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Eine Kostenverlagerung im Angebot spricht indiziell für eine Preismanipulation (OLG München, Beschl. v. 17.04.2019 – Verg 13/18)

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BauleistungenRecht

EntscheidungDie Themen „Unterkostenangebot“ und „Mischkalkulation“ sind spätestens seit dem grundlegenden Urteil des BGH (18.05.2004, X ZB 7/04) ein vergaberechtlicher Dauerbrenner. Dabei ist seit langem anerkannt, dass der Bieter nicht verpflichtet ist, seine tatsächlichen Kosten anzugeben. Er ist durchaus berechtigt, Positionen des LV unter den von ihm kalkulierten Kosten anzubieten. Allerdings ist in einem solchen Fall der Auftraggeber verpflichtet, die Angebotspreise des Bieters aufzuklären, wobei den Bieter die Darlegungs- und Beweislast dafür trifft, dass keine Preisverlagerung bzw. Mischkalkulation vorliegt. Gelingt ihm dieser Nachweis nicht, ist sein Angebot in aller Regel auszuschließen.

§ 16 Nr. 3, § 13 Abs. 1 Nr. 3 EU VOB/A

Leitsatz

  1. Es ist einem Bieter nicht verboten, einzelne Positionen unter seinen Kosten anzubieten. Dies bedeutet aber nicht, dass der Bieter seine zu deckenden Gesamtkosten nach Belieben einzelnen LV-Positionen zuordnen darf.
  2. Verlagert der Bieter die für einzelne LV-Positionen eigentlich vorgesehenen Preise ganz oder teilweise in andere Positionen, enthält sein Angebot nicht die geforderten Preise.
  3. Eine Angebotsstruktur, bei der deutlich unter den zu erwartenden Kosten liegenden Ansätzen bei bestimmten Positionen auffällig hohe Ansätze bei anderen LV-Positionen entsprechen, indiziert eine solche Preisverlagerung.
  4. Kann der Bieter die Indizwirkung nicht erschüttern, rechtfertigt dies die Annahme, dass das Angebot nicht die geforderten Preisangaben enthält und daher auszuschließen ist.

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Abbruch- und Entsorgungsarbeiten europaweit im Offenen Verfahren gem. EU VOB/A ausgeschrieben; einziges Zuschlagskriterium war der Preis. In der Aufforderung zur Angebotsabgabe war die Vorlage eines Entsorgungskonzeptes gefordert. Das LV enthielt u.a. die Positionen 1.7.1 Beton Belastungsklasse Z1.1. entsorgen und 1.7.2  Beton Belastungsklasse Z1.2 entsorgen. Insgesamt wurden 8 Angebote abgegeben, u.a. von Bieter A, dessen Angebot nach der Submission auf Platz 1 lag. Der AG forderte Ende August 2018 den A zur Aufklärung der Auskömmlichkeit einer Reihe von Einheitspreisen auf, speziell der LV-Positionen 1.7.1, in dem A einen Negativpreis angegeben hatte, und 1.7.2. A legte darauf die Urkalkulation vor und erläuterte seine Preisbildung. Anfang September 2019 bat der AG den A erneut um Preisaufklärung, da dessen Gesamtangebotspreis erheblich unterhalb sowohl der Kostenschätzung des AG als auch des zweitgünstigsten Bieters lag, was letztlich den Verdacht einer Mischkalkulation begründe. A bestritt darauf kategorisch eine Kostenverlagerung zwischen einzelnen Positionen. Mit Schreiben vom 14.09.2018 schloss der AG das Angebot des A wegen einer Mischkalkulation in den LV-Positionen 1.7.1 bis 1.7.5 aus. Nach Nichtabhilfe seiner Rüge beantragte  A Nachprüfung bei der Vergabekammer, die dem Antrag des A stattgab. Dagegen legte der AG sofortige Beschwerde zum OLG ein.

Die Entscheidung

Auf die sofortige Beschwerde des AG wird der Beschluss der erstinstanzlichen Vergabekammer Nordbayern aufgehoben. Der Nachprüfungsantrag des Bieters A wird zurückgewiesen. A trägt die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und des Beschwerdeverfahrens sowie die Aufwendungen des AG sowie der Beigeladenen.

Rechtliche Würdigung

Das OLG gibt im Ergebnis dem AG Recht. Der AG hat hier zu Recht das Angebot des A gem. § 16 Nr. 3, § 13 Abs. 1 Nr. 3 EU VOB/A ausgeschlossen, da A bezüglich der LV-Positionen 1.7.1 und 1.7.2 den Verdacht einer Mischkalkulation nicht hat ausräumen können. Grundsätzlich ist es einem Bieter nicht schlechthin verwehrt, einzelne Positionen unter seinen Kosten anzubieten. Dies bedeutet aber nicht, dass der Bieter seine zu deckenden Gesamtkosten nach Belieben einzelnen Positionen des LV zuordnen darf. Öffentliche Auftraggeber haben grundsätzlich ein Interesse daran, dass die Preise durchweg korrekt angegeben werden; denn Zahlungspflichten der Auftraggeber können durch Verlagerung einzelner Preisbestandteile manipuliert werden. Verlagert der Bieter die für einzelne Positionen seines LV eigentlich vorgesehenen Preise ganz oder teilweise in andere Positionen, greift § 16 Nr. 3 VOB/A grundsätzlich ein (BGH, Urteil vom 19.06.2018, X ZR 100/16). Eine Angebotsstruktur, bei der deutlich unter den zu erwartenden Kosten liegenden Ansätzen bei bestimmten Positionen auffällig hohe Ansätze bei anderen Positionen des LV entsprechen, indiziert eine solche Preisverlagerung. Kann der Bieter diese Indizwirkung nicht erschüttern, rechtfertigt dies die Annahme, dass das Angebot nicht die geforderten Preisangaben enthält und daher auszuschließen ist (BGH, a.a.O.).

Aus welchen Gründen ein Bieter in seinem Angebot Einheitspreise für bestimmte Leistungspositionen auf andere Positionen verteilt, ob er beispielsweise auf Mengenverschiebungen spekuliert oder besonders hohe anfängliche Abschlagszahlungen auslösen will, ist demgegenüber nicht entscheidend (BGH, Urteil vom 18.05.2004, X ZB 7/04, OLG Koblenz, Beschluss vom 04.01.2018, Verg 3/17). Bei der Preisaufklärung muss sich der AG nicht mit jeder beliebigen Erklärung des Bieters zufrieden geben. Zwar kommt der Erklärung eines Bieters, wonach seine Preise der tatsächlichen Kalkulation entspricht, erhebliches Gewicht zu. Liegen jedoch konkrete Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme vor, ist der AG nicht gezwungen, sich mit einer solchen Auskunft zufrieden zu geben, sondern es wird ein Ausschluss gleichwohl in Betracht kommen (OLG Frankfurt, B. v. 16.08.2005, 11 Verg 7/05). Übernimmt allerdings ein Bieter nur die von einem Nachunternehmer geforderten Preise, so stellen diese die von ihm geforderten Preise dar und es fehlt an der Vermutung von Preisverlagerungen (OLG Frankfurt, a.a.O.).  Von erheblichem Gewicht ist ferner, wenn die nach außen deklarierten Einheitspreise in den privaten Kalkulationsgrundlagen ihre Entsprechung finden (OLG Thüringen, B. v. 23.01.2003 9 Verg 8/05).

Im folgenden setzt sich das OLG sehr intensiv und ausführlich mit den vom Bieter A angegebenen Preisen auseinander. Für die Entsorgung von Beton der Belastungsklasse Z 1.1 hat A einen deutlichen Negativpreis angegeben, d.h. eine mehr als nur unerhebliche Vergütung zugunsten des AG. Im Unterschied dazu haben sämtliche anderen Bieter für die Entsorgung dieses Betons vom AG einen mehr als nur unerheblichen Preis gefordert. Umgekehrt fordert A für die Entsorgung von Beton der Belastungsklasse Z.1.2 einen Preis, der ganz erheblich über denen der Mitbieter liegt. Nach den Gesamtumständen liegt es jedenfalls nahe, dass marktüblich Kosten für die Entsorgung des Betons der Klasse Z 1.1 anfallen und A diese in die hohe geforderte Vergütung für die Entsorgung des Betons der Klasse Z 1.2 eingepreist hat. Vorliegend ist der Vergleich mit den Preisen der Mitbieter auch aussagekräftig, da es sich immerhin um sieben weitere Angebote handelt. Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass A die Indizwirkung nicht erschüttert hat weder durch die Ausführungen in seinen Aufklärungsschreiben vom 29.08. und 11.09.2018 noch durch seine Ausführungen im Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren. Vielmehr indizieren die von A angebotenen Preise für die LV-Positionen 1.7.1 und 1.7.2 nach der vorzitierten neueren Rechtsprechung des BGH eine Mischkalkulation.

Da dieser nicht ausgeräumte Verdacht der Mischkalkulation jedenfalls zwei Positionen umfasst – 1.7.1 und 1.7.2 des LV – fehlt auch nicht nur die Preisangabe in „einer einzelnen“ unwesentlichen Position i.S. des § 16 Ziff. 3 EU VOB/A, weshalb diese Norm keine Anwendung finden kann. Der Ausschluss des Angebotes des A war daher rechtmäßig.

Praxistipp

Die Entscheidung hält sich eng an die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 07.03.2013 VII ZR 68/10 bzw. Urteil vom 19.06.2018 X ZR 100/16) zu Inhalt und  Grenzen der Kalkulationsfreiheit des Bieters. Um aber nicht vorschnell einen Bieter wegen einer angeblichen Mischkalkulation auszuschließen und damit Gefahr zu laufen, ein Nachprüfungsverfahren zu riskieren, ist dem öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich zu empfehlen, mögliche Spekulationspotentiale von vornherein, d.h. bereits bei Entwurf und Gestaltung der Vergabeunterlagen zu minimieren, sei es durch Vorgaben zur Kalkulation oder den Verzicht auf Bedarfs- bzw. Alternativpositionen. Es gilt auch hier: je unklarer und auslegungsbedürftiger die Vergabeunterlagen, umso höher das Risiko, spekulative Preise zu erhalten.

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Von wirtschaftlich unsinnigen Zuschlagskriterien und der Wiedereröffnung von Verhandlungen nach den finalen Angeboten (VK Bund, Beschl. v. 11.02.2019 – VK 2-2/19)

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BauleistungenRecht

EntscheidungDer Zuschlag ist auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen, was nicht gleichbedeutend ist mit dem preiswertesten. Der öffentliche Auftraggeber darf die Zuschlagskriterien und deren Wertung nach seinem Beschaffungsbedarf ausrichten; insoweit besteht ein nur begrenzt überprüfbarer Spielraum.

GWB § 127, SektVO § 52, SektVO § 15

Sachverhalt

Ein Sektorenauftraggeber schrieb im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb einen Bauauftrag einschließlich 15-jährigem Wartungsvertrag aus. Die Zuschlagskriterien waren eine Kombination aus Investitionspreis (70%), Wartungskosten (15%) und „Erfüllung des Lastenhefts“ (15%). Letzteres kommt zum Tragen, wenn bestimmte fakultative Anforderungen erfüllt werden. Die Wertung sollte dabei konkret wie folgt durchgeführt werden: Beim Kriterium Investitionspreis erhält der Bestpreis 5 Punkte. Der Bestpreis plus 50% und höher erhält 0 Punkte; dazwischen sollte interpoliert werden. Bei den Wartungskosten würde der kumulierte 15-Jahres-Bestpreis ebenfalls 5 Punkte erhalten. Der Bestpreis plus 100% und höher würde 0 Punkte erhalten. Dazwischen sollte wiederum linear interpoliert werden.

Der spätere Antragsteller A gab den besten Investitionspreis und die Beigeladene B den besten Preis für die Wartung ab. In der Gesamtwertung erhielt das Angebot von B die höchste Punktzahl, obwohl es von dem Gesamtpreis her (Addition Investitionspreis und Wartungskosten) über dem Angebot von A lag. A rügte daraufhin u.a.:

(i) Der Preis für die Wartung sei übergewichtet. Nach den Zuschlagskriterien betrage das Verhältnis von Investitionspreis zu den Wartungskosten 4 : 1, nach den tatsächlich gebotenen Preisen liege das Verhältnis jedoch bei 40 : 1. Darin liege ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot.

(ii) Aufgrund der unterschiedlichen Bandbreiten, innerhalb derer vom Bestpreis abweichende Gebote bepunktet werden (50% bei den Investitionskosten, aber 100% bei den Wartungskosten), könne sich das tatsächliche Gewicht der Einzelpreise bei der Wertung so verschieben, dass dieses nicht mehr den bekanntgegebenen Maßgaben (70% und 15%) entspreche. Das verstoße gegen das Transparenzgebot.

Der Auftraggeber berief sich auf den ihm zustehenden Spielraum bei der Festlegung der Wertungskriterien. Die Gewichtung der Kriterien sei ex-ante auf Basis vorangegangener Ausschreibungen erfolgt. Die im Verhältnis hohe Gewichtung der Wartungskosten sei erfolgt, damit die Bieter schon bei der Konzeption auf geringe Wartungskosten achten. Die Bieter sollten angehalten werden, möglichst geringe Investitionspreise anzugeben. Die unterschiedlichen Spannweiten seien deshalb vorgegeben, weil der Investitionspreis absolut gesehen sehr hoch sei. Daher stellen Überschreitungen um 50% bereits in absoluten Zahlen gravierende Verteuerungen dar. Der Preis des Wartungsvertrags sei demgegenüber deutlich niedriger und rechtfertige aus der Erfahrung zu den Angebotsspannen vorheriger Ausschreibungen auch eine Spannbreite Bestpreis plus 100%.

Ein pikantes Detail bestand hier zusätzlich noch darin, dass der Auftraggeber die Bieter in der Verhandlungsphase zunächst ausdrücklich zur Abgabe finaler Angebote aufgefordert hatte. Nach Erhalt der Angebote hatte er jedoch allen Bietern die Möglichkeit gegeben, beschränkt auf den Wartungspreis ein neues Teilangebot abzugeben, weil er noch eine Anlage des Servicevertrags geändert hatte. Von dieser Möglichkeit machte indes kein Bieter Gebrauch. Gleichwohl rügte A die Wiedereröffnung der Verhandlungen, da dies hätte Manipulationen ermöglichen können.

Die Entscheidung

Der sich an Rüge anschließende Nachprüfungsantrag hatte keinen Erfolg. Die Zuschlagskriterien seien transparent und bewegen sich innerhalb des dem Auftraggeber zustehenden Gestaltungsspielraums, der von den Nachprüfungsbehörden nur begrenzt überprüft werden kann. Der Auftraggeber habe nachvollziehbare Argumente für die vergleichsweise hohe Gewichtung der Wartung vorgebracht: Ein niedriger Wartungspreis bedeute regelmäßig einen geringeren Wartungsaufwand und höhere Zuverlässigkeit des Systems bei geringen Ausfallzeiten. Außerdem sei eine Festlegung der Zuschlagskriterien nur ex ante möglich, so dass der Auftraggeber sich in zulässiger Weise auch auf Erfahrungen aus der Vergangenheit stützen konnte, die die hohe Gewichtung der Wartung hier mit rechtfertigten.

Schließlich befasste die Vergabekammer sich noch mit den unterschiedlichen Spannweiten der Wertungskriterien und der Umrechnung des Preises in Wertungspunkte. Die unterschiedlichen Spannweiten seien hier nachvollziehbar begründet. Da der Investitionspreis in absoluten Zahlen sehr hoch sei, setze die geringe Spannweite des Kriteriums einen Anreiz für Angebote mit möglichst niedrigen Investitionskosten. Zudem weise grds. jede Umrechnungsmethode Schwächen auf.  Die Grenze des Zulässigen sei aber erst dann überschritten, wenn sich die konkret gewählte Preisumrechnungsmethode im Einzelfall als nicht mit dem gesetzlichen Leitbild des Vergabewettbewerbs vereinbar erweise. Dass der Auftraggeber die Zuschlagskriterien nach seinem Beschaffungsbedarf ausrichte, gehöre jedoch zu diesem Leitbild. Da vorliegend alle angewandten Bewertungsschritte vorher bekannt gegeben worden waren, sei außerdem auch keine für die Bieter unvorhersehbare Verschiebung hinsichtlich nur teilweise bekannter Wertungsfaktoren zu befürchten gewesen.

Mit der Wiedereröffnung der Verhandlungen hatte die Vergabekammer keine Probleme. Diese sei vielmehr auch nach einer ursprünglich als final bezeichneten Verhandlungsrunde möglich, soweit dies transparent und allen Bietern gegenüber gleich geschehe und nicht in der Absicht, einen bestimmten Bieter zu bevorzugen. Im Übrigen habe sich dies hier aber auch gar nicht ausgewirkt, weil kein Bieter die Möglichkeit zur Abgabe eines neuen Teilangebotes für die Wartung genutzt habe.

Rechtliche Würdigung

Fragen rund um die Gestaltung der Zuschlagskriterien sind seit Langem ein beliebtes Thema in der Rechtsprechung. Die Entscheidung der Vergabekammer des Bundes greift zahlreiche dieser Aspekte auf. Dabei spricht die Vergabekammer dem Auftraggeber einen weiten Gestaltungsspielraum zu. Dies ist in Anbetracht des dem Auftraggeber zustehenden Leistungsbestimmungsrechts richtig. Als positiv ist außerdem hervorzuheben, dass die Vergabekammer ausdrücklich anerkennt, dass eine ideale Umrechnungsmethode nicht existiere und dass gewisse Schwächen die jeder Umrechnungsmethode innewohnen stets (zumindest in gewissem Rahmen) hinzunehmen seien. Insgesamt sind die Erwägungen der Vergabekammer des Bundes daher praktikabel und nachvollziehbar.

Ob eine Wiedereröffnung der Verhandlungen nach den finalen Angeboten tatsächlich stets so leicht zulässig ist, wie die Vergabekammer meint, kann man auch anders beurteilen. Hier kam es darauf aber richtigerweise nicht an. Im Anwendungsbereich der VgV (der vorliegende Fall spielte allerdings in der SektVO) würde dem aber beispielsweise § 17 Abs. 10 VgV entgegenstehen, der Verhandlungen über die endgültigen Angebote auch im Verhandlungsverfahren verbietet. Die SektVO enthält ähnliche Verbote ausdrücklich für Innovationspartnerschaften und wettbewerbliche Dialoge. Für Verhandlungsverfahren enthält die SektVO ein solches ausdrückliches Verbot nicht. Gleichwohl sollten Sektorenauftraggeber auch in Verhandlungsverfahren nicht zu sorglos die Verhandlungen nach den finalen Angeboten wiedereröffnen und außerdem einen gut dokumentierten wichtigen Grund für die Wiedereröffnung aufweisen.

Praxistipp

Die Entscheidung dürfte den Auftragnehmern etwaige bestehende Unsicherheiten bei der Festlegung der Zuschlagskriterien im Allgemeinen und bei der Wahl der Umrechnungsmethode im Speziellen nehmen. Gleichwohl ist den Auftraggebern grundsätzlich zu empfehlen, nicht allzu komplizierten Wertungsmatrizen zu erstellen.

Im vorliegenden Fall waren die Zuschlagskriterien nur vermeintlich wirtschaftlich unsinnig. Das Angebot des Bestbieters mag zwar bei rein mathematischer Betrachtung bezogen auf den Auftragszeitraum teurer gewesen sein. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass der Wartungsvertrag nur eine Laufzeit von 15 Jahren hat, sich die niedrigeren Wartungskosten aber auch darüber hinaus auswirken und weitere Vorteile mit sich bringen, die bei einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung durchaus dazu führen können, dass das Angebot des Bestbieters auf den Lebenszyklus des Gebäudes bezogen doch auch preislich das günstigste war. Gerade die Wartungskosten spielen natürlich auch über die konkrete Vertragslaufzeit hinaus eine wichtige wirtschaftliche Rolle. Diese Besonderheiten haben hier wahrscheinlich die Zuschlagskriterien des Auftraggebers gerettet.

Im Regelfall werden auf den Preis bezogene mathematisch unsinnige Formeln dagegen auch vergaberechtlich unzulässig sein. Das gilt vor allem dann, wenn sie rechnerisch dazu führen, dass beim Preiskriterium nicht das günstigste Angebot die Bestpunktzahl erhält. Die Auftraggeber sollten daher darauf achten, dass sie Kostenkriterien im Regelfall auch entsprechend ihrer wirtschaftlichen Bedeutung bewerten. Das heißt, wenn die Instandhaltungskosten bezogen auf den Nutzungszeitraum ca. 30% der Gesamtkosten ausmachen, sollten sie beim Kostenkriterium auch zu 30% angesetzt werden. Ansonsten laufen Auftraggeber Gefahr, gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot zu verstoßen oder jedenfalls zu teuer einzukaufen.

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Neues vom Vollst(r)ecker: Eine rein mündliche Präsentation ist vergaberechtlich unzulässig! (VK Südbayern, Beschl. v. 02.04.2019 – Z3-3-3194-1-43-11/18)

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Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungNicht zum ersten Mal hat sich der Vorsitzende der Vergabekammer Südbayern, Herr Steck, mit seinem Lieblingsthema befasst, nämlich der Wertung der Angebote in einem Vergabeverfahren (siehe ). Auch unser Autor, Rechtsanwalt Dr. Roderic Ortner, befasst sich schon seit vielen Jahren mit diesem Thema (siehe z.B. Die Wertungsentscheidung im IT Vergabeverfahren, ITRB. 4/2019) und hat sich deshalb dieser doch durchaus überraschenden Entscheidung angenommen.

GWB § 127; VgV § 58, § 53, § 54, § 9

Leitsatz

  1. Ein Angebot ist nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV nicht nur dann auszuschließen, wenn es gesetzliche Formvorgaben wie z.B. nach § 53 Abs. 1 i.V.m. § 10 VgV (bei elektronischer Übermittlung) oder nach § 53 Abs. 5 und 6 VgV i.V.m. § 126 BGB bei postalischer oder direkter Übermittlung missachtet, sondern auch, wenn es vom Auftraggeber zulässigerweise aufgestellte, über die Formkategorien des BGB hinausgehende Formvorgaben missachtet. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn das Niveau der Datenintegrität und Manipulationssicherheit im betreffenden Angebot hinter dem vom Auftraggeber geforderten Niveau zurückbleibt.
  2. Für sämtliche Bestandteile des Angebots im vergaberechtlichen Sinn gelten die §§ 53, 54 und 55 VgV uneingeschränkt. Zur Vermeidung von vorzeitiger Kenntnisnahme und Manipulation ist hinsichtlich der Einhaltung der Formvorschriften keine Differenzierung zwischen den Bestandteilen des rein zivilrechtlichen Angebots (hier Honorarangebot und Vertrag) und den Angaben des Bieters zur Bewertung nichtpreislicher Zuschlagskriterien vorzunehmen.
  3. Das Mitbringen von wertungsrelevanten Angebotsbestandteilen zu Verhandlungsterminen, wobei die Bieter ihre Vorlagen zu unterschiedlichen Zeitpunkten mitbringen, kann weder nach § 53 Abs. 1 noch Abs. 5 VgV eine formgerechte Angebotsabgabe darstellen.
  4. Die Wertung rein mündlich vorgetragener Angebotsbestandteile ohne Grundlage in Textform ist schon aufgrund von § 9 Abs. 2 VgV unzulässig.
  5. § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB ist aufgrund des maßgeblichen Wortlauts des Art. 67 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU richtlinienkonform so zu lesen, dass dem öffentlichen Auftraggeber durch Zuschlagskriterien keine uneingeschränkte Wahlfreiheit übertragen werden darf.
  6. Ein Verbot der Berücksichtigung derselben Umstände bei der Eignungsprüfung und der Wertung von Zuschlagskriterien nach § 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV besteht außerhalb der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 46 Abs. 3 Nr. 6 VgV zu Studien- und Ausbildungsnachweisen und Bescheinigungen über die Erlaubnis zur Berufsausübung nicht.
  7. Bei der Vergabe von Planungsleistungen ist eine Losaufteilung nach Leistungsphasen innerhalb eines Leistungsbildes der HOAI nicht ausgeschlossen. Die Möglichkeit einer Aufteilung gerade in die kreativen Leistungsphasen 1 bis 4 (oder 5) und die unkreativen, eher administrativen Leistungsphasen 5 (oder 6) bis 9, ist regelmäßig zu prüfen und diese Prüfung zu dokumentieren.

Sachverhalt

Auftragsgegenstand waren Ingenieurleistungen. Der geneigte Leser mag diese aber durch andere Dienstleistungen ersetzen, bei denen das eigesetzte Team eine wesentliche Rolle für die Qualität der Leistung spielt, z.B. im Bereich der IT-Beratung oder aber auch bei uns Rechtsanwälten. Bei der Entscheidung ging es um mehrere vergaberechtlich umstrittene und spannende Themen, z.B., ob eine doppelte Berücksichtigung von Referenzen auf Eignungs- und Zuschlagsebene (beim Personal) zulässig sei (was die Vergabekammer bejahte); ich möchte und muss mich hier indes auf das Thema fokussieren, das die Vergabekammer, soweit ersichtlich, als einzige erstmals so deutlich entschieden hat: Sie ist der Auffassung, dass eine rein mündliche Präsentation vergaberechtswidrig ist.

Gestört hatte sich die Vergabekammer an folgenden Zuschlagskriterien:

1. Personelle Besetzung (Gewichtung insgesamt 35%)

– Projektleiter

Persönliche Vorstellung des Projektleiters mit Darlegung des persönlichen Erfahrungshintergrundes (u. a. Referenzprojekte) bzw. der persönlichen Kenntnisse sowie der Einbindung in andere Projekte (zeitliche Verfügbarkeit). (10%)

– Stellvertretender Projektleiter

() (10%)

– Projektbearbeiter (Mitarbeiter für die einzelnen Teilaufgaben)

Vorstellung der vorgesehenen Projektmitarbeiter mit Darstellung der zeitlichen Verfügbarkeit bzw. Einbindung in andere Projekte. Darstellung der vorgesehenen Aufgabenverteilung innerhalb des Projektteams (5%)

– Darstellung der kurzfristigen Verfügbarkeit vor Ort in Planungs- und Ausführungsphase (10%)

2. Fachtechnische Lösungsansätze (Gewichtung insgesamt 25%)

Darstellung der Herangehensweise an komplexe fachtechnische Aufgabenstellungen anhand von praktischen Beispielen. Die Darstellung soll in Bezug auf den zu vergebenen Auftrag anhand eines realisierten Bauprojekts, das mit dem geplanten Vorhaben vergleichbar ist, erfolgen und kann durch Zeichnungen, Skizzen, Diagramme, Tabellen u. ä., die die Arbeitsweise verdeutlichen, ergänzend verdeutlicht werden ().

3. Strukturelle Herangehensweise (Gewichtung insgesamt 15%)

Analyse der Projektaufgabe mit Darstellung der zu erwartenden Schwierigkeiten sowie spezifischen Lösungsvorschlägen(15 %)

4. Präsentation (Gewichtung insgesamt 5%)

Formelle Präsentation / Gesamteindruck (5%)

Die Kriterien wurden durch ein Vergabegremium jeweils mit Punkten zwischen 0 (das Kriterium wurde ungenügend erfüllt) und 5 (das Kriterium wurde sehr gut erfüllt) bewertet, so dass eine maximale Punktzahl von 500 Punkten erreicht werden konnte.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer bejaht zunächst die Antragsbefugnis des angreifenden Bieters, obwohl dieser sein endgültiges Angebot verspätet eingereicht hatte! Begründung der Vergabekammer: Die Antragstellerin würde eine zweite Chance zur erneuten Angebotsabgabe erhalten, wenn auch das Angebot der Beigeladenen zwingend auszuschließen wäre, da nur zwei Angebote in der Wertung waren. Sollten Sie also als Bieter einmal ein Angebot verspätet eingereicht haben, dann denken Sie daran, dass vielleicht noch nicht alles verloren ist.

Die Vergabekammer stellt sodann zu dem hier näher behandelten Thema zunächst fest, dass die o.g. Zuschlagskriterien teilweise nur auf der Basis ihrer mündlichen Angaben im Präsentationstermin bewertet wurden. Dies verstoße gegen die Formvorgaben an Angebote in §§ 53, 54 und 55 VgV sowie gegen § 9 Abs. 2 VgV, der die mündliche Kommunikation in einem Vergabeverfahren über Angebote verbiete. Weiterhin verstoße das Vorgehen gegen § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB, der vorschreibt, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen.

Denn:

„Die Angebotswertung aufgrund einer ausschließlich mündlich vorgetragenen Präsentation ohne Basis in Textform ist dabei als unzulässige mündliche Kommunikation über das Angebot anzusehen. Daher muss nach heute geltender Rechtslage der Auftraggeber auch in einem Verhandlungsverfahren, in dem die Wertung der Angebote auch aufgrund eines Verhandlungsgesprächs mit Präsentation stattfindet, stets sicherstellen, dass die maßgeblichen Inhalte von den Bietern bereits zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe formgerecht (d.h. mindestens in Textform) eingereicht werden. Anders als möglicherweise unter der vor 2016 geltenden Rechtslage ist eine Angebotswertung, die sich ausschließlich auf mündliche Aussagen stützt, unzulässig.“

Die Vergabekammer schreibt dann recht deutlich, was sie von den Zuschlagskriterien hält: „Sie [die Auftraggeberin, Anm. Verf.] kann den Gesamteindruck der Präsentation allein anhand ihrer persönlichen Vorlieben und Sympathien/Antipathien bewerten, ohne dass für die Bieter in irgendeiner Art und Weise ansatzweise ersichtlich ist, worauf sie bei der Angebotserstellung zu achten haben.“

Rechtliche Würdigung

Zunächst einmal ist zu konstatieren, dass die Vergabekammer hier auf einen Extremfall traf, da praktisch die gesamte qualitative Wertung allein auf Grundlage der Präsentation erfolgte. In der Regel werden heutzutage oft Qualifikationsprofile des einzusetzenden Personals mit dem Angebot verlangt, die dann bewertet werden. Hinzu kommt dann eventuell noch ein Personaleinsatzkonzept o.ä. Die Vergabekammer schreibt auch mehrfach, dass sie beanstandet, dass die Wertung ausschließlich auf Grundlage einer Präsentation erfolge.

Dass eine Präsentation, die in die Wertung einfließen soll, grundsätzlich unzulässig sein soll, kann ich in dieser Grundsätzlichkeit aber nicht aus der Entscheidung ablesen. So schreibt die Vergabekammer, dass die Angebotswertung aufgrund einer ausschließlich mündlich vorgetragenen Präsentation ohne Basis in Textform eine unzulässige mündliche Kommunikation über das Angebot darstellt und dass das Kriterium Präsentation, das lediglich mit den Worten Formelle Präsentation / Gesamteindruck konkretisiert sei, gegen § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB verstoße und daher unzulässig sei. Im Umkehrschluss könnte man daraus folgern, dass eine Präsentation zunächst zulässig sein könnte, wenn sie eine Basis in Textform hat und wenn die Unterkriterien ausreichend konkretisiert werden.

Nun stellt sich freilich die Frage, wie dies in der Praxis vonstatten gehen soll. Aus meiner Sicht wohl nur, indem der Auftraggeber zunächst mit dem Angebot Qualifikationsprofile und ein Konzept einfordert und diese auf Grundlage der von ihm bekannt gemachten Unterkriterien und Erwartungshaltung nach bewertet, wobei ein Schulnotensystem bei der Bewertung des Konzepts zulässig ist. Eine Wertung findet daher allein nach dem Schriftbild statt. In der Präsentation können dann weitere Kriterien geprüft werden, etwa, ob das vorgesehene Team das Konzept nachvollziehbar und schlüssig vorträgt und auf Rückfragen qualifiziert und nachvollziehbar reagiert. Ähnlich wie bei einer mündlichen Prüfung kann der Auftraggeber dadurch verifizieren, dass das, was ihm schriftlich angeboten wird, auch tatsächlich dem Know-how des Teams entspricht und nicht lediglich aus einer Schublade gezogen wurde.

Aber wollen Sie darauf wetten, dass eine solcherart gestaltete Präsentation von der für Sie zuständigen Vergabekammer als zulässig erachtet wird? Es kommt dann sehr auf die Kriterien an, die bei der Präsentation geprüft werden. Ich selbst habe schon Ausschreibungen erlebt, bei denen die Präsentation mit 30 % in die Wertung einfließen sollte und als Wertungskriterium die Eloquenz (kein Witz) des einzusetzenden Rechtsanwalts bewertet werden sollte. Es ging um vergaberechtliche Beratung wohlgemerkt (die Ausschreibung wurde übrigens aufgehoben; zwei Mal!). Hand aufs Herz: Das eigentliche und auch durchaus menschliche und nachvollziehbare Ansinnen einer Präsentation ist doch, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Auftraggebers wissen möchten, mit wem sie ein Jahr oder länger zusammenarbeiten müssen, ob also die Chemie stimmt. Nur: Chemie hat im öffentlichen Auftragswesen und Haushaltsrecht keinen Platz! Und was, wenn eines der angebotenen Teammitglieder an dem oft auch nur kurz vorher festgelegten Präsentationstermin im Urlaub ist, eigentlich heiraten wollte oder schlichtweg krank ist oder einen schlechten Tag erwischt hat und deshalb nicht gut rüberkommt?

Im Ergebnis neige ich daher der Auffassung der Vergabekammer auch zu. Ergänzend zu den Rechtsausführungen der Vergabekammer mag auch nochmal ins Gedächtnis gerufen werden, was der Sinn und Zweck eines Verhandlungsverfahrens ist. § 17 Abs. 10 VgV sagt, dass der öffentliche Auftraggeber mit den Bietern über die von ihnen eingereichten Angebote verhandelt, „mit dem Ziel, die Angebote inhaltlich zu verbessern“.  Von einer Präsentation ist hier keine Rede. Übertragen auf unser Thema heißt das zum Beispiel: Der Auftraggeber darf den Bietern in der Verhandlung, die auch eine Präsentation des Angebots beinhaltet darf, Hinweise geben, wo der Bieter sein Angebot noch verbessern könnte, z.B. durch Verbesserung des eingereichten Konzepts. Eine eigene Bewertung dieses Termins erfolgt nicht, wohl kann aber der Termin seinen Niederschlag in dem endgültigen Angebot finden und dadurch mittelbar in die Wertung einfließen.

Praxistipp

Ob andere Vergabekammern und letztlich Vergabesenate und vielleicht auch einmal der BGH oder der EuGH der Auffassung der Vergabekammer folgen, ist völlig offen. Wenn Sie als Auftraggeber jedes Risiko einer Rüge ausschließen wollen, sollten Sie auf die Festlegung und Wertung des Zuschlagskriteriums Präsentation verzichten, alle Male Auftraggeber, die sich im Zuständigkeitsbereich des Vollst(r)eckers befinden.

The post Neues vom Vollst(r)ecker: Eine rein mündliche Präsentation ist vergaberechtlich unzulässig! (VK Südbayern, Beschl. v. 02.04.2019 – Z3-3-3194-1-43-11/18) appeared first on Vergabeblog.

Vergebene Zuwendung? – Oder: Wer die Wahl hat, hat die Qual!

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Liefer- & DienstleistungenRecht

Geld ausgeben ist nicht immer einfach, erst recht als Angehöriger der öffentlichen Hand. Um fremdes Geld unter die Leute zu bringen, gibt es dort verschiedene Möglichkeiten. Das hört sich locker an, ist es aber nicht. Zum Beispiel kann ein bestimmter Zweck gefördert oder eine konkrete Leistung eingekauft werden. In beiden Fällen kommen unterschiedliche Regularien zur Anwendung.

Während sich die Zweckförderung ausschließlich im Haushaltsrecht von Bund und Ländern findet und nicht an bestimmte (Schwellen-)Werte gebunden ist, regelt das im Wettbewerbsrecht verankerte EU-Vergaberecht die Form der öffentlichen Auftragsvergabe ab Erreichen der EU-Schwellenwerte. Das Vergaberecht gilt dabei für den Erwerb von Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen, die im Wege eines öffentlichen Auftrags beauftragt werden. Andere Ausgabenformen sind vom europäischen Vergaberecht nicht erfasst. Insbesondere nicht die bloße Finanzierung von Tätigkeiten, „die häufig mit der Verpflichtung verbunden ist, erhaltene Beträge bei nicht bestimmungsgemäßer Verwendung erstatten zu müssen“ (Erwägungsgrund 4 Abs. 2 zur Richtlinie 2014/24). Damit sind die nach deutschem Haushaltsrecht beschriebenen Zuwendungen angesprochen. Unterhalb der EU-Schwellenwerte verlangt das ebenfalls im Haushaltsrecht geregelte „Haushaltsvergaberecht“ vor dem Abschluss von Verträgen – bei denen es nach überwiegender Auffassung um Leistungsaustausche gehen muss – die Durchführung einer öffentlichen oder beschränkten Ausschreibung.

Die beiden Alternativen „Zweckförderung“ oder „Auftragsvergabe“ stehen gleichberechtigt nebeneinander. Es gibt keinen (Anwendungs-)Vorrang. Weder das Haushaltsrecht noch das Vergaberecht bestimmen einen Anwendungszwang einer Alternative. Auch die Tatsache, dass das europäische Vergaberecht seine Grundlage in den europäischen Vergaberichtlinien hat, begründet nicht dessen Anwendungsvorrang vor der Gewährung einer Zuwendung. Ganz das Gegenteil ist der Fall: Die EU-Vergaberichtlinien gehen wie selbstverständlich von der Möglichkeit verschiedener Ausgabenformen der öffentlichen Hand aus (s. Erwägungsgrund Nr. 4 Richtlinie 2014/24).

Maßgeblich für die Wahl der jeweiligen Alternative ist der jeweils verfolgte Zweck. Soll es auf die Zweckförderung ankommen und es kommt dem Mittelgeber nicht auf einen einklagbaren Anspruch auf Leistungserbringung an, darf das Instrument „Zuwendung“ Anwendung finden. Natürlich setzt dies voraus, dass die Bestimmungen der §§ 23, 44 der einschlägigen Haushaltsordnungen erfüllt sind. Das hat aber nichts mit einem ohnehin nicht existierenden Anwendungsvorrang zu tun. Soll es hingegen auf einen einklagbaren Leistungsanspruch ankommen, ist die Vergabe eines öffentlichen Auftrags das Mittel der Wahl. Dabei regelt das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen das durchzuführende Verfahren.

Bewegt sich die öffentliche Hand in den von Haushaltsrecht und Vergaberecht bestimmten Rahmen, darf sie sich für die ihr am zweckmäßigsten erscheinende Alternative entscheiden. Ob es zu einem öffentlichen Auftrag oder zu einer Zuwendung kommen soll, entscheidet der Haushaltsträger allein. Erst wenn eine Entscheidung zugunsten der Erteilung eines öffentlichen Auftrags getroffen ist, ist der Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnet (s. OLG Düsseldorf, Beschl. V. 11.07.2018 – VII-Verg 1/18 m.w.N.; s. auch Schneider, Vergabeblog.de vom 10/09/2018, Nr. 38398).

Handelt es sich bei dem Haushaltsträger um eine Kommune, ist nochmals zu differenzieren. Die für Bund und Länder geltenden Haushaltsordnungen finden hier nämlich keine Anwendung. Vielmehr gewährt Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG den Kommunen die sog. „Finanzhoheit“. Sie dürfen u.a. über ihre Ausgaben selbst bestimmen. Hier bleibt im Rahmen dieser „Selbstverwaltungsgarantie“ Raum für Kommunen, unterschiedlichen Einrichtungen Finanzmittel in Form von Förderungen zukommen zu lassen.

Zu beachten ist, dass die kommunalen Haushaltsvorgaben in den Gemeindeordnungen (GOen) und Gemeindehaushaltsverordnungen (GemHVOen) keine den §§ 23, 44 BHO/LHOen entsprechende Vorgaben kennen. Folglich haben die Kommunen einen weiteren Spielraum als etwa Haushaltsträger von Bund und Ländern, Fördermittel zu gewähren. So kommt es zum Beispielsweise auf die Unterscheidung von freiwilligen und Pflichtaufgaben nicht an. Innerhalb der Grenzen der Finanzhoheit, können kommunale Haushaltsträger Ausgaben in ihren Haushalten veranschlagen, um bestimmte Zwecke zu fördern und so Fördermittel weiterzureichen.

Im Zusammenhang mit der Aufgabenzuweisung durch Landesgesetz ist allerdings das Konnexitätsprinzip zu beachten. Dieses besagt, dass im Falle der Zuweisung von Aufgaben auch deren Finanzierung geregelt werden muss. Hier können u.U. haushaltstechnische Verpflichtungen mit verbunden werden, die der Kommune eine Ausreichung als Fördermittel untersagen oder zumindest Bedingungen auferlegen.

Fazit
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass es einen wie auch immer gearteten Vorrang des Vergaberechts oder umgekehrt des Zuwendungsrechts nicht gibt. Beide Bereiche stehen gleichrangig nebeneinander. Ist ein kommunaler Haushaltsträger betroffen, ist weiter zu differenzieren. Denn das kommunale Haushaltsrecht kennt regelmäßig den §§ 23, 44 BHO/LHOen entsprechende Vorgaben nicht. Hier trägt die verfassungsmäßige Garantie der kommunalen Finanzhoheit nach Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG.

Anmerkung der Redaktion

Gemeinsam mit Frau Dr. Irene Lausen (Ministerialrätin, Referatsleiterin Vergabewesen, Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen) wird der Autor, Hans Peter Müller, im Rahmen der DVNW Akademie am 28.10.2019 und 10.12.2019 u.a. die Abgrenzung des Vergaberechts vom Zuwendungsrecht in dem Seminar „Die unendliche Geschichte – Zuwendungen und Vergaberecht“ behandeln. Weitere Informationen sowie eine Anmeldemöglichkeit finden Sie hier.

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Wann ist ein Lieferant ein Nachunternehmer? (VK Südbayern, Beschl. v. 05.06.2019 – Z3-3-3194-1-06-02/19)

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BauleistungenRecht

EntscheidungEin Unternehmen, das für einen Bieter komplexe, nach der Leistungsbeschreibung individuell zu fertigende Bauteile liefert, ist kein Lieferant, sondern ein Nachunternehmer. Die fehlende Angabe im Nachunternehmerverzeichnis führt zum Ausschluss des Angebots, eine nachträgliche Benennung des Nachunternehmers ist nicht möglich.

§§ 6d, 8, 16d EU VOB/A 2016, Art. 71 Richtlinie 2014/24/EU

Sachverhalt

Gegenstand der Entscheidung ist die EU-weite Vergabe von OP-Wandsystemen im Rahmen einer Baumaßnahme einer Klinik. Mit der Angebotsabgabe wurden u.a. die Eigenerklärung, die Nachunternehmererklärung und das Verzeichnis der Leistungen/Kapazitäten anderer Unternehmen gefordert. Aus Ziff. 2.1 der Nachunternehmererklärung geht hervor:

„Ich/wir werde(n) daher die Leistungen auf die mein/unser Betrieb eingerichtet ist, weitgehend (gleichbedeutend mit mindestens 70 v.H.) im eigenen Betrieb ausführen.“

Es wurden zwei Angebote abgeben. Das zweitplatzierte Unternehmen rügte neben weiteren Vergabeverstößen, dass der erstplatzierten Bieterin insbesondere die Eignung fehle, da sie nicht selbst leistungsfähig und aufgrund der Beschränkung in Ziff. 2.1 der Vergabeunterlagen ein Nachunternehmereinsatz von mehr als 30 % der Gesamtleistung unzulässig sei und macht dies auch zum Gegenstand des Nachprüfungsantrags.

Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens trug die Vergabestelle vor, dass kein Verstoß gegen das in der Nachunternehmererklärung enthaltene Gebot vorläge, da die Erstplatzierte in ihrem Angebot nur einen Unterauftragnehmer benannt habe, der lediglich ca. 13 % der Gesamtleistung ausführen soll, nämlich die Montage der OP-Wand- und Türsysteme.

Auf den rechtlichen Hinweis der VK Südbayern, dass aufgrund der Leistungsbeschreibung auch der Lieferant der OP-Wände als Nachunternehmer angesehen werden könnte, führte die erstplatzierte Bieterin aus, dass dieser nur Lieferant sei. Als Kooperationspartner mit ausgelagerter Fertigungsstätte fungiere er nur für die Herstellung der OP-Wände unter ihrer Anleitung und sei daher kein Nachunternehmer, der im Nachunternehmerverzeichnis aufgeführt werden müsse.

Die Entscheidung

Dies sah die VK Südbayern anders. Sie entschied, dass das Angebot der Erstplatzierten aufgrund der nicht erfolgten Angabe des  Lieferanten der OP-Wände als Nachunternehmer auszuschließen ist.

Die Fertigung der OP-Wände sei als Werkvertrag zu qualifizieren, da der Schwerpunkt der Leistung auf der individuellen Planung, Herstellung und Montage der OP-Wände liege. Der zur Fertigung eingeschaltete Kooperationspartner sei somit nicht (nur) Lieferant, sondern Nachunternehmer, da es sich nicht um eine Lieferung „von der Stange“ handele.

Die fehlende Angabe als Nachunternehmers im Angebot könne nicht nachgeholt bzw. nachgefordert werden, da dies eine unzulässige Änderung des Angebots wäre. Einem Bieter, der ohne eine unzulässige Änderung seines Angebotsinhalts nicht leistungsfähig ist, kann gem. § 16b EU Abs. 1 Satz 2 VOB/A der Zuschlag nicht erteilt werden.

Die Vergabekammer ließ darüber hinaus offen, ob das Angebot auch wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen auszuschließen gewesen wäre, da die Erstplatzierte aufgrund des zusätzlichen Nachunternehmereinsatzes im Bereich Fertigung weit mehr als 30 % der Leistung nicht im eigenen Betrieb ausführen lassen wollte.

Klargestellt hat die Vergabekammer jedoch in dem Zusammenhang, dass die Vorgabe einer Eigenausführungsquote (vorliegend 70%) bei EU-weiten Ausschreibungen nicht zulässig ist bzw. nach § 6d EU Abs. 4 VOB/A nur für kritische Teile des Auftrags vorgegeben werden kann.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung der VK Südbayern beschäftigt sich eingehend mit der Frage, wann ein Unternehmen als Nachunternehmer einzuordnen ist und welche vergaberechtlichen Folgen ein (irrtümlich) nicht im Angebot aufgeführter, aber zur Ausführung zwingend erforderlicher Nachunternehmereinsatz hat.

Wann ein Unternehmer als Nachunternehmer einzuordnen ist, ist weder im europäischen noch im nationalen Vergaberecht legal definiert. Nach ständiger Rechtsprechung (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.06.2014, Verg 38/13) handelt es sich um einen Nachunternehmer bzw.  Unterauftragnehmer, wenn ein Unternehmen

– bestimmte Teile des Auftrags,

– einen Teil der in der Leistungsbeschreibung oder

– im Leistungsverzeichnis festgelegte Leistungen

selbstständig ausführt, auch wenn dieses allein vom Auftragnehmer beauftragt wird und in keinem Auftragsverhältnis zum Auftraggeber steht.

Nicht vom Nachunternehmerbegriff und damit von der Benennungspflicht umfasst sind gem. Art. 71 Abs. 5 Richtlinie 2014/24/EU Lieferaufträge. Wann eine Leistung als Lieferauftrag zu qualifizieren ist, ist im Einzelfall anhand der konkret ausgeschriebenen Leistung zu bestimmen. Allgemein lässt sich festhalten, dass die Einordnung als Lieferauftrag immer dann ausscheidet, wenn der vom Bieter eingesetzte Dritte wie vorliegend in Form der individuellen Anfertigung schwerpunktmäßig eine Werkvertragsleistung schuldet. In diesem Fall liegt ein Nachunternehmereinsatz vor, der zwingend im Angebot angegeben werden muss.

Praxistipp

Die Abgrenzung von Nachunternehmer- zum bloßen Lieferauftrag ist höchst praxisrelevant, da wie die aktuelle Entscheidung der VK Südbayern zeigt, die fehlerhafte Einordnung und die Nichtangabe eines Nachunternehmers zum zwingenden Angebotsausschluss führt.

Bei Lieferleistungen muss deswegen immer anhand der Leistungsbeschreibung im Einzelfall geprüft werden, ob es sich um einen reinen Standard oder eine individuelle Anpassung des zu liefernden Bauteils bzw. des Systems handelt und damit der Lieferant als Nachunternehmer zwingend im Angebot anzugeben ist.

Im Zweifel sollten Bieter und Bewerber vorsorglich etwaige Nachunternehmer im Angebot aufführen und von der Nachunternehmerstellung ausgehen bzw. dies mit einer Bieterfrage klären.

Kontribution

Der Beitrag wurde gemeinsam mit Frau Rechtsanwältin Dr. Jana Dahlendorf verfasst.

Dr. Jana Dahlendorf

Über Dr. Jana Dahlendorf

Dr. Jana Dahlendorf ist Rechtsanwältin bei der Kanzlei SammlerUsinger Rechtsanwälte Partnerschaft mbB in Berlin. Sie berät öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren ebenso wie Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt sie ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen.

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Fallstrick Unternehmenskauf? – Beabsichtigte Unternehmensverschmelzung steht Aufforderung zur Angebotsabgabe nicht entgegen (EuGH, Urt. v. 11.7.2019 – Rs. C-697/17 – OpEn Fiber)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

Entscheidung-EUIn seinem aktuellen Urteil vom 11. Juli 2019 befasst sich der EuGH mit den Folgen einer während eines laufenden Vergabeverfahrens eingeleiteten Unternehmensverschmelzung. Sowohl das übernehmende Unternehmen als auch das zur Übertragung vorgesehene Unternehmen hatten sich am Vergabeverfahren beteiligt. Das zur Übertragung vorgesehene Unternehmen hatte trotz erfolgreicher Bewältigung des Teilnahmewettbewerbs von einer Angebotsabgabe abgesehen. Vor diesem Hintergrund stand neben einem Verstoß gegen den Grundsatz der Bieteridentität auch das Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Abrede im Raum.

Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Richtlinie 2014/24/EU

Leitsätze (nicht amtlich)

  1. Es steht Art. 28 Abs. 2 Abs. 1 Richtlinie 2014/24/EU und dem Grundsatz der Bieteridentität nicht entgegen, wenn ein Unternehmen vor Angebotsabgabe im nicht offenen Verfahren eine Verschmelzungsvereinbarung als aufnehmendes Unternehmen mit einem anderem im Teilnahmewettbewerb berücksichtigten Unternehmen als übertragendes Unternehmen abschließt.
  2. Ein Ausschluss des aufnehmenden Unternehmens wegen der Herbeiführung einer Wettbewerbsbeschränkung kommt nicht in Betracht, wenn zwischen den beiden an der Verschmelzung beteiligten Unternehmen keine wettbewerbsbeschränkende Abrede nachweisbar ist. Bei Genehmigung des Zusammenschlusses durch die Kommission nach der Fusionskontrollverordnung 139/2004 kann davon ausgegangen werden, dass es keinen unzulässigen Informationsaustausch zwischen den Unternehmen gegeben hat.

Sachverhalt

Die Entscheidung des EuGH geht auf einen Vorlagebeschluss des italienischen Consiglio di Stato zurück. Das Ausgangsverfahren betraf ein nicht offenes Verfahren des italienischen Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung zur Vergabe öffentlicher Aufträge für den Bau, die Unterhaltung und den Betrieb eines passiven öffentlichen Ultrabreitbandnetzes. Den Teilnahmewettbewerb hatten u.a. die Telecom Italia, die Metroweb Sviluppo sowie die OpEn Fiber erfolgreich durchlaufen. In der Angebotsphase hatte die Metroweb Sviluppo aber kein Angebot abgegeben. Nach Abschluss der Angebotswertung stand die OpEn Fiber jeweils an erster Stelle und die Telekom Italia an zweiter bzw. dritter Stelle. Durch eine Akteneinsicht erfuhr die Telekom Italia, dass die Holdinggesellschaften der OpEn Fiber und der Metroweb Sviluppo im Zeitraum zwischen dem Abschluss des Teilnahmewettbewerbs und der Abgabe der Angebote eine Vereinbarung abgeschlossen hatten, die eine Verschmelzung durch Aufnahme von Metroweb Sviluppo durch OpEn Fiber vorsah. Die Verschmelzung war von der EU-Kommission genehmigt worden.

Telecom Italia ließ daraufhin die Vergabeentscheidung gerichtlich überprüfen. Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen wollte das italienische Gericht vom EuGH wissen, ob das Erfordernis der Bieteridentität der Berücksichtigung des Angebots von OpEn Fiber entgegensteht. Das vorlegende Gericht wies dabei darauf hin, dass die Verschmelzung erst nach Abgabe des Angebots wirksam geworden sei und eine wettbewerbswidrige Absprache zwischen den beteiligten Unternehmen nicht nachweisbar sei. Das später übertragende Unternehmen habe aber wahrscheinlich in Umsetzung der Verschmelzungsvereinbarung zwischen den Holdinggesellschaften von der Angebotsabgabe abgesehen.

Die Entscheidung

Der EuGH stellt fest, dass nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Richtlinie 2014/24/EU im nicht offenen Verfahren grundsätzlich nur diejenigen Bieter zur Aufforderung eines Angebots aufgefordert werden dürfen, die vom Auftraggeber nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs hierzu aufgefordert worden seien. Dies entspreche den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Transparenz. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Richtlinie 2014/24/EU erfordere eine rechtliche und wirtschaftliche Identität zwischen den im Teilnahmewettbewerb berücksichtigen Wirtschaftsteilnehmern und den Wirtschaftsteilnehmern, die Angebote abgeben.

Dies gelte jedoch nicht ausnahmslos. Denn der EuGH habe bereits in der Rechtssache MT Hojgaard und Züblin entschieden, dass in einem Verhandlungsverfahren bei Auflösung einer aus zwei Mitgliedern bestehenden Bietergemeinschaft nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs einer der Bieter an deren Stelle treten und das Verfahren fortsetzen könne, sofern erwiesen ist, dass er die vom öffentlichen Auftraggeber festgelegten Anforderungen allein erfüllt und seine weitere Teilnahme an dem Verfahren nicht zur einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führt (EuGH, Urteil vom 24.5.2016 Rs. C-396/14, dazu Schröder, Vergabeblog Nr. 26256 v. 19.6.2016). In der Rechtssache MT Hojgaard und Züblin sei es zu einer Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Identität des Bieters gekommen, da zum einen nur eines der beiden Mitglieder der Bietergemeinschaft das Verfahren fortgesetzt hatte und sich zum anderen die Leistungsfähigkeit des ursprünglichen Bewerbers durch den Verlust des anderen Mitglieds der Bietergemeinschaft verringert hatte.

Diese Überlegungen überträgt der EuGH auf den ihm zur Vorabentscheidung vorgelegten  Fall. Der EuGH stellt fest, dass das Erfordernis der rechtlichen Identität in Bezug auf die OpEn Fiber eingehalten sei. Das Erfordernis der tatsächlichen Identität sei hingegen nicht erfüllt. Zwar seien die Wirkungen der Verschmelzung erst nach Abgabe der Angebote eingetreten, jedoch sei vor Ablauf der Angebotsfrist bereits die verbindliche Verschmelzungsvereinbarung zwischen den Holdinggesellschaften abgeschlossen worden. OpEn Fiber habe daher für ihre künftige Tätigkeit mit der Leistungsfähigkeit der Metroweb Sviluppo rechnen dürfen.

Es sei daher zu prüfen, ob trotz Fehlens der tatsächlichem Identität nach Maßgabe der in der Entscheidung MT Hojgaard und Züblin entwickelten Kriterien kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vorliege. Hierzu stellt der EuGH fest, dass sich die Leistungsfähigkeit von OpEn Fiber durch die Aufnahme des anderen Unternehmens im Zuge der Verschmelzung nicht verschlechtert, sondern sogar erhöht habe. Das Kriterium, dass der zum Verfahren zugelassene Bieter die vom öffentlichen Auftraggeber festgelegten Anforderungen zum Schlusstermin für die Angebotsabgabe erfüllt, sei daher denknotwendig erfüllt. Hinsichtlich der Kriteriums, das die weitere Teilnahme an dem Verfahren nicht zur einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führen dürfe, verweist der EuGH auf die europäische Fusionskontrollverordnung 139/2004. Diese diene dem Zweck, Wettbewerbsverzerrungen durch Verschmelzungen zu verhindern. Wenn die speziellen Vorschriften der Fusionskontrollverordnung 139/2004 mangels Einwänden der Kommission eingehalten seien, könne nicht angenommen werden, dass die Beteiligung eines Unternehmens an der Verschmelzung allein deshalb zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führen könne, weil die durch die Verschmelzung entstehende Einheit wirtschaftlich und technisch leistungsfähiger sein wird.

Sodann befasst sich der EuGH mit der Frage des Bestehens einer wettbewerbswidrigen Abrede. Der EuGH stellt fest, dass eine Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation auch dadurch entstehen könne, dass die an der Verschmelzung Beteiligten vor der Durchführung der Verschmelzung sensible Informationen über das Vergabeverfahren austauschen und sich damit ungerechtfertigte Vorteile gegenüber andere Unternehmen verschaffen. Anhaltspunkte für ein solches kollusives Verhalten lagen nach Auffassung des EuGH aber nicht vor.

Rechtliche Würdigung

Der EuGH nutzt die Gelegenheit zur Fortentwicklung seiner in der Entscheidung MT Hojgaard und Züblin entwickelten Grundsätze zur Beurteilung der rechtlichen und tatsächlichen Bieteridentität. Der Befund, dass die Erhöhung der Leistungsfähigkeit eines Bieters infolge der (bevorstehenden) Aufnahme eines anderen Verfahrensteilnehmers für sich genommen einer Angebotsabgabe nicht entgegensteht, leuchtet unmittelbar ein. Allerdings liegt ebenso auf der Hand, dass sich bereits durch den Abschluss einer Verschmelzungsvereinbarung die Wettbewerbssituation zwischen den an der bevorstehenden Verschmelzung beteiligten Unternehmen ändert. Zwar können sich auch verbundene Unternehmen an einem Vergabeverfahren beteiligen. Jedoch müssen die Angebote eigenständig und voneinander unabhängig sein (EuGH, Urteil v. 17.5.2018 C-531/17, Specializuotas transportas Rn. 34; hierzu auch Schröder, Vergabeblog Nr. 37320 v. 2.7.2018). Für die Aktivitäten der an der Verschmelzung beteiligten Unternehmen in der Schwebezeit bis zum Vollzug der Verschmelzung gilt Ähnliches. Der Austausch sensibler Informationen oder andere kollusive Verhaltensweisen, die zu einer Wettbewerbsverzerrung führen, müssen unterbleiben. Der Umstand, dass ein zur Verschmelzung vorgesehenes Unternehmen von einer Angebotsabgabe absieht, rechtfertigt für sich genommen jedoch noch nicht die Annahme eines kollusiven Zusammenwirkens der an der Verschmelzung beteiligten Unternehmen.

Praxistipp

Auch die Verschmelzung eines bereits beauftragten Unternehmens kann vergaberechtliche Konsequenzen haben. Der Übergang der Auftragnehmerstellung auf einen neuen Rechtsträger ist unabhängig von der privatrechtlichen Ausgestaltung, d.h. auch bei einer Gesamtrechtsnachfolge liegt ein Auftragnehmerwechsel im vergaberechtlichen Sinne vor. Wenn der Wechsel auf einer Unternehmensumstrukturierung beruht, ist er gemäß § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 lit. b) GWB zulässig, soweit der neue Auftragnehmer die im ursprünglichen Vergabeverfahren vorgegebenen Eignungsanforderungen erfüllt. Bei einem Übergang durch Verschmelzung gem. § 20 UmwG dürfte diese Voraussetzung regelmäßig erfüllt sein. Denn bei einer Verschmelzung gehen auch die eignungsbegründenden Ressourcen des ursprünglichen Auftragnehmers (Finanz- und sonstige Betriebsmittel) auf den neuen Auftragnehmer über. In diesem Fall wäre allenfalls vorsorglich zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, aus denen sich etwas Anderes ergibt. Soweit die Übertragung auf anderem Wege erfolgt, insbesondere durch Auf- oder Abspaltung oder eine Kombination, die auch eine Auf- oder Abspaltung umfasst, oder durch Einzelrechtsnachfolge, wäre dagegen im Einzelfall zu prüfen bzw. sicherzustellen, dass auch der neue Auftragnehmer die Eignungsanforderungen erfüllt.

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Keine Flucht durch Bescheid in das Zuwendungsrecht bei Vorliegen eines öffentlichen Auftrags! (VK Münster, Beschl. v. 02.07.2019 – VK1-17/19)

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RechtVerkehr

EntscheidungLiegen die Voraussetzungen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags gemäß § 103 Abs. 4 GWB vor, unterliegen Vergaben über Verkehrsdienstleistungen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) dem Vergaberechtsregime. Direktvergaben unter Berufung auf Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 sind dann nicht möglich. Ein entgeltlicher Vertrag unterfällt auch bei einer formalen Bezeichnung als Finanzierungsbescheid oder Verwaltungsakt nicht dem Zuwendungsrecht. Geschlossene Verträge können auf Antrag gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB im Nachprüfungsverfahren für unwirksam erklärt werden.

§§ 103 Abs. 4, 108 Abs. 6, 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB; § 8a PBefG; Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007

Sachverhalt

Die Antragsgegnerin zu 1) vergab einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 über Verkehrsdienstleistungen im ÖPNV mit Bussen, Straßen- und Stadtbahnen und sonstigen Verkehrsmitteln direkt an die Beigeladene in der Form eines Finanzierungsbescheids, welcher auf die AN-Best-P (Allgemeine Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung) verwies und eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt. Die Antragsgegnerin zu 1) ist als kommunaler Zweckverband organisiert, dessen Mitglieder die Antragsgegnerinnen zu 2) bis 10) sind. Der Finanzierungsbescheid hatte Verkehrsdienstleistungen im ÖPNV zum Gegenstand.

Hiergegen wandte sich die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren. Sie rügte die Direktvergabe an die Beigeladene, eine Aktiengesellschaft, deren Aktien durch zwei Mitglieder des kommunalen Zweckverbands gehalten werden, als unzulässig und greift diese vor der Vergabekammer nach Zurückweisung der Rüge an. Zur Begründung führte die Beigeladene im aus, dass die Direktvergabe nach dem GWB zu erfolgen habe. Eine Ausnahme hiervon sei nur bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Dienstleistungskonzession oder In-House-Vergabe im Sinne des § 108 GWB zulässig. Eine Dienstleistungskonzession liege jedoch nicht vor und auch eine In-House-Vergabe komme nicht in Betracht, da die Beigeladene in Form einer Aktiengesellschaft organisiert sei. Daher seien auch die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 nicht gegeben. Die Antragstellerin begehrte mithin der Antragsgegnerin zu 1) die Vergabe im Wege einer Direktvergabe zu untersagen und zur Durchführung eines Vergabeverfahrens zu verpflichten, sowie die Vergabe des Auftrags an die Beigeladene für unwirksam zu erklären.

Die Entscheidung

Diesen Ausführungen schloss sich die Vergabekammer an. Sie erklärte die Direktvergabe in Gestalt des Finanzierungsbescheids an die Beigeladene gemäß § 135 Abs. 1 GWB für unwirksam. Nach Auffassung der Vergabekammer war die Vergabe nicht nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 als Direktvergabe statthaft, da es sich um einen öffentlichen Dienstleistungsvertrag und nicht um eine vergaberechtsfreie Zuwendung oder Beihilfe handelte. Auch die Voraussetzungen einer Dienstleistungskonzession oder einer In-House-Vergabe nach § 108 GWB sah die Kammer als nicht gegeben an.

Die Vergabekammer verneinte die Voraussetzungen einer In-House-Vergabe nach § 108 Abs. 6 GWB. Denn Voraussetzung ist u.a., dass der Vertrag eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern begründet oder erfüllt, um sicherzustellen, dass die von ihnen zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden. Die öffentlichen Aufgaben müssen von den beteiligten Auftraggebern mithin zu erbringen“ sein. Dies setzt voraus, dass sie ihnen (also allen beteiligten öffentlichen Auftraggebern) kraft Gesetzes obliegen. Die Zusammenarbeit kann sich daher nicht auf Aufgaben beziehen, zu denen nur einer der beteiligten Auftraggeber gesetzlich verpflichtet ist, die aber durch die Zusammenarbeit einem anderen Auftraggeber übertragen werden soll. Soweit das OLG Koblenz (Beschluss vom 14.05.2019 Az. Verg 1/19) und das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 28.11.2018 Az. Verg 25/18) dem EuGH Vorabentscheidungsersuchen zur Anwendung des § 108 Abs. 6 GWB vorgelegt haben, liegen die dort angesprochenen Sachverhaltsdarstellung hier nicht vor. Die Beauftragung von Dienstleistungen im öffentlichen Personennahverkehr obliegt lediglich den Antragsgegnerinnen zu 2) und 3) in ihrem Wirkungskreis, und nicht der Antragsgegnerin zu 1). Eine allen beteiligten öffentlichen Auftraggebern obliegende gemeinsame Aufgabe liegt somit ersichtlich nicht vor. Demzufolge liegen auch die Voraussetzungen des § 108 Abs. 6 GWB hier nicht vor.

Den Charakter des Finanzierungsbescheids als Verwaltungsakt erkannte die VK nicht an. Inhaltlich enthalte der Finanzierungsbescheid alle Einzelheiten, die in einem Vertragsverhältnis von Bedeutung und üblicherweise in einem Betrauungsakt enthalten sind. Die Beauftragung erfolge nicht einseitig verpflichtend, sondern gegen einen jährlich festzusetzenden Geldbetrag. Für den Erlass eines derartig belastenden Verwaltungsakts fehle zudem die Ermächtigungsgrundlage. Zudem liege keine einseitige Zweckbestimmung in Form eines Zuwendungsbescheids, sondern eine Verpflichtung zur Erbringung einer vertraglichen Primärleistung vor, die entgeltlich und im Synallagma stehend erbracht werde. Die Beigeladene habe keinen Spielraum für welche Beförderungslinien und Infrastrukturmaßnahmen sie die gewährten finanziellen Mittel ausgeben möchte, sondern ist an die Nahverkehrspläne der öffentlichen Auftraggeber gebunden. Daran ändere auch die Bezeichnung als Verwaltungsakt nichts.

Das Vorliegen einer (vergaberechtsfreien) Dienstleistungskonzession komme bereits aufgrund der Entgeltlichkeit und der Vereinbarung einer Fehlbedarfsfinanzierung tatbestandlich nicht in Betracht. Der Finanzierungsbescheid war damit als öffentlicher Vertrag im Sinne des § 103 GWB und nicht als bloße Beihilfe oder Zuschuss zu charakterisieren. In Frage stand damit nur noch, ob eine Ausnahme von einer Ausschreibeverpflichtung gegeben war. Dies verneinte die Kammer im Hinblick auf Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 unter Bezugnahme auf die EuGH-Urteile vom 21.03.2019 in den Rs. C-266/17 und C-267/17, wonach Art. 5 Abs. 2 der VO nicht auf Leistungen im ÖPNV, die keine Konzessionen betreffen, anwendbar ist. Im Ergebnis unterlag die Vergabe der Verkehrsdienstleistungen den Vorschriften des GWB. Eine Direktvergabe ohne vorherige Bekanntmachung im EU-Amtsblatt war damit vergaberechtswidrig und unwirksam.

Rechtliche Würdigung

Der Beschluss ist zutreffend! Die in der Praxis nicht nur im Bereich der Vergabe von Verkehrsdienstleistungen häufig anzutreffende Flucht in das öffentliche Zuwendungsrecht gelingt nur dann, wenn das Vergaberechtsregime nicht einschlägig ist, mithin insbesondere kein öffentlicher Auftrag vorliegt oder (ausnahmsweise) die Voraussetzungen einer In-House-Vergabe gegeben sind. In vielen Konstellationen, wie der vorliegenden, ist dies häufig unter mehreren Gesichtspunkten nicht der Fall. Der formale Weg über einen vermeintlichen Bescheid im Sinne eines Verwaltungsakts gemäß § 35 VwVfG muss schon deshalb misslingen, weil dies einer unzulässigen Umgehung des Vergaberechtsregimes (und seines funktionierenden Rechtsschutzes) den Weg ebnen würde.

Weder die Bezeichnung als Finanzierungsbescheid (und damit Verwaltungsakt), noch die Ausgestaltung des Bescheids mittels Nebenbestimmungen und Rechtsbehelflsbelehrung ändern an der Vergabepflichtigkeit des Vorgangs etwas. Es handelt sich schlicht um die Vergabe eines öffentlichen Auftrags. Daran lässt die Entscheidung der Vergabekammer keinen Zweifel. Zur Verunsicherung von Bietern, die sich gegen eine Direktvergabe wenden, wird die Bezeichnung dennoch beigetragen haben. Substantiiert und strukturiert nimmt die Vergabekammer die Abgrenzung zwischen Verwaltungsakt, entgeltlichem Dienstleistungsvertrag und Dienstleistungskonzession vor. Ob und wie das Kriterium der Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers bei einer In-House-Vergabe mittels Aktiengesellschaft erfüllt werden kann, bleibt (leider) weiter offen. Gerade im Hinblick auf die Besonderheit, dass der öffentliche Auftraggeber vorliegend eine Holdinggesellschaft zwischengeschaltet hatte, um die In-House-Vergabe unter dem Aspekt der Kontrolle vermeidlich rechtssicher zu gestalten, wäre eine Ausführung hierzu wünschenswert gewesen.

Praxistipp

Die Luft für Direktvergaben über Verkehrsdienstleistungen im Bereich des ÖPNW wird dünner; nicht zuletzt auch wegen der jüngsten Rechtsprechung des EuGH vom 21.03.2019. Immer dann, wenn zum einen konkrete (und durchsetzbare) Leistungspflichten dem zukünftigen Auftragnehmer auferlegt werden sollen, zum anderen diesem als Gegenleistung allerdings ein Zahlungsanspruch (auch in Gestalt einer Fehlbedarfsfinanzierung) erwächst, werden die Voraussetzungen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags im Sinne des Vergaberechts gemäß § 103 GWB vorliegen. Diese sich im Bereich des ÖPNV abspielende Fallgestaltung lässt sich auf andere Konstellationen ohne weiteres übertragen. Nicht selten sind Bescheide unter dem Deckmantel des Zuwendungs- und Förderrechts tatsächlich öffentliche Auftragsvergaben im Sinne des Vergaberechts. Auftraggebern bzw. Zuwendungsgebern ist daher zur Vermeidung von Überraschungen und zur Gewährleistung eines rechtskonformen Vorgehens dringend anzuraten, den vergaberechtlichen Anwendungsbereich vor der Umsetzung eines anderen Vorgehens zu prüfen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen Konzession und Auftrag und die trotz § 108 GWB bei weitem noch nicht rechtssicher geklärten Voraussetzungen einer vergaberechtsfreien In-House-Vergabe.

Potenzielle Bieterunternehmen auf der anderen Seite sollten die Charakterisierung der Vergabe durch den öffentlichen Auftraggeber bei Bedarf hinterfragen. Wie von der Vergabekammer anschaulich aufgezeigt, schützt ein falsches rechtliches Gewand nicht vor vergaberechtlichen Konsequenzen. Ggf. sollten rechtzeitig Fragen gestellt oder Rügen erhoben werden.

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Nachverhandlung: Die elektronische Auktion macht’s möglich!

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ITKLiefer- & DienstleistungenRecht

Vergaberechtsreform, E-Vergabe, Einführung der UVgO…, der Gesetzgeber hat der öffentlichen Beschaffung in den letzten Jahren einiges zugemutet. Nachdem sich nun der erste Staub gelegt hat, die neuen Regeln verinnerlicht und die Prozesse eingespielt sind, wird der Kopf frei für Neues: In jüngster Zeit ist zu beobachten, dass einige öffentliche Auftraggeber die elektronische Auktion als innovatives Beschaffungsinstrument entdeckt haben. Die elektronische Auktion ist kein eigenständiges Vergabeverfahren. Sie ist vielmehr ein Prozess, in dessen Verlauf sich die Bieter im Preis unterbieten (umgekehrte Ebay-Auktion). Sie kann insbesondere in offenen Verfahren/öffentlichen Ausschreibungen und nichtoffenen Verfahren/beschränkten Ausschreibungen zum Einsatz kommen und damit etwas ermöglichen, was das Vergaberecht für diese Verfahrensarten eigentlich ausschließt: Nachverhandlungen.

1. Rechtlicher Rahmen

Geregelt ist die elektronische Auktion im Wesentlichen in §§ 24, 25 VgV. Diese Vorschriften gelten für alle Verfahren oberhalb der Schwellenwerte, also auch für Bauvergaben (§§ 2 VgV, 4b EU Abs. 2 VOB/A). Für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen unterhalb der Schwellenwerte verweist § 18 UVgO auf diese Vorschriften. Für Bauvergaben unterhalb der Schwellenwerte fehlt dagegen ein solcher Verweis. Die elektronische Auktion ist aber auch hier möglich: Denn grundsätzlich ist alles, was das Vergaberecht für Verfahren oberhalb der Schwellenwerte erlaubt, unterhalb der Schwellenwerte erst recht zulässig.

2. Technische Voraussetzungen

Zur Durchführung einer elektronischen Auktion bedarf es einer entsprechenden Software. Von den derzeit am deutschen Markt operierenden Anbietern von E-Vergabe-Lösungen und Vergabemanagementsoftware bieten die Administration Intelligence AG, die Healy Hudson GmbH und die Vortal S.A. ein entsprechendes Modul an. Die kommunale Einkaufsgemeinschaft Kubus GmbH aus Schwerin verwendet für die Beschaffung von Strom und Gas eine eigens für diese Produkte entwickelte Software der enPortal GmbH (hierzu später mehr). Alle diese Lösungen genügen den allgemeinen vergaberechtlichen Sicherheitsstandards und sorgen insbesondere dafür, dass die Angebote in der laufenden Auktion elektronisch bewertet und automatisch in eine Rangfolge gebracht werden (§ 25 Abs. 2 S. 1 VgV).

3. Einbettung in das Vergabeverfahren

Die elektronische Auktion kann in jeder gängigen Vergabeverfahrensart (offenes, nichtoffenes, Verhandlungsverfahren usw.) zum Einsatz kommen (§ 25 Abs. 1 S. 1 VgV). Sie wird zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots eingesetzt. Die elektronische Auktion ist also in ein Vergabeverfahren eingebettet. In der Auftragsbekanntmachung ist mitzuteilen, dass eine elektronische Auktion beabsichtigt ist (§ 26 Abs. 1 VgV). Das Vergabeverfahren ist sodann nach den allgemeinen hierfür geltenden Regeln durchzuführen. Die Bieter haben vollwertige Angebote einzureichen und insbesondere auch einen Preis anzugeben. Die formell ordnungsgemäßen Angebote geeigneter Bieter werden einer vollständigen erste Bewertung anhand der Zuschlagskriterien und der jeweils dafür festgelegten Gewichtung unterzogen (§ 25 Abs. 1 S. 3 VgV).

Im Anschluss hieran ist die elektronische Auktion durchzuführen. Die Bieter können in dessen Verlauf ihre Angebote in Bezug auf Zuschlagskriterien modifizieren, die einer automatisierten Bewertung zugänglich sind. Das wird fast immer den Preis betreffen. In erster Linie wird sich hier ein Unterbietungswettbewerb anbieten.

Hierzu ein Beispiel: Alleiniges Zuschlagskriterium für eine Lieferleistung ist der Preis. Es gehen vier Angebote ein, von denen drei wertbar sind. Die in den wertbaren Angeboten genannten Preise belaufen sich auf 8.000 € (Bieter A), 8.300 € (Bieter B) und 8.800 € (Bieter C). Die drei verbleibenden Bieter erhalten nun die Möglichkeit, ihren Preis zu senken, um sich in der Wertung nach vorne zu schieben bzw. ihren ersten Platz zu halten. Im Verlauf der Auktion reduziert der erstplatzierte Bieter A sein Angebot um weitere 200 € auf 7.800 €. Da Bieter B sein Angebot von 8.300 € aber um 600 € auf 7.700 € reduziert, erhält er letztendlich den Zuschlag.

Das Beispiel macht deutlich, dass die elektronische Auktion wirtschaftlich auf eine Nachverhandlung des Preises hinausläuft. Sie ermöglicht es den Auftraggebern, den im Markt herrschenden Wettbewerb in einem transparenten und rechtskonformen Verfahren konsequent für sich zu nutzen.

4. Ausgestaltung der elektronischen Auktion

Bei der Ausgestaltung der elektronischen Auktion hat der öffentliche Auftraggeber eine Reihe von Möglichkeiten. Für welche Variante er sich entscheidet, muss er vorab mitteilen.

a) Dauer der Auktion

Die Dauer der Auktion kann auf zweierlei Weise festgelegt werden: Der öffentliche Auftraggeber kann die Zahl der Gebotsrunden festlegen, die ihrerseits zeitlich bestimmt sind. Beispiel: Es werden zwei Gebotsrunden von jeweils einer Stunde festgelegt. Die Gesamtdauer der Auktion beträgt dann zwei Stunden. In der ersten Gebotsrunde reduziert nur Bieter B sein Angebot von 8.300 auf 7.900 €. In der zweiten Gebotsrunde reduziert Bieter A sein Angebot von 8.000 € auf 7.800 € und Bieter B sein Angebot nochmals von 7.900 € auf 7.700 €.

Die Dauer der Auktion kann alternativ auch ohne Festlegung einer Zahl von Gebotsrunden bestimmt werden. Beispiel: Die Dauer der Auktion wird auf zwei Stunden festgelegt. In dieser Zeit können die Bieter beliebig viele, sich unterbietende Angebote abgeben. Nach Ablauf der zwei Stunden hat Bieter B mit 7.700 € das niedrigste Angebot abgegeben, er erhält den Zuschlag.[i]

Der Auftraggeber kann auf die Festlegung einer bestimmten Dauer aber auch verzichten. Hier ist die Auktion dann beendet, wenn das beste Angebot nicht innerhalb einer bestimmten Frist weiter unterboten wird („Zum ersten, zum zweiten, zum dritten…“). Beispiel: Es wird festgelegt, dass das beste Angebot innerhalb von 5 Minuten weiter unterboten werden muss. 5 Minuten, nachdem Bieter B 7.700 € geboten hat, erhält er den Zuschlag, da Bieter A und C keine besseren Angebote abgegeben haben.

b) Informationen für die Bieter

Den Bietern muss mindestens ihr Rang mitgeteilt werden (§ 26 Abs. 5 S. 1 VgV). Beispiel: Vor Beginn der Auktion erhält Bieter A die Information, dass er auf dem ersten Rang liegt, Bieter B, dass er auf dem zweiten Rang liegt und Bieter C, dass er auf dem dritten Rang liegt. In der ersten Gebotsrunde reduziert Bieter B sein Angebot von 8.300 auf 7.900 €. Nunmehr erfährt A, dass er auf den zweiten Platz zurückgefallen ist, B, dass er nunmehr auf dem ersten Platz liegt und C, dass er immer noch auf dem dritten Rang liegt. Weitere Veränderungen werden den Bietern fortlaufend mitgeteilt, bis die Auktion beendet ist.

Möglich ist auch die Preisgabe weiterer Informationen. So kann der öffentliche Auftraggeber zusätzlich das Bestangebot offenbaren. Beispiel: Die Bieter erfahren ihren Rang und zusätzlich, dass das Bestangebot bei 8.000 € liegt. Nach der ersten Gebotsrunde erfahren sie neben ihrem neuen Rang, dass das Bestangebot bei 7.900 € liegt. In der Auktion können weitergehend auch die Gebote aller Mitbieter offengelegt werden. Dann haben die Bieter während der gesamten Auktion den gleichen Wissensstand wie der öffentliche Auftraggeber.[ii]

c) Sonstiges

Um das Verfahren nicht unnötig in die Länge zu ziehen, kann der öffentliche Auftraggeber einen Mindestabstand zwischen dem Bestgebot und einem neuen Gebot festlegen (Beispiel: 100 €).

Anstatt eines absteigenden Verfahrens ist auch ein aufsteigendes Auktionsverfahren möglich. Hier steigt der Preis nach einem festgelegten Prinzip, bis einer der Bieter ein Angebot abgibt. Dann ist die Auktion abgeschlossen. Beispiel: Der öffentliche Auftraggeber schätzt den Marktpreis der Leistung auf 8.000 € und hält einen Preis von unter 7.000 € für unangemessen niedrig. Ab 9.500 € würde er das Vergabeverfahren wegen Unwirtschaftlichkeit aufheben. Er legt 7.000 € als Ausgangspreis fest und bestimmt, dass sich dieser Preis alle 10 Minuten um 100 € erhöht, bis 9.500 € erreicht sind. Bei 7.500 € gibt Bieter B ein Angebot ab. Die Auktion ist damit beendet, B erhält den Zuschlag zum Preis von 7.500 €.

Eine Auktion kann auch Teil eines Vergabeverfahrens sein, bei dem der Preis nicht das alleinige Zuschlagskriterium ist. Beispiel: Der Preis fließt zu 70 % in die Wertung ein, die Qualität zu 30 %. Vor Durchführung der Auktion wird die Qualität der einzelnen Angebote bewertet. In der Auktion gibt A ein Angebot von 7.900 €, B von 7.800 € und C von 8.800 € ab. Diese Preise fließen in die Angebotswertung ein.

In der Praxis behalten sich öffentliche Auftraggeber in einem Verhandlungsverfahren/einer Verhandlungsvergabe/freihändigen Vergabe häufig die Durchführung einer elektronischen Auktion vor und führen sie nur bei Bedarf durch. Diese Vorgehensweise ist im Gesetz nicht geregelt, dürfte aber zulässig sein.[iii]

5. Einsatzmöglichkeiten in der Praxis

Gegen den Einsatz elektronischer Auktionen wird gelegentlich eingewandt, dass er die Bieterseite ungebührlich unter Druck setze und damit keine Akzeptanz finde. Dies entspricht aber nicht den Rückmeldungen, die der Verfasser von öffentlichen Auftraggebern erhalten hat, die mit der elektronischen Auktion arbeiten. Die elektronische Auktion schafft zwar einen gewissen Druck, sorgt für den Bieter aber auch für ein erhöhtes Maß an Transparenz. Er weiß, wo er im Markt steht.

In Deutschland ragt ein Beispiel für den Einsatz elektronischer Auktionen in der öffentlichen Beschaffung heraus: der Einkauf vom Strom und Gas durch die Einkaufsgemeinschaft Kubus GmbH. Dieses wirtschaftlich sehr erfolgreiche Modell wird derzeit von ca. 2.000 Kommunen in Anspruch genommen. Die hierfür eingesetzte Software bildet dabei den gesamten Beschaffungsprozess von der Erstellung des Leistungsverzeichnisses bis zur Abrechnung der einzelnen Abnahmestellen ab. Die elektronische Auktion ist dabei nur ein Baustein, wenn auch ein zentraler. Für Strombeschaffungen bietet sich die elektronische Auktion in besonderem Maße an, weil sie eine deutliche Verkürzung der Zeit zwischen der Abgabe eines verbindlichen Angebots und dem Zuschlag ermöglicht. Für die Bieter ist dies attraktiv, weil die Marktpreise für Strom und Gast relativ starken Schwankungen ausgesetzt sind. Je schneller der Auftraggeber den Zuschlag auf ein Angebot erteilen kann, desto größer ist die Kalkulationssicherheit für die Bieter. Dies wirkt sich günstig auf die Preise aus.

Ansonsten ist zu beobachten, dass das Verfahren derzeit in erster Linie von kommunalen Unternehmen (Energieversorgungsunternehmen, Verkehrsbetriebe) und der Deutschen Bahn genutzt wird. Dem Verfasser wurde vom erfolgreichen Einsatz des Instruments bei Beratungsleistungen, der Lieferung von Werkzeug und von Baumaterialen berichtet. Auch bei Bauleistungen ist es schon zum Einsatz gekommen und zwar sowohl bei Pauschalpreis- wie auch bei Einheitspreisverträgen. Im letztgenannten Fall war ein Rabatt Gegenstand der Auktion. Beispiel: Die Summe der Einzelpreise beläuft sich bei Bieter A auf 101.000 €, bei Bieter B auf 100.000 €. Im Zuge der Auktion räumt Bieter A dem Auftraggeber einen Pauschalrabatt von 3 % ein, Bieter B von 1 %. Bieter A erhält den Zuschlag. Rechnet er hinterher 104.000 € ab, wird er den Rabatt auf diesen Betrag gewähren.

Bei der Vergabe geistig-schöpferischer Leistungen (z.B. Planungsleistungen eines Ingenieurs) darf die elektronische Auktion nicht zum Einsatz kommen (§ 25 Abs. 1 S. 2 VgV).[iv]

6. Fazit

Die elektronische Auktion bietet gute Chancen zur Erzielung besserer Einkaufspreise. Für welche Produkte sie geeignet ist und für welche nicht, wird sich mit der Zeit herauskristallisieren. Deshalb sollten öffentliche Auftraggeber das Verfahren einfach mal testen und ihre diesbezüglichen Erfahrungen untereinander austauschen.

_________________________

[i] Das entspricht dem Verfahren bei Ebay.

[ii] Das entspricht dem Verfahren bei Ebay.

[iii] Sie entspricht im Ergebnis der gesetzlich ausdrücklich zulässigen Möglichkeit, den Zuschlag in einem Verhandlungsverfahren/einer freihändigen Vergabe auf Grundlage eines Erstangebots zu erteilen (§§ 17 Abs. 11 VgV, 8 Ab4. 4 S. 2 UVgO).

[iv] Diese Einschränkung ist nach Ansicht des Verfassers fragwürdig, aber derzeit geltendes Recht. Ein kommunaler Energieversorger hat dem Verfasser berichtet, dass er die elektronische Auktion für die Vergabe von Ingenieurleistungen erfolgreich eingesetzt hat. Da es sich um einen Auftrag unterhalb der Schwellenwerte handelte und der Auftraggeber nicht an Vergaberecht gebunden war, war das Verbot für ihn nicht relevant.

Hinweis der Redaktion

Der Beitrag des Autors wurde im Supply Magazin 0519 erstveröffentlicht.

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Änderung der Bieteridentität: Auch im laufenden Vergabeverfahren ausnahmsweise zulässig (VK Südbayern, Beschl. v. 03.07.2019 – Z3-3-3194-1-09-03/19)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungDer Rechtsformwechsel vom Einzelkaufmann zur GmbH muss in einem laufenden Vergabeverfahren nicht zum Ausschluss führen. Die Vergabekammer Südbayern betont in ihrer Entscheidung jedoch den Einzelfallcharakter des Falles.

§ 14 Abs. 4 Nr. 8 VgV, § 97 Abs. 6 GWB

Leitsatz

  1. Ändert sich die Rechtsform eines Architekturbüros nach erfolgreicher Teilnahme (Preisträger) an einem Realisierungswettbewerb, aber vor Aufforderung zur Angebotsabgabe im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gem. § 14 Abs. 4 Nr. 8 VgV, ist für die Teilnahme des Büros in neuer Rechtsform am Verhandlungsverfahren allein maßgeblich, ob es den preisgekrönten Entwurf urheberrechtlich uneingeschränkt umsetzen darf und die ursprünglichen Eignungsanforderungen erfüllt.
  2. Es bedürfte eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV um zu entscheiden, ob eine Änderung der Zuschlagskriterien im Verhandlungsverfahren nach § 17 Abs. 10 Satz 2 VgV unter Berücksichtigung des Erwägungsgrunds 45 der Richtlinie 2014/24/EU nur im Rahmen von Verhandlungen zwischen einem Bieter und dem öffentlichen Auftraggeber unzulässig sind, oder ob ein allgemeines Änderungsverbot besteht.
  3. Aufgrund von § 17 Abs. 12 Satz 2 VgV ist ein Verhandlungsverfahren gem. § 14 Abs. 4 Nr. 8 VgV allein mit dem Wettbewerbsgewinner allenfalls dann noch zulässig, wenn der Auftrag nach den Bedingungen des Wettbewerbs zwingend an den Wettbewerbsgewinner vergeben werden muss. Ist dies nicht der Fall, ist das Verhandlungsverfahren mit allen Preisträgern zu führen.
  4. In einem Planungswettbewerb nach VgV und (unmodifiziert vereinbarter) RPW 2013 ist der erste Preisträger gem. § 8 Abs. 2 RPW 2013 regelmäßig, aber nicht zwangsläufig mit den (weiteren) Planungsleistungen zu beauftragen.
  5. Der Umstand, dass der Auftraggebers gem. § 8 Abs. 2 RPW 2013 regelmäßig den ersten Preisträger zu beauftragen hat, ist bei der Gewichtung der Auswahlkriterien in geeigneter Weise zu berücksichtigen (OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.04.2017, 11 Verg 4/17)

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb Planungsleistungen für den Neubau eines Verwaltungsgebäudes aus. Hierzu wählte er einen Realisierungswettbewerb nach RPW 2013. Er gab vor, mit allen Preisträgern des Realisierungswettbewerbs im Anschluss an den Wettbewerb in Verhandlungen zu treten, um am Ende dieses Verfahrens den Planungsauftrag zu vergeben. Nach Abschluss des Planungswettbewerbs jedoch noch vor Einleitung des Verhandlungsverfahrens mit den Preisträgern änderte der erste Preisträger seine Rechtsform. Aus dem Einzelunternehmen „K… Dipl. Ing (FH) L… K…“ wurde zwischenzeitlich die „K… Gesellschaft von Architekten mbH“ (K-GmbH). Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH wurde der frühere Einzelarchitekt, Herr L… K…

Die Vergabekammer hatte im Rahmen eines eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens unter anderem zu klären, ob die K-GmbH am Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 8 VgV überhaupt beteiligt werden durfte.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer Südbayern sah im vorliegenden Fall den Wechsel der Bieteridentität im laufenden Verfahren nicht als Ausschlussgrund an. Sie betont hierbei jedoch die Umstände des Einzelfalls, die für diese Auffassung sprächen: Im Rahmen der Neugründung der K-GmbH hat diese durch Einbringungsvertrag nicht nur sämtliche bilanzierungsfähige und nicht bilanzierungsfähige Aktiva und Passiva des Einzelunternehmens übernommen, sondern auch auch sämtliche im Einzelunternehmen begründeten Rechte. Außerdem wurde der frühere Einzelarchitekt, Herr L… K…, alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der K-GmbH.

Auf den vorliegenden Fall, bei dem sich die Rechtspersönlichkeit eines Preisträgers nach Durchführung eines Realisierungswettbewerbs, aber vor Abgabe des Erstangebots im nachfolgenden Verhandlungsverfahren änderte, sei die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03.08.2011 – Verg 16/11) zur Änderung der Rechtspersönlichkeit von Bietern nach Abgabe ihres Angebots nicht übertragbar. Maßgeblich ist nach Auffassung der Vergabekammer Südbayern vorliegend lediglich, dass die Antragstellerin aufgrund des Einbringungsvertrags zweifellos berechtigt ist, den preisgekrönten Wettbewerbsentwurf umzusetzen und dass sie die ursprünglich für die Teilnahme am Wettbewerb, sowie am Verhandlungsverfahren gestellten Eignungsvoraussetzungen erfüllt.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung der Münchner Vergabekammer ist nachvollziehbar. Dennoch zeigt der Verweis auf den Einzelfallcharakter sowie der damit verbundene Begründungsaufwand, dass auf diesem Feld möglicherweise Handlungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber besteht. Während § 132 Abs. 2 Nr. 4 b) GWB zwischenzeitlich recht detailliert vorgibt, unter welchen Voraussetzungen ein bereits bestehender Vertrag auf ein neues Unternehmen infolge von gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen übergehen kann, ohne dass die Pflicht zur Neuausschreibung ausgelöst wird, bestehen keine expliziten Regelungen zu derartigen Änderungen in einem laufenden Vergabeverfahren.

Dem Alltag der Unternehmenswelt mit vielfältigsten Umstrukturierungen und Transaktionen wird die vergaberechtliche Systematik häufig nicht gerecht. Der EuGH zeigte in seiner jüngeren Rechtsprechung auf, dass die Vergaberichtlinien den nationalen Gesetzgebern auf diesem Feld Handlungsfreiheit lassen (vgl. EuGH Urteil vom 11.07.2019 Rs. C-697/17; EuGH Urteil vom 24.05.2016 Rs. C-369/14). Gleichzeitig verweist er zutreffend auf die bestehenden Leitplanken, die sich aus dem Wettbewerbsgrundsatz sowie dem Gleichbehandlungsgebot ergeben.

Praxistipp

Auch durch die Entscheidung der Vergabekammer Südbayern wird deutlich, dass die deutschen Nachprüfungsinstanzen weiterhin sehr restriktiv mit einem Wechsel der Bieteridentität im laufenden Vergabeverfahren umgehen. Selbst eine Gesamtrechtsnachfolge im Rahmen einer gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierung dürfte wohl in einem Offenen Verfahren auch weiterhin mit Verweis auf das Nachverhandlungsverbot den zwingenden Ausschluss des betreffenden Unternehmens mit sich bringen. Die etwas großzügigere Rechtsprechung des EuGH sollte allenfalls im Rahmen von Verhandlungsverfahren als Richtschnur gelten.

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Abweichende Vertragsbedingungen des Bieters führen nicht zwingend zum Angebotsausschluss! (BGH, Urt. v. 18.06.2019 – X ZR 86/17)

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BauleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungAbwehrklauseln in den Vergabeunterlagen stehen einem Ausschluss von Angeboten mit abweichend gestellten Vertragsbedingungen grundsätzlich entgegen. Auch ohne Abwehrklausel scheidet ein Angebotsausschluss aus, wenn nach bloßer Streichung der bieterseitigen Bedingungen noch ein wertungsfähiges Angebot vorliegt.

§§ 13 EU Abs. 1 Nr. 5, 16 EU Nr. 2 VOB/A 2012, § 97 Abs. 1 und 2 GWB

Leitsatz

  1. Gibt der öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen vor, dass Geschäftsbedingungen des Auftragnehmers nicht Vertragsbestandteil werden, und stellt ein Bieter mit seinem Angebot abweichende Bedingungen, können diese infolge der Abwehrklausel des Auftraggebers im Falle der Auftragserteilung keine rechtliche Wirkung entfalten. Ein Ausschluss des Angebots wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen ist deshalb nicht erforderlich und auch nicht zulässig.
  2. Auch ohne das Vorliegen einer Abwehrklausel kann ein Angebot, dem der Bieter eigene Vertragsbedingungen beigefügt hat, in der Wertung verbleiben, wenn nach bloßer Streichung des Hinzugefügten ein dem maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen vollständig entsprechendes Angebot vorliegt.

Sachverhalt

Der beklagte öffentliche Auftraggeber schrieb Straßenbauarbeiten im offenen Verfahren nach dem 2. Abschnitt der VOB/A 2012 aus. Zur Abgabe eines formwirksamen Angebots hatten die Bieter u.a. ein vorformuliertes Angebotsschreiben unterschrieben einzureichen. Geforderter Angebotsinhalt waren des Weiteren die in diesem Angebotsschreiben aufgelisteten, als Vertragsgrundlagen der Angebote gekennzeichneten Unterlagen und Formblätter. Dazu gehörten neben dem Angebotsschreiben, dem Leistungsverzeichnis, den Besonderen Vertragsbedingungen für Bauleistungen auch die Zusätzlichen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ZVBBau). In § 8 ZVBBau sind Regelungen zur Abrechnung und zu den Zahlungen der Vergütung enthalten. Danach sollte die Schlusszahlung innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Abnahme und Stellung einer prüfbaren Schlussrechnung erfolgen. Dem entgegenstehend versah der klagende Bieter den Endpreis in seinem Angebot mit dem Zusatz „… zahlbar bei Rechnungserhalt ohne Abzug„.

Der öffentliche Auftraggeber schloss das Angebot mit der Begründung aus, der Bieter habe durch die Einfügung der Klausel „zahlbar bei Rechnungserhalt ohne Abzug“ Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen und demgemäß den Ausschlussgrund des § 16 EU Abs. 1 Buchst. b i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 VOB/A 2012 verwirklicht.

Das Landgericht hat die daraufhin erhobene Schadensersatzklage des Bieters abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete Berufung ebenfalls zurückgewiesen, wobei es der Argumentation des Auftraggebers folgte. Der Bieter habe Änderungen an den Vergabeunterlagen i.S.v. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A 2012 vorgenommen, die den Angebotsausschluss rechtfertigten. Zum Angebotsausschluss nach § 16 EU Nr. 2 VOB/A 2012 führten nicht nur die den technischen Inhalt betreffende Abweichungen von den Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers, sondern auch Änderungen vertraglicher Regelungen und namentlich die Beigabe eigener Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Ein solcher Fall liege vor; der Bieter habe mit der eigenen Klausel „zahlbar bei Rechnungserhalt ohne Abzug“ eine Änderung gegenüber den vorgegebenen Zahlungsbedingungen vorgenommen.

Mit der Revision verfolgte der Bieter seine Klageforderung weiter.

Die Entscheidung

Und er hatte Erfolg. Der vom Berufungsgericht angenommene Ausschlussgrund ist nach Ansicht des BGH nicht verwirklicht. Von öffentlichen Auftraggebern in den Vergabeunterlagen verwendete sog. Abwehrklauseln zielten gerade darauf ab, bei Angeboten, denen ein Bieter eigene Vertragsbedingungen, insbesondere Allgemeine Geschäftsbedingungen, beigegeben hat, einen Ausschluss nach § 13 EU Abs. 1 Nr. 5, § 16 EU Nr. 2 VOB/A 2012 zu vermeiden.

Aus objektiver Sicht der Bieter sei es abwegig anzunehmen, dass die mit den Vergabeunterlagen vorgegebenen Bedingungen bieterseitig durch eigene Klauseln oder Allgemeine Geschäftsbedingungen ersetzt oder sonst abgewandelt werden dürften. Füge ein Bieter seinem Angebot gleichwohl eigene Vertragsbedingungen bei, deute dies auf ein Missverständnis des Bieters hinsichtlich der Bindungen des öffentlichen Auftraggebers bei der öffentlichen Auftragsvergabe hin. Wäre dem Bieter die Bindung des öffentlichen Auftraggebers an den Inhalt der Vergabeunterlagen bewusst gewesen, hätte er laut BGH auf abweichende Klauseln verzichtet.

In solchen Fällen ermögliche es die Abwehrklausel dem öffentlichen Auftraggeber, das Angebot des Bieters in der Wertung zu belassen. Denn aufgrund der Abwehrklausel können abweichende Bedingungen des Bieters nicht Vertragsbestandteil werden.

Die für Konflikte aus der wechselseitigen Einbeziehung kollidierender Allgemeiner Geschäftsbedingungen im privaten Geschäftsverkehr außerhalb der öffentlichen Auftragsvergabe entwickelten Lösungsmöglichkeiten seien hier nicht einschlägig. Der öffentliche Auftraggeber habe deshalb nicht zu befürchten, dass der Bieter sich im Falle eines Zuschlags mit Erfolg auf die eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen berufen könnte, oder dass sie im Umfang der Kollision auf die gesetzlichen Regelungen verwiesen wären.

Dementsprechend hätte der öffentliche Auftraggeber keinen Anlass, das Angebot des Bieters wegen vermeintlicher Änderungen an den Vergabeunterlagen auszuschließen. Allenfalls hätte der Auftraggeber vorsorglich zur Klarstellung gegenüber dem Bieter auf den Vorrang der für die Schlusszahlung geltenden Klauseln in den ZVBBau hinweisen können.

Das Angebot des Bieters hätte zudem auch ohne die auftraggeberseitige Abwehrklausel nicht auf § 16 EU Nr. 2 VOB/A 2012 gestützt ausgeschlossen werden können, weil dem Auftraggeber sich die Regelung des Bieters als Missverständnis hätte aufdrängen müssen. So hätte der Auftraggeber die Abweichungen von den Vergabeunterlagen ohne Verstoß gegen § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2012 aufklären und so das Angebot auf den maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen zurückführen können, sofern der Bieter im Rahmen der Aufklärung von den beigegebenen eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen Abstand genommen hätte.

Davon zu unterscheiden seien allerdings Fälle mit manipulativen Eingriffen in die Vergabeunterlagen im eigentlichen Sinne, welche dadurch gekennzeichnet sind, dass ein von den Vorgaben der Vergabeunterlagen inhaltlich abweichendes Angebot abgegeben wird und bei Hinwegdenken dieser Abweichungen gerade kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorliegt.

Rechtliche Würdigung

Laut BGH ist die vom öffentlichen Auftraggeber verwendete Abwehrklausel im Lichte der Neuregelungen seit der VOB/A 2009 zu verstehen. Diese Regelungen dienen, so der BGH, dazu, den Ausschluss von Angeboten aus nur formalen Gründen zu verhindern. So sei es erklärtes Ziel der Normen, im Interesse der Erhaltung eines möglichst umfassenden Wettbewerbs, die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig wegen vermeidbarer, nicht gravierender formaler Mängel zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund hat der BGH die zur alten Gesetzgebung ergangene „vom Gedanken formaler Ordnung geprägte strenge Rechtsprechung“ nunmehr aufgegeben. Der Ausschlussgrund der Änderungen an den Vergabeunterlagen sei fortan dem aufgezeigten Wertungswandel in den rechtlichen Grundlagen der Vergabebestimmungen entsprechend angepasst auszulegen und anzuwenden.

Praxistipp

Mit der vorliegenden Entscheidung des BGH wird die bislang strenge Entscheidungspraxis zum Ausschluss von Angeboten wegen vom Bieter abweichend gestellter bzw. abgeänderter Vertragsbedingungen aufgegeben. Zur Förderung des Wettbewerbs und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass eine Vielzahl von Fällen abweichend gestellter eigener Vertragsbedingungen auf Missverständnissen der Bieter über die Bedeutung der Vergabeunterlagen basieren, erscheint die Entscheidung auch folgerichtig.

Die in der Vergabepraxis von den öffentlichen Auftraggebern verwendeten Vertragsbedingungen beinhalten bereits heute regelmäßig sogenannte Abwehrklauseln, welche einem Ausschluss von Angeboten entgegenstehen, die mit abweichenden Vertragsbedingungen oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bieter versehen sind. Bei Zweifeln über das Vorliegen eines Missverständnisses, empfiehlt sich für den öffentlichen Auftraggeber ein abweichendes Angebot im Rahmen des Zulässigen aufzuklären.

Kontribution
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Martin Götte verfasst.

Martin Götte

Über Martin Götte

Martin Götte ist auf das Immobilien- und Baurecht spezialisierter Rechtsanwalt in der Kölner Kanzlei LLR Legerlotz Laschet und Partner Rechtsanwälte.

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Keine wesentliche Vertragsänderung, wenn Nachunternehmerwechsel im Vertrag angelegt ist (VK Bund, Beschl. v. 26.06.2019 – VK2-34/19)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungSieht ein Dienstleistungsvertrag vor, dass der Auftragnehmer den Nachunternehmer austauschen darf, führt ein solcher Austausch nicht zur Pflicht der Neuausschreibung. Dies gilt nach der Entscheidung der Vergabekammer des Bundes auch dann, wenn ein Nachunternehmer den überwiegenden Anteil der Leistungen gegenüber dem Auftraggeber erbringt. Er wird dadurch nicht zu einem „faktischen“ zweiten Hauptauftragnehmer.

§ 132 GWB

Leitsatz

  1. Der öffentliche Auftraggeber ist zu einer Neuausschreibung verpflichtet, wenn es zu Änderungen kommen sollte, die im ursprünglichen Vertrag nicht vorgesehen sind, keine gesetzliche Grundlage haben oder wesentliche Bestandteile betreffen.
  2. Enthält der ursprüngliche Vertrag eine ausdrückliche Regelung zur Beauftragung von Nachunternehmern und wird diese von einer Zustimmung des Auftraggebers abhängig gemacht, stellt der Austausch eines Nachunternehmers keine wesentliche Änderung des Auftragsverhältnisses dar, so dass eine Neuausschreibung nicht erforderlich ist.

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber schloss 2009 einen Bewachungsvertrag mit einer privaten Sicherheitsfirma (spätere Beigeladene) zur Sicherung einer im Eigentum des Auftraggebers stehenden Liegenschaft ab. Dieser Vertrag läuft bis zum 31. März 2020. Er umfasst sowohl die Planung, Errichtung und Wartung einer technischen Überwachungsanlage als auch die Überwachung durch Personal vor Ort. Zur tatsächlichen Bewachung des Objekts setzte die Beigeladene die spätere Antragstellerin als Nachunternehmerin ein, deren Mitarbeiter u.a. das Gelände bestreiften und als Pförtner tätig waren. Der entsprechende (Nachunternehmer-)Vertrag zwischen Antragstellerin und Beigelandener hatte eine Laufzeit bis zum 30. Juli 2019. Die Beigeladene teilte der Antragstellerin im Frühjahr 2019 mit, dass man beabsichtige, nach Ende dieser Vertragslaufzeit für die Restlaufzeit des öffentlichen Auftrags ein anderes Bewachungsunternehmen als Unterauftragnehmer einzusetzen.

Der Vertrag zwischen der Beigeladenen und dem öffentlichen Auftraggeber sah eine Regelung vor, wonach die Beigeladene zur Auswechslung ihres Nachunternehmers berechtigt ist.

Nachdem die Antragstellerin mit den Bewachungsleistungen nicht weiter beauftragt wurde, leitete sie ein Nachprüfungsverfahren ein. Sie argumentierte, die Auswechslung des Nachunternehmers sei eine wesentliche Vertragsänderung im Sinne des § 132 Abs. 1 GWB, die ein neues Vergabeverfahren erforderlich mache. Durch ihre herausregende Stellung gegenüber dem Auftraggeber sei sie zwischenzeitlich faktisch als zweiter Hauptauftragnehmer anzusehen.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer des Bundes sah im vorliegenden Fall die Auswechslung des Nachunternehmers nicht als wesentliche Vertragsänderung i.S.d. § 132 Abs. 1 GWB an.

Ein erneutes Vergabeverfahren sei nach den Maßstäben der Rechtsprechung nur dann zwingend, wenn Veränderungen eingetreten sind, die im ursprünglichen Vertrag nicht vorgesehen waren, keine gesetzliche Grundlage haben oder wesentliche Bestandteile des Vertrages betreffen. Im vorliegenden Fall erlaubte es der zwischen öffentlichem Auftraggeber und der Beigeladenen geschlossene Vertrag ausdrücklich, Bewachungsdienstleistungen an Dritte zu vergeben, ohne zuvor die Erlaubnis des Auftraggebers einholen zu müsse. Nach Ansicht der Vergabekammer sei deshalb der Austausch des Nachunternehmers vollumfänglich von dem ursprünglichen Vertrag gedeckt.  Konsequenterweise komme es dann auf die Wesentlichkeit im Sinne des § 132 Abs. 1 GWB nicht mehr an.

Auch die Argumentation der Antragstellerin, sie sei „faktischer Hauptauftragnehmer“ und ihre Auswechslung damit ein Fall des § 132 Abs. 1 Nr. 4 GWB, überzeugte die Kammer nicht. Es komme nicht darauf an, ob die Antragstellerin aus rein tatsächlicher Sicht selbständig wie ein zweiter Hauptauftragnehmer gegenüber dem Auftraggeber tätig wurde. Dieser (streitig gebliebene) Umstand ändere nichts daran, dass die Beigeladene, wie in dem Bewachungsvertrag mit dem Auftraggeber vereinbart, in der Auswahl eines Subunternehmers und ggf. dessen Auswechslung grundsätzlich frei war. Diese vertragliche Vereinbarung zwischen Auftraggeber und Beigeladender könne nicht durch eine sich aus dem Gesamtcharakter des Auftrages ergebene Anwendung von § 132 Abs. 1 Nr. 4 GWB auf den Nachunternehmer konterkariert werden.

Rechtliche Würdigung

Die Vergabekammer des Bundes stellt unmissverständlich klar, dass ein Nachunternehmerwechsel auch bei einem sehr umfangreichen Anteil an Nachunternehmerleistungen keine Pflicht zur Neuausschreibung mit sich bringt, wenn dieser Nachunternehmerwechsel im Vertrag eindeutig geregelt ist. Der Argumentationsversuch des gekündigten Nachunternehmers, er sei faktisch in die Rolle eines zweiten Hauptauftragnehmers hineingewachsen, verfängt glücklicherweise nicht.

Praxistipp

Die Entscheidung der Vergabekammer des Bundes zeigt, dass eine vertragliche Regelung zum Nachunternehmerwechsel vor dem Hintergrund des § 132 GWB stets in Erwägung gezogen werden sollte, um sich vor späterem Ärger zu schützen. Hätte im vorliegenden Fall eine solche Regelung nicht bestanden, wäre die Entscheidung der Vergabekammer des Bundes möglicherweise anders ausgefallen.

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Innovationsbeschaffung – Welche Vorteile einzelner Bieter müssen Auftraggeber ausgleichen? (OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 13.6.2019 – 54 Verg 2/19)

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Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungDie Beschaffung innovativer Leistungen stellt öffentliche Auftraggeber vor einige Herausforderungen. In einer aktuellen Entscheidung befasst sich das OLG Schleswig-Holstein mit der Frage, unter welchen Umständen öffentliche Auftraggeber Vorteile einzelner Bieter ausgleichen müssen und was hierbei zu beachten ist.

§ 97 Abs. 1 GWB

Leitsätze (nicht amtlich)

  1. Öffentliche Auftraggeber sind nicht verpflichtet, Wettbewerbsvorteile, die durch die unterschiedliche Markstellung der Unternehmen bedingt sind, auszugleichen. Anders liegt es in Fällen, in denen die zu erwartenden Unterschiede in den Angeboten nicht aus der Marktstellung des Unternehmens, sondern aus den vom Auftraggeber festgelegten Leistungsanforderungen resultieren.
  2. Die im Rahmen der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers vorgegebenen Leistungsanforderungen dürfen nicht zu Angeboten führen, die nicht vergleichbar sind. Der Auftraggeber ist verpflichtet, die Vergleichbarkeit der Angebote sicherstellen.
  3. Der Auftraggeber kann die Vergleichbarkeit der Angebote durch Wertungsaufschläge herstellen, die die in den Wettbewerb einbezogenen Unterschiede der Angebote ausgleichen. Die Wertungsaufschläge müssen die wesentlichen Kosten und Risiken der betroffenen Lösung berücksichtigen und für die Bieter nachvollziehbar sein.

Sachverhalt

Das Land Schleswig-Holstein schreibt im Verfahren einer Innovationspartnerschaft die Lieferung innovativer Triebzüge zum Einsatz im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und deren langfristige Instandhaltung aus. Die Züge sollen zunächst auf überwiegend nicht elektrifizierten Bahnstrecken eingesetzt werden. Im Verfahrensverlauf legt das Land fest, dass die Bieter wählen können, ob die Triebzüge mit elektrischer Energie, mit elektrischer Energie / Diesel (Hybrid) oder Wasserstoff betrieben werden. Entsprechend der Art der benötigten Energie bzw. Kraftstoffe müssen die Bieter auch die jeweilige Nachladeinfrastruktur bereitstellen, soweit diese errichtet werden muss (Wasserstofftankstellen bzw. Nachladestellen über die Bahnstromoberleitung).

Ferner erklärt das Land im Verfahrensverlauf, dass es sofern das Konzept eines Bieters eine derartige Ladeinfrastruktur vorsieht die Planung und den Bau von neuen oder die Nachrüstung von existierenden Anlagen zum Laden von Energie im unmittelbaren Bereich der Schienenwege unmittelbar bei dem Betreiber der Schieneninfrastruktur in Auftrag geben will. Das Land erstellt hierzu einen Katalog möglicher Nachrüstungen der existierenden Nachladeinfrastruktur und neuer Oberleitungsinselanlagen. Die Bieter haben die Maßnahmen auszuwählen, die sie für ihr Energieversorgungskonzept jeweils benötigen. Die vom Land geschätzten Kosten der Nachrüstung bzw. der jeweiligen Maßnahmen sollen dann den Angeboten der Bieter mit den betroffenen Fahrzeugkonzepten einschließlich bestimmter Kostenrisiken zugeschlagen werden.

Ein Bieter beanstandet u.a., dass er als Hersteller wasserstoffbetriebener Triebzüge benachteiligt werde. Während die Hersteller wasserstoffbetriebener Triebzüge die gesamte Infrastruktur planen und einpreisen müssten und dafür für die gesamte Vertragslaufzeit einzustehen hätten, sei dies bei Herstellern batteriegetriebener Fahrzeuge nicht der Fall. Durch die Wertungsaufschläge werde dies nicht ausreichend kompensiert.

Das Land Schleswig-Holstein erwidert, dass es im Rahmen einer technikoffenen Ausschreibung gar nicht zum Ausgleich produktbezogener Unterschiede verpflichtet gewesen sei. Die Vorteile für Anbieter von batteriebezogenen Antriebskonzepten seien aber jedenfalls im Rahmen der Angebotswertung durch die vorgesehenen Wertungsaufschläge ausgeglichen worden.

Die Entscheidung

Das OLG Schleswig-Holstein weist den Nachprüfungsantrag zurück. Der Vergabesenat stellt fest, dass ein öffentlicher Auftraggeber grundsätzlich nicht zum Ausgleich von Wettbewerbsvorteilen verpflichtet sei, die aus der unterschiedlichen Marktstellung der Unternehmen resultieren. Solange es dafür vernünftige wirtschaftliche Gründe gebe, könne der Auftraggeber den Leistungsinhalt so bestimmen, dass einzelne Bieter Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen haben. Der Auftraggeber dürfe nur nicht die Absicht verfolgen, ein bestimmtes Unternehmen zu bevorzugen.

Vorliegend gehe es allerdings nicht um den Ausgleich eines aus der Marktstellung eines Unternehmens erwachsenden Wettbewerbsvorteils. Vielmehr ermögliche erst der Wertungsaufschlag eine vergleichende Wertung der Angebote der Bieter. Aus diesem Grund sei der Wertungsaufschlag keineswegs überobligatorisch gewesen. Der Auftraggeber habe den Wertungsaufschlag auch transparent und nichtdiskriminierend konzeptioniert.

Rechtliche Würdigung

Das OLG Schleswig-Holstein leitet die Verpflichtung des Auftraggebers zur Vornahme des Wertungsaufschlags aus dem Umstand ab, dass die Ladeinfrastruktur, die die Bieter mit anzubieten haben und auf die sie bei der Leistungserbringung zurückgreifen wollen, hinsichtlich des einen Energieträgers (Wasserstoff) gar nicht und hinsichtlich des anderen Energieträgers (Strom) nur zum Teil vorhanden war und im Übrigen neu erstellt oder ergänzt werden musste. Nach der Konzeption der Ausschreibung sei die Neuerstellung oder Ergänzung der Infrastruktur daher Teil des Vergabewettbewerbs. Die diesbezüglichen Leistungsanforderungen seien dem Wettbewerb nicht von außen vorgegeben, sondern könnten von dem Auftraggeber beeinflusst werden. Die in den Wettbewerb einbezogenen Unterschiede seien vom Auftraggeber auszugleichen, um einer vergleichenden Wertung zugängliche Angebote zu erreichen.

Praxistipp

Der Beschluss des OLG Schleswig-Holstein ist eine der ersten obergerichtlichen Entscheidungen zu der noch recht neuen Verfahrensart der Innovationspartnerschaft. Insbesondere vor dem Hintergrund der Digitalisierung ist die Beschaffung innovativer Leistungen für die öffentliche Hand ein immens wichtiges Thema. Durch die unmittelbare Kombination der Vergabe der Forschungs- und Entwicklungsleistungen mit dem anschließenden Erwerb der Neuentwicklung kann die Innovationspartnerschaft im Bereich der Innovationsbeschaffung einen Anreiz für Unternehmen setzen, sich bereits an der oftmals aufwendigen und kostenintensiven Entwicklung der Innovation zu beteiligen.

Wie bei allen Verfahrensarten gelten auch im Rahmen der Innovationspartnerschaft die vergaberechtlichen Grundsätze von Transparenz und Gleichbehandlung. Diese erfordern, dass die Angebotswertung auf der Grundlage vergleichbarer Angebote erfolgt. Bei der Beschaffung innovativer Leistungen egal ob im Wege der Innovationspartnerschaft, im Verhandlungsverfahren oder im Wettbewerblichen Dialog ist dies für den Auftraggeber eine besondere Herausforderung, soweit der Beschaffungsgegenstand zu Verfahrensbeginn noch nicht abschließend festgelegt ist. Insbesondere die Zuschlagskriterien müssen dann für verschiedene Lösungsvorschläge der Bieter passen.

Bei der vom OLG Schleswig-Holstein entschiedenen Konstellation kam hinzu, dass die vom Auftraggeber gewünschte Leistung auf der Anforderungsebene unterschiedlich war, je nachdem für welche Lösung sich die Bieter entschieden. Denn nur im Falle des Angebots strombetriebener Triebzüge wollte das Land die Nachladeinfrastruktur unmittelbar bei dem Betreiber der Schieneninfrastruktur in Auftrag geben. Im Falle des Angebots wasserstoffbetriebener Triebzüge sollte der Bieter demgegenüber selber die Nachladeinfrastruktur herstellen.  Um die demnach technisch bzw. konzeptionell unterschiedlichen Angebote einer vergleichenden Angebotswertung unterziehen zu können, war das Land verpflichtet, auf der Ebene der Angebotswertung einen ausgleichenden Wertungsmechanismus vorzusehen. In der Regel kann ein öffentlicher Auftraggeber dies in derartigen Fällen wie auch in der vom OLG Schleswig-Holstein entschiedenen Konstellation mit Wertungsaufschlägen bewerkstelligen, die die Mehrkosten bei Beauftragung eines bestimmten Leistungsinhalts im Vergleich zu einem anderen Leistungsinhalt abbilden.

Um dem Wettbewerbsgrundsatz Rechnung zu tragen, müssen die Wertungsabschläge dabei so konzeptioniert sein, dass sie die wesentlichen Unterschiede zwischen den möglichen Leistungsinhalten in Bezug auf Kosten und Risiken einfangen. Hierfür muss der Auftraggeber einen guten Überblick über die diesbezüglichen Rahmenbedingungen der verschiedenen Lösungen haben. Der Transparenzgrundsatz verlangt zudem, dass die Konzeption der Wertungsaufschläge für die Bieter klar nachvollziehbar ist.

Hat der Auftraggeber auf diesem Wege die Vergleichbarkeit der Angebote sichergestellt, ist er jedenfalls insoweit vergaberechtlich auf der sicheren Seite. Unterschiede, die aus der Wettbewerbsstellung eines Unternehmens resultieren, muss der Auftraggeber nicht ausgleichen. Denn solche externen Marktgegebenheiten bilden die Rahmenbedingungen für den Wettbewerb um den öffentlichen Auftrag. Um eine Verbesserung der eigenen Marktposition muss sich jedes im Wettbewerb stehende Unternehmen selbst bemühen.

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Bei 18% Preisabstand zum nächsthöheren Angebot muss keine Aufklärung erfolgen! (VK Bremen, Beschl. v. 07.06.2019 – 16-VK 5/19)

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BauleistungenRecht

EntscheidungAb einem Preisabstand von 20% zum nächsthöheren Angebot werden wohl die meisten Auftraggeber Zweifel an der Auskömmlichkeit des besten Angebots haben und in eine vertiefte Preisprüfung eintreten. Doch was gilt für den Graubereich zwischen 10% und 20%? Einen solchen Fall hatte die Vergabekammer Bremen zu entscheiden.

VOB/A 2016 § 16 EU Abs. 1 Nr. 1, § 16d EU

Leitsatz (sofern vorhanden)

  1. Erscheint ein Angebotspreis unangemessen niedrig und ist anhand der vorliegenden Unterlagen über die Preisermittlung die Angemessenheit nicht zu beurteilen, ist in Textform vom Bieter Aufklärung über die Ermittlung der Preise für die Gesamtleistung oder für Teilleistungen zu verlangen.
  2. Bei der Entscheidung, ob eine Prüfung des Angebots erforderlich ist, sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Entscheidend ist die Frage, ob ein Missverhältnis von Preis und Leistung anzunehmen ist.
  3. Ein Preisabstand von 18% zwischen dem erstplatzierten und dem zweitplatzierten Angebot veranlasst die Vergabestelle in der Regel nicht zur vertieften Preisprüfung.

Sachverhalt

Bei einer europaweiten Bauausschreibung im offenen Verfahren war das Angebot des Bestbieters  18% günstiger als das nächsthöhere Angebot. Der Bieter auf dem zweiten Rang griff den beabsichtigten Zuschlag an, da das Angebot ungewöhnlich niedrig sei.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg!

Die Vergabekammer Bremen stellte fest, dass der Preisabstand von 18% zum zweitplatzierten Angebot noch nicht einmal die nähere Prüfung erfordert hätte, die § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 VOB/A bei ungewöhnlich niedrigen Angebotspreisen vorschreibt.

Die Rechtsprechung habe insoweit unterschiedliche Aufgreifschwellen herausgebildet. Eine vertiefte Prüfung wird teils erst bei einem Preisabstand von 20%, teils aber auch schon bei ein Abstand von 10% zum nächsthöheren Angebot angenommen. Bei einem Preisabstand von 18% ist nach Ansicht der Vergabekammer anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob eine vertiefte Prüfung erforderlich ist. Es sei dabei auch darauf abzustellen, ob ein Missverhältnis zwischen Preis und Leistung vorliege. Maßstab sei der Vergleich des Angebotspreises mit der ordnungsgemäßen Kostenschätzung des Auftraggebers. Von dieser Schätzung wich der Angebotspreis vorliegend nur 5% und damit geringfügig ab.

Abgesehen davon ließen die in der Vergabeakte enthaltenen Unterlagen und Stellungnahmen des Bieters auch  erkennen, dass das Angebot auskömmlich sei.

Rechtliche Würdigung

Zu Recht lehnt die Vergabekammer Bremen eine schematische Anwendung bestimmter Aufgreifschwellen ab und beschränkt sich nicht darauf, den Abstand zum nächsthöheren Angebotspreis zu betrachten. Je nach betroffenem Markt und Komplexität des Vorhabens können sich nämlich durchaus deutliche Schwankungen in der Preisgestaltung ergeben. Es erscheint sachgerecht, in Zweifelsfällen die ordnungsgemäße Kostenschätzung des Auftraggebers bei der Prüfung der Preise mit einzubeziehen. Dieser Vergleich ist auch weniger anfällig für Verzerrungen, die etwa bei mehreren Angeboten zu Dumpingpreisen entstehen können.

Praxistipp

Die Kostenschätzung des Auftraggebers bietet im Rahmen der Preisprüfung eine gute ergänzende Orientierung. Eine vorsorgliche Aufklärung ist in Zweifelsfällen hingegen nicht ohne weiteres zu empfehlen. Denn selbst, wenn sich infolge dieser Aufklärung Zweifel an der Auskömmlichkeit ergeben, darf der Auftraggeber das Angebot trotzdem nicht ausschließen, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass er zur Aufklärung nicht berechtigt war (vgl. Pfarr: OLG Karlsruhe: Aufklärungsverbot bei weniger als 10% Preisabstand (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.08.2014 15 Verg 7/14), Vergabeblog.de vom 9/10/2014, Nr.20267).

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Wer (sorgfältig) liest, ist klar im Vorteil! (VK Brandenburg, Beschl. v. 17.05.2019 – VK 3/19)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungMissverständnisse über den Inhalt der Vergabeunterlagen sind durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines potenziellen Bieters zu lösen. Maßgeblicher Auslegungsmaßstab ist der eines fachkundigen Bieters. Bewirbt sich ein Bieter auf vier Lose, obwohl er nur Kapazitäten zur Bedienung von zwei Losen hat, verstößt dies gegen den Wettbewerbsgrundsatz. Die Angebote für alle Lose sind zwingend auszuschließen.

§ 823 BGB, §§ 134, 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB, § 60 VgV

Sachverhalt

Der Antragsgegner schrieb Leistungen der Baumkontrolle für alle Autobahnmeistereien in vier Gebietslosen im offenen Verfahren europaweit aus. In den Ausschreibungsunterlagen wurde u.a. eine Zertifizierung der eingesetzten Baumkontrolleure nach der FLL-Richtlinie (Richtlinie der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau), die Angabe des Umsatzes der letzten drei Jahre, sowie die mit der Baumkontrolle verbundene Haftungsübernahme gemäß § 823 BGB gefordert. Die Ergebnisse der Baumkontrolle waren in sog. Kontrollblätter einzutragen. Zu jedem Gebietslos wurde ein Leistungsverzeichnis erstellt, das die Leistungsinhalte konkretisierte. So wurde zwischen einer Sichtkontrolle der Bäume vor Ort vom Boden aus und einer Inaugenscheinnahme bzw. einer Beobachtung durch einen fachlich qualifizierten Seitenblick durch Beobachtungsfahrt (Kontrolle Waldbestände) differenziert. Zur Kontrolle der Waldbestände war im Leistungsverzeichnis der Hinweis enthalten, dass Beobachtungsfahrten in einem Formblatt des Antragsgegners zu dokumentieren seien. Der Antragsgegner wies ausdrücklich darauf hin, dass die Kontrollblätter und weiteren Angaben bei der Kalkulation der Angebote zu beachten seien. Angebote waren für ein oder mehrere Lose statthaft. Eine Zuschlagslimitierung gab es nicht.

Der Antragsteller reichte Angebote für alle Lose unter dem Hinweis ein, Kapazitäten seien nur für zwei Lose vorhanden, Umsätze zum Jahresumsatz würden aufgrund des BDSG nicht erteilt und die Qualifikationszertifikate der Baumkontrolleure und der zu beschäftigten Nachunternehmer würden unaufgefordert nachgereicht. Das Angebot des Antragstellers war das mit Abstand teuerste.

Mit Vorabinformationsschreiben teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass der Zuschlag an zwei Mitbewerber gehen sollte. Daraufhin stellte der Antragsteller ein Aufklärungsersuchen. Er nehme an, dass zwischen seinen und den anderen Angeboten eine Preisdifferenz von mehr als 25 % liege. Die Prüfung der Auskömmlichkeit der Preise bezweifle er. Nahe liegend sei, dass der Zuschlag auf ungewöhnlich niedrige Angebote beabsichtigt sei. Nach Abforderung der Urkalkulation durch den Antragsgegner wurde erkennbar, dass der Antragsteller von einer fußläufigen Baumkontrolle der Waldbestände unter Zugrundelegung der FLL-Richtlinie ausgegangen war und nicht wie die restlichen Mitbewerber von einer Kontrolle durch Seitenblick mittels Beobachtungsfahrt.

Der Antragsteller rügte daraufhin, dass ihm keine Möglichkeit zur Nachbesserung des Angebots gegeben worden sei, ein Verstoß gegen das Gebot des fairen Wettbewerbs vorliege und nach den Vergabeunterlagen in keinster Weise von einer Kontrollfahrt mit Fahrzeug auszugehen sei. Insbesondere verstoße dies gegen die Baumkontrolle nach der FLL-Richtlinie. Waldbestände seien zwingend fußläufig zu kontrollieren. Da der Antragsgegner keine Abhilfe leistete, reichte der Antragsteller Nachprüfungsantrag aus o.g. Gründen ein und beantragte neben einer Neuausschreibung Schadensersatz im Zuge der Angebotserstellung, Durchführung des Nachprüfungsverfahrens und drohenden entgangenen Gewinns.

Die Entscheidung

Erfolglos! Die VK wies den Nachprüfungsantrag als unbegründet ab. Zunächst seien jegliche Schadensersatzansprüchen vor der Zivilgerichtsbarkeit geltend zu machen. Auch konnte der Antragsteller mit seinem Vortrag, die Ausschreibungsunterlagen seien als Grundlage zur Angebotskalkulation uneindeutig, nicht durchdringen. Ein Verstoß gegen § 121 Abs. 1 S. 1 GWB sah die Kammer nicht. Die vom Antragsgegner zur Verfügung gestellten Vergabeunterlagen seien klar und verständlich und enthielten eine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung. Auch die größte Sorgfalt bei der Erstellung von Vergabeunterlagen könne nicht verhindern, dass Unklarheiten auftreten und der Bieter ggf. gehalten sei, den Inhalt der Unterlagen auszulegen. Abzustellen sei hierbei auf den objektiven Empfängerhorizont eines potenziellen Bieters.

Die Vergabeunterlagen und Kontrollblätter unterschieden zwischen der Kontrolle bei Einzelbäumen und bei flächigem Baumbestand. Es werde klar zwischen der Vornahme von Beobachtungsfahrten bzw. Inaugenscheinnahme bei flächigem Baumbestand und fußläufigen Kontrollen bei Einzelbäumen differenziert. Zudem wies der Antragsgegner explizit auf die Relevanz der Angaben in den Kontrollblättern für die Kalkulation hin. Die FLL-Richtlinie stehe den Ausschreibungsunterlagen nicht entgegen. Der Antragsteller habe die Durchführung der Baumkontrollen konsequent nach der FLL-Richtlinie berechnet und nicht beachtet, dass die Kontrolle der Waldbestände nicht fußläufig und durch Dokumentation auf einem Kontrollblatt des Antraggegners zu erfolgen habe. Seinen Mitbewerbern sei dies nicht passiert.

Nach Auffassung der VK, setzte der Antragsteller seine Fachkenntnis an die Stelle der Notwendigkeit, die Leistungsbeschreibung und das Leistungsverzeichnis vor Angebotsabgabe Wort für Wort zu lesen. Der an den objektiven Empfängerhorizont zu stellen Maßstab werde jedoch nicht durch einen Bieter, sondern vom Durchschnitt der fachkundigen Bieter bestimmt. Eine Diskrepanz bestehe damit zwischen Angebotspreisen der Mitbewerber und seinen Angebotspreisen und nicht zwischen deren Angebotspreisen und den von diesen als Kalkulationsgrundlage zutreffend erkannten Ausschreibungsunterlagen. Ein Verstoß gegen § 121 Abs. 1 S. 1 GWB liege damit nicht vor. Auch ein Verstoß gegen § 60 VgV sei nicht zu erkennen.

Ein vergabewidriges Verhalten sei jedoch dem Antragsteller zu Last zu legen: Dieser habe sich wettbewerbswidrig verhalten, indem er Angebote für vier Lose eingereicht habe, jedoch offensichtlich nur Kapazitäten für die Bedienung von zwei Losen habe. Da der Auftraggeber keine Zuschlagslimitierung festgelegt habe, müsse sich der Bieter auf die Lose beschränken, die er bei Zuschlagserteilung auch abarbeiten könne. Schon deshalb seien die Angebote des Antragstellers damit nicht zuschlagsfähig.

Rechtliche Würdigung

Die VK Brandenburg orientiert sich zurecht an den von der Rechtsprechung normierten Anforderungen an die Leistungsbeschreibung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.12.2017 – VII-Verg 19/17 und Beschl. v. 28.03.2018 – VII-Verg 52/17): Vergabeunterlagen müssen eindeutig und unmissverständlich formuliert sein. Geringe Unklarheiten sind jedoch aufgrund auslegungsfähiger Begrifflichkeiten und einem unterschiedlichen Verständnis je nach Empfängerhorizont nicht zu vermeiden.

Welche Bemühungen Bietern bei der Auslegung von Vergabeunterlagen konkret zuzumuten sind bzw. welche Anforderungen an den öffentlichen Auftraggeber bei deren Formulierung zu stellen sind, musste im vorliegenden Fall gar nicht entschieden werden. Die Leistungsbeschreibung war so eindeutig, dass es keiner größeren Diskussion in den Beschlusssätzen bedurfte. Unklar bleibt daher weiterhin, wie groß der Ermessenspielraum des öffentlichen Auftraggebers bei der Erstellung der Vergabeunterlagen in inhaltlicher Hinsicht ist.

Die Beurteilung wie anspruchsvoll und zeitintensiv die Lektüre und Auslegung einer Leistungsbeschreibung aus Bietersicht sein darf, ohne die Grenzen der Vergaberechtswidrigkeit zu überschreiten, obliegt damit weiterhin der Auslegung durch die Vergabekammern. Der Ausschluss eines Bieters, der sich (optional) auf alle Lose bewirbt, jedoch nur zwei Lose im Zuschlagsfall bedienen kann, ist aus wettbewerbsrechtlicher Sicht nur konsequent und richtig.

Praxistipp

Die sorgfältige Lektüre der Vergabeunterlagen sollte das oberste Gebot eines jeden Bieters vor der Angebotserstellung sein. Insbesondere, wenn man als offensichtlich einziger Bieter ein gänzlich konträres Verständnis der Leistungsbeschreibung im Vergleich zu seinen Mitbewerbern erlangt hat, sollte man sich fragen, ob man möglicherweise selbst etwas missverstanden hat.

Gleichzeitig bietet das Studium der Vergabeunterlagen aber auch die Möglichkeit, das Vergabeverfahren bei Unklarheiten seitens des öffentlichen Auftraggebers zu Fall zu bringen und die eigenen Zuschlagschancen so zu erhöhen. Vorher sollte jedoch geprüft werden, ob das eigene Angebot vergaberechtskonform erstellt und eingereicht wurde: Ansonsten fliegt einem der Nachprüfungsantrag, wie im vorliegenden Fall, im wahrsten Sinne um die Ohren.

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Keine Pflicht zur Angabe einer Höchstgrenze in Rahmenvereinbarungen! (VK Bund, Beschl. v. 19.07.2019 – VK 1-39/19)

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Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungÖffentliche Auftraggeber brauchen bei der Vergabe von Rahmenvereinbarungen weder einen Gesamtwert, noch einen Wert der zu vergebenden Aufträge anzugeben, wenn die genaue Ermittlung der Mengenangabe nicht (hinreichend) möglich ist.

§ 21 Abs. 1 S. 2 VgV; Art. 33 RL 2014/24/EU, Art. 49 i.V.m. Anhang V Teil C Nr. 10a RL 2014/24/EU

Sachverhalt

Die VK Bund hatte über ein im Rahmen der seit April 2016 geltenden Vergabeverordnung eingeleitetes Vergabeverfahren zu entscheiden, dessen Gegenstand in der Vergabe einer Rahmenvereinbarung zur Erbringung von Unterstützungsdienstleistungen im Rahmen der Fallbearbeitung bestand. Auftraggeberin war eine gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung. Vom Dienstleister sollten insbesondere saisonale Spitzen bei der Prüfung von Anträgen von Versicherten der Auftraggeberin auf Erstattung von Rechnungen für ärztliche und pflegerische Leistungen erbracht werden. In der EU-Bekanntmachung hatte die Auftraggeberin unter Ziffer II.1.5 (Geschätzter Gesamtwert) keine Angaben gemacht, dafür aber in Ziffer II.2.4 Beschreibung der Beschaffung auf konkret benannte Vertragsunterlagen verwiesen, in denen die Menge der vom Auftragnehmer zu erbringenden Bearbeitungsprozesse und die entsprechenden Abrufzeiträume genannt wurden. Zudem waren für jeden der ausgeschriebenen Bearbeitungsprozesse Fallzahlen je Monat aufgeführt. Die angegebenen Mengen schwankten zwischen den Monaten stark. Bei einigen Bearbeitungsprozessen fielen für mehrere Monate überhaupt keine Fälle an. Schließlich enthielten die Unterlagen den Hinweis, dass es sich bei den Angaben um eigene Erfahrungswerte aus den letzten Jahren handelte, die lediglich als Kalkulationsgrundlage dienen sollten, absolute Fallmengen könnten nicht zugesichert werden.

Die Antragstellerin macht mit ihrem Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes u.a. geltend, dass die Antragsgegnerin entgegen der Entscheidung des EuGH vom 19. Dezember 2018 (Rs. C-216/17 „Antitrust und Coopservice“, Schröder, ) nicht das maximale Abrufvolumen, den maximalen Auftragswert und die Höchstmengen angegeben habe. Sie habe lediglich Erfahrungswerte, die zudem zeigten, dass die Antragsgegnerin zumindest über gewisse Erkenntnisse über den zu erwartenden Auftragswert verfüge, in den Vergabeunterlagen aufgeführt. Diese hätten zudem in der EU-Bekanntmachung angegeben werden müssen.

Die Antragsgegnerin trägt vor, hinsichtlich der Festlegung von Mindest- und Maximalabnahmemengen sei sie bei der Vorbereitung des Vergabeverfahrens zu dem Schluss gekommen, dass eine dezidierte Festlegung nicht abschließend möglich sei. Der Bedarf an Unterstützungsleistungen bei der Fallbearbeitung sei von externen Faktoren abhängig, die die Antragsgegnerin nicht beeinflussen könne (Anzahl der eingehenden Fälle der Versicherten, die sowohl jährlichen als auch saisonalen Schwankungen unterlägen). Zudem könne die Antragsgegnerin bei einer exakten Festlegung von Mindest- und Maximalabnahmemengen nicht wie beabsichtigt flexibel auf saisonale Spitzen bei der Fallbearbeitung reagieren. Die von der Antragstellerin zitierte Entscheidung des EuGH sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.

Die Entscheidung

Die VK Bund schließt sich der Sichtweise der Antragsgegnerin an. Diese war nicht verpflichtet, bei dieser Rahmenvereinbarung das maximale Abrufvolumen, den maximalen Auftragswert und die abzurufenden Höchstmengen anzugeben.

Ausgangspunkt ist § 21 Abs. 1 S. 2 VgV. Danach muss ein öffentlicher Auftraggeber bei Rahmenvereinbarungen das in Aussicht genommene Auftragsvolumen nur so genau wie möglich ermitteln und bekannt geben, braucht dies aber nicht abschließend vorab festzulegen.

Die VK Bund stellt fest, dass den Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 S. 2 VgV genügt wird, wenn der Auftraggeber so valide wie möglich Erfahrungswerte zugänglich macht, die ihm bekannt sind und die er mit zumutbarem Aufwand ermitteln kann. Dies ist in dem vorliegenden Fall geschehen. Bei der vorliegend ausgeschriebenen Rahmenvereinbarung hing der vom Auftraggeber zu ermittelnde Auftragsumfang von Ereignissen ab, die der Auftraggeber nicht sicher vorhersehen und nicht beeinflussen konnte, weil sie nicht vollständig in seiner Sphäre lagen. Denn die Inanspruchnahme der ausgeschriebenen Leistungen hing hier von der Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen durch die Versicherten ab. Die Erfahrungswerte hatte die Antragsgegnerin nach Ansicht der VK Bund ausreichend zugänglich gemacht, da sie den Bietern alle ihr zur Verfügung stehenden validen Daten zugänglich gemacht hatte, nämlich eine Liste, aus der die Bieter basierend auf den Erfahrungswerten der Antragsgegnerin der letzten Jahre die monatlichen Fallzahlen der einzelnen Bearbeitungsprozesse und die hierbei auftretenden Schwankungen ersehen konnten. Auch wenn hinsichtlich des Auftragsumfangs weiterhin erhebliche Kalkulationsrisiken bei den Bietern verblieben sind, war diese Vorgehensweise des Antragsgegners nach Auffassung der VK Bund mithin vergaberechtskonform.

Anschließend stellt die VK Bund ausdrücklich fest, dass die Entscheidung des EuGH vom 19. Dezember 2018 (Rs. C-216/17) auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar ist. Denn diese ist ausschließlich zur alten Rechtslage nach der RL 2004/18/EG ergangen und findet auf die aktuelle Rechtslage nach der RL 2014/24/EU keine Anwendung.

Wie Art. 1 Abs. 5 der alten Richtlinie 2004/18/EG verlangt die aktuelle Richtlinie in Art. 33 Abs. 1, Abs. 2 RL 2014/24/EU, der durch § 21 VgV in deutsches Recht umgesetzt wurde, ebenfalls nur, dass die in Aussicht genommene Menge vom Auftraggeber gegebenenfalls im Vorhinein festgelegt werden muss. Darüber hinaus unterscheide sich die aktuelle Richtlinie von der vorangehenden gerade in einem für die VK Bund ausschlaggebenden Punkt: Bekanntmachungen mussten bei Rahmenvereinbarungen über Dienstleistungen nach dem früheren Recht u.a. die Angabe des für die gesamte Laufzeit der Rahmenvereinbarung veranschlagten Gesamtwerts der Dienstleistungen enthalten (Art. 36 Abs. 1 i.V.m. Anhang VII Teil A der RL 2004/18/EG). Demgegenüber verlangt das aktuelle Recht nur noch, dass der Wert oder die Größenordnung der zu vergebenden Rahmenvereinbarung soweit möglich angegeben wird (Art. 49 i.V.m. Anhang V Teil C Nr. 10a) der RL 2014/24/EU).

Offen gelassen hat die VK Bund, ob die aktuellen EU-Bekanntmachungsregeln verlangen, dass ein Auftraggeber die Erfahrungswerte, die die Antragsgegnerin vorliegend nur in den Vergabeunterlagen mitgeteilt hat, bereits in der EU-Bekanntmachung angeben muss. Die Rechtsfrage war nicht zu entscheiden, da selbst wenn eine solche Bekanntgabe erforderlich sei, die Antragstellerin vorliegend jedenfalls nicht in ihren Rechten verletzt war. Sie hatte sich auch ohne die Bekanntmachung der Erfahrungswerte an dem Vergabeverfahren beteiligt und auch selbst nicht vorgetragen, inwieweit die vorherige Bekanntmachung des Mengengerüsts ihre Zuschlagsaussichten verbessert hätte.

Rechtliche Würdigung

Die Auffassung der VK Bund ist zutreffend.

Zunächst fügen sich ihre Ausführungen zum § 21 Abs. 1 S. 2 VgV bereits ein in eine vorangehende Entscheidung des OLG Celle vom 19. März 2019 (13 Verg 7/13, Probst, ). In der bereits nach der Entscheidung des EuGH ergangene Entscheidung führt das OLG aus:

Auch hier ist der öffentliche Auftraggeber aber verpflichtet, seinen voraussichtlichen Bedarf so sorgfältig zu ermitteln, wie dies möglich und zumutbar ist. Ist dies nicht möglich, reicht es auch aus, bisherige Erfahrungswerte zugänglich zu machen, die dem Bieter möglichst präzise mitzuteilen sind, damit sie selbst die in der Zukunft erfolgenden Einzelaufträge hinreichend sicher prognostizieren können. (Hervorhebung hinzugefügt)

Die VK Bund verweist sodann zu Recht auf den Unterschied, der sich aus dem aktuellen Anhang V Teil C Nr. 10a der RL 2014/24/EU gegenüber dem vorangehenden Anhang VII Teil A, Nr. 6 Buchst. c der RL 2004/18/EG ergibt. Der in der aktuellen Richtlinie weggefallene Passus stellte nach der alten Rechtslage die einzige ausdrückliche Pflicht dar, nach der der veranschlagte Gesamtwert für die gesamte Laufzeit der Rahmenvereinbarung anzugeben war. Diese Pflicht stand zwar in klarem Widerspruch zu dem damaligen Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG, welcher (lediglich) bestimmt, dass die in Aussicht genommene Menge gegebenenfalls festzulegen ist. Die Richtlinie selbst gab damit aber zumindest einen ausdrücklichen Anhaltspunkt dafür her, dass der europäische Gesetzgeber damals die Angabe einer Höchstgrenze gewollt haben könnte. Damit war die Möglichkeit einer entsprechenden Auslegung des Art.1 Abs. 5 RL 2004/18/EG für den EuGH eröffnet.

Nunmehr ist die Rechtslage ausdrücklich anders.

Der klare Anknüpfungspunkt ist weggefallen. Verblieben ist im aktuellen Anhang V Teil C Nr. 10a der RL 2014/24/EU nur noch, dass ein öffentlicher Auftraggeber eine Angabe des Werts oder der Großen­ordnung und der Haufigkeit der zu vergebenden Auftrage soweit möglich vornehmen muss. Der Widerspruch zu der Regelung in der Richtlinie, die nunmehr nahezu identisch in Art. 33 Abs. 1 RL 2014/24/EU zu finden ist, hat sich damit aufgelöst. Die Auslegung des EuGH müsste im Rahmen der aktuellen Richtlinie mithin nicht nur entgegen den ausdrücklichen Wortlaut des Art. 33 Abs. 1 RL 2014/24/EU erfolgen, sondern auch entgegen den Wortlaut des Anhangs V Teil C Nr. 10a der RL 2014/24/EU. Erschwerend kommt hinzu, dass durch die Änderung des Wortlauts in dem Anhang der Richtlinie dieser als entscheidendes Argument für die Angabe einer Höchstmenge entfallen ist. Ein Aufrechterhalten des Auslegungsergebnisses allein auf der Grundlage der übrigen vom EuGH herangezogenen Argumente dürfte auf dieser Grundlage rechtlich schwer vorstellbar sein (so aber bspw. Schröder in einem Beitrag vom 28. Januar 2019 in diesem Blog). Dies gilt umso mehr, als der EuGH in seiner Entscheidung selbst zutreffend in Bezug auf die Angabe des Wertes und der Häufigkeit jedes einzelnen der abzuschließenden Folgeaufträge festgestellt hat, dass dem öffentlichen Auftraggeber insoweit nur die Pflicht obliegt, sich zu bemühen.

Im Hinblick auf die vom EuGH festgestellte Beeinträchtigung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung, die durch eine andere Auslegung als die vom EuGH getroffene möglich sein soll, ist festzuhalten, dass eine Beeinträchtigung von Grundsätzen im Europarecht nicht per se unzulässig ist, sofern sie gerechtfertigt werden kann. Dies ist vorliegend anzunehmen. Erstens handelt es sich nicht um einen schwerwiegenden Eingriff. Zweitens würde ein Beibehalten der Pflicht zur Angabe von Höchstgrenzen in solchen Fällen, in denen deren Ermittlung nicht möglich ist, dazu führen, dass öffentliche Auftraggeber faktisch auf das Instrument der Rahmenvereinbarung nicht zurückgreifen könnten. Dies ist vom europäischen Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt. Nicht umsonst hat er im Erwägungsgrund 60 der RL 2014/24/EU festgehalten: Das Instrument der Rahmenvereinbarungen findet breite Anwendung und wird europaweit als eine effiziente Be­schaffungsmethode angesehen. Daher sollte daran weit­gehend festgehalten werden.

Praxistipp

Noch bleibt abzuwarten, ob andere Vergabekammern und Vergabesenate der Auffassung der VK Bund folgen. Bis dahin sollten öffentliche Auftraggeber weiter Vorsicht walten lassen. In jedem Einzelfall ist zu prüfen, ob die Angabe von Werten der zu vergebenden Einzelaufträge und eines zu ermittelnden Gesamtwertes möglich ist oder nicht. Ist es jedoch nicht möglich, einen maximalen Wert zu ermitteln, kann auf diesen verzichtet werden. Zumindest sollten aber vorhandene Erfahrungswerte bekannt gemacht werden. Die Gründe, aus denen eine Angabe nicht möglich ist, sollten in der Vergabeakte dokumentiert werden. Ist die Ermittlung eines Wertes möglich, sollte dieser sicherheitshalber bereits in der Bekanntmachung aufgeführt werden. Bieter müssen etwaige Kalkulationsrisiken bei einer fehlenden Obergrenze/Höchstmenge bei der Angebotserstellung mit einpreisen.

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VK Südbayern: § 134 GWB-Informationsschreiben – Beschluss bestandskräftig

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Politik und MarktRecht

EntscheidungAufgrund des großen und kontroversen Interesses an der Entscheidung der VK Südbayern zur Form der Informationsschreiben nach § 134 GWB (siehe ), teilt die Vergabekammer in der vergangenen Woche mit, dass der Beschluss durch die Verwerfung der sofortigen Beschwerde als unzulässig durch das OLG München (Beschl. v. 28.08.2019 – Verg 11/19) bestandskräftig geworden ist. Eine inhaltliche Positionierung des OLG zur Frage der Mitteilung nach § 134 GWB ist dabei aber nicht erfolgt.

Die Entscheidung der Vergabekammer ist auch Gegenstand einer Diskussion im Mitgliederbereich des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW), hier. Noch kein Mitglied? Zur kostenlosen Mitgliedschaft geht es hier.

Quelle: VK Südbayern

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Inwieweit darf die HOAI bei der Vergabe von Planungsleistungen noch eine Rolle spielen? (VK Bund, Beschl. v. 30.08.2019 – VK 2-60/19)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungDer EuGH hat die preisrechtlichen Regelungen der HOAI in seinem Urteil vom 04.07.2019 als europarechtswidrig eingestuft. Die Vergabekammer des Bundes hatte sich – soweit ersichtlich als erste Nachprüfungsinstanz – mit den Auswirkungen dieses Urteils auf eine Ausschreibung von Planungsleistungen zu befassen. Die VK Bund vertritt dabei eine sehr restriktive Auffassung: Öffentliche Auftraggeber dürfen kein Vergütungssystem vorgeben, dass zur (teilweisen) Beachtung der Mindestsätzen gemäß HOAI zwingt.

§ 127 Abs. 2 GWB; § 76 VgV

Leitsatz

  1. Nach der Entscheidung des EuGH vom 04.07.2019 ergibt sich für einen öffentlichen Auftraggeber das Verbot, die EU-rechtswidrigen Vorschriften der HOAI bei der Vergabe von Planungsleistungen als Zuschlagskriterium anzuwenden.
  2. Es steht nicht zur Disposition des Auftraggebers und der Bieter, die Entscheidung des EuGH als nicht relevant zu qualifizieren. Auch wenn alle Beteiligten einer Vergabe „nach Mindestsätzen“ zustimmen, leidet die Vergabe unter einem Rechtsverstoß, den die Nachprüfungsinstanzen unabhängig von einer Rüge verfolgen müssen.

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb Planungsleistungen in einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb aus. Das  Verfahren war noch vor dem 4. Juli 2019 – und damit vor dem EuGH-Urteil zur teilweisen EU-Rechtswidrigkeit der HOAI – weitestgehend abgeschlossen. Lediglich die finale Wertung und die Information der nichtberücksichtigten Bieter stand noch aus.

Soweit die ausgeschriebenen Leistungen der HOAI unterfielen, gab der öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen vor, dass die Preiskalkulation der Bieter nach den Regelungen der HOAI zu erfolgen hatte. Dies betraf im konkreten Fall rund 35% des Leistungsumfangs.  Nachdem der Auftraggeber die nichtberücksichtigten Bieter über die vorgesehene Zuschlagserteilung informierte, rügte der Zweitplatzierte die Angebotswertung. Er griff dabei jedoch ausschließlich die Wertung in den qualitativen Zuschlagskriterien an. Die preisliche Wertung hingegen wurde nicht thematisiert. Diese griff erst die Vergabekammer im Rahmen des anschließenden Nachprüfungsverfahrens auf. Die VK Bund sah in den Vorgaben zur Kalkulation (teilweise) auf Basis der HOAI einen von Amts wegen aufzugreifenden Umstand.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer des Bundes hielt die Vorgabe, wonach Teile der zu erbringenden Leistung auf Grundlage der HOAI und damit auch unter Beachtung der Regelungen zum Mindestsatz zu kalkulieren waren, für vergaberechtswidrig. Dies sahen im konkreten Fall nicht nur die Antragsgegnerin und die Beigeladene sondern selbst die Antragstellerin anders.

Dass der auf Basis der HOAI zu kalkulierende Anteil nur 35% der Gesamtleistung betraf und mithin der überwiegende Teil der Leistungen – und damit letztlich auch der Gesamtpreis – nach freiem Ermessen der Bieter kalkuliert werden konnte, sah die VK Bund als irrelevant an. Dass ein gewisser Anteil des Gesamthonorars nicht „frei“ kalkuliert werden konnte, hätte sich nach Auffassung der Vergabekammer auf das Gesamthonorar auswirken können, was für einen Verstoß genüge.

Die Vergabekammer führt in ihrer Begründung aus, dass sich seit dem EuGH-Urteil vom 4. Juli 2019 für öffentliche Auftraggeber ein Verbot ergebe, die EU-rechtswidrigen Regelungen der HOAI weiter anzuwenden. Dies folge aus Art. 260 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit den Grundsätzen über den Anwendungsvorrang des EU-Rechts. Aus demselben Grund sei dieser Umstand auch dann von Nachprüfungsinstanzen aufzugreifen, wenn dies seitens der Antragstellerin weder gerügt noch im Nachprüfungsverfahren vorgetragen wurde.

Rechtliche Würdigung

Nach Auffassung der VK Bund hat das EuGH-Urteil auf künftige und sogar noch laufende Planervergaben unmittelbare Auswirkungen. Gibt ein Auftraggeber vor, dass die Preiskalkulation (auch nur teilweise) auf Basis des § 7 HOAI zu erfolgen hat, sind die Zuschlagskriterien nach Auffassung der Vergabekammer des Bundes insoweit vergaberechtswidrig. Diese Vorgabe erscheint zunächst sehr restriktiv, ist aber letztlich mit Blick auf die Pflicht zur Durchsetzung des EuGH-Urteils konsequent.Ein öffentlicher Auftraggeber muss folglich Bietern durch entsprechende Ausgestaltung der Vergabeunterlagen ermöglichen, ein Honorar abzubieten, dass die EU-rechtswidrigen Regelungen der HOAI vollständig unberücksichtigt lässt.Sofern Vergabeverfahren bereits begonnen wurden, ohne dass dieser Umstand Berücksichtigung fand, ist die Preisabfrage entsprechend anzupassen. Sollten bereits finale Angebote vorliegen, muss nach Auffassung der VK Bund zumindest die finale Preisabfrage ohne Bindung an die HOAI-Regelungen zu Mindest- und Höchstsätzen wiederholt werden.  Eine vollständige Zurückversetzung des Verfahrens wird hingegen in der Regel nicht erforderlich sein.

Praxistipp

Die Entscheidung der Vergabekammer des Bundes zeigt, dass öffentliche Auftraggeber künftig hinsichtlich des Honorarangebots den Bietern ermöglichen müssen, den von der HOAI gesetzten Preisrahmen zu verlassen. Dies bedeutet nicht, dass die HOAI damit keine Rolle mehr spielen darf. Im Gegenteil: Der EuGH sieht lediglich die zwingenden Preisvorgaben der HOAI als EU-rechtswidrig an. Analog hierzu dürfen diese Regelungen nicht mehr zwingend in einem Vergabeverfahren verankert werden. Die übrigen Regelungen der HOAI dürfen hingegen ohne Weiteres angewendet werden.

Welche Möglichkeiten haben öffentliche Auftraggeber künftig bei der Preisabfrage?

Öffentliche Auftraggeber haben weiterhin die Möglichkeit, das Verfahren so zu gestalten, dass sich auch die Vergütung weitestgehend an den bekannten Regelungen der HOAI orientiert und die Bieter dennoch frei kalkulieren können. Dies kann insbesondere dadurch umgesetzt werden, dass das Preisblatt einen prozentualen Zu-/Abschlag auf das angebotene Honorar vorsieht. Dieses Vorgehen wird auch im entsprechenden Erlass des BMI sowie im Vertragsmuster der RBBau empfohlen (vgl. „Hinweise zur Anwendung der HOAI – Angepasste Vertragsmuster RBBau“, /).

Alternativ ist auch die Abfrage einer Gesamtpauschale bzw. von Teilpauschalen für Einzelleistungen möglich. Der Vertrag müsste in diesem Fall entsprechend ausgestaltet sein, da die Vergütung dann gerade nicht mehr nach den Regelungen der HOAI erfolgt. Inwieweit dies sinnvoll ist, kommt jedoch auf den Einzelfall an. In jedem Fall sollte dann das Vergabeverfahren so gestaltet sein, dass eine qualitativ hochwertige Leistungserbringung sichergestellt ist. Anderenfalls könnte den Auftraggeber ein vermeintlich „billiges“ Angebot teuer zu stehen kommen.

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Die Zukunft der Vergabe von Rettungsdienstleistungen – Einige Antworten nach dem EuGH-Urteil

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Gesundheits- & SozialwesenLiefer- & DienstleistungenRecht

Im ersten Teil dieses Beitrags wurde das Urteil des EuGH vom 21. März 2019 in der Rechtssache C-465/17 besprochen, in dem der Gerichtshof zur Vergabe von Rettungsdienstleistungen entschieden hat, dass grundsätzlich die Notfallrettung und wohl in aller Regel auch der qualifizierte Krankentransport von der Bereichsausnahme in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB erfasst sind. In diesem zweiten Teil soll der Frage nachgegangen werden, wie sich diese Entscheidung auf zukünftige Vergaben von Rettungsdienstleistungen auswirkt. Denn durch das EuGH-Urteil sind die sich in der Praxis stellenden Fragen eher mehr als weniger geworden: Ist die Durchführung eines wettbewerblichen und nichtdiskriminierenden Verfahrens wegen des EU-Primärrechts, aufgrund von Landesrettungsdienstgesetzen oder wegen beihilferechtlicher Anforderungen erforderlich? Können öffentliche Auftraggeber über die Anwendung von § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB frei disponieren? Wie soll gegebenenfalls eine Auswahl zwischen konkurrierenden gemeinnützigen Organisationen vonstattengehen? Diese und weitere Folgefragen werden in diesem Beitrag beleuchtet.

I. Wie sind Rettungsdienstleistungen zukünftig zu vergeben?

1. EU-Primärrecht ist zu beachten

Der EuGH hat in seinem Urteil ausschließlich Stellung zur Auslegung der Bereichsausnahme in Art. 10 lit. h der Richtlinie 2014/24/EU genommen. Er hat sich aber nicht dazu geäußert, ob bei Unanwendbarkeit der Richtlinie jedenfalls ein primärrechtliches Verfahren durchzuführen ist. Auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofes ist jedoch anzunehmen, dass bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Interesses ein solches wettbewerbliches Verfahren unter Einbindung sämtlicher interessierter Wirtschaftsteilnehmer durchgeführt werden muss. Der Gerichtshof hat nämlich in der Vergangenheit bei Unterschwellenvergaben, bei (damals nicht sekundärrechtlich geregelten) Dienstleistungskonzessionen sowie bei den früheren I-B Dienstleistungen entschieden, dass das Primärrecht die Durchführung eines wettbewerblichen und diskriminierungsfreien Verfahrens erfordert, wenn die Richtlinien nicht oder nicht vollständig anwendbar sind (EuGH, Urt. v. 10.3.2011, C-274/09 – Krankentransport Stadler, Rn. 49; EuGH, Urt. v. 11.12.2014, C-113/13 – Spezzino, Rn. 45; EuGH, Urt. v. 28.1.2016, C-50/14 – CASTA, Rn. 53). Dasselbe muss daher auch für Rettungsdienstleistungen gelten, die aufgrund von Art. 10 lit. h der Richtlinie 2014/24/EU nicht von dieser erfasst sind. Zwar wird teilweise argumentiert, die Bereichsausnahme stelle nicht nur eine Ausnahme von der Richtlinie, sondern auch vom AEUV dar. Eine derart weitreichende Vollharmonisierung durch eine sekundärrechtliche Vorschrift hat der EuGH bisher aber nur in Fällen anerkannt, in denen die Vorschrift einen Sachverhalt positiv umfassend und detailliert geregelt hat. Bei der Bereichsausnahme in Art. 10 lit. h ist genau das Gegenteil der Fall – sie trifft keinerlei positive Regelungen. Das Primärrecht wird also nicht verdrängt und dessen Anwendbarkeit ist vor jeder konkreten Vergabe vorab zu prüfen.

2. Grenzüberschreitendes Interesse

Der Anspruch von Wirtschaftsteilnehmern auf die Durchführung eines primärrechtlichen Auswahlverfahrens folgt aus ihrer Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49, 56 AEUV. Diese Grundfreiheiten kommen jedoch nur dann zum Tragen, wenn die zu vergebenden Rettungsdienstleistungen Binnenmarktrelevanz aufweisen. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofes (EuGH, Urt. v. 23.11.2017, C-486/17 – Olympus Italia; EuGH, Urt. v. 16.10.2016, C-318/15 – Tecnoedi Costruzioni) müssen Auftraggeber positiv feststellen, ob an einem zu vergebenden Auftrag ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht. Hierbei handelt es sich um eine prognostische Einzelfallprüfung, die vor der Auftragsvergabe durchzuführen ist. Als Anknüpfungspunkte anerkannt sind dabei die technischen Merkmale beziehungsweise Besonderheiten der Leistungen oder nachweislich ernsthafte Beschwerden von Unternehmen anderer Mitgliedstaaten (EuGH, Urt. v. 15.5.2008, C-147/06 und C-148/06 – SECAP). Ein weiteres wichtiges Indiz für das grenzüberschreitende Interesse ist die Erbringung der Leistung in Grenznähe. Oftmals wird aber der Umfang des Auftrags ausschlaggebend sein. Denn wenn das Auftragsvolumen die Schwellenwerte für die Anwendbarkeit des GWB-Vergaberechts überschreitet, liegt ein grenzüberschreitendes Interesse nahe. Dies gilt auch dann, wenn die geographische Lage des Leistungsortes in der Mitte eines Mitgliedstaates diesen für ausländischer Anbieter grundsätzlich weniger attraktiv macht (vgl. VG Kassel, Urt. v. 6.10.2017, 5 K 939/13.KS).

3. Rechtfertigung für Eingriff in Grundfreiheiten?

Die Direktvergabe von Rettungsdienstleistungen ohne wettbewerbliches Verfahren stellt bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Interesses einen Eingriff in Art. 49, 56 AEUV dar. Dieser kann zwar unter Umständen gerechtfertigt sein, die Anforderungen an eine solche Rechtsfertigung sind aber streng. Es muss ein zwingender Grund des Allgemeininteresses vorliegen. Es darf auch keine weniger strenge Maßnahme zur Verfügung stehen, um das Allgemeininteresse zu schützen. Der Gerichtshof hat eine solche Rechtfertigung in zwei italienischen Fällen angenommen, in denen die mit Krankentransporten beauftragten Organisationen mit ihrer Auftragstätigkeit keinen Gewinn erwirtschafteten und sich hauptamtlicher Mitarbeiter nur insoweit bedienten, wie es für die Aufrechterhaltung eines geregelten Betriebs erforderlich ist (EuGH, Urt. v. 11.12.2014, C-113/13 – Spezzino; EuGH, Urt. v. 28.1.2016, C-50/14 – CASTA). Diese Voraussetzungen werden allerdings im deutschen Rettungsdienstwesen nicht erfüllt, da die Anbieter von Notfallrettung und qualifiziertem Krankentransport aufgrund der hohen Qualitätsanforderungen an das Personal im Wesentlichen hauptamtliche Mitarbeiter einsetzen und nur in geringem Umfang Freiwilligenhelfer. Darüber hinaus erzielen sie mit Rettungsdienstleistungen ganz überwiegend Gewinne.

Im Übrigen kann in Deutschland der mit der Bereichsausnahme angeblich verfolgte Zweck, nämlich die Sicherstellung der Aufwuchsfähigkeit der Hilfsorganisationen im Zivil- und Katastrophenschutz, auch im Rahmen von wettbewerblichen Rettungsdienstvergaben sichergestellt werden. So haben Träger bei Ausschreibungen nach dem GWB-Vergaberecht beispielsweise die Zusammenarbeit mit dem Katastrophenschutz und ehrenamtlichen Strukturen als qualitatives Zuschlagskriterium gewertet und so die Belange des Zivil- und Katastrophenschutzes berücksichtigt (vgl. etwa TED-Bekanntmachung der Region Hannover über vergebene Aufträge Nr. 2018/S 147-336835 v. 2.8.2018).

Dass aus deutscher Sicht jedenfalls kein Rechtfertigungsgrund für einen Verzicht auf ein primärrechtliches Verfahren vorliegen dürfte, zeigt die EuGH-Entscheidung Privater Rettungsdienst und Kranktransport Stadler (EuGH, Urt. v. 10.3.2011, C-247/09). Der Gerichtshof zieht in dieser Entscheidung die Möglichkeit einer primärrechtlichen Rechtfertigung von Direktvergaben an Hilfsorganisationen im deutschen Rettungsdienstwesen nicht einmal in Betracht. Auch die Europäische Kommission hat in der mündlichen Verhandlung zum Verfahren C-465/17 die Auffassung vertreten, dass die Bereichsausnahme keinen Einfluss auf die Anwendbarkeit des Primärrechts auf Rettungsdienstausschreibungen hat.

4. Kein Widerspruch von Primär- und Sekundärrecht

Zunächst ist also festzuhalten, dass die Vergabe von Notfallrettung und qualifiziertem Krankentransport wegen der Bereichsausnahme unter gewissen Umständen nicht nach den §§ 97 ff. GWB durchgeführt werden muss, bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Interesses jedoch das Primärvergaberecht zu beachten ist. Denkt man die Anwendung des Primärvergaberechts konsequent zu Ende, kann als Ergebnis eines primärvergaberechtlichen Verfahrens auch ein Anbieter den Auftrag erhalten, der keine gemeinnützige Organisation im Sinne der Bereichsausnahme ist. Daher stellt sich die Frage, ob hier nicht ein Widerspruch zwischen der Richtlinie und dem AEUV besteht. Dieser könnte darin gesehen werden, dass nach dem Wortlaut des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB die betroffene Dienstleistung von gemeinnützigen Organisationen „erbracht“ werden muss, damit die Bereichsausnahme einschlägig ist. Das wäre aber gerade nicht der Fall, wenn in einem primärrechtlichen Verfahren ein anderer Anbieter als eine gemeinnützige Organisation den Zuschlag erhält.

Ob tatsächlich ein Widerspruch von Richtlinie und AEUV besteht, hängt damit entscheidend davon ab, wie man die Voraussetzung versteht, dass die Rettungsdienstleistungen von gemeinnützigen Organisationen „erbracht“ werden müssen. Versteht man das „Erbringen“ konkret – das heißt, der mit der Dienstleistung in einem speziellen Fall ausgewählte Auftragnehmer muss eine gemeinnützige Organisation sein –, muss man tatsächlich einen Widerspruch von Richtlinie und AEUV feststellen. Dieser Widerspruch lässt sich aber im Sinne der Einheit der Rechtsordnung auflösen, wenn das „Erbringen“ der Rettungsdienstleistungen durch gemeinnützige Organisationen nicht konkret, sondern abstrakt verstanden wird. Nach dieser Lesart ist die Bereichsausnahme dann anwendbar, wenn der zu vergebende Auftrag „typischerweise“ von gemeinnützigen Organisationen erbracht wird. Bei diesem Verständnis besteht dann kein Widerspruch zwischen einer konkreten Vergabe an einen kommerziellen Anbieter in einem primärrechtlichen Verfahren und der Bereichsausnahme, da die betroffenen Leistungen weiterhin typischerweise auch von gemeinnützigen Organisationen erbracht werden.

Selbst wenn man das „Erbringen“ konkret versteht und in der Folge ein Widerspruch zwischen Primär- und Sekundärrecht entsteht, muss dieser Konflikt zwingend zugunsten des normenhierarchisch höheren Primärrechts aufgelöst werden. Mit anderen Worten ist in jedem Fall ein primärrechtliches Verfahren durchzuführen, sobald ein grenzüberschreitendes Interesse vorliegt.

II. Landesrettungsdienstgesetze

Das Recht des Rettungsdienstes ist in Deutschland auf Landesebene geregelt. Die maßgeblichen Vorgaben für die am Rettungsdienst Beteiligten finden sich daher in den Landesrettungsdienstgesetzen. Diese sehen in unterschiedlicher Ausgestaltung vor, dass die Durchführung des Rettungsdienstes von den Trägern auf Dritte übertragen werden kann. Dabei unterscheiden sich die Landesrettungsdienstgesetze allerdings hinsichtlich ihrer Regelungsdichte bei der Ausgestaltung der Auswahl des Dritten, auf den der Rettungsdienst übertragen werden soll. Während die Mehrzahl der Länder keine Regelungen dazu erlassen hat, ob überhaupt ein Auswahlverfahren durchzuführen ist, ist ein solches in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen zumindest inzident vorgesehen. Die Landesrettungsdienstgesetze von Sachsen (§ 31 SächsBRKG), Bayern (Art. 13 BayRDG) und Sachsen-Anhalt (§ 13 RettDG LSA) machen hingegen genauere Vorgaben zur Ausgestaltung des Auswahlverfahrens. Bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungen sind daher in diesen Ländern wettbewerbliche Auswahlverfahren durchzuführen. Dabei ist insbesondere der Kreis der an dem Verfahren zu beteiligenden Anbieter zu beachten. Während in Bayern und Sachsen keine diesbezügliche Einschränkung besteht, verweist das RettDG LSA auf die im Katastrophenschutz anerkannten Organisationen. Diese Beschränkung ist – wie der EuGH in seinem Urteil klargestellt – nicht zulässig. Es sind vielmehr sämtliche gemeinnützigen Organisationen an dem wettbewerblichen Verfahren zu beteiligten. Unabhängig von der jeweiligen Regelung in den Landesrettungsdienstgesetzen ist aber vorrangig das EU-Primärrecht zu beachten, da dieses dem Recht der Mitgliedstaaten normenhierarchisch in jedem Fall vorgeht.

III. Sonderfälle Bayern und Niedersachsen?

Eine landesspezifische Rechtsprechung, die mit der eben erörterten Frage des „Erbringens“ der Dienstleistungen durch gemeinnützige Organisationen eng zusammenhängt, existiert in Bayern. Dort haben sowohl die VK Südbayern (Beschl. v. 16.03.2017 – Z 3-3-3194-1-54-12/16) als auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Beschl. v. 28.4.2019 – 12 V 19.621/620) entschieden, dass die Bereichsausnahme in Bayern nicht anwendbar ist. Hintergrund dieser Entscheidungen ist, dass der Bayerische Verfassungsgerichtshof im Jahr 2012 die früher im bayerischen Landesrettungsdienstgesetz enthaltene Bevorzugung von Hilfsorganisationen bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungen für unvereinbar mit der Bayerischen Verfassung (Berufsfreiheit) erklärt hat. Die daraus folgende Verpflichtung bayerischer Rettungsdienstträger, gemäß Art. 13 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BayRDG wettbewerbliche Auswahlverfahren unter Beteiligung auch von anderen Bietern als Hilfsorganisationen durchzuführen, führt nach Auffassung der bayerischen Spruchkörper zur Unanwendbarkeit der Bereichsausnahme in Bayern. Vergabekammer und Verwaltungsgerichtshof folgen dabei der Auffassung, dass das „Erbringen“ der Dienstleistungen durch gemeinnützige Organisationen konkret zu verstehen ist und daher die gemäß Art. 13 BayRDG zwingend durchzuführenden, wettbewerblichen Verfahren, die zu einer Beauftragung eines kommerziellen Anbieters führen können, der Anwendbarkeit der Bereichsausnahme entgegenstehen. Die Bereichsausnahme kann daher in Bayern nicht angewandt werden. Diese auf der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes von 2012 beruhende Rechtsprechung stellte bisher einen Sonderfall in der föderalistischen Regelungslandschaft des Rettungsdienstwesens dar.

Unter Bezugnahme auf die Beschlüsse des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs und der VK Südbayern hat das OVG Lüneburg (Beschluss vom 12.6.2019 – 13 ME 164/19) die Anwendbarkeit des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB auf Ausschreibungen von Leistungen des Rettungsdienstes auch nach niedersächsischer Rechtslage ausgeschlossen. Nach dem niedersächsischen Rettungsdienstgesetz können „Dritte“ mit der Durchführung von Rettungsdienstleistungen beauftragt werden, ohne dass konkretisiert wird, ob es sich um gemeinnützige oder gewerbliche Anbieter handeln soll (§ 5 Abs. 1 NRettDG). Ausreichend für die Nicht-Anwendbarkeit des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB ist nach dem OVG diese Gleichrangigkeit gemeinnütziger und gewerblicher Anbieter. Es könne nicht von der Zufälligkeit der Auftragserteilung an einen bestimmten Anbieter abhängen, ob die Bereichsausnahme anzuwenden ist oder nicht. Auch nach dem OVG Lüneburg kommt es für die Anwendbarkeit der Bereichsausnahme damit auf die konkrete „Erbringung“ der Leistung an. Diese Entscheidung ist schließlich vom OLG Celle bestätigt worden (OLG Celle, Beschl. v. 25.6.2019, 13 Verg 4/19). Das Gericht kam ebenfalls zu dem Schluss, dass die Bereichsausnahme nicht anwendbar sei, wenn sich sowohl gemeinnützige als auch gewerbliche Anbieter an einem Vergabeverfahren beteiligen könnten. Da zahlreiche andere Landesrettungsdienstgesetze eine Gleichrangigkeit der verschiedenen Rettungsdienstanbieter vorsehen, dürfte der Gedanke dort ebenfalls gelten. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die oben angesprochenen Fragen des EU-Primärrechts von den Gerichten bislang nicht thematisiert werden mussten, da sie im Ergebnis von einer Anwendbarkeit des GWB-Vergaberechts und damit des EU-Sekundärrechts ausgingen.

IV. Kommunales Haushaltsrecht

Die Pflicht zur Durchführung eines wettbewerblichen Auswahlverfahrens, zumindest unter sämtlichen interessierten gemeinnützigen Organisationen, kann auch aus den Landesregelungen zum kommunalen Haushaltsrecht folgen. Diese sehen in aller Regel vor, dass einer Auftragsvergabe eine öffentliche Ausschreibung oder eine beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb vorausgeht (vgl. z.B. § 30 Abs. 1 Kommunale Haushalts- und Kassenverordnung Brandenburg).

Dementsprechend hat auch kürzlich die Stadt Duisburg auf Grundlage von § 26 der Kommunalhaushaltsverordnung Nordrhein-Westfalen unter Anwendung der Bereichsausnahme eine Ausschreibung unter allen interessierten gemeinnützigen Organisationen bekanntgemacht.

V. Beihilferechtliche Pflicht zu wettbewerblichen Verfahren

Wenig Beachtung hat bisher die Frage nach der beihilferechtlichen Relevanz von Direktvergaben gefunden. Dabei liegt eine solche gerade wegen des oftmals nicht vom Wettbewerb beeinflussten Preis-Leistungs-Verhältnisses nahe. Bei Rettungsdienstleistungen wird es sich überwiegend um Leistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DAWI) handeln. Diese sind vom grundsätzlichen Verbot staatlicher, den Wettbewerb im Binnenmarkt beeinträchtigender Beihilfe umfasst, Art. 107 ff. AEUV. Daraus folgt, dass Ausgleichsleistungen für die Erbringung von DAWI so ausgestaltet werden müssen, dass der Dienstleister daraus keinen finanziellen Vorteil (Überkompensation) erlangt. Dies kann zum einen dadurch erreicht werden, dass der Auftraggeber vorab eine Untersuchung der Kosten durchführt, die einem durchschnittlichen, gut geführten Unternehmen, das so angemessen mit Sachmitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten Anforderungen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtung entstünden (vgl. EuGH, Urt. v. 24.7.2003, C-280/00 – Altmark Trans), sog. „Benchmark Company Test“. Zum anderen kann der Auftraggeber einer Überkompensation und damit unzulässigen Beihilfe dadurch entgegenwirken, dass er die Parameter, anhand deren der Ausgleich berechnet wird, zuvor objektiv und transparent aufstellt (vgl. EuGH, Urt. v. 24.7.2003, C-280/00 – Altmark Trans). Welche Voraussetzungen ein „durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen“ erfüllen muss, ist bisher auf europäischer Ebene ungeklärt (vgl. Arhold, in: MüKoBeihilferecht, 2. Aufl. 2018, Art. 107, Rn. 348). Die Durchführung des „Benchmark-Company-Tests“ wird häufig daran scheitern, dass keine geeigneten Vergleichsunternehmen zu bestimmen sind. Um die Annahme einer rechtswidrigen Beihilfe zu verhindern, müssen daher die Parameter zur Berechnung der Vergütung „objektiv und transparent“ aufgestellt werden. Dies wird dadurch erreicht, dass ein transparentes und nichtdiskriminierendes Vergabeverfahren durchgeführt wird. Denn nur so können Auftraggeber die für die Dienstleistung geringsten Kosten ermitteln und eine Überkompensation verhindern.

VI. Freiwilliger Verzicht auf Bereichsausnahme?

Das Urteil des EuGH befreit die Träger des Rettungsdienstes damit nicht von einer Ausschreibung des Rettungsdienstes im Wettbewerb. Die Pflicht zu einem wettbewerblichen Verfahren kann aus Primärrecht, Landesrettungsdienstgesetzen, dem Landesverfassungsrecht, dem kommunalen Haushaltsrecht oder dem Beihilferecht folgen. Abhängig vom jeweiligen Rechtsgrund unterscheiden sich lediglich die an der Ausschreibung zu beteiligenden Dienstleister. Wenn die Träger aber ein wettbewerbliches Verfahren durchführen müssen, stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoller (und rechtssicherer) wäre, auf die Anwendung der Bereichsausnahme vollständig zu verzichten. Denn der verfahrenstechnische Aufwand ist bei einer Beteiligung von kommerziellen Anbietern nicht erhöht. Die Träger müssen vielmehr auch bei einer Ausschreibung zwischen gemeinnützigen Organisationen den zu beschaffenden Bedarf an Leistungen festlegen, das entsprechende Vertragswerk sowie Auswahlkriterien entwerfen, die Angebote anhand dieser Kriterien prüfen und eine Zuschlagsentscheidung treffen. Zudem müssen sie rechtssicher dokumentieren, weshalb sie auf eine Beteiligung privater Anbieter verzichten. Vor diesem Hintergrund befreit die Bereichsausnahme die Träger des Rettungsdienstes nicht von dem Aufwand, den wettbewerbliche Verfahren üblicherweise mit sich bringen. Eine Beteiligung privater Rettungsdienstanbieter erhöht diesen Aufwand nicht und stärkt zeitgleich den Wettbewerb und damit auch die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung.

Ein solcher Verzicht ist in jedem Fall rechtlich zulässig, sofern keine landesrechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Streitig ist insoweit lediglich, welcher Spruchkörper für die Überprüfung dieser Vergabeverfahren zuständig ist. Nach einer Entscheidung der VK Westfalen fällt die Vergabe des Auftrags bei einem Verzicht auf die Bereichsausnahme weiterhin in den Bereich der §§ 97 ff. GWB und die Vergabekammern sind für Nachprüfungsverfahren zuständig (VK Westfalen, Beschl. v. 3.12.2018, VK 1-37/18). Der von der VK Lüneburg vertretenen Auffassung, die Frage der zuständigen Nachprüfungsinstanz knüpfe daran an, ob der Verzicht auf die Bereichsausnahme „freiwillig“ gewesen sei, haben sowohl das OLG Celle als auch das OVG Lüneburg eine Absage erteilt (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 25.6.2019, 13 Verg 4/19; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.6.2019 – 13 ME 164/19: Die Motivation des Auftraggebers ist „ohne Belang“). Es ist also davon auszugehen, dass die Vergabekammern in allen Fällen eines Verzichts zuständig sind. Verzichtet der Auftraggeber hingegen nicht auf die Anwendung der Bereichsausnahme, sondern führt ein wettbewerbliches Verfahren nach Maßgabe des EU-Primärrechts durch, kommen auch die Verwaltungsgerichte als zuständige Spruchkörper für die Überprüfung dieser Verfahren in Betracht.

VII. „Planungsmodell“ ist keine Lösung

In der Diskussion um die zukünftige Beauftragung von Dritten mit Leistungen des Rettungsdienstes ist vorgeschlagen worden, den Leistungserbringer nicht anhand einer wettbewerblichen Auswahl zu treffen, sondern ein sog. Planungsmodell einzuführen (dazu Kieselmann, Vergabeblog.de vom 18/02/2019, Nr. 39856). Begründet wird das damit, dass in einem wettbewerblichen Verfahren der aktuelle Fachkräftemangel nicht hinreichend berücksichtigt und das Kostenrisiko auf gemeinnützige Rettungsdienstleister abgewälzt werde. Durch das Planungsmodell solle das Ziel verfolgt werden, dem „Preisfokus“ von Ausschreibungen zu entgehen und den ehrenamtlichen Fokus gemeinnütziger Organisationen zu stärken. Daher solle auf einen Preiswettbewerb verzichtet werden und die Auswahl stattdessen auf Grundlage von Kriterien getroffen werden, die im Vergaberecht wohl als qualitative Kriterien anzusehen wären.

Dieses Planungsmodell erweist sich bei genauerem Hinsehen aber nicht als gangbare Lösung. Das liegt zum einen daran, dass in dem Planungsmodell kein Preiswettbewerb mehr stattfinden soll, was bereits kaum mit dem sozialrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebot vereinbar ist, das z.B. in § 2a Rettungsgesetz NRW ausdrücklich verankert ist. Zum anderen soll eine Auswahl des Dienstleisters anhand von Kriterien wie die personelle und sachliche Ausstattung oder ehrenamtliche Strukturen vorgenommen werden. Dabei soll gelten: je mehr desto besser. Das würde aber dazu führen, dass sich diejenigen Organisationen in einem bestimmten Rettungsdienstbereich dauerhaft als Platzhirsch etablieren, die vor Ort über die größten personellen und sachlichen Kapazitäten verfügen. Diese Stellung könnten sie nur über einen weiteren Ausbau von Kapazitäten wahren, unabhängig davon, ob diese aus Sicht des Trägers wirtschaftlich sind oder dem tatsächlichen Bedarf entsprechen.

Das Planungsmodell führt damit zu genau den wirtschaftlichen Ineffizienzen, die durch ein wettbewerbliches Auswahlverfahren unter (jedenfalls teilweiser) Beachtung des Preises verhindert werden sollen. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch einmal erwähnt, dass der EuGH in den Rechtssachen Spezzino und CASTA entschieden hat, dass eine Ausnahme vom Primärrecht nur dann gerechtfertigt ist, wenn die beauftragte Organisation tatsächlich zu dem Ziel der Haushaltseffizienz beiträgt. Wendet man das sog. Planungsmodell an, ist genau das Gegenteil der Fall.

Im Übrigen wäre der Aufwand für den Auftraggeber bei Anwendung des Planungsmodells auch nicht geringer als bei der Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens unter Beteiligung privater Anbieter. Denn auch hier müssen – wie in einem wettbewerblichen Verfahren – die Leistung beschrieben, die Auswahlkriterien aufgestellt und diese auf die Angebote der beteiligten Anbieter angewendet werden.

VIII. Praxistipp

Das Urteil des EuGH in der Rechtssache 465/17 hat nicht dazu geführt, dass Rettungsdienstleistungen zukünftig einfach frei an eine präferierte gemeinnützige Organisationen vergeben werden dürfen. Insbesondere das EU-Primärrecht und zahlreiche Landesrettungsdienstgesetze stehen dem entgegen und verlangen weiterhin eine Beteiligung privater Dritter. Auch das kommunale Haushaltsrecht und das Beihilferecht müssen insofern Beachtung finden. Das ist aber auch nicht weiter problematisch, da die Belange des Katastrophenschutzes auch in wettbewerblichen Verfahren berücksichtigt werden können. Wettbewerbliche Verfahren ermöglichen es, leistungsstarke Anbieter unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots in den Rettungsdienst einzubinden und gleichzeitig den Bedürfnissen an einen starken Katastrophenschutz gerecht zu werden. Das sog. „Planungsmodell“ hingegen, hat demgegenüber – neben Zweifeln an seiner Rechtmäßigkeit – keine Vorteile. Insbesondere würde es erhebliche Überkapazitäten erzeugen und damit die Kostenträger in unwirtschaftlicher Weise belasten. Eine Entlastung der Träger ginge damit nicht einher, sodass ein wettbewerbliches Verfahren, das eine wirtschaftliche Erbringung des Rettungsdienstes gewährleistet, auch mit Blick auf das sozialrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot zu bevorzugen ist.

Kontribution
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Dr. Florian Wolf verfasst.

Dr. Florian Wolf

Über Dr. Florian Wolf

Florian Wolf ist Rechtsanwalt in der Kanzlei BLOMSTEIN in Berlin. Er ist auf deutsches und europäisches Vergabe- und Außenwirtschaftsrecht spezialisiert. Er berät öffentliche Auftraggeber sowie nationale und internationale Auftragnehmer zu vergaberechtlichen Fragestellungen und vertritt sie in Nachprüfungsverfahren vor den Vergabenachprüfungsinstanzen

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Mit Subunternehmerquote gegen die Mafia? (EuGH, Urt. v. 15.09.2019 – C-63/18 – Vitali)

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BauleistungenRecht

Entscheidung-EUEine hohe Unterauftragnehmerquote führt in der öffentlichen Beschaffungspraxis nicht selten zu mangelhaften, nicht ordnungsgemäßen Leistungen. Solche nachteiligen Folgen zu vermeiden, ist ein legitimes Ziel öffentlicher Auftraggeber. Sie dürfen deshalb von den Bietern verlangen, die Teile des Auftrages zu benennen, die im Wege der Unterauftragsvergabe an Dritte vergeben werden sollen. Eine prozentuale Beschränkung von Subunternehmern sieht das EU-Vergaberecht aber nicht ausdrücklich vor. In Italien ist hingegen geregelt, dass der Nachunternehmeranteil höchstens 30% betragen darf. Dadurch will Italien dem Phänomen der Infiltration durch die Mafia bei öffentlichen Aufträgen vorbeugen. Zu Recht?

§§ 36, 47 Abs. 5 VgV; § 6d EU Abs. 4 VOB/A; Art. 63 Abs. 2, 71 RL 2014/24/EU

Leitsatz

Die RL 2014/24/EU ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die den Teil eines öffentlichen Auftrages auf 30% beschränkt, den der Bieter als Unterauftrag an Dritte vergeben darf.

Sachverhalt

Der größte Betreiber mautpflichtiger Straßen in Italien (Autostrade per lItalia S.p.A.) hat im nicht offenen Verfahren Autobahnbauarbeiten europaweit ausgeschrieben. Ein Bieter (Vitali) wurde vom Vergabeverfahren ausgeschlossen, weil er die im italienischen Recht vorgesehene Grenze von 30% für die Vergabe von Unteraufträgen überschritten hat.

Die Entscheidung

Art. 71 Abs. 2 RL 2014/24/EU (bzw. § 36 Abs. 1 Satz 2 VgV) bestimmt, dass der öffentliche Auftraggeber den Bieter auffordern kann, in seinem Angebot den Anteil des Auftrages anzugeben, den er gegebenenfalls im Wege von Unteraufträgen an Dritte zu vergeben gedenkt. Dadurch soll der Wettbewerb, insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen, stärker geöffnet werden (Rdnr. 27).

Aus dieser Vorschrift kann aber nicht abgeleitet werden, dass die EU-Mitgliedstaaten den Unterauftragnehmereinsatz auf einen prozentual abstrakt festgelegten Marktanteil beschränken könnten (Rdnr. 30, 43).

Eine solche Beschränkung verstößt vor allem gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar ist die Bekämpfung des Phänomens der Infiltration der organisierten Kriminalität im Bereich der öffentlichen Aufträge ein legitimes Ziel, um Gleichbehandlung und Transparenz sicherzustellen. Allerdings geht eine quantitative Beschränkung des Unterauftragnehmereinsatzes über das hinaus, was zur Zielerreichung erforderlich ist (Rdnr. 37 ff.).

Denn das allgemeine und abstrakte Verbot des Nachunternehmereinsatzes über einen festen Prozentsatz hinaus, lässt unberücksichtigt, (1.) welcher Wirtschaftsbereich berührt ist, (2.) um welche Art von Arbeiten es sich handelt und (3.) welche Identität die Unterauftragnehmer haben. Eine Einzelfallprüfung durch den öffentlichen Auftraggeber ist wegen der Subunternehmerquote ausgeschlossen (Rdnr. 40).

Eine quantitative bzw. prozentuale Beschränkung hätte somit zur Folge, dass für alle öffentlichen Aufträge ein erheblicher Teil der ausgeschriebenen Leistungen vom Bieter selbst erfüllt werden muss, weil er andernfalls automatisch vom Vergabeverfahren ausgeschlossen wird. Das würde selbst dann gelten, wenn der Bieter die Identität der vorgesehenen Subunternehmer selbst überprüfen kann, und wenn er nach dieser Prüfung der Ansicht ist, dass ein solches Verbot nicht erforderlich ist, um im Rahmen des fraglichen Auftrages gegen die organisierte Kriminalität vorzugehen (Rdnr. 41).

Eine Beschränkung des Einsatzes von Unterauftragnehmern verstößt deshalb gegen die RL 2014/14/EU (Rdnr. 43, 45).

Rechtliche Würdigung

Die Luxemburger Richter bestätigen, dass das EU-Vergaberecht grundsätzlich kein Gebot der Selbstausführung kennt. Schon vor über 20 Jahren hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Bieter nicht allein deshalb von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden kann, weil er Nachunternehmer zur Auftragsausführung einsetzen will (EuGH, Urt. v. 14.04.1994 C-389/92 Ballast Nedam Groep; Urt. v. 02.12.1999 C-176/78 Holst Italia).

An dieser Spruchpraxis halten die europäischen Richter unbeirrt fest. Auch die Bekämpfung der organisierten Kriminalität kann eine prozentuale Subunternehmerquote nicht rechtfertigen. Die Nachteile, die eine abstrakte Quote auf den Wettbewerb bei der Vergabe öffentlicher Aufträge hätte, erscheinen dem EuGH letztlich als unverhältnismäßig. Damit kommt nicht nur dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der EU-Vergaberechtsprechung wiederholt große Bedeutung zu. Zugleich ist der Richterspruch ein Votum für Wettbewerb und freie Märkte.

Eine starre Subunternehmerquote (vgl. dazu auch EuGH, Urt. v. 14.07.2016 C-406/14 Wroclaw Miasto na prawach powiatu) würde das ökonomische Ziel einer Nachunternehmerschaft konterkarieren. Zum einen wäre der Bieter in seiner unternehmerischen Entscheidung eingeschränkt, fehlende technische, personelle, wissensgetragene oder kapazitätsbedingte Ressourcen über Dritte zu erschließen. Zum anderen wäre den Unterauftragnehmern die Möglichkeiten genommen, überhaupt an öffentlichen Aufträgen teilzuhaben. Das von öffentlichen Auftraggebern in diesem Zusammenhang – häufig auch zu Recht – reklamierte Risiko, dass ihnen teils ungeeignete und kaum kontrollierbare Nachunternehmer untergeschoben werden können, hat hingegen die richterliche Entscheidungsfindung noch nicht nachhaltig beeinflussen können.

Praxistipp

Kein Grundsatz ohne Ausnahme. § 47 Abs. 5 VgV und § 6d EU Abs. 4 VOB/A räumen die Möglichkeit ein, ausnahmsweise dem Bieter die Selbstausführung vorzugeben. Voraussetzung ist allerdings, dass es sich um kritische Aufgaben handelt. Das Vergaberecht zählt dazu etwa Verlege- oder Installationsarbeiten bei einem Lieferauftrag.

Übrigens: Nach § 26 Abs. 6 UVgO kann der öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe von Dienstleistungs- und Lieferaufträgen unterhalb der EU-Schwellenwerte ausdrücklich vorschreiben, dass alle oder bestimmte Aufgaben vom Bieter selbst erbracht werden müssen. Bei unterschwelligen Bauaufträgen wird aus § 6 Abs. 3 VOB/A ein Gebot der Selbstausführung gefolgert. Bei Unterschwellenvergaben mit Binnenmarktbezug können nachunternehmerbezogene Restriktionen allerdings mit den zu beachtenden Grundfreiheiten des AEUV in Konflikt stehen (Vgl. EuGH, Urt. v. 05.04.2017 C-298/17 Borta).

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Das dynamisches Beschaffungssystem: Rundum flexibel!

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ITKLiefer- & DienstleistungenRecht

Wie die elektronische Auktion (siehe ) fristet das dynamische Beschaffungssystem in der öffentlichen Beschaffung in Deutschland noch ein Schattendasein. Das mag unter anderem auch am etwas umständlichen Begriff selbst liegen: Was ist „ein dynamisches Beschaffungssystem“ eigentlich genau? Um das zu verstehen, muss man sich die einschlägigen Vorschriften schon etwas genauer anschauen. In Deutschland hat es bislang -soweit ersichtlich- erst ein öffentlicher Auftraggeber nicht beim Lesen belassen: die BWI GmbH, der IT-Dienstleister der Bundeswehr. Sie betreibt seit 2018 ein dynamisches Beschaffungssystem und macht damit sehr gute Erfahrungen. Der folgende Beitrag zeigt auf, dass das dynamische Beschaffungssystem ein hochflexibles Instrument ist, das für eine breite Palette von Leistungen geeignet ist.

Was ist ein dynamisches Beschaffungssystem?

Gegenstand eines dynamischen Beschaffungssystems sind „marktübliche Leistungen“ (s. § 120 Abs. 1 GWB). Das sind Leistungen, die von der Art her schon am Markt angeboten werden.  Wenn ein öffentlicher Auftraggeber einen wiederkehrenden Bedarf an solchen Leistungen hat, kann er ein dynamisches Beschaffungssystem einrichten: Er gibt bekannt, dass er für einen bestimmten Zeitraum Leistungen benötigt und lädt Unternehmen ein, sich als Mitglied eines Anbieterpools zu qualifizieren. Dabei kann er verschiedene Kategorien bilden. Kategorien entsprechen in etwa Losen.

Hierzu zwei Beispiele: Die BWI GmbH betreibt ein dynamisches Beschaffungssystem mit einer Laufzeit von fünf Jahren und fünf Kategorien: „Analyse, Planung und Konzeptionierung “, „Softwareanforderungs -und Testmanagement“, „Softwarerealisierung“ „Pflege, Wartung, Betrieb und Support von IT-Verfahren“ und „IT-Projektmanagement“. Eine zentrale Beschaffungsstelle (s. § 120 Abs. 4 GWB) in Portugal, die für 64 Krankenhäuser beschafft, betreibt ein dynamisches Beschaffungssystem für Telemedizin mit zehn Kategorien (u.a. „Konsultation“, „Monitoring“, „Rehabilitation“, „Radiologie“).

Interessierte Unternehmen können während der gesamten Laufzeit des Systems einen Antrag auf Teilnahme stellen. Wenn sie die Eignungskriterien erfüllen, werden sie zugelassen. Steht eine Einzelvergabe an, werden alle teilnehmenden Unternehmen (aus dieser Kategorie) zur Angebotsabgabe aufgefordert. Die Einzelvergabe selbst wird nach normalen Regeln durchgeführt. Ein dynamisches Beschaffungssystem muss elektronisch betrieben werden (§§ 22 Abs, 3 VgV, 17 Abs. 3 UVgO).

Rechtlicher Rahmen

Geregelt ist das dynamische Beschaffungssystem im Wesentlichen in §§ 22 – 24 VgV. Diese Vorschriften gelten für alle Verfahren oberhalb der Schwellenwerte, also auch für Bauvergaben (§§ 2 VgV, 4b EU Abs. 1 VOB/A). Für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen unterhalb der Schwellenwerte gilt § 17 UVgO, der in Teilen auf § 23 VgV verweist. Für Bauvergaben unterhalb der Schwellenwerte fehlt dagegen eine Regelung. Ein dynamisches Beschaffungssystem kann aber auch hier durchgeführt werden: Denn grundsätzlich ist alles, was das Vergaberecht für Verfahren oberhalb der Schwellenwerte erlaubt, unterhalb der Schwellenwerte erst recht zulässig.

Technische Voraussetzungen

Zur Durchführung eines dynamischen Beschaffungssystems bedarf es einer entsprechenden Software. Von den derzeit am deutschen Markt operierenden Anbietern von E-Vergabe-Lösungen und Vergabemanagementsoftware bieten die Administration Intelligence AG, die Healy Hudson GmbH und die Vortal GmbH. ein entsprechendes Modul an. Die Cosinex GmbH arbeitet derzeit an einer Lösung.

Flexibilität

Was das dynamische Beschaffungssystem auszeichnet, ist seine Flexibilität. Das soll im Folgenden näher beschrieben werden.

  • Zu beschaffende Leistung

Der öffentliche Auftraggeber hat einen großen Spielraum, wie konkret er den Gegenstand des dynamischen Beschaffungssystems beschreiben will. Er kann relativ allgemein bleiben und die Beschreibung im Wesentlichen dazu nutzen, geeignete Unternehmen zu interessieren und ggf. in die richtigen Kategorien einzuordnen. Die konkrete Beschreibung der benötigten Leistung im Einzelfall erfolgt dann in den Einzelvergaben. So hat die BWI GmbH ihre fünf Kategorien nur relativ knapp näher umschrieben, um zunächst einen möglichst großen Bieterkreis anzusprechen. Im Rahmen einer Einzelvergabe erstellt sie dann eine detaillierte Leistungsbeschreibung, anhand derer die Teilnehmer entscheiden können, ob sie ein Angebot abgeben wollen oder nicht.

Der öffentliche Auftraggeber kann aber auch beliebig konkreter werden. Je genauer er bei der Einrichtung des Systems bereits weiß, welche Art von Leistungen er benötigt, desto genauer kann er diese schon bei der Einrichtung beschreiben. Hierzu ein Beispiel: Für Instandhaltungsarbeiten am Kanalisationsnetz lässt sich erfahrungsgemäß der Großteil der im konkreten Einzelfall benötigten Teilleistungen standardisiert beschreiben. Diese standardisiert beschreibbaren Teilleistungen können dann bei der Einrichtung des Systems vorgegeben werden. Im Rahmen der Einzelvergabe kann hierauf Bezug genommen werden. Individuell beschrieben müssen dann -soweit benötigt- nur die Bestandsteile der Leistung, die nicht von den Standardbeschreibungen abgedeckt sind.

Der Auftraggeber kann bei Einrichtung des Systems sogar die gesamte Leistungsbeschreibung vorgeben. Dann funktioniert das System wie eine klassische Rahmenvereinbarung mit mehreren Auftragnehmern: Im Rahmen der Einzelvergaben können die Teilnehmer dann in der Regel über einen unkomplizierten und schnellen Preiswettbewerb bestimmt werden.

Je konkreter der öffentliche Auftraggeber die benötigten Leistungen bereits bei der Einrichtung des dynamischen Beschaffungssystems beschreibt, desto einfacher wird die Einzelvergabe. Der Aufwand für die Erstellung der Leistungsbeschreibungen sinkt und entfällt sogar ganz, die Einzelvergabe wird beschleunigt. Nachteilig ist im Gegenzug, dass er sich dann festlegt und an Flexibilität einbüßt. Gerade in innovativen Märkten empfiehlt es sich daher, die benötigte Leistung eher allgemein zu beschreiben, um während der gesamten Laufzeit des Systems von Neu- und Weiterentwicklungen zu profitieren. Das ist ein entscheidender Vorteil gegenüber der Rahmenvereinbarung, bei der eine Anpassung des Leistungsprofils an die Marktentwicklung nur sehr eingeschränkt möglich ist (s. § 21 Abs. 2 S. 3 VgV, 15 Abs. 3 S. 3 UVgO).

  • Auftragnehmer

Interessierte Unternehmen können während der gesamten Laufzeit des Systems einen Antrag auf Teilnahme stellen. Damit kann der Auftraggeber insbesondere neue Marktteilnehmer einbinden, was gerade in innovativen Märkten ein großer Vorteil ist. Bei der Rahmenvereinbarung ist dies dagegen nicht möglich. Hier stehen die Auftragnehmer als Vertragspartner mit Beginn der Laufzeit der Rahmenvereinbarung fest (§§ 21 Abs. 2 S. 2 VgV, 15 Abs. 3 S. 2 UVgO).

  • Auftraggeber

Auch eine Hinzunahme weiterer Auftraggeber ist möglich. Dies ist bei Rahmenvereinbarungen gemäß §§ 21 Abs. 2 S. 2 VgV, 15 Abs. 3 S. 2 UVgO ausgeschlossen. Das ist insbesondere für Einkaufsgemeinschaften interessant, die neue Kunden in ein laufendes System einbinden können (näher hierzu: Einmahl/Siedenberg, Vergabeblog.de vom 28/03/2017, Nr. 29726.).

  • Laufzeit

Das dynamische Beschaffungssystem muss zeitlich befristet werden (§§ 120 Abs. 1 GWB, 17 Abs. 6 UVgO i.V.m. § 23 Abs. 1 VgV). Eine maximale Laufzeit nennt das Gesetz nicht, auch hier existiert also mehr Flexibilität als bei der Rahmenvereinbarung (s. §§ 21 Abs. 6, 15 Abs. 4 UVgO). Das System kann auch verlängert werden (-Das wird im Gesetz zwar nicht explizit erwähnt. § 23 Abs. 2 Nr. 1 VgV lässt es aber zu, dass die „Geltungsdauer ohne die Einstellung des dynamischen Beschaffungssystems geändert“ wird. Änderung kann Verkürzung oder Verlängerung bedeuten-).

Einrichtung des Systems

§§ 22 Abs. 2 VgV, 17 Abs. 2 UVgO bestimmen, dass die Auftragsvergabe beim dynamischen Beschaffungssystem nach den Vorschriften über das nichtoffene Verfahren bzw. die beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb zu erfolgen hat. Das bedeutet, dass der Auftraggeber zunächst die Einrichtung des Systems bekanntgeben muss (s. § 23 Abs. 1 VgV). Dies entspricht der Bekanntgabe des Teilnahmewettbewerbs beim nichtoffenen Verfahren bzw. der beschränkten Ausschreibung. Im Zuge der Einrichtung legt er die Eignungskriterien fest. Hat der Auftraggeber Kategorien gebildet, legt er die Eignungskriterien für jede Kategorie gesondert fest (§§ 23 Abs. 5 VgV, 17 Abs. 6 UVgO). Das geschätzte Volumen ist bekanntzugeben (§§ 23 Abs. 3 VgV, 17 Abs. 6 UVgO).

Teilnahme

Ein Antrag auf Teilnahme ist zu jedem Zeitpunkt möglich. Er entspricht dem Teilnahmewettbewerb beim nichtoffenen Verfahren bzw. der beschränkten Ausschreibung. Die Frist zur Prüfung eines Antrags anhand der Eignungskriterien beträgt oberhalb der Schwellenwerte in der Regel 10 Arbeitstage (§ 24 Abs. 3 S. 1 VgV). Eine Teilnehmerbegrenzung ist nicht möglich (§§ 22 Abs. 4 S. 2 VgV, 17 Abs. 4 S. 2 UVgO). Die Teilnahme muss kostenlos sein (§§ 22 Abs. 5 VgV, 17 Abs. 5 UVgO).

Es empfiehlt sich, nach Bekanntgabe eine erste Antragsrunde durchzuführen, die Teilnahme an der ersten Runde von der Einhaltung einer Frist abhängig zu machen und den erfolgreichen Teilnehmern der ersten Runde die Möglichkeit der Angebotsabgabe bei der ersten Einzelvergabe zuzusichern. So wird Transparenz und Gleichbehandlung gewährleistet. Die Mindestfrist für den Eingang der Teilnahmeanträge für die erste Runde beträgt oberhalb der Schwellenwerte 30 Tage (§ 24 Abs. 2 S. 1 VgV). Teilnehmer, die ihren Antrag in der Folgezeit einreichen, können an der ersten bzw. nächsten Einzelvergabe nur teilnehmen, wenn diese dadurch allenfalls unwesentlich verzögert wird.

Einzelvergaben

Im Zuge der Einzelvergabe ist die benötigte Leistung -soweit erforderlich- durch eine Leistungsbeschreibung zu konkretisieren. Alle zugelassenen Teilnehmer sind zur Angebotsabgabe aufzufordern (§§ 23 Abs. 6 S. 1 VgV, 17 Abs. 6 UVgO). Wurden Kategorien gebildet, sind nur die für die einschlägige Kategorie zugelassenen Teilnehmer zur Angebotsabgabe aufzufordern (§§ 23 Abs. 6 S. 2 VgV, 17 Abs. 6 UVgO).

Hierzu ein Beispiel: Unternehmen A ist von Anfang an für sämtliche Kategorien zugelassen, Unternehmen B von Anfang an nur für die Kategorie „IT-Projektmanagement“, Unternehmen C seit kurzem für „Analyse, Planung und Konzeptionierung“. Steht ein Beschaffungsvorhaben aus der Kategorie „Analyse, Planung und Konzeptionierung“ an, werden A und C zur Angebotsabgabe aufgefordert.

Nicht geregelt ist die Frage, ob im Rahmen einer Einzelvergabe konkrete, auf den Einzelauftrag zugeschnittene Eignungskriterien aufgestellt werden können. Nach Auffassung des Autors dürfte dies aber zulässig sein.

Die festzusetzende Angebotsfrist muss oberhalb der Schwellenwerte mindestens zehn Tage betragen (§ 24 Abs. 4 S. 1 VgV). Eine längere Frist kann rechtlich geboten sein, z.B. wenn die Konkretisierung der gewünschten Leistung besonders detailliert ist oder wenn zusätzliche Eignungsanforderungen aufgestellt werden.

Einsatzmöglichkeiten in der Praxis

Das dynamische Beschaffungssystem ist für die Beschaffung einer großen Bandbreite von Leistungen denkbar. Hierunter fallen zunächst alle Leistungen, die auch über eine Rahmenvereinbarung mit mehreren Teilnehmern beschafft werden können. Darüber hinaus kommen alle Leistungen in Betracht, die zumindest grob der Art nach beschrieben werden können (s. §§ 23 Abs. 3 VgV, 17 Abs. 6 UVgO) und für die ein wiederkehrender Bedarf existiert. Nur für Leistungen mit hohem Individualisierungsgrad (z.B. Neubau) eignet sich dieses Instrument nicht. Ein Blick in die europäische Datenbank TED offenbart, dass das dynamische Beschaffungssystem in anderen EU-Mitgliedsstaaten für u.a. so unterschiedliche Leistungen wie Kraftfahrzeuge, IT-Hardware und Software, Möbel, Lebensmittel, Energie, Gebäudereinigung, Forstdienstleistungen, Personenbeförderung, Personalgewinnung, Bildungsangebote für Erwachsene, Beratung, Gebäudeinstandhaltung und Architekten- und Ingenieurleistungen eingesetzt wird.

Fazit

Das dynamische Beschaffungssystem ist ein innovatives Instrument, das für eine Reihe von Produkten einen echten Mehrwert bieten kann. Die BWI GmbH hat in dem von ihr betriebenen System bislang ca. 500 Einzelvergaben durchgeführt. Sie denkt derzeit über die Einrichtung neuer Systeme nach. Das gute Beispiel der BWI GmbH sollte Schule machen. Dies gilt insbesondere für öffentliche Auftraggeber, die bereits jetzt die Vergabemanagementsoftware eines der Unternehmen nutzen, die auch ein Modul für dynamische Beschaffungssysteme anbieten.

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