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Beschluss zum Schulmittagessen: Festpreis und Anpassungsklausel (VK Berlin, Beschl. v. 05.01.2017 – VK B 1-34/16)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungKeine Pflicht des Auftraggebers zur Erhöhung des Festpreises und zur Aufnahme einer Anpassungs-/Preisgleitklausel im Hinblick auf Mindestlohnregelung. Die VK Berlin hat in einem aktuellen rechtskräftigen Beschluss zur Versorgung von Schulen mit Schulmittagessen klargestellt, dass ein Bieter bei einem vom Auftraggeber festgelegten Festpreis keinen Anspruch auf einen bestimmten, aus Sicht des Bieters angemessenen Festpreis hat. Auch bei einer 4-jährigen Vertragslaufzeit besteht keine Plicht des Auftraggeber zur Aufnahme einer Anpassungs-/Preisgleitklausel wegen während der Laufzeit des Vertrages zu erwartender Mindestlohnerhöhung.

§§ 97 Abs. 1 GWB, 31 VgV, 166 Abs. 1 S. 3 GWB, 160 Abs. 3 GWB, 165 GWB, 182 Abs. 3 S.1 GWB, 182 Abs. 2 GW, 182 Abs. 4 S. 1 GWB, 182 Abs. 4 S. 4 GWB, 80 Abs. 2 VwVfG

Sachverhalt

In dem zugrundeliegenden Fall hatte die Antragsgegnerin die Versorgung mit Schulmittagessen europaweit im offenen Verfahren losweise ausgeschrieben. Die Laufzeit betrug 4 Jahre. Der Preis je Mittagessen wurde als Festpreis vorgegeben. Der Zuschlag sollte auf das wirtschaftlichste Angebot gemäß den mitgeteilten Zuschlagskriterien erfolgen.

Die Antragstellerin rügte die Maßgaben der Vergabeunterlagen. Der für das Grundschulmittagessen vorgegebene Festpreis von EUR 3,25 sei angesichts der aufgrund der Mindestlohneinführung gestiegenen Personalkosten nicht auskömmlich und müsse erhöht werden. Mit dem Festhalten am Festpreis würde ihr ein unzumutbares Kalkulations- und Ausführungsrisiko auferlegt. Zudem müsse der Auftraggeber im Hinblick auf die in der Vertragslaufzeit anstehende Mindestlohnerhöhung eine Preisanpassungsklausel in die Vergabeunterlagen aufnehmen. Insoweit ergebe sich eine Ermessenreduktion auf Null. Die Antragstellerin führte weiter aus, der Auftraggeber gehe bei seinen Berechnungen von unzutreffenden Annahmen aus, insbesondere von veralteten Kostenannahmen. Die aufgrund einer Studie aus dem Jahre 2012 angesetzten Preise seien angesichts der Erhöhung des Mindestlohns zum 01. Januar 2017 von EUR 8,50 auf EUR 8,84 überholt. Die Mindestlohnerhöhung falle in die Sphäre des Auftraggebers. Unter Angabe nicht näher unterlegter Kostenpositionen behauptete sie, dass den Bietern nach Abzug von Skonto und aller Kosten lediglich EUR 0,01 pro Schulmittagessen verbliebe, was zu wenig sei.

Die Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag wurde als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Nach dem Wegfall des Verbots, dem Bieter ungewöhnliche Wagnisse aufzubürden, könnten Regelungen allenfalls im Einzelfall als für den Bieter unzumutbar beanstandet werden, z.B. bei der Nichtbeachtung allgemeiner zivilrechtlicher Grundsätze, wie z.B. dem Missbrauch der Nachfragemacht des Auftraggebers, der jedoch vorliegend nicht gegeben sei. Der gerügte Verstoß der Nichterhöhung des Festpreises stelle keine Unwägbarkeit in der Kalkulation dar. Vielmehr seien alle kalkulationsrelevanten Bedingungen bekannt. Der Antragsteller wende sich schlicht gegen eine vom Auftraggeber gemachte Vorgabe. Diese falle jedoch unter das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers. Der Antragsteller sei nicht gezwungen, ein Angebot abzugeben. Es sei die unternehmerische Entscheidung des Antragstellers, unter den vorgegebenen Bedingungen ein Angebot abzugeben oder nicht und wie er dieses ggf. ausgestaltet. Die Vergabekammer führte außerdem unter Verweis auf OLG Koblenz (Beschl. v. 04. Februar 2014, 1 Verg 7/13) aus, dass der Auftraggeber nicht verpflichtet sei, die Vergabe so zu gestalten, dass sich jeder potentielle Leistungserbringer am Wettbewerb beteiligen könne. Ausdrücklich stellte die Vergabekammer auch klar, dass die Erhöhung der Lohnkosten in die Risikosphäre des Bieter falle und daher im zugrundeliegenden Fall nicht, wie von der Antragstellerin gerügt, vertragstypische Risiken vom Auftraggeber auf den Bieter verlagert würden. Die Vergabekammer weist insoweit darauf hin, dass auch vor der Geltung des Mindestlohns tariflich vereinbarte Lohnerhöhungen möglich waren, ohne dass die Festlegung eines Festpreises unzulässig gewesen sei.

Rechtliche Würdigung

Der Vergabekammer ist zuzustimmen, dass die Höhe des Festpreises, dessen Zulässigkeit nunmehr ausdrücklich in § 58 Abs. 2 letzter Satz VgV geregelt ist, grundsätzlich unter das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers fällt und die Festlegung eines bestimmten Festpreises gerade kein (unzumutbares) Kalkulationsrisiko für den Bieter darstellt. Schließlich sind insoweit keine Unwägbarkeiten für die Kalkulation des Bieters ersichtlich.

Zutreffend hat die Vergabekammer auch entschieden, dass die Erhöhung von Lohnkosten, sei es durch Tarifvertrag oder Mindestlohngesetz bzw. -verordnung nicht in die Sphäre des Auftraggebers fällt, sondern vom Bieter miteinkalkuliert werden muss, da mögliche Mindestlohnerhöhungen – wie sonstige abseh- und abschätzbare Kostensteigerungen – in die Sphäre des Unternehmers fallen.

Der vorliegende Beschluss stellt damit klar, dass nicht nur die Bestimmung des Festpreises, sondern auch die Frage der Aufnahme einer Preisgleitklausel unter die Beschaffungsautonomie des Auftraggebers fällt. Vorsicht ist allerdings geboten, wenn etwa, was selten der Fall sein wird, Anhaltspunkte für einen Missbrauch der Nachfragemacht durch den Auftraggeber vorliegen oder der Zuschlag auf ein Unterangebot die Gefahr von wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen begünstigen oder der Verdrängung von Bewerbern Vorschub leisten würde. Ob und wann die Grenze der Beschaffungsautonomie etwa bei Unterkostenangeboten überschritten wird, ist nach dieser Entscheidung nämlich noch offen, da sich die Vergabekammer mangels entsprechendem Vortrag der Antragstellerin mit diesem Aspekt gar nicht auseinandergesetzt hat.

Praxistipp

Der öffentliche Auftraggeber gewinnt mit dieser Entscheidung weitere Sicherheit im Bereich der Festpreisvergabe. Bei einem mit Augenmaß festgelegten Festpreis bewegt der Auftraggeber sich auch ohne Preisanpassungsklausel auf vergaberechtlich relativ sicherem Terrain. Es obliegt der Entscheidung des Bieters, unter den gegebenen Bedingungen anzubieten und ggf. dafür womöglich eigene Standards im Einzelfall herunterzuschrauben.

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Zum Ausschluss eines Bieters wegen früherer Schlechtleistung und den Nachweisanforderungen (OLG Celle, Beschl. v. 09.01.2017 – 13 Verg 9/16)

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BauleistungenRecht

EntscheidungDer Auftraggeber hat die tatbestandmäßigen Voraussetzungen des Ausschlussgrundes nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB nachzuweisen. Die Entscheidung gibt dem Auftraggeber wertvolle Hinweise, was er dabei im einzelnen zu beachten hat.

§ 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB; § 5 Abs. 3,4 VOB/B

Leitsatz

  1. Der Ausschluss eines Bieters wegen Schlechtleistung setzt voraus, dass der Auftraggeber nachweisen kann, dass er den Bieter wegen dieser Schlechtleistung rechtmäßig gekündigt hat. Der Nachweis einer berechtigten außerordentlichen Kündigung kann durch Indiztatsachen von einigem Gewicht und gesicherten Erkenntnissen aus serösen Quellen erfolgen, die den Ausschluss des Bieters als nachvollziehbar erscheinen lassen.
  2. Eine erhebliche mangelhafte Erfüllung (§ 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB) liegt vor, wenn die mangelhafte Leistung den öffentlichen Auftraggeber in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht deutlich belastet. Die Bauförderungspflicht des Bauunternehmers ist eine solche wesentliche Vertragspflicht, deren Verletzung eine Kündigung aus wichtigem Grund rechtfertigen kann.

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Bauleistungen ausgeschrieben und den Zuschlag an Bieter A erteilt, der darauf die Arbeiten aufnahm. Bereits kurz nach Ausführungsbeginn kam es zu erheblichen Verzögerungen im Bauablauf, u.a. bedingt durch insgesamt 69 Behinderungsanzeigen des A; diese Verzögerungen machten einen fristgerechten Abschluss der Bauarbeiten mehr als unwahrscheinlich. Der AG führte die Verzögerungen auf einen unzureichenden Personaleinsatz des A zurück; mehrere vom AG mit Fristsetzungen verbundene Aufforderungen gemäß § 5 Abs. 3 VOB/B waren letztlich erfolglos. Schließlich kündigte der AG dem A fristlos, was dieser nicht akzeptierte.

Der Rechtsstreit darüber wurde im folgenden vor dem erstinstanzlichen Landgericht (LG) anhängig. Nach Kündigung des A schrieb der AG die restlichen Bauarbeiten erneut aus. Günstigster Bieter war wiederum A. Darauf schloss der AG den A wegen Schlechterfüllung bei der Ausführung des früheren Auftrags aus. Dagegen wehrte sich A mit Nachprüfungsantrag. Die Vergabekammer (VK) wies den Nachprüfungsantrag mit dem Argument zurück, die Kündigung sei nicht offensichtlich willkürlich; alles weitere müsse das LG klären. Dagegen wandte sich A mit sofortiger Beschwerde zum OLG.

Die Entscheidung

Das OLG gibt dem AG Recht und weist den Nachprüfungsantrag des A zurück. Es teilt die Ansicht der erstinstanzlichen VK nicht, dass nur ein offensichtlich willkürliches Verhalten des AG dem Nachprüfungsantrag zum Erfolg verhelfen kann. Hier sind die Voraussetzungen für einen Ausschluss des A erfüllt, weil der AG gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zur Kündigung wegen Schlechtleistung berechtigt gewesen ist und eine wirksame Kündigungserklärung vorliegt.

Rechtliche Würdigung

Nach Ansicht des OLG kann die Neuregelung des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB nicht zur Folge haben, dass die Vergabekammer bzw. der Vergabesenat auf eine rechtskräftige Entscheidung der Zivilgerichte warten bzw. die Rechtmäßigkeit der streitigen Kündigung selbst im Wege einer vollumfänglichen Inzidentprüfung mit u. U. langwieriger Beweisaufnahme wie in einem Bauprozess klären muss. Dafür sprechen insbesondere folgende Umstände: Im Nachprüfungsverfahren gilt der in § 167 GWB verankerte Beschleunigungsgrundsatz. Diesem Grundsatz würde es eklatant zuwider laufen, einen monate- oder gar jahrelangen (Bau-)Zivilprozess abzuwarten bzw. ihn selbst (inzident) durchzuführen. Denn unter diesen Umständen sei bei der Prüfung des Ausschlusses eines Bauunternehmers nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB regelmäßig die Frist des § 167 Abs. 1 GWB nicht zu wahren.

Die Darlegungs- und Beweispflicht für die „Nachweislichkeit“ einer Pflichtverletzung liegt beim Auftraggeber. Bestehen begründete Zweifel, ist die Nachweislichkeit nicht gegeben. Vielmehr müssen die den Verstoß belegenden Indizien und Tatsachen einiges Gewicht haben, d.h. sie müssen der kritischen Prüfung durch ein mit der Sache befasstes Gericht standhalten und die Zuverlässigkeit des Bieters nachvollziehbar in Frage stellen. Erforderlich sind dafür konkrete, objektivierbare Anhaltspunkte für Verfehlungen, nicht jedoch eine rechtskräftige Feststellung der Pflichtverletzung.

Nach Auffassung des OLG können bei Fehlen des Tatbestandsmerkmals der Nachweislichkeit an das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB jedenfalls keine höheren Anforderungen gestellt werden als an die Prüfung einer „nachweislichen“ Pflichtverletzung i. S. v. § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB. Die im Zusammenhang mit letztgenannter Norm angeführte Argumentation, es könne dem Auftraggeber mit dem Kriterium der „Nachweislichkeit“ nicht zugemutet werden, in dem langen Zeitraum zwischen der Pflichtverletzung und einer rechtskräftigen Entscheidung vertragliche Beziehungen mit dem betreffenden Unternehmen aufzunehmen, gilt erst recht für den vorliegenden Fall. Denn hier sieht sich der AG nicht nur dem Gebot eines beliebigen, potentiell unzuverlässigen Bieters gegenüber, sondern es handelt es sich um ein erneutes Gebot gerade desjenigen Unternehmens, dem er selbst kurz zuvor wegen einer seiner Auffassung nach erheblichen Pflichtverletzung bei Ausführung derselben Bauleistung gekündigt hat. Diese besondere Situation sei bei der Prüfung der vom AG vorgebrachten Begründung für den Ausschluss des A zu berücksichtigen. Danach ist der Prüfungsmaßstab hinsichtlich der Frage, ob die außerordentliche Kündigung des Antragsgegners berechtigt gewesen ist, in Anlehnung an das Erfordernis der „Nachweislichkeit“ in § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB – keinesfalls aber strenger – zu definieren. Danach reicht es aus, wenn der AG Indiztatsachen vorbringt, die von einigem Gewicht sind und auf gesicherten Erkenntnissen aus seriösen Quellen basieren und die die Entscheidung des AG zum Ausschluss des Bieters als nachvollziehbar erscheinen lassen.

Das zur Kündigung führende Verhalten des Antragstellers A stellt auch eine erhebliche mangelhafte Erfüllung i. S. v. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB dar. Diese liegt vor, wenn die mangelhafte Leistung den öffentlichen Auftraggeber in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht deutlich belastet, es sich mithin nicht um kleinere und leicht behebbare Mängel handelt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend angesichts der mit der außerordentlichen Kündigung verbundenen tatsächlichen und finanziellen Belastungen des AG erfüllt.

Entgegen der Auffassung des A bestehen keine Zweifel daran, dass es sich bei der Bauförderungspflicht des Bauunternehmers und der daraus folgenden Abhilfeverpflichtung gemäß § 5 Abs. 3 VOB/B um eine wesentliche Vertragspflicht i. S. v. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB handelt. Die Wesentlichkeit ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass die Verletzung dieser Pflicht eine Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 8 Abs. 3 VOB/B rechtfertigen kann.

Praxistipp

Die Möglichkeit, einen Bieter wegen einer früheren Schlechtleistung vom Vergabeverfahren auszuschließen, wurde mit § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB im seit 18. April 2016 geltenden Vergaberecht neu eingeführt. Gleichwohl gibt es mit dieser Norm in der Vergabepraxis nicht unerhebliche Probleme, da der Ausschluss des Bieters an sehr restriktive Voraussetzungen geknüpft ist (vorzeitige Beendigung bzw. Kündigung des Vertrags, Schadensersatz oder vergleichbare Rechtsfolge). Die o.g. Entscheidung hilft hier insofern weiter, da sie noch einmal deutlich festhält, dass das Nachprüfungsverfahren dem Beschleunigungsgebot des § 167 GWB unterliegt und es dem AG in aller Regel unzumutbar ist, mit der Neuausschreibung bis zum Abschluss des erfahrungsgemäß äußerst langen und zeitintensiven Zivilverfahrens über die Rechtmäßigkeit der Beendigung des Vertrags abwarten zu müssen.

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Öffentlich-öffentliche Kooperationen sind nicht grundsätzlich vergabefrei (OLG Naumburg, Beschl. v. 17.03.2017 – 7 Verg 8/16)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungÖffentlich-öffentliche Kooperationen sind nicht grundsätzlich vom Vergaberecht ausgenommen. Vergabefrei sind sie nur, wenn – im Ausnahmefall – die Grundsätze der interkommunalen Zusammenarbeit greifen. Mit den Details dieser Grundsätze beschäftigt sich das OLG Naumburg in seiner Entscheidung vom 17.03.2017, die noch auf Grundlage der bis zum 18.04.2016 geltenden Rechtslage erging, aber auch für die Auslegung des aktuellen § 108 Abs. 6 GWB herangezogen werden kann.

§ 108 Abs. 6 GWB

Sachverhalt

Eine Stadt (Beigeladene) gründete mit anderen Gemeinden einen Abwasserzweckverband (Antragsgegner). Aufgabe des Abwasserzweckverbandes war die Abwasserentsorgung und der Betrieb der dazugehörigen Abwasserentsorgungsanlagen auf dem Gebiet der Ortsteile der Gründungsgemeinden (Verbandsgebiet). Bei der Gründung des Antragsgegners übertrug die Beigeladene ihm diese Aufgaben nur hinsichtlich zweier Stadtteile. Im übrigen Stadtgebiet erbrachte sie die Abwasserentsorgung und den Betrieb der Anlagen selbst.

Der Antragsgegner übertrug, nach seiner Gründung, die Betriebsführung der Abwasserentsorgungsanlagen auf einen privaten Anbieter (Antragsteller). Anlässlich einer Vertragsverlängerung entschied sich der Antragsgegner dafür, den Vertrag mit dem Antragsteller nicht zu verlängern, sondern stattdessen die Beigeladene mit der Betriebsführung zu betrauen. Zu diesem Zweck schlossen beide Parteien einen Kooperationsvertrag. Im Kooperationsvertrag regelten sie insbesondere die jeweiligen Leistungen, die Weisungs- und Kontrollbefugnisse des Antragsgegners und die Grundsätze der Kooperation. Dort heißt es auszugsweise:

(…) Durch die Zusammenarbeit wird kein privates Unternehmen bessergestellt als seine Mitbewerber. Der Stadt steht es frei, sich ihrerseits bei Erfüllung der mit diesem Vertrag übertragenen Aufgaben Dritter zu bedienen. Die Regelungen des Vergaberechts bleiben unberührt. Mit dem Ausbau der Zusammenarbeit (…) wollen die Vertragspartner:

  • Die Abwassergebühren im Bereich des AZV und der Stadt langfristig stabil halten;
  • die technischen Anlagen des AZV (…) zeitgemäß und nachhaltig in Stand halten und betreiben,
  • (…) (der) Erschwerung und Verteuerung der Aufgabenerfüllung durch die demographische Entwicklung entgegenwirken,
  • die Kommunale Selbstverwaltung und die kommunale Gemeinschaftsarbeit stärken und,
  • für die Einwohner im Gebiet des AZV und der Stadt ein hohes Maß an Kostentransparenz herstellen.
    (Einfügungen durch den Verfasser).

Für ihre Tätigkeit sollte die Beigeladene ein Betriebsführungsentgelt erhalten, das auf Basis ihrer Selbstkosten errechnet werden sollte. Eine öffentliche Ausschreibung des Kooperationsvertrages fand nicht statt.

Die Entscheidung

Die unterbliebene Ausschreibung des Kooperationsvertrages sei vergaberechtswidrig. Der Kooperationsvertrag sei ein ausschreibungspflichtiger öffentlicher Auftrag. Die Bereichsausnahme der interkommunalen Zusammenarbeit (nunmehr § 108 Abs. 6 GWB) finde keine Anwendung. Der Kooperationsvertrag sei wegen der unterbliebenen öffentlichen Bekanntmachung auch nichtig nach § 101b Abs. 1 GWB a.F. (nunmehr § 135 Abs. 1 GWB).

Zu diesem Ergebnis kommt das OLG Naumburg nach einer Prüfung der in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Grundsätze zur interkommunalen Zusammenarbeit. Zunächst stellt es die dafür maßgeblichen Kriterien ausführlich dar, wonach Verträge von der Anwendung des Vergaberechts ausgenommen seien, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:

  1. Mit dem maßgeblichen Vertrag wird eine Zusammenarbeit ausschließlich zwischen den öffentlichen Einrichtungen    (Gebietskörperschaften) bei der Wahrnehmung einer ihnen allen obliegenden öffentlichen Aufgabe vereinbart.
  2. Die Zusammenarbeit und ihre Umsetzung werden nur durch Überlegungen und Erfordernisse bestimmt, die mit der Verfolgung von im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammenhängen.
  3. Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Interessen muss gewährleistet sein, sodass kein privates Unternehmen einen Wettbewerbsverstoß ausgesetzt ist

Sodann subsumiert der Senat den Sachverhalt unter diese Kriterien. Zum Ersten Kriterium stellt er fest, es fehle bereits an einer Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Einrichtungen bei einer beiden Vertragsparteien obliegenden öffentlichen Gemeinwohlaufgabe. Für dieses Kriterium sei es erforderlich, dass beide Vertragsparteien ein gemeinsames Ziel verfolgen, sodass der Vertrag von einer Zielidentität geprägt sei. Die Abwasserbeseitigung sei zweifellos eine öffentlich-rechtliche Pflichtaufgabe der Daseinsvorsorge, jedoch oblag diese Aufgabe für das Gebiet des Abwasserzweckverbandes alleine dem Antragsgegner und nicht (auch) der Beigeladenen. Diese habe sich, durch die Gründung des Antragsgegners und die dabei vorgenommene Übertragung der Abwasserentsorgungsaufgaben auf dem Gebiet ihrer zwei Ortsteile auf ihn, dieser öffentlich-rechtlichen Gemeinwohlaufgabe gerade entledigt.

Eine Zielidentität beider Vertragsparteien scheide damit aus, denn die Beigeladene bekomme mit der Betriebsführungspflicht für das gesamte Verbandsgebiet im Ergebnis eine Aufgabe übertragen, die ihr nicht (mehr) obliege. Der Kooperationsvertrag sei vielmehr ein bloßer Dienstleistungsvertrag, bei dem der Antragsgegner der Beigeladenen lediglich die Erfüllung technischer Dienstleistungen übertrage. Das gelte umso mehr, als der Vertrag ein kooperatives Konzept, bei dem jeder Kooperationsbeteiligte einen Beitrag zur Ausführung der gemeinsamen Aufgabe erbringe, vermissen lasse. Dieses Konzept setzt bereits begrifflich ein bewusstes und gleichberechtigtes horizontales Zusammenwirken der Vertragspartner voraus. Einem kooperativen Konzept ist das Bestehen eines Über-/Unterordnungsverhältnisses, wie es bei einem Dienstleistungsvertrag üblich ist, gänzlich fremd. Der Kooperationsvertrag sieht aber gerade ein solches Über-/Unterordnungsverhältnisses vor, denn der Antragsgegner habe gegenüber der Beigeladenen bei der Aufgabenerfüllung weitgehende Weisungs- und Kontrollbefugnisse.

Auch das zweite Kriterium der interkommunalen Zusammenarbeit lehnt der Senat ab. Zunächst beschäftigt er sich damit, ob die Finanztransfers zwischen den Vertragsparteien dem Kriterium schon entgegenstehen könnten, denn diese beschränken sich nicht auf die reine Selbstkostenerstattung für die Beigeladene. Die Beigeladene habe in ihrer Kalkulation vielmehr auch eine Abgeltung allgemeiner Unternehmerwagnisse vorgesehen, sodass sie durch den Vertrag auch einen kalkulatorischen Gewinn erwirtschaften würde. Diesen Gedanken reißt der Senat nur an und lässt die Frage damit im Ergebnis offen.

Die Ablehnung des zweiten Kriteriums begründet er vielmehr damit, dass die Zielsetzungen des Kooperationsvertrages lediglich abstrakt-allgemeiner Natur seien (z.B. sollen die Abwassergebühren langfristig stabil gehalten und den Erschwerungen und Verteuerungen durch die demographische Entwicklung entgegengewirkt werden). Der Senat vermag nicht zu erkennen, inwiefern diese allgemeinen Ziele gerade eine vergaberechtsfreie interkommunale Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien voraussetzen. Vielmehr unterscheide sich der Kooperationsvertrag nicht von einem gewöhnlichen Dienstvertrag. Durch den Kooperationsvertrag habe der Antragsgegner lediglich seinen früheren privaten Dienstleister durch einen anderen öffentlichen Dienstleister ausgetauscht. Dies reiche für eine vergaberechtsfreie interkommunale Zusammenarbeit nicht.

Schließlich verneint der Senat auch das dritte Kriterium der interkommunalen Zusammenarbeit. Es sei nicht ausgeschlossen, dass durch den Kooperationsvertrag private Unternehmen Wettbewerbsverstößen ausgesetzt seien. Der Kooperationsvertrag gestatte der Beilgeladenen gerade die Weitergabe der Aufgaben der Betriebsführung an dritte (private) Unternehmen, wovon sie im konkreten Fall auch tatsächlich Gebrauch gemacht hat. Durch diese Unterbeauftragung sei nach der Rechtsprechung des EuGH nicht ausgeschlossen, dass diese Unternehmen gegenüber anderen Anbietern begünstigt würden, sodass eine Hinzuziehung privater Dienstleistungserbringer stets zu einer Benachteiligung privater Wettbewerber führen könne.

Rechtliche Würdigung

Das OLG Naumburg hatte über die Abgrenzung zwischen einer tatsächlichen interkommunalen Zusammenarbeit und einem als solcher getarnten Dienstleistungsvertrag zu entscheiden. Dabei wendet es die in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Kriterien im Wesentlichen überzeugend auf den Sachverhalt an. In einzelnen Details der Prüfung bleibt der Senat aber eine klar Antwort schuldig.

So reißt er die Frage, ob die Erwirtschaftung eines kalkulatorischen Gewinns per se dem Kriterium entgegenstehe, dass die Zusammenarbeit und ihre Umsetzung nur durch Überlegungen und Erfordernisse bestimmt sei, die mit der Verfolgung von im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammenhänge, lediglich an, ohne hier eine konkrete Antwort zu geben. Nach der Rechtsprechung des EuGH, insbesondere im Fall Stadtreinigung Hamburg (EuGH, Urt. v. 09.06.2009 – Rs. C-480/06), wäre hier eine deutlichere Antwort möglich gewesen, nämlich dass eine Gewinnerzielung einer vergabefreien interkommunalen Kooperation entgegensteht.

Auch beim dritten Kriterium, bleibt der Senat eine klare Antwort schuldig. Gerade aus der Entscheidung des EuGH im Fall Lecce (EuGH, Urt. v. 19.12.2012 – Rs. C-159/11) hätte es hier einer detaillierteren Auseinandersetzung bedurft, ob durch die Möglichkeit der Unterauftragnehmervergabe Wettbewerbsverstöße gegenüber Dritten vorliegen. Wenn die Beigeladene die mit der Betriebsführung unterbeauftragten Unternehmen unter Beachtung des Vergaberechts beauftragt hätte, wäre äußerst zweifelhaft, ob mit der Rechtsprechung des EuGH hätte immer noch davon auszugehen wäre, dass private Wettbewerber einem Wettbewerbsverstoß ausgesetzt seien.

Im Ergebnis überzeugt die Entscheidung aber gleichwohl, denn der Senat arbeitet deutlich heraus, dass der Antragsgegner durch den Kooperationsvertrag lediglich eine marktgängige Dienstleistung einkauft und dazu nur seinen bisherigen privaten Dienstleister gegen einen öffentlich-rechtlichen Dienstleister austauscht. Eine Kooperation in dem Sinne, dass beide Vertragsparteien ihren Beitrag für das Erreichen eines gemeinsamen öffentlichen Ziels einbringen, liegt bei Licht betrachtet nicht vor.

Praxistipp

Das Urteil des OLG Naumburg belegt, dass die Voraussetzungen einer vergaberechtsfreien interkommunalen Kooperation eng ausgelegt werden müssen und jedes Kriterium einzeln und detailliert geprüft werden muss. Rekommunalisierungsprojekte, die für die beteiligten Körperschaften wirtschaftlich vorteilhaft sind, müssen nicht zwangsläufig vergaberechtsfrei sein. Die Beteiligten sollten daher bei der Vorbereitung solcher Projekte stets eine intensive Prüfung des § 108 Abs. 6 GWB und dessen Grundlage, der Rechtsprechung des EuGH, durchführen. Sonst besteht die Gefahr, dass sich das Vergaberecht als nachträglicher Dealbreaker entpuppt, der u.U. weit fortgeschrittene Projekte nachträglich wieder auf null setzt kann. Das sollte durch eine wache Prüfung der Rechtslage vermieden werden.

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Transparenz in der Angebotswertung

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Liefer- & DienstleistungenRecht

Die in § 97 GWB normierten Grundsätze des Vergaberechts sind während des gesamten Vergabeverfahrens einzuhalten. Neben der Erstellung der Vergabeunterlagen zur Angebotsaufforderung stellt dabei die Angebotswertung in ihren vier Stufen für die Zuschlagserteilung ein wesentliches Instrument dar.

Insbesondere in der jüngsten Vergangenheit setzten sich die Nachprüfungsinstanzen mit der transparenten Erstellung von konzeptionellen Bewertungskriterien, vor allem im Dienstleistungssektor, auseinander. Die in dieser Diskussion richtungsweisenden Beschlüsse des OLG Düsseldorf (Beschl. v. 16.12.2015 – VII-Verg 25/15 sowie Beschl. v. 02.11.2016 – VII-Verg 25/16), welche für eine hohe Verunsicherung – nicht nur bei den öffentlichen Auftraggebern – sorgten, wurden durch den Beschluss vom 08.03.2017 – VII-Verg 39/16 konkretisiert.

Das OLG Düsseldorf führt in seinem Beschluss vom 08.03.2017 aus

„[…] dass es dem Bieter auch nach dem auf der Richtlinie 2004/18/EG beruhenden nationalen Recht nicht im Vorhinein möglich sein muss, zu erkennen, welchen bestimmten Erfüllungsgrad sein Angebot auf der Grundlage der Zuschlagskriterien erreichen muss, um mit einer bestimmten Notenstufe oder Punktzahl eines Notensystems bewertet zu werden […]“.

Im Ergebnis bedeutet dies, dass insbesondere bei konzeptionellen Bewertungskriterien es dem Bieter nicht im Voraus möglich sein muss zu errechnen, wie viele Bewertungspunkte sein Angebot erhält. Für ihn muss lediglich erkennbar sein, was der Erwartungshorizont des Auftraggebers ist und auf welche Teilbereiche er in seinem Angebot eingehen muss.

Im Rahmen einer Divergenzvorlage stellte der BGH (Beschl. v. 04.04.2017 – X ZB 3/17) fest, dass die o.g. Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf mit der aktuellen Richtlinie 2014/24/EU noch ihre Gültigkeit behält. Sofern sich ein Auftraggeber konzeptioneller Kriterien bedient und den Erfüllungsgrad nicht bis ins letzte Detail ausdifferenziert, muss für einen verständigen Bieter zumindest aus den Vergabeunterlagen der Inhalt der nachgefragten Leistung erkennbar sein. Anhand der gebildeten Unterkriterien muss sich klar und verständlich ergeben, welche Anforderungen an das Angebot gestellt werden.

Unter Beachtung der derzeitigen Rechtsprechung, ist mit der Erstellung von konzeptionellen Bewertungskriterien, die eine verbalisierte Darstellung des Bieters erfordern, ein öffentlicher Auftraggeber gefordert, sich selbstverständlich auch mit dessen transparenter Auswertung differenziert auseinanderzusetzen. Durch die Nachprüfungsinstanzen wird die dokumentierte Auswertung der Zuschlagskriterien, und damit die Ausgestaltung der vierten Wertungsstufe, im Lichte der vergaberechtichen Grundsätze geprüft (vgl. hierzu beispielsweise VK Südbayern v. 29.12.2016 – Z3-3-3194-1-47-11/16 sowie BGH v. 04.04.2017 – X ZB 3/17).

Hinsichtlich der Angebotsauswertung im Bereich der Leistung sind unterschiedliche Umsetzungsalternativen denkbar.

Einerseits kann jedes Angebot in seiner individuellen Gesamtheit gewertet werden, andererseits ist auch ein horizontaler Vergleich sämtlicher Angebote in den Leistungskriterien denkbar. Die Vor- und Nachteile der Vorgehensweisen sollen im Folgenden aufgezeigt werden:

Bei Bewertungskriterien, welche mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden können, kumulativen Bewertungskriterien, Entweder-Oder-Kriterien sowie abschichtenden Kriterien (vgl. die Autoren in Vergabeblog.de vom 12/03/2017, Nr. 29404) ist immer eine individuelle Prüfung vorzunehmen. Ein horizontaler Vergleich kann dabei nicht stattfinden, da der Erwartungshorizont durch den öffentlichen Auftraggeber bereits ex-ante klar formuliert wurde und durch den Bieter kein Angebot unterbreitet werden kann, welches über den beschriebenen Erwartungshorizont des Auftraggebers hinausgeht. Somit stellen diese Kriterientypen das Paradebeispiel einer individuellen Prüfung dar. Diese Kriterien können durch einen öffentlichen Auftraggeber transparent ausgewertet werden, da er sich bereits ex-ante intensiv mit seinem Erwartungshorizont auseinandergesetzt hat.

Im Weiteren werden die möglichen Auswertungsalternativen daher auf konzeptionelle Bewertungskriterien beschränkt.

Individuelle Gesamtheit

Ein Beispiel für eine individuelle Konzeptbewertung könnte – in einer sehr abstrakten Darstellung – folgendermaßen aussehen:

Die Prüfung der konzeptionellen Bieterleistung sollte dabei in drei Teilschritte untergliedert werden. Zunächst erfolgt eine Prüfung hinsichtlich einer schlüssigen und nachvollziehbaren Darstellung. Hier wird zunächst auf die Bietersicht abgestellt. Die Prüfung beinhaltet, ob der Bieter objektiv den Sachverhalt erfasst und eine konzeptionelle Lösung angeboten hat und folglich auf den aufgeworfenen Sachverhalt eingeht. Sofern die Darstellung schlüssig und nachvollziehbar ist, erfolgt im zweiten Teilschritt die Prüfung, ob das Gesamtkonzept in sich stimmig ist. Dabei wird durch den Auftraggeber geprüft, ob die Bieterangaben konsistent sind und keine, für den Auftraggeber objektiv erkennbaren Mängel, aufweisen. An dieser Stelle lassen sich konzeptionelle Darstellungen, welche offensichtlich falsch sind, bereits von einer weiteren materiellen Prüfung zu diesem Kriterium ausschließen. Erst danach wird das Angebot hinsichtlich dem dargestellten Erwartungshorizont geprüft. Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass das Bewertungsvorgehen vorab durch den Auftraggeber klar innerhalb des Kriterienkatalogs oder in den Bewerbungsbedingungen darzustellen ist. Dabei sind auch die unbestimmten Begriffe „schlüssig“, „nachvollziehbar“ und „in seiner Gesamtheit des Konzeptes stimmig“ entweder im Kriterienkatalog oder in den Bewerbungsbedingungen zu definieren und den Bietern bekannt zu geben.

Zu dem oben dargestellten Kriterium könnten beispielhaft folgende Angebote eingegangen sein, welche durch den Auftraggeber individuell ausgewertet werden:

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Gerade Angebote, welche zunächst inhaltlich auf das gewünschte Konzept des Auftraggebers eingehen, jedoch abwegig in dessen Darstellung sind, stellen öffentliche Auftraggeber in der Phase der Angebotsbewertung häufig vor diverse Schwierigkeiten. Insbesondere, wenn der Auftraggeber innerhalb der Leistungsbeschreibung bewusst (oder auch unbewusst) darauf verzichtet hat darzustellen, was er definitiv nicht möchte (Negativabgrenzung), um den Marktteilnehmern die größtmögliche Freiheit bei der konzeptionellen Umsetzung zu belassen (Angebot B). Durch die Einführung des zweiten Teilschritts lassen sich derartige Fehler vermeiden, da es dem Auftraggeber gerade in diesem Schritt möglich ist, objektiv nachvollziehbare und allgemein anerkannte Beweise anzuführen, welche dazu führen, dass er nicht in eine Angebotswertung (dritter Teilschritt) eintreten muss.

Für den Auftragnehmer ist eine individuelle Bewertung vorteilhaft, da sein Angebot nicht in der Abhängigkeit zu anderen Bietern steht. Er kann anhand des ex-ante bekannt gemachten Bewertungskriteriums sein Angebot erstellen und bis zu einem gewissen Grad eigenständig seine Leistungspunkte und somit die Chance auf den Zuschlag ermitteln.

Für den Auftraggeber stellt, gerade im Lichte der zuvor dargestellten Beschlüsse, die individuelle Wertung in der 4. Wertungsstufe eine sichere Variante dar, da sowohl die verwendeten Kriterien mit ihrem Erwartungshorizont bekannt gegeben wurden als auch deren ex-post-Auswertung transparent durchgeführt werden kann.

Allerdings ist auch hervorzuheben, dass das System der individuellen Bewertung nicht nur Vorteile bietet. Gerade im dritten Teilschritt können die Angebote nicht miteinander in einen Kontext gestellt werden. Vielmehr erhält jedes Angebot, welches den Erwartungshorizont des Auftraggebers erfüllt, die gleiche Punktzahl. Dabei können individuelle Mehrwerte, welche durch den Auftraggeber erst nach Eingang der Angebote festgestellt werden, nicht durch eine höhere Punktzahl honoriert werden. Vielmehr sind die Bieter in der Darstellung auf das Maximum, welches der Auftraggeber in seiner Leistungsbeschreibung sowie den dazugehörigen Kriterienkatalog beschreibt, gebunden. Somit können die durch den Bieter dargestellten Mehrwerte in der Projektumsetzung zwar in Anspruch genommen, vorher jedoch nicht prämiert werden. Ein wirtschaftlich handelnder Bieter wird, sofern das Offerieren von Mehrwerten für ihn auch Mehrkosten zur Folge hat, nicht über das durch den Auftraggeber beschriebene Maximum hinausgehen.

Um einen angebotenen Mehrwert in der Auswertephase entsprechend honorieren zu können, bestünde die Möglichkeit einen Zusatzpunkt hierfür zu vergeben. Bei dieser Alternative handelt es sich um eine „Unterart“ der individuellen Auswertung. Dies könnte beispielsweise folgendermaßen erfolgen:

Bei dieser Alternative müssen die Mindestanforderungen durch den öffentlichen Auftraggeber sehr klar beschrieben sein, sodass für einen Bieter erkennbar ist, in welchen Teilen er Mehrwerte offerieren kann. Gerade bei diesem Modell wird dem Auftraggeber die Möglichkeit geboten, zwischen zwei Angeboten, welche inhaltlich die ersten drei Bewertungspunkte voll erfüllen, in einem gewissen Umfang eine Unterscheidung vorzunehmen, wenn einer der beiden Bieter noch einen Mehrwert anbietet.

Zu dem dargestellten Kriterium könnten beispielhaft folgende Angebote eingegangen sein, welche durch den Auftraggeber individuell mit Zusatzpunkt ausgewertet werden:

Vorliegend ist zu beachten, dass die Bewertung des darzustellenden Mehrwertes im Erwartungshorizont entsprechend definiert werden muss. Bei einer sehr offenen Definition (wie in oben gewählten Beispiel) ist jedes Angebot mit einem beschriebenen Mehrwert positiv zu bepunkten. Eine ex-post-Differenzierung der Mehrwerte ist kaum möglich, da dabei für den Auftraggeber eine sehr hohe Gefahr besteht, nachträglich Unterkriterien zu bilden. Natürlich ist es auch möglich den Bieter aufzufordern einen Mehrwert zu einem Unterkriterium (z.B. Einheitlichkeit der Farben) darstellen zu lassen und den generierten Mehrwert entsprechend durch eine Punktvergabe zu honorieren, wobei jedoch der innovative Lösungsanteil des Bieters maßgeblich eingeschränkt wird.

Horizontaler Vergleich

Wie bereits ausgeführt, wird der horizontale Vergleich lediglich bei konzeptionellen Bewertungskriterien dargestellt. Dabei müssen durch den Auftraggeber Voraussetzungen beschrieben werden, unter welchen Bedingungen die Lösung für ihn nutzbar ist. In einem horizontalen Vergleich könnte das Bewertungskriterium möglicherweise weiter gefasst werden, d.h. das die einzelnen Erwartungshorizonte unmittelbar miteinander in Verbindung stehen und nicht weiter ausdifferenziert werden. Somit können dargestellte Mehrwerte durch eine höhere Bepunktung honoriert und ‚echte‘ konzeptionelle Leistungen erwartet werden. Das Kriterium könnte daher folgendermaßen aussehen:

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Fraglich ist indes, ob ein horizontaler Vergleich dem Grunde nach zulässig ist. Mit dieser Problematik setzte sich jüngst Gaus in seinem Artikel „Abschaffung der Schulnoten in der Angebotswertung“ (NZBau 2017, 134) differenziert auseinander. Demnach ist ein horizontaler Vergleich zwingend erforderlich und daher auch zulässig, um die Kreativität der Bieter zu nutzen. Die Bewertung in einem horizontalen Vergleich könnte daher folgendermaßen aussehen:

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Die Systematik eines horizontalen Vergleiches hat den Vorteil, dass eine bieterseitige Kreativität bereits in der Phase der Auswertung mit einer höheren Punktzahl honoriert wird. Somit spiegelt sich ein Mehrwert bereits in der Phase der Angebotswertung wider. Daneben erhält ein Auftraggeber faktisch die für ihn bessere Lösung.

Gleichwohl birgt das Vorgehen diverse Risiken. Vorliegend ist der öffentliche Auftraggeber, sofern er sich für einen horizontalen Vergleich entscheidet, zumindest ex-post verpflichtet eine transparente Beurteilung herzustellen um die, im Vergleich zur individuellen Bewertung, reduzierte ex-ante-Transparenz wiederherzustellen. In diesem Zusammenhang ist es weiterhin strittig, ob ein derartiges Vorgehen durch die jüngsten Beschlüsse der Nachprüfungsinstanzen als zulässig anzusehen ist. Daneben bindet die horizontale Auswertung mehr Ressourcen, denn es ist nicht jedes Angebot für sich zu erfassen und auszuwerten, sondern auch in einen Vergleich miteinander zu stellen. Dabei müssen die dargestellten Vor- und Nachteile gegeneinander aufgewogen und ins Verhältnis gesetzt werden. Dies ist bei einem offen formulierten Erwartungshorizont naturgemäß schwierig. Auch muss ein Auftraggeber sich vor der Erstellung eines Kriteriums, welches er horizontal vergleichen möchte, überlegen, auf welchen Bieterkreis er trifft. Sollte eine Vielzahl von Angeboten, welche darüber hinaus auch heterogen sein können, zu erwarten sein, ist von einem horizontalen Vergleich abzuraten. Dies ist dahingehend zu begründen, dass in der Folge zu viele Einzelpunkte miteinander verglichen und ein Verhältnis geschaffen werden muss. Gleichzeitig wird es schwierig unterschiedlichste Vor- und Nachteile miteinander in ein gleichberechtigtes Verhältnis zu setzen.

Auch bei der Durchführung eines horizontalen Vergleiches sind alle unbestimmten Rechtsbegriffe und das Bewertungsvorgehen durch den Auftraggeber transparent vorab darzustellen. Fraglich ist jedoch, ob ein verständiger Dritter dieses Vorgehen überhaupt wahrnimmt, da üblicherweise nur eine individuelle Bewertung der Kriterien vorgenommen wird. Bei Bietern, welche ausschließlich ihre Leistungen öffentlichen Auftraggebern anbieten, mag dies noch möglich sein. Viele Bieter, welche nur partiell öffentliche Aufträge akquirieren, haben möglicherweise nicht das Know-how, um dieses Vorgehen eines öffentlichen Auftraggebers zu erkennen. Selbst ein verständiger Dritter wird eventuell nicht den Mehrwert seines Produktes oder seiner Leistung darstellen. Häufig wird sich daher wohl die Darstellung auf eine Schilderung der Eigenschaften, nicht jedoch der speziellen Mehrwerte, beschränken.

Mit einem horizontalem Vergleich wird die Verpflichtung für eine vergaberechtskonforme Informationspflicht i.S.d. § 134 GWB nicht erleichtert. Vielmehr würden sich mehr Schwierigkeiten ergeben, da durch einen Auftraggeber keine Firmengeheimnisse weitergegeben werden dürfen, wobei gerade innovative Leistungen / Lösungen den Urtyp eines Firmen-Know-hows darstellen. Die Bewertung erfolgte jedoch in einer gegenseitigen Abhängigkeit, sodass bei der Information i.S.d. § 134 GWB eine Abwägung durch den Auftraggeber erfolgen muss, wie transparent er seiner Informationspflicht nachkommt.

Bei allen Alternativen ist darauf zu achten, dass die Bewertung des Gesamtkriteriums horizontal durch das gleiche Bewerterteam erfolgt, damit an alle Bieter in dem jeweiligen Kriterium der gleiche Maßstab angelegt wird. Vertikal können indes andere Bewerterteams eingesetzt werden, da sich unterschiedliche Maßstäbe egalisieren. Zwar können je Kriterium andere Gewichtungspunkte vorliegen, da jedoch an alle Bieter horizontal der gleiche Maßstab angelegt wird und somit die Vergabe der Bewertungspunkte homogenisiert ist, hat der vertikale Austausch von Bewerberteams keinen Einfluss auf die Zuschlagsentscheidung.

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Zusammenfassend ist festzustellen, dass öffentliche Auftraggeber, welche eine innovativere Leistung / Lösung beschaffen wollen, die Angebote in der 4. Wertungsstufe einem horizontalen Vergleich unterziehen sollten. Gleichwohl existieren umfassende Risiken hinsichtlich der Transparenz und Gleichbehandlung. Im Regelfall sollte sich die Bewertung daher an der ersten oder zweiten Lösungsalternative orientieren, um für den Bieterkreis bereits eine höhere ex-ante-Transparenz herzustellen.

Anmerkung der Autoren:
Aus Gründen der Übersichtlichkeit und besseren Lesbarkeit wird in den Beiträgen überwiegend die männliche Form verwendet. Jede Formulierung gilt natürlich ebenso für die weibliche Form. Die von den Autoren im Vergabeblog vertretenen rechtlichen Ansichten geben ausschließlich ihre private Meinung wieder und sind keine offizielle Positionierung der Landeshauptstadt München oder von it@M zu vergaberechtlichen Fragestellungen.

Hinweis der Redaktion
Eine Übersicht zu Beiträgen, die sich mit der qualitativen Bewetuung von Angeboten anhand von sog. Schulnotensystem befassen, finden Sie auf der Serienseite Schulnotenrechtsprechung, hier.

Ina Bellmann

Über Ina Bellmann

Ina Bellmann ist Mitarbeiterin in der Vergabestelle für IT- und Telekommunikationstechnologie der Landeshauptstadt München. In ihr Aufgabengebiet fällt die Vergabe von Fachapplikationen für die Landeshauptstadt München. Insgesamt ist Frau Bellmann seit nunmehr sieben Jahren im Bereich Vergabewesen für Liefer- und Dienstleistungen tätig.

Michael Kaul

Über Michael Kaul

Michael Kaul ist Mitarbeiter in der Vergabestelle für IT- und Telekommunikationstechnologie der Landeshauptstadt München. In sein Aufgabengebiet fällt die Vergabe von Fachapplikationen für die Landeshauptstadt München.

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Fördermittel (Zuwendungen) sind zu 100% zurückzufordern, wenn keine öffentliche Ausschreibung durchgeführt wird! Es besteht kein Ermessen! (VG Schleswig, Urt. v. 06.04.2017 – 12 A 136/16)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungAllein die fehlerhafte Wahl des Vergabeverfahrens rechtfertigt als schwerer Vergabeverstoß bereits den Widerruf einer Zuwendung, ohne dass der Zuwendungsgeber verpflichtet ist, einen zusätzlichen Verstoß gegen das Gebot der wirtschaftlichen und sparsamen Mittelverwendung zu belegen. Ein unzulässiges Vergabeverfahren (hier: die beschränkte Ausschreibung) kann nicht im Nachhinein damit gerechtfertigt werden, dass auch eine andere Vergabeart (hier: die freihändige Vergabe) zulässig gewesen wäre.

§ 3 VOL/A 2006 (§ 8 UVgO 2017); § 117a VwG-SH; § 48 Abs. 4 VwVfG

Sachverhalt

Die Klägerin, die eine freiwillige Feuerwehr unterhält, wendet sich gegen den Widerruf einer Zuwendung für die Beschaffung eines Feuerwehrlöschfahrzeuges. Der Beklagte bewilligte im November 2007 der Klägerin im Wege der Anteilsfinanzierung eine Zuweisung in Höhe von höchstens EUR 49.000 (35% der zuwendungsfähigen Gesamtkosten). Bestandteile des Bescheides waren u.a. die Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung an kommunale Körperschaften (ANBest-K) und die Richtlinien zur Förderung des Feuerwehrwesens. In dem Bescheid heißt es weiter, dass bei der Durchführung von Beschaffungen die Vorschriften des Vergaberechts einzuhalten sind.

Die Beschaffung des Feuerwehrfahrzeugs wurde sodann von der Klägerin beschränkt ausgeschrieben. Die Ausschreibung erfolgte in einzelnen Losen. Insgesamt wurden für das Feuerwehrfahrzeug der Klägerin fünf Unternehmen zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert. Der Beklagte widerrief im September 2015 gegenüber der Klägerin den Bewilligungsbescheid und forderte die Erstattung der Zuwendung zuzüglich Zinsen. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Die Klägerin habe eine mit dem Bewilligungsbescheid verbundene Auflage, nämlich die Einhaltung der Vorschriften des Vergaberechts, nicht erfüllt. Nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens hat die Klägerin gegen den Rückforderungsbescheid des Beklagten in der Gestalt des Widerspruchbescheides Klage beim hiesigen Verwaltungsgericht erhoben.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Mit dem Bewilligungsbescheid war eine Auflage nach § 107 Abs. 2 Nr. 4 LVwG verbunden, d.h. einer Bestimmung, durch die der Gemeinde ein Tun, nämlich die Einhaltung der Vorschriften des Vergaberechts, vorgeschrieben wurde.

Ob der Zuwendungsempfänger die Vorschriften des Vergaberechts eingehalten hat, lässt sich nur im Rahmen einer Überprüfung des Vergabeverfahrens feststellen.

Die Klägerin hat gegen Vorschriften des Vergaberechts verstoßen. Der Auftrag für die Beschaffung des Feuerlöschfahrzeugs hätte im Wege einer öffentlichen Ausschreibung vergeben werden müssen. Die Durchführung einer beschränkten Ausschreibung bzw. eine freihändige Vergabe waren unzulässig. Zwar kann eine beschränkte Ausschreibung stattfinden, wenn die Leistung nach ihrer Eigenart nur von einem beschränkten Kreis von Unternehmen in geeigneter Weise ausgeführt werden kann, besonders wenn außergewöhnliche Fachkunde oder Leistungsfähigkeit oder Zuverlässigkeit erforderlich sind. Dass nur zwei Unternehmen bei dem Fahrgestell und nur drei Firmen den beim Fahrzeugaufbau gewünschten technischen Standard erfüllen konnten, wie die Klägerin in ihrem nach der Ausschreibung erstellten Vermerk ausgeführt hat, ist nicht belegt. Insbesondere fehlt es an der grundsätzlich erforderlichen Erkundung des Bewerberkreises, die aktenkundig zu machen gewesen wäre. Die fehlende Dokumentation geht zu Lasten der Klägerin als Auftraggeberin. Die Dokumentation stellt eine wesentliche Verfahrenspflicht des öffentlichen Auftraggebers dar, ohne deren ordnungsgemäße Erfüllung weder eine effektive Kontrolle der im Vergabeverfahren getroffenen Entscheidungen noch der den Bietern gewährleistete Primärrechtsschutz sicherzustellen sind und zudem Manipulationen an der Ausschreibung und am Ergebnis ermöglicht werden.

Soweit die Klägerin geltend macht, sie habe das Angebot im Wege der freihändigen Vergabe erteilen dürfen, muss sie sich auch entgegenhalten lassen, dass sie in ihrem Vergabevermerk angegeben hat, die Beschaffung des Fahrzeugs im Rahmen einer beschränkten Ausschreibung vorgenommen zu haben. Von einer freihändigen Vergabe war dort mit keinem Wort die Rede. Ein unzulässiges Vergabeverfahren kann nicht im Nachhinein damit gerechtfertigt werden, dass auch eine andere Vergabeart zulässig gewesen wäre. Zumindest wäre auch insoweit zu verlangen gewesen, die Gründe für das Absehen von einer beschränkten Ausschreibung zugunsten einer freihändigen Vergabe aktenkundig zu machen, um Manipulationen am Vergabeverfahren zu verhindern. Daran fehlt es hier.

Dass hier die Voraussetzungen der eng auszulegenden Ausnahmebestimmungen zur Anwendung der beschränkten Ausschreibung bzw. der freihändigen Vergabe vorlagen, die im Übrigen vor der Vergabe hätten aktenkundig gemacht werden müssen, konnte die Klägerin nicht belegen, obwohl ihr dafür die Beweislast obliegt. Indem die Klägerin zwecks Beschaffung eines Feuerwehrlöschfahrzeugs statt der gebotenen öffentlichen Ausschreibung eine beschränkte Ausschreibung durchführte, verstieß sie somit gegen vergaberechtliche Vorschriften, zu deren Einhaltung sie verpflichtet war. Allein die fehlerhafte Wahl des Vergabeverfahrens rechtfertigt als schwerer Vergabeverstoß bereits im Regelfall den Widerruf einer Zuwendung, ohne dass der Zuwendungsgeber verpflichtet ist, einen zusätzlichen Verstoß gegen das Gebot der wirtschaftlichen und sparsamen Mittelverwendung zu belegen, was im Übrigen praktisch auch kaum durchführbar wäre. Vielmehr indiziert die Missachtung des Vergaberechts, das auch die Wirtschaftlichkeit der Auftragsvergabe sicherstellen soll, die Unwirtschaftlichkeit!

Ist eine ermessenseinräumende Vorschrift dahin auszulegen, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht (sog. gelenktes bzw. intendiertes Ermessen), so müssen besondere Gründe vorliegen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst und bedarf keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung. Im Zuwendungsrecht ist anerkannt, dass die haushaltsrechtlichen Gründe der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei Vorliegen von Widerrufsgründen im Regelfall zum Widerruf einer Zuwendung zwingen, sofern nicht außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen. Diese Haushaltsgrundsätze überwiegen im Allgemeinen das Interesse des Begünstigten, den Zuschuss behalten zu dürfen, und verbieten einen großzügigen Verzicht auf den Widerruf von Subventionen.

Ein nur teilweiser Widerruf der Zuwendung lässt sich auch nicht mit dem Hinweis auf die Leitlinien zur Festsetzung von Finanzkorrekturen, die bei Verstößen gegen die Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge auf von der EU im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung finanzierte Ausgaben anzuwenden sind, rechtfertigen. Wurde eine Auftragsbekanntmachung nicht veröffentlicht, beträgt der Berichtigungssatz auch nach den Leitlinien 100%.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Schleswig Feuerwehrlöschfahrzeug II ist richtig und knüpft in ihrer Ausprägung an die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Augsburg Feuerwehrlöschfahrzeug I vom 23.02.2016 Az. 3 K 15.1070 [Vergabeblog.de vom 07/04/2016, Nr. 25371] nahtlos an:

Bei Verstößen gegen vergaberechtliche Bestimmungen droht im Zuwendungsverhältnis die Rückforderung von zugewandten Mitteln (bis zur Höhe von 100%) zuzüglich nicht unbeträchtlicher Zinsforderungen. Ein Ermessen des Zuwendungsgebers (auf die Rückforderung zu verzichten) besteht hier grundsätzlich nicht!

Vorliegend veranschaulicht der seitens des Gerichts dargestellte Sachverhalt sehr eindrücklich mit welchem argumentativen Aufwand die Klägerin versucht hat, ihr Vorgehen nachträglich vergaberechtlich zu rechtfertigen. Dabei lassen sich einige der vorgebrachten Erwägungen, welche bei dieser Entscheidungsbesprechung nicht thematisiert werden können, durchaus hören. In der Sache überzeugten die Ausführungen allerdings weder den Zuwendungsgeber, noch das Gericht. Zu Recht!

Der Vorrang der öffentlichen Ausschreibung vor allen anderen Vergabearten ohne öffentliche Bekanntmachung verfolgt den Zweck, einen möglichst breiten und transparenten Wettbewerb zu schaffen und damit sicherzustellen, dass der im Sinne der Ausschreibung günstigste Anbieter den Zuschlag erhält. Zuwendungen der öffentlichen Hand werden regelmäßig mit einer Verpflichtung des Zuwendungsempfängers zur Einhaltung dieser Bestimmung verbunden, weil (nur) auf diesem Wege gewährleistet werden kann, dass bei der Verwendung der Zuwendungen das haushaltsrechtliche Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit eingehalten wird. Ausgehend davon liegt es nahe, einen Verstoß gegen die Bestimmungen über die Vergabeart wegen der damit regelmäßig verbundenen Gefährdung der genannten Haushaltsgrundsätze im Regelfall als schwerwiegend einzuordnen.

Da es vorliegend darüber hinaus an einer hinreichenden Markterkundung fehlte, wäre es nach Ansicht des Gerichts durchaus denkbar gewesen, dass auch andere im Vergabevermerk nicht genannte Unternehmen den gewünschten Fahrzeugaufbau zu einem besonders günstigen Preis hätten anbieten können. Da eine Markterkundung nur in ganz besonderen Fällen eine Produktvorgabe rechtfertigen kann [siehe Vergabeblog.de vom 25/06/2015, Nr. 22831 zur Entscheidung der VK Bund vom 10.06.2015 Az. VK 1-40/15], taugt diese auch nur in ganz bestimmten Einzelfällen zur Rechtfertigung eines Verfahrens ohne öffentliche Bekanntmachung. Des Weiteren setzt dies voraus, dass die Dokumentation der Entscheidung im Vorfeld der Vergabe erfolgt. Ob die erforderliche Dokumentation nachgeholt werden kann, wie die Klägerin im Verfahren meinte, konnte das Gericht dahinstehen lassen, da bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens keine solche Nachholung in ausreichendem Maße erfolgte.

Praxistipp

Das Augenmerk und die Bedeutung des Vergaberechts im Zuwendungsverhältnis nimmt stetig zu. Es kann nicht überbetont werden. Jeder Zuwendungsempfänger ist gezwungen, der Einhaltung der vergaberechtlichen Anforderungen bei der Mittelverwendung höchste Priorität beizumessen. Dies gilt auch dann, wenn er selbst öffentlicher Auftraggeber ist. Die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) wird in Zukunft daran nichts ändern. Ganz im Gegenteil: Die Pflichten des Zuwendungsempfängers, mithin des Auftraggebers im Vergabeverhältnis, werden dadurch noch zunehmen!

Die im Rahmen der Verwendungsnachweisprüfung anstehende objektive Rechtmäßigkeitskontrolle kann nur erfolgreich, mithin ohne Rückforderung, bestanden werden, wenn die Grundregeln (öffentliche Bekanntmachung, Aufteilung in Lose, Verzicht auf Produktvergabe, Ausschluss von fehlerhaften Angeboten etc.) eingehalten oder aber Ausnahmen hierzu sehr gut (!) anhand der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls (!) rechtzeitig im Vorfeld der Vergabe dokumentiert (!) werden. Den Zuwendungsempfänger trifft insofern eine Holschuld. Etwaige vergaberechtliche Problemstellungen und Unklarheiten muss er durch Beiziehung externen Sachverstands und/ oder durch Nachfrage beim Zuwendungsgeber aufklären [Vergabeblog.de vom 07/04/2016, Nr. 25371].

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eVergabe: Licht und Schatten des Rechtsrahmens zur elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren (Teil 1)

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Recht

Mit dem Beitrag im Vergabeblog am 18.4.2017 unter dem Titel „eVergabe: Heute zündet die 2. Stufe der Umsetzungspflicht für Zentrale Vergabestellen“ wurde über die die grundsätzliche Verpflichtung zur eVergabe durch Zentrale Beschaffungsstellen ab dem 18.4.2017 berichtet (Vergabeblog.de vom 18/04/2017, Nr. 30786). Bereits ein Jahr zuvor wurde die 1. Stufe mit Inkrafttreten des neuen oberschwelligen Vergaberechts im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der Vergabeverordnung (VgV), der Sektorenverordnung (SektVO) und der Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) gezündet.

Während es bei der 1. Stufe „nur“ um die verpflichtende Anwendung partieller elektronischer Elemente im Vergabeverfahren ging (elektronische Bekanntmachung und elektronische Bereitstellung der Vergabeunterlage), die alle Auftraggeber und Konzessionsgeber gleichermaßen traf, ging die 2. Stufe – wenn auch zunächst begrenzt auf Zentrale Beschaffungsstellen – um ein Vielfaches weiter. Das Ziel ist so eindeutig wie seit Beginn der Implementierung von e-Vergabe in rechtlicher und technischer Sicht um die Jahrtausendwende bekannt: Es geht um eine Vereinfachung der Vergabe unter gleichzeitiger Steigerung von Effizienz und Transparenz (vgl. Erwägungsgründe 52 und 72 der RL 2014/24/EU).

Der nachfolgende Beitrag soll in zwei Teilen anhand der wesentlichen sechs Schritte im Vergabeverfahren und mit Blick auf den Vertragsanbahnungsprozess die nationale Umsetzung der EU-Regelungen zur verpflichtenden eVergabe am Beispiel der Vergabeverordnung –VgV darstellen. Dabei sollen vor dem Hintergrund der vorgenannten Zielvorgabe auch widersprüchliche und fragwürdige Bestimmungen kritisch hinterfragt werden.

In diesem ersten Teil werden Ihnen die Schritte 1) bis 3) vorgestellt.

Schritt 1) Bekanntmachung (ab 18.04.2016)

Allgemein: Die Bekanntmachung ist im Amtsblatt S der EU (TED) zu veröffentlichen.

Konkret umgesetzt: Die Bekanntmachungen (hier: Auftragsbekanntmachung) sind mittels entsprechender Standardformulare zu erstellen (§ 37 Abs. 2, § 39 Abs. 2 VgV) und dem Amt für Veröffentlichungen der EU elektronisch zu übermitteln (§ 40 Abs. 2 VgV). Art. 6 der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986 zur Einführung von Standardformularen bestimmt in diesem Zusammenhang, dass öffentliche Auftraggeber die Formulare (nur noch) elektronisch mittels der Online-Anwendung eNOTICE oder mittels TED-eSender übermitteln (dürfen).

Schritt 2) Bereitstellung der Vergabeunterlagen (ab 18.04.2016)

Allgemein: Die Vergabe- bzw. Teilnahmeunterlagen sind an Bewerber zu übermitteln oder diesen bereitzustellen, die ihr Interesse an der Ausschreibung bekunden.

Konkret umgesetzt: Die Vergabeunterlagen müssen über eine elektronische Andresse in der Auftragsbekanntmachung oder der Aufforderung zur Interessenbestätigung unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt elektronisch zum Abruf bereitgestellt werden (§ 41 VgV).

Ungeregelt ist die Bereitstellung der Vergabeunterlagen in Verfahren ohne Auftragsbekanntmachung bzw. Vorinformation. Hier empfiehlt sich in richtlinienkonformer Auslegung die Beachtung des nicht umgesetzten Art. 54 Abs. 2 RL 2014/24/EU (Vergaberichtlinie > VRL), der für alle Vergabeverfahren unterschiedslos vorgibt, dass die Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes (oder Aufnahme des Dialogs) grundsätzlich ein Verweis auf die elektronische Adresse enthalten muss, über die die Auftragsunterlagen direkt elektronisch zur Verfügung gestellt wurden. Den Aufforderungen sind die Vergabeunterlagen „beizufügen“, wenn ein unentgeltlicher, uneingeschränkter, vollständiger und direkt elektronischer Zugang aus den Gründen nach Art. 53 Abs. 1 UAbs. 2 oder 3 der VRL nicht angeboten wurde werden.

  • Ausnahmen von der elektronischen Bereitstellung der Vergabeunterlagen

Die Ausnahmegründe sind umgesetzt in § 41 Abs. 2 und 3 VgV. Insbesondere bei den in Abs. 2 genannten technischen Gründen für eine Ausnahme von der uneingeschränkten Bereitstellung der Vergabeunterlagen zeigt sich die unglückliche Umsetzungssystematik, die der Verordnungsgeber für diese Vorschrift gewählt hat. § 41 Abs. 2 VgV beruht auf Art. 53 Abs. 1 UAbs. 2 VRL, der seinerseits auf die in Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 VRL genannten Gründe für die abweichende Übermittlung der Vergabeunterlagen abstellt. Aus Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 ergibt sich allerdings, dass die dort genannten Gründe in erster Linie dazu dienen, von einer elektronischen Angebotsabgabe abzuweichen, die als Teil der elektronischen Kommunikation nach Art. 22 Abs. 1 UAbs. 1 VRL grundsätzlich zu erfolgen hat. Art. 53 Abs. 1 UAbs.2 VRL nimmt insofern nur soweit auf diese Ausnahmetatbestände Bezug, wie sie sich für die abweichende Übermittlung der Angebotsunterlagen anbietet. In dieser Systematik hätte die VgV die Tatbestände des Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 VRL als Ausnahme vom Grundsatz der elektronischen Angebotsabgabe in § 53 VgV regeln müssen und für Ausnahmen, die auf die alternative Übermittlung der Vergabeunterlagen passen, hierauf in § 41 Abs. 2 VgV Bezug nehmen müssen. Insofern passt z.B der Ausnahmetatbestand des Abs. 2 Nr. 2 VgV nicht in die Systematik des § 41 VgV, da die Nr. 2 ausdrücklich auf Dateiformate zur Beschreibung von Angeboten beschränkt ist, die nicht mit allgemein verfügbaren oder verbreiteten Programmen verarbeitet werden können oder lizenzrechtlich geschützt sind. Der Ausnahmetatbestand muss nämlich der Sphäre der Bieter zugeordnet werden und stellt keinen Bezug zur Bereitstellung der Vergabeunterlagen durch die öffentlichen Auftraggeber dar.

Ähnliches gilt für den Ausnahmetatbestand nach Abs. 2 Nr. 3 des § 41 VgV bzgl. der irreführenden Verordnungsbegründung (Verwendung von Bürogeräten, die dem öffentlichen Auftraggeber nicht allgemein zur Verfügung stehen). Die in der Verordnungsbegründung genannten „Großformatdrucker oder Plotter“, die als Beispiele aus dem Erwägungsgrund 53 der VRL vom Verordnungsgeber unreflektiert übernommen wurden, zeigen auf, dass es sich bei den Ausnahmetatbeständen ursprünglich um Ausnahmen von der elektronischen Angebotsabgabe handelt, da Großformatdrucker nur im Zusammenhang mit dem Ausdrucken großer Pläne als Teil des Angebots zum Einsatz kommen. Ist der öffentliche Auftraggeber nicht im Besitz solcher Großformatdrucker, kann er die Angebote ausnahmsweise auf nichtelektronischem Wege verlangen. Bezüglich der Vergabeunterlagen kann es nur um solche Geräte gehen, die dem öffentlichen Auftraggeber zur Erstellung der elektronischen Vergabeunterlagen fehlen. Das könnten z.B. Großscanner sein, die vorhandene Pläne, die für die Leistungsbeschreibung als Teil der Vergabeunterlagen wichtig sind, eingescannt und damit digitaler Bestandteil der Vergabeunterlagen werden könnten (so auch Rechten in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV § 41, RdNrn 41 ff.).

In den nachfolgenden Schritten 3 – 5 ist die elektronische Kommunikation bereits ab dem 19.4. 2017 für Zentrale Beschaffungsstellen und ab dem 19. Oktober 2018 für alle anderen öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich verpflichtend.

Schritt 3) Bewerberkommunikation

Allgemein: Bei vielen Vergabeverfahren ergeben sich Aufklärungsfragen der Bewerber, die von Seiten der Vergabestellen (diskriminierungsfrei) beantwortet werden müssen sowie Benachrichtigungen über nicht berücksichtigte Bewerbungen. Die Abgabe von Teilnahmeanträgen, Interessenbekundungen und Interessenbestätigungen gehören ebenso zur Bewerberkommunikation.

Konkret umgesetzt:

  • Grundsätze der Kommunikation

Grundsätzlich gilt, dass für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten in einem Vergabeverfahren sowohl die öffentlichen Auftraggeber als auch die Unternehmen Geräte und Programme für die elektronische Datenübermittlung (elektronische Mittel) verwenden müssen (§ 97 Abs. 5 GWB, § 9 Abs. 1 VgV). Die Vorschrift richtet sich nach ihrem Wortlaut gleichermaßen an öffentliche Auftraggeber und Unternehmen. Die Einbeziehung der Unternehmen in den Adressatenkreis der Vorschrift ist jedoch gemessen an den europäischen Vergaberichtlinien zu weitgehend. Die Richtlinien adressieren- so wie in Art. 22 Abs. 1 VRL entweder die Mitgliedstaaten oder – wie in den meisten Fällen – die öffentlichen Auftraggeber. Eine gesetz- oder verordnungsgeberische Vorgabe an Unternehmen, elektronische Mittel bei der Teilnahme an einem Vergabeverfahren verwenden zu müssen, ist zweifelhaft, da Herr des Verfahrens der öffentliche Auftraggeber ist. Dieser hat das zu verwendende Kommunikationsmittel verbindlich vorzugeben. Das interessierte Unternehmen hat sich an diese Vorgabe zu halten, um überhaupt am Vergabeverfahren teilnehmen zu können. Daher ist die in der Fachliteratur auch vertretene Auffassung, dass es sich bei dieser Regelung um einen „Papiertiger“ handelt, die allenfalls von praktisch deklaratorischer Bedeutung ist, nicht von der Hand zu weisen.

Aus dem GWB ergibt sich für niemanden die Möglichkeit, mittels gesetzlicher Maßnahmen gegenüber einem Unternehmen dessen Einhaltung der verpflichtenden Verwendung elektronischer Mittel durchzusetzen. Infrage kommt lediglich eine Quasi-Sanktion, indem Unternehmen, welche vom öffentlichen Auftraggeber festgelegte Vorhaben nicht beachten, z.B. nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV wegen nicht formgerechter Angebotseinreichung auszuschließen sind (so Müller zu § 9 Abs. 1 VgV in Kommentar zur VgV Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß – Ausgabe Juli 2016).

  • Spezialregelungen der Bewerberkommunikation

Über diese grundsätzlichen Bestimmungen zur elektronischen Kommunikation hinaus wurden bzgl. der Form und Übermittlung der Interessenbekundungen, Interessenbestätigungen und Teilnahmeanträge (neben der Angebotsabgabe) gesonderte Regelungen in § 53 VgV aufgenommen. Auch hier werden die Unternehmen verpflichtet, diese Dokumente elektronische einzureichen. Darüber hinaus wird den Unternehmen die Textform nach § 126b BGB vorgegeben. Der deklaratorische Charakter dieser Regelung ist aufgrund der Normadressierung ebenso evident wir im Falle der Kommunikationsregelung nach § 9 Abs. 1 VgV , denn auch hier ist der öffentliche Auftraggeber Herr des Verfahrens , der vorgibt, in welcher Form diese Dokumente von den Unternehmen abgegeben werden müssen. Ein Hinweis darauf ergibt sich auch aus der Übergangsbestimmung des § 81 VgV. Während § 81 VgV korrekterweise die öffentlichen Auftraggeber als die „Herren des Verfahrens“ adressieren, die für einen Übergangszeitraum auch nichtelektronische Übermittlungswege verlangen können, erweckt § 53 Abs. 1 VgV hingegen den Eindruck, die Unternehmen werden qua Rechtsverordnung zur elektronischen Übermittlung verpflichtet.

Im Gegensatz zur vertragsrechtlichen Unerheblichkeit von Interessenbekundungen, Interessenbestätigungen und Teilnahmeanträgen, wird jedoch vergaberechtlich bestimmt, dass es sich zumindest bei Teilnahmeanträgen und Interessenbestätigungen um wesentliche Bestandteile des Vergabeverfahrens handelt. Dies ergibt sich aus § 9 Abs. 2 VgV, der die mündliche Kommunikation in einem Vergabeverfahren für den Fall kategorisch ausschließt, in denen Teilnahmeanträge und Interessenbekundungen betroffen sind. Weitere Ausführungen hierzu in Schritt 4.

  • Elektronische Erstellung der EEE nach Ablauf der Übergangsregelung des § 81 VgV

Zur elektronischen Bewerberkommunikation gehört auch die ausnahmslose Pflicht zur Erstellung der Einheitlichen europäischen Eigenerklärung (EEE) nach Ablauf der Übergangsfristen in elektronischer Form nach § 81 VgV. Dies ergibt sich nicht so ohne weiteres aus § 50 VgV, der zwar die EEE regelt, aber die elektronische Erstellung nicht thematisiert. § 50 Abs. 1 VgV verweist zwar auf das Standardformular gem. der Durchführungsverordnung (EU) 2016/7 vom 5. Januar 2016 zur Einführung des Standardformulars für die Einheitliche Europäische Eigenerklärung, die Verordnung selbst verweist bzgl. der elektronischen Erstellung jedoch nur auf Art. 59 Abs. 2 UAbs. 2 der VRL, der bestimmt, dass die EEE ausschließlich in elektronischer Form ausgestellt wird. Diese Bestimmung wurde jedoch nicht ausdrücklich umgesetzt. Mit Ablauf der Übergangsfristen nach § 81 VgV unterfällt die elektronische Erstellung der EEE jedoch unter die verpflichtenden elektronischen Kommunikationsregeln nach § 9 Abs. 1 VgV. Darauf verweist auch der Leitfaden des BMWi für das Ausfüllen der EEE (Stand: Dezember 2016) in Abschnitt II Satz 2. Dort heißt es: „Nach dem 18.Oktober 2018 (bzw. für zentrale Beschaffungsstellen nach dem 18. April 2017) ist für Vergaben oberhalb der EU-Schwellenwerte ausschließlich die elektronische Eigenerklärung zu verwenden

Im kommenden Teil 2 werden die Schritte 4) “Angebotsabgabe”, 5) “Bieterkommunikation” und 6) “Annahme des Angebots” beleuchtet.

Hinweis der Redaktion
Die DVNW Akademie bietet zu der Thematik „eVergabe“ Inhouse-Seminare an. Mehr zu Inhouse-Seminaren der DVNW Akademie finden Sie hier.

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Bedarfs- oder Alternativposition? Auftraggeber muss sich eindeutig festlegen! (VK Bund, Beschl. v. 23.02.2017 – VK 1-11/17)

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BauleistungenRecht

EntscheidungBedarfsposition, Eventualposition, Wahlposition oder Alternativposition worin liegt der Unterschied? Viele öffentliche Auftraggeber verwenden die Begriffe relativ unbedarft und messen dieser Frage wenig Bedeutung bei. Wie eine aktuelle Entscheidung der Vergabekammer des Bundes zeigt, kann genau das aber ziemlich riskant sein.

GWB § 97 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 1, § 160 Abs. 3

Leitsatz (nicht amtlich)

  1. Sog. „Bedarfs-“ bzw. „Eventualpositionen“ sind Leistungen, bei denen zum Zeitpunkt der Erstellung der Leistungsbeschreibung noch nicht feststeht, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sie überhaupt zur Ausführung kommen sollen. Solche Positionen enthalten nur eine im Bedarfsfall erforderliche Leistung, über deren Ausführung erst nach Auftragserteilung und nicht bereits bei Erteilung des Zuschlags entschieden wird.
  2. Demgegenüber handelt es sich bei sog. „Alternativ-“ bzw. „Wahlpositionen“ um Leistungspositionen, bei denen sich der Auftraggeber noch nicht auf eine bestimmte Art der Leistungserbringung festgelegt hat, sondern mehrere Alternativen ausschreibt, von denen er nach Kenntnisnahme der Angebotsinhalte eine Alternative für den Zuschlag auswählt.
  3. Da sich der Unterschied zwischen „Bedarfs-“ bzw. „Eventualpositionen“ und „Alternativ-“ bzw. „Wahlpositionen“ auf die Kalkulation der Angebote auswirken kann, gebietet es der Grundsatz der Transparenz und der Bestimmtheit der Leistungsbeschreibung, dass der öffentliche Auftraggeber den Bietern eindeutig mitteilt, was für Positionen er ausschreibt.
  4. Zu einer die Rügeobliegenheit auslösenden Erkennbarkeit gehört, dass der Bieter aus den erkannten Tatsachen zumindest laienhaft die rechtliche Wertung zieht, dass das betreffende Verhalten des öffentlichen Auftraggebers vergaberechtswidrig ist.
  5. Die vergaberechtlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit von Alternativ- oder Bedarfspositionen zählen nicht zum allgemeinen und grundlegenden Wissen der beteiligten Bieterkreise.

Sachverhalt

Bei der Vergabe der Umgestaltung eines Omnibusbahnhofs war das einzige Zuschlagskriterium der Preis. Die Baubeschreibung enthielt den ausdrücklichen Hinweis, dass keine Bedarfspositionen vorgesehen seien. Dennoch enthielt die Leistungsbeschreibung an verschiedenen Stellen ausdrücklich als solches bezeichnete Bedarfspositionen. Für die Wetterschutzdächer sah die Leistungsbeschreibung als Bedarfsposition an einer Stelle eine Ausführung in der qualitativ besonders hochwertigen Sichtbetonklasse SB 4 vor. An einer anderen Stelle sah sie für dieselbe Fläche eine Ausführung in der geringwertigeren Sichtbetonklasse SB 1 vor, auch dies ausdrücklich als Bedarfsposition. Submittiert und gewertet wurde aber nur die Ausführung in SB 4.

Der Zweitplatzierte hätte jedoch auf Rang 1 gelegen, wenn allein Ausführung in SB 1 berücksichtigt worden wäre. Er griff daher die Wertungsentscheidung an.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer des Bundes untersagte nicht nur den Zuschlag, sondern verpflichtete die beiden Auftraggeber darüber hinaus auch, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren zurückzuversetzen und die Vergabeunterlagen zu überarbeiten.

Unklarer rechtlicher Charakter der Bedarfspositionen verstößt gegen Transparenzgebot

Der Vergabekammer zufolge lag nämlich ein Verstoß gegen das Transparenzgebot darin, dass die Leistungsbeschreibung nicht hinreichend klar erkennen ließ, welchen rechtlichen Charakter die in der Leistungsbeschreibung enthaltenen Bedarfspositionen tatsächlich haben sollten.

Eine Bezeichnung als Bedarfsposition (oder auch als Eventualposition) wäre nur dann zutreffend gewesen, wenn die Auftraggeber erst nach Auftragserteilung darüber hätten entscheiden wollen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Positionen jeweils zur Ausführung kommen sollten. Hier aber war die Entscheidung offenbar schon mit dem Zuschlag für die allein submittierte und gewertete – Ausführung in SB 4 gefallen. Dies sprach eher für eine Einordnung als sog. Alternativ oder Wahlpositionen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass Auftraggeber regelmäßig schon bei Zuschlag über die konkrete Ausführungsalternative entscheiden. Zudem schloss die Baubeschreibung ja auch ausdrücklich Bedarfspositionen aus.

Allerdings zeigte sich im Nachprüfungsverfahren, dass sich die Auftraggeber auch untereinander über die Bedeutung der Positionen nicht einig waren. Während einer der Meinung war, dass die Ausführung in SB 4 die beauftragte Grundposition und die Ausführung in SB 1 die mögliche Alternative sein sollte, ging der andere davon aus, dass man sich in einer Bieterauskunft schon auf die alleinige Ausführung in SB 4 festgelegt habe.

Die Vergabekammer hielt es schließlich als weitere Auslegungsvariante – für möglich, dass die beiden Positionen tatsächlich als Bedarfspositionen zu der als solches bezeichneten Grundposition der Deckenschalung der Wetterschutzdächer gedacht waren, und dass diese beiden Bedarfspositionen wiederum zueinander in einem Alternativverhältnis stehen sollten.

In Anbetracht dieser Unklarheiten genügte die Leistungsbeschreibung jedenfalls nicht mehr den vergaberechtlichen Transparenzanforderungen.

Vergaberechtliche Anforderungen an Wahlpositionen nicht beachtet

Im Übrigen wären die vergaberechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung als Wahl- bzw. Alternativpositionen auch nicht erfüllt gewesen.

In Anknüpfung an die bisherige Rechtsprechung stellte die Vergabekammer insbesondere klar, dass die Auftraggeber den Bietern vorab klare Kriterien für die Entscheidung zwischen den beiden Wahlpositionen hätten bekannt geben müssen. Daran fehlte es aber. Zwar ließ die Baubeschreibung erkennen, dass die Auftraggeber ein optisch ansprechendes Erscheinungsbild bevorzugten. Auch war für die Ausführung in SB 4 neben dem Einheitspreis auch ein Gesamtbetrag anzugeben und Musterflächen herzustellen. All dies waren jedoch lediglich unzureichende Indizien für die gewünschte Ausführung. Die Bieter konnten daran allerdings noch nicht das für die Auftraggeber letztlich entscheidende Auswahlkriterium erkennen. Vorliegend sollte dies das verfügbare Budget sein. Insbesondere, da allein der Preis als Zuschlagskriterium benannt worden war, mussten die Bieter aber nicht damit rechnen, dass die Auftraggeber auch bereit waren, die grundsätzlich teurere Ausführung in SB 4 zu beauftragen, solange diese nur innerhalb des Budgetrahmens lag.

Rechtliche Würdigung

Die Begriffe Bedarfs- bzw. Eventualposition und Alternativ- bzw. Wahlposition sind bislang nicht gesetzlich definiert. Auch § 7 Abs. 1 Nr. 4 (EU) VOB/A regelt bislang nur, dass Bedarfspositionen grundsätzlich nicht in die Leistungsbeschreibung aufgenommen werden sollen. Im Wesentlichen ergeben sich daher Inhalt und Grenzen einer zulässigen Ausschreibung mit Wahl oder Bedarfspositionen aus Rechtsprechung und Literatur, an die die Vergabekammer des Bundes hier anknüpft.

Praxistipp

In der Praxis sind sich viele öffentliche Auftraggeber über die vergaberechtlichen Anforderungen an Bedarfs- und Wahlpositionen nicht im Klaren und gehen vermeidbare Risiken ein. Dabei sind im Einzelfall oft auch zielführendere Gestaltungen möglich, die ohne Bedarfs- und Wahlpositionen auskommen, wie etwa im Rahmen funktional gestalteter Leistungsbeschreibungen (vgl. zum Erfordernis produktneutraler Gestaltung auch OLG München, Beschl. v. 22.10.2015, Az.: Verg 5/15), Preisobergrenzen oder nach neuem Recht explizit zugelassener Festpreisausschreibungen.

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eVergabe: Licht und Schatten des Rechtsrahmens zur elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren (Teil 2)

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Recht

Mit dem Beitrag im Vergabeblog am 18.4.2017 unter dem Titel „eVergabe: Heute zündet die 2. Stufe der Umsetzungspflicht für Zentrale Vergabestellen“ wurde über die die grundsätzliche Verpflichtung zur eVergabe durch Zentrale Beschaffungsstellen ab dem 18.4.2017 berichtet (Vergabeblog.de vom 18/04/2017, Nr. 30786). Bereits ein Jahr zuvor wurde die 1. Stufe mit Inkrafttreten des neuen oberschwelligen Vergaberechts im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der Vergabeverordnung (VgV), der Sektorenverordnung (SektVO) und der Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) gezündet.

In diesem zweiten Teil des Beitrages  werden die Schritte 4) “Angebotsabgabe”, 5) “Bieterkommunikation” und 6) “Annahme des Angebots” beleuchtet. Den ersten Teil, in dem die Schritte 1) bis 3) vorgestellt werden, finden Sie hier: .

Schritt 4) Angebotsabgabe

Pauschal: Der erste zentrale Kommunikationsschritt im üblichen Vertragsanbahnungsprozess durch Abgabe einer Willenserklärung durch die Bieter (§ 145 BGB). Im BGB als Antrag bezeichnet nennt man eine auf einen Vertragsschluss gerichtete empfangsbedürftige Willenserklärung, die so gestaltet ist, dass das Zustandekommen des Vertrages nur vom Einverständnis (= Annahme) des anderen abhängt.

Konkret umgesetzt:

  • Elektronische Form und Übermittlung von Angeboten

Die Form und Übermittlung von Angeboten ist zusammen mit der Form und Übermittlung von Interessenbekundungen, Interessenbestätigungen und Teilnahmeanträgen in § 53 VgV geregelt (Schritt 3).

Die Unternehmen sind demnach gem. § 53 Abs. 1 VgV verpflichtet, auch ihre Angebote in Textform nach § 126b BGB mithilfe elektronischer Mittel zu übermitteln. Damit stellt sich durch die Normadressierung an die Unternehmen – wie zuvor in Schritt 3  – auch die Frage nach dem deklaratorischen Charakter dieser Regelung und nach dem „Herrn des Verfahrens“ im Vergabeprozess. Erst im Abs. 2, der die Ausnahmen von der elektronischen Angebotsabgabe regelt, wird der öffentliche Auftraggeber als eigentlicher Normadressat erkennbar, der aus bestimmten Gründen von seiner Verpflichtung, die Einreichung von Angeboten mithilfe elektronischer Mittel zu verlangen, entbunden wird. Die Gründe für den möglichen Verzicht sind hingegen nicht im Kontext zu den Form- und Übermittlungsvorschriften für Angebote, sondern durch Verweis auf § 41 Abs. 2 Nr. 1-3 VgV mit den Ausnahmen für die elektronische Bereitstellung der Vergabeunterlagen geregelt. Dies liegt daran, dass die VRL in den Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 und  53 Abs. 1 UAbs.  2 für beide Sachverhalte dieselben Ausnahmetatbestände gelten lässt (siehe hierzu auch die näheren Ausführungen zu Schritt 2).

Obwohl die Form- und Übermittlungsvorschriften für Interessenbekundungen, Interessenbestätigungen, Teilnahmeanträge und Angebote identisch geregelt sind, sind die Ausnahmeregelungen von der elektronischen Übermittlung nur auf Angebote beschränkt, d.h. für die Übermittlung von  Interessenbekundungen, Interessenbestätigungen und Teilnahmeanträgen gibt es in Falle des § 53 VgV keine Ausnahmen von der elektronischen Übermittlung. Das ist in der Sektorenverordnung (SektVo) und Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) anders geregelt.

  • Abweichende Ausnahmeregelungen in VgV, SektVo und KonzVgV

Die Ausnahmen vom Grundsatz der elektronischen Kommunikation in Vergabeverfahren nach der SektVO beschränken sich –  im Gegensatz zur VgV – nicht nur auf die Angebotsabgabe, sondern erstrecken sich zusätzlich auf die Teilnahmeanträge, Interessenbekundungen und Interessenbestätigungen. Auch die KonzVgV beschränkt den Anwendungsbereich nicht auf die Angebotsabgabe, sondern umfasst auch die Einreichung von Teilnahmeanträgen. Damit werden sämtliche vergaberelevanten Antragsverfahren im Vertragsanbahnungsprozess nach SektVO und KonzVgV erfasst, die in ihrer Gesamtheit in den Richtlinien auch als „Einreichungsverfahren“ bezeichnet werden.

Auf den ersten Blick ist dies nicht nachvollziehbar, da der zugrundeliegende Art. 40 Abs. 1 UAbs. 2 der RL 2014/25/EU (Sektorenrichtlinie – SRL) ebenso wie Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 der VRL  die Ausnahmen nur auf die Angebotsabgabe (Einreichung von Angeboten) beschränkt und die KonzVgV den Grundsatz der elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren aus VgV und SektVO übernimmt. Hintergrund dürfte ein Übersetzungsfehler in den deutschsprachigen Richtlinien an dieser Stelle sein. Während die englischsprachige Version der beiden Richtlinien in den Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 VRL und 40 Abs. 1 UAbs. 2 SRL den Begriff  „submission process“ verwendet, was übersetzt nichts anderes als „Einreichungsverfahren“ bedeutet, wurde dies in den deutschsprachigen Richtlinien mit „Angeboten“ übersetzt und betrifft damit nur einen Teil des Einreichungsverfahrens. Dass es sich ganz offensichtlich um einen Übersetzungsfehler handelt, der lediglich von der SektVO und der KonzVgV berücksichtigt wurde, ergibt sich insbesondere aus den Erwägungsgründen im Zusammenhang mit den geregelten Ausnahmen von der elektronischen Kommunikation. Dort heißt es:

„Es sollte klargestellt werden, dass die Verpflichtung zur Verwendung elektronischer Mittel in allen Phasen des Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge nicht angemessen wäre, wenn die Nutzung elektronischer Mittel besondere Instrumente oder Dateiformate erfordern würde, die nicht allgemein verfügbar sind, oder wenn die betreffende Kommunikation nur mit speziellen Bürogeräten bearbeitet werden könnte. Öffentliche Auftraggeber sollten daher nicht verpflichtet werden, in bestimmten Fällen die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel im Einreichungsverfahren zu verlangen; diese Fälle sollten erschöpfend aufgelistet werden (Erwägungsgründe 53 Satz 3 und 4 VRL, 64 Satz 3 und 4 2014/25/EU).

  • Obligatorische Verhältnismäßigkeitprüfung auf den evtl. Einsatz elektronischer Signaturen aufgrund erhöhter Sicherheitsanforderungen an die Datenübermittlung

Wird jedoch die Verwendung elektronischer Mittel vorgegeben, hat der Auftraggeber zu prüfen, ob die zu übermittelnden Daten erhöhte Anforderungen an die Sicherheit stellen, die bei Bejahung den Auftraggeber berechtigen soll, nicht nur für die Abgabe elektronischer Angebote, sondern für das  gesamte Einreichungsverfahren (d.h. zusätzlich für Interessenbekundungen, Interessenbestätigungen und Teilnahmeanträgen) fortgeschrittene oder qualifizierte elektronische Signaturen oder entsprechende Siegel zu verlangen. Die Festlegung dieses Sicherheitsniveaus muss das Ergebnis einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung zwischen den zur Sicherung einer richtigen und zuverlässigen Authentifizierung der Datenquelle (durch Identifizierung) und der Unversehrtheit der Daten erforderlichen Maßnahmen einerseits und von den potenziellen Gefahren aus unberechtigten Datenquellen oder von fehlerhaften Daten andererseits sein. Der Verordnungsgeber macht in der Begründung zu § 53 Abs. 3 VgV entsprechende differenzierende Hinweise, in welchen Fällen beispielsweise ein höheres Sicherheitsniveau vorliegen könnte: Eine einfache E-Mail mit der sich ein Unternehmen nach der Postanschrift des Auftraggebers erkundigt, dürfte ein geringeres Sicherheitsniveau aufweisen als die Abgabe eines Angebots. In gleicher Weise kann Ergebnis der Einzelabwägung sein, dass bei der erneuten Einreichung elektronischer Kataloge oder bei der Einreichung von Angeboten im Rahmen von Kleinstwettbewerben bei einer Rahmenvereinbarung oder beim Abruf von Vergabeunterlagen nur ein niedriges Sicherheitsniveau zu gewährleisten ist. Hier hat sich der deutsche Verordnungsgeber auf die Erwägungsgründe des Richtliniengebers abgestützt, der eben auch bei der Sicherheitseinstufung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.S. des § 97Abs. 1 GWB gewahrt sehen will.

  • Obligatorische Verhältnismäßigkeitprüfung auf das Vorliegen erhöhter Sicherheitsanforderungen beim Einsatz elektronischer Mittel

Eine parallele Regelung über die Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung findet sich auch in § 10 Abs. 1 Satz 1 VgV, der bestimmt, dass die Auftraggeber das erforderliche Sicherheitsniveau für die elektronischen Mittel (Geräte und Programme), die in den verschiedenen Phasen des Vergabeverfahrens genutzt werden sollen, festlegen muss. Bei der in diesem Zusammenhang durchzuführenden Verhältnismäßigkeitsprüfung geht es ebenfalls um die Abwägung zwischen der Notwendigkeit einer zuverlässigen Identifizierung des Datensenders und der Unversehrtheit der Daten einerseits und den potenziellen Gefahren aus einer beispielsweise nicht sicher identifizierten Datenquelle oder eines unberechtigten Datenzugriffs während der Übermittlung andererseits.

  • Widerspruch zur geforderten umfassenden Gewährleistung an Unversehrtheit, Vertraulichkeit und Echtheit der Daten bei elektronischer Kommunikation durch die Auftraggeber?

Diese vernünftige Betrachtung des Vergabeprozesses, die davon ausgeht, dass ein hohes Sicherheitsniveau unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht in jedem Verfahrensschritt vorliegen muss, steht offenbar im Widerspruch zu den Anforderungen an den Einsatz elektronischer Mittel im Vergabeverfahren selbst. Nach § 11 Abs. 2 VgV darf der Auftraggeber für die elektronische Kommunikation in einem Vergabeverfahren ausschließlich solche elektronischen Mittel verwenden, die die Unversehrtheit, die Vertraulichkeit und die Echtheit der Daten gewährleisten. Die  Verordnungsbegründung führt dazu ergänzend aus, dass es dem Auftraggeber obliegt, während des gesamten Vergabeverfahrens die Unversehrtheit, die Vertraulichkeit und die Echtheit aller verfahrensbezogenen Daten sicherzustellen“.

Die Regelung passt systematisch nicht zu den ansonsten in § 11 VgV geregelten Anforderungen an den Einsatz der elektronischen Mittel und den zuvor thematisierten Verhältnismäßigkeitsüberlegungen: Die Sicherstellung der Echtheit der übermittelten Daten wird nicht von den eingesetzten elektronischen Mitteln gewährleistet, sondern ist eine Frage der Authentizität des Datenabsenders durch Identifizierung. Eine verbindliche Feststellung und Überprüfung des Absenders der Daten ist im elektronischen Rechtsverkehr aber praktisch nur durch Verwendung einer fortgeschrittenen oder qualifizierten elektronischen Signatur oder eines entsprechenden elektronischen Siegels möglich (siehe Art. 26 der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates v.23.Juli 2014 über die elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG (eIDAS-Verordnung)). Da deren Verwendung jedoch nur unter den in § 53 Absatz 3 VgV geregelten Voraussetzungen zulässig ist, ist eine einschränkende Auslegung von § 11 Absatz 2 VgV nicht nur zur Frage der Echtheit der Daten, sondern auch zu deren Integrität vorzunehmen. Tut man dies nicht, bleibt der Widerspruch zwischen dem umfassenden Anspruch an Datenintegrität und Authentizität in sämtlichen Phasen eines Vergabeverfahrens nach § 11 Absatz 2 VgV einerseits und der geforderten Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 53Absatz 3 VgV andererseits bestehen (ähnlich Honekamp in Kommentar zum Sektorenvergaberecht Greb/Müller zu dem gleichlautenden § 11 Absatz 2 SektVO und daher analog anwendbar).

Mit dem Begriff der Gewährleistung bzw. Sicherstellung in diesem Kontext geht somit einher, dass die elektronischen Mittel beim Auftraggeber die Funktionalitäten zur Einhaltung dieser Anforderungen jederzeit vorhalten müssen, um gegebenenfalls eingesetzt werden zu können. Dies ist abhängig von der vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 10 Absatz 1 Satz 1 VgV und § 53 Absatz 3 VgV, die zu dem Ergebnis kommen kann, dass die zu übermittelnden Daten erhöhte Anforderungen an die Sicherheit stellen. Wird in diesem Zusammenhang konkret die Unversehrtheit der Daten (Datenintegrität) oder der zuverlässige Authentifizierung (Echtheit) der Datenquelle erforderlich, können Auftraggeber fortgeschrittene oder qualifizierte elektronische Signaturen oder entsprechende Siegel verlangen. Die fortgeschrittene und qualifizierte elektronische Signatur erfüllt neben ihrer rechtlichen Funktion als elektronische Unterschrift und damit als Ausdruck des Bindungswillens im Vertragsanbahnungsprozess (elektronische Form gem. § 126a BGB an Stelle der Schriftform gem. § 126 BGB) durch die Signaturmechanismen auch die technische Funktion an Datenintegrität und Absenderidentifizierung. Vertraulichkeit kann hingegen nur durch eine Verschlüsselung hergestellt werden.

Schritt 5): Bieterkommunikation

Pauschal: Sowohl bei Aufklärungsverhandlungen oder im Rahmen der Prüfung und Wertung der Angebote als auch nach der Angebotswertung ergeben sich Kommunikationsbedarfe zwischen Vergabestelle und Bieter. Hinzu kommen möglicherweise die Nachforderung von Nachweisen, die Mitteilung nach § 134 GWB, Zusage- oder Absagemitteilungen wie z.B. die Benachrichtigung über nicht berücksichtigte Angebote.

Konkret ungesetzt: Die Bieterkommunikation ist abgedeckt von § 97 Abs. 5 GWB und § 9 Abs. 1 VgV. Die Pflicht, grundsätzlich nur elektronische Mittel zu verwenden, betrifft ausschließlich den Datenaustausch zwischen den öffentlichen Auftraggebern und den Unternehmen.

Im Zusammenhang mit dem Ziel der Richtlinien nach einer vollständigen elektronischen Interaktion zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen im Vergabeverfahren hat europäisches (wie nationales) Vergaberecht unverändert die Aufgabe, unter Beachtung bestimmter Prinzipien und Verhaltensweisen (Transparenz, Wettbewerb, Nichtdiskriminierung und Verhältnismäßigkeit) öffentliche Auftraggeber zu einem wirtschaftlichen Vertragsschluss zu verhelfen. Vergaberecht ist also unverändert „Mittel zum Zweck“ für den Abschluss von Verträgen und kein Selbstzweck. Jede regulative Maßnahme, die diesem Zweck zuwiderläuft birgt das Risiko der Unverhältnismäßigkeit und stellt sich damit als (Vergabe) Norm selbst in Frage. Die begrenzte Zulässigkeit einer mündlichen Kommunikation in den Fällen, in denen die Vergabeunterlagen, die Teilnahmeanträge, die Interessenbestätigungen oder die Angebote nicht betroffen sind, birgt das Potenzial für eine solche Norm.

Man muss den Umkehrschluss des Wortlauts der Norm bemühen, um die möglicherweise fatalen Konsequenzen daraus zu ermessen. Die Bestimmung regelt nämlich die Unzulässigkeit der mündlichen Kommunikation betreffend die Vergabeunterlagen, Teilnahmeanträge, Interessenbestätigungen oder der Angebote, selbst in den Fällen einer möglichen und ausreichenden Dokumentation. Wenn man unter Kommunikation die Verständigung zwischen Menschen mithilfe von Sprache oder Zeichen oder im elektronischen Sinne den Austausch von Informationen zwischen Computern durch Datenübertragung versteht, muss die Frage erlaubt sein, ob in diesen wesentlichen Bestandteilen des Vergabeverfahrens (Vergabeunterlagen, Teilnahmeanträge oder Angebote) im elektronischen Vergabeverfahren nur noch Computer zum Einsatz kommen dürfen? Dies würde zu abstrusen Situationen in den Fällen führen, wo insbesondere Verhandlungen in Verhandlungsverfahren, wettbewerblichen Dialogen oder Innovationspartnerschaften zum Kernbereich des Vertragsanbahnungsprozesses öffentlicher Beschaffungsvorhaben gehören.

Es stellt sich in diesem Zusammenhang nämlich zunächst die Frage, wie denn Verhandlungen über Erst- und Folgeangebote im Falle eines Verhandlungsverfahrens nach § 17 Abs. 10 VgV, oder wie ein wettbewerblicher Dialog nach § 18 VgV, in dem zwar die Anforderungen und Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers definiert sind, die Leistungsbeschreibung sich jedoch erst über den Dialog zur finalen Form verdichtet, geführt werden sollen? Die gleiche Frage stellt sich im Falle einer Innovationspartnerschaft nach § 19 VgV, in der vorgesehen ist, dass – wie im Verhandlungsverfahren – der öffentliche Auftraggeber über die von den Bietern eingereichten Angebote und alle Folgeangebote , mit Ausnahme des endgültigen Angebots, verhandelt, um diese inhaltlich zu verbessern. Auch stellt sich diese Frage im Zusammenhang mit etwaigen Angebotspräsentationen oder einfachen Rückfragen zu Inhalten der Leistungsbeschreibung als Teil der Vergabeunterlagen. Über den Grad der Betroffenheit schweigt sich der Normgeber nämlich aus, so dass bei jeder noch so unverdächtigen Rückfrage im Zusammenhang mit Vergabeunterlagen, Teilnahmeanträgen oder Angeboten die mündliche Kommunikation (z.B. der „Griff zum Telefonhörer“) vergaberechtlich unzulässig wäre, selbst wenn man sie dokumentieren würde.

Ein zusammenhängendes Regel-Ausnahmeverhältnis fehlt, so dass man  – will man beispielsweise künftige Verhandlungen nicht in virtuelle Chaträume verlegen – eine praktikable Abgrenzung vornehmen muss: Von einer mündlichen Kommunikation, die insbesondere die Vergabeunterlagen, Teilnahmeanträge oder Angebote betreffen, muss die „Verhandlungs“-Kommunikation in den o.a. Fällen abgegrenzt werden. Die mündliche Kommunikation ist geradezu ein Wesensbestandteil in diesen Fällen und daher auf den mündlichen Informationsaustausch zwischen Auftraggeber und Bewerber/Bieter angelegt (so auch Müller in “Kommentar zur VgV“  Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß analog zur gleichlautenden Regelung in § 9 Absatz 2 VgV bzgl. mündlich notwendiger Kommunikation in Verhandlungsverfahren, Wettbewerblichen Dialog und Innovationspartnerschaft, S. 80).

Die Vorschrift ist neu. Ihr Ursprung liegt ausweislich der Verordnungsbegründung zu § 9 Abs. 2 VgV in Art. 22 Absatz 2 der Richtlinie 2014/24/EU. Danach kann nach Satz 1 des Absatzes 2 „ungeachtet der grundsätzlichen elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren die Kommunikation mündlich erfolgen, sofern die Kommunikation keine wesentlichen Bestandteile eines Vergabeverfahrens betrifft und sofern der Inhalt der mündlichen Kommunikation ausreichend dokumentiert wird“. Im weiteren Verlauf werden Teilnahmeanträge, Interessenbestätigungen und Angebote als diese „wesentlichen Bestandteile“ bestimmt.

Allerdings könnte es sein, dass bereits in der Richtlinie selbst Norm und Erwägungsgrund auseinanderfallen. Der maßgebliche Erwägungsgrund 58 lautet nämlich: „Während wesentliche Bestandteile eines Vergabeverfahrens wie die Auftragsunterlagen, Teilnahmeanträge, Interessenbestätigungen und Angebote stets in Schriftform (künftig elektronische Form: Anm. d. Verf.) vorgelegt werden sollen, sollte weiterhin auch die mündliche Kommunikation mit Wirtschaftsteilnehmern möglich sein, vorausgesetzt, dass ihr Inhalt ausreichend dokumentiert wird.“ Dies lässt durchaus die Interpretation zu, dass die mündliche Kommunikation auch (im Sinne von zusätzlich) in den wesentlichen Bestandteilen eines Vergabeverfahrens (Teilnahmeanträge, Interessenbestätigungen und Angebote) trotz des Grundsatzes der elektronischen Kommunikation weiterhin zulässig bleibt, sofern dies dokumentiert wird. Diese Interpretation entspräche einem ordnungsgemäßen Verwaltungshandeln und hätte  von daher keiner gesonderten Regelung bedurft.

Schritt 6: Annahme des Angebots / Zuschlag

Pauschal: Der zweite zentrale Kommunikationsschritt im Vertragsanbahnungsprozess durch Annahme des Angebots (Antrags), wodurch der Vertrag zustande kommt (§ 151 BGB)

Konkret umgesetzt: keine explizite vergaberechtliche Umsetzung. Im weitesten Sinne ist die Annahme des Angebots durch den Grundsatz der Kommunikation gem. § 97 Abs. 5 GWB und § 9 Abs. 1 VgV mit abgedeckt. Während § 21 Abs. 2 VOL/A-EG den Zuschlag als die Annahme des Angebots definierte, wurde dieser vertragsrechtliche Brückenschlag aus dem Vergaberecht in § 127 GWB und § 59 VgV nicht mehr vollzogen. Vielmehr wird der Begriff des Zuschlags in unterschiedlichen, teils diffusen Formulierungsvarianten verwendet, die insgesamt den Schluss nahelegen, dass der Zuschlag im Wesentlichen den Abschluss des Vergabeverfahrens bezeichnet:

  • Beim Zuschlag handelt es sich um eine „Wertungsentscheidung“ (Begründung zu § 127 Abs. 1 Satz 2 GWB) > Indiz für den Abschluss des Vergabeverfahrens
  • Der Zuschlag wird nach Maßgabe des § 127 GWB auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt (§ 58 Abs. 1 VgV). Durch die Erteilung des Zuschlags bestimmt der Auftraggeber, welches Unternehmen letztlich den Auftrag erhält. (Begründung zu § 58 VgV) > Zuschlagserteilung als Annahme des Angebotes
  • Die Zuschlagsentscheidung stellt daher eines der zentralen Elemente des Vergabeverfahrens dar (Begründung zu § 58 VgV)
  • Den öffentlichen Auftraggebern steht es frei, ihre Zuschlagserklärung mit fortgeschrittenen elektronischen Signaturen, die auf einem qualifizierten Zertifikat beruhen, zu versehen, soweit dies die Kenntnisnahme des Erklärungsinhalts durch die Bieter nicht beeinträchtigt (Begründung zu § 53 Abs. 3 VgV) > Einziger expliziter Hinweis auf die elektronische Form des Zuschlags.

 

Fazit: Der Grundsatz der  elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren ist für die Mitgliedstaaten nach jahrelangem gutem Zureden der EU-Kommission nunmehr beschlossene Sache. Ursprüngliche rechtliche Hemmnisse zugunsten einer grenzüberschreitenden elektronischen Vergabe (Stichwort: elektronische Signatur) wurden abgebaut (Stichwort: Textform). Das ist auch gut so. Regulatorisch wäre weniger mehr gewesen und das was umgesetzt wurde erfüllt nicht in allen Fällen das vergabepolitische Ziel, dem Rechtsanwender ein möglichst übersichtliches und leicht handhabbares Regelwerk zur Verfügung zu stellen.

Hinweis der Redaktion
Die DVNW Akademie bietet zu der Thematik „eVergabe“ Inhouse-Seminare an. Mehr zu Inhouse-Seminaren der DVNW Akademie finden Sie hier.

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Schwerer Vergabeverstoß setzt kein Verschulden voraus! Rückforderung einer Zuwendung bei unterbliebener Losbildung regelmäßig unumgänglich! (Bay. VGH, Beschl. v. 22.05.2017 – 4 ZB 16.577)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungDer Verstoß gegen das Losbildungsgebot stellt einen schweren Vergaberechtsverstoß dar, der den Zuwendungsgeber zur Rückforderung einer gewährten Zuwendung berechtigt. Für die Annahme eines schweren Vergaberechtsverstoßes ist ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln nicht erforderlich. Die Aufnahme vergaberechtlicher Bestimmungen in einen Zuwendungsbescheid soll dem für die nachträgliche Prüfung und für einen möglichen Widerruf zuständigen Einrichtung entsprechende Nachforschungen und Nachweispflichten ersparen. Die Einhaltung der Vergabegrundsätze ist mithin ausschließlich der Risikosphäre des Zuwendungsempfängers zuzuordnen.

Art. 49a BayVwVfG; § 97 Abs. 4 GWB; § 2 EG Abs. 2 VOL/A 2009

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die teilweise Rückforderung einer staatlichen Zuwendung an die Klägerin zum Erwerb eines Feuerwehrfahrzeugs. Der Sachverhalt ist aus der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Augsburg Feuerwehrlöschfahrzeug I vom 23.02.2016 Az. 3 K 15.1070 [Vergabeblog.de vom 07/04/2016, Nr. 25371] bekannt, da der Verwaltungsgerichtshof (VGH) München mit seiner Entscheidung die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil abgelehnt hat. Im Kern war die Klägerin aufgrund eines Zuwendungsbescheides verpflichtet, die gesetzten Vergabebestimmungen einzuhalten. Dagegen hatte die Klägerin nach Auffassung des Zuwendungsgebers und des VG Augsburg verstoßen, weil sie entgegen der Empfehlung des Deutschen Feuerwehrverbandes e.V. (DFV) keine Aufteilung des in Rede stehenden Feuerwehrfahrzeugs in Fachlose (Fahrgestell“, Aufbau“ und Beladung“) vorgenommen hatte. Das VG hielt deshalb den Bescheid zur Erstattung in Höhe von 25% der gewährten Zuwendung für rechtmäßig. Daraufhin stellte die Klägerin einen Antrag an den VGH München auf Zulassung der Berufung gegen die Entscheidung des VG Augsburg.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Der VGH München lehnte den Antrag ab, weil der VGH gegen die Richtigkeit der Entscheidung des VG Augsburg keine Bedenken hatte. Das VG ist mit zutreffenden Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beklagte zu Recht von einem Verstoß gegen Vergaberecht durch die Klägerin ausgegangen ist, diesen Verstoß nach seinen Richtlinien in nicht zu beanstandender Weise als schweren Vergaberechtsverstoß gewertet und infolgedessen ermessensgerecht sowohl den Teilwiderruf der ausbezahlten Zuwendung in Höhe von 25 % als auch eine entsprechende Verzinsung der Rückerstattung angeordnet hat.

Im Einzelnen:

Das VG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass für die Annahme eines schweren Vergaberechtsverstoßes nach dem Wortlaut und der tatsächlichen Handhabung der Richtlinien ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln nicht erforderlich ist, sondern dass insoweit allein die Tatsache einer ungerechtfertigten Einschränkung des Wettbewerbs ausreicht. Vor diesem Hintergrund ist entgegen der Auffassung der Klägerin die erste Alternative der Nr. 4.2 der StMF-Rückforderungsrichtlinie einschlägig, weil ein Verstoß gegen das Gebot der losweisen Vergabe eine ungerechtfertigte Einschränkung des Wettbewerbs schon dadurch bewirkt, dass kleineren und stärker spezialisierten Unternehmen die Möglichkeit einer Beteiligung am Wettbewerb der Bieter genommen wird. Diese Handhabung der ermessensbindenden StMF-Rückforderungsrichtlinie ist wegen des insoweit eingeschränkten gerichtlichen Überprüfmaßstabes nicht zu beanstanden. Für die Auslegung der in der Richtlinie genannten Begriffe kommt es nur darauf an, wie der Beklagte der Zuwendungsgeber die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt hat und in welchem Umfang er infolgedessen durch den Gleichheitssatz gebunden war. Dass hier der Gleichheitssatz verletzt worden wäre, weil der Zuwendungsgeber in vergleichbaren Fällen einer nicht losweisen Vergabe einen schweren VOB- oder VOL-Verstoß verneint hätte, ist weder von der Klägerin behauptet worden noch sonst ersichtlich.

Aus dem Einwand der Klägerin, es sei hier zu keiner Einschränkung des Wettbewerbs gekommen, kann sich nach Ansicht des VGH München ebenfalls kein Ermessensfehler ergeben. Eine konkrete Kausalitätsprüfung dahingehend, ob eine vergaberechtswidrige Ausschreibung im Einzelfall tatsächlich einen Ausschluss potentieller Bieter oder gar einen nachweisbaren finanziellen Schaden der ausschreibenden Stelle bewirkt hat, lässt sich im Nachhinein kaum mehr durchführen und wird von den ermessensbindenden Rückforderungsrichtlinien auch nicht verlangt. Die Aufnahme vergaberechtlicher Verfahrensverpflichtungen in den Zuwendungsbescheid soll der für die nachträgliche Prüfung und für einen möglichen Widerruf zuständigen Behörde entsprechende Nachforschungen und Nachweispflichten ersparen. Die Einhaltung der Vergabegrundsätze liegt insoweit allein in der Risikosphäre des Zuwendungsempfängers (in diesem Sinne auch bereits BayVGH, Urteil vom 09.02.2015 Az. 4 B 12.2325).

Bei dem hier bejahten schweren Vergaberechtsverstoß sieht die ermessensbindende Richtlinie für die Rückforderung der Zuwendungen einen Rahmen von 20 % bis 25 % vor, der auch unter- oder überschritten werden kann. Den Behörden wird damit eine allgemeine Vorgabe gemacht, durch die ein landesweit gleichmäßiger Vollzug im Grundsatz sichergestellt wird und bei der zusätzlich die besonderen Umstände des Einzelfalles in die Entscheidung einfließen können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein schwerer Vergaberechtsverstoß als förderrechtliche Konsequenz durchaus auch den völligen Ausschluss des Zuwendungsempfängers von der Förderung rechtfertigen kann (vgl. BayVGH, Urteil vom 09.02.2015 Az. 4 B 12.2325). Hält sich die Behörde bei der Ermessensentscheidung über den Umfang der Rückforderung innerhalb des durch die Richtlinie vorgegebenen engen Rahmens, so ist sie nicht gehalten, mit zusätzlichen Ermessenserwägungen ausdrücklich darzulegen, weshalb sie gerade den gewählten Prozentsatz und keinen geringeren oder höheren für angemessen hält.

Rechtliche Würdigung

Der VGH München hat die Entscheidung des VG Augsburg und damit im Ergebnis die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheids zu Recht und ohne kritische Anmerkungen bestätigt. In Anbetracht der zutreffenden, gut begründeten Ausführungen des VG war die Entscheidung des VGH München vorhersehbar und wenig überraschend. Zwei Aussagen des VGH kann man aber durchaus noch einmal hervorheben:

Erstens soll die Aufnahme vergaberechtlicher Verfahrensverpflichtungen in den Zuwendungsbescheid dem für die nachträgliche Prüfung und für einen möglichen Widerruf zuständigen Zuwendungsgeber entsprechende Nachforschungen und Nachweispflichten ersparen. Die Einhaltung der Vergabegrundsätze liegt insoweit allein in der Risikosphäre des Zuwendungsempfängers.

Zweitens ist für die Annahme eines schweren Vergaberechtsverstoßes ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln nicht erforderlich. Allein die Tatsache einer ungerechtfertigten Einschränkung des Wettbewerbs reicht aus. Ein Verstoß gegen das Gebot der losweisen Vergabe bewirkt eine ungerechtfertigte Einschränkung des Wettbewerbs schon dadurch, dass kleineren und stärker spezialisierten Unternehmen die Möglichkeit einer Beteiligung am Wettbewerb der Bieter genommen wird. Für die maßgebliche Auslegung der Rückforderungsbestimmungen kommt es nur darauf an, wie der Zuwendungsgeber diese im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt hat und in welchem Umfang er infolgedessen durch den Gleichheitssatz gebunden war.

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Praxistipp

Den Zuwendungsempfänger trifft eine Holschuld bezüglich der (vergaberechtlichen) Anforderungen aus dem Zuwendungsbescheid. Er muss sich seiner vergabe- und zuwendungsrechtlichen Pflichten aus der bewilligten Zuwendung bewusst sein. Hat er hier Zweifel, ist ihm zu empfehlen, im ersten Schritt Kontakt zum Zuwendungsgeber aufzunehmen. Kann oder will dieser ihm nicht weiterhelfen, muss er etwaige vergaberechtliche Fragestellungen im zweiten Schritt durch Beiziehung externen Sachverstands klären. Die Ergebnisse müssen sodann im Rahmen der umfassenden Pflicht zur Verfahrensdokumentation zum Bestandteil der Vergabeakte und damit zum Gegenstand der Unterlagen für die Verwendungsnachweisprüfung gemacht werden. Denn ohne eine ordnungsgemäße Dokumentation wird im Regelfall ein Abweichen von vergaberechtlichen Regelfällen (z.B. im Hinblick auf die Verfahrenswahl, die Unzulässigkeit einer Produktvorgabe oder eben eines Verzichts auf die Teil- bzw. Fachlosvergabe) eine (Teil)Rückforderung der zugewandten Mittel zur Folge haben.

Der DFV überarbeitet im Übrigen soweit ersichtlich seit der Entscheidung des VG Augsburg seine aus dem Jahr 2012 stammende Fachempfehlung Ausschreibung und Beschaffung von Feuerwehrfahrzeugen zurzeit. Offenkundig hat der DFV Zweifel bekommen, ob seine Aussagen in der 72 Seiten umfassenden Fachempfehlung nicht (mittlerweile) zumindest präzisierungswürdig sind. Für die Praxis bedeutet dies, dass zwar ein Abstellen auf die Fachempfehlung nicht mehr ohne Weiteres möglich ist, dies eine Auseinandersetzung mit der Frage der Losvergabe aber keinesfalls entbehrlich macht. So hat jüngst die Vergabekammer Südbayern (Beschluss vom 30.03.2017 Az. Z3-3-3194-1-04-02/17) unter Anlegung eines vergaberechtlichen Prüfungsmaßstabs entschieden, dass die Fachlosbildung bei der Beschaffung von Einsatzfahrzeugen der Feuerwehr der absolute Regelfall war und daher sehr hohe Anforderungen an die Darlegung der technischen Gründe für den Verzicht auf eine Losbildung bestehen.

The post Schwerer Vergabeverstoß setzt kein Verschulden voraus! Rückforderung einer Zuwendung bei unterbliebener Losbildung regelmäßig unumgänglich! (Bay. VGH, Beschl. v. 22.05.2017 – 4 ZB 16.577) appeared first on Vergabeblog.

Dauerbrenner Auslegung und Aufklärung von Angeboten – Wichtige Klarstellungen für die Praxis aus Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.03.2017 – VII-Verg 54/16)

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BauleistungenRecht

EntscheidungDie Auslegung von Angebotsinhalten ist in der Vergabepraxis oftmals hoch umstritten. Bieter wollen ihre Angebote in der Regel als ausschreibungskonform verstanden wissen. Auftraggeber müssen nach allgemeinen Grundsätzen unter Berücksichtigung der Verkehrssitte den wirklichen Willen des Bieters ermitteln. Abhängig vom Auslegungsergebnis verbleibt das Angebot im Wettbewerb oder muss wegen einer Änderung der Vergabeunterlagen ausgeschlossen werden. Eine hinreichend belastbare Grundlage für diese Entscheidung besteht oftmals erst, wenn offene Fragen im Rahmen der Aufklärung beantwortet werden. Der Beschluss des OLG Düsseldorf vom 22.03.2017 (VII-Verg 54/16) bringt für die Vergabepraxis einige wichtige Klarstellungen zu den Rahmenbedingungen für die Auslegung und Aufklärung von Angebotsinhalten.

§ 16 EU Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A; § 15 EU Abs. 1 und 2 VOB/A

Leitsätze (des Verfassers)

  1. Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass der Bieter stets das vom Auftraggeber Nachgefragte anbieten will, auch wenn ihm redliche und interessengerechte Absichten zu unterstellen sind. Ergibt die Auslegung einer im Rahmen der Aufklärung vom Bieter abgegebenen Erklärung eindeutig, dass der Bieter nicht das anbietet, was der Ausschreibende bestellt hat, ist das Angebot wegen unzulässiger Änderung an den Vergabeunterlagen zwingend auszuschließen.
  2. Für eine Aufklärung über das Angebot ist durch den Auftraggeber einzelfallabhängig eine angemessene Frist zu bestimmen. Ist der Bieter vor dem eigentlichen Aufklärungsverlangen bereits mehrfach auf den bestehenden Aufklärungsbedarf hingewiesen worden, kann auch eine kürzere Frist als eine Woche angemessen sein.
  3. Die wirksame Anfechtung einer im Rahmen der Aufklärung abgegebenen Willenserklärung lässt die abgegebene Erklärung entfallen, ohne dass etwas anderes an ihre Stelle treten würde. Das hat den zwingenden Ausschluss wegen unzureichender Mitwirkung im Rahmen der Aufklärung nach § 15 EU Abs. 2 VOB/A zur Folge.

Sachverhalt

Die Antragsgegnerin schrieb mit europaweiter Bekanntmachung im Rahmen eines Bauvorhabens Metallbau- und Schlossarbeiten im offenen Verfahren aus. Teil der geforderten Leistung war die Werk- und Montageplanung für die anschließend auszuführenden Fenster, Türen, Tore und Rauchschutzvorhänge. Zuschlagskriterium war der niedrigste Preis. Die Vergabeunterlagen enthielten unter anderem einen Detailbauablaufplan sowie eine Übersicht „Verbindliche Einzelfristen (Vertragstermin)“ für die geforderten Leistungen.

Für die Abgabe der Werk- und Montageplanung waren in diesen Unterlagen zwei Termine festgelegt, der 21.11.2016 als „Vertragstermin Teil 1“ und der 05.12.2016 als „Vertragstermin Teil 2“. Beide Daten waren verbindliche Fristen im Sinne von § 5 Abs. 1 VOB/B. Die Antragstellerin wurde nach dem Eingang ihres Angebots zu einem Aufklärungsgespräch geladen, weil sie für die Werk- und Montageplanung einen ungewöhnlich hohen Preis angeboten hatte. Preisgrundlage war ein vergleichsweise hoher Zeitaufwand bei der Antragstellerin. Im Aufklärungsgespräch erklärte sie auf Nachfrage, gleichwohl die vorgegebenen Vertragstermine einhalten zu wollen. Anschließend forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf, innerhalb von vier Tagen schriftlich darzulegen, wie sich die dem Preis zugrunde liegende hohe Stundenzahl auf die einzelnen im Detailbauablaufplan vorgesehenen Arbeitsschritte verteile. Aus der daraufhin übersandten tabellarischen Übersicht über die kalkulierten Stunden ergab sich, dass die Antragstellerin für die Werk- und Montageplanung Teil 1 teilweise einen Planungszeitraum von 55 Werktagen vorsah. Bei einem zugrunde gelegten Beginn der Planungsarbeiten am 30.09.2016 ergab sich daraus ein Abgabetermin für die Werk- und Montageplanung Teil 1 nach dem 21.11.2016.

Daraufhin schloss die Antragsgegnerin das Angebot der Antragstellerin von der Wertung aus. In der Anlage zu ihrem Rügeschreiben übersandte die Antragstellerin erneut die tabellarische Übersicht über die von ihr kalkulierten Stunden mit der handschriftlichen Ergänzung eines Abgabetermins „5.12.16“ für die Werk- und Montageplanung Teil 1. Im Nachgang zum Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer erklärte die anwaltlich vertretene Antragstellerin „höchstvorsorglich“ die Anfechtung ihrer Erklärungen zur Abgabe der Werk- und Montageplanung Teil 1 mit einem bei der Vergabekammer eingereichten Schriftsatz. Außerdem machte sie geltend, dass der Auftraggeber zur nochmaligen Aufklärung verpflichtet gewesen sei. Nachdem der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen wurde, erhob sie sofortige Beschwerde beim Vergabesenat des OLG Düsseldorf.

Die Entscheidung

Die sofortige Beschwerde wurde zurückgewiesen, weil der Nachprüfungsantrag unbegründet sei. Der Angebotsausschluss sei nach § 16 EU Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A gerechtfertigt und verletze die Antragstellerin nicht in ihren Rechten. Das Angebot habe nicht den Vergabeunterlagen entsprochen, weil es andere als die festgelegten Ausführungsfristen gemäß § 5 Abs. 1 VOB/B vorgesehen habe. Abweichend von dem insoweit vorgegeben Vertragstermin 21.11.2016 habe die Antragstellerin beabsichtigt, die Werk- und Montageplanung für Tore und Rauchschutzvorhänge erst am 05.12.2016 abzugeben.

Dieser Angebotsinhalt ergebe sich zwar nicht aus den zum Submissionstermin eingereichten Erklärungen. Die von der Antragstellerin im Rahmen der Angebotsaufklärung abgegebenen Erklärungen zu den vertraglichen Ausführungsfristen seien von der Antragsgegnerin bei der Angebotsprüfung jedoch zu berücksichtigen gewesen. Es gebe nach ständiger Rechtsprechung keinen Erfahrungssatz, dass der Bieter stets das vom Auftraggeber Nachgefragte anbieten will, auch wenn ihm redliche und interessengerechte Absichten zu unterstellen sind (OLG Schleswig, Beschl. v. 11.05.2016 – 54 Verg 3/16). Das Aufklärungsverlangen sei durch § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A gerechtfertigt gewesen, weil die Antragstellerin auf die Position der Werk- und Montageplanung einen ungewöhnlich hohen Preis angeboten habe. Zwar sei die von der Antragsgegnerin bestimmte Frist zur Einreichung der geforderten Aufschlüsselung der Stunden, die die Antragstellerin dem Preis für die Werk- und Montageplanung zugrunde legte, mit vier Tagen sehr kurz bemessen (OLG Celle, Beschl. v. 14.12.2015 – 13 Verg 8/15). Dass die Frist unangemessen kurz und damit unwirksam war, könne jedoch nicht festgestellt werden, da die Antragstellerin bereits deutlich früher über das Aufklärungsverlangen und das Aufklärungsthema informiert gewesen sei.

Die im Rahmen der Aufklärung abgegebenen Erklärungen der Antragstellerin seien eindeutig gewesen. Daher bestehe keine Grundlage für die von ihr geforderte weitere Aufklärung. Die von der Antragstellerin erklärte Anfechtung der im Rahmen der Aufklärung abgegebenen Erklärungen laufe vergaberechtlich, so der Senat weiter, selbst dann ins Leere, wenn man sie zivilrechtlich für wirksam erachte. Denn in diesem Fall lasse die Anfechtung die abgegebene Erklärung entfallen, ohne dass etwas anderes an ihre Stelle treten würde. Das habe den zwingenden Ausschluss wegen unzureichender Mitwirkung im Rahmen der Aufklärung nach § 15 EU Abs. 2 VOB/A zur Folge.

Rechtliche Würdigung

Die besprochene Entscheidung überzeugt im Ergebnis und in ihrer Begründung.

Die Antragsgegnerin durfte schriftliche Aufklärung über die Grundlagen der Kalkulation des für die auftragsgegenständlichen Werk- und Montageplanung angebotenen vergleichsweise hohen Preises verlangen. Mit der vorgelegten Übersicht über den für diese Planungsleistungen kalkulierten Zeitaufwand hatte die Antragstellerin erstmalig und vergaberechtlich verbindlich eine Erklärung über die Umsetzung der mit dieser Leistungsposition verbundenen Anforderungen abgegeben (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.10.2016 – VII-Verg 24/16). Die von der Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang gesetzte kurze Frist von nur vier Tagen war nicht zu beanstanden, weil das Aufklärungsthema bereits vorher Gegenstand der Gespräche war.

Aufgrund der von der Antragstellerin abgegebenen Erklärung stand eindeutig fest, dass sie die terminlichen Anforderungen an die Werk- und Montageplanung nicht einhalten wird. Damit bestand auch keine Grundlage für eine weitere Aufklärung. Das Angebot war angesichts der zuvor ermittelten eindeutigen Abweichung von den festgelegten Vertragsterminen weder aufklärungsbedürftig noch aufklärungsfähig. Bieter haben keinen vergaberechtlichen Anspruch auf Aufklärung „bis es passt“. Im Gegenteil hätte eine erneute Nachfrage der Antragsgegnerin und eine daraufhin ggf. erklärte Korrektur der zuvor abgegebenen Erklärung über den kalkulierten Zeitaufwand eine nach § 15 EU Abs. 3 VOB/A verbotene Nachverhandlung dargestellt (vgl. auch insoweit OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.10.2016 – VII-Verg 24/16).

Der Senat beschreibt sehr anschaulich die im Rahmen der Angebotsaufklärung bestehenden Zusammenhänge zwischen Vergaberecht und Zivilrecht.

Die Antragstellerin unterlag bei der Abgabe der Aufschlüsselung der von ihr kalkulierten Stunden keinem zu einer Anfechtung berechtigenden Irrtum, was schon daraus folgt, dass sie an der Erklärung zu dem kalkulierten Zeitaufwand („55 Werktage“) mit ihrem Rügeschreiben ausdrücklich festhielt und den daraus errechneten (verspäteten) Abgabetermin mit dem handschriftlichen Zusatz „5.12.16“ sogar noch bestätigte. Da die Anfechtungserklärung zudem erst im Nachgang zur mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer schriftsätzlich abgegeben wurde, erfolgte sie– entgegen § 121 BGB – auch nicht mehr unverzüglich. Diese zivilrechtlichen Fragen konnte der Senat jedoch offenlassen. Denn selbst wenn die Antragstellerin ihre Erklärung wirksam angefochten hätte, wäre ihr Angebot auszuschließen gewesen. Da eine wirksame Anfechtung die angefochtene Erklärung entsprechend § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an entfallen lässt, liegt dann im vergaberechtlichen Kontext eine Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit des Bieters im Rahmen der Aufklärung vor. Dies hat nach neuem Vergaberecht gemäß § 15 EU Abs. 2 VOB/A ebenfalls den zwingenden Angebotsausschluss zur Folge.

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Praxistipp

Bieter dürfen auch nach der hier besprochenen Entscheidung darauf vertrauen, dass offene Fragen und Zweifel über ihre Angebote nach dem Submissionstermin noch im Wege der Aufklärung geklärt werden. Zwar eröffnet § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A Auftraggebern ein Aufklärungsermessen. Dieses Aufklärungsermessen ist jedoch dahingehend eingeschränkt, dass nach der Intention VOB/A Angebotsausschlüsse aus lediglich formalen Gründen nach Möglichkeit zu vermeiden sind. Auftraggeber dürfen Angebote, die bei Vorliegen formaler Mängel jedenfalls wegen widersprüchlicher oder unvollständiger Angaben (Erklärungen oder Nachweise) an sich „ausschlusswürdig“ sind, nicht ohne Weiteres von der Wertung ausnehmen, ohne dem von einem Ausschluss bedrohten Bieter zuvor im Wege der Aufklärung Gelegenheit gegeben zu haben, den Tatbestand der Widersprüchlichkeit oder Unvollständigkeit nachvollziehbar auszuräumen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.05.2016 – VII-Verg 50/15, Beschl. v. 21.10.2015 – VII-Verg 35/15; OLG Schleswig, Beschl. v. 11.05.2016 – 54 Verg 3/16; VK Bund, Beschl. v. 17.02.2017 – VK 2-14/17).

Die hier besprochene Entscheidung zeigt jedoch deutlich, dass ein solches eingeschränktes Ermessen zugunsten einer Aufklärungsentscheidung des Auftraggebers nicht in jedem Fall besteht. Voraussetzung für eine Aufklärung bleibt, dass Zweifel über die Eignung des Bieters oder über den Inhalt seines Angebots bestehen. Weicht das Angebot aufgrund der bereits vorliegenden Erklärungen des Bieters zweifelsfrei von den Vorgaben der Vergabeunterlagen ab, besteht keine Grundlage für eine Aufklärung. Sofern man § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A dann nicht schon tatbestandlich für unanwendbar hält, ist das Aufklärungsermessen im Fall einer eindeutig abweichenden Bietererklärung dahingehend auf Null reduziert, dass eine Entscheidung des Auftraggebers für eine Aufklärung vergaberechtlich unzulässig wäre. Denn eine „Aufklärung“ einer eindeutig abweichenden Bietererklärung bedeutet im offenen und im nicht offenen Verfahren immer eine nach § 15 EU Abs. 3 VOB/A unzulässige Verhandlung über eine Angebotsänderung.

Sensibel sollten Bieter auch hinsichtlich der im Rahmen der Aufklärung bestehenden Mitwirkungsobliegenheit sein. Nach alter Rechtslage stand ein Ausschluss wegen verweigerter oder nicht fristgerechter Aufklärung gemäß §§ 15 EG Abs. 2, 15 Abs. 2 VOB/A stets im Ermessen des Auftraggebers (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.08.2011 – VII-Verg 71/11); dasselbe gilt mangels ausdrücklicher Regelung auch bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen nach der VgV, UVgO und der VOL/A (1. Abschnitt). Für Bauauftragsvergaben folgt in diesen Fällen nach neuem Recht gemäß § 15 EU Abs. 2 VOB/A (ebenso nach § 15 Abs. 2 VOB/A) nunmehr der zwingende Angebotsausschluss.

Auftraggeber sind gut beraten, wenn sie im Rahmen der Angebotsprüfung genau ermitteln und dokumentieren, ob eine zur Aufklärung berechtigende Unklarheit oder ein Zweifel vorliegt. Dann besteht ggf. sogar eine Aufklärungspflicht. Eindeutig von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweichende Angebote sind dagegen immer zwingend auszuschließen. Eine undifferenzierte Nachfragepraxis begründet stets das vergaberechtliche Risiko einer unzulässigen Nachverhandlung, selbst wenn sie unter dem Deckmantel der Aufklärung betrieben wird.

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Rechtssicher de-facto vergeben? Die freiwillige Ex-ante-Transparenzbekanntmachung nach § 135 Abs. 3 GWB (VK Westfalen, Beschl. v. 28.02.2017 VK 1 – 02/17)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

Entscheidung§ 135 Abs. 3 GWB enthält eine im vergangenen Jahr neu in das GWB eingefügte Vorschrift. Sie setzt erstmals Art. 2d RL 89/665/EWG bzw. RL 92/13/EWG, jeweils in der Fassung der RL 2007/66/EG, in deutsches Recht um. Danach ist ein vergebener Auftrag nicht unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber (1.) der Ansicht ist, dass eine Auftragsvergabe auch ohne wettbewerbliche Bekanntmachung zulässig ist, er (2.) seine Absicht, den Vertrag abzuschließen freiwillig ex-ante bekanntmacht, und er (3.) den Vertrag nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens zehn Kalendertagen nach europaweiter Veröffentlichung der Ex-ante-Transparenzbekanntmachung abschließt. Diese freiwillige Bekanntmachung muss gemäß § 135 Abs. 3 Satz 2 GWB u.a. eine Begründung, den Auftrag ohne wettbewerbliche Bekanntmachung zu vergeben, und den Namen des avisierten Vertragspartners umfassen.

Ausschreibungspflichtige öffentliche Aufträge, die ohne wettbewerbliche Bekanntmachung im EU-Amtsblatt de-facto vergeben wurden, sind andernfalls gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB von Anfang unwirksam, wenn dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt wird. Diese Unwirksamkeit kann nicht später als sechs Monate nach Vertragsabschluss geltend gemacht werden (§ 135 Abs. 2 Satz 1 GWB). Die Frist zur Geltendmachung der Unwirksamkeit verkürzt sich auf 30 Kalendertage, wenn der Auftraggeber die nichtberücksichtigten Bieter und Bewerber über den Vertragsabschluss informiert hat oder der vergebene Auftrag im EU-Amtsblatt bekannt gemacht wurde (§ 135 Abs. 2 Satz 1 u. 2 GWB).

§ 135 Abs. 3 GWB; Art. 2d Abs. 4 RL 89/665/EWG bzw. RL 92/13/EWG, Art. 60 Abs. 4 RL 2009/81/EG.

Leitsatz

Ob der öffentliche Auftraggeber gemäß § 135 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB der Ansicht sein durfte, einen Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung zu vergeben, ist im Nachprüfungsverfahren inhaltlich voll überprüfbar.

Sachverhalt

Das Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen beabsichtigte, eine Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Leberdialyse-Monitore mit einem Gesamtwert von rund 1 Mio. abzuschließen. Zu diesem Zweck veröffentlichte die Vergabestelle am 30.08.2016 eine freiwillige Ex-ante-Transparenzbekanntmachung im EU-Amtsblatt und kündigte darin an, den Vertrag mit dem ausgewählten Unternehmer zehn Tage später zu schließen. Sie wies darauf hin, dass Einwände hiergegen binnen der Zehntagesfrist schriftlich zu erheben seien. Zur Begründung für das Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Teilnahmewettbewerb verwies das Herz- und Diabeteszentrum NRW auf § 14 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b VgV, weil nur der ausgewählte Auftragnehmer Monitore liefern könne, die einer bestimmten Medizingerätenorm entsprächen und zudem mit anderen medizintechnischen Geräte kompatibel seien. Am 10.09.2016 wurde der Vertragsschluss sodann vollzogen.

Später am 16.12.2016 rügte ein Wettbewerber die Auftragsvergabe als rechtswidrig und forderte die Durchführung eines Ausschreibungswettbewerbs, an den er sich beteiligen wolle. Die Vergabestelle half der Rüge nicht ab. Der Konkurrent beantragte daraufhin am 06.01.2017 die Nachprüfung, also noch binnen sechs Monaten nach Vertragsabschluss.

Die Entscheidung

Der Münsteraner Spruchkörper der VK Westfalen gab dem Nachprüfungsantrag statt und stellte fest, dass die abgeschlossene Rahmenliefervereinbarung unwirksam ist.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

Ein Unternehmen kann vergaberechtswidrige, aber bereits geschlossene Verträge unter Einhaltung der in § 135 GWB genannten Fristen in einem Nachprüfungsverfahren für unwirksam erklären lassen. Vorliegend war nach Ansicht der VK Westfalen nur die Ausschlussfrist von sechs Monaten nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB beachtlich. Denn der Auftraggeber hatte weder eine Bekanntmachung über den vergebenen Auftrag veröffentlicht noch den Antragsteller anderweitig informiert.

Die Ausnahmeregelung des § 135 Abs. 3 GWB eröffnet unter den dort genannten Voraussetzungen die Möglichkeit, die Feststellung der eigentlich gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB eintretenden Unwirksamkeit eines öffentlichen Auftrages zu vermeiden. Ob die Voraussetzungen des durch § 135 Abs. 3 GWB eröffneten Ausnahmetatbestandes vorliegen, ist im Rahmen des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB immanent zu prüfen. Demgemäß sind auch die Fristen in § 135 Abs. 2 GWB für die Feststellung der Unwirksamkeit nach Abs. 1 zu beachten. Einem Unternehmen, dass die in § 135 Abs. 3 GWB genannte Frist von zehn Tagen nicht für Einwände gegenüber dem Auftraggeber nutzt, ist der Weg zur Vergabekammer nicht verwehrt. Bei der Zehntagesfrist handelt es sich um keine Ausschlussfrist, sondern um eine Mindest-Stillhaltefrist, die eine wirksame Nachprüfung ermöglichen soll. Ziel dieser Stillhaltefrist ist es, dass der Auftraggeber seine Absicht, den Vertrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung zu vergeben, aufgrund neuer Argumente von am Auftrag interessierten Unternehmen nochmals überprüfen kann.

Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.

Die Voraussetzungen nach § 135 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB lagen nicht vor. Danach muss der Auftraggeber der Ansicht sein, dass die Auftragsvergabe ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im EU-Amtsblatt zulässig ist. Hierbei erfolgt eine inhaltliche Kontrolle durch die Nachprüfungsinstanz, deren Intensität und Tiefe offen ist. Nach der Überprüfung muss objektiv feststehen, dass kein Vergaberechtsverstoß durch den Auftraggeber vorliegt. Rein subjektive Vorstellungen der Vergabestelle, ob die Ansicht aufgrund der konkreten Umstände in sachlicher und rechtlicher Hinsicht vertretbar war, sind nach Auffassung des Münsteraner Spruchkörpers nicht ausreichend. Im vorliegenden Sachverhalt verneinte die VK Westfalen, dass der Auftrag aus technischen Gründen nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden konnte. Sie verwies hierbei auf den Ausnahmecharakter des § 14 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b VgV und die deshalb gebotene enge Auslegung.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung ist in zweierlei Hinsicht von Interesse. Zum einen erörtert die VK Westfalen, ob die in § 135 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB enthaltene Zehntagesfrist bei Nichtbeachtung einen Nachprüfungsantrag ausschließt. Zum anderen thematisiert sie, ob der Begriff der Ansicht in § 135 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB objektiv oder subjektiv auszulegen ist.

§ 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB und § 135 Abs. 3 GWB stehen in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis (vgl. entsprechend EuGH, Urt. v. 11.09.2014 C-19/13 Fastweb, Rdnrn. 39 f.). Die durch die Ausschlussfristen in § 135 Abs. 2 GWB bedingte (schwebende) Unwirksamkeit eines nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB de-facto erteilten Auftrages tritt nicht ein, wenn ausnahmsweise die Voraussetzungen nach § 135 Abs. 3 GWB gegeben sind. Bei der Anwendung dieser Ausnahmeregelung kommt deshalb den nur für die beiden Regelfälle nach § 135 Abs. 1 GWB gedachten Ausschlussfristen nach § 135 Abs. 2 GWB keine Bedeutung mehr zu. Denn § 135 Abs. 3 GWB unterstellt die von Anfang an bestehende Rechtswirksamkeit, nicht die (schwebende) Unwirksamkeit eines vergebenen Auftrages i.S.d. § 135 Abs. 1 GWB. Dementsprechend kann im Anwendungsfall des § 135 Abs. 3 GWB auch nicht die Unwirksamkeit einer Auftragsvergabe nach § 135 Abs. 1 GWB festgestellt werden. Eine immanente Prüfung der Voraussetzungen des § 135 Abs. 3 GWB im Rahmen von § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB würde dem Regel-Ausnahme-Verhältnis widersprechen. Deshalb ist der in § 135 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB enthaltenen Zehntagesfrist ein Ausschlusscharakter beizumessen, wovon auch der EuGH auszugehen scheint, wenn er nach dem zehntägigen Fristablauf nur noch Schadensersatzklagen für möglich hält (EuGH, Urt. v. 11.09.2014 C-19/13 Fastweb, Rdnr. 62).

Die Zehntagesfrist bezweckt – ebenso wie die in § 134 Abs. 2 GWB geregelte zehn- bzw. fünfzehntägige Wartefrist – einerseits den interessierten Unternehmen vor der Auftragserteilung ein Anfechtungsrecht zuzubilligen, andererseits aber mit dem fristwahrenden, wirksam erteilten Zuschlag für Rechtssicherheit zu sorgen. Die Meinung, dass die Zehntagesfrist dem Auftraggeber lediglich ermöglichen solle, seine Entscheidung aufgrund neuer Argumente nochmals überprüfen zu können, erscheint nur in dem Sinne zutreffend, als der Auftraggeber allenfalls über Abhilfe oder Nichtabhilfe der unternehmensseitigen Einwände bzw. Rügen zu befinden hat. Erw.grd. 26 und 43 der RL 2007/66/EG machen insoweit deutlich, dass die Zehntagesfrist eine wirksame Nachprüfung ermöglichen und Rechtsunsicherheit vermeiden soll. Will ein Unternehmer deshalb den drohenden Vertragsabschluss verhindern, so muss er vor Ablauf der Zehntagesfrist des § 135 Abs. 3 GWB einen Nachprüfungsantrag einreichen, mit dem Ziel, dem Auftraggeber bei fortbestehendem Beschaffungswillen zu untersagen, den angekündigten Vertrag abzuschließen, und zu verpflichten, ein ordnungsgemäßes (wettbewerbliches) Vergabeverfahren durchzuführen. Andernfalls ist sein Nachprüfungsantrag unzulässig, wenn der Vertrag nach Ablauf der Stillhaltefrist von mindestens zehn Tagen rechtswirksam geschlossen wurde.

Zu Diskussionen lädt ferner die Meinung ein, nach der Kontrolle der drei Voraussetzungen des § 135 Abs. 3 GWB durch die Nachprüfungsinstanz müsse objektiv feststehen, dass kein Vergaberechtsverstoß durch den Auftraggeber vorläge und dass seinen subjektiven Vorstellungen keine prioritäre Bedeutung beizumessen sei. § 135 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nimmt aber ausdrücklich auf die Ansicht und somit auf innere Tatsachen des Auftraggebers Bezug. Die weitgehende Ausblendung der subjektiven Sichtweise zugunsten einer vorrangigen objektiven Würdigung der Rechtslage scheint deshalb nicht sachgerecht zu sein. Auf die Bedeutung der subjektiven Sicht weist auch der EuGH (Urt. v. 11.09.2014 C-19/13 Fastweb, Rdnr. 48) hin, wenn er auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Auftraggebers und auf sein sorgfältiges Handeln hinsichtlich der tatsächlichen Erfüllung der Ausnahmegründe für ein Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Teilnahmewettbewerb hinweist.

Freilich darf die Berücksichtigung subjektiver Erwägungen nicht dazu führen, dass der Auftraggeber von einer sorgfältigen Prüfung der Sach- und Rechtslage entbunden oder gar die Darlegungs- und Beweislast zu Ungunsten eines Antragstellers umgekehrt wird. Der Auftraggeber muss seine subjektive Ansicht auf eine wettbewerbliche Veröffentlichung der Auftragsvergabe verzichten zu dürfen, klar und unmissverständlich in sachlicher und rechtlicher Hinsicht in der Ex-ante-Transparenzbekanntmachung begründen, damit interessierte Unternehmen in voller Kenntnis der Sachlage entscheiden können, ob sie es für nützlich erachten, ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten (vgl. EuGH, Urt. v. 11.09.2014 C-19/13 Fastweb, Rdnr. 48).

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Praxistipp

Auftraggeber sollten sich nicht vorschnell dazu verleiten lassen, Beschaffungen allein wegen der Möglichkeit einer Ex-ante-Transparenzbekanntmachung und der beachtlichen Zehntagesfrist ohne belastbare Sach- und Rechtsbegründung durchzuführen. Der bloße Wunsch, einen Auftrag gerne ohne wettbewerbliche Bekanntmachung an ein einziges Unternehmen vergeben zu wollen, genügt jedenfalls nicht. Da die mit der Ex-ante-Transparenzbekanntmachung verbundenen Risiken und Unwägbarkeiten von der Rechtsprechung noch nicht abschließend und obergerichtlich geklärt sind, dürften Vergabestellen aktuell gut beraten sein, § 135 Abs. 3 GWB nur in vergaberechtlich fundierten Beschaffungsfällen anzuwenden.

The post Rechtssicher de-facto vergeben? Die freiwillige Ex-ante-Transparenzbekanntmachung nach § 135 Abs. 3 GWB (VK Westfalen, Beschl. v. 28.02.2017 VK 1 – 02/17) appeared first on Vergabeblog.

Bereitstellung der Vergabeunterlagen in zweistufigen Verfahren – sämtliche Vergabeunterlagen müssen bereits im Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung zur Verfügung stehen (OLG München, Beschl. v. 13.03.2017 – Verg 15/16)

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Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungSeit dem Inkrafttreten des neuen europäischen Vergaberechts am 18. April 2016 bewegt die Vergabepraxis die Frage, ob auch bei Vergabeverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb sämtliche Vergabeunterlagen bereits im Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung zur Verfügung gestellt werden müssen. Das OLG München hat als erstes deutsches Obergericht entschieden, dass die gesamten Vergabeunterlagen auch bei zweistufigen Verfahren bereits mit Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung bereitzustellen sind.

VgV 2016, § 41 Abs. 1, § 29 Abs. 1; SektVO 2016, § 41 Abs. 1

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb die stufenweise Beauftragung der Leistungen für die Tragwerksplanung für den Neubau des Verwaltungsgebäudes eines Energieversorgungsunternehmens aus. Da der Auftraggeber im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung erst die für den Teilnahmewettbewerb erforderlichen Unterlagen fertiggestellt hatte, wurden auch nur diese Teilnahmeunterlagen öffentlich zugängig gemacht. Die für die Angebotsphase maßgeblichen Unterlagen (insbesondere Verfahrensbedingungen, Aufgabenbeschreibung und Vertragsentwurf) sollten den ausgewählten Bietern erst in der Angebotsphase zur Verfügung gestellt werden.

Die Entscheidung

Das OLG München stellte fest, dass die Vergabeunterlagen für die Angebotsphase bereits mit der Auftragsbekanntmachung den interessierten Unternehmen zur Verfügung zu stellen sind. Dass der Auftraggeber mit Einleitung des Teilnahmewettbewerbs allein die Teilnahmeunterlagen zur Verfügung gestellt hatte, begründe eine Verletzung des § 41 Abs. 1 SektVO (inhaltsgleich: § 41 Abs. 1 VgV). Danach sei eine elektronische Adresse anzugeben, unter der die Vergabeunterlagen uneingeschränkt und vollständig abgerufen werden können. Daraus folge, dass insbesondere im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb bereits mit der Auftragsbekanntmachung die Vergabeunterlagen allen interessierten Unternehmen zur Verfügung zu stellen sind. Dies gilt nach Auffassung des Vergabesenats jedenfalls, soweit diese Unterlagen bei Auftragsbekanntmachung in einer finalisierten Form vorliegen können.

Das OLG München begründet seine Rechtsauffassung zum einen mit der amtlichen Begründung, wonach zu den Vergabeunterlagen „sämtliche Unterlagen gehören, die von Auftraggebern erstellt werden oder auf die sie sich beziehen, um Teile des Vergabeverfahrens zu definieren.“ Zum anderen dürften interessierte Bewerber ihre Teilnahme am Verfahren nicht zuletzt häufig davon abhängig machen, nach welchen Kriterien im weiteren Verlauf des Verfahrens der Zuschlag erteilt werden soll.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des OLG München bestätigt die vom Gesetzgeber verfolgte Zielsetzung, dass interessierten Unternehmen auch bei zweistufigen Vergabeverfahren von vornherein vollständige Transparenz zu bieten ist. Hervorzuheben ist allerdings, dass das Gericht einschränkend hinzufügt, dass eine vollständige Bereitstellung der Vergabeunterlagen nur dann erforderlich sei, soweit diese Unterlagen bei der Auftragsbekanntmachung in einer finalisierten Form vorliegen können. Leider klärt das OLG München nicht, ob in diesem Zusammenhang objektive Gründe vorliegen müssen oder auch subjektive Aspekte (z. B. Kapazitäten oder andere verwaltungsorganisatorische Aspekte) ausreichend sein können.

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Praxistipp

Die Entscheidung hat massive Auswirkungen auf die Praxis. Öffentliche Auftraggeber sind auch bei zweistufigen Verfahren gezwungen, sämtliche Informationen einem unbeschränkten Adressatenkreis zur Verfügung zu stellen. In praktischer Hinsicht besteht die Herausforderung darin, bereits im Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung die leistungsbezogenen Angebotsunterlagen vollständig fertiggestellt zu haben. Faktisch werden Vergabeverfahren hierdurch verlängert: Denn gerade bei komplexen Auftragsvergaben mit gegebenenfalls schwierigen zeitlichen Abhängigkeiten ist es Auftraggebern nunmehr verwehrt, den laufenden Teilnahmewettbewerb für die Fertigstellung der leistungsbezogenen Unterlagen zu nutzen.

Bieter könnten gehalten sein, mögliche Verfahrensverstöße in den leistungsbezogenen Unterlagen bereits im Teilnahmewettbewerb zu rügen bzw. leistungsbezogene Bewerberfragen zu stellen. Der Vergabesenat lässt jedoch offen, ob mit Blick auf leistungsbezogene Unterlagen in dieser Hinsicht gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB die Teilnahme- oder Angebotsabgabefrist entscheidend ist. Sowohl Auftraggeber als auch Bieter sollten daher die weitere Rechtsentwicklung aufmerksam beobachten. Denn das OLG München hat angedeutet, dass in bestimmten Fällen nicht alle Vergabeunterlagen bereits im Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung vorliegen müssten.

The post Bereitstellung der Vergabeunterlagen in zweistufigen Verfahren – sämtliche Vergabeunterlagen müssen bereits im Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung zur Verfügung stehen (OLG München, Beschl. v. 13.03.2017 – Verg 15/16) appeared first on Vergabeblog.

Rechtssicher de-facto vergeben? Die freiwillige Ex-ante-Transparenzbekanntmachung nach § 135 Abs. 3 GWB (VK Westfalen, Beschl. v. 28.02.2017 – VK 1 – 02/17; nicht bestandskräftig)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

Entscheidung§ 135 Abs. 3 GWB enthält eine im vergangenen Jahr neu in das GWB eingefügte Vorschrift. Sie setzt erstmals Art. 2d RL 89/665/EWG bzw. RL 92/13/EWG, jeweils in der Fassung der RL 2007/66/EG, in deutsches Recht um. Danach ist ein vergebener Auftrag nicht unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber (1.) der Ansicht ist, dass eine Auftragsvergabe auch ohne wettbewerbliche Bekanntmachung zulässig ist, er (2.) seine Absicht, den Vertrag abzuschließen freiwillig ex-ante bekanntmacht, und er (3.) den Vertrag nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens zehn Kalendertagen nach europaweiter Veröffentlichung der Ex-ante-Transparenzbekanntmachung abschließt. Diese freiwillige Bekanntmachung muss gemäß § 135 Abs. 3 Satz 2 GWB u.a. eine Begründung, den Auftrag ohne wettbewerbliche Bekanntmachung zu vergeben, und den Namen des avisierten Vertragspartners umfassen.

Ausschreibungspflichtige öffentliche Aufträge, die ohne wettbewerbliche Bekanntmachung im EU-Amtsblatt de-facto vergeben wurden, sind andernfalls gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB von Anfang unwirksam, wenn dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt wird. Diese Unwirksamkeit kann nicht später als sechs Monate nach Vertragsabschluss geltend gemacht werden (§ 135 Abs. 2 Satz 1 GWB). Die Frist zur Geltendmachung der Unwirksamkeit verkürzt sich auf 30 Kalendertage, wenn der Auftraggeber die nichtberücksichtigten Bieter und Bewerber über den Vertragsabschluss informiert hat oder der vergebene Auftrag im EU-Amtsblatt bekannt gemacht wurde (§ 135 Abs. 2 Satz 1 u. 2 GWB).

§ 135 Abs. 3 GWB; Art. 2d Abs. 4 RL 89/665/EWG bzw. RL 92/13/EWG, Art. 60 Abs. 4 RL 2009/81/EG.

Leitsatz

Ob der öffentliche Auftraggeber gemäß § 135 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB der Ansicht sein durfte, einen Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung zu vergeben, ist im Nachprüfungsverfahren inhaltlich voll überprüfbar.

Sachverhalt

Das Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen beabsichtigte, eine Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Leberdialyse-Monitore mit einem Gesamtwert von rund 1 Mio. abzuschließen. Zu diesem Zweck veröffentlichte die Vergabestelle am 30.08.2016 eine freiwillige Ex-ante-Transparenzbekanntmachung im EU-Amtsblatt und kündigte darin an, den Vertrag mit dem ausgewählten Unternehmer zehn Tage später zu schließen. Sie wies darauf hin, dass Einwände hiergegen binnen der Zehntagesfrist schriftlich zu erheben seien. Zur Begründung für das Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Teilnahmewettbewerb verwies das Herz- und Diabeteszentrum NRW auf § 14 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b VgV, weil nur der ausgewählte Auftragnehmer Monitore liefern könne, die einer bestimmten Medizingerätenorm entsprächen und zudem mit anderen medizintechnischen Geräte kompatibel seien. Am 10.09.2016 wurde der Vertragsschluss sodann vollzogen.

Später am 16.12.2016 rügte ein Wettbewerber die Auftragsvergabe als rechtswidrig und forderte die Durchführung eines Ausschreibungswettbewerbs, an den er sich beteiligen wolle. Die Vergabestelle half der Rüge nicht ab. Der Konkurrent beantragte daraufhin am 06.01.2017 die Nachprüfung, also noch binnen sechs Monaten nach Vertragsabschluss.

Die Entscheidung

Der Münsteraner Spruchkörper der VK Westfalen gab dem Nachprüfungsantrag statt und stellte fest, dass die abgeschlossene Rahmenliefervereinbarung unwirksam ist.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

Ein Unternehmen kann vergaberechtswidrige, aber bereits geschlossene Verträge unter Einhaltung der in § 135 GWB genannten Fristen in einem Nachprüfungsverfahren für unwirksam erklären lassen. Vorliegend war nach Ansicht der VK Westfalen nur die Ausschlussfrist von sechs Monaten nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB beachtlich. Denn der Auftraggeber hatte weder eine Bekanntmachung über den vergebenen Auftrag veröffentlicht noch den Antragsteller anderweitig informiert.

Die Ausnahmeregelung des § 135 Abs. 3 GWB eröffnet unter den dort genannten Voraussetzungen die Möglichkeit, die Feststellung der eigentlich gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB eintretenden Unwirksamkeit eines öffentlichen Auftrages zu vermeiden. Ob die Voraussetzungen des durch § 135 Abs. 3 GWB eröffneten Ausnahmetatbestandes vorliegen, ist im Rahmen des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB immanent zu prüfen. Demgemäß sind auch die Fristen in § 135 Abs. 2 GWB für die Feststellung der Unwirksamkeit nach Abs. 1 zu beachten. Einem Unternehmen, dass die in § 135 Abs. 3 GWB genannte Frist von zehn Tagen nicht für Einwände gegenüber dem Auftraggeber nutzt, ist der Weg zur Vergabekammer nicht verwehrt. Bei der Zehntagesfrist handelt es sich um keine Ausschlussfrist, sondern um eine Mindest-Stillhaltefrist, die eine wirksame Nachprüfung ermöglichen soll. Ziel dieser Stillhaltefrist ist es, dass der Auftraggeber seine Absicht, den Vertrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung zu vergeben, aufgrund neuer Argumente von am Auftrag interessierten Unternehmen nochmals überprüfen kann.

Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.

Die Voraussetzungen nach § 135 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB lagen nicht vor. Danach muss der Auftraggeber der Ansicht sein, dass die Auftragsvergabe ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im EU-Amtsblatt zulässig ist. Hierbei erfolgt eine inhaltliche Kontrolle durch die Nachprüfungsinstanz, deren Intensität und Tiefe offen ist. Nach der Überprüfung muss objektiv feststehen, dass kein Vergaberechtsverstoß durch den Auftraggeber vorliegt. Rein subjektive Vorstellungen der Vergabestelle, ob die Ansicht aufgrund der konkreten Umstände in sachlicher und rechtlicher Hinsicht vertretbar war, sind nach Auffassung des Münsteraner Spruchkörpers nicht ausreichend. Im vorliegenden Sachverhalt verneinte die VK Westfalen, dass der Auftrag aus technischen Gründen nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden konnte. Sie verwies hierbei auf den Ausnahmecharakter des § 14 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b VgV und die deshalb gebotene enge Auslegung.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung ist in zweierlei Hinsicht von Interesse. Zum einen erörtert die VK Westfalen, ob die in § 135 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB enthaltene Zehntagesfrist bei Nichtbeachtung einen Nachprüfungsantrag ausschließt. Zum anderen thematisiert sie, ob der Begriff der Ansicht in § 135 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB objektiv oder subjektiv auszulegen ist.

§ 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB und § 135 Abs. 3 GWB stehen in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis (vgl. entsprechend EuGH, Urt. v. 11.09.2014 C-19/13 Fastweb, Rdnrn. 39 f.). Die durch die Ausschlussfristen in § 135 Abs. 2 GWB bedingte (schwebende) Unwirksamkeit eines nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB de-facto erteilten Auftrages tritt nicht ein, wenn ausnahmsweise die Voraussetzungen nach § 135 Abs. 3 GWB gegeben sind. Bei der Anwendung dieser Ausnahmeregelung kommt deshalb den nur für die beiden Regelfälle nach § 135 Abs. 1 GWB gedachten Ausschlussfristen nach § 135 Abs. 2 GWB keine Bedeutung mehr zu. Denn § 135 Abs. 3 GWB unterstellt die von Anfang an bestehende Rechtswirksamkeit, nicht die (schwebende) Unwirksamkeit eines vergebenen Auftrages i.S.d. § 135 Abs. 1 GWB. Dementsprechend kann im Anwendungsfall des § 135 Abs. 3 GWB auch nicht die Unwirksamkeit einer Auftragsvergabe nach § 135 Abs. 1 GWB festgestellt werden. Eine immanente Prüfung der Voraussetzungen des § 135 Abs. 3 GWB im Rahmen von § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB würde dem Regel-Ausnahme-Verhältnis widersprechen. Deshalb ist der in § 135 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB enthaltenen Zehntagesfrist ein Ausschlusscharakter beizumessen, wovon auch der EuGH auszugehen scheint, wenn er nach dem zehntägigen Fristablauf nur noch Schadensersatzklagen für möglich hält (EuGH, Urt. v. 11.09.2014 C-19/13 Fastweb, Rdnr. 62).

Die Zehntagesfrist bezweckt – ebenso wie die in § 134 Abs. 2 GWB geregelte zehn- bzw. fünfzehntägige Wartefrist – einerseits den interessierten Unternehmen vor der Auftragserteilung ein Anfechtungsrecht zuzubilligen, andererseits aber mit dem fristwahrenden, wirksam erteilten Zuschlag für Rechtssicherheit zu sorgen. Die Meinung, dass die Zehntagesfrist dem Auftraggeber lediglich ermöglichen solle, seine Entscheidung aufgrund neuer Argumente nochmals überprüfen zu können, erscheint nur in dem Sinne zutreffend, als der Auftraggeber allenfalls über Abhilfe oder Nichtabhilfe der unternehmensseitigen Einwände bzw. Rügen zu befinden hat. Erw.grd. 26 und 43 der RL 2007/66/EG machen insoweit deutlich, dass die Zehntagesfrist eine wirksame Nachprüfung ermöglichen und Rechtsunsicherheit vermeiden soll. Will ein Unternehmer deshalb den drohenden Vertragsabschluss verhindern, so muss er vor Ablauf der Zehntagesfrist des § 135 Abs. 3 GWB einen Nachprüfungsantrag einreichen, mit dem Ziel, dem Auftraggeber bei fortbestehendem Beschaffungswillen zu untersagen, den angekündigten Vertrag abzuschließen, und zu verpflichten, ein ordnungsgemäßes (wettbewerbliches) Vergabeverfahren durchzuführen. Andernfalls ist sein Nachprüfungsantrag unzulässig, wenn der Vertrag nach Ablauf der Stillhaltefrist von mindestens zehn Tagen rechtswirksam geschlossen wurde.

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Zu Diskussionen lädt ferner die Meinung ein, nach der Kontrolle der drei Voraussetzungen des § 135 Abs. 3 GWB durch die Nachprüfungsinstanz müsse objektiv feststehen, dass kein Vergaberechtsverstoß durch den Auftraggeber vorläge und dass seinen subjektiven Vorstellungen keine prioritäre Bedeutung beizumessen sei. § 135 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nimmt aber ausdrücklich auf die Ansicht und somit auf innere Tatsachen des Auftraggebers Bezug. Die weitgehende Ausblendung der subjektiven Sichtweise zugunsten einer vorrangigen objektiven Würdigung der Rechtslage scheint deshalb nicht sachgerecht zu sein. Auf die Bedeutung der subjektiven Sicht weist auch der EuGH (Urt. v. 11.09.2014 C-19/13 Fastweb, Rdnr. 48) hin, wenn er auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Auftraggebers und auf sein sorgfältiges Handeln hinsichtlich der tatsächlichen Erfüllung der Ausnahmegründe für ein Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Teilnahmewettbewerb hinweist. Freilich darf die Berücksichtigung subjektiver Erwägungen nicht dazu führen, dass der Auftraggeber von einer sorgfältigen Prüfung der Sach- und Rechtslage entbunden oder gar die Darlegungs- und Beweislast zu Ungunsten eines Antragstellers umgekehrt wird. Der Auftraggeber muss seine subjektive Ansicht auf eine wettbewerbliche Veröffentlichung der Auftragsvergabe verzichten zu dürfen, klar und unmissverständlich in sachlicher und rechtlicher Hinsicht in der Ex-ante-Transparenzbekanntmachung begründen, damit interessierte Unternehmen in voller Kenntnis der Sachlage entscheiden können, ob sie es für nützlich erachten, ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten (vgl. EuGH, Urt. v. 11.09.2014 C-19/13 Fastweb, Rdnr. 48).

Praxistipp

Auftraggeber sollten sich nicht vorschnell dazu verleiten lassen, Beschaffungen allein wegen der Möglichkeit einer Ex-ante-Transparenzbekanntmachung und der beachtlichen Zehntagesfrist ohne belastbare Sach- und Rechtsbegründung durchzuführen. Der bloße Wunsch, einen Auftrag gerne ohne wettbewerbliche Bekanntmachung an ein einziges Unternehmen vergeben zu wollen, genügt jedenfalls nicht. Da die mit der Ex-ante-Transparenzbekanntmachung verbundenen Risiken und Unwägbarkeiten von der Rechtsprechung noch nicht abschließend und obergerichtlich geklärt sind, dürften Vergabestellen aktuell gut beraten sein, § 135 Abs. 3 GWB nur in vergaberechtlich fundierten Beschaffungsfällen anzuwenden.

The post Rechtssicher de-facto vergeben? Die freiwillige Ex-ante-Transparenzbekanntmachung nach § 135 Abs. 3 GWB (VK Westfalen, Beschl. v. 28.02.2017 – VK 1 – 02/17; nicht bestandskräftig) appeared first on Vergabeblog.

Leistungsbestimmungsrecht ist das Penicillin des 21. Jahrhunderts! Abweichen von Losvergabe bei langjähriger Übung und bei kleinem Marktumfeld nahezu ausgeschlossen! (VK Südbayern, Beschl. v. 30.03.2017 – Z3-3-3194-1-04-02/17)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungIst ein Bieter aufgrund eigener Kapazitäten in der Lage, die ausgeschriebenen Leistungen insgesamt zu erbringen, hätte er durch eine Losaufteilung keine besseren Chancen auf Erteilung des Zuschlags. Besteht eine langjährige Übung mit entsprechenden branchenspezifischen Fachempfehlungen, bestimmte Leistungen (hier Feuerwehrfahrzeuge) in Fachlose aufgeteilt auszuschreiben, bedarf eine Abweichung von dieser Übung wegen nunmehr angeblich unbeherrschbarer Schnittstellenprobleme einer besonders gründlichen Begründung. Abweichungen von den Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Leistungen (VOL/B) sind nach dem neuen Recht zulässig.

§ 97 Abs. 4 Satz 3 GWB; § 14 Abs. 6 VgV; § 29 Abs. 2 VgV; VOL/B

Sachverhalt

Der Auftraggeber hat mit europaweiter Bekanntmachung die gemeinsame Lieferung von drei baugleichen Hubrettungsfahrzeugen (Feuerwehrfahrzeugen) im Wege eines offenen Verfahrens als Lieferauftrag ausgeschrieben. Nach der Bekanntmachung erfolgte keine Aufteilung in Lose. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Wie aus den Bewerbungsbedingungen hervorgeht, werden beim Wertungskriterium Preis die Gesamtkosten über alle Fahrzeuge berücksichtigt. In der Vormerkung der Leistungsbeschreibung wurde darauf hingewiesen, dass der in der Leistungsbeschreibung ausgewiesene Kaufpreis sämtliche Kosten einschließlich aller Nebenkosten berücksichtige. Der Auftragnehmer schuldet zu diesem Kaufpreis ein vollständig montiertes, betriebsfertiges und voll funktionsfähiges Fahrzeug.

Nach Erhalt der Vergabeunterlagen rügte die Antragstellerin eine Vielzahl von vermeintlichen Vergaberechtsverstößen. U.a. rügte sie erstens, dass eine mittelbar diskriminierende Leistungsbeschreibung vorliege, weil die Anforderungen des Auftraggebers an die Beschaffenheit des Rettungskorbs auf eine bestimmte Technik zugeschnitten seien und damit die Antragstellerin sich gehindert sehe, ein zuschlagsfähiges Angebot abzugeben. Zweitens führte die Antragstellerin aus, dass der Auftraggeber vorliegend gegen das Gebot der losweisen Vergabe verstoßen habe. Es hätte eine Vergabe in drei Losen erfolgen müssen (Los 1 Fahrgestell, Los 2 Aufbau und Los 3 Beladung). Die Voraussetzungen für eine einheitliche Gesamtvergabe seien nicht gegeben, da weder wirtschaftliche oder technische Gründe vorliegen. Drittens rügte die Antragstellerin, dass der Auftraggeber in unzulässiger Weise Änderungen an der VOL/B vorgenommen habe.

Weil die vorangegangenen Rügen den Auftraggeber nicht zur Änderung seiner Rechtsauffassung bewegten, beantragte die Antragstellerin im Februar 2017 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, aber unbegründet.

(1) Vorgaben in der Leistungsbeschreibung und Leistungsbestimmungsrecht

Die Vorgaben in der Leistungsbeschreibung zum Rettungskorb führen nicht zu einer Rechtsverletzung der Antragstellerin. Sie führen erstens nicht dazu, dass die Antragstellerin kein wertungsfähiges Angebot abgeben könnte und sind zweitens durch das Leistungsbestimmungsrecht der Antragsgegner gerechtfertigt.

Nach ständiger Rechtsprechung ist der öffentliche Auftraggeber bei der Beschaffungsentscheidung für ein bestimmtes Produkt, eine Herkunft, ein Verfahren oder dergleichen im rechtlichen Ansatz ungebunden und weitgehend frei. Hintergrund dafür ist, dass das Vergaberecht nicht regelt, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung. Die danach im jeweiligen Fall vorgenommene Bestimmung des Beschaffungsgegenstands ist von den Vergabenachprüfungsinstanzen im Ausgangspunkt nicht zu kontrollieren. Allerdings ist die Definitionsmacht des öffentlichen Auftraggebers hinsichtlich des Beschaffungsgegenstandes nicht schrankenlos. Der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers beim Beschaffungsgegenstand sind durch das Vergaberecht Grenzen gesetzt. Sie wird begrenzt durch die Verpflichtung, den vergaberechtlichen Grundsätzen des Wettbewerbs, der Transparenz und der Gleichbehandlung Rechnung zu tragen. Darüber hinaus sind die Vorgaben des § 31 Abs. 6 VgV zu beachten, der vorschreibt, dass, soweit dies nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, der Auftraggeber in technischen Anforderungen (in einem weit zu verstehenden Sinn) nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren verweisen darf, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder Produkte ausgeschlossen oder begünstigt werden.

Die dem Auftraggeber gesetzten vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit sind eingehalten, wenn

  • die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist,
  • vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist,
  • solche Gründe tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sind und
  • die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.

Bewegt sich die Bestimmung in diesen Grenzen, gilt der Grundsatz der Wettbewerbsoffenheit der Beschaffung nicht mehr uneingeschränkt. An diesen Grundsätzen ist auch die streitgegenständliche Vergabe zu messen. Im Ergebnis durfte der Auftraggeber im Rahmen seines Leistungsbestimmungsrechts eine horizontale Aufnahme der Trage in der Leistungsbeschreibung vorgeben.

(2) Verstoß gegen das Losbildungsgebot

Soweit die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag einen Verstoß gegen das Gebot der Fachlosaufteilung nach § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB geltend macht, weil eine Aufteilung des ausgeschriebenen Auftrags in die Fachlose Fahrgestell und Aufbau unterblieben ist, kann offen bleiben, ob ein solcher Verstoß hier tatsächlich gegeben ist; insbesondere muss vorliegend nicht geprüft werden, ob wirtschaftliche oder technische Gründe existieren, die ausnahmsweise eine Gesamtvergabe rechtfertigen würden. Denn die Antragstellerin ist durch einen solchen Verstoß jedenfalls nicht nach § 168 Abs. 1 Satz 1 GWB in ihren Rechten verletzt, da nicht ersichtlich ist, ob und inwieweit sich dadurch ihre Zuschlagschancen verschlechtern. Das Gebot der Aufteilung eines Auftrags in Fachlose dient dem Ziel, dass öffentliche Aufträge so aufgeteilt und zugeschnitten werden, dass es auf eine bestimmte Leistung spezialisierten Unternehmen möglich ist, sich als Einzelbieter und nicht nur in Form von Bietergemeinschaften oder als Unterauftragnehmer am Wettbewerb um die gebildeten Lose zu beteiligen. Diesen Unternehmen soll somit die Chance gegeben werden, überhaupt ein Angebot abgeben zu können und sich damit am Wettbewerb zumindest um Teile des Gesamtauftrags beteiligten zu können. Die so im Falle einer Fachlosaufteilung bestehenden Zuschlagschancen von spezialisierten Unternehmen würden bei einer Gesamtvergabe hingegen beseitigt werden. Im Fall der Antragstellerin liegt eine solche in den Schutzbereich der fraglichen Regelungen fallende Konstellation jedoch gerade nicht vor.

(3) Abweichung von den Vertragsbestimmungen der VOL/B

Nach § 29 Abs. 2 VgV sind die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Leistungen (VOL/B) in der Regel zum Vertragsgegenstand zu machen. Anders, als noch in § 11 EG VOL/A, in dem die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Leistungen zwingend Bestandteil des Vertrages werden mussten, stellt die Vorgabe dieses Regelwerks nun nur noch die Regel dar. Dies bedeutet, dass Ausnahmen zulässig sind. Die Vertragsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers wird damit weit weniger eingeschränkt, als dies bislang nach § 11 EG VOL/A der Fall gewesen ist. Jetzt kann der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich die aus seiner Sicht optimal auf den zu vergebenden Auftrag abgestimmten vertraglichen Regelungen vorgeben.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung ist richtig, wenngleich in der Begründung nicht durchweg gelungen. Dies dürfte auch mit der Vielzahl an Rügegegenständen zusammenhängen.

Zutreffend fasst die VK Südbayern zunächst die Rechtsprechung zum Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers zusammen. Das Penicillin des 21. Jahrhunderts hat insofern seine Wirkung entfaltet (zu der Begriffsbezeichnung siehe Fett, IBR 2014, 228). Man möchte ergänzen: Die inhaltlichen Ausführungen der Vergabekammer lassen den Schluss zu, dass dagegen in der Sache auch keine durchgreifenden Bedenken bestehen.

Im Hinblick auf das Losbildungsgebot schließt sich die Vergabekammer der Entscheidung der 1. Vergabekammer des Bundes vom 31.10.2016 Az. VK 1-90/16 (siehe: Vergabeblog.de vom 08/05/2017, Nr. 31312) an und entscheidet, dass ein Bieter sich nicht auf einen etwaigen Rechtsverstoß berufen kann, wenn ihm auch ohne den Verstoß eine Teilnahme am Vergabeverfahren möglich ist. Die Entscheidung der Vergabekammer ist zutreffend und nicht zu beanstanden. Leider hat wie zuvor auch die Vergabekammer des Bundes die VK Südbayern dieser Frage nicht bereits auf Zulässigkeitsebene entschieden, sondern erst im Rahmen der Begründetheitsprüfung. Und dies trotz folgender Aussage im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung: Denn die Antragstellerin ist ohne Zweifel in der Lage, ein Gesamtangebot mit einem Fahrgestell und einem darauf genau abgestimmten Aufbau zu unterbreiten, so dass nicht ersichtlich ist, inwieweit das Unterlassen der Fachlosvergabe die Zuschlagschancen der Antragstellerin schmälern würde. Das Ergebnis ändert sich dadurch freilich nicht.

Trotzdem sieht sich die Vergabekammer in begrüßenswerter Deutlichkeit dazu veranlasst, darauf hinzuweisen, dass erhebliche Bedenken im Hinblick auf die unterbliebene Fachlosbildung zwischen Fahrgestell und Aufbau bestehen. Denn eine Gesamt- oder zusammenfassende Vergabe darf nach dem Willen des Gesetzgebers nur in Ausnahmefällen stattfinden. Im Rahmen der dem Auftraggeber obliegenden Entscheidung bedarf es einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Belange, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden Gründe nicht nur anerkennenswert sein, sondern überwiegen müssen. Für das Maß eines Überwiegens lassen sich keine allgemeinen Regeln aufstellen. Die Frage, ob gemäß § 97 Abs. 3 GWB Fachlose zu bilden sind, ist für jedes in Betracht kommende Fachgewerk getrennt zu beantworten. Dies führt nach Auffassung der Vergabekammer dazu, dass im Hinblick auf Feuerwehrfahrzeuge für jeden Fahrzeugtyp gesondert zu begründen ist, warum von einer Fachlosvergabe abgesehen werden kann, da die Schnittstellenproblematik sich bei jedem Fahrzeugtyp differenziert stellt und sich die Zahl der zu erwartenden Marktteilnehmer je nach Fahrzeug stark unterschiedlich ist.

Zwar hat der Auftraggeber vorliegend eine umfangreiche Begründung über die ihrer Ansicht nach vorliegenden technischen Gründe zum Absehen von einer Losvergabe vorgelegt. Angesichts dessen, dass bisher die Fachlosbildung bei der Beschaffung von Einsatzfahrzeugen der Feuerwehr jedoch der absolute Regelfall war und die Verwaltungspraxis und Verwaltungsgerichtsbarkeit im Unterlassen der Fachlosbildung einen schweren Vergabeverstoß sieht (siehe VG Augsburg, Urteil vom 23.02.2016 Az. Au 3 K 15.1070; dazu Vergabeblog.de vom 07/04/2016, Nr. 25371 und jüngst VGH München, Beschluss vom 22.05.2017 Az. 4 ZB 16.577), sind an die Darlegung der technischen Gründe allerdings sehr hohe Anforderungen zu stellen. Angesichts der Tatsache, dass derartige Fahrzeuge in den letzten Jahren in großer Zahl ganz regelmäßig über eine Fachlosaufteilung beschafft wurden und den Fahrzeugen teilweise DIN-Normen zugrunde liegen, erscheint es aus Sicht der Vergabekammer unglaubwürdig, dass plötzlich die Schnittstellenproblematik nicht mehr beherrscht werden könnte. Der relativ kleine Markt bringt darüber hinaus die Gefahr, dass bei einem Absehen von der Fachlosbildung bei gleichzeitiger ggf. zulässiger Vorgabe von Alleinstellungsmerkmalen eines Marktteilnehmers der Wettbewerb vollständig ausgeschaltet wird. Vor diesem Hintergrund weist die Vergabekammer zutreffend auf eine wichtige Verfahrensalternative hin: Es könnte für die öffentlichen Auftraggeber zumutbar sein, die Schnittstellenproblematik durch sukzessive Ausschreibung von Fahrgestell und Aufbau zu entschärfen. Ob die entsprechende Verzögerung des Vergabeverfahren über den einer Fachlosvergabe immanenten und damit typischerweise verbundenen Mehraufwand hinausgeht, der nach dem Zweck des Gesetzes in Kauf zu nehmen ist und bei der Abwägung grundsätzlich unberücksichtigt zu bleiben hat, erscheint der Vergabekammer zu Recht zweifelhaft.

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Praxistipp

Das Leistungsbestimmungsrecht ermöglicht es dem Auftraggeber mit Hilfe einer sachlich in einem Vergabevermerk gut begründeten Entscheidung, gewünschte Anforderungen am Markt auch gegen Widerstände durchzusetzen. Dagegen wird der Verzicht auf eine Fach- oder Teillosaufteilung nur durchsetzbar gelingen, wenn der Auftraggeber dafür beachtliche, einzelfallbezogene (!), Gründe anführen kann. Das Losbildungsgebot wird vor allem bei einer (vermeintlich) allgemein anerkannten Vergabepraxis in einem nur sehr beschränkten Bieterumfeld kaum zu umgehen sein. Befürchtet der Auftraggeber zwischen Leistungsteilen nicht beherrschbare Schnittstellen, muss diesen möglichst durch eine entsprechende Ausgestaltung der Vergabeunterlagen (vor allem der Leistungsbeschreibung und der Vertragsbedingungen) Rechnung getragen werden. Modifizierungen der VOL/B sind nach dem neuen Recht nunmehr ausdrücklich möglich. Dies gilt zukünftig auch im Rahmen der Unterschwellenvergabeordnung nach § 21 Abs. 2 UVGO.

Bieter können der Entscheidung entnehmen, dass sie sich mit den Vorgaben des Auftraggebers grundsätzlich abfinden müssen, sofern diese nicht offenkundig auf ein bestimmtes (Konkurrent)Produkt zugeschnitten sind. Kann ein Bieter ungeachtet der möglicherweise gegebenen Verletzung des Losbildungsgebots trotzdem mit Erfolg ein Angebot auf die Gesamtleistung abgeben, ist ihm eine Berufung auf diesen Rechtsverstoß nicht möglich ist.

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Bei der Angebotsauslegung gilt kein Grundsatz „in dubio pro Bieter“ (VK Westfalen, Beschl. v. 07.04.2017 – VK 1-07/17)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungUngenauigkeiten und Widersprüche in Angeboten verlangen Auftraggebern häufig die schwerwiegende Entscheidung ab: Ausschluss des Angebotes oder nicht? Bei einem Ausschluss droht die Rüge gefolgt vom Nachprüfungsantrag. Wenn der Auftraggeber das Angebot aufklärt und in der Wertung belässt, besteht ebenfalls das Risiko, dass ein konkurrierender Bieter dies angreift oder die Vergabekammer den Ausschlussgrund in einem Nachprüfungsverfahren selbst erkennt. Die Vergabekammer Westfalen entwickelt für diese Problematik eine nachvollziehbare und praktikable Lösung, die Auftraggebern mehr Sicherheit gibt.

§ 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV

Leitsatz

  1. Bestehen Zweifel daran, wie ein Angebot zu verstehen ist, weil dieses zwei sich widersprechende Aussagen enthält, bedarf es zunächst einer Auslegung.
  2. In diesem Zusammenhang kommt es darauf an, wie der öffentliche Auftraggeber das Angebot in dem streitgegenständlichen Punkt bei objektiver Würdigung aller Umstände und mit Rücksicht auf Treu und Glauben zu verstehen hatte. Anders ausgedrückt: Zu ermitteln ist nicht der subjektive innere Wille des Bieters, sondern der objektive Erklärungswert.
  3. Führt diese Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis und bleiben deshalb Zweifel, ob das Angebot den Vorgaben der Leistungsbeschreibung entspricht, ist das Angebot auszuschließen.

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb Entsorgungsdienstleistungen in einem offenen Verfahren aus. Gemäß der Leistungsbeschreibung war der gesammelte Abfall vom Auftragnehmer direkt zu vorgegebenen Anlieferstellen zu transportieren. Die Nutzung von eigenen Umschlagstellen durch den Auftragnehmer war in der Leistungsbeschreibung ausdrücklich untersagt.

Der Bestbieter führte in seinem Angebot aus, dass sein Abfuhrbetrieb der Leistungsbeschreibung entspräche. Im Folgenden ergänzte er, dass er den Restmüll in seiner Umschlaganlage umladen und dann zu den vorgegebenen Verwertungsanlagen transportieren würde.

Aufgrund der Rüge eines konkurrierenden Bieters bat der Auftraggeber den Bestbieter um Klarstellung der unklaren Angaben in seinem Angebot. Der Bestbieter tat dies und bestätigte, dass er die Abfuhrorganisation gemäß der Leistungsbeschreibung durchführen würde. Er begründete seinen Fehler im Angebot mit der versehentlichen Übernahme von textlichen Bausteinen aus anderen Ausschreibungen.

Der Auftraggeber wollte weiterhin den Zuschlag auf das Angebot des Bestbieters erteilen. Der konkurrierende Bieter ließ diese Entscheidung von der Vergabekammer überprüfen.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer Westfalen schloss das Angebot des Bestbieters gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV aus. Der Bestbieter hatte ein Angebot abgegeben, das inhaltlich von den Vorgaben der Leistungsbeschreibung abwich und damit wegen einer unzulässigen Änderung an den Vergabeunterlagen von der Wertung auszuschließen war. Er hatte nämlich die Nutzung einer eigenen Umschlagstelle angeboten, was unzulässig war.

An dem Ergebnis änderte aus Sicht der Vergabekammer auch der Umstand nichts, dass der Bestbieter in seinem Angebot parallel erklärt hatte, dass seine Abfuhrorganisation den Regelungen der Leistungsbeschreibung entspräche. Für die Auslegung des Angebotes war der objektive Erklärungswert entscheidend. Bei der Auslegung von Angeboten als Mittel zur Behebung ihnen anhaftender Fehler oder Unvollständigkeiten ist Zurückhaltung geboten. Der Sinn und Zweck der vergaberechtlichen Ausschlussgründe liegt darin, mehr Transparenz in einem zügigen und für den Auftraggeber leicht zu handhabenden Vergabeverfahren zu schaffen, in dem die Gleichbehandlung der Bieter sichergestellt ist.

Das Angebot war – wenn auch versehentlich – objektiv in sich widersprüchlich und entsprach nicht der Leistungsbeschreibung. Nach einem Zuschlag auf solch ein Angebot könnte es bei der Durchführung des Vertrags zu Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich dieses Punktes kommen. Außerdem wäre es zirkulär, im Vergabeverfahren zur Auslegung eines Angebotes die Anforderungen eines Leistungsverzeichnisses heranzuziehen und auf diese Weise Irrtümer beim Ausfüllen des Leistungsverzeichnisses zu korrigieren.

Aus Sicht der Vergabekammer Westfalen gibt es gerade keinen Erfahrungssatz, dass der Bieter stets das vom Ausschreibenden Nachgefragte anbieten will, auch wenn ihm redliche und interessengerechte Absichten zu unterstellen sind. Vielmehr kann es Gründe für eine Abweichung des Angebotes von den Anforderungen geben, und sei es, dass die Anforderungen übersehen worden sind oder irrtümlich angenommen worden ist, sie würden erfüllt.

Rechtliche Würdigung

Die Vergabekammer Westfalen stellt sehr klar die Grenzen der Auslegung von Angeboten dar. Wenn ein Auftraggeber Birnen möchte, sind die von einem Bieter angebotenen Äpfel nicht plötzlich Birnen, nur weil der Auftraggeber diese ausgeschrieben hat. Ein Auftraggeber darf die Auslegung eines Angebotes nicht dahingehend überspannen, dass die zwingenden Ausschlussgründe ausgehebelt werden. Insbesondere eine eindeutige Abweichung von den Vergabeunterlagen darf ein Auftraggeber nicht durch eine Aufklärung des Angebotes bereinigen.

Die Rechtsprechung der letzten Jahre nahm in vielen, teils deutlich divergierenden Einzelfallentscheidungen eine für Auftraggeber verunsichernde Entwicklung. Die Grenzen zwischen einer Angebotsaufklärung und einem – zumindest im offenen und nicht offenen Verfahren – unzulässigen Nachverhandeln wurden fließend. Bei vielen Entscheidungen über den Ausschluss eines Angebotes bestand für die öffentliche Hand das Risiko, dass eine Nachprüfungsinstanz eine abweichende Ansicht vertreten würde.

Ein Vergabeverfahren verpflichtet aber nicht nur den öffentlichen Auftraggeber, die Vergabeunterlagen widerspruchsfrei und transparent zu gestalten. Das vorvertragliche Schuldverhältnis, in dem sich Bieter und Auftraggeber bewegen, sollte von den Bietern ebenfalls ein genaues Arbeiten bei der Angebotserstellung verlangen. Häufig wird der Auftraggeber andernfalls bei der späteren Vertragsausführung mit dem Risiko leben müssen, dass Widersprüche oder Unklarheiten einer rechtlichen Durchsetzbarkeit seiner vertraglichen Forderungen entgegenstehen können.

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Praxistipp

Bei der Prüfung von Ausschlussgründen für Angebote gibt es nicht immer nur schwarz und weiß. Ein Auftraggeber muss, wenn er sich in der rechtlichen Grauzone bewegt, seine Entscheidung sehr genau prüfen und dokumentieren. Im besten Fall kann er den Angebotsausschluss auf mehrere Angebotsmängel stützen, was ihn rechtlich stärker absichert.

Wenn die Aufklärung eines Angebotes erlaubt und erforderlich ist, sollte ein Auftraggeber präzise Fragen stellen. Nicht selten reitet sich ein Bestbieter in der schriftlichen Aufklärungsphase tiefer in einen Ausschlussgrund hinein, da er vorschnell und unüberlegt auf eine unklare Frage des Auftraggebers antwortet. Soweit dies möglich ist, sollte der Auftraggeber eine Frage so formulieren, dass der Bieter nur mit ja oder nein antworten kann.

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Das Märchen von der Flexibilität des Verhandlungsverfahrens (OLG München, Beschl. v. 21.04.2017 – Verg 1/17)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungSeit der Vergabereform 2016 darf ein Auftraggeber im Verhandlungsverfahren die aufgestellten Mindestanforderungen nicht mehr verändern. Dadurch hat das Verhandlungsverfahren in dramatischer Weise an Flexibilität verloren. Die festgelegten Mindestanforderungen müssen zudem klar und bestimmt sein, ansonsten droht eine Zurückversetzung in das Stadium vor Erstellung der Vergabeunterlagen.

§ 17 Abs. 10 VgV, § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV

Sachverhalt

Der Auftraggeber (ein Klinik-Verbund) hat Analyse-Automaten für den klinischen Bereich in einem Verhandlungsverfahren ausgeschrieben. Im Leistungsverzeichnis waren diverse Anforderungen als Ausschlusskriterien definiert, u.a. sollten die Analyse-Automaten identische Systemplattformen besitzen. Der zweitplatzierte Bieter wendet sich gegen die Zuschlagserteilung an den Bestplatzierten mit dem Vorwurf, dessen Angebot würde die Ausschlusskriterien nicht erfüllen und dürfe daher nicht gewertet werden. Dieser habe verschiedene Analyse-Automaten angeboten, deren Systemplattformen sich hinsichtlich der Bedienoberfläche unterschieden. Der Auftraggeber verteidigte sich damit, er habe die Ausschlusskriterien durch Antworten auf Bieterfragen so konkretisiert bzw. abgeschwächt, dass keine Abweichung vorliege. Die Ausschlusskriterien seien aber auch ohne diese Konkretisierungen schon nicht so eng zu verstehen gewesen, wie der unterlegene Bieter das vorträgt. Insbesondere sei keine vollständige Identität aller Bedienoberflächen verlangt gewesen.

Die Entscheidung

Sowohl die Vergabekammer als auch das OLG München haben dem Nachprüfungsantrag des unterlegenen Bieters im Ergebnis stattgegeben. Das OLG München bewertet zunächst einmal alle Ausschlusskriterien zwanglos als Mindestanforderungen. Grundsätzlich gelte, dass aus Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters durch Auslegung zu ermitteln sei, was als Mindestanforderung festgelegt sei (Rn. 45). Mindestanforderungen dürfen aber im Verlaufe des Verfahrens nicht modifiziert werden. Das OLG München konnte im vorliegenden Fall jedoch nicht sicher feststellen, ob die Mindestanforderungen durch den Auftraggeber tatsächlich im Verlauf des Verfahrens in vergaberechtswidriger Weise modifiziert worden sind (Rn. 47). Denn das Gericht hat die konkret betroffenen Mindestkriterien schon in ihrer ursprünglichen Form als unklar und unbestimmt bewertet.

Es sei u.a. nicht ausreichend klar, ob die Forderung nach identischen Systemplattformen schon zu Beginn des Vergabeverfahrens so eng zu verstehen gewesen sei, dass auch völlig identische Bedienoberflächen verlangt worden sind. Es könne somit nicht festgestellt werden, ob die Antworten auf die Bieterfragen eine (unzulässige) Modifikation einer Mindestanforderung darstellten oder nicht (Rn. 53, 67). Die Unklarheit bzw. Unbestimmtheit der Ausschlusskriterien geht hier daher zu Lasten des Auftraggebers. Das Vergabeverfahren wurde in das Stadium vor Erstellung der Vergabeunterlagen zurückversetzt (Rn. 68).

Rechtliche Würdigung

Erstmals beschäftigt sich mit dem OLG München ein Vergabesenat mit den Neuregelungen des Verhandlungsverfahrens zu den sog. Mindestanforderungen. In § 17 Abs. 10 Satz 2 VgV und § 17 Abs. 13 S. 3 VgV findet sich seit der Vergabereform 2016 ein striktes Verbot für Änderungen an den Mindestanforderungen. Dieses Verbot ist neu. Vor der Reform 2016 war es nur unzulässig, zugunsten eines Bieters auf Mindestanforderungen zu verzichten. Das Gesetz verbietet nun aber ausdrücklich jedwede Modifikation.

Unter Mindestanforderungen versteht das OLG München alle Anforderungen in der Leistungsbeschreibung, die bei Nichteinhaltung zum Angebotsausschluss führen (Ausschlusskriterien, Mindestkriterien).

Sollte dieses Verständnis des OLG München zutreffen, hätte das Modifikationsverbot in § 17 Abs. 10 Satz 2 VgV und § 17 Abs. 13 S. 3 VgV zur Folge, dass ein Auftraggeber im Verhandlungsverfahren keinerlei Möglichkeit mehr hätte, seine Anforderungen an die Leistung im Verlauf des Verfahrens zu verändern. Denn er wäre von Gesetzes wegen gehindert, seinen möglicherweise veränderten Anforderungen eine verbindliche Wirkung für die verbleibenden Bieter zu geben. Er müsste daher auch am Ende des Verfahrens alle Angebote als zuschlagsfähig akzeptieren, die lediglich diejenigen Mindestanforderungen einhalten, die er zu Verfahrensbeginn festgelegt hat. Damit hätte der Auftraggeber im Verhandlungsverfahren sogar weniger Flexibilität als im offenen Verfahren, in dem bis zum Angebotsfristende Änderungen an den Vergabeunterlagen und damit auch an den Mindestanforderungen zulässig sind.

Noch gravierender ist aber die Konsequenz, dass ein Auftraggeber schon bei einer Konkretisierung von unklaren Mindestanforderungen Gefahr läuft, einen Vergabefehler zu begehen, da ein Bieter ihm vorwerfen könnte, schon durch die Konkretisierung in unzulässiger Weise Mindestanforderungen zu modifizieren. Im schlimmsten Fall kann bereits das zur Zurückversetzung in das Stadium vor Erstellung der Vergabeunterlagen führen.

Die Entscheidung des OLG München steht zwar mit dem Gesetzeswortlaut des neuen § 17 VgV und auch der europäischen Vergaberichtlinie im Einklang. Ob der europäische Gesetzgeber das Verbot der Modifikation von Mindestanforderungen allerdings so strikt verstanden wissen wollte, darf bezweifelt werden.

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Praxistipp

Das Verbot der Modifikation von Mindestanforderungen im Verhandlungsverfahren ist in der Praxis noch nicht angekommen. Unterlegene Bieter haben damit jedoch ein scharfes Schwert in der Hand, um Verhandlungsverfahren anzugreifen, in denen sie nicht zum Zug gekommen sind. Auftraggeber sollten sich bei der Gestaltung der Leistungsbeschreibung sehr genau überlegen, wie sie die Mindestanforderungen festlegen.

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Urkalkulation mit Sperrvermerk: Kein Ausschluss möglich! (OLG Oldenburg, Urt. v. 25.04.2017 – 6 U 170/16)

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BauleistungenRecht

EntscheidungVersieht ein Bieter die vom Auftraggeber geforderte Urkalkulation mit einem Sperrvermerk, kann der Auftraggeber das Angebot aus diesem Grund nicht ausschließen, sondern ist zur Nachforderung verpflichtet.

 

VOB/A 2012 § 13 Abs. 1 Nr. 5; § 16 Abs. 1 Nr. 3; VOB/A 2016 § 16a

Leitsatz

  1. Ein Ausschluss eines Bieters aus dem Vergabeverfahren ist nicht möglich, wenn dieser entgegen den Vorgaben der Vergabebedingungen eine Urkalkulation mit einem Sperrvermerk vorlegt.
  2. In diesem Fall ist der öffentliche Auftraggeber verpflichtet, eine den Vergabebedingungen entsprechende Urkalkulation gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2012 (jetzt § 16a VOB/A 2016) nachzufordern.
  3. Die Berechnung der Höhe des Schadensersatzes erfolgt in Anlehnung an die Berechnung der Vergütung nach § 649 BGB.

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte eine Baumaßnahme öffentlich nach VOB/A ausgeschrieben. In der Leistungsbeschreibung hieß es in Ziffer 1.5:

Der Bieter hat, in einem separat beiliegenden und verschlossenen Umschlag, eine detaillierte Angebotskalkulation dem Angebot beizufügen. … Der Auftraggeber ist berechtigt den Umschlag zu öffnen und die Kalkulation bei Bedarf einzusehen. Diskretion wird seitens des Auftraggebers gewährleistet.

Bieter A gab darauf ein Angebot ab. Diesem war in einem verschlossenen Umschlag die Urkalkulation beigefügt, wobei auf dem Umschlag ein Vermerk angebracht war, wonach ein Öffnen des Umschlags nur im Beisein des Bieters und potentiellen Auftragnehmers gestattet war. Das Angebot des A war von drei eingereichten Angeboten das preislich günstigste. Der AG teilte jedoch dem A mit, dass sein Angebot von der Wertung ausgeschlossen wird, weil es nicht alle in den Vergabeunterlagen gestellten Bedingungen erfüllt. A klagte darauf auf Schadensersatz in Höhe von ca. 30.000 EUR. Nach Abweisung seiner Klage durch das LG ging A in Berufung zum OLG.

Die Entscheidung

Das OLG gibt Bieter A Recht und bejaht einen Schadensersatzanspruch in Bezug auf die nicht verdienten Allgemeinen Geschäftskosten (9.400 EUR) sowie den Gewinnanteil (11.700 EUR) aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB. Der AG hat hier das Angebot des A zu Unrecht aus dem Verfahren ausgeschlossen. Wäre das Angebot nicht ausgeschlossen worden, hätte A den Zuschlag erhalten müssen, da das von ihm abgegebene Angebot das preislich günstigste gewesen ist.

Rechtliche Würdigung

Im vorliegenden Fall hat A durch die Anbringung des Sperrvermerks auf dem Umschlag, in dem sich die geforderte Urkalkulation befand, gegen Ziffer 1.5 der Leistungsbeschreibung und damit gegen die Vergabebedingungen verstoßen; dieser Verstoß hat aber nicht gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A zum Ausschluss des Angebots der Klägerin führen können, weil es sich bei der Anbringung des Sperrvermerks nicht um „Änderungen an den Vergabeunterlagen“ i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A gehandelt hat.

Eine „Änderung an den Vergabeunterlagen“ verlangt nach Wortsinn und allgemeinem Verständnis eine Einwirkung des Bieters auf die vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten Unterlagen. Der Begriff beinhaltet damit unmittelbare Eingriffe mit verfälschendem Inhalt. Es ist allerdings anerkannt, dass von dem Begriff auch andere Eingriffe erfasst werden, mit denen keine unmittelbare Einwirkung auf die Unterlagen verbunden ist wie z.B. das Beifügen eigener AGB bzw. anderer Änderungen im Begleitschreiben oder das Hinzufügen einer neuen Position. Entgegen dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A begründen nicht nur physische Änderungen an den vom Auftraggeber erstellten Dokumenten, sondern auch inhaltliche Abweichungen von den als verbindlich vorgegebenen technischen, kaufmännischen und rechtlichen Bedingungen des Auftrags einen Ausschluss wegen unzulässiger Änderungen an den Vergabeunterlagen. Gleichwohl ist der vorliegende Fall anders zu beurteilen. Denn das Anbringen des Sperrvermerks stellt keine „Änderung an den Vergabeunterlagen“ dar, sondern ist als formaler Mangel des eingereichten Angebots einzustufen, der der Nachforderung nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A unterliegt.

Der AG war daher gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 VOB/A verpflichtet, von A zu verlangen, die Urkalkulation ohne Sperrvermerk einzureichen bzw. den Sperrvermerk aufzuheben. Denn mit dem Aspekt der Gleichbehandlung ist es nicht vereinbar, wenn ein Bieter, der gar keine Urkalkulation vorgelegt hat, vom AG aufgefordert wird, diese nachzureichen, weil die Unterlage fehlt, während die Einreichung der Urkalkulation mit einem Sperrvermerk zu einem zwingenden Ausschluss des Angebotes führen soll. Die Höhe des Schadensersatzanspruchs des A, der die nicht verdienten Allgemeinen Geschäftskosten (AGK) sowie den Gewinnanteil umfasst, wird in Anlehnung an § 649 BGB gemäß § 287 ZPO geschätzt.

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Praxistipp

Auch wenn der o.g. Fall noch nach altem Vergaberecht entschieden wurde, gelten die dort genannten Grundsätze weiterhin, nicht zuletzt, da der bisherige § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2012 identisch ist mit § 16 a VOB/A 2016. Wie die Entscheidung zeigt, sollte der Auftraggeber vor Ausschluss eines Angebotes sorgfältig prüfen, ob er nicht zur Nachforderung von entsprechenden Unterlagen verpflichtet ist; Auftragnehmer sollten dagegen äußerst vorsichtig sein, geforderte Unterlagen überhaupt mit Sperrvermerken zu versehen.

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Eignungsnachweis: „Mit dem Angebot“ heißt „mit dem Angebot“ (OLG München, Beschl. v. 21.04.2017 – Verg 2/17)

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BauleistungenRecht

EntscheidungDer Beschluss des OLG München ist in dreierlei Hinsicht interessant (und überzeugend): Erstens stellt das Gericht (jedenfalls im Leitsatz) klar, dass eine einmal in Gang gesetzte Rechtsmittelfrist nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB (15 Kalendertage nach Mitteilung über die Nichtabhilfe einer Rüge) nicht durch nachfolgende „Verhandlungen“ gehemmt werden kann. Zweitens muss ein „mit dem Angebot“ geforderter Eignungsnachweis (hier: Zertifizierung) zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe bestehen, es kommt nicht auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Vergabenachprüfungsverfahren an. Drittens kann eine Erklärung über Nachunternehmer oder eine Eignungsleihe nicht nachgefordert werden, weil dadurch das Angebot unzulässiger Weise geändert würde.

Leitsätze

  1. Eine aufgrund einer Nichtabhilfemitteilung nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB angelaufene Frist wird durch nachfolgende Korrespondenz zwischen der Vergabestelle und dem Bieter regelmäßig nicht berührt.
  2. Verlangt die Vergabestelle, dass ein Bieter bei Angebotsabgabe über eine abfallrechtliche Zertifizierung verfügt, muss eine erst nach Angebotsabgabe erfolgte Zertifizierung unberücksichtigt bleiben.

Eine Zertifizierung nach Angebotsabgabe muss unberücksichtigt bleiben – Nachforderung von Erklärung über Nachunternehmer oder eine Eignungsleihe unzulässig – keine Hemmung der Rechtsmittelfristen nach § 160 Abs. 3 GWB durch Verhandlung.

§ 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB; § 16aEU GWB; § 6aEU VOB/A

Sachverhalt

1. Der Antragsgegner schrieb im Rahmen des Neubaus eines Strafjustizzentrums die Baumaßnahme „Baugrube Verbau“ aus. In der Bekanntmachung wurde – zur Entsorgung des Bodenmaterials – eine Bestätigung über die Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb (nachfolgend: nur Zertifikat) gefordert, die nach den Ausschreibungsunterlagen mit dem Angebot vorzulegen war. Nach Auslegung des Gerichts konnte den Ausschreibungsunterlagen eindeutig entnommen werden, dass für sämtliche in der Leistungsbeschreibung genannten Entsorgungstätigkeiten ein Zertifikat vorzulegen war.

Nebenangebote waren nur für den Teil „Verbau“ zugelassen. Zuschlagskriterium war allein der Preis.

2. Die Beigeladene gab ein Hauptangebot und ein Nebenangebot mit Abweichungen im Teil „Verbau“ ab und legte mit ihrem Angebot Zertifikate von Unternehmen vor, die sie im Leistungsverzeichnis als Entsorgungsstellen für die Entsorgung von belastetem Bodenaushub genannt, nicht aber für sonstige Entsorgungsleistungen. Sie benannte in den – nach den Bewerbungsbedingungen bei Inanspruchnahme auszufüllenden – Formblättern keine Nachunternehmer oder keine Unternehmen zur Eignungsleihe für den Bereich Entsorgung.

Die Antragstellerin legte sowohl ein Haupt- als auch ein Nebenangebot vor.

3. Das Nebenangebot der Antragstellerin belegte in der Wertung rechnerisch Platz 1, gefolgt von dem Nebenangebot der Beigeladenen und dem Hauptangebot der Antragstellerin auf Platz 3.

4. Mit Schreiben vom 14.11.2016 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass ihr Nebenangebot ausgeschlossen werde, da es auch Bereiche außerhalb des Teils „Verbau“ abweichend anbiete. Nach Rüge durch die Antragstellerin, wurde die Antragsgegnerin am 16.11.2016 informiert, dass der Rüge nicht abgeholfen werde. Es folgten mehrere weitere Schreiben, u. a. Informationsschreiben nach § 134 GWB mit dem Inhalt, dass das Nebenangebot der Beigeladenen den Zuschlag erhalten sollte.

Mit Schreiben vom 21.11.2016 rügt die Antragstellerin unter anderem, dass die Beigeladene nicht über eine Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb verfüge.

Die Antragsgegnerin wies diese erneute Rüge mit Schreiben vom 24.11.2016 zurück.

Mit Schriftsatz vom 02.12.2016 leitete die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren ein.

Nach Anforderung durch die Antragsgegnerin übersandte die Beigeladene mit Email vom 22.12.2016 Formblätter, nach denen eines der Unternehmen, für die sie ein Zertifikat vorgelegt habe, sämtliche Entsorgungsleistungen übernehme und legte eine entsprechende Verpflichtungserklärung des Unternehmens vor.

Am 30.01.2017 legte die Beigeladene ein Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb, ausgestellt am 27.01.2017, vor.

Die Entscheidung

Die gegen die ablehnende Entscheidung der Vergabekammer eingelegte sofortige Beschwerde hatte Erfolg.

1. Zwar war der Nachprüfungsantrag verfristet, soweit er sich auf die Rüge des Ausschlusses des Nebenangebots der Antragstellerin bezog. Die Frist von 15 Kalendertagen nach (erstmaliger) Zurückweisung der Rüge war zum Zeitpunkt der Einleitung des Nachprüfungsverfahrens bereits abgelaufen. Von der Zurückweisung der Rüge habe die Antragsgegnerin auch nachfolgend nicht wieder Abstand genommen. Eine Kommunikation nach Zurückweisung der Rüge hemme die Frist grundsätzlich nicht, so das Gericht im Leitsatz der Entscheidung.

2. Das (Neben-)Angebot der Beigeladenen hätte aber nicht gewertet werden dürfen: Es fehle an dem als Eignungsnachweis geforderten Zertifikat.

Mit dem Angebot habe die Beigeladene lediglich ein Zertifikat für zwei Unternehmen vorgelegt, die sie als Entsorgungsstellen benannt hat. Dass diese Unternehmen auch für andere Entsorgungsleistungen, für die ebenfalls ein Zertifikat gefordert war, habe dem Angebot nicht entnommen werden können.

Die Antragsgegnerin durfte entsprechende Erklärungen zur Nachunternehmerbenennung oder zur Eignungsleihe auch nicht nach § 16aEU VOB/A nachfordern oder das Angebot gemäß § 15EU VOB/A aufklären, da hierdurch das Angebot verändert werde, was dem Nachverhandlungsverbot aus § 15EU Abs. 3 VOB/A widerspreche.

Schließlich ändere auch das nachgereichte – nach Angebotsabgabe erstellte – Zertifikat nichts, da die Antragsgegnerin das Zertifikat bereits zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe gefordert habe, woran sie gebunden sei. Ein Abstellen auf den Tag der mündlichen Verhandlung würde zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Anderes könne nur für den Bereich der Zuverlässigkeit bzw. des Vorliegens von Ausschlussgründen und einer anschließenden Selbstreinigung gelten, nicht aber im Bereich der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit, wenn ein öffentlicher Auftraggeber vorgebe, dass die Eignung zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe vorliegen müsse. In diesem Bereich sehe das Gesetz – außer der Nachforderung von Unterlagen – kein Nachholen der Eignungsvoraussetzungen vor.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung überzeugt.

Eine Hemmung von Rechtsmittelfristen kommt nicht in Betracht, da hierdurch Streit über das Fristende vorprogrammiert wäre und das Gesetz eine Hemmung nicht vorsieht. Nur wenn die Vergabestelle der Rüge im Nachhinein doch noch abhilft, muss zur Fristwahrung kein Nachprüfungsverfahren eingeleitet werden, da sich die Rüge dann erledigt hat.

Richtig ist auch, dass die Nachunternehmererklärung und Erklärungen zur Eignungsleihe, jedenfalls im vorliegenden Fall, nicht nachgeholt werden können. Bei der Nachunternehmererklärung ist dies zweifelsfrei, da hierdurch das Angebot im Hinblick darauf abgeändert wird, wer die Leistung ausführt. Bei der Eignungsleihe ist dies nicht so eindeutig: Es ist nicht zwingend, dass das verleihende Unternehmen auch die Leistungen ausführt, es muss nur die Kapazitäten zur Verfügung stellen können. Sonst wäre das verleihende Unternehmen Nachunternehmer. Bei einem Entsorgungszertifikat ist es allerdings zwingend, dass gerade das ausführende Unternehmen das Zertifikat besitzt, da hierdurch die ordnungsgemäße Entsorgung durch das leistende Unternehmen sichergestellt werden soll. Rechtsgrundlage hierfür dürfte im Ergebnis § 6dEU S. 3 sein. Jedenfalls dann kann eine Erklärung zur Eignungsleihe nicht nachgefordert werden.

Das Gericht geht zutreffend davon aus, dass das Zertifikat bereits zur Angebotsabgabe vorgelegt werden musste. Das Gericht musste dabei nicht problematisieren, ob diese Anforderung in der Ausschreibung vorliegend gerechtfertigt war, da die Antragstellerin diese Anforderung nicht gerügt hatte. Materiell spricht allerdings viel dafür, dass die Vergabestelle jedenfalls hätte zulassen müssen, dass die Bieter statt des Zertifikats die für das Erlangen des Zertifikats geltenden Anforderungen nachweist: Auch damit besteht ausreichend Gewähr dafür, dass das Unternehmen zum Zeitpunkt der Ausführung der Leistung über das entsprechende Zertifikat verfügt. Dass ein Bieter bereits vor Angebotsabgabe eine Zertifizierung durchführen lässt, erscheint hingegen aufgrund der kurzen Frist und der Kosten unzumutbar und nicht erforderlich.

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Praxistipp

1. Keinesfalls sollten sich Bieter darauf verlassen, dass sie Nachweise und Erklärungen nachliefern können: Es besteht jedenfalls das Risiko, dass der Nachweis oder die Erklärung Auswirkungen auf das Angebot haben und daher ein Nachfordern unzulässig ist.

2. Bei Nichtabhilfe von Rügen sollte stets rechtzeitig ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet werden, vorsorglich selbst dann, wenn die Vergabestelle eine nochmalige Überprüfung zusagt. Vergabestellen sollten daher die Nichtabhilfe von Rügen gründlich prüfen.

3. Um mehrere Nachprüfungsverfahren zu verschiedenen Zeitpunkten zu vermeiden, kann eine Vergabestelle sämtliche Rügen zum gleichen Zeitpunkt bescheiden. Ob dies angezeigt ist, ist eine taktische Frage.

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Sorgfaltspflichten der Bieter – Fehleridentität eines Vergaberechtsverstoßes und Rügepräklusion (VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.04.2017 – 1 VK 11/17)

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BauleistungenRecht

EntscheidungKann ein Bieter im Rahmen der Angebotserstellung erkennen, dass ein Leitfabrikat den an anderer Stelle geforderten technischen Mindestanforderungen nicht entspricht, muss er dies vor Ablauf der Angebotsfrist rügen. Versäumt ein Bieter die Rüge eines solchen erkennbaren Vergaberechtsverstoßes, kann er sich im Nachprüfungsverfahren nicht darauf berufen, dass das von einem Konkurrenten angebotene Leitfabrikat nicht wegen Abweichens von den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses ausgeschlossen wurde. Denn die Fehler sind identisch.

GWB § 160 Abs. 3, Satz 1 Nr. 3

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb die Belüftungsinstallation für eine Kläranlage europaweit aus. Für die Position Turboverdichter war ein Leitfabrikat vorgegeben. Zusätzlich enthielt das Leistungsverzeichnis technische Mindestanforderungen für den anzubietenden Turboverdichter. Die Antragstellerin gab zwei Hauptangebote ab. Eines davon enthielt, ebenso wie das Angebot der Beigeladenen auch, für die Position Turboverdichter das bezeichnete Leitfabrikat. Nach der Submission teilte die Antragstellerin dem Auftraggeber mit, dass das Leitfabrikat nicht den geforderten technischen Mindestanforderungen entspreche. Nach Gesprächen hierzu zwischen Auftraggeber, Antragstellerin, Beigeladener und dem Hersteller des Leitfabrikats teilte der Auftraggeber dennoch mit, dass beabsichtigt sei, dem Angebot der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen. Einen Tag nach der Bieterinformation rügte die Antragstellerin, dass das Angebot der Beigeladenen zwingend auszuschließen sei, da es von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses abweiche. Denn bei der Position Turboverdichter seien mehrere technische Mindestanforderungen nicht erfüllt.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Die Vergabekammer weist den Nachprüfungsantrag bereits als unzulässig zurück, weil die Antragstellerin ihrer Rügeverpflichtung aus § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB nicht genügte. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des OLG Celle (Beschl. v. 31.07.2008 – 13 Verg 3/08) nimmt die Kammer einen Fall der Fehleridentität an. Der gerügte Fehler sei identisch mit dem von der Antragstellerin bereits aus den Vergabeunterlagen erkennbaren Fehler. Diesen Fehler hätte die Antragstellerin bei Anwendung der üblichen Sorgfalt bei der Erstellung eines ihrer Hauptangebote, worin ebenfalls das Leitfabrikat angeboten wurde, erkennen können. Auf die Erkennbarkeit deute nach Einschätzung der Vergabekammer außerdem hin, dass die Antragstellerin bereits kurz nach der Submission auf diesen Fehler hingewiesen habe und diesen bereits einen Tag nach der Bieterinformation rügte.

Der Nachprüfungsantrag sei jedoch entgegen der Rechtsauffassung des Auftraggebers nicht wegen Treuwidrigkeit und daher fehlendem Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, weil bei einem Vorliegen des geltend gemachten Verstoßes das zweite Hauptangebot der Antragstellerin auszuschließen gewesen wäre. Treuwidrigkeit sei im Rahmen der Zulässigkeit von Vergabenachprüfungsverfahren nicht zu prüfen.

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Praxistipp

Die Entscheidung zeigt einmal mehr, dass die Nichtbeanstandung von bereits aus den Vergabeunterlagen erkennbaren Fehlern oder Widersprüchen zur Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags führt. Für Bieter ist es daher mit erheblichen Risiken verbunden, von einer förmlichen Rüge abzusehen, solange sich ein erkennbarer Vergaberechtsverstoß im Vergabeverfahren (noch) nicht nachteilig auswirkt. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der ursprüngliche Fehler und der vor der Vergabekammer vorgetragene Verfahrensverstoß rechtlich gleich zu bewerten sind. Maßgeblich ist, dass der Verstoß in tatsächlicher Hinsicht auf demselben Fehler des Auftraggebers beruht.

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Planungswettbewerbe nach RPW 2013: Erster Preisträger ist regelmäßig zu beauftragen (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 11.04.2017 – 11 Verg 4/17)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

Die Pflicht zur regelmäßigen Beauftragung des ersten Preisträgers schränkt die Entscheidungsfreiheit des Auslobers/Auftraggebers erheblich ein, zumal verlangte Nachbesserungen nicht überbewertet werden dürfen. In der Praxis dürften diese Einschränkungen der Wahlfreiheit des Auftraggebers und seiner Gremien dazu führen, dass Planungswettbewerbe mit Auftragsversprechen nicht attraktiver werden.

Bei Planungswettbewerben mit Auftragsversprechen muss im Anschluss an den Planungswettbewerb ein Vergabeverfahren zum Abschluss des Auftrags durchgeführt werden. Der Auftraggeber kann (und muss bei entsprechender Vorfestlegung) nur mit dem ersten oder mit allen Preisträgern ein Verhandlungsverfahren durchführen. Dabei muss er, wenn er die Regelungen der RPW 2013 zugrunde legt, regelmäßig den Gewinner beauftragen. Daraus leitet das OLG Frankfurt zu Recht ab, dass dem ersten Preisträger bei der Bewertung ein erheblicher Punktevorsprung eingeräumt werden muss.

Bei der Bewertung von Nachbesserungen, die das Preisgericht (oder der Auftraggeber) vorschlägt bzw. verlangt, sind einerseits das Gleichheits- und andererseits das Transparenzgebot zu beachten. Das kann zu schwer lösbaren Problemen führen, da ein abstraktes Wertungskriterium zwar dem Gleichheitsgebot, aber den Anforderungen der Rechtsprechung an die Transparenz nicht gerecht wird. Eine Konkretisierung des Kriteriums läuft aber darauf hinaus, dass für jeden Bieter unterschiedliche Kriterien aufgestellt werden, da für jeden Entwurf regelmäßig unterschiedliche Nachbesserungen von unterschiedlichem Gewicht gefordert werden. Darin könnte ausnahmsweise kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot gesehen werden, wenn sich die unterschiedliche Behandlung aus den Entwürfen ergibt und sachlich gerechtfertigt ist. Auch bei der Bewertung von Nachbesserungen ist aber das Urteil des Preisgerichts angemessen zu berücksichtigen.

§ 8 Abs. 2 RPW 2013; § 17 VOF; § 14 Abs. 4 VgV; § 80 Abs. 1 VgV

Leitsätze

  1. Die Verpflichtung der Vergabestelle, nach § 8 Abs. 2 RPW 2013 in der Regel den ersten Preisträger zu beauftragen, muss sich in dem an den Wettbewerb anschließenden Verhandlungsverfahren niederschlagen.
  2. Wird in diesem Fall ein Verhandlungsverfahren mit allen Preisträgern durchgeführt, ergibt sich aus der Verpflichtung der Vergabestelle, regelmäßig den ersten Preisträger zu beauftragen, ihre Verpflichtung, diesen Umstand bei der Gewichtung der Auswahlkriterien in geeigneter Weise zu berücksichtigen.
  3. Wird dieser Umstand bei Gewichtung der Auswahlkriterien nicht berücksichtigt, verletzt die Vergabestelle die Grenzen des ihr bei Aufstellung der Wertungskriterien zustehenden weiten Ermessensspielraums.

Sachverhalt

Der Antragsgegner schrieb die Objektplanung für Gebäude und Freianlagen eines Neubaus im Wege des Verhandlungsverfahrens mit vorgeschaltetem nichtoffenem Wettbewerb nach der RPW 2013 öffentlich aus. In der Bekanntmachung hieß es in Anlehnung an § 8 Abs. 2 RPW 2013:

„Bei der Umsetzung des Projekts ist einer der Preisträger, in der Regel der Gewinner, unter Berücksichtigung der Empfehlung des Preisgerichts mit den weiteren Planungsleistungen (…) zu beauftragen, sofern kein wichtiger Grund der Beauftragung entgegensteht. Hierzu wird im Anschluss an die Preisgerichtssitzung gemäß § 9 Abs. 1 RPW 2013 ein Verhandlungsverfahren mit den Preisträgern durchgeführt.“

Die Antragstellerin wurde vom Preisgericht zur Siegerin bestimmt. Der zweite Preis wurde nicht vergeben. Der dritte Preis wurde aufgeteilt und unter anderem an die Beigeladene vergeben.

Im anschließenden Verhandlungsverfahren wurde den Preisträgern die Bewertungsmatrix mit insgesamt 100 erreichbaren Punkten mitgeteilt, mit u. a. folgendem Inhalt:

– Erster Preisträger: 30 Punkte; Zweiter Preisträger: 24 Punkte; Dritter Preisträger: 18 Punkte.

– Max. 22, 5 Punkte für die Darstellung erster Ideen zur baulichen Umsetzung der im Preisgerichtsurteil benannten Anmerkungen. „Insbesondere ist die Fassadengestaltung hinsichtlich möglicher Alternativen unter Berücksichtigung der Herstellungskosten, der Unterhaltskosten sowie der Nachhaltigkeit zu betrachten. Ergänzend sind das Technikkonzept (Energieversorgung) bei gemeinsamer Nutzung und der zweite bauliche Rettungsweg zu erläutern.“

Für einen Preisträger sahen die Anmerkungen des Preisgerichts keine Hinweise zur Fassadengestaltung vor.

Nach der vom Antragsgegner vorgenommenen Wertung sollte die Beigeladene 85,75 Punkte und die Antragstellerin 76,90 Punkte erhalten.

Die Vergabekammer entschied auf Antrag der Beigeladenen, dass das Verfahren in den Stand nach dem Planungswettbewerb zurückzuversetzen sei. Von dem Grundsatz des § 8 Abs. 2 RPW, den ersten Preisträger zu beauftragen, dürfte nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden. Nur wenn der erste Preisträger keine Gewähr für eine einwandfreie Auftragsausführung biete, könne von seiner Beauftragung abgesehen werden.

Die Entscheidung

Die sofortige Beschwerde von Antragsgegner und Beigeladener blieben erfolglos.

1. Zwar sei mit allen Preisträgern und nicht nur dem ersten Preisträger zu verhandeln, so das OLG Frankfurt. Bei der Gestaltung der Zuschlagskriterien müsse der Antragsgegner aber die Verpflichtung aus § 8 Abs. 2 RPW 2013 berücksichtigen, einen „der Preisträger, in der Regel de[n] Gewinner, unter Berücksichtigung der Empfehlung des Preisgerichts mit den weiteren Planungsleistungen zu beauftragen“. Als Änderung der RPW 2013 gegenüber der RPW 2008 werde hervorgehoben, dass der erste Preisträger bevorzugt zu beauftragen sei.

Dem Antragsgegner stehe bei der Auswahl der Zuschlagskriterien zwar ein weites Ermessen zu. Die Grenzen des Ermessens seien überschritten, da sich der Antragsgegner nicht einmal bewusst gewesen sei, dass er den ersten Preisträger bevorzugt zu berücksichtigen hätte. Gleichzeitig weist der Senat aber darauf hin, dass allgemein ein Abstand zwischen dem ersten und dem zweiten Preisträger von weniger als 10 % der Punkte unzureichend sei (im entschiedenen Fall nur 6 %). Jedenfalls eine Berücksichtigung in Höhe von 30 % wäre hingegen ausreichend.

2. Zudem dürfe durch das Kriterium „Umsetzung der Anmerkungen des Preisgerichts“ die regelmäßige Beauftragung des ersten Preisträgers nicht konterkariert werden. Würde die Antragstellerin in diesem Kriterium Null Punkte erhalten, hätte sie kaum noch eine Chance, den Auftrag zu erhalten. Damit sei nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Anmerkungen das Preisgericht nicht davon abgehalten hätten, der Antragstellerin den ersten Preis zu verleihen und deren Beauftragung zu empfehlen.

3. Im Übrigen verletze das Kriterium „Umsetzung der Anmerkung des Preisgerichts“ das Gleichheitsgebot, da das Preisgerichtsprotokoll für eine Preisträgerin für die Fassadengestaltung, die als Beispiel in dem Kriterium genannt wurde, gar keine Anmerkungen enthielt.

4. Schließlich weist das Gericht auf eine mangelnde Dokumentation der Bewertung hin. Allein die Angabe „sehr gut“ für die Vergabe der vollen Punktzahl für ein Kriterium reiche nicht aus.

Rechtliche Würdigung

1. Vorrang des ersten Preisträgers

Aus rechtlicher Sicht überzeugt die Entscheidung: Der öffentliche Auftraggeber/Auslober macht die RPW 2013 zur Grundlage von Wettbewerb und Vergabeverfahren und muss sich dann auch an Ihre Regelungen halten. Da § 8 Abs. 2 RPW 2013 die Position des ersten Preisträgers ausdrücklich stärkt, muss sich dies dann auch im Vergabeverfahren widerspiegeln.

Für die Praxis folgt daraus allerdings, dass im Ergebnis nicht mehr der Auftraggeber, sondern das von ihm eingesetzte Preisgericht weitgehend darüber entscheidet, welches Vorhaben umgesetzt wird. Dies schränkt das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers und seiner Gremien (vom Gemeinderat über die Landes- und Bundesverwaltung bis hin zum Bundestag) erheblich ein, zumal die Mitglieder des Preisgerichts mehrheitlich über dieselbe oder eine gleichwertige Qualifikation wie die Teilnehmer verfügen und mehrheitlich unabhängig vom Auslober sein müssen, § 79 Abs. 3 VgV, also mehrheitlich gerade nicht mit Mitgliedern der Verwaltung oder der Gremien besetzt werden können. Hat der öffentliche Auftraggeber einmal beschlossen, einen Planungswettbewerb mit Auftragsversprechen nach der RPW 2013 durchzuführen, hat er daher kaum noch Einfluss darauf, welches Objekt tatsächlich errichtet wird, es sei denn, er hebt das Vergabeverfahren auf. Bislang behielt der Auftraggeber in der Praxis zumeist ein Wahlrecht zwischen allen Preisträgern, nunmehr muss er regelmäßig den ersten Preisträger beauftragen. Letztlich werden bei der Entscheidung, welches Vorhaben umgesetzt wird, die demokratisch legitimierten Gremien und die ebenso legitimierte Verwaltung durch einen Expertenrat ersetzt. Dieses dürfte in der Praxis nicht dazu führen, dass mehr Planungswettbewerbe mit Auftragsversprechen durchgeführt werden.

2. Bewertung der Nachbesserungen

Mit dem Hinweis, dass bei der Bewertung der Umsetzung der Anmerkungen des Preisgerichts das Gleichbehandlungsgebot zu beachten ist, hat das Gericht ein Problem benannt. Eine Lösung gestaltet sich allerdings schwierig:

Da die Anmerkungen des Preisgerichts individuell auf jeden Preisträger zugeschnitten sind und daher sehr unterschiedliche Bereiche betreffen können, kann dieses Kriterium, zur Wahrung des Gleichbehandlungsgebots, nur abstrakt bleiben. Ein abstraktes Kriterium, aus dem nicht hervorgeht, welche Nachbesserungen aus Sicht des Auftraggebers besonders wichtig sind, verletzt aber wohl den Transparenzgrundsatz. Zudem müsste der Auftraggeber in diesem Fall Äpfel mit Birnen vergleichen, wenn sich die Anmerkung zu einem Preisträger beispielsweise auf eine Verbesserung der Fassade, die Anmerkung zu einem anderen Preisträger auf eine Verbesserung der Raumaufteilung bezieht. Ist die Verbesserung der Fassade dem Auftraggeber wichtiger als die Verbesserung der Raumaufteilung, müsste er entsprechenden mehr Punkte für die Verbesserung der Fassade verteilen. Der andere Preisträger (mit der verbesserten Raumaufteilung) hat also von vornherein nur eine Chance auf eine geringere Punktzahl. Um diese Situation zu vermeiden, könnte der Auftraggeber nur noch solche Aspekte bewerten, für die das Preisgericht bei allen Preisträgern Verbesserungsvorschläge gemacht hat. Damit würde das auch nach dem OLG Frankfurt weite Ermessen bei der Aufstellung von Wertungskriterien stark eingeschränkt.

Es ist aber zweifelhaft, ob das Gleichbehandlungsgebot bereits dadurch verletzt ist, dass ein Preisträger im Hinblick auf einen Aspekt keine Chance hat, Punkt zu erlangen. Diese Ungleichbehandlung ist sachlich gerechtfertigt, wenn die Wettbewerbsleistung dieses Preisträgers insofern nicht verbesserungsfähig ist. Die Ungleichbehandlung hat also ihren Ursprung in der Wettbewerbsleistung des Preisträgers. Unterschiedliche Wettbewerbsleistungen dürfen aber zu unterschiedlichen Wertungen führen. Dagegen kann nicht eingewandt werden, dass hierdurch eine Wettbewerbsleistung schlechter gestellt ist, die nur deshalb nicht verbesserungsfähig ist, weil sie die Anforderungen bereits vollständig erfüllt. Denn die Wettbewerbsleistung ohne Nachbesserung ist bereits bei der Vergabe des Rangs der Preisträger durch das Preisgericht in die Bewertung eingeflossen.

Um den unterschiedlichen Anmerkungen des Preisgerichts zu den jeweiligen Preisträgern Rechnung zu tragen, müssten daher insoweit für jeden Preisträger individuelle Kriterien erarbeitet werden.

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Praxistipp

1. Bei Planungswettbewerben sollte der Auftraggeber den Teilnehmern und dem Preisgericht vorab möglichst präzise Vorgaben zu Mindest- und Bewertungskriterien machen. So verringert er die Gefahr, dass er am Ende vor der Wahl steht, ein suboptimales Angebot anzunehmen oder das Vergabeverfahren (und den Planungswettbewerb) zu wiederholen. Seine spätere Einflussnahme auf die Auswahl des Auftragnehmers (und seines Entwurfs) ist sehr beschränkt.

2. Wollen der Auftraggeber bzw. seine Gremien selbst die Entscheidungsgewalt behalten und die Beurteilung und Auswahl nicht auf ein Preisgericht übertragen, so kann er unmittelbar ein Vergabeverfahren durchführen. In das Verfahren können Wettbewerbselemente aufgenommen werden. In diesem Fall ist die Freiheit der Verfahrensgestaltung größer, es ist aber zu empfehlen, das Verfahren vorab und für die Bieter transparent zu strukturieren.

The post Planungswettbewerbe nach RPW 2013: Erster Preisträger ist regelmäßig zu beauftragen (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 11.04.2017 – 11 Verg 4/17) appeared first on Vergabeblog.

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