Quantcast
Channel: Recht Archives - Vergabeblog
Viewing all 765 articles
Browse latest View live

Kommunale Wohnungsbaugesellschaften in Privatrechtsform als öffentliche Auftraggeber (OLG Brandenburg, Beschl. v. 06.12.2016 – 6 Verg. 4/16)

0
0
BauleistungenRecht

Kommunale Wohnungsbaugesellschaften sind öffentliche Auftraggeber, auch wenn nur ein geringer Teil ihrer Tätigkeit im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art umfasst. Kommunale Wohnungsbaugesellschaften stehen im Spannungsverhältnis zwischen öffentlicher Daseinsvorsorge und wettbewerbsorientierter marktwirtschaftlicher Tätigkeit in einem herausfordernden Marktumfeld. Wann für sie der persönliche Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts eröffnet ist, hat nunmehr das OLG Brandenburg entschieden.

§ 99 Nr. 2 GWB a.F. / § 99 Nr. 2 GWB n.F.

Leitsätze

  1. Die Beurteilung, ob eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB a.F. (entspricht inhaltlich § 99 Nr. 2 GWB n.F.) ist, richtet sich nach funktionaler Betrachtung.
  2. Der soziale Wohnungsbau und die soziale Wohnraumförderung stellen als Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe dar.
  3. In diesem Bereich tätige kommunale Wohnungsbaugesellschaften üben die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben regelmäßig auch dann in nichtgewerblicher Art aus, wenn sie daneben in Gewinnerzielungsabsicht unter Marktbedingungen Wohnraum anbieten. Es entspricht dem typischen Bild heutiger kommunaler Wohnungsbaugesellschaften, dass sie die Aufgabe der sozialen Wohnraumförderung mit der Tätigkeit eines nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten agierenden Wohnungsunternehmens verbinden. Das ändert nichts daran, dass die im Allgemeininteresse liegende besondere Aufgabe der sozialen Wohnraumförderung eine solche nichtgewerblicher Art ist.

Sachverhalt

Die Auftraggeberin ist eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft in der Rechtsform einer GmbH. Alleinige Gesellschafterin ist die Stadt O. In dem Errichtungsvertrag aus dem Jahr 1990 wird der Gesellschaftszweck wie folgt bestimmt:

(1) Zweck der Gesellschaft ist vorrangig die sozialverantwortbare Wohnungsversorgung der breiten Schichten der Bevölkerung (gemeinnütziger Zweck).

In den Jahren 2002 und 2014 wurde der Gesellschaftsvertrag erneut geändert, wobei der Gesellschaftszweck seit dem Jahr 2002 unverändert lautet:

(1) Zweck der Gesellschaft ist sozialverträgliche Bereitstellung von Wohnraum zu wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen.

In den Jahren 2015 und 2016 vergab die Auftraggeberin Bauleistungen für die Errichtung von fünf Stadtvillen. Das Vorhaben umfasst fünf Wohnhäuser mit 47 Wohnungen und hat einen geschätzten Gesamtauftragswert von ca. 10 Mio. Euro. Sämtliche Bauvergaben erfolgten im nichtförmlichen Verfahren ohne Bekanntmachung im Amtsblatt der EU.

Die Antragstellerin, die von der Kanzlei der Verfasser in dem Verfahren vertreten wurde, wurde ebenso wie die Beigeladenen zu 1) und 2) durch das mit der Planung beauftragte Ingenieurbüro A. zur Abgabe eines Angebotes für das Gewerk Lüftung aufgefordert. Hierzu wurde ihr ein Leistungsverzeichnis übersandt, in dem unter der Kategorie „Vergabeverfahren“ als Ausschreibungsart „öffentliche Ausschreibung“ angegeben war.

Nach Eingang der Angebote wurden die sich beteiligenden Unternehmen aufgefordert, ihre Angebote im Hinblick auf bevorstehende Vergabeverhandlungen preislich zu überarbeiten. Im Ergebnis der Bietergespräche wurden die Angebote der Beigeladenen bezuschlagt. Hierauf forderte die Antragstellerin die Auftraggeberin zur Übersendung einer öffentlichen Niederschrift über die Vergabeentscheidung auf. Die Auftraggeberin wies dies ab, denn die Leistungen seien vorliegend im Rahmen privatrechtlicher Ausschreibungspraxis begrenzt ausgeschrieben worden.

Die Antragstellerin stellte Nachprüfungsantrag und trug vor, die Leistungen hätten in einem förmlichen Vergabeverfahren beauftragt werden müssen, denn die Auftraggeberin sei öffentliche Auftraggeberin im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB a. F. Diese wendete ein, sie sei nicht zu dem besonderen Zweck gegründet worden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art wahrzunehmen. Zwar solle sie nach ihrem Gesellschaftszweck auch sozialverträglichen Wohnraum bereitstellen, entscheidend sei jedoch, dass sie als Wohnungsunternehmen in einem wettbewerblich ausgeprägten Marktumfeld tätig sei. Die Vergabekammer wies dies zurück und bestätigte die Rechtsauffassung der Antragstellerin. Hiergegen wendete sich die Auftraggeberin mit ihrer sofortigen Beschwerde zum Brandenburgischen OLG.

Die Entscheidung

Das Gericht weist die Beschwerde zurück. Die Auftraggeberin ist öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB a.F.

Zu den Tatbestandsmerkmalen des § 98 Nr. 2 GWB a.F. führt das Gericht aus:
Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers sei funktional zu bestimmen (EuGH, Urt. v. 01.02.2001, Rs. C-237/99 OPAC). Deswegen käme es bei der Beurteilung der Auftraggebereigenschaft nach § 98 Nr. 2 S. 1 GWB a.F. nicht allein darauf an, ob die juristische Person des privaten Rechts zu dem besonderen Zweck gegründet worden sei, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art wahrzunehmen. Vielmehr sei auf die tatsächliche Tätigkeit des Unternehmens abzustellen. Weiter führt das Gericht aus, dass es unerheblich sei, ob die betreffende Einrichtung nur im Allgemeininteresse liegende Aufgaben ausübe. Selbst wenn nur ein relativ geringer Teil der Tätigkeit des Unternehmens auf die Wahrnehmung solcher Aufgaben gerichtet sei, stehe dies der Einordnung des Unternehmens als öffentlicher Auftraggeber nicht entgegen (vgl. EuGH, Urt. v. 10.11.1998, Rs. C-360/96 Arnheim). Nach der sog. Infizierungstheorie führe die Wahrnehmung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben unweigerlich dazu, dass das Unternehmen in Gänze vergaberechtlich als öffentlicher Auftraggeber einzuordnen sei.

Vorliegend sei die Gesellschaft satzungsgemäß zu dem besonderen Zweck errichtet worden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben wahrzunehmen. Denn die sozialverträgliche Wohnraumbereitstellung umfasse auch den Bereich des sozialen Wohnungsbaus und der sozialen Wohnraumförderung; mithin Bestandteile der öffentlichen Daseinsvorsorge und somit eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe. Zudem sei im letzten Beteiligungsbericht der Stadt O. im Hinblick auf den nach § 91 Abs. 6 der Brandenburger Kommunalverfassung (BbgKVerf) erforderlichen Nachweis über die Erfüllung eines öffentliches Zweckes dargelegt, dass die Stadt mit ihrer Beteiligung an der Auftraggeberin die ihr obliegende öffentliche Aufgabe der Wohnraumversorgung erfülle. Der § 2 Abs. 2 BbgKVerf bestimme darüber hinaus, dass der soziale Wohnungsbau zu den der Gemeinde obliegenden Aufgaben gehöre. Die Stadt O. bediene sich auch tatsächlich der Auftraggeberin zur Erfüllung dieses Zweckes. So plane die Auftraggeberin seit 2015 im Stadtgebiet 23 Wohnungen für Mieter mit Wohnberechtigungsschein und für Flüchtlinge. Dies entspreche unzweifelhaft dem Aufgabenbereich der sozialen Wohnraumversorgung. Schließlich sei es unerheblich für die Qualifikation als öffentlicher Auftraggeber, ob jeweilige Aufgaben auch von Privatunternehmen erfüllt würden. (vgl. EuGH, Urt. v. 10.04.2008 Aigner).

Soweit die Auftraggeberin vorträgt, dass für sie das Merkmal der Nichtgewerblichkeit nicht erfüllt sei, da u.a. das streitgegenständliche Vorhaben die Nachfrage in einem höherpreisigen Marktsegment bediene, hält das Gericht dem entgegen, dass es für die Tatbestandsverwirklichung unerheblich sei, ob neben der Erfüllung der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben auch Tätigkeiten mit Gewinnererzielungsabsicht ausgeübt würden. (vgl. EuGH, Urt. v. 15.01.1998, C-44/96 Mannesmann Austria). Zudem schließe das Vorliegen eines Wettbewerbes in dem konkreten Marktbereich nicht aus, dass sich ein vom Staat kontrolliertes Unternehmen von anderen Überlegungen als von marktwirtschaftlichen leiten lasse. Insbesondere im Falle von Aufgaben, bei deren Erfüllung der Staat aus Gründen des Allgemeininteresses einen entscheidenden Einfluss behalten möchte, sei in der Regel eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nichtgewerblicher Art anzunehmen. (vgl. EuGH, Urt. v. 22.05.2003 Korhonen). Die soziale Wohnraumversorgung stelle eine solche Aufgabe dar. Es sei kennzeichnend für heutige kommunale Wohnungsbaugesellschaften, dass die Aufgaben der sozialen Wohnraumförderung mit einem nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichteten Wohnungsbau verbunden würden. Hierdurch könnten die kommunalen Wohnungsunternehmen gerade ihre besondere Pflicht zur sozialverträglichen Wohnraumbereitstellung effizient und kostensparend erfüllen.

Rechtliche Würdigung

Das Gericht legt, ausgehend von der umfangreichen Rechtsprechung des EuGH, überzeugend und ausführlich dar, wann ein kommunales Unternehmen in Privatrechtsform öffentlicher Auftraggeber nach § 98 Nr. 2 GWB a.F. bzw. § 99 Nr. 2 GWB n.F. ist und schafft hiermit einen klaren und praktikablen Maßstab.

Das Gericht stellt insbesondere klar, dass es vor dem Hintergrund der Infizierungstheorie und für die Einordnung eines kommunalen Unternehmens in Privatrechtsform als öffentlicher Auftraggeber bereits ausreicht, wenn ein nur geringer Teil der von dem Unternehmen ausgeübten Tätigkeiten im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art sind. Diesbezüglich entfaltet der Gründungszweck des Unternehmens lediglich eine Indizwirkung. Entscheidend ist vor dem Hintergrund des funktionalen Auftraggeberbegriffs die tatsächliche Tätigkeit am Markt. Hierbei ist auch die Selbst- und Außendarstellung des Unternehmens beachtlich.

Folgerichtig stellt das Gericht fest, dass, soweit die kommunale Beteiligung an dem betreffenden Unternehmen mit einer kommunalverfassungsrechtlich gebotenen sozialen Zweckbindung einhergeht, in der Regel davon auszugehen ist, dass das Unternehmen im betroffenen Bereich nichtgewerblich im Allgemeininteresse tätig wird. Hierdurch wird das Unternehmen in Gänze infiziert.

Praxistipp

Der Beschluss ist wegen der kommunalverfassungsrechtlichen Zweckbindung an die Daseinsvorsorge für alle kommunalen Unternehmen in Brandenburg sowie in anderen Bundesländern mit vergleichbaren Regelungen auch nach der neuen Rechtslage von erheblicher Bedeutung, denn § 98 Nr. 2 GWB a.F. wurde in § 99 Nr. 2 GWB übernommen. Die Erbringung einer nichtgewerblichen, im Allgemeininteresse liegenden Tätigkeit eröffnet den persönlichen Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts. Dies selbst dann, wenn die konkrete Aufgabe bei einer Gesamtbetrachtung nur einen unwesentlichen Teil der Aktivitäten des Unternehmens ausmacht. Dabei ist auf die tatsächliche Aufgabenwahrnehmung und nicht allein auf den Gründungszweck des Unternehmens abzustellen. Für kommunale Unternehmen, die nicht nach den Regeln des Kartellvergaberechts ausschreiben, gilt es nach der Entscheidung des OLG Brandenburg zur Vermeidung von Nachprüfungsverfahren daher umso genauer zu prüfen, ob sie für ihre Gesellschafter im Allgemeininteresse liegende Aufgaben wahrnehmen.

Spannend bleibt nach der Entscheidung nicht zuletzt die Frage, ob es wegen der kommunalverfassungsrechtlichen Bindung an die Daseinsvorsorge noch einen Bereich geben kann, in dem kommunale Unternehmen nicht auch zugleich auch öffentliche Auftraggeber im Sinne des Kartellvergaberechts sind. Für Brandenburg dürfte diese Frage wohl zu verneinen sein.

Áron Horváth

Über Áron Horváth

Áron Horváth ist Rechtsanwalt in der auf das Vergabe- und Baurecht spezialisierten Kanzlei MD Rechtsanwälte in Potsdam. Er berät bundesweit öffentliche Auftraggeber und Unternehmen in allen Fragen rund um die Beschaffung der öffentlichen Hand und vertritt diese vor den Vergabekammern und Vergabesenaten der Oberlandesgerichte. Herr Horváth tritt zudem regelmäßig als Referent in Seminaren zu vergabe- und EU-beihilferechtlichen Themen auf.

Max Stanko

Über Max Stanko

Max Stanko ist Rechtsanwalt bei der auf das Vergabe- und Baurecht spezialisierten Kanzlei MD Rechtsanwälte in Potsdam. Er berät und begleitet bundesweit öffentliche Auftraggeber bei der Konzeption und Durchführung von Vergabeverfahren sowie Unternehmen bei der Teilnahme an solchen. Regelmäßig vertritt er Bieter und Auftraggeber in Nachprüfungsverfahren. Zudem tritt Herr Stanko als Referent in vergaberechtlichen Seminaren auf.

The post Kommunale Wohnungsbaugesellschaften in Privatrechtsform als öffentliche Auftraggeber (OLG Brandenburg, Beschl. v. 06.12.2016 – 6 Verg. 4/16) appeared first on Vergabeblog.


Klare Trennung von Aufklärung und nachgeforderten Erklärungen und Nebenangeboten (VK Bund, Beschl. v. 06.12.2016 – VK 2-119/16)

0
0
BauleistungenRecht

Keine Rügepräklusion des Bieters bezüglich Vorgaben in Vergabeunterlagen zu Nebenangeboten und kein Ausschluss bei Vermischung der Vergabestelle von Aufklärungsfragen und nachgeforderten Erklärungen.

 

§ 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB, § 16 a VOB/A EU

Leitsätze (des Bearbeiters)

1. Die rechtliche Erkennbarkeit eines Vergaberechtsverstoßes ist schon dann fraglich, wenn sich dieser erst aus der jüngeren, die Vergabevorschriften konkretisierenden Rechtsprechung ergibt, und wird im konkreten Fall für den Themenkomplex „Bewertungssystem bei Nebenangeboten“ verneint.

2. Der Nachforderungs- und Ausschlusstatbestand des § 16 a VOB/A EU gilt nicht für Aufklärungsfragen. Trennt die Vergabestelle nicht eindeutig zwischen Nachforderungen von Erklärungen im Sinne von § 16a VOB/A EU und Aufklärungsfragen, ist ein Ausschluss nicht gerechtfertigt, auch wenn zulässigerweise nachgeforderte Unterlagen nicht fristgerecht geliefert werden.

Sachverhalt

Gegenstand der Entscheidung war die gemeinschaftsweite Vergabe eines Bauauftrags. Zu zugelassenen Nebenangeboten waren weitere Vorgaben in den Vergabeunterlagen vorgesehen. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2016 forderte die AG die ASt unter Bezugnahme auf die Vorschrift des VOB/A § 16 Nr. 3 zur Einreichung von Nachweisen und Erklärungen betreffend das Nebenangebot der ASt auf. Unter anderem forderte die AG die ASt auf, das Formblatt 221 EU vollständig auszufüllen und vorzulegen (Punkt 3.4 „Erläuterung sonstiger Kosten“) sowie weitere Erklärungen/Erläuterungen wie z.B. ein Wartungsangebot mit Wartungsintervallen. In den „Hinweisen Nebenangebot“ war vorgesehen, dass ein Wartungsangebot mit dem Nebenangebot vorzulegen ist, wenn das Nebenangebot im Vergleich zum Hauptangebot Wartungsintervalle generiert. Außerdem wurde die ASt in dem Schreiben zu einem Aufklärungsgespräch eingeladen.
Die ASt kam der Aufforderung zur Nachreichung von Erklärungen nicht nach, sondern rügte mit Schreiben ihres Anwalts vom 27. Oktober 2016 das Vergabeverfahren umfassend. Die Rüge richtete sich auch gegen verschiedene Punkte in den Vergabeunterlagen wie z.B. die Bewertungsformel für Nebenangebote. Die AG informierte die ASt darüber, dass deren Angebot nach § 16 a S. 4 VOB/A EU ausgeschlossen worden sei, weil geforderte Erklärungen oder Nachweise weder im Angebot enthalten gewesen noch entsprechend einer Anforderung der AG rechtzeitig vorgelegt worden seien. Das avisierte Aufklärungsgespräch wurde mit Hinweis auf den Ausschluss abgesagt.

Die Entscheidung

1. Erkennbarkeit im Sinne des § 160 Abs. 3 S. 1 GWB

Die Erfüllung der Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 S. 1 GWB sah die Vergabekammer ausdrücklich auch für gegeben an, soweit der ASt die Grundlagen der Ausschreibung gerügt hat, wie die in den Vergabeunterlagen festgelegten Wertungsmaßstäbe für die Nebenangebote. Die Vergabekammer Bund hat sich auf die vom OLG Düsseldorf (Beschluss vom 30. Juli 2013 VII Verg 26/13 sowie vom 14. Oktober 2013 VII Verg 36/13) formulierten Grundsätze bezogen, wonach es bei dem in § 160 Abs. 3 S. 1 GWB genannten Begriff der Erkennbarkeit nicht nur auf die Erkennbarkeit eines (vermeintlichen) Fehlers im tatsächlichen Sinne ankomme, sondern die Erkennbarkeit im Rechtssinne hinzukommen müsse.

Übertragen auf den vorliegenden Fall war hier die Bewertungsmethode für Nebenangebote aus den Vergabeunterlagen zwar klar erkennbar, die tatsächliche Erkennbarkeit also ohne weiteres gegeben. Die Erkennbarkeit im Rechtssinne wird nach Ansicht der Vergabekammer aber schon dann weniger wahrscheinlich, wenn sich die rechtlichen Anforderungen für Themenkomplexe wie Bewertungskriterien, Bepunktung und sog. Schulnotensystem nicht ausdrücklich als eine harte und normierte Vorgabe in den vergaberechtlichen Vorschriften findet, sondern sich erst aus der diesbezüglichen jüngeren Rechtsprechung ergibt. Hier kam noch hinzu, dass der Themenkomplex Bewertungskriterien/Bepunktung mit dem Themenkomplex Nebenangeboten verbunden war, was die Sachlage zusätzlich verkompliziert. In der Gesamtschau hat die Vergabekammer hier die Erkennbarkeit im Sinne von § 160 Abs. 3 S. Nr. 3 GWB verneint.

2. Teilweise Begründetheit wegen formaler Fehler in Nachforderungsschreiben

Die AG hat in ihrem Schreiben ihr Nachforderungsersuchen auf die Norm des „VOB/A § 16 Nr. 3“ gestützt. Diese Norm gibt es in der genannten Form nicht, weder nach altem noch nach neuen Recht, zudem fehlte der EU-Zusatz. Die Vergabekammer führte dazu aus: Geht man davon aus, dass der Bieter durch die Nennung der Rechtsgrundlage die Möglichkeit erhalten soll, den Inhalt des Schreibens und die Nachforderung durch Nachlesen der zitierten Bestimmung nachvollziehen zu können, dann ist es von Bedeutung, dass auch wirklich die korrekte Norm angeführt wird. Da das falsche Zitat vorliegend nachweislich nicht kausal war, hätte dies als Grund alleine nicht genügt.

Hinzu kam aber folgendes: In dem Nachforderungsschreiben waren neben der zulässigen Nachforderung von Unterlagen (Vervollständigung des Formblatts 221 EU) auch weitere Erläuterungen/Erklärungen zum Nebenangebot (z.B. Angaben zu Wartungsintervallen) angefordert. Diese angefragten Erläuterungen hat die Vergabekammer mangels Anforderung konkreter Erklärungen nicht als Nachforderungen im Sinne von § 16a VOB/A EU eingestuft. Auch die allgemeinen Vorgaben in Ziffer 5 des einbezogenen Formblatts 212 EU könnten laut der Vergabekammer nicht als eine Anforderung konkreter Erklärungen gemäß § 16a VOB/A EU gesehen werden, da sich Ziffer 5 nur generell auf Nebenangebote bezieht und nicht auf das konkrete Vergabeverfahren. Zu diesem Zweck sei nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A EU ausdrücklich die Aufklärung von Nebenangeboten im offenen Verfahren nach Angebotsabgabe zugelassen. So hätte hier die Aufklärung z.B. zu den angeforderten Wartungsintervallen ergeben, dass die ASt kein Wartungsangebot eingereicht hat, weil ihr Nebenangebot keine vom Amtsentwurf abweichenden Wartungsintervalle erforderlich macht.

Nach der Vergabekammer hätte es einer klaren Differenzierung zwischen der Nachforderung konkret geforderter Erklärungen, sanktioniert mit der Ausschlussrechtsfolge, auf der einen Seite und den Aufklärungsfragen auf der anderen Seite bedurft. Stattdessen hat die AG im Schreiben vom 25. Oktober 2016 beides vermengt und den Nachforderungstatbestand auch auf Aufklärungserläuterungen bezogen, bei denen er nicht greift.

Dass sich im Schreiben der AG vom 25. Oktober 2016 auch eine in den Anwendungsbereich des Nachforderungstatbestands fallende Nachforderung findet (Formular 221), sei bei der Vermengung von Nachforderung und Aufklärungsvorbereitungsfragen in einem Schreiben, in dem alle Anfragen unter den Nachforderungs- und Ausschlusstatbestand gefasst wurden, für die ASt nicht mehr transparent erkennbar gewesen. Um den Fehler zu heilen, musste die AG nun die ASt ihr Nachforderungsverlangen hinsichtlich der Ergänzung zu Formblatt 221 EU stellen, und – davon klar getrennt – die Aufklärungsfragen zur Vorbereitung des Aufklärungsgesprächs stellen.


Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung stärkt die Bieterrechte, wonach sich dieser nicht mit der umfassenden jüngeren Rechtsprechung zu Nebenangeboten und Bewertungskriterien auskennen muss. Er kann also auch noch nach Ablauf der Angebotsfrist entsprechende Vorgaben in den Vergabeunterlagen rügen, wenn deren Vergaberechtswidrigkeit sich nicht ausdrücklich aus den Vergabevorschriften ergibt. Für die Vergabestellen bedeutet das umgekehrt, dass sie bei der Zulassung von Nebenangeboten bis zum Abschluss des Verfahrens mit Rügen auch zu den Grundlagen des Verfahrens rechnen müssen.

Mit der Entscheidung werden einmal mehr die formalen Anforderungen an die Vergabestellen erhöht. So kann bereits die Nennung einer falschen Norm in einem Nachforderungsschreiben gravierende Folgen haben. Darüber hinaus muss die Vergabestelle genauestens zwischen Aufklärungsfragen einerseits und zu liefernden Erklärungen andererseits trennen, was in der Praxis nicht immer einfach sein wird.

Die Entscheidung hat nicht nur für die Beschaffung nach der VOB/A Relevanz, sondern auch für Beschaffungen nach der VgV, auch wenn die Unterscheidung bei der VOB/A wegen der in § 16a VOB/A gesetzlich vorgegebenen kurzen Frist von 6 Kalendertagen in der Praxis noch wichtiger sein dürfte.

Praxistipp

Für die Vergabestellen gilt:

– Größte Sorgfalt bei der Erstellung von Nachforderungsschreiben und der Benennung der relevanten Normen.

– Vorgaben für Nebenangebote wie in Ziffer 5 Formblatt 221 EU sind in aller Regel allgemein gehalten. Nachforderungen zu Nebenangeboten, die sich nur aus allgemeinen Vorgaben wie Ziffer 5 Formblatt 221 ergeben, sollten im Zweifel als Aufklärung behandelt werden.

The post Klare Trennung von Aufklärung und nachgeforderten Erklärungen und Nebenangeboten (VK Bund, Beschl. v. 06.12.2016 – VK 2-119/16) appeared first on Vergabeblog.

Wettbewerbsregister – BMWi nimmt noch einmal wichtige Verbesserungen im Gesetzentwurf vor

0
0
Politik und MarktRecht

Logo-RechtsbeitraegeSelten wird man vom Gesetzgeber rechts überholt. So aber hier geschehen. Fast zeitgleich mit der Veröffentlichung meines Beitrags zum neuen Wettbewerbsregister auf Vergabeblog.de vom 31/03/2017, Nr. 30240 beschloss das Bundeskabinett am 29.03.2017 über einen geänderten Gesetzesentwurf, der diverse Verbesserungen – auch zu den von mir gerügten Unzulänglichkeiten – enthält, die ich Ihnen hier in aller Kürze zur Kenntnis geben möchte.

1. Die Stellungnahmefrist für das Unternehmen im Rahmen der Anhörung beträgt nunmehr zwei Wochen ab Zugang der Information. Die Registerbehörde kann die Frist zur Stellungnahme verlängern.

2. Es sind neben den Sektorenauftraggebern und den Konzessionsgebern alle Auftraggeber nach § 99 GWB erfasst.

3. Neben der Abfragepflicht können die Auftraggeber bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen unterhalb des Schwellenwertes von 30.000 Euro oder im Rahmen von Teilnahmewettbewerben auch eine Anfrage an das Register stellen, müssen es aber nicht.

4. Der dubiose Sperrvermerk ist vollständig entfallen. Weist der Betroffene bei der Anhörung nach, dass die Angaben falsch sind, wird die Eintragung nicht oder mit entsprechenden Korrekturen vorgenommen.

5. Für den Antrag auf vorzeitige Löschung wegen erfolgreicher Selbstreinigung hat das Unternehmen als Antragsteller Gebühren und Auslagen zu zahlen. Diese richten sich nunmehr nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 GWB und damit nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Kartellbehörde unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Auftrags, maximal 25.000 Euro.

6. Schließlich ist nunmehr der Rechtsweg zum für Vergabesachen zuständigen Oberlandesgericht eröffnet, anstelle des Rechtswegs zu den Verwaltungsgerichten. § 11 begründet insoweit eine abdrängende Sonderzuweisung.

The post Wettbewerbsregister – BMWi nimmt noch einmal wichtige Verbesserungen im Gesetzentwurf vor appeared first on Vergabeblog.

Zwingender Ausschluss wegen schwerer beruflicher Verfehlung (EuGH, Urt. v. 14.12.2016 – C-171/15 –„Connexxion Taxi Services“)

0
0
RechtVerkehr

Entscheidung-EUDer Ausschluss wegen schwerer beruflicher Verfehlung kann grundsätzlich unter den Vorbehalt einer Verhältnismäßigkeitsprüfung gestellt werden. Legt sich der Auftraggeber jedoch auf einen zwingenden Ausschluss fest, ist er daran gebunden.

 

Art. 45 Abs. 2 RL 2004/18/EG; Art. 57 Abs. 2 lit. c) RL 2014/24/EU; § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB

Leitsatz

  1. Das Unionsrecht, insbesondere Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, steht dem nicht entgegen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende einen öffentlichen Auftraggeber verpflichtet, unter Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob ein Bewerber um einen öffentlichen Auftrag, der eine schwere berufliche Verfehlung begangen hat, tatsächlich auszuschließen ist.
  2. Die Richtlinie 2004/18, insbesondere deren Art. 2 und Anhang VII Teil A Nr. 17, ist angesichts des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des daraus abgeleiteten Transparenzgebots dahin auszulegen, dass sie dem entgegensteht, dass ein öffentlicher Auftraggeber beschließt, einen öffentlichen Auftrag an einen Bieter zu vergeben, der eine schwere berufliche Verfehlung begangen hat, und zwar mit der Begründung, dass der Ausschluss dieses Bieters vom Vergabeverfahren gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde, obwohl nach den Ausschreibungsbedingungen für diesen öffentlichen Auftrag ein Bieter, der eine schwere berufliche Verfehlung begangen hat, zwingend und ungeachtet dessen auszuschließen war, ob diese Sanktion verhältnismäßig ist oder nicht.

Sachverhalt

Der Auftraggeber, ein niederländisches Ministerium, schrieb im Jahre 2012 einen Dienstleistungsauftrag über die Beförderung behinderter Menschen europaweit aus. Die Ausschreibungsunterlagen enthielten folgenden Passus: Ein Angebot, auf das ein Ausschlussgrund Anwendung findet, bleibt unberücksichtigt und kommt nicht für eine nähere (inhaltliche) Beurteilung in Betracht. Die Bieter hatten in einer Selbstauskunft zu erklären, dass auf sie keine Ausschlussgründe Anwendung finden. Noch während der Wartefrist verhängte die niederländische Wettbewerbsbehörde Geldbußen wegen Wettbewerbsverstößen gegen zwei an der obsiegenden Bietergemeinschaft beteiligte Unternehmen. Obgleich der Auftraggeber dies als schwere berufliche Verfehlung ansah, hielt er an seiner Vergabeentscheidung fest, weil ein Ausschluss der Bietergemeinschaft unverhältnismäßig sei. Das niederländische Recht stellt einen Ausschluss wegen schwerer beruflicher Verfehlung unter den Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit. Gegen die Entscheidung des Auftraggebers suchte der zweitplatzierte Bieter gerichtlichen Rechtsschutz. Der oberste Gerichtshof der Niederlande legte die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Er fragte, ob die Regelung, den Ausschluss eines Bieters, der eine schwere berufliche Verfehlung begangen hat, von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung abhängig zu machen, richtlinienkonform sei. Er fragte weiter, ob dabei von Belang sei, dass der Auftraggeber in den Ausschreibungsunterlagen einen zwingenden Ausschluss für diesen Fall vorgesehen hatte.

Die Entscheidung

Eine nationale Regelung, die den Ausschluss eines Bieters, der eine schwere berufliche Verfehlung begangen hat, von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung abhängig macht, ist richtlinienkonform und verstößt insbesondere nicht gegen Art. 45 Abs. 2 der RL 2004/18/EG. Wenn ein öffentlicher Auftraggeber in den Ausschreibungsunterlagen angibt, dass ein Angebot, auf das ein Ausschlussgrund Anwendung findet, zwingend auszuschließen ist, darf er angesichts des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des daraus abgeleiteten Transparenzgebots jedoch keine Verhältnismäßigkeitsprüfung mehr vornehmen. Es bestünde die Gefahr, dass Wirtschaftsteilnehmer aufgrund der Ausschlussklausel des Auftraggebers von vornherein nicht an der Ausschreibung teilnehmen würden, während andere darauf spekulieren könnten, dass ihr Angebot im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht ausgeschlossen würde. Dies benachteilige insbesondere Wirtschaftsteilnehmer aus anderen Mitgliedsstaaten, die die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach dem nationalen Recht nur schwer erkennen könnten.

Rechtliche Würdigung

Der Wortlaut der Richtlinie und die bisherige Rechtsprechung des EuGH sind eindeutig die Umsetzung der fakultativen Ausschlussgründe wird ins Ermessen der Mitgliedsstaaten gestellt (vgl. EuGH Urteil vom 10.07.2014 – C-358/12 – IBRRS 2014, 1889, Rn. 36.). Diese können hier mildere, flexiblere oder gar keine Regelungen vorsehen. Die Pflicht zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der auch im Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien gilt, kann vor diesem Hintergrund daher keine Bedenken auslösen. Die neue Vergaberichtlinie macht dies deutlicher und fordert die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der fakultativen Ausschlussgründe sogar (Erwägungsgrund 101 RL 2014/24/EU).

Der EuGH setzt seine strikte Linie zur Selbstbindung des Auftraggebers in den Ausschreibungsunterlagen fort. Er zwingt damit zum möglicherweise unverhältnismäßigen Ausschluss eines Bieters, weil der Auftraggeber in seiner Auftragsbekanntmachung einen zwingenden Ausschluss vorgesehen hatte. Der EuGH stellt in diesem Fall die Gleichbehandlung und Transparenz über die Verhältnismäßigkeit. Aus den Erwägungsgründen der alten und neuen Vergaberichtlinie ergibt sich jedoch, dass Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz (gleichberechtigt) zu den in Vergabeverfahren zu beachtenden Grundsätzen der europäischen Verträge zählen. Für den EuGH war hier auch entscheidend, dass sich das Erfordernis einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im vorliegenden Fall aus einer nationalen Vorschrift ergab, und so nur schwer für Wirtschaftsteilnehmer anderer Mitgliedsstaaten erkennbar war. Die Entscheidung überrascht jedoch auch deshalb, weil der EuGH bisher gerade im Falle der schwerer beruflichen Verfehlung einen automatischen Ausschluss als nicht richtlinienkonform eingestuft hatte (EuGH, Urteil vom 13.12.2012 C-465/11 – NZBau 2013, 116.). In der deutschen Rechtsprechung ist eine ähnliche Fallgestaltung bisher anders beurteilt worden. So konnte sich ein öffentlicher Aufraggeber nicht vorab selbst dahingehend binden, dass er fehlende Erklärungen und Nachweise nicht nachfordern würde, obwohl ihm das Gesetz diesbezüglich ein Ermessen einräumte. Denn dadurch nehme der Auftraggeber sein Ermessen zu einem Zeitpunkt vorweg, zu dem ihm der Sachverhalt noch gar nicht vollständig bekannt sei (VK Bund, Beschluss vom 05.03.2015 VK 2-13/15). Es ist zudem fraglich, ob die Rechtsprechung des EuGH zum alten Vergaberecht auch nach der Reform noch in dieser Form Geltung beanspruchen kann. In Erwägungsgrund 101 der Richtlinie 2014/24/EU wird die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der fakultativen Ausschlussgründe gerade gefordert. Dies hat der deutsche Gesetzgeber in § 124 Abs. 1 GWB richtlinienkonform umgesetzt. Vor diesem Hintergrund scheint ein Verzicht auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung durch den Auftraggeber schwer zu rechtfertigen, zumal die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Bereich der fakultativen Ausschlussgründe nun für jeden Wirtschaftsteilnehmer gut erkennbar aus der Richtlinie hervorgeht.

Praxistipp

Den Auftraggebern ist von der Verwendung absoluter Ausschlussklauseln abzuraten. Bleibt der EuGH seiner strengen Linie auch nach der Vergaberechtsreform treu, verengt der Auftraggeber den eigenen Handlungsspielraum unnötig und kann zu unverhältnismäßigen Ausschlüssen von Bietern gezwungen sein. Zugleich ist auch das hier besprochene Urteil nicht geeignet, um abschließende Rechtssicherheit zu vermitteln. Es ist nicht abzusehen, wie nationale Gerichte entscheiden werden und ob die Rechtsprechung des EuGH auch nach der Vergaberechtsreform weiter Bestand haben wird. Auch Bieter sollten sich daher nach wie vor nicht völlig auf die Wirksamkeit der Ausschlussklauseln verlassen.

The post Zwingender Ausschluss wegen schwerer beruflicher Verfehlung (EuGH, Urt. v. 14.12.2016 – C-171/15 – „Connexxion Taxi Services“) appeared first on Vergabeblog.

eVergabe: Heute zündet die 2. Stufe der Umsetzungspflicht für Zentrale Vergabestellen

0
0
Politik und MarktRecht

Artikel 22 der EU-Vergaberichtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe (RL 2014/24/EU) vom 26. Februar 2014, in Kraft getreten am 17. April, verpflichtet bekanntlich öffentliche Auftraggeber zur grundsätzlichen Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel in Vergabeverfahren. Auch und gerade zentrale Beschaffungsstellen werden  durch die Richtlinie verpflichtet, EU-weite Vergabeverfahren spätestens ab dem 18.04.2017 elektronisch durchzuführen.

Ziel der verpflichtenden Einführung der eVergabe ist eine Vereinfachung der Vergabe unter gleichzeitiger Steigerung von Effizienz und Transparenz (vgl. die Erwägungsgründe 52 und 72 der RL 2014/24/EU).[1] Die Verpflichtung zur Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel betrifft nicht nur für die Einreichung und Übermittlung von Angeboten unter Anwendung elektronischer Kommunikationsmittel, sondern die gesamte Kommunikation und den gesamten Informationsaustausch zwischen Auftraggeber und Bieter. In der Bundesrepublik wurden die neuen Regelungen für den Oberschwellenbereich im Rahmen der „Vergaberechtsreform 2016“ zum 18. April 2016 umgesetzt. Damit wird die eVergabe in Deutschland schrittweise bis 18. Oktober 2018 verpflichtend.

Ende der Übergangsfrist für ZVS

Bereits am 18. April 2017 endet gemäß Art. 90 Abs. 2 der RL für zentrale Beschaffungsstellen die Übergangsfrist zur Einführung der elektronischen Kommunikation. Das bedeutet: Ab diesem Datum dürfen zentrale Beschaffungsstellen – von begründeten Ausnahmen, hier insb. bei Daten und Informationen mit besonders hohem Schutzniveau, abgesehen – nur noch elektronische Teilnahmeanträge und Angebote entgegennehmen und im Vergabeverfahren berücksichtigen. Dies umfasst den Prozess von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Ausnahmen und deren Begründung sind jeweils in einem Vergabevermerk festzuhalten.

Zentrale Vergabestellen

Zentrale Beschaffungsstellen sind laut RL solche öffentlichen Auftraggeber, die zentrale Beschaffungstätigkeiten und eventuell Nebenbeschaffungstätigkeiten ausüben (Art. 2 Absatz 1 Ziff. 16 RL). Zentrale Beschaffungstätigkeiten sind auf Dauer durchgeführte Tätigkeiten, die den Erwerb von Lieferungen und/oder Dienstleistungen für öffentliche Auftraggeber oder die Vergabe öffentliche Aufträge oder den Abschluss von Rahmenvereinbarungen über Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen für öffentliche Auftraggeber zum Gegenstand haben (Art. 2 Absatz 1 Ziff. 14 RL). Zentrale Beschaffungsstellen können auf allen Ebenen existieren, d. h., auch auf Landes- und auf kommunaler Ebene.
Eine innerstaatliche (Legal-)Definition liefert § 120 Abs. 4 GWB: Danach ist eine zentrale Beschaffungsstelle ein öffentlicher Auftraggeber, der für andere öffentliche Auftraggeber dauerhaft Liefer- und Dienstleistungen beschafft, öffentliche Aufträge vergibt oder Rahmenvereinbarungen abschließt (zentrale Beschaffungstätigkeit). Das kann beispielsweise bei einer Einkaufskooperation, aber auch im Rahmen einer interkommunalen Zusammenarbeit der Fall sein.

Umfang der eVergabe-Pflicht

Alle Vergabestellen müssen nicht nur die Bekanntmachungen auf TED einstellen, sondern zugleich die kompletten Vergabeunterlagen zum Download auf einer elektronischen Plattform zur Verfügung stellen. Ein durchgängig elektronischer Workflow ist zwar nicht zwingend vorgeschrieben, aber möglich. Verpflichtend elektronisch sind nach Art. 53 der RL lediglich die Er- und unentgeltliche Bereitstellung der Vergabeunterlagen (Anm. d. Red.: Im Mitgliederbereich FA eVergabe gibt es eine vertiefende Diskussion zu der Frage: Was bedeutet „unentgeltlich“? hier), die Angebotseinreichung sowie die gesamte Kommunikation und der gesamte Informationsaustausch. Nicht verpflichtend wird jedoch z.B. die elektronische Verarbeitung oder Bewertung von Angeboten. Ferner müssen die für die elektronische Kommunikation zu verwendenden Instrumente und Vorrichtungen sowie ihre technischen Merkmale müssen nichtdiskriminierend und allgemein verfügbar sein und dürfen den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer zum Vergabeverfahren nicht einschränken.

Ab 19.10.2018 eVergabe für alle Vergabestellen verpflichtend

Für Vergabestellen, die keine zentrale Funktion für andere öffentliche Auftraggeber erfüllen, verlängert sich die Frist für die Kommunikation und Zuschlagserteilung und den Informationsaustausch in elektronischer Weise sowie die elektronische Angebotsabgabe, bis zum 18.10.2018. Ab diesem Datum gilt die Verpflichtung zur elektronische Angebotsabgabe und zur durchgängig elektronischen Bieterkommunikation bis zum Zuschlag für alle Vergabestellen.


Hinweis: Die Grundsätze der elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren sind u.a. Gegenstand des Grundlagenseminars Vergaberecht am 5. Mai in Berlin von und mit Dipl.-Verwaltungswirt Michael Wankmüller (vormals BMWi). Weitere Infos und Anmeldemöglichkeit hier.

Darüber hinaus bietet die DVNW Akademie zu diesem und weiteren Themen Inhouse Schulungen bei Ihnen vor Ort an. Nähere Infos dazu erhalten Sie hier.


[1] In den Erwägungsgründen der RL heißt es dazu (Ziff. 52 und 72):
Elektronische Informations- und Kommunikationsmittel können die Bekanntmachung von Aufträgen erheblich vereinfachen und Effizienz und Transparenz der Vergabeverfahren steigern. Sie sollten zum Standard für Kommunikation und Informationsaustausch im Rahmen von Vergabeverfahren werden, da sie die Möglichkeiten von Wirtschaftsteilnehmern zur Teilnahme an Vergabeverfahren im gesamten Binnenmarkt stark verbessern. Zu diesem Zweck sollten die Übermittlung von Bekanntmachungen in elektronischer Form, die elektronische Verfügbarkeit der Auftragsunterlagen sowie — nach einem Übergangszeitraum von 30 Monaten — eine ausschließliche elektronische Kommunikation, das heißt eine Kommunikation durch elektronische Mittel, in allen Verfahrensstufen, einschließlich der Übermittlung von Teilnahmeanträgen und insbesondere der Übermittlung der Angebote („elektronische Übermittlung“), verbindlich vorgeschrieben werden (…).

Elektronische Kommunikationsmittel sind in besonderem Maße für die Unterstützung zentralisierter Beschaffungsverfahren und -instrumente geeignet, da sie die Möglichkeit bieten, Daten weiterzuverwenden und automatisch zu verarbeiten und Informations- und Transaktionskosten möglichst gering zu halten. Die Verwendung entsprechender elektronischer Kommunikationsmittel sollte daher – in einem ersten Schritt – für zentrale Beschaffungsstellen verpflichtend gemacht werden, was auch einer Konvergenz der Praxis innerhalb der Union förderlich sein dürfte. Nach einer Übergangszeit von 30 Monaten sollte dann eine allgemeine Verpflichtung zur Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel in sämtlichen Beschaffungsverfahren eingeführt werden.

The post eVergabe: Heute zündet die 2. Stufe der Umsetzungspflicht für Zentrale Vergabestellen appeared first on Vergabeblog.

OLG Düsseldorf gibt seine Schulnotenrechtsprechung in wichtigen Punkten auf – vorerst! (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.03.2017 – VII-Verg 39/16)

0
0
Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

Das OLG Düsseldorf hält in seinem Beschluss vom 08.03.2017 (Az. VII-Verg 39/16) anlässlich der Dimarso-Entscheidung des EuGH vom 14.07.2016 (Az. C-6/15, vgl. Neusüß, Vergabeblog.de vom 21/08/2016, Nr. 27080) weder daran fest, dass die Bewertungsmethode zu veröffentlichen ist, noch daran, dass ein Bieter die Bewertung des Erfüllungsgrads seines Angebots im Vorhinein erkennen können muss; nach Auffassung des Verfassers kann die ausdrücklich nur zum außer Kraft getretenen Vergaberecht ergangene Entscheidung auf das geltende Vergaberecht übertragen werden.

§ 97 Abs. 1 GWB, § 127 Abs. 4 GWB

Leitsätze des Bearbeiters

  1. Die Bewertungsmethode muss Bietern nicht vorab bekannt gemacht werden.
  2. Einem Bieter muss es im Vorhinein nicht möglich sein zu erkennen, welchen bestimmten Erfüllungsgrad sein Angebot auf der Grundlage der Zuschlagskriterien erreichen muss, um mit einer bestimmten Notenstufe oder Punktzahl bewertet zu werden, auch wenn die Bewertungsmethode (freiwillig) bekannt gegeben wurde.
  3. Leitsätze 1 und 2 gelten ausdrücklich nur für das außer Kraft getretene Vergaberecht. Die Entscheidung äußert sich nicht zum geltenden Vergaberecht.
  4. Bei der Wertungsentscheidung haben öffentliche Auftraggeber einen gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum.

Sachverhalt

Die Antragsgegnerin schrieb den beabsichtigten Abschluss eines Rahmenvertrags für Gerätekraftwagen in einem offenen Verfahren europaweit aus. Als Zuschlagskriterium bildete die Antragsgegnerin u. a. sieben unterschiedlich gewichtete konkret beschriebene Anforderungsblöcke, die zusammen den Nutzwert der Fahrzeuge ergeben sollten. Den Zuschlag sollte das Angebot erhalten, das das beste Nutzwert-Preis-Verhältnis aufwies.

Für jeden Anforderungsblock sollten Bewertungspunkte von 1-5 vergeben werden, die im Ergebnis folgendermaßen definiert und den Bietern bekannt gemacht wurden:

  • 1 = nicht akzeptabel (Abweichungen, aufgrund dessen der Verwendungszweck nicht mehr erfüllt werden kann)
  • 2 = erhebliche Beanstandungen (Abweichungen, die Verwendungszweck stark beeinflussen)
  • 3 = noch akzeptabel (Abweichungen, die den Verwendungszweck nicht maßgeblich beeinflussen)
  • 4 = leichte Mängel (Abweichungen, die den Verwendungszweck nicht beeinflussen)
  • 5 = ohne Mängel.

Die Antragstellerin rügte die Bewertungsmethode vor Angebotsabgabe nicht.

Sie erreichte insgesamt einen Nutzwert von 4,75 Punkten (Punktabzug wegen eines erhöhten Ruhestroms von 630 mA statt 500 mA), die Beigeladene von 4,95 Punkten (Punktabzug wegen Fehlens eines bundesweiten Service-Netzes). Fehlende höhenverstellbare Kopfstützen und Feuerwehrhelmhalter führten nicht zu Abzügen beim Angebot der Beigeladenen. Aufgrund des günstigeren Angebots der Beigeladenen beabsichtigte die Antragsgegnerin, entsprechend den Zuschlagskriterien der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen, und informierte darüber die übrigen Bieter.

Die Antragstellerin leitete daraufhin ein Nachprüfungsverfahren ein. Die Vergabekammer gab ihrem Antrag mit der Begründung statt, das Bewertungssystem lasse im Vorhinein nicht die Bestimmung zu, welchen Erfüllungsgrad die Angebote bei den technischen Anforderungen aufweisen müssten, um mit den festgelegten Punktewerten bewertet zu werden.

Die Entscheidung

Auf die sofortige Beschwerde der Beigeladenen hob das OLG Düsseldorf die Entscheidung der Vergabekammer auf und wies den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurück.

1. Zunächst stellte der Senat fest, dass die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen zur Intransparenz der Bewertungsmethode trotz unterbliebener Rüge nicht präkludiert und der Antrag daher insoweit zulässig sei. Der vermeintliche Vergaberechtsverstoß sei für die Antragstellerin nicht erkennbar gewesen, im Wesentlichen weil von einem durchschnittlichen Bieter keine Kenntnis der sich noch entwickelnden Rechtsprechung zur Transparenz von Bewertungsmaßstäben verlangt werden könne. Ob bei einem anwaltlich vertretenen Bieter etwas anderes gelte, könne dahinstehen, da nicht festgestanden habe, dass die Antragstellerin zum maßgeblichen Zeitpunkt anwaltlich vertreten gewesen sei.

2. Der Antrag sei aber unbegründet.

a) Der Senat stellte zunächst die Entwicklung der so genannten Schulnotenrechtsprechung dar. Diese basiere maßgeblich auf der Entscheidung des EuGH vom 14.2.2008 (Az. 6-532/06). Nach dieser Entscheidung müssen alle Kriterien, die vom Auftraggeber bei der Bestimmung des wirtschaftlich günstigsten Angebots berücksichtigt werden, sowie ihre relative Bedeutung den potentiellen Bietern zum Zeitpunkt der Vorbereitung der Angebote bekannt sein. Daraus habe der Senat abgeleitet, dass auch eine detaillierte Bewertungsmatrix den Bietern vorab bekannt zu geben sei.

b) An dieser Auffassung hält der Vergabesenat des OLG Düsseldorf angesichts der Dimarso-Entscheidung des EuGH vom 14.07.2016 (Az. C-6/15), ausdrücklich beschränkt auf das am 17.04.2016 außer Kraft getretene Vergaberecht, nicht mehr fest. Der EuGH hatte entschieden, dass europarechtliche Vorgaben die Bekanntgabe der Bewertungsmethode vor Angebotsabgabe nicht fordern. Nach Auffassung des OLG Düsseldorf lässt sich nicht feststellen, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie 204/18/EG über die Transparenzanforderungen des europäischen Rechts hinausgehen wollte.

c) Aus dem Umstand, dass der EuGH bereits die Veröffentlichung der Bewertungsmethode nicht fordere, ergebe sich zweifelsfrei, dass es einem Bieter auch nicht im Vorhinein möglich sein müsse, zu erkennen, welchen bestimmten Erfüllungsgrad sein Angebot auf der Grundlage der Zuschlagskriterien erreichen muss, um mit einer bestimmten Notenstufe oder Punktzahl eines Notensystems bewertet zu werden. Das gelte auch für den Fall, dass den Bietern die Bewertungsmethode vorab bekannt gegeben worden sei.

d) Zwei Punkte sind weiterhin zu beachten: Die Bekanntgabe der Bewertungsmethode dürfe erstens nicht zu einer Irreführung der Bieter führen, die Leistungsbeschreibung, die Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung müssten hinreichend klar bleiben, so das OLG Düsseldorf. Zweitens sei die Wertungsentscheidungen daraufhin zu überprüfen, ob das vorgeschriebene Verfahren für die Bewertung eingehalten und der Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt werde sowie die von der Vergabestelle selbst aufgestellten Vorgaben beachte und keine sachwidrigen und gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßenden Erwägungen angestellt werden. Es findet also eine ex-post-Überprüfung der Bewertungsentscheidung statt.

Da die vorgenannten Punkte nach Auffassung des OLG Düsseldorf im entschiedenen Fall eingehalten wurden, hat es auch die Wertungsentscheidung nicht beanstandet.

e) Auch mit den übrigen Rügen drang die Antragstellerin nach Auffassung des OLG Düsseldorfs nicht durch. Von einer Darstellung wird hier abgesehen.

Rechtliche Würdigung

1. In erfrischender Klarheit schließt sich das OLG Düsseldorf der Rechtsprechung des EuGH und der Auffassung verschiedener Stimmen aus der Literatur (vgl. nur in Vergabeblog.de: Neusüß vom 04/12/2016, Nr. 28130 und vom 21/08/2016, Nr. 27080 sowie Ortner, vom 25/09/2016, Nr. 27344) zu den daraus für das nationale Recht zu ziehenden Konsequenzen an. Das OLG Düsseldorf kompensiert fehlende Anforderungen an den Erfüllungsgrad auch nicht durch höhere Anforderungen an die Konkretisierung der Zuschlagskriterien, sondern weist den Nachprüfungsantrag im Ergebnis ab.

2. Leider beschränkt das OLG Düsseldorf seine Aussagen ausdrücklich auf das außer Kraft getretene Vergaberecht. Ob und gegebenenfalls inwieweit sich nach Auffassung des OLG Düsseldorf aus der Dimarso-Entscheidung des EuGH auch Konsequenzen für das geltende Vergaberecht ergeben, bleibt damit offen.

3. Nach Auffassung des Verfassers ist eine Übertragung der Dimarso-Entscheidung auf das geltende Vergaberecht zwar nicht zwingend, im Ergebnis aber geboten (vgl. dazu bereits Neusüß, Vergabeblog.de vom 04/12/2016, Nr. 28130):

a) Die Richtlinie 2014/24/EU und das neugefasste GWB sehen Anforderungen an Zuschlagskriterien vor, die im bisherigen Recht nicht enthalten waren. In Art. 67 Abs. 4 2014/24/EU heißt es:

Die Zuschlagskriterien dürfen nicht zur Folge haben, dass dem öffentlichen Auftraggeber uneingeschränkte Wahlfreiheit übertragen wird. Sie müssen die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleisten und mit Spezifikationen einhergehen, die eine wirksame Überprüfung der von den Bietern übermittelten Informationen gestatten, damit bewertet werden kann, wie gut die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Im Zweifelsfall nehmen die öffentlichen Auftraggeber eine wirksame Überprüfung der Richtigkeit der von den Bietern beigebrachten Informationen und Nachweise vor.

Umgesetzt wird diese Regelung in §  127 Abs. 4 GWB:

Die Zuschlagskriterien müssen so festgelegt und bestimmt sein, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Lassen öffentliche Auftraggeber Nebenangebote zu, legen sie die Zuschlagskriterien so fest, dass sie sowohl auf Hauptangebote als auch auf Nebenangebote anwendbar sind.

Das OLG Düsseldorf könnte eine Fortsetzung der Schulnotenrechtsprechung  unter dem neuen Vergaberecht  also mit einer Änderung der Richtlinie und des GWB rechtfertigen, wenn die Feststellungen des EuGH zum alten Recht auf das neue Recht nicht übertragbar wären.

b) Es spricht allerdings viel dafür, dass Art. 67 Abs. 4 2014/24/EU und nachfolgend §  127 Abs. 4 GWB nur die bisherige Rechtsprechung des EuGH kodifizieren und damit keine Rechtsänderung bewirken. So hat der EuGH bereits zum alten Recht festgestellt, dass es für die Vergabestelle möglich sein muss, die Erfüllung von Zuschlagkriterien effektiv zu kontrollieren und das die Transparenzpflicht dazu dient, die Gefahr von willkürlichen Entscheidungen zu verhindern (EuGH, Urteil vom 06. November 2014 C-42/13, Rn. 44, juris; EuGH, Urteil vom 04. Dezember 2003 C-448/01, Rn 52, juris).

Auch die Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs hat der EuGH bereits aus dem Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsgrundsatz abgeleitet (Vgl. nur EuGH, Urteil vom 29. April 2004 C-496/99 P, Rn. 108ff., juris).
Aus den neuen Regelungen ergeben sich daher keine Anforderungen, die nicht vom EuGH in der TNS-Dimarso-Entscheidung bereits zu berücksichtigen waren.

Im Übrigen sieht auch die neue Rechtslage keine Pflicht zur Veröffentlichung der Bewertungsmethode, sondern ausdrücklich nur eine Pflicht zur Veröffentlichung der Zuschlagskriterien und ihrer Gewichtung vor, vgl. Art. 67 Abs. 5 Richtlinie 2014/24/EU und §  127 Abs. 5 GWB. Auf die nahezu gleichlautende Vorgängerregelung stellte der EuGH in der TNS-Dimarso-Entscheidung maßgeblich ab.

c) Im Ergebnis ist dem OLG Düsseldorf eine einfache Fortsetzung der Schulnotenrechtsprechung nach dem TNS-Dimarso-Urteil des EuGH auch unter dem neuen Vergaberecht verwehrt.

4. Durch den ausdrücklichen Hinweis, dass sich die hier besprochene Entscheidung des OLG Düsseldorf auf das außer Kraft getretene Recht bezieht, hält sich das OLG Düsseldorf aber die Option offen, in geeigneten Fällen die Schulnotenrechtsprechung unter dem neuen Vergaberecht wieder aufzunehmen und insbesondere zu fordern, dass es einem Bieter im Vorhinein möglich sein muss zu erkennen, welchen bestimmten Erfüllungsgrad sein Angebot auf der Grundlage der Zuschlagskriterien erreichen muss, um mit einer bestimmten Notenstufen oder Punktzahl eines Notensystems bewertet zu werden. Rechtssicherheit besteht also weiterhin nicht.

Praxistipp

1. Absolut rechtssicher ist weiterhin nur ein Vergabeverfahren, das der nur für das alte Vergaberecht aufgegebenen Schulnotenrechtsprechung des OLG Düsseldorf weiterhin folgt und in dem daher die Bewertungsmethode einschließlich einer konkreten Beschreibung des Erfüllungsgrads den Bietern vorab bekannt gegeben wird.

2. Gerade bei funktionalen Ausschreibungen sollten aber die Einschränkungen und der Mehraufwand durch Beachtung der Schulnotenrechtsprechung gegen die verbleibenden, nunmehr deutlich geringeren rechtlichen Risiken abgewogen werden. Insbesondere wenn der Erfüllungsgrad nach dieser Abwägung nicht weiter konkretisiert werden soll, ist besonderes Augenmerk auf die Ausgestaltung der Zuschlagskriterien zu richten, um den (strengen) Anforderungen der Rechtsprechung zu genügen.

3. Weiterhin muss nach wohl einhelliger Auffassung die Bewertungsmethode jedenfalls vor Wertung der Angebote feststehen, auch wenn sie nicht bekannt gemacht wird, soweit der Einzelfall keine Abweichung aus besonderen Gründen rechtfertigt. Dies ist in den Vergabeunterlagen zu dokumentieren.

The post OLG Düsseldorf gibt seine Schulnotenrechtsprechung in wichtigen Punkten auf – vorerst! (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.03.2017 – VII-Verg 39/16) appeared first on Vergabeblog.

Vier ist nicht gleich fünf (VK Thüringen, Beschl. v. 04.10.2016 – 250-4002-7017/2016-N-010-GRZ)

0
0
BauleistungenRecht

Das Leistungsbestimmungsrecht des öffentlichen Auftraggebers ist eine der Stellschrauben des Vergaberechts, derer sich der Auftraggeber bedienen kann, um das Vergabeverfahren inhaltlich zu gestalten. Dennoch ist diese eingeräumte Freiheit mit Bedacht einzusetzen. Einmal festgelegte Mindestanforderungen dürfen nach Ablauf der Angebotsfrist nicht mehr ohne weiteres geändert werden.

§§ 19, 1 ThürVgG, §§ 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. b, 13 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 5 VOB/A – 1. Abschnitt 2012.

Sachverhalt

Zur Modernisierung u.a. der Küchentechnik der Landesfeuerwehrschule wurden zwei Multifunktionsgargeräte mit ergonomisch angeordneter elektronischer Steuerung über ein Tastenfeld oder Touch-Paneel in geeigneter Ausführung und Stabilität nach VOB/A, 1. Abschnitt ausgeschrieben. Beide Geräte sollen über einen Multi-Kerntemperaturfühler mit mind. 5 Messpunkten verfügen.

Die „Beschwerdeführerin“ gab fristgerecht ein Angebot ab und lag nach Submission auf Platz 4 mit einem preislichen Abstand von +7,05 %-Punkten zur Erstplatzierten. Das Angebot enthielt jedoch in zwei Positionen Rechenfehler, so dass nach rechnerischer Korrektur das Angebot von Platz 4 auf Platz 5 abfiel, bei einem preislichen Abstand zum Bestbieter von nunmehr 523 %-Punkten.

Bezuschlagt werden sollte ein Angebot der Erstplatzierten. Die von ihr angebotenen Kombidämpfer verfügen allerdings über (nur) 4 statt 5 Messpunkte. Dies sei nach ihrem Vortrag allerdings unschädlich, da die von ihr angebotenen Dampfgarer im Ergebnis gleichwertig seien und identische Garergebnisse erzielt werden könnten.

Die Zuschlagsentscheidung rügte die nunmehr 5-platzierte Bieterin gegenüber dem Auftraggeber. Der Auftraggeber, der der Rüge nicht abhelfen wollte, ist gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 ThürVgG verpflichtet, die Vergabeakte zur Entscheidung über die Rüge an die Vergabekammer weiterzuleiten. Auf diesem Wege findet nach dem Landesvergaberecht eine Überprüfung durch die Vergabekammer auch im Unterschwellenbereich statt.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg!

Die Vergabekammer erkennt in dem Angebot der Erstplatzierten zwar eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen, die zum zwingenden Ausschluss des Angebotes gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. b VOB/A-2012 i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-2012 führe, ein Zuschlag auf das Angebot der Beschwerdeführerin käme aber wegen des unangemessen hohen Preises nach § 16 Abs. 6 Nr. 1 VOB/A-2012 nicht in Betracht.

Da es sich um eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen handele, habe die Vergabekammer eine mögliche Gleichwertigkeit des Kombigeräts zu zwei autarken Geräten nicht zu prüfen. Sofern von der Erstplatzierten vorgetragen wird, dass in der Praxis identische Garergebnisse erreicht werden könnten, komme es hierauf nicht an. Durch die Festlegung, dass die „Multikerntemperaturfühler mit mind. 5 Messpunkten“ ausgestattet sein müssen, hat der Auftraggeber eine zwingend zu erreichende Mindestbedingung in die Vergabeunterlagen eingeführt. Die Vergabekammer überprüfe daher „nur die Einhaltung des dem Auftraggeber eröffneten Beurteilungsspielraumes. Dieser wurde vorliegend durch die unrechtmäßige Wertung des Angebotes der Fa. …, in welchem ein konkret geforderter Mindestwert nicht erreicht wurde, überschritten.“

Hinsichtlich der im Angebot der Beschwerdeführerin enthaltenen Rechenfehler, verweist die Vergabekammer auf die Auslegungsregel des § 16 Abs. 4 Nr. 1 VOB/A-2012 (§ 16c Abs. 2 Nr. 1 VOB/A-2016), wonach der Einheitspreis maßgebend ist, wenn der Gesamtbetrag einer Ordnungszahl (Position) nicht dem Ergebnis der Multiplikation von Mengenansatz und Einheitspreis entspricht. Danach wurde die rechnerische Korrektur des Angebots der Beschwerdeführerin vergaberechtskonform vorgenommen. Die Korrektur des Einheitspreises sei wegen des bestehenden Verhandlungsverbotes in § 15 Abs. 3 VOB/A-2012 nicht möglich.

Die Angebotswertung ist danach unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer vom Auftraggeber zu wiederholen.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung der Vergabekammer Thüringen vermag nur in Teilen zu überzeugen.

Sofern die Vergabekammer hier von einem Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers hinsichtlich des Vorliegens von zwingenden Ausschlussgründen (§ 16 VOB/A) ausgeht, der durch eine unrechtmäßige Wertung des Angebots der Bestplatzierten überschritten wurde, ist dem zu widersprechen. § 16 Abs. 3 VOB/A, der einleitend formuliert „ausgeschlossen werden“, räumt dem Auftraggeber gerade keinen Beurteilungsspielraum ein, der von der Nachprüfung nur auf richtige Tatsachenermittlung zu überprüfen wäre.

Die Vergabekammer geht weiter davon aus, dass das von der Leistungsbeschreibung abweichende Angebot der Erstplatzierten eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen darstelle. Dabei verkennt die Kammer allerdings, dass der Bestplatzierte eine von der Beschreibung (mind. 5 Messpunkte) abweichende Leistung (mit lediglich 4 Messpunkten) anbietet. Dabei handelt es sich um ein technisches Nebenangebot, welches bei Nichtzulassung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe e VOB/A-2012 (§ 16 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-2016) auszuschließen wäre. Denn der Bieter, der eine andere als vom Auftraggeber nachgefragte Leistung anbietet, unterbreitet ein Nebenangebot (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09. März 2011 – VII-Verg 52/10).

Gem. § 8 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A sind Nebenangebote im Anwendungsbereich der VOB/A grundsätzlich zuzulassen. Mindestanforderungen sind im Anwendungsbereich der VOB/A – 1. Abschnitt nicht erforderlich (BGH, Urt. v. 30.08.2011 – X ZR 55/10). Ob im vorliegendem Fall Nebenangeboten vom Auftraggeber ausgeschlossen wurden, ist weder dem Sachverhalt noch den Entscheidungsgründen zu entnehmen. Waren Nebenangebote nicht zuzulassen, ergibt sich im Ergebnis jedoch keine Abweichung zur Entscheidung der VK. Nicht zugelassene Nebenangebote sind von der Wertung zwingend auszuschließen, § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. e VOB/A (§ 16 Abs. 1 Nr. 6 VOB/A-2016). Ein Beurteilungsspielraum des Auftraggebers besteht in diesem Falle gerade nicht. Waren Nebenangebote zugelassen, wäre zu prüfen gewesen, ob und welche Anforderungen vom Auftraggeber an die Nebenangebote gestellt wurden und ob eine Gleichwertigkeit angenommen werden kann oder nicht. Wäre die Vergabekammer zu dem Ergebnis gekommen, dass die Mindestanforderung von 5 Messpunkten auch für Nebenangebote gilt, wäre eine entsprechende Klarstellung notwendig gewesen. Da die Vergabekammer das Nebenangebot jedoch als unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen gedeutet hatte, war über diesen Punkt nicht zu entscheiden.

Gelackmeiert ist im vorliegenden Fall nicht nur die bestplatzierte Bieterin, sondern auch die Beschwerdeführerin selbst. Die Vergabekammer gibt dem Auftraggeber auf, die Wertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen. Nach dieser kann der Zuschlag jedoch weder auf das Angebot der Bestbieterin, wegen (bestreitbarer) Änderungen der Vergabeunterlagen, noch auf das Angebot der Beschwerdeführerin, wegen eines unangemessen hohen Preises, erteilt werden.

Der Tenor der Vergabekammer, wonach das Vergabeverfahren des Auftraggebers als rechtswidrig beanstandet wird, ergeht mangels Schaden der Beschwerdeführerin im Wege einer allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle. Die Nachprüfung dient aber nur der Überprüfung daraufhin, ob der betroffene Bieter in seinen Rechten verletzt wurde und dies geeignet war, die Chancen auf Erlangung des Auftrages zu beeinträchtigen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Dezember 2015, VII-Verg 24/15; Beschluss vom 17. Februar 2010, VII-Verg 51/09). § 19 Abs. 2 ThürVgG, der hier als Grundlage für die Nachprüfung heranzuziehen ist, gibt nichts Anderes her.

Praxishinweis

Die in ihrer Begründung streitbare Entscheidung der Vergabekammer zeigt im Kern allerdings ein in der Praxis häufig anzutreffendes Problem auf. Was passiert, wenn die Stellschrauben des Auftraggebers in einem Vergabeverfahren (Leistungsbeschreibung, Eignungs- und Zuschlagskriterien) etwas zu straff angezogen wurden.

Wenn der Auftraggeber, wie vorliegend, zwei autarke Küchengeräte ausschreibt und erst im Rahmen der Angebotswertung feststellt, dass zwei zentral gesteuerte Geräte ebenso zufriedenstellend funktionieren und dabei auch noch günstiger sind, erfolgt diese Feststellung grundsätzlich zu spät. Eine Änderung des Beschaffungsgegenstands erscheint zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich zu spät und nicht mehr möglich. Folgt man jedoch der ebenfalls im Unterschwellenbereich ergangenen Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (Urt. v. 13.01.2010, Az. I-27 U 1/09), könnte der Auftraggeber die Leistung ändern und alle an der Vergabe beteiligten Bieter auffordern, ein neues, aktualisiertes Angebot abzugeben. So könnte vermieden werden, dass der öffentliche Auftraggeber etwas beschaffen muss, woran er in dieser Form gar kein Interesse mehr hat. Nach den vergaberechtlichen Grundsätzen sind Änderungen zulässig, sofern diese in einem transparenten Verfahren und diskriminierungsfrei geschehen.

Eine Alternative bietet die konsequente Zulassung von Nebenangeboten. Hier hätte auch nach Überzeugung des Auftraggebers bei Zulassung von Nebenangeboten eine gleichgeeignete Beschaffung zu günstigeren Konditionen erfolgen können.

 

The post Vier ist nicht gleich fünf (VK Thüringen, Beschl. v. 04.10.2016 – 250-4002-7017/2016-N-010-GRZ) appeared first on Vergabeblog.

Zum Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte bei fehlerhafter Zurückversetzung des Verfahrens (LG Frankfurt/M. , Urt. v. 21.12.2016, 2-04 O179/16)

0
0
BauleistungenRecht

Auch unterhalb der Schwelle hat der Bieter einen Unterlassungsanspruch, wenn der Auftraggeber Schutzpflichten aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis verletzt. Die Tatsache, dass Bieter am Submissionstermin nicht teilnehmen können, ist kein beachtlicher Fehler, der eine Zurückversetzung des Verfahrens erfordert.

§§ 241 Abs. 2, 280, 311 Abs. 2 BGB; § 14 Abs. 1, S. 1 VOB/A 2016

Leitsätze

  1. Durch die Beteiligung an einer öffentlichen Ausschreibung kommt zwischen Bieter und Auftraggeber ein vorvertragliches Schuldverhältnis zustande, das wechselseitige Schutz- und Rücksichtnahmepflichten begründet.
  2. Verletzt der Auftraggeber Schutzpflichten aus diesem vorvertraglichen Schuldverhältnis, steht dem Bieter ein Unterlassungsanspruch zu, der im Bereich des Unterschwellenvergaberechts im Wege einer einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden kann.
  3. Der Auftraggeber verletzt seine gegenüber dem Bieter bestehende Schutzpflicht, ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren durchzuführen, wenn er das Verfahren nach der ersten Submission vergaberechtswidrig zurückversetzt und wiederholt.
  4. Dass die Bieter an dem Submissionstermin nicht teilnehmen können, ist kein beachtlicher Fehler, der eine Zurückversetzung des Verfahrens erfordert.

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte einen Bauauftrag gemäß VOB/A unterhalb der Schwelle öffentlich ausgeschrieben. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Drei Bieter hatten ein Angebot abgegeben und wollten an der Submission teilnehmen, wobei ihnen ein nicht informierter Wachdienst am Eingang den Zugang verwehrte, sie an der Öffnung der Angebote daher nicht teilnehmen konnten. Bieter A hatte das preisgünstigste Angebot abgegeben. Bieter B legte darauf Widerspruch gegen den Submissionstermin ein, worauf der AG die Ausschreibung in den Stand vor Angebotsabgabe zurückversetzte. Bieter A rügte dies, gab ein neues Angebot ab und war in der zweiten Wertungsrunde zweitgünstigster Bieter. Auf Antrag des A erließ darauf das Landgericht (LG) eine einstweilige Verfügung, mit der dem AG untersagt wurde, im Rahmen der Ausschreibung einen Vertrag abzuschließen. Dagegen wehrte sich der AG mit einem Widerspruch.

Die Entscheidung

Das LG gibt hier Bieter A Recht. A hat hier gegen den AG aus vorvertraglichem Schuldverhältnis gem. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 BGB einen Verfügungsanspruch auf Unterlassen eines vergaberechtswidrigen Vertragsschlusses. Die hier vorliegende Tatsache, dass die Vergabestelle die Bieter an der Teilnahme am Submissionstermin gehindert hat, stellt keinen vergaberechtlichen Fehler dar, weil eine solche nicht notwendig und die Einsichtnahme in die Niederschriften der Submission erfolgt war.

Rechtliche Würdigung

Ein Unterlassungsanspruch aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 BGB besteht, wenn Schutzpflichten aus einem vorvertraglichem Schuldverhältnis verletzt werden. Der AG hat diese Schutzpflicht gegenüber A, ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren nach den Regeln der VOB/A durchzuführen, verletzt, indem er das Verfahren nach der ersten Submission vergaberechtswidrig zurückversetzt und wiederholt hat. Ein Aufhebungsgrund nach § 17 VOB/A, welcher für die Zurückversetzung entsprechend gilt und eine solche rechtfertigen kann, liegt nicht vor. Insbesondere besteht kein schwerwiegender Grund im Sinne von § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A. Für die Annahme eines schwerwiegenden Grundes ist ein strenger Maßstab anzusetzen. Nicht jedes rechtlich oder tatsächlich fehlerhafte Verhalten der Vergabestelle reicht dafür aus. Vielmehr muss der Fehler von so großem Gewicht sein, dass ein Festhalten des öffentlichen Auftraggebers an dem fehlerhaften Verfahren mit Gesetz und Recht schlechterdings nicht zu vereinbaren ist. Eine Nicht-Teilnahme der Bieter am Submissionstermin kann lediglich dann einen schwerwiegenden Verfahrensfehler begründen, wenn die Vergabestelle die Bieter an der Teilnahme hindert oder sie ihnen gar nicht erst ermöglicht. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. In der Nicht-Teilnahme der Bieter an dem Submissionstermin liegt mangels Notwendigkeit der Teilnahme sowie der erfolgten Einsichtnahme in die Niederschriften der Submission bereits kein vergaberechtlicher Fehler vor, dessen Behebung durch Zurückversetzung des Verfahrens erforderlich gewesen ist. Die Verwirklichung des Unterlassungsanspruchs des A gegen den AG, keinen vergaberechtswidrigen Vertrag zu schließen, ist dadurch gefährdet, dass es dem AG seit dem zweiten Submissionstermin jederzeit möglich ist, einen Vertragsabschluss mit dem neuen Bestbieter oder einem anderen Bieter herbeizuführen. Letzterer würde die Zuschlagserteilung und damit die Beendigung des Vergabeverfahrens bedeuten. A hat hier durch seine Rüge der Zurückversetzung und Wiederholung des Verfahrens noch vor dem zweiten Submissionstermin rechtzeitig die ihm drohende Verletzung angezeigt. Insbesondere ist sein zu sicherndes Recht, das sich aus Abgabe des ersten Angebots ergibt, nicht durch Abgabe des neuen Angebots im zweiten Submissionsverfahren erloschen.

Praxistipp

Eine auch insofern interessante Entscheidung, als sie einen Fall des Rechtsschutzes unterhalb der Schwellenwerte betrifft. Entscheidend war hier, dass Bieter A umgehend vor dem zweiten Submissionstermin gerügt und noch vor dem Zuschlag im zweiten Verfahren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt hat. Das LG hat hier deutlich festgestellt, dass mit der Nichtteilnahmemöglichkeit am Submissionstermin zwar ein Fehler des AG vorlag, aus diesem jedoch die Bieter keinen bieterschützenden Anspruch ableiten können. Dies hat der AG hier verkannt und mit der Zurückversetzung und Wiederholung des Verfahrens die Angelegenheit insoweit verschlimmbessert, als nun tatsächlich eine Vergaberechtswidrigkeit vorlag, die dem Bieter A einen durchsetzbaren Unterlassungsanspruch gab.

The post Zum Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte bei fehlerhafter Zurückversetzung des Verfahrens (LG Frankfurt/M. , Urt. v. 21.12.2016, 2-04 O179/16) appeared first on Vergabeblog.


Das Ende der Aufgreifschwellen? Oder: Wann muss der Angebotspreis aufgeklärt werden? (EuG, Urt. v. 26.01.2017 – T-700/14 TV1/Kommission)

0
0
Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

Ein ungewöhnlich/unangemessen niedriges Angebot darf nicht bezuschlagt werden. Das regeln die § 60 Abs. 3 VgV und § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A. Erscheint der Preis eines Angebotes deshalb ungewöhnlich/unangemessen niedrig, so muss der Auftraggeber vom Bieter Aufklärung verlangen und es näher prüfen (§ 60 Abs. 1 und 2 VgV, § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A). Hierfür haben weite Teile der deutschen Vergaberechtsprechung sog. „Aufgreifschwellen“ entwickelt, bei deren Erreichen der Auftraggeber verpflichtet ist, den Angebotspreis eingehend aufzuklären und zu prüfen. Einem ähnlichen Vergaberegime unterliegen auch Beschaffungen der Europäischen Kommission: Scheint ein Angebot ungewöhnlich niedrig zu sein, so muss die Kommission vor Ablehnung eines Angebotes die einzelnen Positionen des Angebotes aufklären. Auch hier ist also die Frage zu beantworten, wann ein Angebotspreis ungewöhnlich niedrig ist und aufgeklärt werden muss. Die Entscheidung des EuG vom 26.01.2017 ist nicht nur wegen dieser vergleichbaren Rechtslage, sondern auch wegen des jüngsten Urteils des BGH vom 31.01.2017 X ZB 10/16 (Anm. d. Red.: siehe dazu die ausführliche Besprechung auf  ) zur Prüfung der Preisbildung von allgemeinem Interesse.

§ 60 VgV, § 16d EU Abs. 1 VOB/A

Leitsatz

Der bloße Umstand, dass der Preis des Angebotes des erfolgreichen Bieters niedriger ist als der des aktuellen Auftragnehmers, kann als solcher nicht belegen, dass das Angebot des erfolgreichen Bieters ungewöhnlich niedrig ist (Rdnrn. 58, 59).

Sachverhalt

Die Kommission hat für den Fernseh- und Informationsdienst Europe by Satellite integrierte Dienstleistungen für die audiovisuelle Produktion, Verbreitung und Archivierung europaweit in vier Losen ausgeschrieben. Auf das Los, das Dienste für Streaming, Komprimierung, Hosting und Bereitstellung von Inhalten zum Gegenstand hatte, gab die bei München ansässige TV1 GmbH erfolglos ein Angebot ab. Gegen die Beauftragung des um 11% günstigeren Konkurrenten rief die TV1 GmbH das europäische Gericht an und begründete ihre Klage u.a. damit, dass das um 40% unter dem geschätzten Auftragswert liegende Angebot des erfolgreichen Bieters ungewöhnlich niedrig und keine nähere Aufklärung erfolgt sei, weshalb das Angebot auszuschließen gewesen wäre. Der Sachverhalt lässt allerdings offen, ob das Angebot der TV1 GmbH auch preislich zweitplatziert war.

Die Entscheidung

Die europäischen Richter erinnern zunächst daran, dass nach der EuGH-Rechtsprechung (Urt. v. 18.12.2014 C-568/13 Data Medical Service, Rdnr. 50) ein ungewöhnlich niedriges Angebot im Verhältnis zu den Einzelposten des Angebotes und zur betreffenden Leistung zu beurteilen ist. Dementsprechend können insoweit auch alle im Hinblick auf die fragliche Leistung maßgeblichen Umstände bei der Preisprüfung berücksichtigt werden (Rdnr. 37). Zudem weist das Gericht allgemein darauf hin, dass ein Bieter nicht ausgeschlossen werden darf, wenn er keine Gelegenheit hatte, den Inhalt seines ungewöhnlich niedrig scheinenden Angebotes zu rechtfertigen: Wenn Zweifel an der Verlässlichkeit des Bieters bestehen, insbesondere an seiner ordnungsgemäßen Auftragserfüllung, dann besteht die Verpflichtung zur Aufklärung (Rdnr. 40).

Den klägerischen Einwand, der erfolgreiche Angebotspreis lag um 40% unter dem geschätzten Auftragswert und begründe deshalb eine Aufklärungspflicht der Kommission, hat das Gericht zurückgewiesen (Rdnr. 46). Die Richter hielten nämlich die kommissarische Verteidigung für plausibel, dass bei der Auftragswertschätzung der unstrittige Preisrückgang für die nachgefragten Leistungen nicht berücksichtigt war. Ein solcher Umstand darf bei der Preisprüfung später noch berücksichtigt werden (Rdnr. 54). Außerdem lagen alle Preisangebote unter dem geschätzten Jahresbudget (Rdnr. 49), weshalb das Gericht insoweit keinen Anhaltspunkt für eine preisliche Aufklärungspflicht feststellte.

Die zweite Rüge, der Preisabstand von 11% zwischen den beiden Angeboten des erfolgreichen Bieters und der möglicherweise zweitplatzierten – TV1 GmbH begründe ein aufklärungspflichtiges ungewöhnlich niedriges Angebot, hielten die Unionsrichter ebenfalls für unbegründet (Rdnr. 76). Der bloße Umstand, dass der Preis des Angebotes des erfolgreichen Bieters niedriger ist als der des Angebotes eines anderen Bieters, kann nicht belegen, dass das erstgenannte Angebot ungewöhnlich niedrig ist (Rdnr. 58). Das gilt auch für den Fall, dass der erfolgreiche Bieter billiger offeriert als der derzeitige Leistungserbringer (Rdnr. 59). Vielmehr hat die TV1 GmbH nichts weiter dafür vorgetragen, das ein ungewöhnlich niedriges Angebot in diesem besonderen Leistungssektor begründet hätte (Rdnr. 60). Das weitere klägerische Vorbringen, die nachgefragten Leistungen würden erhebliche Investitionen in die Infrastruktur erfordern, hat das Gericht angesichts der Größe und Erfahrungen des erfolgreichen Bieters ebenfalls zurückgewiesen, weil es ist nicht auszuschließen ist, dass ein solches Unternehmen über einen gewissen Teil der nötigen Infrastruktur selbst verfügt (Rdnr. 66). Auch der Einwand, der bezuschlagte Bieter sei nicht imstande gewesen, das ausgeschriebene System innerhalb der vorgesehenen Zeit einzurichten, hielten die Unionsrichter schon für deshalb unbegründet, weil es sich um einen zeitlich nach der Vergabeentscheidung eingetretenen Umstand handelt (Rdnr. 70 ff.). Schlussendlich konnten die von der TV1 GmbH geltend gemachten Umstände nicht belegen, dass das Angebot des erfolgreichen Bieters ungewöhnlich niedrig war und daher hätte aufgeklärt werden müssen (Rdnr. 75).

Die Kommission war deshalb nach Ansicht der Unionsrichter im Ergebnis nicht verpflichtet gewesen, den bezuschlagten Bieter zu näheren Angaben aufzufordern, weil weder sein Angebot noch die Begleitumstände Zweifel an seiner Verlässlichkeit hervorgerufen haben (Rdnrn. 77, 87).

Rechtliche Würdigung

Die Verpflichtung öffentlicher Auftraggeber zur Preisaufklärung ungewöhnlich niedriger Angebote hat der EuGH erstmals bei der Baukoordinierungs-RL 71/305 bestätigt: Wenn das Angebot eines Bieters nach Auffassung des öffentlichen Auftraggebers im Verhältnis zu den zu erbringenden Leistungen offensichtlich ungewöhnlich niedrig ist, muss der Bieter vor der Vergabe des Auftrages aufgefordert werden, einen Beleg für sein Preisangebot beizubringen, oder ihm muss unter angemessener Fristsetzung die Möglichkeit eingeräumt werden, zusätzliche Angaben zu treffen (EuGH, Urt. v. 10.02.1982 C-76/81 Transporoute, Rdnr. 18). Schon damals stand die Ermittlung des zweifelhaften Angebotes am Anfang einer effektiven kontradiktorischen Erörterung zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem Bieter (EuGH, Urt. v. 27.11.2001 C-285/99 u. C-286/99 Lombardini und Mantovani, Rdnr. 57).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung könnte das Urteil des EuG rechtliche Zweifel an der Zulässigkeit von Aufgreifschwellen bei der Preisprüfung streuen. Denn die richterlichen Entscheidungsgründe könnten so zu verstehen sein, dass dem bloßen Preisabstand zwischen Angeboten und somit Aufgreifschwellen, ganz gleich in welcher prozentualen Höhe, keine besondere Bedeutung für die Frage beigemessen wird, ob ein Angebot ungewöhnlich/unangemessen niedrig und deshalb näher aufzuklären ist. Die vom BGH noch nicht entschiedene Streitfrage, ob die Aufgreifschwelle immer erst bei einem Preisabstand von 20% zum nächsthöheren Angebot erreicht ist oder schon bei über 10% eingreift, kann deshalb möglicherweise obsolet erscheinen. Gleiches könnte dafür gelten, dass ein ungewöhnlich/unangemessen niedriger Preis nach dem BGH nicht nur anhand eines signifikanten Abstandes zum nächstgünstigen Angebot in demselben Vergabeverfahren festgestellt werden kann, sondern auch bei augenfälliger Abweichung von in vergleichbaren Ausschreibungen oder sonst erfahrungsgemäß geforderten Preisen.

Für die Beschaffungspraxis sind Aufgreifschwellen aber ein praktikabler Maßstab, um schnell und einfach feststellen zu können, ob ein nähere Preisprüfung/-aufklärung erfolgen muss oder nicht. Die vom europäischen Gericht zum Vorliegen von Zweifeln an der Verlässlichkeit des Angebots geforderte Berücksichtigung aller für die ausgeschriebenen Leistungen maßgeblichen Umstände könnte einerseits gegen starre Aufgreifschwellen sprechen. Andererseits weist das europäische Gericht ausdrücklich darauf hin, dass öffentlichen Auftraggebern auch bei der preislichen Aufklärung ein weites Ermessen zusteht (Rdnr. 44), was eben auch für die Zulässigkeit von Aufgreifschwellen streiten kann. Dafür spricht ferner, dass der EuGH die Mitgliedsstaaten und insbesondere die öffentlichen Auftraggeber für befugt hält, auf welche Weise eine Ungewöhnlichkeitsschwelle für ein ungewöhnlich niedriges Angebot zu errechnen ist (EuGH, Urt. v. 18.12.2014 C-568/13 Data Medical Service, Rdnr. 49). Für eine einheitliche Rechtsanwendung und höhere Rechtssicherheit wäre es daher wünschenswert, wenn bspw. der Bundesgesetzgeber differenzierte Aufgreifschwellen oder eine Berechnungsmethode bestimmt, um die Pflicht zur preislichen Aufklärung näher festzulegen.

Ausdrücklich offen gelassen haben die Unionsrichter allerdings die Frage, ob die TV1 GmbH überhaupt klagebefugt war (Rdnr. 88). Hierzu hat der BGH in seinem Urteil vom 31.01.2017 (X ZB 10/16) festgestellt, dass jeder Bieter nach § 97 Abs. 6 GWB einen Rechtsanspruch auf Einhaltung der preisprüfungsrelevanten Bestimmungen hat, ganz gleich, ob bspw. die Gefahr besteht, dass der zu vergebende Auftrag infolge der Preisbildung nicht ordnungsgemäß ausgeführt werden kann. Insoweit ist mit dem BGH übereinzustimmen, dass ein Bieter z.B. zur Frage der ordnungsgemäßen Auftragsausführung des Konkurrenten in der Regel nichts Konkretes vortragen kann, weil dies Einblicke in dessen unternehmerische Sphäre voraussetzen würde, über die er normalerweise nicht verfügt.

Praxistipp

Ob und welche Schlüsse der EuGH aus den rechtlichen Ausführungen des EuG zur Aufklärung ungewöhnlich niedriger Preisangebote folgern könnte, bleibt abzuwarten. Denn die vom EuG gewürdigten Regelungen zur Preisprüfung sind zwar zu den entsprechenden Vorschriften der europäischen Vergaberichtlinien durchaus ähnlich, aber eben auch nicht identisch. Auftraggeber und Bieter sollten sich deshalb weiterhin vor allem an der aktuellen Rechtsprechung zur Höhe der Aufgreifschwellen des BGH und der für sie jeweils zuständigen Vergabesenate und Vergabekammern orientieren.

The post Das Ende der Aufgreifschwellen? Oder: Wann muss der Angebotspreis aufgeklärt werden? (EuG, Urt. v. 26.01.2017 – T-700/14 TV1/Kommission) appeared first on Vergabeblog.

Erneut hohe Substantiierungsanforderungen an Aufhebung eines Vergabeverfahrens wegen fehlender Finanzierbarkeit (VK Sachen-Anhalt, Beschl. v. 19.01.2017 – 3 VK LSA 54/16)

0
0
Recht

Ebenso wie das OLG Celle (Anm. d. Red.: siehe dazu den Beitrag von Herrn Dr. Neusüß in Vergabeblog.de vom 21/04/2016, Nr. 25442) stellt die 3. Vergabekammer Sachsen-Anhalt sehr hohe Anforderungen an eine Verfahrensaufhebung wegen Nichtfinanzierbarkeit.

 

§ 17 Abs. 1 VOB/A, § 20 Abs. 1 VOB/A

Sachverhalt

Die beklagte Vergabestelle schrieb in einer Öffentlichen Ausschreibung nach VOB/A Rekonstruktionsarbeiten an Pumpwerken aus. Zur Submission lag lediglich ein Angebot vor, das der Klägerin.

Bei der Angebotsprüfung stellte die Beklagte fest, dass das Angebot preislich ca. 15% über der Kostenschätzung und 25% über der Kostenfortschreibung des verpreisten LV lag. Daraufhin hob die beklagte Vergabestelle das Verfahren auf. Als Grund gab sie an, dass kein Angebot eingegangen sei, das den Ausschreibungsbedingungen entspricht. Es sei beabsichtigt, eine erneute Öffentliche Ausschreibung durchzuführen.

Die Klägerin beanstandete daraufhin die Nichteinhaltung von Vergabevorschriften. Sie begründete dies wie folgt: Das von ihr abgegebene Angebot sei das einzige und damit das wirtschaftlichste Angebot. Des Weiteren bemängelte die Klägerin das Fehlen einer Begründung für die Entscheidung der Beklagten. Die Beklagte teilte der Klägerin nun mit, dass deren Angebot deutlich über der Kostenschätzung liege und damit unwirtschaftlich sei. Die Klägerin wiederum zweifelt folgend eine ordnungsgemäße Kostenschätzung an und fordert eine Überprüfung durch die Vergabekammer.

Die Entscheidung

Die Klage war insgesamt erfolgreich, die Vergabekammer erklärte die Aufhebung des Verfahrens durch die Beklagte für rechtswidrig aufgrund von Fehlern bei der Entscheidung zur Aufhebung und in der Dokumentation des Verfahrens.

Die Vergabekammer macht zuerst deutlich, dass die Entscheidung zur Aufhebung eines Vergabeverfahrens eine Ermessensentscheidung ist und somit nur überprüft werden kann, ob dieses Ermessen eventuell gar nicht ausgeübt wurde (Ermessensnichtgebrauch) oder ob dem Ermessen ein unvollständiger Sachverhalt bzw. sachwidrige Erwägungen zugrunde liegen (Ermessensfehlgebrauch). Für den Nachweis der korrekten Nutzung des Ermessens muss die ausschreibende Stelle diese Entscheidung sorgfältig und vollständig dokumentieren.

Die Vergabekammer sieht die Aufhebung eines Vergabeverfahrens nur als letzte Möglichkeit an, vor deren Anwendung andere, weniger einschneidende Maßnahmen geprüft werden müssen. Damit setzt die Vergabekammer die Fleißarbeit der Ermessensausübung vor die Entscheidung zur Feststellung einer fehlenden Finanzierung. Benannt wurde ausdrücklich, dass:

  • die Kosten sorgfältig ermittelt werden müssen,
  • diese Ermittlung der Kosten immer nur eine Schätzung darstellt, von der die Angebotspreise deutlich abweichen können und daher auch ein Aufschlag auf die Kostenschätzung berücksichtigt werden muss,
  • versucht werden muss, zusätzliche Mittel einzuwerben.

Die Vergabekammer stellt hier die gleichen hohen Anforderungen an die Voraussetzungen für eine Nichtfinanzierbarkeit, wie sie bereits Herr Dr. Neusüß in seinem o. g. Beitrag zum Beschlusses des OLG Celle dargestellt hat.

Schließlich erklärt die Vergabekammer die Aufhebung des Vergabeverfahrens für rechtswidrig, weil die Vergabestelle weder das ihr zustehende Ermessen ausgeübt hat noch der Vergabevermerk eine Begründung für die Entscheidung zur Aufhebung des Verfahrens enthielt.

Rechtliche Würdigung

Die Vergabekammer Sachsen-Anhalt hat die Aufhebung des Vergabeverfahrens richtig als rechtswidrig eingestuft. Die Aufhebung eines Verfahrens hat immer auch Folgen für die Bieter und soll daher nicht leichtfertig getroffen werden können. Hier die Anforderungen an den Ermessensgebrauch und die Dokumentation des Ermessensgebrauchs hoch anzusetzen, ist deshalb folgerichtig.

Im Einzelnen ist die Forderung nach der Berücksichtigung eines Aufschlages auf die Kostenschätzung dabei nachvollziehbar und praxisnah. Dagegen ist der auch im vorliegenden Verfahren von der Vergabekammer eingeforderte Versuch zur Einwerbung weiterer Mittel zumindest kritisch zu betrachten. Insbesondere wenn Nachverhandlungen mit Banken oder Geldgebern notwendig werden, lässt sich das Vergabeverfahren in der Regel sicherlich nicht mehr kurzfristig abschließen und die Forderung nach einer zügigen Prüfung und Wertung der Angebot (§ 10 Abs. 4 Satz 2 VOB/A) lässt sich kaum noch erfüllen.

Praxistipp

Auftraggeber sind gut beraten, sich bereits bei der Einwerbung der Mittel über evtl. zusätzlich notwendige Mittel Gedanken zu machen. Und zwar nicht nur über Gelder für potentielle Nachträge während der Baumaßnahme, sondern auch über Gelder um mögliche Kostensteigerungen aus den Angebotspreisen gegenüber der Kostenschätzung auffangen zu können. Dies sollte insbesondere für solche fremdfinanzierte Vorhaben die Regel sein, bei der Verhandlungen mit den Geldgebern zeitraubend sein können.

The post Erneut hohe Substantiierungsanforderungen an Aufhebung eines Vergabeverfahrens wegen fehlender Finanzierbarkeit (VK Sachen-Anhalt, Beschl. v. 19.01.2017 – 3 VK LSA 54/16) appeared first on Vergabeblog.

Neues Bauvertragsrecht im BGB ab 01.01.2018

0
0
BauleistungenPolitik und MarktRecht

Bauvergabetag_2Am 31.03.2017 hat der Bundesrat das bereits am 10.03.2017 vom Bundestag verabschiedete „Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts“ (siehe hier) beschlossen. Dieses verankert in den §§ 650 a – 650 v BGB erstmals spezielle gesetzliche Regelungen zum Bauvertrag (§§ 650 a – 650 o), zum Architekten- und Ingenieurvertrag (§§ 650 p – 650 t) und zum Bauträgervertrag (§§ 650 u – 650 v). Die Änderungen treten zum 01.01.2018 in Kraft und betreffen nur Verträge, die ab diesem Tag abgeschlossen werden. Altverträge sind von der Änderung nicht betroffen.

Die Änderungen betreffen nicht nur Regelungen für Verbraucherbauverträge, was ursprünglich erklärtes Ziel des Reformvorhabens war. Die Reform betrifft vielmehr nahezu alle Bau- und Planungsverträge im geschäftlichen Bereich. Vergaberechtlich relevant sind hierbei die Änderungen, welche Abweichungen zu den Regelungen der VOB/B beinhalten. Da die VOB/B dann, wenn öffentliche Auftraggeber die VOB/A anwenden müssen, zu vereinbaren ist, ist die Kenntnis der neuen Rechtslage auch für den Vergabepraktiker unerlässlich. Die insoweit maßgeblichen Änderungen sollen daher im Folgenden kurz angerissen werden:

Änderungen bei der Abnahme

Will der Besteller eine Abnahme wirksam verweigern, muss er nunmehr (mindestens) einen konkreten Mangel rügen, § 640 Abs. 2 BGB n.F. Gegenüber einem Verbraucher muss der Unternehmer auf die Folgen einer nicht erklärten oder ohne Angabe von Mängeln verweigerten Abnahme in Textform hinweisen.
Verweigert der Besteller die Abnahme berechtigt, so hat er dennoch auf Verlangen des Unternehmers an einer gemeinsamen Feststellung des Zustandes des Werkes mitzuwirken. Bleibt der Besteller einem vereinbarten Termin hierzu fern, kann der Unternehmer die Zustandsfeststellung auch einseitig vornehmen, § 650 g BGB.

Gesetzliches Anordnungsrecht / Nachträge

Erstmals wird im BGB normiert, dass der Besteller nach Vertragsschluss Änderungen des vereinbarten Werkerfolges oder Zusatzleistungen, die zur Erreichung des vereinbarten Werkerfolges notwendig sind, verlangen kann, § 650 b BGB. Dieses Anordnungsrecht war bislang allein in der VOB/B vorgesehen. Das Gesetz geht zukünftig einen von der VOB/B stark abweichenden Weg:

Einigung und Anordnung

Begehrt der Besteller eine derartige Änderung, sollen die Vertragsparteien Einvernehmen über die Mehr- oder Mindervergütung anstreben. Der Unternehmer ist im Regelfall verpflichtet, ein Angebot hierüber zu erstellen. Erzielen die Parteien binnen 30 Tagen nach Zugang des Änderungsbegehrens keine Einigung, kann der Besteller die Änderung in Textform (auch per E-Mail) anordnen. Der Unternehmer ist verpflichtet, der Anordnung nachzukommen, sofern ihm die Ausführung zumutbar ist. Über dieses Anordnungsrecht können die Parteien nach Beginn der Bauausführung auch eine einstweilige Verfügung erwirken. Unklar ist, wie sich der Zeitraum zwischen Änderungsbegehren und Änderungsanordnung auf Ansprüche des Unternehmers und auf Vertragsfristen auswirkt.

Höhe der Vergütung

Die Höhe des Vergütungsanspruches ist für die in Folge einer Anordnung des Bestellers vermehrt oder verminderten Aufwand nach den tatsächlich erforderlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen für Allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn zu ermitteln, § 650 c BGB. Der Unternehmer kann zur Berechnung der Vergütung alternativ auf die Ansätze einer vereinbarungsgemäß hinterlegten Kalkulation zurückgreifen, für deren Richtigkeit eine Vermutungsregelung streitet. Auch über die Höhe der Vergütung können die Parteien eine einstweilige Verfügung erwirken, § 650 d BGB.
Hierin liegt eine erhebliche Abweichung von den Regelungen der § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B, welche eine Berechnung der Höhe der Nachtragsforderungen nur auf kalkulatorischer Basis vorsehen.

Behandlung von Abschlagsforderungen

Der Unternehmer kann 80 % einer angebotenen Nachtragsvergütung als Abschlagszahlung verlangen, wenn sich die Parteien nicht über die Höhe geeinigt haben oder keine anderslautende gerichtliche Entscheidung (insbesondere im Wege der einstweiligen Verfügung) ergeht. Stellt sich später allerdings eine Überzahlung heraus, ist diese ab dem Eingang beim Werkunternehmer verschuldensunabhängig wie im Verzug zu verzinsen (im unternehmerischen Verkehr also regelmäßig mit 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz), § 650 c Abs. 3 BGB.

Spezialkammern und -senate

Für die effiziente Bearbeitung der zu erwartenden hohen Zahl an einstweiligen Verfügungsverfahren sollen bei der Land- und Oberlandesgerichten spezialisierte Baukammern bzw. -senate eingerichtet werden, wobei für Nachtragsstreitigkeiten durch die Bundesländer eine Zuständigkeitskonzentration bei ausgewählten Landgerichten eingerichtet werden kann, § 72 a Satz 1 Nr. 2 GVG.

Architekten- und Ingenieurvertrag

Der Architekten- und Ingenieurvertrag wird erstmals in den §§ 650 p – 650 t BGB gesetzlich als eigener Vertragstyp geregelt. Dabei wird eine „Zielfindungsphase“ eingeführt, in der die Planungsgrundlagen ermittelt und eine „Kosteneinschätzung“ vorgelegt werden soll, wenn diese Unterlagen bei Beauftragung des Planers noch nicht vorhanden waren. Bei Scheitern dieser Phase steht beiden Parteien unter bestimmten Voraussetzungen ein Kündigungsrecht zu.

Für die Anordnungsrechte des Bestellers wird auf den Bauvertrag verwiesen, die Vergütungsfolgen sollen sich in erster Linie nach der HOAI richten. Vorgesehen ist ferner ein Anspruch des Planers auf Teilabnahme seiner Leistungen nach der Ausführungsphase und der Vorrang der Inanspruchnahme des Ausführenden bei von der Objektüberwachung nicht bemerkten Ausführungsmängeln.


Hinweis der Redaktion:
Eine konsolidierte Fassung des neuen und alten BGB-Werkvertragsrechts ist im Mitgliederbereich des DVNW eingestellt. Noch kein Mitglied? Zur Mitgliedschaft geht es hier.

The post Neues Bauvertragsrecht im BGB ab 01.01.2018 appeared first on Vergabeblog.

Zur Bedeutung des Vorrangs des eigenwirtschaftlichen Verkehrs bei der Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages für Verkehrsdienstleistungen (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 24.01.2017 – 11 Verg 1/16)

0
0
RechtVerkehr

EntscheidungDas OLG Frankfurt a.M. hatte sich in seiner Entscheidung u.a. mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Missachtung des im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) normierten Grundsatzes des Vorrangs eigenwirtschaftlicher Verkehre eine Bestimmung des Vergaberechts i.S.d. § 97 Abs. 7 GWB a.F. darstellt, auf die sich der betroffene Bieter im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens berufen kann. Das Gericht verneinte dies und kam folgerichtig zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin hinsichtlich der Geltendmachung dieses Verstoßes nicht antragsbefugt sei.

§§ 101a Abs. 1 a.F., 107 Abs. 3 a.F., 178 S. 3 GWB; §§ 8a, 12 Abs. 6, 42 PBefG; Art. 7 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007

Leitsätze

  1. Der Grundsatz des Vorrangs eigenwirtschaftlicher Verkehre im öffentlichen Personennahverkehr ist keine Bestimmung des Vergaberechts i.S.d. § 97 Abs. 7 GWB a.F.
  2. Der Verstoß gegen diesen Grundsatz begründet keinen Schadensersatzanspruch eines im Vergabeverfahren unterlegenen Bieters, wenn der Zuschlag bereits an den Bestbieter erteilt worden ist.
  3. Ob der Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für einen eigenwirtschaftlichen Verkehr innerhalb der in § 12 Abs. 5, 6 PBefG festgelegten Fristen gestellt wurde, ist nicht Gegenstand des Vergabenachprüfungsverfahrens, sondern allein durch die zuständige Verwaltungsbehörde bzw. im dafür vorgesehenen Verwaltungsrechtsweg zu überprüfen. Hierzu gehört auch die Frage, ob eine veröffentlichte Vorabbekanntmachung nach § 8a Abs. 2 PBefG, Art. 7 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007 trotz formaler und/oder inhaltlicher Mängel geeignet ist, die Drei-Monats-Frist des § 12 Abs. 6 PBefG auszulösen.

Sachverhalt

Gegenstand der Entscheidung war die Ausschreibung von Verkehrsdienstleistungen im Buspersonennahverkehr. Die Antragsgegner machten mit Vorinformation vom 28. Oktober 2014 europaweit ihre Absicht bekannt, im offenen Verfahren sieben Linienbündel ab dem Jahr 2017 vergeben zu wollen. Zu diesen Linienbündeln gehörten auch die Linienbündel Stadt1/Stadt2, die die Antragstellerin (eine Arbeitsgemeinschaft zweier Busverkehrsunternehmen) aufgrund einer im Jahr 2008 erteilten Liniengenehmigung eigenwirtschaftlich betrieben hatte.

Mit Auftragsbekanntmachung vom 26. September 2015 schrieben die Antragsgegner Dienstleistungen für vier der Linienbündel losweise aus, wobei das Los 3 das Linienbündel Stadt1/Stadt2 betraf. Als einziges Zuschlagskriterium war die Höhe der angebotenen Preise angegeben.

Mit Schreiben vom 30. November 2015 teilten die Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass der Zuschlag auf das Angebot der A GmbH erteilt werden solle, da dieses als das wirtschaftlichste Angebot bewertet worden sei.

Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 07. Dezember 2015, dass die Vorabbekanntmachung fehlerhaft sei, da sie nicht die erforderlichen Angaben nach Art. 7 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007 enthalte und zudem ein Hinweis auf § 12 Abs. 6 PBefG fehle. Hieraus folge, dass die Vorabbekanntmachung keine präkludierende Wirkung auf eigenwirtschaftliche Anträge entfalte. Sie beabsichtige, fristgerecht einen eigenwirtschaftlichen Antrag zu stellen.

Nachdem die Antragsgegner die Vorabinformation zunächst zurückzogen, verwiesen sie mit Schreiben vom 18. Dezember 2015 auf eine neue Bieterinformation vom selbe Tage, wonach die Vorabbekanntmachung korrigiert worden sei. Die Korrekturbekanntmachung betraf nicht das Linienbündel Stadt1/Stadt2.

Mit Schreiben vom 11. Januar 2016 teilten die Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass der Zuschlag frühestens am 22. Januar 2016 der A GmbH erteilt werden solle und die Rüge vom 07. Dezember 2015 unbegründet sei. Mit Nachprüfungsantrag vom 19. Januar 2016 begehrte die Antragstellerin, u.a. den Antragsgegnern zu untersagen, den Zuschlag auf das Linienbündel Stadt1/Stadt2 zu erteilen. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass es an der Vergabereife fehle. Diese liege erst vor, wenn die Antragsfrist für mögliche eigenwirtschaftliche Anträge, die gemäß § 12 Abs. 6 PBefG durch eine Vorabbekanntmachung ausgelöst werde, abgelaufen sei und mindestens eine erste Entscheidung der zuständigen Genehmigungsbehörde vorliege. Die erfolgte Vorabbekanntmachung sei unwirksam, da sie elementare Angaben nicht enthalte.

Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 21. Januar 2016 entschieden, den Nachprüfungsantrag nicht zu übermitteln, da er offensichtlich unbegründet sei und ernstliche Zweifel an der Zulässigkeit vorlägen. Am 22. Januar 2016 erteilten die Antragsgegner der A GmbH den Zuschlag.

Am 28. Dezember 2015 hatte die Antragstellerin beim zuständigen Regierungspräsidium die Erteilung einer Genehmigung für den Weiterbetrieb eines Linienverkehrs mit Kraftfahrzeugen nach § 42 PBefG für das Linienbündel Stadt1/Stadt2 beantragt. Das Regierungspräsidium lehnte den Antrag mit Beschluss vom 19. Februar 2016 ab und verwies darauf, dass die Drei-Monats-Frist für den Antrag nach § 12 Abs. 6 Satz 1 PBefG abgelaufen sei. Selbst wenn man von einer Unwirksamkeit der Vorabbekanntmachung ausgehen würde, seien eigenwirtschaftliche Anträge nach § 12 Abs. 5 Satz 1 PBefG bis zum 1. Dezember 2015 zu stellen gewesen. Sowohl der eingelegte Widerspruch als auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung blieben erfolglos.

In Unkenntnis des bereits erteilten Zuschlags legte die Antragstellerin am 25. Januar 2016 gegen den Beschluss der Vergabekammer sofortige Beschwerde ein, mit der sie das Begehren des Nachprüfungsantrags weiterverfolgte. Nachdem ihr der bereits erteilte Zuschlag mitgeteilt worden war, stellte sie ihr Begehren auf die Feststellung um, dass sie durch die Entscheidung der Vergabekammer in ihren Rechten verletzt worden sei. Sie habe ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse, weil die Entscheidung des Vergabesenats zur Vergabereife und damit zur Genehmigungsfähigkeit von gemeinwirtschaftlichen Verkehren von zentraler Bedeutung für eine Auseinandersetzung auf dem Verwaltungsrechtsweg sei. Zudem bestehe eine Wiederholungsgefahr, da die Antragsgegner von der Richtigkeit ihres Handelns überzeugt seien.

Die Entscheidung

Das OLG Frankfurt a.M. sah den Fortsetzungsfeststellungsantrag als unzulässig an, da erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags bestünden; jedenfalls fehle es aber an dem notwendigen Fortsetzungsfeststellungsinteresse.

Die Rügen, in der Vorabbekanntmachung vom 28. Oktober 2014 seien die betroffenen Dienste und Gebiete nicht ordnungsgemäß nach § 8a Abs. 2 PBefG i.V.m. Art. 7 Abs. 2 der VO (EG) 1370/2007 bezeichnet gewesen, die Vorabbekanntmachung habe keinerlei Angaben zu Fahrplan, Beförderungsentgelten und (weiteren) Standards nach § 8a Abs. 2 Satz 3 PBefG enthalten und es fehle ein Hinweis in der Vorabbekanntmachung auf die Drei-Monats-Frist des § 12 Abs. 6 Satz 1 PBefG, seien allesamt präkludiert. Die genannten vermeintlichen Vergaberechtsverstöße seien der Antragstellerin allesamt aus der Vorabbekanntmachung bekannt gewesen. Zudem seien die geltend gemachten Mängel nicht kausal dafür gewesen, dass diese nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe. Insoweit fehle es auch an der Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB a.F.

Bezüglich der Rüge, die Antragsgegner hätten bei einer Einleitung des Vergabeverfahrens den in §§ 8 Abs. 5, 8a Abs. 1 PBefG normierten Grundsatz des Vorrangs eigenwirtschaftlicher Verkehre missachtet, sei die Antragstellerin nach § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB a.F. nicht antragsbefugt. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass es sich bei diesem Grundsatz nicht um eine Bestimmung des Vergaberechts i.S.d. § 97 Abs. 7 GWB a.F. handle. Die Beachtung dieses Grundsatzes sei der Entscheidung des Aufgabenträgers über die Durchführung eines Vergabeverfahrens vorgelagert. Eine öffentliche Ausschreibung unter Verletzung des Vorrangs der Eigenwirtschaftlichkeit führe möglicherweise zu einer Verletzung der subjektiven Rechte desjenigen, der einen eigenwirtschaftlichen Verkehr anbieten wolle, nicht aber zur Verletzung der Rechte der Bieter, die sich an der Ausschreibung beteiligen. Die Doppelrolle der Antragstellerin könne nicht dazu führen, dass sie Rechte, die ihr möglicherweise als Interessentin eines eigenwirtschaftlichen Verkehrs zustehen, in ihrer Rolle als Bieterin im Nachprüfungsverfahren geltend machen könne.

Eine Missachtung des Grundsatzes des Vorrangs der Eigenwirtschaftlichkeit und der zur dessen Wahrung erlassenen Vorschriften (insbesondere Art. 7 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007, § 8a Abs. 1 und 2 PBefG) sei zwar insoweit für das Vergabeverfahren relevant, als dessen Durchführung hiervon beeinflusst werden könnte. Der diesbezüglichen Rüge stünden jedoch wiederum die Vorschriften des § 107 Abs. 2 und 3 GWB a.F. entgegen. Die Nichteinhaltung des in Art. 7 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007 festgelegten Mindestzeitraums zwischen Vorabbekanntmachung und Einleitung des Vergabeverfahrens sei aus der Vorabbekanntmachung erkennbar gewesen. Zudem sei ein Schaden durch die Verkürzung der Frist nur dann denkbar, wenn innerhalb der 12 Monate ein Antrag auf Genehmigung von eigenwirtschaftlichem Verkehr gestellt worden wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen.

Zudem ist nach Auffassung des Gerichts die Rüge des Fehlens des Hinweises in der Vorabbekanntmachung auf die dreimonatige Antragsfrist nach § 12 Abs. 6 PBefG ebenfalls verfristet. Auch spreche viel dafür, dass Vergabereife aufgrund der Frist des § 12 Abs. 5 PBefG spätestens am 11. Dezember 2015 und damit vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens eingetreten sei, so dass es auf die Ingangsetzung der Frist nach § 12 Abs. 6 PBefG durch die Vorabbekanntmachung nicht ankomme. Dementsprechend sei die Antragsbefugnis unter dem Gesichtspunkt der Vergabereife ebenfalls zu verneinen. Weiterhin führte das Gericht aus, dass die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags letztlich offen bleiben könne, weil die Antragstellerin jedenfalls kein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung einer Rechtsverletzung schlüssig dargelegt habe.

Ein Schadensersatzanspruch sei nicht ersichtlich. Der von der Antragstellerin vorgebrachte Aspekt der nutzlosen Aufwendungen für ihr Angebot sei dadurch entfallen, dass das Vergabeverfahren tatsächlich durch Zuschlagserteilung abgeschlossen wurde und die Antragstellerin nur deshalb nicht zum Zuge gekommen sei, weil sie nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe. Zudem sei die Entscheidung des Senats über eine etwaige Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften durch die Antragsgegner nicht präjudiziell für die Entscheidung der Verwaltungsbehörden bzw. Verwaltungsgerichte hinsichtlich des Antrags der Antragstellerin auf Genehmigung eines eigenwirtschaftlichen Linienverkehrs nach § 42 PBefG. Denn nach den Ausführungen des Regierungspräsidiums und des Verwaltungsgerichts Gießen komme es auf die Wirksamkeit der Vorabbekanntmachung für die Genehmigung des Antrags nicht an. Weiterhin sei das Genehmigungsverfahren nach § 11 PBefG allein Sache der zuständigen Behörden. Die vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen hätten nur zu überprüfen, ob Mängel der Vorabbekanntmachung Einfluss auf das Vergabeverfahren hätten.

Schließlich sei eine Wiederholungsgefahr nicht gegeben, da kein Grund zu der Annahme bestehe, dass die Antragsgegner erneut in der antragstellerseits beanstandeten Weise gegen Rechtsvorschriften verstoßen würden. Denn die Antragsgegner hätten nicht geltend gemacht, dass die Vorabbekanntmachung allen rechtlichen Anforderungen entsprach.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. macht deutlich, dass streng zwischen der Verletzung des in §§ 8 Abs. 4, 8a Abs. 1 PBefG normierten Grundsatzes des Vorrangs eigenwirtschaftlicher Verkehre und der Verletzung subjektiver Rechte nach § 97 Abs. 7 GWB a.F. zu unterscheiden ist. Ein Unternehmen, das sich auf subjektive Rechte, die ihm als Interessent eines eigenwirtschaftlichen Verkehrs im Rahmen des PBefG zustehen, berufen kann, kann diese Rechte nicht auch im Rahmen eines Vergabenachprüfungsverfahrens geltend machen. Denn die Beachtung des Grundsatzes des Vorrangs der Eigenwirtschaftlichkeit ist dem Vergabeverfahren vorgelagert und kann daher nicht Rechte des Bieters an einem Vergabeverfahren verletzen.

Darüber hinaus hebt die Entscheidung hervor, dass ein verwaltungsrechtliches Genehmigungsverfahren (hier der Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für einen eigenwirtschaftlichen Verkehr) allein von den zuständigen Verwaltungsbehörden durchzuführen ist und grundsätzlich nicht Gegenstand des Vergabenachprüfungsverfahrens sein kann. Ein Mangel im Genehmigungsverfahren wird nur dann zum Gegenstand eines Vergabenachprüfungsverfahrens, wenn dieser Einfluss auf das Vergabeverfahren haben kann. Ein solcher Einfluss konnte vom Gericht im vorliegenden Fall jedoch verneint werden.

Schließlich ist der Entscheidung die überragende Bedeutung der Präklusionsvorschriften im Vergaberecht zu entnehmen. Zahlreiche Rügen der Antragstellerin führten bereits deshalb nicht zum Erfolg, weil das OLG Frankfurt a.M. sie als präkludiert ansah.

Praxistipp

Die Vergabestellen sollten vor der Ausschreibung von Verkehrsdienstleistungen stets prüfen, ob die Jahresfrist nach der nach Art. 7 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007 erforderlichen Vorabbekanntmachung abgelaufen ist. Denn die Nichteinhaltung dieser Frist kann zu einer fehlenden Vergabereife und infolgedessen zu einem Vergaberechtsverstoß führen, wenn die Durchführung des ausgeschriebenen Verkehrs durch den Bestbieter verhindert wird, weil einem Dritten vorrangig eine Genehmigung zum eigenwirtschaftlichen Verkehr zu erteilen ist.
Zudem ist Bietern dringend anzuraten, erkannte Vergabeverstöße sofort zu rügen und nicht bis zu dem Zeitpunkt abzuwarten, in dem die Vergabestelle mitteilt, dass ein anderer Bieter den Zuschlag erhalten soll.

The post Zur Bedeutung des Vorrangs des eigenwirtschaftlichen Verkehrs bei der Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages für Verkehrsdienstleistungen (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 24.01.2017 – 11 Verg 1/16) appeared first on Vergabeblog.

Auf das Gebot zur Bildung von (mengenmäßigen) Teillosen kann sich nur der Bieter berufen, den es betrifft! (VK Bund, Beschl. v. 31.10.2016 – VK 1-90/16)

0
0
Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

Ist ein Bieter aufgrund eigener Kapazitäten in der Lage, die ausgeschriebenen Leistungen insgesamt zu erbringen (und damit beispielsweise in der Lage, auf die ausgeschriebenen Fachlose jeweils ein eigenes Angebot abzugeben), kann er sich nicht mit Erfolg auf einen etwaigen Rechtsverstoß berufen. Denn er hätte durch eine Losaufteilung keine besseren Chancen auf Erteilung des Zuschlags für den Gesamtauftrag oder zumindest für Teile davon.

§§ 97 Abs. 4 Satz 2 GWB, 168 Abs. 1 Satz 1 GWB

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb den Abschluss einer Rahmenvereinbarung über die Gebäudereinigung (Unterhaltsreinigung und Fensterreinigung) europaweit im offenen Verfahren aus. Er unterteilte dabei die Leistungen in zwei Fachlose. Fachlose eins umfasst die Gebäudereinigung (Unterhalts-und Sonderreinigung), Fachlose zwei die Fensterreinigung der fraglichen Liegenschaft. Auf eine (weitere) Aufteilung der beiden Fachlose in Teillose (Gebietslose) verzichtete der Auftraggeber. Die Antragstellerin (ASt), die derzeit Auftragnehmerin für die Reinigung einzelner Gebäude der fraglichen Liegenschaft ist, rügte unter anderem diese fehlende Teillosaufteilung in Gebietslose.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Es bestehen bereits Zweifel im Hinblick auf die Antragsbefugnis der ASt bezüglich einer fehlenden Gebietslosaufteilung. Denn schon nach dem eigenen Vortrag der ASt ist der Eintritt einer Rechtsverletzung bzw. eines Schadens im Sinne einer Verschlechterung der Zuschlagschancen nach Paragraf 160 Abs. 2 Satz 2 GWB im Prinzip ausgeschlossen. Mit Blick auf die Rechtsprechung zur Antragsbefugnis, dass eine Überspannung ihrer Voraussetzungen nicht zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes führen darf, geht die Vergabekammer jedoch von dem Drohen eines möglichen Schadens aus und bejaht die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags.

Soweit die ASt mit ihrem Nachprüfungsantrag einen Verstoß gegen das Losbildungsgebot sowie das Gebot zur Berücksichtigung mittelständischer Interessen geltend macht, weil eine Aufteilung des ausgeschriebenen Auftragsüber die Fachlosaufteilung hinaus im Gebietslose unterblieben ist, kann nach Auffassung der Vergabekammer offenbleiben, ob ein solcher Verstoß hier tatsächlich gegeben ist. Insbesondere muss vorliegend nicht geprüft werden, ob wirtschaftliche oder technische Gründe existieren, die ausnahmsweise eine Gesamtvergabe rechtfertigen würden. Denn die ASt ist durch einen solchen Verstoß jedenfalls nicht in ihren Rechten verletzt bzw. ihr entsteht tatsächlich kein Schaden im Sinne der Verschlechterung der Zuschlagschancen.

Die vorgenannten vergaberechtlichen Gebote dienen jeweils dem Ziel, dass öffentliche Aufträge so aufgeteilt und zugeschnitten werden, dass es mittelständischen Unternehmen möglich ist, sich als Einzelbieter (und nicht nur in Form von Bietergemeinschaften) am Wettbewerb um die gebildeten Lose zu beteiligen. Diesen Unternehmen soll somit die Chance gegeben werden, überhaupt ein Angebot abgeben zu können und sich damit am Wettbewerb zumindest um Teile des Gesamtauftrags beteiligen zu können. Diese Zuschlagschancen von mittelständischen Unternehmen würden bei einer Gesamtvergabe hingegen beseitigt werden.

Im Fall der ASt liegt eine solche in den Schutzbereich der fraglichen Regelung fallende Konstellation jedoch gerade nicht vor. Denn wie die ASt im Verfahren selbst ausdrücklich einräumt, ist sie aufgrund eigener Kapazitäten in der Lage, die ausgeschriebenen Reinigungsleistungen insgesamt zu erbringen, und damit auch schon jetzt in der Lage, auf die beiden Fachlose jeweils ein eigenes Angebot abzugeben. Durch eine Teillosaufteilung würde die ASt keine besseren Chancen auf Erteilung des Zuschlags für den Gesamtauftrag oder Teilen davon erhalten.

Rechtliche Würdigung

Die 1. Vergabekammer des Bundes betont zutreffend, dass das Losbildungsgebot nicht zur Disposition von Bieterunternehmen steht. Das Gebot ist dahingehend beschränkt, dass sich nur solche Unternehmen auf etwaige Verstöße dagegen berufen können, die sich dadurch eine Verbesserung ihrer Zuschlagschancen versprechen. Ein Bieter kann sich daher nicht auf einen etwaigen Rechtsverstoß berufen, wenn ihm auch ohne den Verstoß eine Teilnahme am Vergabeverfahren möglich ist. Die Entscheidung der Vergabekammer ist insofern zutreffend und nicht zu beanstanden. Einzig kann man sich vorliegend die Frage stellen, ob die Erwägung der Vergabekammer, welche im Rahmen der Begründetheit angestellt worden sind, nicht eher ein Thema der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages und damit der Antragsbefugnis ist. In Anbetracht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat sich die Vergabekammer hier über die Zulässigkeit hinweggesetzt und hat diese ohne nähere Begründung praktisch übersprungen. Verfahrensrechtlich dürfte es allerdings richtiger gewesen sein, wenn die Vergabekammer im Hinblick auf die Rüge der unterlassenen Gebietslosaufteilung bereits den Eintritt einer Rechtsverletzung bzw. eines Schadens im Sinne einer Verschlechterung der Zuschlagschancen nach § 160 Abs. 2 GWB verneint hätte und damit insofern auf Zulässigkeitsebene hier bereits den Nachprüfungsantrag, jedenfalls zu diesem Rügegegenstand, den Erfolg verwehrt hätte.

Praxistipp

Ungeachtet des vorstehend nicht erfolgreichen Vorgehens der ASt vor der Vergabekammer sind Auftraggeber gehalten, das Losbildungsgebot ernst zu nehmen und immer dann Lose zu bilden, wenn dies möglich ist. Es bleibt insofern dabei, dass der Verzicht auf eine Losaufteilung bzw. weitergehende Losaufteilung in Teillose nach einer bereits umgesetzten Fachlosbildung in Anbetracht der vergaberechtlichen Bestimmungen nur bei einer guten sachlichen Begründung der Gesamtvergabe zulässig ist.

Bieter dagegen können der Entscheidung anschaulich entnehmen, dass ein Vorgehen gegen eine Losaufteilung kein Selbstzweck und nur dann erfolgversprechend ist, wenn sie sich dadurch in ihren Rechten beeinträchtigt sehen und ihre Zuschlagschancen tatsächlich beeinträchtigt sind. Kann ein Bieter ungeachtet der möglicherweise gegebenen Verletzung des Losbildungsgebots trotzdem mit Erfolg ein Angebot abgeben und die in Rede stehenden Leistungen vollumfänglich erbringen, ist eine Berufung auf diesen objektiven Rechtsverstoß nicht möglich.

The post Auf das Gebot zur Bildung von (mengenmäßigen) Teillosen kann sich nur der Bieter berufen, den es betrifft! (VK Bund, Beschl. v. 31.10.2016 – VK 1-90/16) appeared first on Vergabeblog.

Grundsatzentscheidung des BGH: Angebotswertung nach Schulnoten ist zulässig! (BGH, Beschluss vom 04.04.2017 – X ZB 3/17)

0
0
RechtUNBEDINGT LESEN!

In (s)einer heute veröffentlichten Leitsatzentscheidung vom 4. April hat der Bundesgerichtshof das mit Spannung erwartete Machtwort zur sog. Schulnotenrechtsprechung gesprochen. Danach steht es einer transparenten und wettbewerbskonformen Auftragsvergabe regelmäßig nicht entgegen, wenn der öffentliche Auftraggeber für die Erfüllung qualitativer Wertungskriterien Noten mit zugeordneten Punktwerten vergibt, ohne dass die Vergabeunterlagen weitere konkretisierende Angaben dazu enthalten, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl konkret abhängen soll. Damit dürfte maßgeblich vom OLG Düsseldorf begründete „Schulnotenrechtsprechung“ endgültig der Vergangenheit angehören. Auch das OLG Düsseldorf war nach der Dimarso-Entscheidung des EuGH von seiner früheren Rechtsprechung abgerückt (siehe dazu Neusüß, Vergabeblog.de vom 18/04/2017, Nr. 30840).

Nachfolgend geben wir die Leitsätze des Grundsatzbeschlusses im Original wieder, die Entscheidung selbst wird in Kürze im Vergabeblog besprochen.

1. Es steht einer transparenten und wettbewerbskonformen Auftragsvergabe regelmäßig nicht entgegen, wenn der öffentliche Auftraggeber für die Erfüllung qualitativer Wertungskriterien Noten mit zugeordneten Punktwerten vergibt, ohne dass die Vergabeunterlagen weitere konkretisierende Angaben dazu enthalten, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl konkret abhängen soll.

2. Ein Wertungsschema, bei dem die Qualität der Leistungserbringung und der nach der einfachen linearen Methode in Punkte umzurechnende Preis mit jeweils 50% bewertet werden, ist ohne Weiteres auch dann nicht vergaberechtswidrig, wenn nur eine Ausschöpfung der Punkteskala in einem kleinen Segment (hier: 45 bis 50 von 50 möglichen Punkten) zu erwarten ist. Die Wahl einer bestimmten Preisumrechnungsmethode kann vergaberechtlich nur beanstandet werden, wenn sich gerade ihre Heranziehung im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände als mit dem gesetzlichen Leitbild des Vergabewettbewerbs unvereinbar erweist.

3. Der Gefahr einer Überbewertung qualitativer Wertungskriterien zum Nachteil einzelner Bieter ist durch eingehende Dokumentation des Wertungsprozesses zu begegnen. Die Nachprüfungsinstanzen untersuchen auf Rüge die Benotung des Angebots des Antragstellers als solche und in Relation zu den übrigen Angeboten, insbesondere zu demjenigen des Zuschlagsprätendenten, und darauf hin, ob die jeweiligen Noten im Vergleich ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurden.

Hinweis der Redaktion: Der Volltext des Beschlusses ist im Mitgliederbereich des DVNW abrufbar. Vielen Dank an dieser Stelle an Herrn Kollegen Dr. Klaus Greb, dessen Sozietät die Entscheidung des BGH erwirkt hat, für die Zurverfügungstellung der BGH-Entscheidung. Noch kein Mitglied? Zur Mitgliedschaft geht es hier.

The post Grundsatzentscheidung des BGH: Angebotswertung nach Schulnoten ist zulässig! (BGH, Beschluss vom 04.04.2017 – X ZB 3/17) appeared first on Vergabeblog.

Wertung nach dem Schulnotensystem: Der BGH soll es nun richten (OLG Dresden, Beschl. v. 02.02.2017 – Verg 7/16)

0
0
RechtUNBEDINGT LESEN!

Das OLG Dresden ist der Auffassung, dass eine Angebotswertung am Maßstab von Schulnoten hinreichend transparent ist. Es sei demnach weder notwendig noch praktikabel, jedem einzelnen Wertungsaspekt im Vorhinein einen konkreten Punktwert zuzuordnen oder sprachliche Umschreibungen zu finden, die eine solche Zuordnung dann nur noch als eine bloße Rechenoperation erscheinen lassen würden. Das OLG Dresden schließt sich damit der Auffassung des EuGH in der Sache TNS Dimarso (Urt. v. 14.07.2016, Rs. C-6/15) an, steht mit dieser Auffassung aber im Gegensatz zu der bisherigen Spruchpraxis des OLG Düsseldorf (Beschl. v. 16.12.2015 Verg 25/15 und v. 15.06.2016 Verg 49/15) und legt die Sache dem BGH im Rahmen der Divergenzvorlage zur Entscheidung vor.

§§ 127, 179 GWB; § 524 Abs. 2 ZPO

Leitsatz

  1. Ein Schulnotensystem ist nicht von vorneherein intransparent. Aufgrund der Abweichung von der Entscheidung des OLG  Düsseldorf vom 16.12.2015 wird die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
  2. Die Frist, innerhalb deren die auch im Vergabenachprüfungsverfahren statthafte Anschlussbeschwerde in zulässiger Weise eingelegt werden kann, bemisst sich in Anlehnung an § 524 Abs. 2 ZPO nach der dem Gegner zur Erwiderung gesetzten Frist.

Sachverhalt

Der Entscheidung lag ein Vergabeverfahren für Postdienstleistungen zugrunde. Der Zuschlag sollte auf das wirtschaftliche Angebot erteilt werden, das nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis zu ermitteln war. Preis und Qualität der Leistungserbringung sollten mit jeweils 50 % in die Gesamtwertung eingehen. Die Bewertung des Preises sollte anhand eines vorab bekanntgemachten Punktesystems mit maximal 50 Punkten erfolgen. Die Bewertung der Qualität der Leistungserbringung sollte anhand der vorab bekanntgemachten leistungsbezogenen Unterkriterien nach dem Maßstab des Schulnotensystems erfolgen.
Dieses Wertungssystem wurde von der Antragstellerin im Vergabeverfahren gerügt. Zum einen sei die für die Bewertung des Preises vorgesehene Bewertungssystematik vergaberechtswidrig, da der Angebotspreis letztlich nur untergeordnete Berücksichtigung finden würde. Zum anderen lasse das für die Bewertung der Qualität der Leistungserbringung vorgesehene Schulnotensystem Spielraum für Manipulationen und Willkür, da für die Bieter nicht erkennbar sei, welche Angaben für die Erlangung einer bestimmten Benotung erwartet würden. Nachdem der Rüge nicht abgeholfen wurde, stellt die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag bei der zuständigen Vergabekammer.
Die Vergabekammer stellte zugunsten der Antragstellerin bezüglich einzelner Unterkriterien zur Bewertung der Qualität der Leistungserbringung fest, dass für die Bieter nicht nachvollziehbar sei, welche Leistung für welchen Punktwert erwartet werde. Daher begegne die Wertungssystematik vergaberechtlichen Bedenken. Die vorgesehene Bewertung des Preises sei nach Auffassung der Vergabekammer dagegen nicht zu beanstanden. Hiergegen wendete sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde. Die Antragsgegnerin wendete sich ihrerseits mit der Anschlussbeschwerde dagegen, dass die Anwendung des Schulnotensystems in der gegebenen Konstellation vergaberechtswidrig sei.

Die Entscheidung

Die Antragstellerin hatte mit ihrer sofortigen Beschwerde keinen Erfolg, da das OLG Dresden der Auffassung ist, dass die Regelungen zur Preiswertung in der Ausschreibung vergaberechtlich nicht zu beanstanden sei. Zwar sei nach der bekanntgegebenen Bewertungsmethode eine Umrechnung von Preisen in Punktwerte vorgesehen. Bei geringen Preisabständen der Angebote würde die rechnerisch mögliche Spanne von einem Punkt bis zu maximal 50 Punkten nicht ausgeschöpft. Allerdings ist aus Sicht des OLG Dresden kein Grund erkennbar, der die Vergabestelle dazu anhalten würde, ein Punktesystem so auszugestalten, dass der durch die höchstmögliche und die denkbar niedrigste Punktzahl abgesteckte Rahmen unter allen Umständen ausgeschöpft werden kann. Es trifft zu, dass bei eher kleinen Punktdifferenzen im Preis den Qualitätsmerkmalen entscheidende Bedeutung zukommt, was allerdings vergaberechtlich nicht zu beanstanden ist.
Dagegen hatte die Antragstellerin mit ihrer Anschlussbeschwerde insoweit Erfolg, als dass sich das OLG Dresden deren Auffassung anschließt, die Sache jedoch dem Bundesgerichtshof im Rahmen der Divergenzvorlage zur Entscheidung vorgelegt. Weder die in Rede stehenden Qualitätsmerkmale seien intransparent noch gelte dies für das Schulnotensystem als Wertungssystem. Anders als das OLG Düsseldorf ist das OLG Dresden der Auffassung, dass es nicht erforderlich ist, dass den Bietern für jeden Punktwert erkennbar sein müsse, welcher Erfüllungsgrad („Zielerreichungsgrad“) jeweils erreicht sein muss. Das OLG Dresden sieht sich im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der an noch weniger präzisen Wertungsvorgaben keinen Anstoß genommen hat. Es sei weder notwendig noch überhaupt praktisch handhabbar, jedem einzelnen Wertungsaspekt im Rahmen eines Unterkriteriums im Vorhinein einen konkreten Punktwert zuzuordnen oder auch nur sprachliche Umschreibungen zu finden, die eine solche Zuordnung dann nur noch als eine bloße Rechenoperation erscheinen lassen würden.

Rechtliche Würdigung

Das Vorgehen des OLG Dresden ist zu begrüßen, da mit der Entscheidung durch den BGH zu dem sehr praxisrelevanten Thema der Wertung dann mehr Rechtssicherheit besteht.
Kritisch ist die Auffassung des OLG Dresden zur Bewertung des Preises zu sehen. Eine Umrechnung von Preisen in Punkte birgt grundsätzlich die Gefahr, dass es zu Verzerrungen kommt und die preislichen Abstände der einzelnen Angebote nicht hinreichend in der Wertung abgebildet sind (vgl. dazu auch VK Südbayern, Beschl. v. 30.08.2016 Z3-3-3194-1-28-07/16 und VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 18.10.2016 1 VK 41/16). Ungeachtet dessen ist es erforderlich, dass den Bietern bekannt gegeben wird, welche Methodik zur Anwendung kommt (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.03.2017 6 Verg 5/16).
Mehr Spielraum dürfte die Auffassung des OLG Dresden zur Wertung leistungsbezogener Kriterien eröffnen. Allerdings hat der öffentliche Auftraggeber stets darauf zu achten, dass sämtliche wertungsrelevanten Informationen wie z.B. Unterkriterien bekannt gemacht wurden (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.03.2017 6 Verg 5/16). Ein offenes Bewertungssystem wie das Schulnotensystem führt im Übrigen zu höheren Anforderungen an die Dokumentation der Wertungsentscheidung des öffentlichen Auftraggebers, der die Ausübung seines Beurteilungsspielraums hinreichend nachvollziehbar begründen und dokumentieren muss (vgl. VK Südbayern, Beschl. v. 19.01.2017 Z3-3-3194-1-47-11/16).

Praxistipp

Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte eine Preiswertung ohne Umrechnung in Punkten erfolgen, sondern durch Bildung eines Preis-/ Leistungsverhältnisses. Bei der Wertung von leistungsbezogenen Kriterien nach dem Schulnotensystem ist ein erweiterter Spielraum für öffentliche Auftraggeber in Sicht. Dennoch haben öffentliche Auftraggeber so detailliert wie möglich zu beschreiben, wie die einzelnen Punkte vergeben werden sollen und daher die einzelnen Punktestufen zu definieren. Dazu gehören auch Hinweise zum Schwerpunkt der Leistung und die hinreichend konkrete Beschreibung von Unterkriterien, um den Bietern ein Bild davon zu vermitteln, was erwartet wird. Die Anwendung des Schulnotensystems führt dazu, dass Wertungsentscheidungen detaillierter begründet und dokumentiert werden müssen. Interessanterweise hat aktuell auch das OLG Düsseldorf allerdings ausdrücklich zur alten Vergaberechtslage (!) die Anwendung des Schulnotensystems für zulässig erklärt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.03.2017 VII-Verg 39/16). Es bleibt abzuwarten, wie der BGH in der Sache entscheiden wird.


Update!: Der BGH hat es gerichtet und inzwischen entschieden: Die Angebotswertung nach Schulnoten ist zulässig! (BGH, Beschluss vom 04.04.2017 – X ZB 3/17), siehe Vergabeblog.de vom 10/05/2017, Nr. 31526.


 

The post Wertung nach dem Schulnotensystem: Der BGH soll es nun richten (OLG Dresden, Beschl. v. 02.02.2017 – Verg 7/16) appeared first on Vergabeblog.


Muss sich ein Unternehmen bei der Selbstreinigung selbst bezichtigen? (VK Südbayern, Beschl. v. 07.03.2017 – Z 3-3-3194-1-45-11/16)

0
0
Liefer- & DienstleistungenRecht

Wie weit geht die Aufklärungspflicht für Unternehmen gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber bei der Selbstreinigung und wann beginnt die Ausschlussfrist des § 126 Nr. 2 GWB? Hat sich ein Unternehmen rechtswidrig verhalten, so gelingt ihm die Selbstreinigung nach § 125 GWB nur, wenn es die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen Auftraggeber umfassend klärt. Geht das aber soweit, dass das Unternehmen dem öffentlichen Auftraggeber sämtliche Informationen für einen erfolgreichen Schadenersatzprozess liefern muss, um nicht ausgeschlossen zu werden? 

Die Vergabekammer Südbayern ist der Ansicht, dass dies nach der neuen Rechtslage so sein dürfte. Gleichzeitig hat sich die VK Südbayern gefragt, wann denn die Ausschlussfrist bei den fakultativen Ausschlussgründen beginnt. Der Begriff des „betreffenden Ereignisses“ ist nicht so klar, wie man bei erstem Lesen vermuten könnte. Oft dauert es lange, bis ein Fehlverhalten überhaupt ans Licht kommt. Ist das Fehlverhalten das „betreffende Ereignis“ könnte die Ausschlussfrist abgelaufen sein. Die VK Südbayern hat dem EuGH beide Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

EU-Richtlinien 2014/24/EU und 2014/25/EU, § 125 GWB, § 126 GWB

Leitsatz (gekürzt)

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung der Richtlinien 2014/24/EU und 2014/25/EU von der Vergabekammer Südbayern folgende Fragen zur Vorabentscheidung nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorgelegt:

  1. Ist eine mitgliedsstaatliche Regelung, die zur Voraussetzung für eine erfolgreiche Selbstreinigung eines Wirtschaftsteilnehmers macht, dass dieser die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit nicht nur mit den Ermittlungsbehörden, sondern auch mit dem öffentlichen Auftraggeber umfassend klärt, mit den Vorgaben der Richtlinie 2014/25/EU vereinbar?
  2. Für die fakultativen Ausschlussgründe beträgt die Frist für einen Ausschluss drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis. Ist unter dem betreffenden Ereignis schon die Verwirklichung der Ausschlussgründe zu verstehen oder ist der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem der Auftraggeber über gesicherte und belastbare Kenntnis über das Vorliegen des Ausschlussgrundes verfügt?

Sachverhalt

Die Stadtwerke München haben den Weichenhersteller Vossloh Laeis von einer Ausschreibung ausgeschlossen. Das Unternehmen war Teil des so genannten Schienenkartells zulasten von Nahverkehrsunternehmen. Im Jahr 2013 hatte das Bundeskartellamt Bußgelder von insgesamt knapp 100 Millionen Euro verhängt.
Eine erfolgreiche Selbstreinigung wurde abgelehnt. Als Begründung führte der Auftraggeber an, das Unternehmen sei verpflichtet, dem Auftraggeber sämtliche Details zur Beteiligung an früheren Kartellen offenzulegen, inklusive detaillierter Angaben zu Schäden durch diese Kartellbeteiligung, z.B. überhöhte Preise.
Vossloh lehnt das bislang ab, denn genau diese Angaben brauchen die Stadtwerke, um ihre Schadenersatzansprüche gegen Vossloh erfolgreich durchzusetzen. Ein entsprechendes Verfahren auf Zahlung von Schadensersatz läuft bereits.

Die Entscheidung

Muss ein Bieter so weit gehen, um eine erfolgreiche Selbstreinigung darzustellen? Nach deutschem Recht ist das – zumindest in den Augen der Vergabekammer Südbayern – seit vergangenem Jahr so (Az. Z 3-3-3194-1-45-11/16). In der 2014 in Kraft getretenen EU-Vergaberichtlinie ist geregelt, dass ein Wirtschaftsteilnehmer für eine erfolgreiche Selbstreinigung mit den Ermittlungsbehörden aktiv zusammenarbeiten muss. Die deutsche Umsetzung der Richtlinie im GWB geht aber weiter: Alles zu den Verstößen und den dadurch verursachten Schaden muss nicht nur mit den Behörden, sondern auch mit dem öffentlichen Auftraggeber umfassend geklärt werden.

Auch hinsichtlich der Ausschlussfrist gibt es Unsicherheit. 127 GWB regelt, dass Unternehmen bei Vorliegen eines fakultativen Ausschlussgrundes höchstens drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis von der Teilnahme an Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Auf den ersten Blick scheint der Wortlaut klar. Das betreffende Ereignis ist das relevante Fehlverhalten. Danach wäre die die Ausschlussfrist im Jahre 2016 bereits abgelaufen. Bei genauerem Hinsehen ergeben sich aber Zweifel. Straftaten oder anderes Fehlverhalten, wie z.B. wettbewerbsschädigendes Verhalten sind oft nur schwer aufzudecken und nachzuweisen. Sie gelangen unter Umständen erst nach längerer Zeit ans Licht. Das erscheint als eine unangemessene Bevorzugung des nicht gesetzestreuen Unternehmens. Es könnte daher auch ausgehend von § 124 Abs. 4 GWB und § 6e Abs. 6 Nr. 4 EU-VOB/A der Zeitpunkt gemeint sein, zu dem der Auftraggeber über gesicherte und belastbare Kenntnis über das Vorliegen des Ausschlussgrundes verfügt.

Rechtliche Würdigung

Die Forderung, alle für die Geltendmachung eines Schadenersatzes notwendigen Angaben im Vergabeverfahren offenzulegen, würde das Zivilrecht unangemessen aushöhlen. Sachgerechter erscheint es, dass der jeweilige Wirtschaftsteilnehmer für eine erfolgreiche Selbstreinigung nur insoweit gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet ist, dass dieser beurteilen kann, ob die ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen (technische, organisatorische und personelle Maßnahmen und Schadenskompensation) geeignet und ausreichend sind.

Diese Annahme belegen auch die Ausführungen im Entwurf des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts der Bundesregierung (BT Drs. 18/6281): Dort wird zunächst darauf verwiesen, dass der öffentliche Auftraggeber zur Prüfung der Zuverlässigkeit des Bieters in der Lage sein muss, die durchgeführten Selbstreinigungsmaßnahmen vor dem Hintergrund des bestehenden Ausschlussgrundes zu beurteilen. Da der Bieter mit seinem Delikt oder Fehlverhalten die Ursache für die Notwendigkeit einer Selbstreinigungsprüfung gesetzt habe, müsse er den öffentlichen Auftraggeber durch aktive Zusammenarbeit in die Lage versetzen, die ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der Schwere und der besonderen Umstände der Straftat oder des Fehlverhaltens zu bewerten. Eine Sachverhaltsaufklärungspflicht im Hinblick auf alle Details der Straftat oder des Fehlverhaltens bestehe gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber aber nicht, sondern nur hinsichtlich der für seine Prüfung relevanten Umstände.

Praxistipp

Wenn die deutsche Vorschrift gilt und auch vom EuGH nicht beanstandet wird, dürfte dies dazu führen, dass die öffentlichen Auftraggeber in größerem Umfang Schadenersatzansprüche geltend machen. Es ist ja dann leichter für sie, diese Ansprüche zu belegen. Sie haben ein starkes Druckmittel gegen Bieter, die im Zweifel eher die Informationen herausrücken, als vom Vergabeverfahren ausgeschlossen zu werden. Hinsichtlich der Auslegung des Begriffs des betreffenden Ereignisses sollte es auf die Kenntnis des Auftraggebers ankommen. Das legt die o.g. Begründung des Gesetzentwurfs nahe. Dort wird explizit ausgeführt, dass das betreffende Ereignis bei dem fakultativen Ausschlussgrund eines Verstoßes gegen Wettbewerbsrecht insbesondere die Entscheidung der zuständigen Kartellbehörde über das Vorliegen eines Wettbewerbsverstoßes sei.

The post Muss sich ein Unternehmen bei der Selbstreinigung selbst bezichtigen? (VK Südbayern, Beschl. v. 07.03.2017 – Z 3-3-3194-1-45-11/16) appeared first on Vergabeblog.

Auftraggeber müssen auch nicht rechtzeitig eingereichte Bieterfragen beantworten (VK Bund, Beschl. v. 28.01.2017 – VK 2 – 129/16)

0
0
BauleistungenRecht

Öffentliche Auftraggeber sind zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens, auch kurz vor Ende der Angebotsfrist, verpflichtet, erkannte Defizite oder Fehler in den Vergabeunterlagen zu korrigieren, selbst wenn sie auf das Defizit oder den Fehler erst durch eine verspätete Bieteranfrage aufmerksam werden, so die Vergabekammer. Ob sich diese Auffassung durchsetzt und daher die Angebotsfrist entgegen dem Wortlaut des § 10a EU Abs. 6 S. 1 Nr. 1 VOB/A auch bei nicht rechtzeitigen Bieteranfragen zu verlängern ist, bleibt abzuwarten. Richtig ist aber, dass, wenn Auskünfte erteilt werden, diese stets sämtlichen Bietern zur Verfügung zu stellen sind.

§ 10a EU Abs. 6 VOB/A, § 20 Abs. 3 VgV, Art. 47 Abs. 3 Richtlinie 2014/24/EU

Leitsätze des Bearbeiters

  1. Unabhängig von der Verlängerung der Angebotsfrist müssen öffentliche Auftraggeber Antworten, die nicht nur in einer Wiederholung der Vergabeunterlagen bestehen, jeweils sämtlichen Bietern zur Verfügung stellen, auch wenn diese aus ihrer Sicht irrelevant sind.
  2. Es ist nicht Sache des öffentlichen Auftraggebers, sondern Angelegenheit der Bieter, über die Relevanz von gegebenen Zusatzinformationen oder Klarstellungen zu entscheiden.
  3. Auftraggeber können allenfalls Bieteranfragen wegen fehlender Relevanz in der Sache gänzlich unbeantwortet lassen.

Sachverhalt

Die Antragsgegnerin schrieb unter anderem Trocken-und Nassbaggerarbeiten bezüglich ca. 200.000 m³ Bodens einschließlich dessen teilweiser Entsorgung aus. Die Bieter hatten Einheitspreise für die verschiedenen Bodenbelastungsklassen (Z1, Z2, Z3) anzubieten. Ein Gutachten zur Bodenbeschaffenheit war den Vergabeunterlagen beigefügt.
Kurz nach Ablauf der 6 Tages Frist des § 10a EU Abs. 6 S. 1 Nr. 1 VOB/A stellte ein dritter Bieter verschiedene Fragen zur Zusammensetzung des Bodens. Die Antragsgegnerin antwortete, sie sei zwar zur Antwort nicht verpflichtet, da die Fragen zu spät gestellt worden seien. Sie beantworte die Fragen aber freiwillig. Die Antworten enthielten auch Angaben, aus denen sich Rückschlüsse auf die Verteilung des Bodens auf die verschiedenen Bodenbelastungsklassen ergeben könnten. Eine Bieterinformation an alle Bieter unterblieb, da aus Sicht der Vergabestelle die Auskünfte jedenfalls deswegen unerheblich waren, da für die verschiedenen Bodenbelastungsklassen jeweils ein Einheitspreis anzubieten war.
Die Antragstellerin strengte ein Nachprüfungsverfahren an, da sie die Bewertung für rechtswidrig hielt (nicht Gegenstand dieser Besprechung).

Die Entscheidung

Die Vergabekammer wies die Einwände der Antragstellerin zur Bewertung zurück. Von Amts wegen entschied die Vergabekammer jedoch, dass das Vergabeverfahren partiell in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen sei.

Zwar setze § 10a  EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A für eine Verlängerung der Angebotsfrist voraus, dass die Bieterfrage rechtzeitig gestellt wurde. Davon bliebe aber die Pflicht eines öffentlichen Auftraggebers unberührt, Defizite und Fehler des Vergabeverfahrens jederzeit, also auch kurz vor Ablauf der Angebotsfrist, zu korrigieren und ggf. die Angebotsfrist unabhängig von § 10a EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A zu verlängern. Auch wenn eine vorvertragliche Sorgfaltspflicht der Bieter bestehe, Fragen unverzüglich zu stellen, habe ein Bieter aber auch das Recht, die Angebotsfrist voll auszuschöpfen. Dann auftauchende Unklarheiten müsse der Auftraggeber auch kurz vor Ende der Angebotsfrist noch korrigieren.

Im vorliegenden Fall kam es darauf letztlich gar nicht an. Die Antragsgegnerin beantwortete die Fragen des Bieters aus ihrer Sicht trotz Fristablaufs freiwillig. Dann aber, so die Vergabekammer, sei sie auch verpflichtet gewesen, diese Antwort allen Bietern zur Verfügung zu stellen. Dies gelte auch, wenn sie die Antwort für irrelevant hält. Es sei Sache der Bieter, die Relevanz von Informationen zu beurteilen. Hält ein Auftraggeber Fragen für (völlig) irrelevant, so darf sie auch dem Bieter, der die Frage gestellt hat, nicht antworten. Ob eine Antwort relevant für die Angebotserstellung ist oder nicht, sei erst für die Frage erheblich, ob die Angebotsfrist zu verlängern sei.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung ist im Ergebnis richtig: Antwortet eine Vergabestelle einem Bieter, muss sie im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung diese Informationen allen Bietern zur Verfügung stellen, falls sie nicht vollständig und unzweifelhaft bereits in den Vergabeunterlagen vorhanden waren. Ist die Vergabestelle der Auffassung, die Fragen seien irrelevant, kann sie dies dem fragenden Bieter mitteilen, darf aber nicht – gleichsam hilfsweise – die Fragen doch noch beantworten, allen anderen aber mit diesem Argument die Antwort vorenthalten. Das wäre schon in sich widersprüchlich.
Problematisch ist die – letztlich in einem obiter dictum vertretene – Auffassung der Vergabekammer, auch verspätete Fragen müssten noch beantwortet und die Angebotsfrist ggf. verlängert werden, wenn die Fragen Fehler oder Defizite des Vergabeverfahrens aufzeigen. Diese Auffassung widerspricht im Ergebnis § 10a EU Abs. 6 S. 3 VOB/A. Demnach ist der Auftraggeber zur Fristverlängerung nicht verpflichtet, wenn die Zusatzinformation nicht rechtzeitig angefordert wurde oder für die Erstellung der Angebote unerheblich ist. Aus der Verknüpfung durch das Wort „oder“ folgt, dass ein öffentlicher Auftraggeber die Frist auch dann nicht verlängern muss, wenn erhebliche Zusatzinformationen nicht rechtzeitig angefordert wurden. Sind Zusatzinformationen erheblich, so liegt aber regelmäßig ein Defizit der Vergabeunterlagen vor. Nach Auffassung der Vergabekammer müsste in diesen Fällen daher entgegen dem klaren Wortlaut des § 10a EU Abs. 6 S. 3 VOB/A die Angebotsfrist verlängert werden. Die Vergabekammer kann die Regelung auch nicht unter Verweis auf strengere Anforderungen des Europarechts unangewendet lassen, da die Regelung wortgleich in Art. 47 Richtlinie 2014/24/EU enthalten ist.

Der Widerspruch zwischen § 10a EU Abs. 6 S. 3 VOB/A und dem Grundsatz, dass Defizite des Vergabeverfahrens zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens zu korrigieren sind, lässt sich dadurch auflösen, dass Bieter Unklarheiten in den Vergabeunterlagen rechtzeitig durch entsprechende Nachfragen aufklären müssen und sie – anders als die Vergabekammer meint –  kein Recht haben, hierfür die Angebotsfrist voll auszuschöpfen. So hat beispielsweise das OLG Frankfurt entschieden, dass es dem Bieter obliegt, den Auftraggeber auf Defizite in den Vergabeunterlagen aufmerksam zu machen und Aufklärung zu verlangen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 02. Dezember 2014 11 Verg 7/14, Rn. 55, juris). Aus § 10a EU Abs. 6 VOB/A würde folgen, dass er diese Auskünfte rechtzeitig verlangen muss und die Angebotsfrist dafür gerade nicht voll ausschöpfen darf. Insgesamt erscheint die Rechtsprechung zum alten Recht aber uneinheitlich. Wie sich die Rechtsprechung zukünftig entwickelt, bleibt abzuwarten.

Praxistipp

  1. Im Zweifel sind stets alle Bieter über einem Bieter gegebene Antworten zu informieren.
  2. Bieter sollten bei Unklarheiten rechtzeitig Fragen stellen, um nicht zu riskieren, dass die Unklarheit zu ihren Lasten ausgelegt wird oder sie mit dieser Frage nicht mehr gehört werden. Ob sie hierfür die gesamte Angebotsfrist ausschöpfen dürfen, ist jedenfalls zweifelhaft.
  3. Vergabestellen müssen bei nicht rechtzeitigen, erheblichen Bieteranfragen zwischen der Verzögerung einer Angebotsfristverlängerung und den rechtlichen Unsicherheiten bei Nichtverlängerung abwägen. Rechtssicher ist stets die Alternative, die Angebotsfrist zu verlängern.

The post Auftraggeber müssen auch nicht rechtzeitig eingereichte Bieterfragen beantworten (VK Bund, Beschl. v. 28.01.2017 – VK 2 – 129/16) appeared first on Vergabeblog.

Paukenschlag aus Düsseldorf: Auch laufende Aufträge sind gültige Referenzen! (OLG Düsseldorf, 21.12.2016 – VII-Verg 29/16)

0
0
Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungÖffentliche Auftraggeber müssen bei der Wertung von Referenzen auch Aufträge berücksichtigen, die noch nicht abgeschlossen sind. Sonst verstoßen sie gegen das Gleichbehandlungsgebot. Die gängige Wertungsmethode der Bundesagentur für Arbeit (BA) ist damit in weiten Teilen vergaberechtswidrig.

§ 97 Abs. 2 GWB, § 4 Abs. 2 S. 2-4 VgV a.F., § 16 SGB II, §§ 76 ff. SGB III

Sachverhalt

Die BA schrieb im März 2016 Maßnahmen der Berufsausbildung in einer außerbetrieblichen Einrichtung im kooperativen Modell gemäß § 76 ff. SGB III i.V.m. § 16 Abs. 1 SGB II national öffentlich aus.

Wie üblich, bewertete sie die Angebote neben ihrem Preis anhand einer fünfstufigen Wertungsmatrix: Die Wertungsbereiche I bis IV betrafen die Qualität der einzureichenden Konzepte. Im Wertungsbereich V wurden die bisherigen Erfolge und Qualität der Bieter in vergleichbaren Maßnahmen nach den folgenden Kriterien bewertet:

V.1 Eingliederungsquote in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung

V.2 Eingliederungsquote in sozialversicherungspflichtige Ausbildung

V.3 Abbruchquote.

Die BA stellte mehrere Bedingungen auf, unter denen frühere Aufträge eines Bieters berücksichtigt wurden:

Sie berücksichtigte zum einen nur solche Maßnahmen, für die der Grundvertrag oder eine Verlängerung bis zum 30.04.2015 endeten.

Zum anderen betrachtete sie nur Erfolge, die im Bezirk des Jobcenters oder der Arbeitsagentur erzielt wurden, für die die jetzige Maßnahme ausgeschrieben wurde.

Schließlich sollten frühere Aufträge nur berücksichtigt werden, wenn mindestens zehn Teilnehmer betreut wurden. Allerdings spaltete die BA die Leistungen aus abgeschlossenen Aufträgen zu statistischen und Abrechnungszwecken in mehrere Teilaufträge auf. Die Referenz eines Bieters zerfiel dadurch in mehrere Teile, von denen keiner mehr die zehn Teilnehmer erreichte. Deshalb und weil der Grundvertrag erst nach dem 30.04.2015 endete, wurde der einzige Referenzauftrag eines Bieters nicht berücksichtigt.

Hiergegen setzte sich der Bieter mit Rüge und Nachprüfungsverfahren zur Wehr. Während er bei der Vergabekammer noch unterlag, hatte die Beschwerde Erfolg!

Die Entscheidung

Das OLG Düsseldorf stellte klar: Das Bewertungssystem der BA ist diskriminierend und wettbewerbswidrig. Zwar durfte die BA gemäß § 4 Abs. 2 S. 2-4 VgV a.F. auch eignungsbezogene Aspekte wie Referenzen werten. Bei der Festlegung der Zuschlagskriterien hat sie aber ihre Bestimmungsfreiheit überschritten und gegen das vergaberechtliche Gleichbehandlungsgebot nach § 97 Abs. 2 GWB verstoßen.

Indem sie nur Aufträge berücksichtigte, die seit mindestens einem Jahr abgeschlossen waren, benachteiligte sie zahlreiche Bieter. Denn selbst wenn wie hier die aktuelle Maßnahme weitgehend abgeschlossen und die vorgesehenen Quoten bereits übererfüllt wurden, bleiben ihre Erfolge über Jahre und damit über mehrere Ausschreibungen hinweg unberücksichtigt. Auch das Interesse der BA, nachlassende Erfolge am Ende einer Maßnahme zu berücksichtigen, rechtfertigt diese Benachteiligung nicht. Eine verwertbare Eingliederungsquote lässt sich bereits 18 Monate nach Maßnahmenbeginn errechnen, so der Vergabesenat.

Hier zeigt sich ein grundlegender Unterschied zwischen Dienst- und Bauleistungsaufträgen: Der öffentliche Auftraggeber kann einen Dienstleistungsauftrag bereits lange vor dem vollständigen Abschluss des Auftrags bewerten. Denn Dienstleistungen werden laufend erbracht und für sich genommen laufend abgeschlossen (bestes Beispiel: Post- oder Reinigungsdienstleistungen). Ob ein Bauunternehmer ein Bauwerk in der Vergangenheit erfolgreich errichtet hat, lässt sich dagegen erst beurteilen, wenn das Bauwerk fertiggestellt ist

Der Vergabesenat hält auch die Beschränkung der Referenzen auf regionale, im Bezirk des Bedarfsträgers erbrachte Maßnahmen für vergaberechtswidrig. Denn sie benachteiligt ortsfremde Bieter in unzulässiger Weise (Vgl. hierzu: Soudry, in: Vergabeblog vom 29.01.2017, Nr. 28933). Auch insoweit hat die BA ihre Bestimmungsfreiheit überschritten. Die regionalen Verschiedenheiten der jeweiligen Arbeitsmärkte könnten nämlich auch durch Zu- oder Abschläge bei der Wertung einfließen.

Außerdem kippte das Gericht eine weitere diskriminierende Praxis: Die Forderung einer Mindestaustrittsquote von zehn Personen ist zwar nicht grundsätzlich zu beanstanden. Wird ein einheitlich vergebener Auftrag aber nachträglich statistisch so in mehrere Teilaufträge zerlegt, dass die Austrittsquoten für jeden Teilauftrag unter die Zehn-Personen-Marke fällt und die Erfolge des Bieters dadurch insgesamt unberücksichtigt bleiben, ist das vergaberechtswidrig.

Zu guter Letzt deutet das OLG Düsseldorf an, dass die BA sich schon dadurch wettbewerbswidrig verhalten könnte, dass sie bisherige Maßnahmeerfolge überhaupt berücksichtigt. Angesichts der bundesweiten Tätigkeit der BA und ihrer Monopolstellung könnte das Gericht in einem künftigen Verfahren prüfen, ob Newcomern noch ausreichende Möglichkeiten des Marktzutritts verbleiben.

Rechtliche Würdigung

Innerhalb kurzer Zeit hat das OLG Düsseldorf die Vergabepraxis der BA zwei Mal deutlich kritisiert und ihr Grenzen aufgezeigt. Ob das Modell der Wertung bisheriger Erfolge und Leistungen (§§ 58 Abs. 2 S. 2 Nr. 2, 65 Abs. 5 S. 2 VgV) überhaupt noch eine Zukunft hat, ist damit fraglicher denn je.

Es spricht außerdem einiges dafür, die hier dargestellten Grenzen der Bestimmungsfreiheit auch bei der Eignungsprüfung nach § 122 Abs. 4 S. 1 GWB anzuwenden.

In dem Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer und dem Vergabesenat hat der Autor die Antragstellerin vertreten.

Anmerkung der Redaktion
Dieser Beitrag ist Teil der Serie Arbeitsmarktdienstleistungen. Weitere Beiträge der Serie finden Sie hier.

The post Paukenschlag aus Düsseldorf: Auch laufende Aufträge sind gültige Referenzen! (OLG Düsseldorf, 21.12.2016 – VII-Verg 29/16) appeared first on Vergabeblog.

eVergabe: Auftraggeber ist für den Zugang zur E-Vergabe-Plattform verantwortlich! (VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.12.2016 – 1 VK 51/16)

0
0
BauleistungenRecht

EntscheidungLässt der Auftraggeber die Einreichung von Angeboten ausschließlich über eine eVergabe-Lösung zu und ist es einem Bieter wegen technischer Schwierigkeiten nicht möglich sein Angebot ordnungsgemäß und rechtzeitig abzugeben, darf das Angebot deswegen nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden. Der Auftraggeber hat den elektronischen Zugang zu seinem Vergabeverfahren derart auszugestalten und wie einen offenen Briefkasten zur Verfügung zu halten, sodass sich Bieter ohne die vorherige Bewältigung großer technischen Hürden beteiligen können.

§§ 11a EU VOB/A, 14 Abs. 5 Nr. 1 EU VOB/A, 16 Nr. 1 VOB/A, 11 VgV, 57 VgV

Leitsatz

  1. Lässt die Vergabestelle die Einreichung von Angeboten ausschließlich über eine an das Internet angebundene Plattform zu (E-Vergabe) und ist es einem Bieter – aus Gründen die allein aus der Sphäre der Vergabestelle stammen – unmöglich und unzumutbar, sein Angebot nur der Form nach rechtzeitig abzugeben, darf das Angebot deswegen nicht ausgeschlossen werden.
  2. Die Vergabestelle hat den elektronischen Zugang zu ihrem Vergabeverfahren derart auszugestalten und wie einen offenen Briefkasten zur Verfügung zu halten, so dass sich auch Bieter ohne eigene IT-Abteilung schrankenlos beteiligen können.

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb die Oberflächenabdichtung eines Müllablageplatzes europaweit im offenen Verfahren nach den Bestimmungen der VOB/A EU aus. Er legte fest, dass Angebote ausschließlich elektronisch eingereicht werden dürfen. Die Bieter hatten dafür eine von dem Auftraggeber ausgewählte, softwarebasierte Plattform eines anerkannten eVergabe-Lösungsanbieters zu nutzen. Danach war ausschließlich eine elektronische Angebotsabgabe mit qualifizierter elektronischer Signatur zulässig. Nach den von den Bietern zu beachtenden Angaben im Handbuch des Plattformbetreibers müssen sich die Bieter zunächst online anmelden, die Vergabeunterlagen anfordern und herunterladen. Anschließend müssen Sie sich eine Software herunterladen und auf einem Rechner installieren (das sog. Bietercockpit). Mit diesem Programm können die Bieter sodann die heruntergeladenen Vergabeunterlagen bearbeiten, ein eigenes Angebot erstellen und elektronisch abgeben.

Entgegen den Anforderungen hatte die erstplatzierte Bieterin (hier die Beigeladene) ihr Angebot nicht bis zum Ablauf der Angebotsfrist elektronisch über die Internet-Plattform eingereicht, sondern lediglich als Anhang zu einer E-Mail. Über die Internet-Plattform reichte sie ihr inhaltlich identisches Angebot erst einige Stunden nach Ablauf der Angebotsfrist ein. Grund hierfür war, dass die Angebotseinreichung trotz mehrerer Zustellversuche am Vortrag und am Tag des Fristablaufs (um 10 Uhr) der Bieterin trotz Rücksprache mit dem Support (Helpdesk, Hotline) des Plattformbetreibers rechtzeitig nicht möglich war.

Der Auftraggeber schloss das Angebot der erstplatzierten Bieterin nicht aus dem Verfahren aus, sondern teilte der Beigeladenen mit, dass das Angebot wie ein rechtzeitig eingegangenes Angebot behandelt und bei der Angebotswertung berücksichtigt wird. Die zweitplatzierte Bieterin (die ASt) begehrt den Ausschluss des erstplatzierten Bieterangebots.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Das Angebot der erstplatzierten Bieterin war nach der gut begründeten Auffassung der Vergabekammer nicht aus dem Vergabeverfahren auszuschließen. Die Bieterin hatte alles ihr zumutbare unternommen, ihr Angebot rechtzeitig zu übermitteln. Ein dem Auftraggeber zuzurechnendes technisches Problem, wohl im Zusammenhang mit den Einstellungen des Proxy Servers, hat dazu geführt, dass ein rechtzeitiger Angebotseingang vereitelt wurde.

Zutreffend ist zwar, dass Angebote, die bei Ablauf der Angebotsfrist nicht vorgelegen haben, zwingend auszuschließen sind, § 16 EU Nr. 1 VOB/A. Der Auftraggeber hat insoweit keinen Ermessensspielraum, die Rechtsfolge ist zwingend. Dies gilt aber dann nicht, wenn die Ursache dafür, dass ein Bieter sein Angebot der Form nach auf der einzigen dafür bereitgestellten Internet-Plattform nicht rechtzeitig abgeben kann, alleine dem Auftraggeber zuzuordnen ist. Dann darf sein Angebot nicht deswegen ausgeschlossen werden. Treten technische Schwierigkeiten beim Betrieb der von der Vergabestelle verwendeten elektronischen Mittel auf, so sind die Folgen danach zu beurteilen, wessen Sphäre sie zuzuordnen sind. Schwierigkeiten auf Auftraggeberseite dürfen nicht zulasten des Bieters gehen.

Gemäß § 97 Abs. 6 GWB haben die Bieter Anspruch darauf, dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält. Dazu gehören die § 11 VgV und § 11a EU VOB/A. Nach den darin enthaltenen Bestimmungen hat die Vergabestelle die von ihr gewählten elektronischen Mittel zum Zugang zum Vergabeverfahren so vorzuhalten, dass sie eine Teilnahme am Verfahren in keiner Weise einschränken. Das ist dann der Fall, wenn sich die Bieter ohne finanziellen und zeitlichen Aufwand mit der Vergabestelle austauschen können. Wenn sich die Vergabestelle wie hier dafür entscheidet, Angebote ausschließlich über eine bestimmte Internet-Plattform zuzulassen, hat sie dafür Sorge zu tragen, dass diese Plattform, wie ein Briefkasten oder eine Annahmestelle, bis Fristablauf ohne weiteres zu erreichen ist. Kommt sie dieser Pflicht nicht nach, verstößt sie gegen bieterschützendes Vergaberecht.

Richtig ist, dass der Bieter die für die Übermittlung benötigte Zeit vorab in Erfahrung bringen muss und diese bei der Angebotsabgabe einzuplanen hat. Unterlaufen ihm hierbei Fehler, geht dies zu seinen Lasten. Er trägt das Übermittlungsrisiko. Vorliegend hatte die beigeladene Bieterin allerdings alles unternommen, was von einem Bieter erwartet werden kann. Zum einen entsprach das Vorgehen den Einstellungen der Software nach den Angaben des maßgeblichen Handbuchs. Zum anderen hat die Bieter rechtzeitig und umfassend Kontakt zum Kundendienst aufgenommen, um eine Lösung des technischen Problems zu finden. Mehr kann von einem Bieter nicht erwartet werden. Vor allem hatte aber die Vergabestelle den elektronischen Zugang derart auszugestalten, dass sich auch Bieter ohne eigene IT-Abteilung schrankenlos beteiligen können.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung ist zutreffend und in der Sache detailliert und nachvollziehbar begründet. Wenn sich der Auftraggeber dafür entscheidet, Angebote ausschließlich über eine bestimmte Internet-Plattform zuzulassen, hat er dafür Sorge zu tragen, dass diese Plattform, wie ein Briefkasten oder eine Annahmestelle, ohne weiteres zu erreichen ist. Kommt der Auftraggeber dieser Pflicht nicht nach, verstößt er gegen bieterschützendes Vergaberecht. Unterstellt man, dass die Auftraggeberin vorliegend den elektronischen Zugang für einen Bieter vergaberechtswidrig ausgestaltete und würde man das Angebot dieses Bieters dann gemäß § 16 EU Nr. 1 VOB/A von der Wertung ausschließen (müssen), bedeutet dies eine Beschränkung des europarechtlich determinierten Rechtsschutzes desjenigen Bieters, zu dessen Lasten gegen Vergaberecht verstoßen wurde. Man würde den Bieter des Primärrechtsschutzes gemeinschaftsrechtswidrig berauben. Vor diesem Hintergrund war die Entscheidung der Vergabekammer im zu entscheidenden Fall folgerichtig. Allerdings sind dabei drei Aspekte besonders hervorzuheben:

  • Erstens hat die beigeladene Bieterin vorliegend zwar kein formgerechtes Angebot eingereicht, aber es lag der Auftraggeberin vor Ablauf der Angebotsfrist ein Angebot in Gestalt einer einfachen E-Mail mit Anhang vor. Dieses Angebot war mit dem über die Plattform zu spät eingereichten Angebot inhaltlich deckungsgleich.
  • Zweitens hat die beigeladene Bieterin vorliegend am Vortag des Ablaufs der Angebotsfrist mehrere Zustellungsversuche unternommen und sowohl am Vortag als auch am Morgen des Ablaufs der Angebotsfrist intensiv Kontakt zu dem Plattformbetreiber entsprechend den Vorgaben der Auftraggeberin aufgenommen, um das Problem zu lösen. Sie hat sich daher bemüht, das Angebot formgerecht einzureichen.
  • Drittens hat die Vergabekammer über eine entsprechende Anwendung des § 14 EU Abs. 5 Nr. 1 VOB/A oder eine Fruchtbarmachung des in der § 57 VgV stehenden Rechtsgedanken nicht entschieden. Zutreffend geht sie dennoch davon aus, dass ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung von Dienst- und Lieferleistungen einerseits und Bauleistungen andererseits in diesem Punkt nicht einleuchtet.

Praxistipp

Im Grunde hat der Auftraggeber vorliegend keine Fehler gemacht. Zum einen hatte er auf eine bewährte und deutschlandweit anerkannte eVergabelösung zurückgegriffen. Zum anderen hat er klare Vorgaben und Anforderungen an die Durchführung der eVergabe den Bietern vorgegeben (vgl. dazu auch Probst/Winters, Die eVergabe nach der Vergaberechtsreform 2016, CR 2016, 349 ff.). Technische Probleme können ungeachtet dessen nicht ausgeschlossen werden. Dies veranschaulicht auch die Entscheidung. Trotzdem ist es Auftraggebern zu empfehlen, eindeutig auf etwaige Probleme und deren Lösungsmöglichkeiten in den Bewerbungsbedingungen bzw. den Teilnahmebedingungen hinzuweisen. In Anbetracht der häufig engen zeitlichen Spielräume im Vergabeverfahren und der Angewohnheit vieler Bieter, erst kurz vor Schluss die Angebote, sei es elektronisch, sei es postalisch, einzureichen, empfiehlt es sich darüber hinaus, einen Fristablauf erst später am Tag vorzusehen, anstatt wie vorliegend 10 Uhr, z.B. 15 Uhr. Bis dahin könnten etwaige Probleme noch besser gelöst werden.

Auf der anderen Seite müssen sich Bieter rechtzeitig mit der ordnungsgemäßen und formgerechten Angebotsabgabe auseinandersetzen und dürfen nicht erst auf den letzten Drücker handeln. Vor diesem Hintergrund ist Bietern grundsätzlich zu empfehlen, sich am Vortag des Ablaufs der Angebotsfrist mit der Angebotseinreichung umfassend zu befassen und gegebenenfalls zu versuchen, das Angebot bereits am Abend des Vortags ordnungsgemäß einzureichen. Gelingt dies nicht, können sie am Tag des Ablaufs der Angebotsfrist immer noch Klärungsversuche unternehmen. Des Weiteren sollten Bieter jedenfalls immer dann, wenn sie technisch nicht in der Lage sind, ein Angebot über eine vorgeschriebene Plattform formgerecht abzugeben, dieses jedenfalls per E-Mail rechtzeitig dem Auftraggeber zur Verfügung stellen.

The post eVergabe: Auftraggeber ist für den Zugang zur E-Vergabe-Plattform verantwortlich! (VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.12.2016 – 1 VK 51/16) appeared first on Vergabeblog.

Sechs, setzen! Schulnoten und (k)ein Ende? (BGH, Beschl. v. 04.04.2017 – X ZB 3/17)

0
0
Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungDer BGH setzt dem Streit um die Schulnoten ein Ende, verlagert die Probleme jedoch auf eine andere Ebene.

Nichts hat die Vergabepraxis im vergangenen Jahr so sehr bewegt wie die Zulässigkeit der qualitativen Angebotswertung nach dem Schulnotenprinzip. Nachdem der Düsseldorfer Vergabesenat zunächst hohe Anforderungen an ein derartiges Vorgehen gestellt hatte

(OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.12.2015, Verg 25/15; Beschl. v. 15.06.2016, Verg 49/15; vgl. Ortner, Vergabeblog.de vom 10/12/2015, Nr. 24401, sowie Vergabeblog.de vom 22/02/2016, Nr. 24682, Neusüß, Vergabeblog.de vom 04/12/2016, Nr. 28130),

war diese strenge Ansicht bereits durch eine Entscheidung des EuGH

(Urt. v. 14.07.2016, Rs. C-6/15 – TNS Dimarso; vgl. Ortner, Vergabeblog.de vom 25/09/2016, Nr. 27344; Neusüß, Vergabeblog.de vom 21/08/2016, Nr. 27080)

fraglich geworden.

Bezeichnenderweise hat das OLG Düsseldorf zuletzt selber von seiner Rechtsprechung Abstand genommen, hierzu aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die Entscheidung lediglich auf die Rechtslage vor dem 18.04.2016 – also das „alte Vergaberecht“ – beziehe (Beschl. v. 08.03.2017, Verg 39/16; vgl. Neusüß, Vergabeblog.de vom 18/04/2017, Nr. 30840).

Das OLG Dresden wollte nunmehr in einem vergleichbaren Sachverhalt von den erstgenannten Entscheidungen des OLG Düsseldorf abweichen und hat die Sache im Wege der Divergenzvorlage dem BGH vorgelegt (Beschl. v. 02.02.2017, Verg 7/16; vgl. Siebler, Vergabeblog.de vom 11/05/2017, Nr. 31533). Der Sachverhalt bezieht sich hier bereits auf die neue Rechtslage.

Der BGH hat die Ansicht des OLG Dresden nunmehr bestätigt und darüber hinaus zu weiteren interessanten materiellen und prozessualen Fragen Stellung genommen.

Kann nunmehr unproblematisch eine Bewertung nach Schulnoten erfolgen oder verlagern sich die Probleme nur auf eine andere Ebene?

§§ 97 Abs. 1, 127 Abs. 1, 179 Abs. 2 GWB; §§ 8 Abs. 1 S. 2. 58 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 VgV; §§ 524, 565 S. 2 ZPO

Leitsatz

  1. Es steht einer transparenten und wettbewerbskonformen Auftragsvergabe regelmäßig nicht entgegen, wenn der öffentliche Auftraggeber für die Erfüllung qualitativer Wertungskriterien Noten mit zugeordneten Punktwerten vergibt, ohne dass die Vergabeunterlagen weitere konkretisierende Angaben dazu enthalten, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl konkret abhängen soll.
  2. Ein Wertungsschema, bei dem die Qualität der Leistungserbringung und der nach der einfachen linearen Methode in Punkte umzurechnende Preis mit jeweils 50% bewertet werden, ist ohne Weiteres auch dann nicht vergaberechtswidrig, wenn nur eine Ausschöpfung der Punkteskala in einem kleinen Segment (hier: 45 bis 50 von 50 möglichen Punkten) zu erwarten ist. Die Wahl einer bestimmten Preisumrechnungsmethode kann vergaberechtlich nur beanstandet werden, wenn sich gerade ihre Heranziehung im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände als mit dem gesetzlichen Leitbild des Vergabewettbewerbs unvereinbar erweist.
  3. Der Gefahr einer Überbewertung qualitativer Wertungskriterien zum Nachteil einzelner Bieter ist durch eingehende Dokumentation des Wertungsprozesses zu begegnen. Die Nachprüfungsinstanzen untersuchen auf Rüge die Benotung des Angebots des Antragstellers als solche und in Relation zu den übrigen Angeboten, insbesondere zu demjenigen des Zuschlagsprätendenten, und darauf hin, ob die jeweiligen Noten im Vergleich ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurden.
  4. Der Beschwerdegegner kann sich im Vergabenachprüfungsverfahren bis zum Ablauf der ihm gesetzten Frist zur Beschwerdeerwiderung der Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer anschließen.
  5. Im Verfahren vor dem Bundesgerichtshof nach § 179 Abs. 2 GWB kann die Beschwerde nach Beginn der mündlichen Verhandlung nur mit Einwilligung des Gegners zurückgenommen werden.

Sachverhalt

Der Entscheidung liegt ein Offenes Verfahren über die Vergabe von Rahmenverträgen über Postdienstleistungen (in zwei Losen, getrennt nach Brief- und Paketpost) für eine Vertragsdauer von jeweils sechs Jahren zugrunde. Der vertragliche Leistungsinhalt umfasste die Abholung der Sendungen beim Auftraggeber, die notwendigen Zwischenschritte und schließlich die Zustellung beim Empfänger. Vom Auftraggeber ist lediglich der Zustand bei der Abholung und die Ablieferung innerhalb einer vorgegebenen Frist vorgegeben. Darüber hinaus sollte der Auftragnehmer in seiner Organisation weitestgehend frei sein. Als Zuschlagskriterien wurden jeweils zu 50 % der Angebotspreis und die Qualität der Leistungserbringung festgelegt.

Für die Bewertung der Qualität wurden drei Unterkriterien gebildet. Diese wurden den Bietern durch die Vergabeunterlagen wie folgt mitgeteilt:

1. Schwankungen im Sendungsaufkommen/Auftragsspitzen (15 %)

2. Sicherstellung einer effektiven Leistungserbringung (25 %), hier waren weitere vier Unterunterkriterien gebildet worden:

a) Sicherstellung der Zustellung in Häusern, bei denen aufgeschlossen bzw. geklingelt werden muss

b) Reaktionsweise bei Notfällen wie Personal- oder Fahrzeugausfällen oder extremen Wetterbedingungen,

c) Reklamationsmanagement,

d) internes Qualitätsmanagement zur Gewährleistung der anforderungsgerechten Leistungserbringung

3. Zustellzeiten (10 %)

Die Bewältigung von Schwankungen im Sendungsaufkommen und die Sicherstellung der effektiven Leistungserbringung war durch die Bieter zusammen mit ihren Angeboten im Rahmen eines zwei- bzw. vierseitigen Konzepts darzustellen. Für die Darstellung über die Bewältigung von Schwankungen im Sendungsaufkommen sollten im Rahmen der Wertung maximal 15 Punkte erreicht werden können. Für die Sicherstellung der effektiven Leistungserbringung waren maximal 25 Punkte zu erzielen. Die Zustellzeit sollte mit maximal 10 Punkten bewertet werden.

Die Vergabeunterlagen sahen vor, dass der Auftraggeber die schriftlichen Darstellungen auf einer Skala von 0 bis 5 Punkten bewertet. Die Bewertung sollte dann für das erste Unterkriterium mit dem Faktor 3 und für das zweite Unterkriterium mit dem Faktor 5 multipliziert werden.

Die Bewertungsskala wurde nach Schulnoten von ungenügend (0 Punkte) bis sehr gut (5 Punkte) bekannt gemacht.

Die Bewertung der Zustellzeiten erfolgte auf Grundlage einer festen Skala in Abhängigkeit vom Tag der Einlieferung bis zur Zustellung.

Weitergehende Konkretisierungen der Zuschlagskriterien wurden nicht bekanntgemacht.

Bereits vor Angebotsabgabe rügte ein Bieter u.a., dass die Bewertungsmatrix intransparent sei. Nach der Zurückweisung der Rüge durch den Auftraggeber stellte der Bieter einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Freistaates Sachsen, welche dem Bieter in seiner Argumentation zur Intransparenz der Bewertungsmatrix recht gab. Nach Ansicht der Vergabekammer sei für die Bieter nicht erkennbar, welche konkreten Angaben für die Erlangung einer bestimmten Punktzahl erwartet würden. In der Beschwerdeinstanz vor dem  OLG Dresden hat der Auftraggeber seine Matrix verteidigt. Der Vergabesenat hält die Wertungsmatrix ebenfalls unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH (a.a.O.) für ausreichend transparent und hält den Nachprüfungsantrag daher für unbegründet. An einer Zurückweisung sieht sich das OLG jedoch deshalb gehindert, weil diese von vorhergehenden Entscheidungen des Düsseldorfer Vergabesenats abweichen würden. Der Senat legt die Angelegenheit daher dem BGH zur Entscheidung vor.

Die Entscheidung

Der X. Zivilsenat bestätigt die Ansicht der Dresdner Richter und hält die Bewertungsmatrix ebenfalls für hinreichend transparent.

Der BGH stellt zunächst fest, dass es einer transparenten und wettbewerbskonformen Auftragsvergabe nach den Grundsätzen des § 97 Abs. 1 GWB im konkreten Fall nicht entgegenstehe, wenn die Vergabeunterlagen keine konkretisierenden Angaben dazu enthalten, wovon die für einzureichende Konzepte zu erzielende Punktzahl abhängen soll. In diesem Zusammenhang wird zunächst darauf hingewiesen, dass die streitgegenständlichen Postdienstleistungen weitestgehend standardisiert seien und sich die notwendigen Einzelleistungen bereits konkret und erschöpfend aus den Vergabeunterlagen ergäben. Nur in Bezug auf die Konzepte zur qualitativen Wertung sei der Wettbewerb teilweise funktional ausgestaltet, so dass lediglich innerhalb dieser Grenzen überhaupt eigene Lösungsansätze der Bieter möglich seien. In Bezug auf die Tauglichkeit dieser Lösungen stehe dem Auftraggeber eine prognostischer Beurteilungsspielraum zu.

Darüber hinaus sei für jeden Bieter schon aus der Bezeichnung der jeweiligen Kriterien klar verständlich, für welche Sachverhalte ihre Konzepte eine taugliche Lösung anbieten sollten. Weitergehende Erklärungen und konkretisierende Informationen seien daher aus Gründen der Transparenz auch nicht geboten gewesen. Vielmehr hätten solche Angaben zur Folge, dass dem Auftraggeber durch die Vorgabe von Lösungswegen die Möglichkeit der von ihm favorisierten (teil-)funktionalen Ausschreibung genommen würde. Die Delegation von Lösungswegen im Wege einer funktionalen Ausschreibung auf die Bieter erkennt der BGH damit an.

Offen lässt der BGH allerdings, ob es unter außergewöhnlichen Umständen, welche in der Komplexität des Auftragsgegenstands und den damit verbundenen besonders vielschichtigen Wertungskriterien begründet sein könnten, doch notwendig sein kann, dass der Auftraggeber Anhaltspunkte für seine Vorstellungen und Präferenzen vorgibt. Aufgrund der weitestgehenden Standardisierung der Leistung kam es hierauf vorliegend nicht an.

Abschließend weist der Senat den Auftraggeber nach der Zurückweisung des Nachprüfungsantrags für die anstehende Angebotswertung darauf hin, dass zwischen der Zulässigkeit der Wertungsmatrix einerseits und der auf dieser Grundlage durchgeführten Wertung andererseits zu unterscheiden sei. Mit dem hohen Stellenwert der qualitativen Bewertung gehe die Verpflichtung des Auftraggebers zu einer besonders sorgfältigen Benotung einher. Der Auftraggeber habe qualitativen Kriterien insbesondere mit seinem großen Interesse daran, die amtlichen Betriebsabläufe mögen durch die Leistungserbringung nicht gestört werden, begründet. Da sich hieran die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung entscheide, sei die Wertung genau an diesem Interesse auszurichten. So sei es bspw. denkbar, dass Unterschiede in den Bieterkonzepten größeres, niedrigeres oder sogar gar kein messbares Gewicht haben können. Dies sei im Rahmen der Wertung zu berücksichtigen. Die Gefahr der mangelnden Transparenz bestehe hier eher darin, dass der Auftraggeber seine Wertungsentscheidung nicht hinreichend dokumentiere. Die Dokumentation setze in solchen Fällen voraus, dass die maßgeblichen Erwägungen der Wertung in allen Schritten eingehend und nachvollziehbar dargelegt würden, so dass erkennbar würde, welche qualitativen Eigenschaften mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen sind. Diese Benotung würden die Nachprüfungsinstanzen insbesondere auf Plausibilität im Vergleich zu den übrigen Bietern prüfen.

Die Entscheidung befasst sich daneben noch mit interessanten Fragen zur Zulässigkeit der Anschlussbeschwerde und der Wahl einer bestimmten Preisumrechnungsmethode. Diese sollen vorliegend jedoch im Sinne der besseren Lesbarkeit unbeachtet bleiben.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung betrifft zunächst ein Verfahren, dessen Bekanntmachung am 20.08.2016 im Supplement zum Amtsblatt der EU erfolgte. Sie gilt mithin ausdrücklich für das am 18.04.2016 in Kraft getretene „neue Vergaberecht“. Dies ist insofern interessant, als auch das OLG Düsseldorf in einer aktuellen Entscheidung von seiner strengen Ansicht in Bezug auf eine Bewertung nach Schulnoten Abstand genommen hatte, diesbezüglich aber ausdrücklich darauf verwiesen hatte, der Sachverhalt betreffe ausschließlich die „alte Rechtslage“ (Beschl. v. 08.03.2017, Az.: VII-Verg 39/16). Demnach dürften die letzten verbliebenen Zweifel, ob selbiges auch nach neuer Rechtslage gelte, durch den BGH ausgeräumt worden sein.

Weiterhin liegt die Entscheidung natürlich insbesondere auf der Linie der Dimarso-Entscheidung des EuGH (a. a. O.) und war vor diesem Hintergrund wohl auch zu erwarten.

Dementsprechend ist nunmehr auch nicht mehr bestreitbar, dass eine qualitative Angebotswertung auf der Grundlage von Schulnoten oder ähnlichen Skalen vergaberechtlich zulässig ist, ohne dass die Vergabeunterlagen konkretisieren, unter welchen genauen Voraussetzungen, welche Benotung zu erreichen ist bzw. welche inhaltlichen Angaben das Angebot aufweisen muss. Die Entscheidung stärkt den Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers. Dies ist nach Ansicht des Verfassers vor allem deshalb wichtig, damit das Ergebnis des Vergabeverfahrens tatsächlich das wirtschaftlichste Angebot abbildet und nicht etwa den Lösungsvorschlag des Auftraggebers abschreibt und die Angebote inhaltlich nicht unterscheidbar sind – echter Wettbewerb braucht diese Unterscheidbarkeit und die qualitative Bewertung unterschiedlicher Lösungen.

Gleichwohl ergibt sich aus dem Beschluss kein Freibrief an den öffentlichen Auftraggeber, nunmehr nicht mehr die notwendige Sorgfalt bei der Verfahrensdurchführung an den Tag zu legen. Die Probleme werden sich lediglich in andere Bereiche verlagern. Umfangreiche Verfahren werden weiterhin nicht ohne Fleißarbeit der Auftraggeber rechtssicher zu führen sein.

Offen bleibt weiterhin, ob es die besondere Komplexität des Auftragsgegenstands ausnahmsweise erfordert, dass der Auftraggeber seine Vorstellungen und Präferenzen an den Zielerreichungsgrad der Angebote näher erläutert und zumindest in diesen Ausnahmefällen Anhaltspunkte für die Benotung vorgibt.

Hiervon war insbesondere zuletzt auch noch das OLG Düsseldorf (a.a.O.) ausgegangen und hat in einem Leitsatz darauf hingewiesen, dass der Auftraggeber sich seiner Verpflichtung zur Formulierung der Zuschlagskriterien und deren Gewichtung insbesondere bei funktionalen Ausschreibungen nicht durch die Verwendung eines reinen Schulnotensystems entziehen könne. Fraglich bleibt weiterhin, ob der BGH durch seine diesbezüglichen Ausführungen (es handelt sich nicht um ein obiter dictum, da die Frage offen gelassen wird) hierzu tendiert. Nach Ansicht des Verfassers kann dies jedoch nicht zwingend angenommen werden. Vielmehr dürfte es sich um die prozessuale Behandlung unerheblichen Parteivortrags handeln. Dieser Schluss drängt sich gerade deshalb auf, weil auch der EuGH (a.a.O.) keine derartigen Überlegungen aufgeworfen und dem Auftraggeber anhand einer wesentlich einfacheren Skala für die Bewertung der Angebotsqualität einen hohen Spielraum eingeräumt hat.

Interessant sind hingegen insbesondere die aufgestellten Anforderungen des BGH an die Durchführung der Wertung und deren Dokumentation. Hier weist der Senat darauf hin, dass sich die Bewertung des Auftraggebers an dem mit dem Zuschlagskriterium verfolgten Zweck (hier: ungestörte amtliche Betriebsabläufe) auszurichten habe. Dieser Zweck ergab sich in dem vorliegenden Fall aus den Formulierungen der Vergabeunterlagen. Vielfach wird es aber nicht möglich sein, den verfolgten Zweck in einigen wenigen Sätzen und dann auch noch vollumfänglich zu formulieren. Auch wenn vor dem Hintergrund der Dimarso-Entscheidung des EuGH (a.a.O.) eine Bekanntmachung des verfolgten Zwecks an die Bieter nicht notwendig sein dürfte, so muss dieser zumindest intern dokumentiert werden. Im Ergebnis wäre der Auftraggeber dann daran gehindert, Konzeptinhalte positiv zu bewerten, von welchen er sich zwar einen Mehrwert verspricht, die seinem ursprünglich mit dem Bewertungskriterium verfolgten Zweck aber nicht dienlich sind bzw. diesem neutral gegenüber stehen.

Des Weiteren stellt der BGH strenge Anforderungen an die Dokumentation der Wertungsentscheidung auf. Der Auftraggeber muss sich hier vollumfänglich und nachvollziehbar mit den Inhalten der Angebote und der daraus resultierenden Benotung auseinandersetzen, darf keine sachfremden Erwägungen einfließen lassen und die Vor- und Nachteile – auch unter Berücksichtigung der Konkurrenzangebote – sorgfältig abwägen. Die bisher noch teilweise als zulässig angesehene Übertragung der Wertungsentscheidung an ein vom Auftraggeber eingesetztes Gremium (OLG München, Beschl. v. 25.09.2014, Az.: Verg 9/14; VK Brandenburg, Beschl. v. 12.11.2008, Az.: VK 35/08; a. A. VK Südbayern, Beschl. v. 24.07.2015, Az.: Z3-3-3194-1-28-04/15) dürfte daher zukünftig nicht mehr bzw. nur noch mit hohen Anforderungen an die Dokumentation zulässig sein.

Gleichzeitig stellen sich in Bezug auf die auftraggeberseitigen Dokumentationspflichten neue Fragen im Rahmen eines Vergabenachprüfungsverfahrens. Nach Mitteilung der Wertungsentscheidung des Auftraggebers dürften den Bietern noch keine detaillierten Angaben über etwaige Mängel bei der Wertung des eigenen Angebots bekannt sein. Insofern werden sie zur Abgabe einer Rüge „ins Blaue hinein“ verleitet. Fraglich ist, welche Anforderungen an die Substantiierung der Rüge die Nachprüfungsinstanzen hier zukünftig fordern werden. Gleiches gilt letztlich für die Voraussetzungen der Gewährung von Akteneinsicht. Gem. § 165 Abs. 2 GWB hat die Vergabekammer diese zu versagen, wenn dies aus wichtigen Gründen, insbesondere der Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, geboten ist. Die Dokumentation der Angebotswertung dürfte solche Geheimnisse aber regelmäßig beinhalten, wenn die einzelnen Angebote gegeneinander abgewogen und Vor- und Nachteile benannt werden.

Praxistipp

Die Entscheidung des BGH stärkt zunächst die öffentlichen Auftraggeber in ihrem Beurteilungsspielraum im Rahmen der Angebotswertung. Die Vergabeunterlagen und die Zuschlagskriterien müssen mithin nicht die favorisierte Optimallösung, welche in der Praxis ohnehin regelmäßig nicht bekannt ist, vorgeben. Zur Erreichung einer wirtschaftlichen Beschaffung ist dies sicherlich zu begrüßen.

Trotzdem wird die Wertung entsprechender Verfahren die Auftraggeber weiterhin vor Herausforderungen stellen. Einem Vorgehen „Pi mal Daumen“ hat der BGH eine Absage erteilt. Vielmehr muss die Plausibilität der Bewertung im Rahmen der Dokumentation nunmehr umfänglich dargestellt werden. Dies wird regelmäßig einiger Fleißarbeit bedürfen, ist vor dem Hintergrund der anderenfalls bestehenden Missbrauchsmöglichkeiten aber nur allzu verständlich.

Es darf gespannt abgewartet werden, wie die vergaberechtliche Judikatur hier in Zukunft eine weitere Akzentuierung herbeiführen wird.

The post Sechs, setzen! Schulnoten und (k)ein Ende? (BGH, Beschl. v. 04.04.2017 – X ZB 3/17) appeared first on Vergabeblog.

Viewing all 765 articles
Browse latest View live




Latest Images