entgegen, dass „die Schaffung begrenzter Ausnahmetatbestände nahezu zwangsläufig zu tatsächlichen oder vermeintlichen Ungerechtigkeiten führt, die man beklagen, nicht aber durch die Ausweitung eng auszulegender Regelungen beseitigen kann.“

Praxistipp

Die Einreichung von Eignungsnachweisen auf gut Glück mit dem Hintergedanken, man könne man ja nachreichen, wenn der Nachweis nicht ausreicht, ist wie nun bestätigt, gefährlich. Ein einfaches Austauschen von ungeeigneten Nachweisen ist nicht möglich.

Fehlerhaft im Sinne des § 56 VgV und § 51 SektVO bedeutet tatsächlich nur Vertippen, Verschreiben, Verrechnen o.ä. und nicht fehlerhaft im Sinne von unzureichend.

The post Ausschluss wegen unzureichendem Eignungsnachweis oder Nachforderung von fehlerhaftem Eignunsgnachweis? (OLG Koblenz, Beschl. v. 11.09.2018 – Verg 3/18) appeared first on Vergabeblog.

Interessenkonflikt eines Beraters bei Vergabeverfahren – teilweise Wiederholung der Verfahren angeordnet (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.10.2018 – 15 Verg 5/18-7/18)

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenRecht

Die Vergabeverfahren der Städte Lörrach und Weil am Rhein bei der Suche nach einem strategischen Partner für die Bewerbung um eine Stromnetzkonzession müssen in großen Teilen wiederholt werden.

Die Städte Lörrach und Weil am Rhein führen unabhängig voneinander Vergabeverfahren zur Gründung einer Gesellschaft mit den jeweiligen Stadtwerken durch. Diese Gesellschaften sollen sich um die Konzession der jeweiligen örtlichen Stromnetze bewerben. An beiden Vergabeerfahren beteiligten sich die ED Netze GmbH und die bnNetze GmbH – eine Tochtergesellschaft der badenova AG & Co KG. Im Mai diesen Jahres wurde die ED Netze GmbH durch die Städte Lörrach und Weil am Rhein darüber unterrichtet, dass sie nicht den Zuschlag erhalten solle, da ein anderer Bieter – die bnNetze GmbH – in den jeweiligen Verfahren ein besseres Angebot abgegeben habe.

Die EDNetze GmbH beantragte hinsichtlich beider Vergabeverfahren die Nachprüfung durch die Vergabekammer. Die Vergabekammer Baden-Württemberg hat die Nachprüfungsanträge der ED Netze GmbH zurückgewiesen. Die hiergegen gerichteten Beschwerden der ED Netze GmbH war hinsichtlich der Vergabeverfahren der Städte Weil am Rhein und Lörrach nun überwiegend erfolgreich. Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat entschieden, dass die Vergabeverfahren ab dem Zeitpunkt des Eingangs der Teilnahmeanträge zu wiederholen sind, weil ein Interessenkonflikt vorlag. Ein für die von beiden Städten beauftragte Anwaltskanzlei tätiger energiewirtschaftlicher Berater war bei der Durchführung der beiden Vergabeverfahren beteiligt und hat gleichzeitig auch die Muttergesellschaft der erfolgreichen Bieterin bnNetze GmbH in einem Verfahren vor dem Landgericht Mannheim unterstützt. Die Beratungsleistung für die Muttergesellschaft der erfolgreichen Bieterin erfolgte noch während der laufenden Vergabeverfahren. Auf den Ausgang der Vergabeverfahren hatte der energiewirtschaftliche Berater der Anwaltskanzlei Einfluss, da er die Zuschlagsentscheidung der beiden Städte mit vorbereitet hat.

In einem Vergabeverfahren darf für die ausschreibende öffentliche Stelle kein Berater mitwirken, bei dem ein Interessenkonflikt vorliegt (§ 5 Konzessionsvergabeverordnung). Ein Interessenkonflikt wird schon dann angenommen, wenn die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Unparteilichkeit des Beraters besteht. Dem Antrag der ED Netze GmbH auf Ausschluss der bnNetze GmbH von den beiden Vergabeverfahren folgte der Senat nicht.

In einem weiteren Beschwerdeverfahren wurde die Vergabe von Wegenutzungsverträgen zur Verlegung und zum Betrieb von Strom- und Gasversorgungsleitungen durch die Gemeinde Grenzach-Whylen gemeinsam mit der Stadt Rheinfelden überprüft. Nach dem Ergebnis des dortigen Vergabeverfahrens soll eine Bietergemeinschaft aus ED Netze GmbH und Stadtwerken Bad Säckingen GmbH den Zuschlag erhalten. Hiergegen wandte sich die in diesem Verfahren unterlegene bnNetze GmbH. Sie rügte Fehler bei der Auswertung der Angebote und machte geltend, ihr Angebot hätte den Zuschlag erhalten müssen. Ihr Nachprüfungsantrag war bereits vor der Vergabekammer erfolglos. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde nunmehr auch vom Vergabesenat zurückgewiesen.

Gegen die Beschlüsse des Vergabesenates ist kein Rechtsmittel möglich.

Quelle: OLG Karlsruhe

The post Interessenkonflikt eines Beraters bei Vergabeverfahren – teilweise Wiederholung der Verfahren angeordnet (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.10.2018 – 15 Verg 5/18-7/18) appeared first on Vergabeblog.

Outgesourcte Angebotsöffnung nur bei konkretem Manipulationsverdacht unzulässig? (VK Lüneburg, Beschl. v. 08.05.2018 – VgK-10/2018)

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungDie Vergabekammer Südbayern hat Anfang dieses Jahres entschieden, dass gemäß § 55 Abs. 2 VgV die Angebotsöffnung nur durch zwei Mitarbeiter des Auftraggebers durchgeführt werden dürfe (vgl. dazu den Beitrag der Verfasserin: Vergabeblog.de vom 08/03/2018, Nr. 36133). Auftraggeber dürften demnach Beratern, die das Vergabeverfahren begleiten, nicht die Angebotsöffnung übertragen. Die Vergabekammer Lüneburg sieht dies etwas anders.

§ 55 Abs. 2 Satz 1 VgV

Leitsatz

Anders als die Vergabekammer Südbayern geht die Vergabekammer von einer Verletzung des § 55 Abs. 2 VgV nur dann aus, wenn zumindest die konkrete Möglichkeit besteht, dass einer der bei der Submission anwesenden Vertreter mit einem der Anbieter zusammengearbeitet haben könnte. Liegt dies nicht vor, so handelt es sich nur um einen Dokumentationsmangel gemäß § 8 VgV, der grundsätzlich im Vergabenachprüfungsverfahren geheilt werden kann.

Sachverhalt

Infolge einer europaweiten Ausschreibung nach den Bestimmungen der VgV griff ein unterlegener Bieter die Auswahlentscheidung mit einem Nachprüfungsverfahren an. Nach Akteneinsicht machte er auch einen Verstoß gegen § 55 Abs. 2 VgV geltend, da laut Niederschrift über die Angebotsöffnung nicht zwei Mitarbeiter des Auftraggebers die Angebotsöffnung durchgeführt hätten, sondern zwei Mitarbeiter eines beauftragten Ingenieurbüros. Der Auftraggeber trug daraufhin vor, dass die zweite Seite der Niederschrift fehle. Aus dieser ergebe sich, dass zwei seiner Bediensteten die Öffnung der Angebote durchgeführt hätten. Das beauftragte Ingenieurbüro habe lediglich die nachgerechneten Angebotsendsummen in die Zusammenstellung übertragen und dies entsprechend in der Niederschrift vermerkt.

Die Entscheidung

Im Ergebnis bleibt der Nachprüfungsantrag zwar ohne Erfolg.

Allerdings äußert die Vergabekammer Lüneburg Verständnis für die Auffassung der Vergabekammer Südbayern und ergänzt, sie habe selbst bereits über einen Fall zu befinden gehabt, in dem ein beauftragtes Ingenieurbüro mit einem Anbieter kollusiv zusammengearbeitet habe.

Sie vertritt daher ebenfalls eine vom Wortlaut der Norm losgelöste Ansicht und lehnt einen Verstoß gegen § 55 Abs. 2 VgV nur im konkreten Fall ab, da es keine Anhaltspunkte für eine Kollusion gebe. Zur Begründung führt sie aus, bei der Vorschrift handele es sich nicht um ein abstraktes sondern um ein konkretes Gefährdungsdelikt. Eine Zurückversetzung sei nur notwendig, wenn wenigstens die konkrete Möglichkeit bestehe, dass einer der Vertreter mit einem der Anbieter zusammen gearbeitet haben könnte. Anderenfalls handele es sich nur um einen Dokumentationsmangel gemäß § 8 VgV, der im Nachprüfungsverfahren grundsätzlich geheilt werden könne.

Rechtliche Würdigung

Es ist zwar erfreulich, dass die Vergabekammer Niedersachsen der sehr weitgehenden Entscheidung der Vergabekammer Südbayern nicht (vollständig) folgt.

Im Übrigen ist aber auch diese Entscheidung rechtlich nicht nachvollziehbar.

Der Wortlaut des § 55 Abs. 2 Satz 1 VgV ist sehr klar:

Die Öffnung der Angebote wird von mindestens zwei Vertretern des öffentlichen Auftraggebers gemeinsam an einem Termin unverzüglich nach Ablauf der Angebotsfrist durchgeführt.

Wenn also zwei Mitarbeiter eines beauftragten Ingenieurbüros als Vertreter des Auftraggebers die Angebote öffnen, entspricht dies den vergaberechtlichen Vorgaben. Insbesondere steht dies mit dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck des § 55 Abs. 2 Satz 1 VgV im Einklang (vgl. hierzu schon den Beitrag der Verfasserin zur Entscheidung der VK Südbayern: Vergabeblog.de vom 08/03/2018, Nr. 36133). Die Norm regelt kein strafrechtliches Delikt (weder abstrakt noch konkret), sondern bestimmt schlicht als vergaberechtliche Verfahrensvorschrift den Ablauf der Angebotsöffnung.

Wenn in einem konkreten Fall wirklich Anhaltspunkte für ein kollusives Zusammenwirken vorliegen, dürfte es im Übrigen auch kaum ausreichen, die tatsächlichen Vorgänge ungeklärt zu lassen und einfach die Angebotsöffnung zu wiederholen. Vielmehr wäre wohl u.a. je nach Sachverhalt ein Ausschluss des betreffenden Unternehmens, etwa gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3, 5 oder 9 GWB, zu prüfen. Zudem wäre ein etwaiger Vertragsschluss im Falle der Kollusion (grds. auch nach Ablauf der sechs-Monatsfrist) gemäß §138 BGB angreifbar, mit dem Risiko eines möglichen vollständigen Verlusts aller wechselseitigen Ansprüche im Falle einer anschließenden Rückabwicklung. Des Weiteren drohen den Beteiligten selbstverständlich auch strafrechtliche Konsequenzen.

Praxistipp

Eine Klärung der Rechtsfrage in wortlautgetreuer Anwendung des § 55 Abs. 2 VgV wäre aus Sicht der Praxis wünschenswert. Bis dahin ist öffentlichen Auftraggebern aber weiterhin zu empfehlen, die Angebotsöffnung sicherheitshalber durch eigene Mitarbeiter oder zumindest in Ihrem Beisein durchführen zu lassen und dies auch entsprechend zu dokumentieren.

The post Outgesourcte Angebotsöffnung nur bei konkretem Manipulationsverdacht unzulässig? (VK Lüneburg, Beschl. v. 08.05.2018 – VgK-10/2018) appeared first on Vergabeblog.

EuGH: Generalanwalt plädiert für Bereichsausnahme bei der Vergabe von Rettungsdiensten

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenRecht

Am gestrigen Mittwoch hat der Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona in dem Verfahren C-465/17 („Falck Rettungsdienste GmbH, Falck A/S gegen Stadt Solingen“) seine Schlussanträge verkünden lassen. Den Volltext des Schlussantrags finden Sie hier.
Die sogenannte „Bereichsausnahme Rettungsdienst“ hat in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erzeugt.

Der Bundesgerichtshof hatte Ende 2008 (Beschluss vom 1.12.2008, AZ X ZB 32/08) geklärt, dass Rettungsdienstleistungen grundsätzlich ausgeschrieben werden müssen (siehe sowie verschiedene Beiträge zum Thema Rettungsdienste im Vergabeblog hier). Danach wurde es in den Folgejahren unruhig. Auf Seiten der Auftraggeber sowie der privaten Anbieterseite und gemeinnütziger Hilfsorganisationen war die Verunsicherung in der Folge groß. Verschiedene deutsche Hilfsorganisationen machten sich anschließend dafür stark, dass auf EU-Ebene die genannte Bereichsausnahme in die neuen Vergaberichtlinien 2014 eingeführt wurde. Im April 2016 hat sie der deutsche Gesetzgeber schließlich über den § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB ins nationale Recht umgesetzt.

Ausgangspunkt des nun vorliegenden Verfahrens beim EuGH war das Nachprüfungsverfahren, welches Falck Rettungsdienste und Falck gegen die Stadt Solingen bei der Vergabekammer Rheinland eingeleitet hatten (VK Rheinland vom 19.08.2016 – VK D-14/2016-L, dazu auch im ).

Die Stadt Solingen beabsichtigte im März 2016 die kommunalen Rettungsdienstleistungen für die Dauer von fünf Jahren neu zu vergeben. Private Anbieter waren nicht zum Verfahren zugelassen. Es wurden vier Hilfsorganisationen zur Angebotsabgabe aufgefordert.

Aus Sicht der Antragsteller hätte die Vergabe in einem EU-weitem öffentlichen Verfahren durchgeführt werden müssen.

In nächster Instanz legte das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 12.06.2017, AZ: VII Verg 34/16) beim EuGH diverse strittige europarechtliche Fragen zur „Bereichsausnahme Rettungsdienst“ zur Auslegung vor:

  1. Handelt es sich bei der Betreuung und Versorgung von Notfallpatienten in einem Rettungswagen durch einen Rettungsassistenten/Rettungssanitäter und bei der Betreuung und Versorgung von Patienten in einem Krankentransportwagen durch einen Rettungssanitäter/Rettungshelfer um „Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr“ im Sinne von Art. 10 lit. h) der Richtlinie 2014/24/EU (1), die unter die CVP-Codes 7525000-7 (Rettungsdienste) und 85143000-3 (Einsatz von Krankenwagen) fallen?
  2. Kann Art. 10 lit. h) der Richtlinie 2014/24/EU so verstanden werden, dass „gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen“ insbesondere solche Hilfsorganisationen sind, die nach nationalem Recht als Zivil- und Katastrophenschutzorganisationen anerkannt sind?
  3. Sind „gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen“ im Sinne von Art. 10 lit. h) der Richtlinie 2014/24/EU solche, deren Ziel in der Erfüllung von Gemeinwohlaufgaben besteht, die nicht erwerbswirtschaftlich tätig sind und die etwaigen Gewinne reinvestieren, um das Ziel der Organisation zu erreichen?
  4. Ist der Transport eines Patienten in einem Krankenwagen bei Betreuung durch einen Rettungssanitäter/Rettungshelfer (sog. qualifizierter Krankentransport) ein „Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung“ im Sinne von Art. 10 lit. h) der Richtlinie 2014/24/EU, der von der Bereichsausnahme nicht erfasst ist und für den die Richtlinie 2014/24/EU gilt?

Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona schlägt dem EuGH nun vor, dem OLG Düsseldorf wie folgt zu antworten:

Art. 10 Buchst. h der RL 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der RL 2004/18/EG ist in folgender Weise auszulegen:

  • Der Transport von Notfallpatienten in einem Rettungswagen bei Betreuung und Versorgung durch einen Rettungsassistenten/Rettungssanitäter ist als „Einsatz von Krankenwagen“ (CPV-Code 85143000 3) anzusehen, so dass die öffentliche Auftragsvergabe nicht den Verfahren der RL 2014/24 unterliegt, sofern die Leistung von einer gemeinnützigen Organisation oder Vereinigung erbracht wird.
  • Wenn der Transport von Patienten keinen Notfall darstellt und in einem Krankentransportwagen durch einen Rettungssanitäter/Rettungshelfer erfolgt, ist er als „Transport eines Patienten in einem Krankenwagen“ anzusehen, der nicht unter die für den „Einsatz von Krankenwagen“ im Allgemeinen geltende Ausnahme fällt.
  • „Gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen“ sind Organisationen oder Vereinigungen, die nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind und etwaige umständehalber erzielte Gewinne der Erfüllung ihrer sozialen Aufgabe widmen. Zur Erfüllung dieser Voraussetzung reicht es nicht aus, dass sie im innerstaatlichen Recht als Hilfsorganisation anerkannt sind.

Quelle: Pressemitteilung des EuGH vom 14.11.2018

Ankündigung und „Save the date“

Das DVNW wird 2019 eine neue eintägige Veranstaltungsreihe mit dem Titel „DVNW forum“ zu verschiedenen Themen des Vergaberechts und öffentlichen Auftragswesens auflegen.

Der Auftakt wird am 11. April 2019 in Berlin mit dem Themenfeld „Vergaben im Gesundheits- und Sozialwesen“ gemacht. Eine wichtige Rolle wird dann selbstverständlich auch das in diesem Beitrag behandelte Thema Rettungsdienste spielen.

Weitere Informationen zur Veranstaltung folgen in Kürze hier im Vergabeblog.

 

The post EuGH: Generalanwalt plädiert für Bereichsausnahme bei der Vergabe von Rettungsdiensten appeared first on Vergabeblog.

DVA: Änderungen der VOB/A nur im 1. Abschnitt!

$
0
0
BauleistungenRecht

Am 13.11.2018 tagte der Vorstand des Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA). Dem Vergabeblog liegen bereits erste Hinweise zu den Ergebnissen der Tagung vor. Danach darf mit folgenden Änderungen gerechnet werden: 

Änderungen im 1. Abschnitt der VOB/A

Die Neuregelungen des 1. Abschnitts sollen voraussichtlich ab Anfang 2019 gelten. Zunächst aber muss die Veröffentlichung im Bundesanzeiger erfolgen. Als wesentliche Änderungen stehen Änderungen der Wertgrenzen zu erwarten: Nach den uns vorliegenden Informationen ist eine Erhöhungen der Wertgrenzen alleine für Wohnungsbauvorhaben (weite Auslegung) im Baubereich geplant. Eine Beschränkter Ausschreibung wäre dann ohne weitere qualitative Voraussetzungen bis zu einem geschätzten Auftragswert von 1 Million EUR statthafte Vergabeverfahrensart. Die Wertgrenze für Freihändige Vergaben soll für solche Bauleistungen auf 100.000 EUR angehoben werden.

Als weitere Änderungen des Abschnitt 1 soll zudem insbesondere die Gleichstellung der Öffentlichen Ausschreibung und der Beschränkten Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb erfolgen, die Möglichkeit eines Direktauftrages bis zu einem Auftragswert von 3.000 EUR geschaffen werden und die Möglichkeiten der Nachforderung angepasst werden.

Der 2. Abschnitt (VOB/A-EU) und 3. Abschnitt (VOB/A-VS) sollen jedoch zunächst unverändert bleiben. Eine Überarbeitung soll für Mitte 2019 geplant sein.

Der Vorstand des DVA hat der vom Hauptausschuss erarbeiteten Neufassung der VOB/A, 1. Abschnitt, zugestimmt. Die Novelle der VOB/A, zweiter und dritter Abschnitt, wurde jedoch abgelehnt.

Hinweis der Redaktion
Mit dem Bau-Vergabetag veranstaltet das DVNW das Event des Jahres zur Vergabe von Bau-, Planungs- und Projektsteuerungsleistungen. Im Jahr 2019 bereits zum dritten mal. Weitere Informationen sowie Anmeldemöglichkeiten finden Sie auf www.bau-vergabetag.de/.

 

 

The post DVA: Änderungen der VOB/A nur im 1. Abschnitt! appeared first on Vergabeblog.

Selbstreinigung nur bei aktiver Zusammenarbeit mit öffentlichem Auftraggeber (EuGH, Urt. v. 24.10.2018 – Rs. C-124/17 –„Vossloh-Laeis“)

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

Entscheidung-EUAm 24. Oktober 2018 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein Urteil im Vorabentscheidungsverfahren Vossloh Laeis (Rs. C-124/17) verkündet. Die Vorlagefragen der Vergabekammer Südbayern betrafen die Voraussetzungen für eine vergaberechtliche Selbstreinigung eines wegen Kartellbeteiligung ausgeschlossenen Unternehmens. Kernfrage war, ob von einem Unternehmen zur Zulassung zu einem Vergabeverfahren verlangt werden kann, dass es dem öffentlichen Auftraggeber Informationen zu seinem Fehlverhalten und dem hierdurch entstandenen Schaden liefert. Da der öffentliche Auftraggeber solche Informationen u.U. auch für die Durchsetzung eigener Schadensersatzansprüche nutzbar machen kann, war die Entscheidung sowohl von Unternehmensseite als auch seitens kartellgeschädigter Auftraggeber mit Spannung erwartet worden.

Art. 57 Abs. 4 und 6 Richtlinie 2014/24/EU, §§ 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB, 125 Abs. 1 Nr. 2, 126 Nr. 2 GWB

Leitsätze (nicht amtlich)

1. Art. 80 Richtlinie 2014/25/EU in Verbindung mit Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 Richtlinie 2014/24/EU steht einer Bestimmung des nationalen Rechts nicht entgegen, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer seine Zuverlässigkeit trotz des Vorliegens eines einschlägigen Ausschlussgrundes seine Zuverlässigkeit nachweisen möchte, die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem begangenen Fehlverhalten in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit nicht nur mit der Ermittlungsbehörde, sondern auch mit dem öffentlichen Auftraggeber im Rahmen diesem eigenen Rolle umfassend klären muss, um Letzterem den Nachweis der Wiederherstellung seiner Zuverlässigkeit zu erbringen, sofern diese Zusammenarbeit auf die Maßnahmen beschränkt ist, die für die betreffende Prüfung unbedingt erforderlich sind.
2. Art. 57 Abs. 7 Richtlinie 2014/24 ist dahin auszulegen, dass bei einem Verhalten eines Wirtschaftsteilnehmers, das den Ausschlussgrund des Art. 57 Abs. 4 lit. d. Richtlinie 2014/24/EU erfüllt und von einer zuständigen Behörde geahndet wurde, der höchstzulässige Zeitraum des Ausschlusses ab dem Datum der Entscheidung dieser Behörde berechnet wird.

Sachverhalt

Die Entscheidung des EuGH geht auf einen Vorlagebeschluss der Vergabekammer Südbayern vom 7. März 2017 (Z3-3-3194-1-45-11/16) zurück. Im dortigen Nachprüfungsverfahren wehrt sich das antragstellende Unternehmen (Vossloh Laeis GmbH) gegen seinen Ausschluss von einem für den Bereich der Beschaffung von Oberbaumaterialien eingerichteten Prüfungssystem i.S.v. § 24 SektVO a.F. Das Unternehmen bestreitet seine Kartellbeteiligung nicht, sieht aber die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Selbstreinigung als erfüllt an. Die Vergabestelle (Stadtwerke München) meint, dass das Unternehmen mit ihr nicht zielgerichtet zur Aufklärung der Kartellbeteiligung und des entstandenen Schadens zusammengearbeitet habe. Insbesondere habe das Unternehmen sich geweigert, den Bußgeldbescheid des Bundeskartellamts zu übermitteln.

Mit ihrem Vorlagebeschluss wollte die Vergabekammer Südbayern zum einen wissen, ob § 125 Abs. 1 Nr. 2 GWB, der das Unternehmen bei der Aufklärung der Tatsachen und Umstände im Zusammenhang mit dem Fehlverhalten und dem verursachten Schaden zur aktiven Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen Auftraggeber verpflichtet, mit den EU-Richtlinien vereinbar ist. Hintergrund ist, dass die Richtlinienvorgabe in Art. 57 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU nur von einer aktiven Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden spricht, ohne den öffentlichen Auftraggeber zu erwähnen.

Zum anderen hatte die Vergabekammer dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die dreijährige Ausschlussfrist nach § 126 Nr. 2 GWB bereits ab Verwirklichung des Ausschlusstatbestands durch das Unternehmen oder erst ab Vorliegen einer gesicherten und belastbaren Kenntnis des Auftraggebers über den Ausschlussgrund läuft.

Die Entscheidung

Der EuGH bestätigt, dass ein Unternehmen im Rahmen der vergaberechtlichen Selbstreinigung auch zur Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber verpflichtet ist. Diese Verpflichtung ist nach Auffassung des EuGH allerdings auf diejenigen Maßnahmen beschränkt, die zur Prüfung der Zuverlässigkeit des Unternehmens unbedingt erforderlich sind. Der öffentliche Auftraggeber könne grundsätzlich verlangen, dass das Unternehmen ihm die Entscheidung der Kartellbehörde zu dem in Rede stehenden Wettbewerbsverstoß übermittele. Der Umstand, dass die Übermittlung dieses Dokuments eine Schadensersatzklage des öffentlichen Auftraggebers gegen das Unternehmen erleichtern könne, ändere hieran nichts. Denn das Unternehmen müsse den Nachweis erbringen, dass es einen Ausgleich für jeglichen durch seine Straftat oder sein Fehlverhalten verursachten Schaden gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet habe.
Zudem könne der öffentliche Auftraggeber von dem Unternehmen Tatsachenmaterial einfordern, das belegen kann, dass die Selbstreinigungsmaßnahmen, auf die das Unternehmen sich beruft, unter Berücksichtigung der konkreten Umstände, unter denen die festgestellten Verstöße begangen wurden, tatsächlich geeignet sind, weiteres Verhalten der beanstandeten Art zu verhindern.

Die Frage nach der Ausschlussfrist beantwortet EuGH dahingehend, dass für den im Vorlageverfahren relevanten Ausschlussgrund wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (Art. 57 Abs. 4 lit. d Richtlinie 2014/24/EU, § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB) für den Fristbeginn nicht auf den Zeitpunkt der Beendigung der Kartellbeteiligung, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung der Kartellbehörde abzustellen ist. Der EuGH begründet dies mit der hierdurch gewährleisteten Kohärenz mit den Berechnungsmodalitäten für die Frist bei zwingenden Ausschlussgründen und der Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit der Fristberechnung.

Rechtliche Würdigung

Wie schon der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen (dazu Beitrag des Autors auf Vergabeblog.de vom 28/05/2018, Nr. 37137) differenziert der EuGH zwischen den Aufgaben der Ermittlungsbehörden und denjenigen des öffentlichen Auftraggebers. Aufgabe der Ermittlungsbehörde sei es, unparteiisch Feststellungen zu einem möglichen Rechtsverstoß zu machen und das in der Vergangenheit liegende Fehlverhalten der Akteure zu ahnden. Der öffentliche Auftraggeber müsse demgegenüber die Risiken einschätzen, die mit einer Auftragsvergabe an einen Bieter mit zweifelhafter Integrität verbunden sei.

Auch der EuGH erkennt dabei die Doppelrolle, in der sich ein kartellgeschädigter Auftraggeber befindet. Einerseits muss der Auftraggeber das Vorliegen der Voraussetzungen der Selbstreinigung prüfen können. Um dies tun zu können, muss er vom Bieter Angaben zu dessen Fehlverhalten, dem hierdurch versuchten Schaden, den Maßnahmen zum Schadensausgleich und den Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung zukünftiger Verstöße erhalten. Andererseits ist ein kartellgeschädigter Auftraggeber gegenüber einem Ex-Kartellanten schwerlich eine ganz neutrale Instanz. Denn der kartellgeschädigte Auftraggeber kann versuchen, über den Hebel der Selbstreinigung, weitere Informationen insbesondere zum Schadensumfang zu erlangen, die ihm bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen den Ex-Kartellanten helfen können. Eine umfassende Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber und zur Herausgabe aller Informationen über Kartellbeteiligung stünde dabei in einem Spannungsverhältnis zu den kartellrechtlichen Regelungen insbesondere zur Privilegierung von Kronzeugen. Diesen Konflikt zwischen den Mechanismen der vergaberechtlichen Selbstreinigung und den kartellrechtlichen Regelungen versucht der EuGH dadurch aufzulösen, dass er die Verpflichtung des Unternehmens zur Zusammenarbeit auf die unbedingt erforderlichen Maßnahmen beschränkt.

Praxistipp

Der EuGH hat darauf verzichtet, die Verpflichtung der Bieter zur Zusammenarbeit auf die Kartellbehörden zu begrenzen. Kartellgeschädigte Auftraggeber können daher auch zukünftig versuchen, über den Hebel der vergaberechtlichen Selbstreinigung an Informationen zu kommen, die für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen verwendet werden können.

Die entscheidende Frage wird künftig sein, welche Informationen zur Prüfung der Zuverlässigkeit des Unternehmens unbedingt erforderlich sind. Fest steht nach der Entscheidung des EuGH, dass hierzu jedenfalls die Offenlegung der Entscheidung der Kartellbehörde, d.h. des Bußgeldbescheids, gehört. Offen ist demgegenüber, welches weitere Tatsachenmaterial der Auftraggeber im Einzelfall zum Nachweis fordern kann, dass die Selbstreinigungsmaßnahmen tatsächlich geeignet sind, ein zukünftiges Fehlverhalten zu verhindern. Ebenfalls abzuwarten bleibt, ob die Entscheidung des EuGH mittelfristig Auswirkungen auf den Willen von im öffentlichen Sektor tätigen Unternehmen haben wird, der Kartellbehörde als Kronzeuge zur Verfügung zu stehen. Denn Gewissheit, dass die kartellrechtliche Privilegierung von Kronzeugen auch im Rahmen der vergaberechtlichen Selbstreinigung Beachtung findet, gibt die Entscheidung des EuGH nicht.

Rechtssicherheit bringt das Urteil des EuGH demgegenüber hinsichtlich des Beginns der Ausschlussfrist nach § 126 Nr. 2 GWB bei dem Ausschlussgrund wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen i.S.d. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB. Hier gibt es mit der Entscheidung der Kartellbehörde zukünftig einen klaren Anknüpfungspunkt für den Fristbeginn.

The post Selbstreinigung nur bei aktiver Zusammenarbeit mit öffentlichem Auftraggeber (EuGH, Urt. v. 24.10.2018 – Rs. C-124/17 – „Vossloh-Laeis“) appeared first on Vergabeblog.


Podiumsdiskussion zu dem Thema: „Rüstungsbeschaffung neu gedacht – Neue Wege innovativer Beschaffung bei der Bundeswehr“– Jetzt zum Nachschauen

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

Es war eine Premiere beim 5. Deutschen Vergabetag. Erstmalig haben wir einen Live-Stream übertragen, den wir den Leserinnen und Lesern des Vergabeblogs zum Nachschauen bereitgestellt haben (). Zudem haben wir die Podiumsdiskussion der Abendveranstaltung im Meistersaal am Potsdamer Platz zu dem Thema: „Rüstungsbeschaffung neu gedacht – Neue Wege innovativer Beschaffung bei der Bundeswehr“, die Sie hier heute Nachschauen können.

Die Podiumsdiskussion wurde am 25.10.2018 im Rahmen des 5. Deutschen Vergabetags aufgezeichnet.

Unter der Moderation von Prof. Dr. Heiko Höfler (mitte), diskutierten Prof. Dr. Michael Eßig, Anja Theurer, Jolanda van Eijndthoven, Matthias Mantey und Ulrich Beck (v.l.n.r.) zu dem Thema: „Rüstungsbeschaffung neu gedacht – Neue Wege innovativer Beschaffung bei der Bundeswehr“.

The post Podiumsdiskussion zu dem Thema: „Rüstungsbeschaffung neu gedacht – Neue Wege innovativer Beschaffung bei der Bundeswehr“ – Jetzt zum Nachschauen appeared first on Vergabeblog.

Antrag auf vorläufige Verlängerung des Zuschlagverbots kann in der Beschwerdeinstanz auch noch nach Ablauf der 2-Wochen-Frist zum Erfolg führen! (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.09.2018 – VII-Verg 50/18)

$
0
0
Gesundheits- & SozialwesenRecht

EntscheidungOLG Düsseldorf gibt bisherige Rechtsprechung auf und räumt effektivem Primärrechtsschutz auch dann den Vorrang ein, wenn der Zuschlag erst im laufenden Beschwerdeverfahren droht.

Mit Beschluss vom 26.09.2018 hat das OLG Düsseldorf seine bisherige Rechtsprechung, wonach die aufschiebende Wirkung gem. § 173 Abs.2 1 S.3 GWB nicht erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens verlängert werden könne, aufgegeben und einstweilen das Zuschlagverbot verlängert. En passant erspart das Gericht manchem Bieter in Zukunft ein unnötiges Kostenrisiko. Den komplexen Zulässigkeitsfragen eines Nachprüfungsantrags rund um ein Vergabeverfahren zur Belieferung von Vertragarztpraxen mit Kontrastmitteln widmet sich nun das OLG in der Beschwerdeinstanz.

§§ 173 Abs.1, 160 Abs.2, 97 GWB

Leitsatz

In den Fällen, in denen bis zum Ablauf der zwei- Wochen- Frist des § 173 Abs.1 S.2 GWB kein Zuschlag drohte, weil keine Mitteilung im Sinne des § 134 GWB versendet war, kann ein Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde bis zur abschließenden Entscheidung noch gestellt werden, sobald nachträglich der Zuschlag droht (nicht amtlich).

Sachverhalt

Die Antragstellerin begehrte mit ihrem Antrag bis zur abschließenden Entscheidung über ihre Beschwerde nach § 173 I 3 GWB die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der VK Bund vom 15.08.2018 (VK 1- 69/18).

Dieser lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Antragsgegnerinnen (Kassenärztliche Vereinigungen) führten ein europaweites, offenes Verfahren zur Vergabe von Rahmenverträgen zur Belieferung der radiologisch tätigen Vertragsarztpraxen mit Kontrastmitteln in mehreren Fachlosen durch. Die Antragsgegnerinnen hatten mit mehreren gesetzlichen Krankenkassen eine Vereinbarung über die Anforderung und Verwendung von Sprechstundenbedarf geschlossen, welche auch Kontrastmittel umfasste. Diese sollten gegebenenfalls durch Produkte des jeweiligen Zuschlagsgewinners substituiert werden. Allerdings gab die Vereinbarung vor, dass dies nur unter Vorbehalt des Widerspruchs der Ärzte möglich sei.

Im Folgenden rügte die Antragstellerin (als Bieterin), dass der Bezug von Kontrastmitteln und die Auswahl der Lieferanten nicht mithilfe eines Vergabeverfaahrens umgesetzt werden dürften, da die Ausschreibung eine Substitution zugunsten des Bezuschlagten nicht zulasse.Der Rüge wurde nicht abgeholfen, sodass die Antragstellerin bei der VK Bund die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beantragte – fälschlicherweise gegen die im Rubrum der Antragsschrift falsch bezeichnete Antragsgegnerin- mit dem Ziel der Untersagung dieser Ausschreibung durch die VK. Der Antrag wurde jedoch bereits als unzulässig verworfen.

Daraufhin hat die Antragstellerin beim Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) sofortige Beschwerde eingelegt und, nachdem ihr erst im laufenden Beschwerdeverfahren – also nach Ablauf der zwei-Wochen-Frist, § 173 Abs.1 S.2 GWB, die Nachricht gem. § 134 GWB zugegangen war, gemäß § 173 I S. 3 GWB beantragt, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde zu verlängern.

Die Entscheidung

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bis zur abschließenden Entscheidung über die Beschwerde hatte im Ergebnis Erfolg.

Das OLG argumentierte, dass der Wortlaut des § 173 Abs.1 S.2 GWB von „verlängern“ spräche, was grundsätzlich voraussetze, dass -wie hier- der zu verlängernde Zustand noch nicht abgelaufen sei. § 173 Abs.1 S.3 GWB müsse nach Meinung des Senats allerdings teleologisch erweitert werden, sofern erst nachträglich der Zuschlag drohe. Es entspräche nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift, wenn ein um rechtsschutzsuchendes Unternehmen rein vorsorglich in zum Antragszeitpunkt unnötige Kosten getrieben würde, besonders weil ein solcher Antrag mit nicht unerheblichen Kosten verbunden sei. Es sei sogar fraglich, ob einem solchen Antrag nicht sogar das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Es entspräche aber umgekehrt dem Gebot effektiven Primärrechtsschutzes, einem Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung auch noch dann stattzugeben, wenn das Verfahren bereits vorangeschritten sei, insbesondere weil auch teilweise erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens die Voraussetzungen des § 173 Abs.1 S.3 GWB leichter bewertet werden könnten. Der Senat weist ferner darauf hin, an seiner in der Entscheidung vom 06.11.2000 (Verg. 20/00) dargelegten Rechtsauffassung, sofern sie dem entgegenstehen sollte, nicht mehr festzuhalten.

Das OLG sah sich nach dem Sachstand, insbesondere der kurzen zur Entscheidung bleibenden Zeit, nicht in der Lage, die materiellen Voraussetzungen des Eilantrags im Einzelnen zu bewerten und konnte nur feststellen, dass die sofortige Beschwerde weder unzulässig noch evident unbegründet sei und gab zur Wahrung des Primärrechtsschutzes dem Eilantrag statt.

Die VK Bund hatte den Nachprüfungsantrag als unzulässig verworfen. Vieles spräche, so die VK Bund, auch für die Unbegründetheit des Antrags.

Die Zulässigkeit des Antrags scheitere jedoch nicht an der falschen Bezeichnung der Antragsgegnerin, denn aus dem Antrag selbst ergäbe sich bei sachdienlicher Auslegung, gegen wen sich der Antrag richte. Das Rubrum sei daher von Amts wegen zu berichtigen. Die Unzulässigkeit folge aber aus der fehlenden Antragsbefugnis, § 160 Abs.2 GWB, der Antragstellerin. Bereits das Auftragsinteresse sei fraglich. Die Antragstellerin betone zwar an einem rechtmäßigen Vergabeverfahren der Antragsgegnerinnen teilnehmen zu wollen, allerdings erscheine dies vor der Begründung ihres Antrages unvertretbar. Die Argumentation der Antragstellerin würde im Ergebnis auf die Verhinderung einer Kontrastmittelausschreibung zielen, jedenfalls solange die Vereinbarung gelte. Das Rechtsschutzziel, ein Vergabeverfahren zu verhindern, sei vom Vergaberechtsschutz allerdings nicht erfasst. Abschließend nimmt die VK Bund keine Stellung zum Auftragsinteresse, da sich die fehlende Antragsbefugnis eindeutig aus den weiteren Punkten ergäbe. Die Antragstellerin berufe sich entgegen § 97 VI GWB nicht auf eine bieterschützende Norm. Die Regelungen der Vereinbarung, sowie ihrer Rechtsgrundlage in § 83 SGB V beträfen die Frage, ob überhaupt ausgeschrieben werden dürfe und diese sei dem Vergabeverfahren vorgelagert. Der Antragstellerin drohe auch kein Schaden i.S.d. § 160 II 2 GWB. Der aus Sicht der Antragstellerin bestehende Rechtsverstoß beeinträchtige ihre Zuschlagschancen nicht, was nach ständiger Vergaberechtsprechung vorausgesetzt würde. Die Antragstellerin stehe aber letztlich dennoch nicht rechtsschutzlos da, denn ihr verbleibe die Möglichkeit der Anrufung der Sozialgerichte.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf zur teleologischen Erweiterung des § 173 I 3 GWB erscheint aufgrund der ausführlichen Begründung mit Bedacht getroffen und durchaus vertretbar. Aus Bietersicht ist sie allemal zu begrüßen, denn der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung kann durchaus im Vergleich zum Hauptsacherechtsmittel als kostenintensiv bezeichnet werden. Es bleibt spannend, ob sich die Entscheidung in der vergaberechtlichen Praxis endgültig durchsetzt. Diejenigen Bieter, die erst im laufenden Beschwerdeverfahren eine Bieterinformation im Sinne des § 134 GWB erhalten, müssen dann aber unbedingt zeitnah einen solchen Antrag stellen.

Die Entscheidung der VK Bund deckt ein buntes Spektrum an vergaberechtlichen Themen in einem nicht alltäglichen sozial- und arzneimittelrechtlichen Kontext ab. Hinsichtlich der Unschädlichkeit der Falschbezeichnung der Antragsgegnerinnen vermag die Entscheidung allerdings nicht zu überraschen. Gem. § 163 I 1 GWB hat die VK den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und ist ausdrücklich nicht auf das Vorbringen der Beteiligten beschränkt. Eine Rubrumsberichtigung durch die VK ist daher nur konsequent. Dass die Kammer umfangreich zum Auftragsinteresse Stellung nimmt, ohne die vorliegende Konstellation abschließend zu bewerten, erscheint vor dem Hintergrund des Sachverhaltes dagegen bedauerlich. Spannend wäre hier gewesen, ob die VK tatsächlich den letzten (konsequent hergeleiteten) Schritt geht und dem Bieter dieses Interesse aberkennt, zumal dies -wie die Kammer zu Recht hinweist- bereits naheliegt, weil dieser nicht einmal der zwischenzeitlich angefragten Bindefristverlängerung für einen Teil der in Streit stehenden Lose zustimmen wollte.

Im Ergebnis ist der VK allerdings zuzustimmen: Ein Bieter der sich im von ihm angestrengten Nachprüfungsverfahren im Ergebnis darauf beruft, Vergaberecht sei nicht anwendbar, befindet sich in einem offensichtlichen Zirkelschluss, der sich negativ auf die erforderliche Antragsbefugnis auswirken muss. Hierauf hat die VK zu Recht hingewiesen. Genauso zutreffend ist, dass die VK ihre Argumentation auf § 97 GWB stützt und daraus vorliegend herleitet, dass sämtliche vorliegend zentralen Rechtsfragen nur bei den Sozialgerichten richtig platziert sind. Auch wenn es zunächst überraschen mag, dass die VK sich der Frage, ob überhaupt ausgeschrieben werden darf, nicht annehmen mag: Die Entscheidung überzeugt durch ihre folgerichtige Argumentationslinie.

Praxistipp

Die teleologische Erweiterung der Frist des § 173 I 2 GWB sollten Praktiker im Auge behalten, die aktuelle Entwicklung scheint jedenfalls der Schnelllebigkeit des Vergaberechts Rechnung zu tragen und nimmt erfreulicherweise auch aus Bietersicht relevante Kostengesichtspunkte auf.

Die Entscheidung der VK Bund gibt zudem vielfältige Aufschlüsse über die Anforderungen an die Antragsbefugnis. Gerade der leicht kuriosen Inanspruchnahme vergaberechtlichen Rechtsschutzes mit der Begründung, Vergaberecht sei nicht anwendbar, wird der Wind aus den Segeln genommen. Damit ist eine Nachahmung von ähnlichen Begründungskreiseln in Zukunft wohl eher vom Tisch.

The post Antrag auf vorläufige Verlängerung des Zuschlagverbots kann in der Beschwerdeinstanz auch noch nach Ablauf der 2-Wochen-Frist zum Erfolg führen! (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.09.2018 – VII-Verg 50/18) appeared first on Vergabeblog.

Nicht alle Vergabeunterlagen müssen bei zweistufigen Vergabeverfahren bereits mit der Bekanntmachung zur Verfügung gestellt werden! (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.10.2018 – VII-Verg 26/18)

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungDer Vergabesenat des OLG Düsseldorf hat klargestellt, dass der Auftraggeber im Falle eines zweistufigen Verfahrens keineswegs verpflichtet ist, mit der Auftragsbekanntmachung bereits sämtliche Vergabeunterlagen elektronisch bereitzustellen. Es müssen nur diejenigen Unterlagen elektronisch frei verfügbar sein, die für eine Entscheidung über eine Bewerbung um Teilnahme benötigt werden.

§ 41 Abs. 1 VgV / § 12aEU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A / § 29 UVgO

Leitsatz

Bei zweistufigen Vergabeverfahren setzt die Teilnahme am Vergabeverfahren zunächst (nur) die Abgabe eines Teilnahmeantrags voraus; es geht (noch) nicht um die Kalkulation und Abgabe eines Angebots. Erforderlich aber auch ausreichend sind daher sämtliche Angaben, die dem Unternehmen eine belastbare Entscheidung ermöglichen, ob es aus unternehmerischer Sicht sinnvoll ist, in den Teilnahmewettbewerb einzutreten um die Chance zu erhalten, zur Abgabe eines Angebots aufgefordert zu werden.

Die Angaben in der Bekanntmachung und in anderen mit der Bekanntmachung zugänglich gemachten Unterlagen müssen die hierfür erforderliche Entscheidungsgrundlage schaffen. Die Art und der Umfang der zu beschaffenden Leistung, die Bedingungen der Vergabe und der Verfahrensablauf ist danach so zu beschreiben, dass das Unternehmen entscheiden kann, ob es an dem Auftrag interessiert ist, um eine solche Entscheidung auf valider Grundlage treffen zu können, sind nicht immer zwingend sämtliche Vergabeunterlagen notwendig.

Sachverhalt

Im Zusammenhang mit der für europaweite Vergaben zwingenden elektronischen Abwicklung von Vergabeverfahren ist in allen Vergabeordnungen eine Regelung enthalten, nach der die Auftragsbekanntmachung (oder die Aufforderung zur Interessensbestätigung) eine elektronische Adresse enthalten soll, unter der die Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt abgerufen werden können (§ 41 Abs. 1 VgV sowie § 12a EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A). Die UVgO sieht dies auch für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte in § 29 Abs. 1 vor. Die Regelungen unterscheiden dabei nicht nach den einzelnen Verfahrensarten. In der Beschaffungspraxis stellt sich daher die Frage, ob auch in zweistufigen Verfahren mit Teilnahmewettbewerb (nichtoffenes Verfahren, Verhandlungsverfahren bzw. beschränkte Ausschreibung und Verhandlungsvergabe) bereits mit der Auftragsbekanntmachung sämtliche Vergabeunterlagen zum Download bereitgestellt werden müssen, auch solche, die erst und nur von den im Teilnahmewettbewerb ausgewählten Bewerbern für die Erstellung eines Angebots benötigt werden.

Im vergaberechtlichen Schrifttum wird dies bislang vor allem mit Blick auf den Wortlaut der Regelungen verbreitet bejaht. Auch das OLG München (Beschluss vom 13.03.2017 Verg 15/16) hat zu der entsprechenden Regelung in § 41 Abs. 1 SektVO darauf hingewiesen, dass diese nicht nach ein- und zweistufigen Verfahren differenziere.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Bei einer Ausschreibung von Reinigungsleistungen im nichtoffenen Verfahren hatte der Auftraggeber im elektronischen Projektraum zunächst nur einen Bewerbungsvorduck zum Download bereitgestellt und in der Auftragsbekanntmachung mitgeteilt, dass die vollständigen Vergabeunterlagen nur den im Teilnahmewettbewerb ausgewählten Bewerbern zur Verfügung gestellt werden, die zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden. Der bisherige Reinigungsdienstleister rügte dies als Verstoß gegen § 41 Abs. 1 VgV. Daraufhin veröffentlichte der Auftraggeber im elektronischen Projektraum auch die Leistungsbeschreibung sowie die Teilnahmebedingungen mit Angaben u.a. zur Wertungsmethodik, nicht aber die Vertragsbedingungen, die der Auftraggeber überdies erst nach Ablauf der Bewerbungsfrist fertigstellte. Das rügende Unternehmen sah hierin weiterhin einen Vergabeverstoß, gab keinen Teilnahmeantrag ab und beantragte eine Nachprüfung des Verfahrens vor der zuständigen Vergabekammer Westfalen. Erstmals im Nachprüfungsverfahren gab es an, dass es auch die Vertragsbedingungen benötige, um eine Entscheidung über eine Bewerbung zu treffen. Diese seien nämlich für die Frage bedeutsam, ob man sich als Einzelbewerber oder im Rahmen einer Bewerbergemeinschaft sowie mit oder ohne Nachunternehmer um Teilnahme am Verfahren bewerbe.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer Westfalen (Beschluss vom 26.03.2018 VK1-47/17 und VK1-1/18) hat den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückgewiesen. § 41 Abs. 1 VgV verpflichte den öffentlichen Auftraggeber lediglich dazu, das offenzulegen, was er habe. Der öffentliche Auftraggeber sei aber nach keiner Vorschrift rechtlich verpflichtet, im Falle eines nichtoffenen Verfahrens bereits tatsächlich alle Unterlagen im Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung zusammengestellt zu haben, damit diese heruntergeladen werden können.

Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das OLG Düsseldorf zurückgewiesen. § 41 Abs. 1 VgV gebe allein keinen Aufschluss darüber, welche Vergabeunterlagen mit der Auftragsbekanntmachung über eine elektronische Adresse zur Verfügung gestellt werden müssen. Bereits der Wortlaut der Vorschrift spreche dafür, dass § 41 Abs. 1 VgV eine Pflicht zur Bereitstellung der vollständigen Vergabeunterlagen zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung nicht begründe. Das Adjektiv vollständig beziehe sich nicht auf die Vergabeunterlagen und damit auf den Umfang der zum Abruf über die elektronische Adresse bereitgestellten Unterlagen, sondern vielmehr darauf, in welchem Umfang der elektronische Abruf der Unterlagen möglich sein müsse. Welche Unterlagen und Angaben zu den nach § 41 VgV bereitzustellenden Vergabeunterlagen gehören, regele vielmehr § 29 VgV und richte sich damit danach, ob die Angaben erforderlich sind, um dem Bewerber oder Bieter eine Entscheidung über die Teilnahme an dem Vergabeverfahren zu ermöglichen. Hierbei handele es sich um eine Entscheidung im Einzelfall, die unter anderem davon abhänge, welche Verfahrensart der öffentliche Auftraggeber gem. § 14 VgV gewählt hat und welche Bedeutung die Angaben für die Entscheidung des Bewerbers oder Bieters haben, sich an dem Verfahren zu beteiligen. Der Senat führt wörtlich aus:

„Ist dem Verfahren also so wie hier ein Teilnahmewettbewerb vorgeschaltet, setzt die Teilnahme am Vergabeverfahren zunächst (nur) die Abgabe eines Teilnahmeantrags voraus; es geht (noch) nicht um die Kalkulation und Abgabe eines Angebots. Erforderlich aber auch ausreichend sind daher sämtliche Angaben, die dem Unternehmen eine belastbare Entscheidung ermöglichen, ob die ausgeschriebenen Leistungen nach Art und Umfang in sein Produktportfolio fallen und es aus unternehmerischer Sicht sinnvoll ist, in den Teilnahmewettbewerb einzutreten um die Chance zu erhalten, zur Abgabe eines Angebots aufgefordert zu werden. Die Angaben in der Bekanntmachung und in anderen mit der Bekanntmachung zugänglich gemachten Unterlagen müssen die hierfür erforderliche Entscheidungsgrundlage schaffen. Die Art und der Umfang der zu beschaffenden Leistung, die Bedingungen der Vergabe und der Verfahrensablauf ist danach so zu beschreiben, dass das Unternehmen entscheiden kann, ob es an dem Auftrag interessiert ist. Um eine solche Entscheidung auf valider Grundlage treffen zu können, sind nicht immer zwingend sämtliche Vergabeunterlagen notwendig, wie sich allein schon daraus ergibt, dass nach alter Rechtslage vor Inkrafttreten der VgV die Vergabeunterlagen im nicht offenen und im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb auch erst nach Durchführung des Teilnahmewettbewerbs an die ausgewählten Teilnehmer übermittelt werden konnten (§ 15 Abs. 11 VOL/A EG, § 12 Abs. 4 Nr. 2 VOB/A EU).“

Für die Entscheidung der Antragstellerin, ob sie sich an dem Teilnahmewettbewerb durch Abgabe eines Teilnahmeantrags beteiligt, sei der konkrete Inhalt des Vertrages nicht erforderlich gewesen und infolgedessen der Vertrag von der Antragsgegnerin nicht mit der Auftragsbekanntmachung zur Verfügung zu stellen gewesen.

Rechtliche Würdigung

Die durchweg überzeugende Entscheidung des Vergabesenats schafft endlich Klarheit für die wichtige Frage, welche Vergabeunterlagen im Falle eines zweistufigen Vergabeverfahrens bereits mit der Auftragsbekanntmachung bereitgestellt werden müssen. Die bislang bestehenden Unsicherheiten haben in der Praxis, insbesondere bei öffentlich geförderten Projekten oft dazu geführt, dass rein vorsorglich alle Vergabeunterlagen bereits im Teilnahmewettbewerb veröffentlicht wurden. Nicht selten haben dann am Auftrag interessierte Unternehmen statt einer Bewerbung gleich ein Angebot eingereicht. Andere standen vor der Frage, ob sie gehalten sind, die Vergabeunterlagen bereits im Teilnahmewettbewerb vollständig zu prüfen und etwaige Vergabeverstöße zu rügen, obwohl noch nicht einmal klar ist, ob sie überhaupt zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. Zwar hat das OLG Düsseldorf bereits mit Beschluss vom 28.03.2018 (Az. VII-Verg 54/17) klargestellt, dass im Teilnahmewettbewerb keine Prüfpflicht der Bewerber in Bezug auf solche Bestandteile der Vergabeunterlagen bestehe, die erst die Angebotsphase betreffen. Nimmt er aber eine Prüfung vor und stößt dabei auf Vergabeverstöße, muss er diese wohl auch rügen.

Praxistipp

Nunmehr genügt es, mit der Auftragsbekanntmachung nur diejenigen Unterlagen bereitzustellen, die nach den konkreten Umständen des Falls außerdem für eine Entscheidung über eine Bewerbung um Teilnahme am Verfahren notwendig sind. Ggf. können alle relevanten Informationen zum Gegenstand und Ablauf eines Vergabeverfahrens bereits in der Auftragsbekanntmachung geliefert werden. Eine Bereitstellung weiterer Unterlagen ist dann nicht erforderlich.

The post Nicht alle Vergabeunterlagen müssen bei zweistufigen Vergabeverfahren bereits mit der Bekanntmachung zur Verfügung gestellt werden! (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.10.2018 – VII-Verg 26/18) appeared first on Vergabeblog.

Kritik an EU-Plänen zur Änderung der Saubere-Straßenfahrzeuge-Richtlinie (2009/33/EG)

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenPolitik und MarktRecht

Das cep, Centrum für Europäische Politik (cep), Freiburg i.Br., analysiert als Think-Tank der gemeinnützigen Stiftung Ordnungspolitik regelmäßig Rechtsetzungsvorschläge der EU-Kommission. Der Autor stellte beim 5. Deutschen Vergabetag am 26. Oktober 2018 im Rahmen des Innovationsforums „Die Neufassung der Richtlinie zur Beschaffung sauberer Fahrzeuge“ die Position des cep zum Vorschlag der EU-Kommission für eine Änderungsrichtlinie Saubere Straßenfahrzeuge vor [s. ausführlich: cepAnalyse 19/2018].

Hintergrund des Richtlinienvorschlags

Die Saubere-Straßenfahrzeuge-Richtlinie [2009/33/EG] ergänzt das EU-Vergaberecht [Allgemeine-Vergabe-Richtlinie 2014/24/EU; Sektoren-Vergabe-Richtlinie 2014/25/EU] durch Umweltkriterien für die Beschaffung von Straßenfahrzeugen durch öffentliche Auftraggeber und Betreiber von Personenverkehrsdiensten auf der Straße. Trotz der dortigen Vorgaben lag der Anteil von Elektro-, Plug-in-Hybrid-, Brennstoffzellen- und Erdgasfahrzeugen an den zwischen 2009 und 2015 neubeschafften Straßenfahrzeugen durchschnittlich nur bei 4,7% der Pkw und 0,4% der leichten Nutzfahrzeuge sowie 0,07% der Lkw und 1,7% der Busse.

Künftig soll die Saubere-Straßenfahrzeuge-Richtlinie „alle relevanten Vergabeverfahren“ erfassen und „einfacher und wirksamer“ werden. Dies soll die Nachfrage für saubere und energieeffiziente Straßenfahrzeuge stimulieren, Treibhausgas- und Luftschadstoffemissionen verringern und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie stärken.

State of play und nächste Schritte

Der Kommissionsvorschlag wird derzeit noch im Rat diskutiert, während das Europäische Parlament bereits am 25. Oktober seine Position beschlossen hat. Sobald der Rat zu einer gemeinsamen Position gefunden hat, beginnen die sog. Trilog-Verhandlungen zwischen EP, Rat und Kommission. Nach einer Einigung im Trilog muss das EP in 1. Lesung sowie der Rat zustimmen. Darauf folgt die Veröffentlichung der Änderungsrichtlinie im Amtsblatt. Ob das alles noch vor der Europawahl über die Bühne geht, ist fraglich. Erst mit der Umsetzung der Richtlinie auf nationaler Ebene werden die Vorgaben verpflichtendes Recht für die Auftragsvergabe in Deutschland.

Wesentliche Änderungen

Die Richtlinie soll künftig nicht nur für den Kauf, sondern auch für Leasing, Miete und Mietkauf gelten, sowie nun auch für Betreiber von „Straßenverkehrsdiensten“ zur Post- und Paketbeförderung, sowie zur Abholung von Siedlungs­abfällen oder der Vermietung von Bussen mit Fahrer im Rahmen eines öffentlichen Dienst­leis­tungs­auftrags. Das EP will dies noch aus auf die gesamte Müllabfuhr und auf Vermietung von weiteren Fahrzeugen mit Fahrer und auf Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU ausweiten.

Bis 2025 sollen laut Kommissionsvorschlag als „saubere Fahrzeuge“ nur Pkw und Kleinbusse mit CO2-„Auspuffemissionen“ von höchstens 25 g CO2/km und Kleintransporter mit CO2-„Auspuffemissionen“ von höchstens 40 g CO2/km gelten. Das EP will stattdessen auch Fahrzeuge, die mit alternativen Kraftstoffen [Richtlinie 2014/94/EU Art. 2 Abs. 1 Nr. 1] betrieben werden, als „saubere Fahrzeuge“ einstufen und legt für „emissionsarme“ Pkw und leichte Nutzfahrzeuge einheitliche CO2-Grenzen von 50 g CO2/km fest. Dies gilt aber jeweils nur für Fahrzeuge, deren Luftschadstoffemissionen im praktischen Fahrbetrieb die jeweils geltenden Emissionsgrenzwerte (derzeit: Fahrzeugemissionen-Verordnung [(EG) Nr. 715/2007], Anhang I) um mindestens 20% unterschreiten.

Bei schweren Nutzfahrzeugen hat das EP die ursprüngliche Liste der von der EU-Kommission als „saubere“ Fahrzeuge eingestuften alternativen Antriebe – Elektro-, Brennstoffzellen-, Erdgas- und Biomethan-Fahrzeuge – auf alle Fahrzeuge, die mit in der Richtlinie 2014/94/EU genannten alternativen Kraftstoffe betrieben werden, ausgeweitet. Damit gelten auch alle Biokraftstoffe (einschließlich Biodiesel), Flüssiggas (LPG) sowie synthetische und paraffinhaltige Kraftstoffe als „sauber“.

Es werden länder- und fahrzeugspezifische Mindestquoten für den Anteil sauberer Fahrzeuge bei der öffentlichen Auftragsvergabe festgelegt, die jeder Mitgliedstaat insgesamt erfüllen muss. Statt wie die Kommission bei der Erfüllung der Mindestquoten emissionsarme Fahrzeuge teilweise geringer zu gewichten als emissionsfreie – was zu großen Verwerfungen unter den Mitgliedstaaten führen würde – schlug das EP ambitionierte Unterquoten für emissionsfreie und emissionsarme Pkw und leichte Nutzfahrzeuge bzw. emissionsfreie schwere Nutzfahrzeuge vor.

Kritik

Zwar unterbindet die Ausweitung der Richtlinie auf Leasing, Miete und Mietkauf die Umgehung der Beschaffungsvorgaben, aber insgesamt verschärfen sich damit auch die folgenden Probleme des Kommissionsvorschlags:

  • Instrumentalisierung der öffentlichen Beschaffung

Die Instrumentalisierung der öffentlichen Beschaffung, über das Nachfragepotential des öffentlichen Sektors eine Massenproduktion bisher wenig marktgängiger sauberer Fahrzeuge anzustoßen, ist äußerst fragwürdig:

  • Erstens wird dadurch – entgegen der Behauptung der Kommission – die Wettbewerbs­fähigkeit der europäischen Fahrzeughersteller nicht gesteigert. Denn Konkurrenten aus Drittstaaten unterliegen für ihren Absatz in der EU denselben Kriterien und können sogar davon profitieren. So können beispielsweise chinesische Hersteller derzeit Elektro-Busse zu deutlich günstigeren Preisen als europäische Unternehmen anbieten.
  • Zweitens stellen sich Kostensenkungen durch Massenproduktion erst nach und nach ein. Daher müssen die Fahrzeuge in den Anfangsjahren teurer beschafft werden. Dies widerspricht dem Gebot des wirtschaftlichen Einsatzes öffentlicher Gelder.

Natürlich kann der öffentliche Sektor auch Umweltaspekte bei der Beschaffung berücksichtigen. Daher verpflichtete die Saubere-Fahrzeuge-RL zur Beschaffung marktgängiger sauberer Fahrzeuge. Abzulehnen ist jedoch eine Instrumentalisierung der öffentlichen Beschaffung für staatliche Industriepolitik.

  • Kostensteigerung durch reduzierte Bieterzahl aufgrund zu strikter Auflagen

Es gibt keinen Grund, warum Pkw und leichte Nutzfahrzeuge, um als „saubere Fahrzeuge“ zu gelten, die jeweils geltenden Emissionsgrenzwerte für Luftschadstoffe um 20% unterschreiten müssen. Wenn die Entwicklung emissionsärmerer Fahrzeuge angestoßen werden soll, kann die EU schärfere EURO-Normen einführen.

Der Kommissionsvorschlag ist jedoch problematisch: Massenhersteller geben womöglich den relativ kleinen öffentlichen Beschaffungsmarkt eher auf, als dass sie Fahrzeuge entwickeln, die 20% weniger emittieren als die vorgeschriebene EURO-Norm. Denn Hersteller konkurrieren gewöhnlich eben nicht in der Unterbietung von Schadstoffgrenzwerten, sondern versuchen, sie gerade so einzuhalten.

Es besteht die Gefahr, dass der Kreis potentieller Anbieter, die die Zusatzanforderung für die Auftragsvergabe erfüllen, gering bleibt. Verbleibende Anbieter könnten daher aufgrund des geringeren Wettbewerbs hohe Preise durchsetzen.

Ein ähnliches Problem ergibt sich durch die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Straßenverkehrsdiensten, für die es bisher noch kaum emissionsarme oder –freie Fahrzeuge auf dem Markt gibt. Mindestquoten können dann anfangs den Anbieterkreis ebenfalls sehr einschränken.

  • Mangelnde Technologieneutralität

Durch die Vorschläge des EP wurde – die im Kommissionsvorschlag unzureichend beachtete – Technologieneutralität weitgehend wiederhergestellt. Es ist zu hoffen, dass diese EP-Vorschläge im Trilog Bestand haben werden.

  • Kostensteigerung für Busse im ÖPNV

Die Bevorzugung emissionsarmer oder mit Bio-Methan betriebener Fahrzeuge durch unterschiedliche Gewichtungen im Kommissionsvorschlag oder durch hohe Unterquoten in der EP-Position belastet die öffentlichen Haushalte und/oder führt zu einer Verteuerung öffentlicher Dienstleistungen. Dies ist vor allem bei Bussen kontraproduktiv, weil dadurch u.U. die Beschaffung neuer Fahrzeuge verzögert wird. Zudem besteht die Gefahr, dass aus Kostengründen das Linienangebot eingeschränkt oder verteuert wird und Fahrgäste wieder auf den – deutlich emissionsintensiveren – Individualverkehr umsteigen.

Ein Betrieb von Gasbussen würde das lokale Problem bei Stickoxiden und Feinstaub in den Städten kostengünstiger lösen. Angesichts der Tatsache, dass Elektro-Busse aufgrund des Strommixes auch nicht CO2-frei fahren und Busse viel klimafreundlicher sind als der Individualverkehr, ist die durch Elektro-Busse angestrebte CO2-Reduktion alles andere als kosteneffizient.

Fazit

Eine Instrumentalisierung der öffentlichen Beschaffung ist abzulehnen. Um die Marktdurchdringung marktgängiger „sauberer und energieeffizienter“ Fahrzeuge noch zu intensivieren sind willkürliche Definitionen sauberer Fahrzeuge sowie technologiegebundene Quoten nicht die kosteneffizienteste Wahl.

Je besser es hingegen gelingt, umweltbezogene Kosten von CO2– oder Luftschadstoffemissionen in Preise einzubeziehen („Internalisierung externer Kosten“), desto weniger sind dirigistische Beschaffungsvorgaben zur Förderung „sauberer Straßenfahrzeuge“ nötig:

  • Die Reduzierung von CO2 betreffend steht mit dem Emissionshandelssystem (ETS) ein effizientes Mittel zur Verfügung. Durch eine Einbeziehung des Verkehrs in das EU-ETS oder in ein verkehrsspezifisches ETS würden sich die Kosten fossiler Kraftstoffe proportional zu deren CO2-Gehalt erhöhen. Alternativ könnte die EU die Mindeststeuersätze auf Mineralöl nach dem CO2-Gehalt staffeln. Beides führt dazu, dass die Gesamtbetriebskosten der Fahrzeuge – also über deren gesamte Nutzungsdauer hinweg – von deren tatsächlichen Emissionen abhängen. Damit würden die heutigen Kostennachteile emissionsarmer und freier Fahrzeuge bei öffentlichen Vergabeverfahren – und auch des ÖPNV gegenüber dem Individualverkehr – ausgeglichen. Dies setzt Anreize zur CO2-Reduzierung, ist technologieneutral, ökonomisch effizient und begrenzt den Verwaltungsaufwand.
  • Die Reduzierung von Luftschadstoffen betreffend haben sich die EURO-Normen bewährt sowie nach EURO-Klassen gestaffelte Lkw-Mautgebühren. Will die Kommission noch emissionsärmere Fahrzeuge auf dem Markt sehen, sollte sie die EURO-Normen verschärfen, statt für die Beschaffung deren deutliche Unterschreitung vorzuschreiben.

Da es im weiteren Gesetzgebungsverfahren jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit bei Quotenlösungen bleiben wird, ist bei der Umsetzung der Änderungsrichtlinie in deutsches Recht zu beachten, dass die Richtlinie nur Vorgaben auf Ebene der Mitgliedstaaten macht. Das heißt für Deutschland, dass im Durchschnitt ein Mindestanteil sauberer Fahrzeuge bei der gesamten öffentlichen Auftragsvergabe (über einem Schwellenwert) erreicht werden muss, aber nicht jeder einzelne Auftrag dieser Quote entsprechen muss.

Dieser Punkt führte zu einigen Missverständnissen und Irritationen am Ende der Podiumsdiskussion im Innovationsforum „Die Neufassung der Richtlinie zur Beschaffung sauberer Fahrzeuge“ des Deutschen Vergabetages. So wurden durch Publikumsfragen einige Fälle veranschaulicht, wo es durch die Quoten zu großen Belastungen vor allem für Kleinunternehmen kommen könnte, z.B. eine gemeinsame Ausschreibung für den Schülerlinienverkehr in einem Landkreis, den mehrere kleine Busunternehmen übernehmen, die dann jeweils die Quote einhalten müssten.

Der Hinweis, dass ab gewisser Schwellenwerte nun eben EU-Recht gelte und daher an nicht wünschenswerten Härtefällen nichts zu ändern sei, ist jedoch verfehlt. Denn es obliegt der Umsetzung in nationales Recht, bei der Erreichung der nationalen Mindestquoten den unterschiedlichen berechtigten Interessen für Ausnahmen oder einer Differenzierung zwischen Ballungsräumen und ländlichen Räumen gerecht zu werden. Für eventuell unberücksichtigte berechtigte Anliegen kann jedenfalls nicht die EU-Ebene verantwortlich gemacht werden. Der geht es nur um den nationalen Durchschnitt. Wie der erreicht wird, ist Sache der Mitgliedstaaten.

The post Kritik an EU-Plänen zur Änderung der Saubere-Straßenfahrzeuge-Richtlinie (2009/33/EG) appeared first on Vergabeblog.

„Vorteilhafte Gelegenheit“ oder „nicht auskömmliches Angebot“?

$
0
0
Liefer- & DienstleistungenRecht

Öffentliche Auftraggeber sind froh, wenn sie im Rahmen ihrer Beschaffungen von Zeit zu Zeit kein aufwändiges und zeitintensives Vergabeverfahren durchführen müssen, sondern einen öffentlichen Auftrag direkt vergeben dürfen. Daher berufen sie sich gerne auf Ausnahmetatbestände, die eine Freihändige Vergabe nach der VOL/A bzw. eine Verhandlungsvergabe nach der UVgO, teilweise mit zulässigen Direktvergaben, rechtfertigen. Ein solcher Tatbestand findet sich in § 8 Abs. 4 Nr. 14 UVgO, die derzeit sukzessive in den unterschiedlichen Bundesländern umgesetzt wird. Dieser ermöglicht die Direktvergabe, wenn sich ein Leistungsangebot als eine „vorteilhafte Gelegenheit“ darstellt, die zu einer wirtschaftlicheren Beschaffung führt, als dies bei der Durchführung einer öffentlichen oder beschränkten Ausschreibung der Fall wäre.

I. Einleitung

Liegt der Ausnahmetatbestand einer „vorteilhaften Gelegenheit“ vor, darf der Auftraggeber also zulässig eine Direktvergabe des öffentlichen Auftrags vornehmen.

Auf der einen Seite muss der öffentliche Auftraggeber in diesem Zuge daher vergaberechtlich prüfen und dokumentieren, dass ihm ein Bieter ein vorteilhaftes Angebot gemacht hat. Es muss objektiv feststehen, dass die Gelegenheit derart vorteilhaft ist, dass die Beauftragung wirtschaftlicher ist, als dies bei Durchführung von Ausschreibungen der Fall wäre.

Auf der anderen Seite ist für den öffentlichen Auftraggeber jedoch Vorsicht geboten, da in der „vorteilhaften Gelegenheit“ gleichzeitig ein „ungewöhnlich niedriges Angebot“ liegen kann, bei dem die Auskömmlichkeit nicht sichergestellt ist.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die interessante Frage, ob und wie das Spannungsverhältnis zwischen einer „vorteilhaften Gelegenheit“ und der „Auskömmlichkeit“ des dieser Gelegenheit zugrundeliegenden Angebots aufzulösen ist.

II. Anforderungen an die „vorteilhafte Gelegenheit“ nach § 8 Abs. 4 Nr. 14 UVgO

§ 8 Abs. 4 Nr. 14 UVgO besagt, dass der öffentliche Auftraggeber Aufträge im Wege der Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb vergeben kann, wenn eine „vorteilhafte Gelegenheit“ zu einer wirtschaftlicheren Beschaffung führt, als dies bei der Durchführung einer öffentlichen oder beschränkten Ausschreibung der Fall wäre.

Die Beschaffung muss aufgrund einer auf einen sehr kurzen Zeitraum beschränkten Gelegenheit und zu einem erheblich unter dem marktüblichen liegenden Preis erfolgen. Der Auftraggeber hat eine diesbezügliche Prognose anzustellen, mittels Markterkundung die Vorteilhaftigkeit der Gelegenheit darzulegen und zu dokumentieren. Eine solche „vorteilhafte Gelegenheit“ kann sich beispielsweise infolge einer Insolvenz, eines Vergleichs- oder Ausgleichsverfahren ergeben. Genannt wird in den Erläuterungen auch die Möglichkeit, Leistungen zu besonders günstigen Bedingungen bei Unternehmen zu erwerben, da diese Unternehmen staatliche Zuwendungen erhalten haben. Der Tatbestand erfordert aber auch die Einmaligkeit der Gelegenheit. Es darf sich keine anderweitige Beschaffungsmöglichkeit unter vergleichbaren Konditionen bieten[i].

III. Anforderungen an ein „auskömmliches“ Angebot

§ 44 Abs. 1 UVgO besagt, dass ein öffentlicher Auftraggeber vom Bieter Aufklärung zu verlangen hat, wenn der Preis oder die Kosten eines Angebots, auf das der Zuschlag erteilt werden soll, im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung „ungewöhnlich niedrig“, also nicht auskömmlich, erscheinen. Der Auftraggeber muss dann die Zusammensetzung des Angebots prüfen und die übermittelten Unterlagen berücksichtigen.

Soweit der Auftraggeber hiernach die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten nicht zufriedenstellend aufklären kann, darf er den Zuschlag auf dieses Angebot ablehnen.

Soweit der Auftraggeber aber festgestellt hat, dass der Preis oder die Kosten des Angebots „ungewöhnlich niedrig“ sind, weil die Verpflichtungen aus § 128 GWB, insbesondere umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche Vorschriften nicht eingehalten werden, lehnt er das Angebot ab.

Außerdem lehnt der Auftraggeber das Angebot ab, wenn der Bieter nicht an der Aufklärung der Auskömmlichkeit mitwirkt.

§ 44 UVgO dient in erster Linie dem Schutz des öffentlichen Auftraggebers vor der Eingehung wirtschaftlicher Risiken. Bei Unterangeboten, insbesondere zu „Dumping-Preisen“, besteht die Gefahr, dass der Auftragnehmer wegen der „engen“ Kalkulation während der Vertragsabwicklung aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten seinen vertraglichen Leistungspflichten nicht nachkommt. Dies kann zu erheblichen Schlechtleistungen oder sogar im schlimmsten Fall zu einer Insolvenz des Auftragnehmers und damit zu einem vollständigen Leistungsausfall führen.[ii] Dem liegt außerdem die Überlegung zugrunde, dass derart ungewöhnliche Angebote auf technisch, wirtschaftlich oder rechtlich fragwürdigen Annahmen oder Praktiken beruhen können.[iii]

IV. Konkrete Problemstellung in der Praxis

Besteht beim öffentlichen Auftraggeber eine Beschaffungsabsicht, wird er im Rahmen der Vorbereitung eines etwaigen Vergabeverfahrens zunächst den Markt erkunden. In diesem Zuge verschafft er sich Informationen über die Vielfalt der am Markt teilnehmenden Anbieter, der angebotenen Leistungen, der Preise sowie der Kosten. Er stellt Schätzungen und Prognosen an.

Zu diesem Zeitpunkt kann er bei der Marktrecherche bereits auf ein besonders günstiges Angebot stoßen, sodass er vor der Frage steht, ob die Umstände dieses konkreten Einzelfalls die Annahme einer „vorteilhaften Gelegenheit“ begründen, die einen Direktauftrag rechtfertigt, oder ob das Angebot anhand der Gesamtumstände „ungewöhnlich niedrig“ bzw. „nicht auskömmlich“ erscheint, unter Umständen eine Prüfpflicht besteht, und es nicht bezuschlagt werden darf.

Problematisch ist nun, dass ein solches, aus einer „vorteilhaften Gelegenheit“ resultierendes Angebot sich regelmäßig gerade deshalb als vorteilhaft darstellen wird, weil der Angebotspreis äußerst wirtschaftlich erscheint, indem der in der Rechtsprechung hervorgebrachte Satz von 10% zum zweitgünstigsten Angebot bzw. zur Kostenschätzung überschritten sein wird. Gleichzeitig wird also regelmäßig eine Aufklärungspflicht bezüglich dieses ungewöhnlich niedrig erscheinenden Angebots begründet.

An diesem Punkt stellt sich die Frage, wie dieser Konflikt in der Praxis aufgelöst werden kann. Kann der öffentliche Auftrag direkt vergeben werden oder ist die „vorteilhafte Gelegenheit“ aufzuklären und sogar auszuschließen, da das ihr zugrundeliegende Angebot „ungewöhnlich niedrig“ erscheint?

V. Bezugspunkt für die Bewertung als „vorteilhafte Gelegenheit“ oder „nicht auskömmliches Angebot“

Bezugspunkt für die Bewertung als „vorteilhafte Gelegenheit“ sind die sich im Zuge einer Markterkundung ergebenden Preise bzw. die Kosten, wobei hier das Verhältnis von geschätztem Netto-Auftragswert bei Einleitung der Beschaffung bzw. übrigen Angeboten sowie dem tatsächlich vom potentiellen Auftragnehmer gemachten „vorteilhaften“ Angebot betrachtet werden muss.

Als Bezugspunkte für die Bewertung eines Angebots als „ungewöhnlich niedrig“ bzw. nicht auskömmlich kommen unterschiedliche Anknüpfungen in Betracht. Grundsätzlich ist für die Feststellung eines unangemessenen Preises vorrangig auf einen entsprechenden Abstand zu Vergleichsangeboten abzustellen. Eine nachvollziehbare Kostenschätzung hat in diesem Rahmen aber eine flankierende Funktion im Sinne einer Plausibilitätsprüfung. Bei nur einem Angebot kann aber auch nur auf die Kostenschätzung abgestellt werden, weil kein solcher Abstand zu Vergleichsangeboten ermittelbar ist. Entscheidungen der Nachprüfungsinstanzen bringen grundsätzlich Sätze ab 10% Abweichung des zu prüfenden Angebots zum nächstgünstigsten hervor, ab denen sich die Frage der Auskömmlichkeit stellt.[iv]

Die Auskömmlichkeit auf einem gewachsenen Markt mit wenigen Schwankungen ist anders zu bewerten als auf volatilen Märkten. Im Bereich neuer Markte, auf denen sich noch keine Marktpreise gebildet haben, gelten wiederum andere Maßstäbe. Eine Überschreitung der von der Rechtsprechung festgelegten Prozentsätze rechtfertigt aber keinen direkten Ausschluss, sondern löst lediglich eine Aufklärungspflicht des öffentlichen Auftraggebers aus[v].

Äußerst günstig erscheinende Angebote können durchaus wettbewerblich veranlasst und daher doch am wirtschaftlichsten sein. Die günstigen Bedingungen eines Angebots können aus sehr günstigen Herstellerkonditionen bzw. Einkaufsbedingungen, die Entwicklung einer kostensparenden Produktionsmethode, insbesondere durch spezifische Kenntnisse und Fähigkeit, sowie strategische Entscheidungen sein, fast ohne Gewinnmarge anzubieten, um eine Neupositionierung auf dem Markt als Newcomer zu erreichen.[vi]

Die Prüfpflichten des Auftraggebers entstehen, wenn der Preis oder die Kosten im Verhältnis zur Leistung ungewöhnlich niedrig erscheinen. Der Begriff beinhaltet bereits einen Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers. Er muss sich entsprechende Angaben und Informationen bezüglich der Angebotskalkulation und Preis- bzw. Kostenbildung vom Bieter vorlegen lassen. Auch ein Unterkostenangebot kann durch den Auftraggeber grundsätzlich bezuschlagt weden, wenn für ihn plausibel und nachweisbar ist, dass die Leistung zuverlässig erbracht werden wird[vii].

VI. Rechtliche Beurteilung

Das Spannungsverhältnis zwischen einem Angebot, das sich als „vorteilhafte Gelegenheit“ darstellt, aber gleichzeitig die Gefahr birgt, ein „ungewöhnlich niedriges Angebot“ zu sein, lässt sich durchaus auflösen. Die Regelungen widersprechen sich nicht und sind miteinander vereinbar.

Da sich ein aus einer „vorteilhaften Gelegenheit“ resultierendes Angebot wie ausgeführt regelmäßig deshalb als vorteilhaft darstellt, weil der angebotene Preis extrem wirtschaftlich erscheint, wird gleichzeitig der in der Rechtsprechung hervorgebrachte Satz von 10 Prozent überschritten sein. In der Folge bedeutet dies, dass bei Vorliegen eines äußerst wirtschaftlichen Angebots, dem bereits immanent ist, dass es um weitaus mehr als 10 Prozent vom zweitgünstigsten Angebot, der Kostenschätzung bzw. vom Marktüblichen abweicht, dieses bezüglich seiner Auskömmlichkeit stets aufgeklärt werden muss. Denn ohne eine Aufklärung des Angebots wird der Auftraggeber die Beurteilung bezüglich entweder einer „vorteilhaften Gelegenheit“ oder aber eines „nicht auskömmlichen Angebots“ unmöglich treffen können. Vielmehr wird er bei ungeprüfter Annahme einer „vorteilhaften Gelegenheit“ stets gegen seine Prüfpflicht aus § 44 Abs. 1 UVgO verstoßen.

Im Ergebnis geht es daher nicht maßgeblich um die Abweichung des Angebotspreises zu anderen Bezugsgrößen, sondern ausschließlich um die Bewertung der Gesamtumstände des konkreten Einzelfalls, die eine bestimme Höhe des Angebotspreises und seiner Bedingungen rechtfertigen und die entweder eine Beurteilung als „vorteilhafte Gelegenheit“ oder eben als „ungewöhnlich niedriges Angebot“ zulassen. Die Gesamtumstände des konkreten Einzelfalls sind daher zu prüfen und zu dokumentieren. Allein aus diesen Umständen ergibt sich für den öffentlichen Auftraggeber, ob der angebotene Angebotspreis wirklich eine einmalige „vorteilhafte Gelegenheit“ darstellt, weil der für die Leistung angebotene Preis beispielsweise der Insolvenz geschuldet ist, oder ob es sich um ein ungewöhnlich niedriges Angebot handelt, bei dem die Gefahr besteht, dass die Leistungserbringung vollständig ausfällt oder nicht ordnungsgemäß ausgeführt wird.

Da § 44 UVgO mit seiner unter Umständen entstehenden Aufklärungspflicht vorrangig dem Schutz des öffentlichen Auftraggebers dient, kann er auf diesen Schutz grundsätzlich verzichten. Der Schutz bezweckt wie ausgeführt die Vermeidung der Auftragserteilung auf Unterangebote, aus denen wahrscheinlich aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten Schlechtleistungen, Insolvenz und sogar ein vollständiger Leistungsausfall resultieren. Wenn eine „vorteilhafte Gelegenheit“ beispielsweise aufgrund einer Insolvenz vorliegt, dann hat sich sogar gerade diese Gefahr, vor der die Regelung schützen soll, verwirklicht, sodass die Schutzfunktion ihren Zweck ohnehin nicht erfüllt und der Auftraggeber daher erst recht auf diesen Schutz zugunsten eines vorteilhaften Angebots verzichten kann. Die Entscheidung zugunsten einer „vorteilhaften Gelegenheit“ seitens des öffentlichen Auftraggebers wird daher in der Regel eine Entscheidung zulasten des Schutzes vor einer Schlechtleistung oder eines vollständigen Leistungsausfalls sein, die gut überlegt sein will. Die Gefahr einer Schlechtleistung oder eines vollständigen Leistungsausfalls wird bei teurer, komplexeren und umfangreicheren Leistungen grundsätzlich höher sein als bei günstigen, weniger komplexen und umfangreichen Leistungen, bei denen die Gesamtumstände, die den „ungewöhnlich niedrigen“ Preis rechtfertigen können, einfacher und schneller nachvollzogen werden können

VII. Praxistipp

Was bedeutet dies für die Praxis: Sollten sich öffentlich Auftraggeber auf den Ausnahmetatbestand der „vorteilhaften Gelegenheit“ berufen, so sind gleichzeitig die Gesamtumstände zu prüfen, zu werten und zu dokumentieren, aus denen sich ergibt, dass das Angebot für die Beschaffung zwar „vorteilhaft“, aber gleichzeitig dennoch „auskömmlich“ und nicht „ungewöhnlich niedrig“ ist. Das setzt eine Aufklärung des Angebots voraus. Anderenfalls schlägt die Aussicht, ein vorteilhaftes und „äußerst“ wirtschaftliches Angebot anzunehmen in die Gefahr über, dass der öffentliche Auftraggeber mit einer aufgrund schlechter Kalkulation mangelhaft ausgeführten Leistung oder sogar einem vollständigen Leistungsausfall konfrontiert wird.

_______________________________

[i] Hirsch/Kaelble, in Müller-Wrede, § 8, Rn. 154.
[ii] Horn, in: Müller-Wrede, § 44 UVgO, Rn. 4.
[iii] Horn a.a.O., Rn. 4.
[iv] Horn a.a.O., Rn. 14.
[v] ibid.
[vi] ibid.
[vii] ibid.

The post „Vorteilhafte Gelegenheit“ oder „nicht auskömmliches Angebot“? appeared first on Vergabeblog.

Viewing all 798 articles
Browse latest View live