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Das neue hessische Vergabe- und Tariftreuegesetz – Alle Jahre wieder Teil II

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RechtUNBEDINGT LESEN!

Bereits Ende letzten Jahres hatten wir im Vergabeblog über den Entwurf zum neuen Hessischen Vergabe- und Tariftreuegesetz (HVTG) berichtet. Am 01.03.2015 trat nun das neue Gesetz in Kraft. Es reiht sich damit in eine Vielzahl von Landesvergabegesetzen ein, die in jüngster Zeit neu erlassen worden sind.

Der Schwerpunkt des Gesetzes liegt in der Einführung umfangreicher Regelungen zu Tariftreue und Mindestlohn in der öffentlichen Auftragsvergabe. Weiterhin enthält es erstmals einen Katalog von Kriterien, die sich auf soziale, umweltbezogene und ökologische und innovative Anforderungen erstreckt. Neben diesen beiden Schwerpunktthemen enthält es aber auch – manchmal etwas versteckt – zahlreiche Neuerungen, die zum Teil weitreichende Änderungen bei der Auftragsvergabe oberhalb und unterhalb der Schwellenwerte mit sich bringen.

Der Beitrag erläutert die wichtigsten Neuregelungen, die im Vergleich zum Gesetzentwurf teilweise nochmal angepasst wurden.

Nachhaltige Entwicklung

Von wesentlicher Bedeutung ist, dass bei den Beschaffungen des Landes grundsätzlich die Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung in Bezug auf den Beschaffungsgegenstand und dessen Auswirkungen auf das ökologische, soziale und wirtschaftliche Gefüge zu berücksichtigen sind. Für Gemeinden ist diese Vorgabe ins Ermessen gestellt.

Unklar ist im Rahmen des neuen Gesetzes, inwieweit die allgemeinen Grundsätze zur Berücksichtigung nachhaltiger Entwicklung nach § 2 Abs.2 HVTG und § 3 Abs.1 HVTG im Verhältnis stehen. Denn zumindest für Beschaffungen des Landes sind nach § 2 Abs.2 HVTG nachhaltige Aspekte zwingend zu berücksichtigen. Nach § 3 Abs.1 steht es den öffentlichen Auftraggebern allerdings frei, soziale, ökologische, umweltbezogene und innovative Anforderungen zu berücksichtigen, wenn diese mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Unter Anforderungen scheint der Gesetzgeber hier allein die Zuschlagskriterien zu verstehen. Der Gesetzgeber schien ausweislich der Gesetzesbegründung davon auszugehen, dass der Begriff der Nachhaltigkeit in § 2 durch die Grundsätze in § 3 konkretisiert werden. Allerdings entsteht ein Widerspruch zwischen der auf der einen Seite zwingenden Regelung in § 2 Abs.2 und der Ermessensregelung in § 3 Abs.1. Dieser könnte nur dadurch aufgelöst werden, in dem man § 2 Abs.2 so versteht, dass Nachhaltigkeitsaspekte in irgendeiner Form in den Beschaffungen Berücksichtigung finden müssen, allerdings nicht zwingend im Rahmen der Zuschlagskriterien nach § 3 Abs.1.

Weiterhin bemerkenswert an der Regelung des § 3 Abs.1 ist, dass nach S.2 nicht nur die sozialen, ökologischen, umweltbezogenen und innovativen Kriterien und deren Gewichtung in der Bekanntmachung und in den Vergabeunterlagen genannt werden müssen, sondern auch alle anderen Zuschlagskriterien. Das ist zumindest für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte ein absolutes Novum. Die 1. Abschnitten der Vergabeverordnungen enthalten nämlich insbesondere keine Verpflichtung, die Zuschlagskriterien auch zu gewichten.

Tariftreue und Mindestlohn

Sicherlich eine der wesentlichen Neuerungen im HTVG ist die explizite Einführung von Regelungen zur Tariftreue und zum Mindestlohn. Hessen folgt mit dessen Einführung etlichen anderen Bundesländern, die schon entsprechende Regelungen erlassen haben.

§ 4 Abs.1 enthält zunächst eine Generalklausel, nach der Unternehmen grundsätzlich verpflichtet sind, ihren Beschäftigten die für sie geltenden gesetzlichen und tarifvertraglich festgesetzten Leistungen zu gewähren. Soweit Leistungen und Tarifverträge von dem sachlichen Anwendungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes erfasst werden, sind öffentliche Auftraggeber nach Abs.2 verpflichtet, nur Bieter zu beauftragen, die sich ihrerseits bei Angebotsabgabe verpflichtet haben, ihren Beschäftigten mindestens das den einschlägigen Vorgaben entsprechende Entgelt und die sonstigen Arbeitsbedingungen zu gewähren.

Unklar ist, in welchem Verhältnis die Regelungen des § 4 Abs.3 und die des § 6 steht. Nach § 4 Abs.3 dürfen Leistungen, die vom Mindestlohngesetz des Bundes erfasst werden, nur an Unternehmen vergeben werden, die sich bei Angebotsabgabe in Textform verpflichten, ihren Beschäftigten bei der Ausführung der Leistung ein Entgelt zu zahlen, das den Vorgaben des Mindestlohngesetzes entspricht. § 6 regelt wiederum eigentlich den gleiche Fall, dass Bewerber das Mindestlohngesetz einzuhalten haben und dies bei Angebotsabgabe in Textform zu erklären haben. Das gleiche gilt nach § 6 S. 3 für Nachunternehmer. Diese Verpflichtung für Nachunternehmer wird aber gleichzeitig auch nochmal in § 7 Abs.1 und § 8 Abs.2 normiert. Hier scheint der Gesetzgeber nach dem Prinzip „doppelt und dreifach hält besser“ agiert zu haben, da letztlich die Regelungen in § 4 Abs.3, § 6 S.1 und 2 und § 7 Abs.1 überschneidende Regelungsinhalte haben. Sinnvoll scheint in diesem Zusammenhang die Regelung in § 6 S.4, wonach die Vorschrift nicht gilt, soweit nach § 4 Tariftreue gefordert werden kann und die tarifliche Regelung für die Beschäftigten günstiger ist als die Regelungen zum Mindestlohn. § 7 enthält darüber hinaus die Verpflichtung für den öffentlichen Auftraggeber in der Bekanntmachung auf die Verpflichtung zur Einreichung der entsprechenden Erklärungen hinzuweisen und regelt die Folge des Nichteinreichens der entsprechenden Erklärungen.

Eine Folge dieser sich teilweise überschneidenden Regelungen desselben Sachverhalt ist eine weitere Unklarheit im Gesetzestext zum Zeitpunkt der Vorlage der entsprechenden Erklärungen. § 7 Abs.1 i.V.m. Abs.3 ist so zu verstehen, dass auch die Nachunternehmer die Tariftreue- und Mindestentgelterklärungen bereits bei Angebotsabgabe vorzulegen haben, soweit der Nachunternehmer bereits bekannt ist. § 8 Abs.2 spricht wiederum davon, dass Bieter u.a. verpflichtet sind, die Erklärungen der Nachunternehmer erst nach Auftragserteilung, spätestens vor Beginn der Ausführung der Leistung durch den Nachunternehmer vorzulegen. Diesen Widerspruch zu lösen ist nicht einfach. Denn für den Fall, dass der Auftraggeber die entsprechenden Erklärungen bereits mit dem Angebot fordert, riskiert er den Ausschluss von möglicherweise interessanten Angeboten. Vor diesem Hintergrund wäre aus der Zielsetzung heraus, einen möglichst breiten Wettbewerb aufrecht zu erhalten, sicherlich sinnvoller und ebenfalls mit dem Gesetz im Einklang stehend, die Erklärungen entsprechen § 8 Abs.2 erst zu einem späteren Zeitpunkt zu fordern.

§ 9 regelt schließlich die Verpflichtung der beauftragten Unternehmen, dem Auftraggeber die Einhaltung der Tariftreue- und Mindestlohnregelungen jederzeit nachzuweisen. Der Auftraggeber hat diesbezüglich ein umfangreiches Einsichtsrecht in Entgeltabrechnungen und andere Geschäftsunterlagen des Auftragnehmers und dessen Nachunternehmers. Interessant ist an dieser Regelung, dass sie nur eine Verpflichtung für den Auftragnehmer enthält, die Unterlagen vorzuhalten, jedoch keine Verpflichtung für den Auftraggeber, diese auch tatsächlich zu kontrollieren. Vor dem Hintergrund, dass das Gesetz nicht regelt, wer diese Kontrollen zukünftig durchführen soll (wie beispielsweise der Zoll oder eine eigenständige Prüfbehörde oder doch die Vergabestelle direkt) bleibt abzuwarten, wie intensiv die Kontrollen in Zukunft tatsächlich stattfinden.

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Interessenbekundungsverfahren und innovative Produkte

Der dritte Teil des neuen HVTG bringt keine bahnbrechenden Neuerungen, wirft allerdings auch wieder einige Fragezeichen auf. Bemerkenswert ist hier zunächst, dass das Interessenbekundungsverfahren als „abgespeckter“ Teilnahmewettbewerb in § 10 eine Aufwertung erfährt, indem zunächst der Auftragswert, bei dem ein Interessenbekundungsverfahren durchzuführen ist, bei Dienstleistungen auf 50.000 € abgesenkt wurde und explizit (enge) Voraussetzungen aufgenommen wurden, wann von einem Interessenbekundungsverfahren im Einzelfall abgesehen werden kann.

§ 10 Abs.6 hält eine Überraschung parat, wonach Beschaffungen für innovative Produkte und Leistungen, für die vertragliche Spezifikationen nicht festgelegt werden können, im Rahmen einer freihändigen Vergabe EU-weit bekannt gemacht werden sollen. Diese Regelung gilt interessanterweise auch für Leistungen unterhalb der Schwellenwerte und wirft mehr Fragen auf, als das sie Klarheit schafft. Allen voran ist unklar, was der Gesetzgeber unter innovativen Produkten versteht. Die Gesetzesbegründung gibt hierzu keinen Aufschluss. Nach der Definition des Bundeswirtschaftsministeriums bedeutet Innovation die Markteinführung einer Neuerung, die in der Praxis verwirklicht wurde und zur Optimierung von Produkten, Verfahren, Dienstleistungen und Prozessen beiträgt. Es bleibt abzuwarten, inwieweit dieser Regelung in der Praxis eine Relevanz zukommt.

Öffentlich-Private Partnerschaften

Außerdem erwähnenswert im dritten Teil des Gesetzes ist die Regelung zu Öffentlich-Privaten Partnerschaften in § 14. Danach ist nun gesetzlich normiert, dass ÖPP nur bei einem nachgewiesenen Wirtschaftlichkeitsvorteil gegenüber anderen Beschaffungsvarianten für das Land zulässig. Die Inhalte für die notwendige Wirtschaftlichkeitsberechnung werden klar vorgegeben. Die Vorschrift enthält darüber hinaus Regelungen zum Schutz von mittelständischen Unternehmen, da ÖPP oftmals so ausgelegt sind, dass diese Unternehmen sich wegen der langen Laufzeit und Haftung nicht beteiligen können. Dazu gehören die zwingende Ermöglichung von einem vorzeitigen Ausstieg aus dem Projekt und die Möglichkeit zum Zwecke der Refinanzierung, Vergütungsforderungen des Auftragnehmers gegen den Auftraggeber zu veräußern.

Vergabefreigrenzen

Ebenfalls dem Schutz des Mittelstandes soll die Normierung der bisher nur in Erlassen geregelten Vergabefreigrenzen für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte in § 15 dienen. Nach der Gesetzesbegründung soll der Vorteil der Regelung darin bestehen, dass mittelständische Unternehmen sich nicht in zeitintensiver und kostenaufwendiger Weise an einer Vielzahl von Ausschreibungen beteiligen müssen, ohne die Erfolgsaussichten vorab einschätzen zu können, sondern infolge der konkreten Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes durch einen Auftraggeber gezielter und mit besseren Erfolgschancen Angebote erarbeiten und einreichen können.

Die notwendige Öffentlichkeit soll hier durch die Verpflichtung zur Durchführung von Interessenbekundungsverfahren geschaffen werden. Bei Vergaben ohne Interessenbekundungsverfahren wird eine Ex-post Transparenz geschaffen, indem der Auftraggeber nach § 15 Abs.3 den Beschaffungsvorgang und den Namen des Auftragnehmers in der HAD veröffentlichen muss. Damit sind die ursprünglich zur Stützung der Konjunktur erlassenen Freigrenzen endgültig gesetzlich normiert, da sie sich in der Praxis für den öffentlichen Auftraggeber durchaus bewährt haben. Ob durch die Zurückdrängung der öffentlichen Ausschreibung im Unterschwellenbereich ein ausreichender Wettbewerb gewährleistet ist, bleibt hingegen fraglich.

Urkalkulation und Zwei-Umschlag Verfahren

Gegenüber dem bisher geltenden Vergabegesetz „zurück gerudert“ hat der Gesetzgeber bei den Regelungen zur Urkalkulation und zum sog. Zwei-Umschlagverfahren. So sind die Bieter nach § 16 nicht mehr verpflichtet, die Urkalkulation in einem verschlossenen Umschlag einzureichen, sondern es ist vielmehr im Ermessen des Auftraggebers dies zu verlangen.

Gleiches gilt für die Regelung, Angebote für Planungsleistungen getrennt nach Dienstleistungen und Entgelt in 2 verschlossenen Umschlägen zu verlangen. Das Entgelt wird dann erst nach der inhaltlichen Prüfung des Angebotes zur Kenntnis genommen und gewertet. Hintergrund der Einführung sollte sein, der Versuchung zu begegnen, über den Angebotspreis die sachliche Wertung durchzuführen. Was früher als zwingend zu beachtende Regelung ausgestaltet war, steht jetzt im Ermessen des Auftraggebers. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen normiert, wann ein 2-Umschlagverfahren überhaupt verwendet werden darf. Es muss sich bei der Dienstleistung um eine eigenständige Planungsleistung handeln. Außerdem ist allein die Bezugnahme auf die in der Vergabebekanntmachung vorgegebenen oder in einer Honorarordnung enthaltenen Leistungsbilder nicht ausreichend. Die Normierung dieser Voraussetzungen ist etwas verwirrend, suggeriert sie nämlich, dass das 2-Umschlagverfahren nur auf klassische Planungsleistungen anwendbar ist. Das würde bedeuten, dass etwa bei komplexen IT-Leistungen eine Anwendbarkeit von vorneherein ausgeschlossen ist, obwohl diese auch hier durchaus Sinn machen könnte und unter Anwendung der allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätze dieser Handhabung grundsätzlich nichts entgegensteht.

Rechtsschutz

Schon im Vergabegesetz 2013 wurde die Grundlage für einen Rechtsschutz unterhalb der EU-Schwellenwerte geschaffen. Die entsprechenden Details können in einer Rechtsverordnung geregelt werden. Der Landesgesetzgeber hat bisher von dieser Möglichkeit noch keinen Gebrauch gemacht, so dass ein effektiver Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwert in Hessen nach wie vor nicht existiert.

Im neuen HVTG wurde darüber hinaus mit § 20 Abs.5 S.2 eine Regelung getroffen, die diesen – selbst wenn er durch Rechtsverordnung konkretisiert werden sollte – weitestgehend ad absurdum führt. Denn danach kann nach der Mitteilung über festgestellte Verstöße und Maßnahmen zur Beseitigung durch die Nachprüfungsstelle, die Aufsichtsbehörde ohne weiteres von den Feststellungen abweichen, wenn sie dies ggü. den Beteiligten und der Nachprüfungsstelle kommuniziert. Das heißt de facto, dass es zwar möglicherweise einen Rechtsschutz gegen Vergabeverstöße unterhalb der Schwellenwert gibt, der Auftraggeber sich aber nicht an die Vorgaben der Nachprüfungsstellen halten muss, sondern – gesetzlich legitimiert – davon abweichen kann.

DVNW_Mitglied

Fazit

Der hessische Gesetzgeber hat mit dem HVTG insbesondere die Tariftreue und das Mindestentgelt für das Vergabewesen geregelt. Der Teufel steckt hier bei genauer Lektüre der Vorschriften im Detail und es fällt auf, dass die Regelungen einige Unklarheiten und Widersprüche enthalten.

Im Zuge der notwendigen Novellierung hat der Gesetzgeber gegenüber dem alten Vergabegesetz aus dem Jahr 2013 weitere zahlreiche Anpassungen vorgenommen. Auch hier wird sich erst in der Praxis weisen, inwiefern diese Neuregelung tatsächlich Eingang in die Vergabepraxis der vom Gesetz erfassten Auftraggeber finden bzw. dazu führen, dass die Vergabeverfahren „in besonderem Maße transparent und für alle Unternehmen fair ausgeführt werden“ (Ziel der Gesetzesbegründung).

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Unterschiedliche Fristberechnung: Nichtabhilfe der Rüge und Vorabinformation (VK Bund, Beschl. v. 30.01.2015 – VK2-115/14)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungBei Vergabeverfahren gelten strenge Fristen: das ist nicht nur für die öffentliche Auftraggeber entscheidend, um eine effiziente Beschaffung zu ermöglichen, sondern auch für Bieter, wenn sie sich gegen einen Vergabeverstoß nach erfolgloser Rüge wehren wollen.

Wenn einer Rüge in der Angebotsphase nicht abgeholfen wird, muss sich der Bieter innerhalb von 15 Tagen entscheiden, das Nachprüfungsverfahren einzuleiten. Bei der Vorabinformation, also der Ankündigung nach der Angebotsprüfung bei EU-weiten Vergaben, dass er nicht den Zuschlag erhält, muss er noch schneller handeln:  10 Tage hat er nach dem Zugang (bei Zugang per Fax oder per Mail) Zeit, um den Zuschlag zu verhindern.

Wichtig für die Bieter ist: Die 15-Tage-Frist bei Nichtabhilfe der Rüge und die 10-tägige Frist bei der Vorabinformation berechnet sich unterschiedlich, wie die aktuelle Entscheidung der Vergabekammer anschaulich darstellt.

§ 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB, § 101a Abs. 1 S 3 GWB

Sachverhalt

Ein Bieter rügt im Rahmen eines Eu weiten offenen Verfahrens zur Beschaffung von Kontrastmitteln für Radiologie-Praxen mehrere Vergaberechtsverstöße. Am 28. November 2014 – einem Freitag – teilte die Vergabestelle dem Bieter mit, dass sie seiner Rüge nicht abhelfe. Dies geschah per Telefax, Zugang beim Bieter um 16:31 Uhr.

Am Montag, den 15. Dezember 2014, stellt der Bieter einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer. Er führte unter anderem aus, der Ablauf der 15-Tage-Frist nach § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB sei auf einen Samstag (nämlich den 13. Dezember 2014) gefallen, so dass die Frist gemäß § 31 Abs. 3 VwVfG erst am nächsten Montag geendet habe. Die Vergabestelle meint hingegen, der Nachprüfungsantrag sei erst nach Fristablauf gestellt worden und daher unzulässig.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer gibt dem Bieter recht: Der Bieter hat die Frist eingehalten!

Gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, wenn mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Nichtabhilfemitteilung auf die Rüge des ergangen sind. Die Vergabekammer stellt auf die allgemeine zivilrechtliche Rechtsprechung zum Zugang von Willenserklärungen ab. Danach geht eine Willenserklärung zu, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (BGH, Urteil vom 26. November 1997, VIII ZR 22/97; BGH, Urteil vom 3. November 1976, VIII ZR 140/75).
Auch bei Einsatz von Fax-Schreiben ist somit maßgeblich, ob der Absender nach dem gewöhnlichen Geschäftsgang des Empfängers noch davon ausgehen kann, dass dieser das Fax am selben Tag zur Kenntnis nimmt. Ist dies nicht der Fall, liegt ein Zugang im Zweifel erst am nächsten Werktag vor. Die Vergabekammer entschied, dass von einer Kenntnisnahme am gleichen Tag bei Fax-Eingang um 16:31 Uhr an einem Freitag bei einem Pharma-Unternehmen nicht mehr ausgegangen werden könne. Der fristauslösende Zugang der Nichtabhilfeentscheidung erfolgte hier also erst am kommenden Montag, dem 01. Dezember 2014, so dass der am 15. Dezember 2015 gestellte Nachprüfungsantrag noch fristgemäß einging.

Rechtliche Würdigung

Letztlich wäre es jedoch darauf nicht angekommen, da – wie die Vergabekammer selbst anführt – für die Frist nach § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB § 31 Abs. 3 VwVfG bzw. § 193 BGB anwendbar sind. D.h. wenn das Fristende auf ein Wochenende oder eine Feiertag fällt, läuft die Frist erst am darauf folgenden Werktag ab. Somit hätte also, selbst wenn der Eingang der Nichtabhilfemitteilung noch am Freitag, dem 28. November 2014, erfolgt sein sollte, der Nachprüfungsantrag wegen des rechnerischen Ablaufs der Frist an einem Samstag auch noch am folgenden Werktag, also am Montag, fristgemäß gestellt werden können.

Anders stellt sich die Fristberechnung nach der Vorabinformation nach § 101 a GWB dar, wobei der Aspekt leider mangels Entscheidungserheblichkeit durch die Vergabekammer nur angerissen wird.

Die Frist nach § 101a Abs. 1 S. 3 GWB ist eine Wartefrist.
Ein Vertrag zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem obsiegenden Bieter darf erst nach Ablauf von 15 Tagen bzw. 10 Tagen bei elektronischer oder Fax-Kommunikation, also Mail, nach Absendung der Vorabinformationen nach § 101a Abs. 1 S 1 u. 2 GWB geschlossen werden. Den unterlegenen Bietern soll dadurch die Möglichkeit gegeben werden, vor dem Zuschlag ihre Rechtsschutzaussichten zu prüfen und sich ggf. zu wehren.

Die Frist nach § 101a Abs. 1 S. 5 GWB beginnt am Tag nach der Absendung der Vorabinformation an den letzten Bieter. Auf den Zugang der Vorabinformationen kommt es nach dem klaren Gesetzeswortlaut nicht an. Die Frist nach § 101a Abs. 1 S. 3 GWB beginnt also selbst dann am Folgetag, wenn das Informationsschreiben außerhalb der üblichen Geschäftszeiten an einem Freitag beim Bieter eingeht.

Und im Gegensatz zu der Frist nach § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB kann der Fristablauf auch an einem Wochenende erfolgen. § 31 Abs. 3 VwVfG bzw. § 193 BGB , d.h. dass die Frist erst am folgenden Werktag ausläuft, sind auf diese Frist nicht anwendbar. Diese Normen regeln den Fristablauf für Fälle, in denen eine Handlung innerhalb der Frist vorgenommen werden muss. § 101a Abs. 1 S. 3 GWB betrifft jedoch gerade den umgekehrten Fall. Hier darf eine Handlung (nämlich die Zuschlagserteilung) gerade erst nach Ablauf der (Warte-)Frist erfolgen. Für den § 101a GWB ähnlichen § 13 VgV a.F. hat das OLG Düsseldorf daher entschieden, dass eine direkte oder analoge Anwendung des § 193 BGB nicht in Frage kommt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.05.2008, VII-Verg 11/08).

DVNW_Mitglied

Praxistipp

Eine wichtige Entscheidung für die Fristberechnung für Bieter, wenn sie sich gegen die Entscheidung der Vergabestelle vor der Vergabekammer wehren wollen: während es bei der Nichtabhilfe der Rüge auf den Zugang ankommt und somit auch bei Fristende am Wochenende oder Feiertag erst am nächsten Werktag endet, ist bei der Vorabinformation der reine Ablauf der Frist entscheidend, egal ob Wochenende, Feiertag oder Werktag.

Und noch ein wichtiger Unterschied: Die 15-Tage-Frist des § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB ist gemäß Anhang VII A Nr. 24 RL 2004/18/EG bzw. Anhang V Teil C Nr. 25 RL 2014/24/EU eine Rechtsbehelfsfrist, auf die in der Bekanntmachung zwingend hingewiesen werden muss. Fehlt dieser Hinweis, beginnt die Frist nicht zu laufen, ein Nachprüfungsantrag kann auch nach Ablauf von 15 Tagen zulässig gestellt werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.12.2009, Verg. 37/09; OLG Celle, Beschluss vom 04.03.2010, 13 Verg 1/10; OLG Brandenburg, Beschluss vom 13.09.2011, Verg W 10/11).

Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist dagegen bei der Vorabinformation nach § 101 a GWB nicht vorgesehen.

Da beide Fristenregelungen auch nach dem Referentenentwurf zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz weiter gelten werden (vgl. § 134 Abs .1 S. 3 GWB-E und § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB-E), wird sich wohl an der Fristberechnung auch nach der Vergaberechtsreform nichts ändern.

Kontribution

Der Beitrag wurde in Zusammenarbeit mit Herrn Tobias Kühn verfasst.

Tobias Kühn

Über Tobias Kühn

Der Autor Tobias Kühn ist Rechtsreferendar im Bezirk des Kammergerichts Berlin. Im Rahmen seiner Wahlstation bei der Bitkom Servicegesellschaft mbH unterstützt er mit der Bearbeitung vergaberechtlicher Fragestellungen den Bereich von Bitkom Consult-Vergaberecht.

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Serie: Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts

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Recht

Alles soll einfacher werden. Vergabeverfahren sollen effizienter und flexibler werden. Kleinen und mittel-großen Unternehmen soll der Zugang zu Auftragsvergaben erleichtert werden.

Mit dieser Zielsetzung traten zum 17.April 2014 die neuen EU-Richtlinien

  • Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe (Richtlinie 2014/24/EU),
  • Richtlinie über die Vergabe von Aufträgen in den Bereichen Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (Richtlinie 2014/25/EU) und die
  • Richtlinie über die Vergabe von Konzessionen (Richtlinie 2014/23/EU)

in Kraft. Mitgliedstaaten sind verpflichtet, diese Richtlinien bis zum 18. April 2016 umzusetzen.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat mit Bearbeitungsstand: 30. April 2015 den ersten Referentenentwurf “Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts – Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien 2014″ veröffentlicht (der Entwurf ist in der Bibliothek des DVNW zu finden ist. Noch kein Mitglied im DVNW? Zur Mitgliedschaft geht es hier.)

Zum Start der Serie finden Sie bereits eine Synopse der geplanten Änderungen von Frau Prell im Mitgliederbereich des DVNW. Herr Dr. Soudry wird in dem ersten Teil der Serie einen generellen Überblick über den Referentenentwurf geben. Dem Überblick folgen Beiträge zu der Systematik der Ausschlussgründe von Frau Fritz, sowie ein Beitrag zu Bedingungen der Auftragsausführung nach dem Referentenentwurf von Frau Walliczek.

Die Serie zum Referentenentwurf liefert Informationen im Überblick.

DVNW_Mitglied

  • Veröffentlichte Beiträge

Vergabeblog.de vom 23/05/2015, Nr. 22502
Aktuelle Synopse zum Entwurf 4. Teil GWB” von Monika Prell

Vergabeblog.de
Der Referentenentwurf zum neuen GWB 2015 – Die wichtigsten Neuerungen” von Dr. Daniel Soudry, LL.M.


Systematik der Ausschlussgründe nach dem neuen GWB” von Aline Fritz.

  • Bevorstehende Beiträge

Vergabeblog.de
”Bedingungen zur Auftragsausführung nach dem neuen GWB” von Johanna Walliczek.

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Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Entwurf) – Die wichtigsten Neuerungen

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Die größte Reform des Vergaberechts seit 2004 nimmt Gestalt an. Am 30.04.2015 hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie den „Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien 2014 – Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergModG)“ vorgelegt. Dieser Beitrag beleuchtet die wichtigsten Neuerungen des Entwurfs.

Einführung

Für alle, die noch eine Resthoffnung auf die in Brüssel wieder einmal versprochene Vereinfachung des Vergaberechts hatten, sei gleich vorweggenommen: Das GWB-Vergaberecht wird nicht etwas schlanker und übersichtlicher, sondern umfangreicher und ausdifferenzierter. Ablesbar ist das schon an der Anzahl der Normen. Während der bisherige 4. Teil des GWB 45 Paragrafen enthält, bringt es der Entwurf auf 90 Paragrafen. Trotz einer Verdopplung der Vorschriften sind dem BMWi keineswegs die Bemühungen abzusprechen, das GBW-Vergaberecht logischer zu ordnen und das Vergaberecht dadurch insgesamt übersichtlicher zu gestalten. Nachdem der Autor vor etwas über einem Jahr die zehn wichtigsten Neuerungen der Richtlinie 2014/24/EU (Teil 1 und Teil 2) beleuchtet hat, sollen die Vergabeblog-Leser hier einen Überblick über die konkreten Umsetzungspläne für einen neuen 4. Teil des GWB erhalten.

1. Allgemeines

Der 4. Teil des GWB beginnt unverändert mit § 97, der die Grundsätze des Vergaberechts enthält. § 97 regelt wie bisher die Grundsätze der Vergabe öffentlicher Aufträge. § 97 Abs. 1 nennt nun erstmals den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dessen Geltung im Vergaberecht auch bisher schon anerkannt war, etwa mit Blick auf den Umfang geforderter Eignungsnachweise.

Mit dem neuen § 97 Abs. 5 hält die E-Vergabe Einzug in das GWB. Danach verwenden Auftraggeber und Unternehmen für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten in einem Vergabeverfahren grundsätzlich elektronische Mittel. Allerdings gelten für die Umsetzung der e-Vergabe teilweise längere Fristen.

Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers wird künftig unterteilt nach „klassischen“ Auftraggebern (§ 99) sowie Sektorenauftraggebern (§ 100) und Konzessionsauftraggebern (§ 101) definiert. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff des öffentlichen Auftrags: § 103 definiert Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe. § 104 legt den Begriff der verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Aufträge fest und § 105 bestimmt, was unter Konzessionen im Sinne des GWB zu verstehen ist.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang § 103 Abs. 5. Dort werden erstmals Rahmenvereinbarungen definiert. Mit dieser unscheinbaren Änderung soll aber eine klare Aussage in Bezug auf eine lange Zeit streitige Frage getroffen werden. Die Festschreibung der Rahmenvereinbarung auf Ebene des GWB soll nämlich klarstellen, dass solche nicht nur im Bereich der Liefer- und Dienstleistungen, sondern auch für freiberufliche und Bauleistungen möglich sein sollen.

§ 106 nimmt mit einer dynamischen Verweisung auf den jeweils geltenden Schwellenwert Bezug und ersetzt § 2 Abs. 1 der VgV überflüssig.

2. In-House-Geschäfte und Öffentlich-Öffentliche Partnerschaften

Wie vom BMWi angekündigt, sollen die Vorschriften des Art. 12 der Richtlinie 2012/24/EU und die Besonderheiten der beiden anderen Richtlinien zur Öffentlich-Öffentlichen Zusammenarbeit (In-House-Geschäfte und Interkommunale Kooperationen) im Wesentlichen „1:1“ ins deutsche Recht umgesetzt werden. Nach § 108 sind künftig also auch insbesondere sogenannte „Bottom-up-Vergaben“ von der Tochter an die Mutter und sogenannte „horizontale“ In-House-Geschäfte zwischen mehreren Töchtern einer gemeinsamen Mutter zulässig.

Eine Klarstellung hätte man sich hier bezüglich des Drittgeschäfts gewünscht: Ebenso wie die Richtlinie lässt § 108 nämlich offen, ob die beauftragte Gesellschaft bei einem horizontalen In-House-Geschäft im Wesentlichen nur für die gemeinsame Mutter oder auch für die beauftragende Schwester tätig sein darf. Letzteres lässt sich gut begründen, wenn man die Tätigkeiten für die Schwestergesellschaft letztlich als Tätigkeit für die gemeinsame Mutter einstuft. Dies setzt allerdings voraus, dass beide Schwestergesellschaften von nur einer einzigen Mutter beherrscht werden. In-House-Aufträge zwischen „Halbschwestern“, deren Muttergesellschaften nicht vollständig deckungsgleich sind, wären dann aber unzulässig.

3. Verfahrensarten

Erstmals umgesetzt werden soll die Gleichstufigkeit von Offenem und Nichtoffenem Verfahren. § 119 Abs. 2 erklärt, dass Auftraggebern beide Verfahren „nach ihrer Wahl“ zur Verfügung stehen. Aus europarechtlicher Sicht ist dies nicht neu. Auch Art. 28 der Richtlinie 2004/18/EG sah ein Nebeneinander beider Verfahrensarten vor. Dass das geltende GWB in § 107 Abs. 1 S. 1 einen Vorrang des Offenen Verfahrens bestimmt, wurde daher zuweilen als europarechtswidrig kritisiert.

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4. Leistungsbeschreibung

Eine § 8 Abs. 1 EG VOL/A bzw. § 7 Abs. 1 Nr. 1 EG VOB/A vergleichbare Regelung enthält § 121 Abs. 1. Danach muss die Leistungsbeschreibung alle für die Angebotserstellung erforderlichen Angaben enthalten. Außerdem muss die Leistung so eindeutig und erschöpfend beschrieben sein, dass alle Bieter sie in dem gleichen Sinn verstehen und die eingehenden Angebote miteinander vergleichbar sind.

Wer an dieser Stelle das Verbot ungewöhnlicher Wagnisse sucht, wird nicht fündig. Nachdem das OLG Düsseldorf entschied, dass das Verbot in der VOL/A 2009 nicht mehr gilt (hierzu Soudry, Vergabeblog vom 08.01.2012), hat sich das BMWi dazu entschieden, den Begriff nicht mehr – jedenfalls nicht übergreifend auf Ebene des GWB – wieder einzuführen. Ob er in der neuen VOB/A erhalten bleiben wird, bleibt abzuwarten.

5. Eignung

An den Regelungen über die Bietereignung lässt sich der neue Ansatz des BMWi gut erkennen: Sämtliche Regelungen, die für alle Auftragsvergaben gelten, sollen in das GWB „hochgezont“ werden. Die untergesetzlichen Regelungen werden so reduziert und die häufig ohne erkennbaren Grund bestehenden Detailunterschiede zwischen VOB/A, VOL/A und VOF fallen weg.

§ 122 bestimmt im Grundsatz, was unter der Eignung zu verstehen ist. Die §§ 123 und 124 enthalten anschließend Kataloge zwingender und fakultativer Ausschlussgründe. §§ 125 f. befasst sich erstmals mit dem Thema der Selbstreinigung und legen fest, unter welchen Bedingungen Unternehmen ihre Verfehlungen der Vergangenheit vergaberechtlich überwinden können „(vgl. Hettich/Soudry, Das neue Vergaberecht, S. 46 ff).

6. Vertragsänderungen

§ 132 setzt Art. 72 der Richtlinie um und bestimmt nun erstmals, unter welchen Voraussetzungen laufende Verträge geändert oder erweitert werden dürfen, ohne dass eine erneute Ausschreibung erforderlich wird. Auch insoweit hat sich der Gesetzgeber im Wesentlichen an den Richtlinientext gehalten.

Am praktisch relevantesten dürfte § 132 Abs. 3 werden. Danach ist die Beauftragung zusätzlicher Leistungen ohne weitere Begründung vergaberechtlich zulässig, wenn die Mehrleistungen höchstens 10 % des Gesamtauftragsvolumens (Bau: 15 %) betragen und zugleich für sich genommen unterhalb des Schwellenwerts liegen.

7. Kündigung öffentlicher Aufträge

Gänzlich neu ist § 133, der erstmals regelt, unter welchen Voraussetzungen öffentliche Auftraggeber einmal vergebene Aufträge wieder beenden können. Dies ist möglich, wenn

  • eine wesentliche Vertragsänderung erfolgt
  • zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung ein zwingender Ausschlussgrund vorlag oder
  • der Vertrag unter schwerer Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften geschlossen wurde und bei ordnungsgemäßem Verfahren kein Zuschlag hätte erteilt werden dürfen.

Insbesondere der letzte Fall ist praktisch bedeutsam. Denn für Fälle, in denen der EuGH durch Urteil entscheidet, dass der Vertrag dem EU-Vergaberecht entgegensteht, war bislang unklar, wie die Beendigung des Vertrages vollzogen werden soll. § 133 sieht nun formal den Weg der Kündigung vor. Zwar wäre auch ein Verweis in das BGB denkbar gewesen. Hinter § 133 steckt jedoch die erklärte Absicht des BMWi, das Vergaberecht und das Zivilrecht zu trennen.

8. Besondere Verfahren

Die §§ 136 ff. enthalten eine Reihe von Vorschriften für besondere Fälle. Zum einen betrifft dies Ausnahmen vom Vergaberecht für Sektorenauftraggeber (bestimmte ausgenommene Aufträge und Aufträge an verbundene Unternehmen) und die anwendbaren Verfahrensarten. Zum anderen finden sich hier die Ausnahmen für verteidigungs- und sicherheitsrelevante Aufträge und für Konzessionen.

Die Vergabe sozialer und anderer besonderer Dienstleistungen, zu denen künftig auch Postdienstleistungen gehören und für die ein eigener Schwellenwert von 750.000 Euro gilt, wird in §§ 130 und 153 geregelt. Auftraggeber haben hier die freie Wahl zwischen allen Verfahrensarten mit Ausnahme des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb.

9. Rechtsschutz

Die Vorschriften zum Rechtsschutz wandern von den bisherigen §§ 102 ff. GWB weit nach hinten und finden sich im Referentenentwurf unter §§ 155 ff. wieder.

Besonders zu erwähnen ist die Thematik der „unverzüglichen Rüge“. Seit dem Urteil des EuGH vom 28.01.2010 (Rs. C-406/08) besteht Unsicherheit bezüglich der Rechtmäßigkeit des Erfordernisses, behauptete Vergaberechtsverstöße unverzüglich zu rügen, bevor ein Nachprüfungsantrag gestellt wird. Zwar ist der Begriff der Unverzüglichkeit in § 122 BGB als „ohne schuldhaftes Zögern“ definiert. Wirkliche Klarheit, die der EuGH für rechtliche Ausschlussfristen fordert, bringt dies aber nicht.

Der Entwurf will die Problematik lösen, indem eine Rüge zwar weiterhin grundsätzlich Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsverfahrens bleibt. Allerdings fordert § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 nur noch, dass ein erkannter Verstoß vor dem Nachprüfungsantrag zu rügen ist. Die Ausschlussfrist des § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB (jetzt § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4), wonach ein Nachprüfungsantrag unzulässig ist, wenn dieser nicht innerhalb von 15 Kalendertagen ab Zurückweisung einer Rüge gestellt wird, bleibt unverändert bestehen. Dies gilt ebenso für die Obliegenheit, Rechtsverstöße in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen, die erkennbar sind, bis zum Ablauf der Angebotsfrist zu rügen.

[Anmerkung der Redaktion: Sehen Sie zu dieser Thematik die Entscheidung der VK Südbayern, Beschluss vom 18.03.2015, Z3-3-3194-1-62-12/14. Eine Besprechung dieser Entscheidung v erscheint in Kürze]

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10. Die nächsten Schritte

Wie geht es nun weiter?

Der Referentenentwurf soll auf einer ersten Stufe die das GWB betreffenden Änderungen angehen. Die Änderung der Verordnungen soll folgen. Da es sich um den ersten Entwurf für einen neuen 4. Teil des GWB handelt, ist von einigen Änderungen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens auszugehen. Dessen nächste Schritte sind wie folgt geplant:

  • Kabinettbeschluss zur GWB-Novelle: Frühjahr 2015
  • Gesetzgebung Bundestag und Bundesrat: Herbst 2015
  • Kabinettbeschluss zu den Verordnungen: Herbst 2015
  • Bundesrat-Zustimmung: Winter 2015/2016
  • Inkrafttreten Umsetzung: 18. April 2016

Das BMWi will alles tun, um, anders als bei den 2004er-Richtlinien, die Umsetzungsfrist für die Vergaberechtsreform einzuhalten. Angesichts des Umsetzungsbedarf ist das ein ehrgeiziges Ziel. Zudem beginnt nun die Anhörungsphase, in der die Verbände und beteiligten Kreise ihre Eingaben zur Umsetzung machen. Auch insoweit ist noch mit einigen Änderungen zu rechnen. Es bleibt also weiter spannend.

Anmerkung der Redaktion
Dieser Beitrag ist Teil der Serie: Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Entwurf). Weitere Beiträge zu der Thematik finden Sie auf der Serienseite, hier.

Die Vergaberechtsreform ist das Schwerpunktthema des 2. Deutschen Vergabetages 2015 – ausführliches Programm und Anmeldemöglichkeit hier.

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Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Entwurf) – Systematik der Ausschlussgründe nach neuem GWB

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Recht

Nun ist endlich der Referentenentwurf des neuen GWB der Öffentlichkeit zugänglich – und die Zeit bis zur endgültigen Umsetzung im April 2016 sollte genutzt werden, um sich mit der neuen Systematik, die wohl im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens im Grundsatz nicht mehr angetastet werden wird, auseinander zu setzen.

Vergaberechtsinteressierte sind ja schon vieles an Reformen gewöhnt, aber dieses Mal passiert doch etwas mehr: Nicht nur die VOL/A sowie die VOF werden ganz entfallen und durch eine neue Vergabeverordnung ersetzt, auch die VOB/A – die bestehen bleibt – wird vermutlich grundlegend überarbeitet, damit sie nicht mit dem neuen GWB im Widerspruch steht. Dies betrifft im Übrigen auch die SektVO und die VSVgV. Denn das neue GWB enthält nun viele materielle Vorschriften, die in den nachgeordneten Regelungswerken dann nicht mehr regelungsbedürftig sind.

Eine wesentliche materielle Regelung, die in das neue GWB übernommen wurde und damit einheitlich für alle Vergaben gilt, ist die Regelung der Ausschlussgründe. Die Kernnormen dafür sind die §§ 123 und 124 des Referentenentwurfs. Für die Sektorenvergabe sieht § 142 Nr. 1, für sicherheitsspezifische Aufträge § 147 und für Konzessionsvergaben § 154 Nr. 2. kleine Abweichungen dieser Grundregeln vor, die im Folgenden nicht gesondert erwähnt werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Artikel der Richtlinien, insbesondere Art. 57 RL 2014/24/EU, vom Referentenentwurf sehr wortgetreu umgesetzt wurden. Dies bedeutet, dass nicht nur mehr Ausschlussgründe hinzugekommen sind (z.B. fakultativer Ausschluss bei nachgewiesener Schlechtleistung, § 124 Nr. 7), sondern auch, dass teilweise vormals fakultative Ausschlussgründe nun zwingend sind (Nichtzahlung von Steuern und Sozialabgaben, § 123 Abs. 5). Noch tückischer für die Rechtsanwender sind die Fälle, in denen altbekannte Ausschlussgründe leicht ergänzt bzw. angepasst wurden, aber dadurch eine wesentliche Änderung in der Anwendung nach sich ziehen (z.B. § 124 Nr. 4, wettbewerbsbeschränkende Abreden auch außerhalb des Vergabeverfahrens).

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Interessant ist auch die neue Regelung zum Ausschluss wegen eines Interessenkonflikts. Hier soll nicht die für den Auftraggeber tätige Person ausgeschlossen werden, sondern der Bieter, wenn ein Interessenkonflikt nicht anders verhindert werden kann. Unklar ist, wie das Verhältnis dieser Regelung zu § 16 VgV ist und ob § 16 VgV in dieser Form überhaupt noch erhalten bleibt.

Ganz neu sind die Regelungen zur Selbstreinigung in § 125, die so bisher noch nicht gesetzlich normiert waren. Unter Selbstreinigung sind laut Gesetzesbegründung „Maßnahmen zu verstehen, die ein Unternehmen ergreift, um seine Integrität wiederherzustellen und eine Begehung von Straftaten oder schweres Fehlverhalten in der Zukunft zu verhindern“. Wichtig ist, dass die Selbstreinigungsmaßnahmen nicht nur die fakultativen, sondern auch die zwingenden Ausschlussgründe verhindern können. Die Vorschrift begründet einen Rechtsanspruch des Bieters, trotz des Vorliegens eines Ausschlussgrundes nicht von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen zu werden, wenn er ausreichende Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Integrität nachgewiesen hat. In § 126 wird die Höchstdauer für Auftragssperren geregelt.

Einen Überblick bietet Ihnen die folgende Synopse der betroffenen Vorschriften.

Ersetzt VgV alt Ersetzt VOL/A alt usw. Setzt um RL 2014/24
§ 123 Zwingende Ausschlussgründe
§ 123 Abs. 1 NEU: zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens § 6 EG Abs. 4 Satz 1§ 6 EG Abs. 4 Nr. 1 Satz 1 VOB/A§ 23 Abs. 1 VSVgV§ 21 Abs. 1 Satz 1 SektVO Art. 57 Abs. 1 UA 1, Abs. 2 UA 1, Abs. 5
§ 123 Abs. 2 § 6 EG Abs. 4 Satz 2§ 6 EG Abs. 4 Nr. 1 Satz 2 VOB/A§ 23 Abs. 2 VSVgV§ 21 Abs. 1 Satz 2 SektVO
§ 123 Abs. 3 NEU Besondere Regelungen zum Ausschluss von Unternehmen § 23 Abs. 3 VSVgV§ 6 EG Abs. 4 Nr. 4 VOB/A
§ 123 Abs. 4 Zurechnung § 6 EG Abs. 4 Satz 3§ 6 EG Abs. 4 Nr. 1 Satz 3 VOB/A§ 23 Abs. 4 VSVgV§ 21 Abs. 2 SektVO Art. 57 Abs. 1 UA 2
§ 123 Abs. 5 NEU Steuern/Abgaben/SozialversicherungsbeiträgeSelbstreinigung § 6 EG Abs. 6 d)§ 24 Abs. 1 Nr. 6 VSVgV§ 21 Abs. 4 Nr. 3 SektVO Art. 57 Abs. 2
§ 123 Abs. 6 Zwingende Gründe gegen Ausschluss § 6 EG Abs. 5§ 6 EG Abs. 4 Nr. 3§ 23 Abs. 5 VSVgV§ 21 Abs. 3 SektVO Art. 57 Abs. 3 UA 1
§ 124 Fakultative Ausschlussgründe
§ 124 Nr. 1 Verstoß gegen Umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen NEU Art. 57 Abs. 4 a)
§124 Nr. 2 Zahlungsunfähigkeit, Insolvenz, Liquidation § 6 EG Abs. 6 a) und b)§ 16 EG Abs. 1 Nr. 2 a) und b)§ 21 Abs. 4 Nr. 1 und 2 SektVO§ 24 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VSVgV Art. 57 Abs. 4 b)
§ 124 Nr. 3 schwere Verfehlung NEU: muss die Integrität des Unternehmens in Frage stellen § 6 EG Abs. 6 c)§ 6 EG Abs. 1 Nr. 2 c)§ 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO§ 24 Abs. 1 Nr. 4 VSVgV Art. 57 Abs. 4 c)
§ 124 Nr. 4 wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen (NEU: auch außerhalb des Vergabeverfahrens) § 19 EG Abs. 3 f)§ 16 EG Abs. 1 Nr. 1 d) VOB/A (zwingender Ausschlussgrund)§ 31 Abs. 2 Nr. 6 VSVgV (zwingender Ausschlussgrund) Art. 57 Abs. 4 d)
§ 124 Nr. 5 NEU Interessenkonflikt § 16 VgV in umgekehrtem Fall: Bieter und nicht Berater wird ausgeschlossen! Art. 57 Abs. 4 e),Art. 24
§ 124 Nr. 6 NEU Wettbewerbsverzerrung durch Projektantenstellung § 6 EG Abs. 7§ 6 EG Abs. 7 VOB/A Art. 57 Abs. 4 f)
§ 124 Nr. 7 NEU sanktionierte erhebliche oder fortdauernde Schlechterfüllung eines früheren öffentlichen Auftrags Art. 57 Abs. 4 g)
§ 124 Nr. 8 Falsche Angaben/Täuschung im Vergabeverfahren § 6 EG Abs. 6 e)§ 16 EG Abs. 1 Nr. 1 g) (zwingender Ausschlussgrund)§ 21 Abs. 4 Nr. 4 SektVO§ 24 Abs. 1 Nr. 7 VSVgV Art. 57 Abs. 4 h)
§ 124 Nr. 9 NEU unzulässige Beeinflussung des öffentlichen Auftraggebers Art. 57 Abs. 4 i)
§ 125 Selbstreinigung NEU Art. 57 Abs. 6
§ 126 Höchstdauer eines Ausschlusses NEU Art. 57 Abs. 7 S. 2 und 3

 

Anmerkung der Redaktion
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Erkannte Vergaberechtsverstöße sind zu rügen: Nicht unverzüglich, aber immer noch vor dem Nachprüfungsverfahren (VK Südbayern, Beschl. v. 18.03.2015 – Z3-3-3194-1-62-12/14)

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Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungDie meisten Vergabekammern und -senate halten wohl inzwischen das Erfordernis der unverzüglichen Rüge wegen seiner zeitlichen Unbestimmtheit für gemeinschaftsrechtswidrig und wenden § 107 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GWB deswegen entweder gar nicht oder so großzügig an, dass er im konkreten Fall keine Präklusionswirkung entfaltet.

Bislang schien es daher so, als ob damit das Erfordernis der Rüge für positiv erkannte Vergaberechtsverstöße entfallen wäre. Das wirkt sich vor allem für Verfahrensmängel nach Ablauf der Angebotsfrist aus, wie etwa in der Verhandlungsphase oder bei der Angebotswertung. Darauf sollten sich Bieter nach einer aktuellen Entscheidung der Vergabekammer Südbayern allerdings wohl besser nicht mehr verlassen.

§ 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB

Leitsatz

  1. Das Tatbestandsmerkmal der Unverzüglichkeit der Rüge gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB verstößt gegen europäisches Recht und ist bis zu einer europarechtskonformen Neuregelung mit einer konkret in Tagen bemessenen Frist nicht anzuwenden.
  2. Es kommt darauf an, dass eine Rüge vor Stellung des Nachprüfungsantrages gegenüber der Antragsgegnerin erfolgt ist.

Sachverhalt

Bei einer europaweiten Vergabe von Gebäude- und Glasreinigung im Offenen Verfahren bestimmte der Auftraggeber neben dem Preis als weiteres Zuschlagskriterium die jährliche Ausführungszeit. Ein unterlegener Bieter rügte nach anwaltlicher Beratung lediglich die Mängel der Information gemäß § 101a GWB und die seiner Ansicht nach unzulässige Verknüpfung dienst- und werkvertraglicher Elemente in den Vergabeunterlagen. Nachdem er eine erneute Mitteilung gemäß § 101a GWB erhalten hatte, reichte er ohne weitere Rüge seinen Nachprüfungsantrag ein. In diesem bemängelte er erstmals Aspekte, welche die Methode der Angebotswertung betrafen. So machte er die fehlende eigenständige Bedeutung des Zuschlagskriteriums jährliche Ausführungszeit geltend und beanstandete außerdem dessen fehlenden Auftragszusammenhang. Nach Akteneinsicht erweiterte der Bieter seinen Vortrag in Bezug auf die angewendete Wertungsformel.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Die gerügten Verstöße sah die Vergabekammer als unbegründet an.

Im Hinblick auf die erstmals im Nachprüfungsverfahren vorgebrachten Verstöße war der Bieter mangels rechtzeitiger Rüge präkludiert. Zwar ließ die Vergabekammer im Einzelnen offen, ob es sich wirklich um einen Fall positiv erkannter Vergaberechtstöße handelte, für die § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB dem Wortlaut nach eine unverzügliche Rüge vorschreibt, oder ob eine Präklusion sogar schon gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB wegen des rügelosen Ablaufs der Angebotsfrist vorlag, da die Fehler bereits in den Vergabeunterlagen erkennbar waren. Dennoch führte sie in diesem Zusammenhang umfangreich aus, dass lediglich das Tatbestandsmerkmal der Unverzüglichkeit gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB als europarechtswidrig unangewendet bleiben müsse. An dem grundsätzlichen Erfordernis der Rüge erkannter Vergaberechtsverstöße auf Basis des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB hielt sie indes fest und erklärte, dass es darauf ankomme, dass eine Rüge vor Stellung des Nachprüfungsantrags gegenüber dem Auftraggeber erfolgt sei.

Sie ging davon aus, dass der Verfahrensbevollmächtigte die erforderliche Kenntnis auch in Bezug auf die angewendete Wertungsformel – schon im Vorfeld des Nachprüfungsantrags gehabt habe. Mangels rechtzeitiger Rüge wurde die Vorgehensweise des Auftraggebers jedenfalls im Verhältnis zu diesem Bieter als vergaberechtskonform fingiert.

Rechtliche Würdigung

Anders als noch die Vergabekammer Hamburg (vgl. VK Hamburg, Beschluss vom 07.04.2010, Az.: VK BSU 2/10) scheint die Vergabekammer Südbayern Raum für eine europarechtskonforme Auslegung des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB zu sehen. Bemerkenswert ist, dass Ihre Auslegung dabei im Ergebnis dem nun vorliegenden Referentenentwurf für ein Vergaberechtsmodernisierungsgesetz (vgl. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB-R) entspricht. Eine rechtliche Herleitung dafür vermisst man allerdings in der Entscheidung.
Denkbar wäre insoweit die Argumentation mit Sinn und Zweck der Rüge, im Interesse der Verfahrenseffizienz dem Aufraggeber Gelegenheit zur Selbstkorrektur zu geben. Konsequenterweise müsste man dann allerdings wohl außer bei drohendem Zuschlag auch verlangen, dass die Rüge so rechtzeitig vor dem Nachprüfungsantrag erfolgt, dass ihm dafür hinreichend Zeit bleibt (vgl. dazu schon VK Bund, Beschluss vom 09.04.2001, Az.: VK 1-7/01). Welcher Zeitraum hier angemessen ist, dürfte von den Umständen des Einzelfalls abhängen und damit immer noch vor ziemlich intransparent sein.

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Praxistipp

Ob auch andere Spruchkörper demnächst § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB im Sinne des Referentenentwurfs auslegen oder eher doch die Neuregelung durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes abwarten (vgl. zu den Hintergründen auch den Beitrag von Herrn Eydner, vergabeblog.de vom 08.04.2014, Nr. 18763), wird sich noch zeigen. Bietern ist bis dahin zu raten, vorsichtshalber alle erkannten Vergaberechtsverstöße möglichst frühzeitig vor Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens zu rügen.

Anmerkung der Redaktion

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Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Entwurf) – Bedingungen zur Auftragsausführung

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RechtUNBEDINGT LESEN!

Nachdem kürzlich der Referentenentwurf des BMWi zur Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien des neuen GWB (GWB-E) veröffentlicht wurde, ist jetzt eine gute Gelegenheit, sich einzelne Themenbereiche schon einmal genauer anzuschauen. Heute die neuen Regelungen zur Auftragsausführung, die in §§ 128, 129 GWB-E enthalten sind.

Hintergrund

Der Entwurf ist noch nicht mit den anderen Bundesressorts abgestimmt, so dass bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist am 18. April 2016 im Rahmen der Abstimmung und des Gesetzgebungsverfahrens zwar noch mit Änderungen zu rechnen ist. Er kann aber gut dazu dienen, um sich mit den zukünftigen Regelungsinhalten bereits inhaltlich auseinanderzusetzen. Frau RAin Fritz hat in einem weiteren Beitrag ()  bereits die Systematik der Ausschlussgründe dargestellt. In diesem Beitrag sollen nun die neuen Regelungen zur Auftragsausführung untersucht werden, die in §§ 128, 129 GWB-E enthalten sind und dem Auftraggeber die Einbeziehung „vergabefremder“ Aspekte für die Phase der Leistungserbringung ermöglichen.

§ 128 Abs. 1 GWB-E

§ 128 Abs. 1 GWB-E schreibt zunächst den Auftragnehmern für die Zeit nach der Zuschlagserteilung generell vor, dass sie bei der Ausführung eines öffentlichen Auftrages alle für sie geltenden rechtlichen Vorschriften einzuhalten haben. Hierunter zählt insbesondere die Beachtung von umwelt-, sozial und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen. Anknüpfungspunkt sind dabei die am Ort der Leistungserbringung geltenden Verpflichtungen, also nicht notwendigerweise die am Sitz des Auftraggebers anwendbaren Vorschriften, wie auch die Gesetzesbegründung mit Bezugnahme auf die Erwägungsgründe 37 und 38 der Richtlinie 2014/24/EU klarstellt.

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§ 128 Abs. 2 GWB-E

Über die gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Vorgaben hinaus kann der Auftraggeber auch eigene besondere Bedingungen für die Auftragsausführung festlegen, § 128 Abs. 2 GWB-E (gegenwärtig § 97 Abs. 4 S. 2 GWB). Es handelt sich um Vertragsbedingungen, deren Einhaltung der Auftraggeber zwingend vorschreibt und die er sich durch eine Eigenerklärung des Bieters im Vergabeverfahren zusichern lassen kann oder durch Vertragsstrafen oder Sonderkündigungsrechte zusätzlich zu den allgemeinen gesetzlichen Folgen einer Vertragsverletzung absichern kann. Es dürfen wirtschaftliche, innovations-, umweltbezogene, soziale und beschäftigungspolitische Belange abgedeckt werden, sofern sie mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen und sich die Anforderungen aus der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen ergeben. Diese Aufzählung ist, wie die Gesetzesbegründung klarstellt, nicht abschließend, zudem muss der Auftraggeber die Vorgabe nicht gesondert begründen. Durch den erforderlichen Bezug zum Auftragsgegenstand wird allerdings nach wie vor eine Einbeziehung der allgemeinen, auftragsunabhängigen Betriebsorganisation, wie z.B. der Unternehmenspolitik der Bieterunternehmen, verhindert.

Durch Bundes- oder Landesgesetz vorgeschrieben

§ 129 GWB-E bestimmt, dass die zwingende Anwendung von Ausführungsbedingungen dem Auftraggeber nur durch Bundes- oder Landesgesetz vorgeschrieben werden darf. Hierdurch soll übergeordneten politischen Erwägungen Rechnung getragen werden. Die bisherige im Zusammenhang mit der Vorgängervorschrift (§ 97 Abs. 4 S. 3 GWB) geführte Diskussion, ob das Erfordernis des Auftragszusammenhangs hier aufgehoben ist, beendet der neue Wortlaut nicht, was jedoch in der Anwendung zunächst nicht zu Unsicherheiten führen dürfte. Denn der Ball liegt hier nicht bei dem Auftraggeber. Die Entscheidungsbefugnis, ob weitergehende Anforderungen vorgegeben werden, hat nun allein der Gesetzgeber. Die auf der Grundlage von § 97 Abs. 4 S. 3 GWB erlassenen Landesvergabegesetze sehen bisher wenige zwingend anzuwendende zusätzliche Anforderungen vor – abgesehen beispielsweise vom Mindestlohn. Was in den Landesvergabegesetzen jedoch als für die Auftraggeber zwingend bestimmt wird, ist den Bietern häufig bei entsprechender Formulierung der Landesvorschriften ohnehin über § 128 Abs. 1 GWB-E vorgeschrieben. § 129 GWB-E dürfte damit lediglich klarstellende Funktion haben, dass die Vorgabe nur in Bundes- oder Landesgesetzen und nicht durch Verwaltungsvorschriften o.ä. zulässig ist. Darüber hinaus verdeutlicht der Wortlaut, dass hier allein Ausführungsbedingungen gemeint sind und nicht das Tor für zusätzliche Eignungskriterien geöffnet werden soll, wie es teils der Vorgängervorschrift entnommen wurde.

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Neben der systematisch eindeutigeren Positionierung der Vorschriften zur Auftragsausführung, die nun eine klare Trennung von den Eignungskriterien (und im Übrigen den Zuschlagskriterien) hervorhebt, ist also in der Tat auch die Präzisierung des Wortlautes im Vergleich zu bisher hervorhebenswert. Das bisher schon vorhandene Spannungsverhältnis zwischen häufig politisch motivierten Ausführungsbedingungen und dem Ziel eines möglichst effizienten und das beste Preis-Leistungsverhältnis sicherstellenden Verfahrens bleibt bestehen.

Anmerkung der Redaktion

Dieser Beitrag ist Teil der Serie: Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Entwurf). Weitere Beiträge zu der Thematik finden Sie auf der Serienseite, hier.

Die Vergaberechtsreform ist das Schwerpunktthema des 2. Deutschen Vergabetages 2015 – ausführliches Programm und Anmeldemöglichkeit hier.

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Aufteilung von Verkehrsleistungen in einen eigenwirtschaftlichen und einen gemeinwirtschaftlichen Teil ist (vergaberechtlich) zulässig (VK Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 17.11.2014 – VK1-28/14)

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RechtVerkehr

EntscheidungDie Vergabekammer Rheinland-Pfalz hat in erster Instanz entschieden, dass eine Aufspaltung von Linienverkehrsleistungen für eine Direktvergabe vergaberechtlich nicht zu beanstanden ist. Hiernach ist es möglich, je nach Tageszeit einen eigenwirtschaftlichen neben einem gemeinwirtschaftlichen Betrieb zu errichten.

Art. 5 Abs. 4 VO 1370/2007; Art. 7 Abs. 2 VO 1370/2007; § 8 Abs. 3, Abs. 4 PBefG; § 8a Abs. 2 S. 4 PBefG

Leitsatz

(…)
4. Leitsatz: Die Verletzungen von Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes können von den Nachprüfungsinstanzen grundsätzlich nicht geprüft werden. Ob der Auftraggeber dem Vorrang der eigenwirtschaftlichen Verkehre vor gemeinschaftlichen Verkehren entsprochen hat, ist nicht Prüfungsgegenstand. Die Vergabekammer ist ausschließlich für die Überprüfung von gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen zuständig.
(…)
7. Leitsatz: Die Aufteilung einer Verkehrsbedienung in Dienstleistungen zu Hauptverkehrszeiten und Dienstleistungen zu Schwachverkehrszeiten begegnet keinen vergaberechtlichen Bedenken.

Sachverhalt

Die Antragsgegnerin (eine Kommune in Rheinland-Pfalz) ist Aufgabenträgerin für die Erbringung von Busverkehrsleistungen in ihrem Stadtgebiet nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Die Beigeladene (ein ehemals kommunales Verkehrsunternehmen) erbringt den Stadtverkehr für die Antragsgegnerin seit dem Jahr 2002 eigenwirtschaftlich, d.h. ohne Zuschüsse der Antragsgegnerin. Die entsprechenden Liniengenehmigungen laufen im Sommer des Jahres 2015 aus.

Infolge von prognostizierten Einnahmerückgängen aufgrund der allgemeinen demografischen Entwicklung und aufgrund zurückgehender Einwohnerzahlen in den nächsten Jahren gehen beide Marktteilnehmer davon aus, dass eine ausschließlich eigenwirtschaftliche Verkehrserbringung in Zukunft ausscheidet. Deshalb hat die Antragsgegnerin beschlossen, den Stadtbusverkehr zukünftig in einen eigenwirtschaftlichen (für Hauptverkehrszeiten) und einen gemeinwirtschaftlichen Betrieb (für Schwachverkehrszeiten) aufzuteilen.

Als Schwachverkehrszeiten gelten die Zeiten werktags von 05.00 05.59 Uhr, 09.00 10.59 und 17.00 Uhr 24.00 Uhr sowie der gesamte Wochenendverkehr, der samstags und sonntags jeweils in der Zeit von 05.00 24.00 Uhr stattfindet. Der Verkehr zu den verbleibenden Zeiten (im Gesamtbetrieb zwischen 05.00 24.00 Uhr) zählt zu den Hauptverkehrszeiten.
Hinsichtlich der Beauftragung zu den Schwachverkehrszeiten geht die Antragsgegnerin vom Vorliegen einer Dienstleistungskonzession aus, die im Wege einer Direktvergabe von Kleinaufträgen nach Art. 5 Abs. 4 der VO 1370/2007 an die Beigeladene vergeben werden soll. Die beabsichtigte Direktvergabe veröffentlichte die Antragsgegnerin im Rahmen der vorgeschriebenen Vorabbekanntmachung nach Art. 7 Abs. 2 VO 1370/2007. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin (ein privates Verkehrsunternehmen) mit ihrem Nachprüfungsantrag. Sie trägt dabei schwerpunktmäßig vor, dass die Aufspaltung in Hauptverkehrszeiten und Schwachverkehrszeiten künstlich erfolge, um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag unterhalb der Bagatellschwellen des Art. 5 Abs. 4 VO 1370/2007 direkt an die Beigeladene vergeben zu können. Die Beigeladene werde mittels Direktvergabe von Verlusten in den Schwachverkehrszeiten entlastet mit der Folge, dass sie den übrigen Verkehr eigenwirtschaftlich anbieten könne. Zudem habe die Direktvergabe keine Dienstleistungskonzession, sondern vielmehr einen Dienstleistungsauftrag zum Gegenstand, da die Antragsgegnerin und nicht die Beigeladene das überwiegende Betriebsrisiko trage. Insgesamt seien daher die Voraussetzungen für eine Direktvergabe nicht gegeben. Richtigerweise hätte der Stadtverkehr insgesamt also öffentlich ausgeschrieben werden müssen.

Die Entscheidung

Die VK Rheinland-Pfalz stellt fest, dass die beabsichtigte Direktvergabe gegen Vergabevorschriften verstößt und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt. Dies begründet die VK vorrangig damit, dass es sich bei dem gegenständlichen Auftrag nicht um eine Dienstleistungskonzession handele, da die Übernahme des Auftrags, Personenverkehrsdienstleistungen in Schwachverkehrszeiten erbringen zu wollen, nicht mit den erforderlichen wirtschaftlichen Risiken auf Seiten der Beigeladenen verbunden sei.

Demgegenüber lässt die VK die Aufspaltung der Linienverkehre in Haupt- und Schwachverkehrszeiten unbeanstandet, da Verletzungen des Personenbeförderungsgesetzes grundsätzlich nicht im Nachprüfungsverfahren geprüft werden können. Dies sei nur ausnahmsweise möglich, wenn ein vergaberechtlicher Anknüpfungspunkt besteht. Einen solchen erkannte die VK bezüglich der Aufteilung der Verkehrsleistungen vorliegend nicht. Die Antragsgegnerin habe vor der Entscheidung für einen gemeinwirtschaftlichen Verkehr gemäß § 8 Abs. 4 und Abs. 3 PBefG zunächst zu prüfen, ob eine ausreichende Verkehrsbedienung nicht durch eigenwirtschaftliche Verkehre möglich ist. Die Beantwortung der Frage, ob die Antragsgegnerin ihrer Aufgabe in Bezug auf die Sicherstellung eines ausreichenden Verkehrsangebots nach § 8a PBefG mit der Entscheidung zugunsten einer gemeinwirtschaftlichen Zubestellung von Verkehrsleistungen zu Schwachverkehrszeiten unter personenverkehrsrechtlichen Gesichtspunkten rechtmäßig entsprochen hat, sei nicht Aufgabe der Vergabekammer.

Die der vergaberechtlichen Beschaffung vorgelagerte Frage der gemeinwirtschaftlichen oder eigenwirtschaftlichen Verkehrsbedienung falle daher nicht in die Prüfungskompetenz der Vergabekammern. Vor diesem Hintergrund ergäben sich für die Vergabekammern stets nur Überprüfungsmöglichkeiten in Bezug auf gemeinwirtschaftliche Verkehrsbestellungen des Aufgabenträgers.

Rechtliche Würdigung

Die unterlegene Antragsgegnerin hat gegen die Entscheidung der VK sofortige Beschwerde zum Vergabesenat des OLG Koblenz mit der Begründung eingelegt, dass die geplante Direktvergabe rechtlich als Dienstleistungskonzession zu qualifizieren sei. Das OLG bestätigt im Beschwerdeverfahren die Entscheidung der VK mit Blick auf die Einordnung als Dienstleistungskonzession. Zur vergaberechtlichen Bewertung der Aufteilung von Linienverkehren in Haupt- und Schwachverkehrszeiten musste sich das OLG hingegen nicht positionieren, da diese Frage nicht durch die Antragstellerin –  die in diesem Punkt beschwert war – im Wege der sofortigen Beschwerde aufgegriffen wurde (OLG Koblenz, B. v. 25.03.2015 Verg 11/14).

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Praxistipp

Die Entscheidung der VK Rheinland-Pfalz ist jedenfalls mit Blick auf die Ausführungen zur vergaberechtlichen Zulässigkeit der Unterteilung in Hauptverkehrszeiten und Schwachverkehrszeiten zu begrüßen. Die Unterteilung einer Linie in einen eigenwirtschaftlichen (etwa zu den Berufsverkehrszeiten) und einen gemeinwirtschaftlichen (z.B. am Wochenende oder nachts) Teil stellt keine Umgehung der Direktvergabevoraussetzungen nach Art. 5 Abs. 4 VO 1370/2007 dar, sondern ist sachlichen und haushaltspolitischen Zwängen geschuldet und dient damit den Interessen des Aufgabenträgers.

Das hier mitunter vorgebrachte personenbeförderungsrechtliche Gegenargument, die Linie sei die kleinste genehmigungsrechtliche Einheit, die nicht weiter unterteilt werden könne, greift nur auf den ersten Blick. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) ausdrücklich zwischen einer sog. Gesamtleistung und einer sog. Teilleistung unterscheidet. Nach § 8a Abs. 2 Satz 4 PBefG gehört zur Gesamtleistung u.a. die Linie. Da dem Wortsinn nach eine Teilleistung aber ein Weniger im Verhältnis zur Gesamtleistung ist, muss die Linie (=Gesamtleistung) auch aufgeteilt werden können (etwa in Takte oder in gemein- und eigenwirtschaftliche Leistungen).

Vor diesem Hintergrund ist den Aufgabenträgern zu raten, eine von sachlichen, willkürfreien Erwägungen getragene Linienteilung verstärkt in Erwägung zu ziehen.

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Rechtliche Probleme bei der Beschaffung von Geoinformationen und Geoinformationssystemen

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ITKRecht

Die Anwendungsmöglichkeiten von Geoinformationen sind vielfältig, das Entwicklungspotential ist beachtlich, die Zukunftsaussichten sind rosig und die Bundesregierung ist begeistert (siehe etwa 3. Geo-Fortschrittsbericht der Bundesregierung).

Eine staatliche Stelle, die Geoinformationen, Geodienste oder entsprechende Systeme beschaffen möchte oder muss, steht allerdings einer Vielzahl an rechtlichen Regelungen gegenüber. Dies erschwert den Beschaffungsprozess. Ein maßgeblicher Grund hierfür ist, dass das Geoinformationswesen eine Querschnittsmaterie ist, die in viele rechtliche Bereiche hineinwirkt, z.B. in das Datenschutzrecht, Urheberrecht, Baurecht, Umweltrecht und schließlich auch in das Vergaberecht. Dieser Beitrag soll einen Überblick über einige bei Beschaffungen zu beachtende Gesichtspunkte geben. Dabei können die zahlreichen Problemfelder aus Platzgründen nur angerissen werden.

Begrifflichkeiten

Zunächst seien einige Begrifflichkeiten zu klären. Ein Blick in das Gesetz verrät uns, dass Geodaten „alle Daten mit direktem oder indirektem Bezug zu einem bestimmten Standort oder geografischen Gebiet sind“, so § 3 Abs. 1 GeoZG (entspricht der Definition in Artikel 3 Nr. 2 der „INSPIRE“-Richtlinie 2007/2/EG).
Bereits hier wird das weite Begriffsverständnis des europäischen und nationalen Gesetzgebers deutlich. In der Praxis werden häufig Umweltdaten, geographische Daten, Straßendaten, Verkehrsdaten, Wirtschaftsdaten, Tourismusdaten, Breitbanddaten, Energiedaten, etc. beschafft. Bei all diesen Fällen handelt es sich in der Regel um Geodaten. Geodatendienste sind dagegen „vernetzbare Anwendungen, welche Geodaten und Metadaten in strukturierter Form zugänglich machen […]“. § 3 Abs. 3 GeoZG enthält dann noch weitere Eingrenzungen. Beschaffungsgegenstand ist häufig auch ein Geoinformationssystem (GIS).
Dieser viel verwendete Begriff ist jedoch im Gesetz nicht definiert. Nach der deutschsprachigen Wikipedia handelt es sich dabei um „Informationssysteme zur Erfassung, Bearbeitung, Organisation, Analyse und Präsentation räumlicher Daten. Der Begriff ist weit zu verstehen und umfasst z.B. die benötigte Hardware, Software, Daten und Anwendungen“.

Rechtsrahmen

Es gibt zahlreiche Regelungen auf europäischer Ebene, die im Hinblick auf das Geoinformationswesen relevant sind, z.B. Re-Use of Public Sector Information (Directive 2003/98, geändert durch Directive 2013/37) Environmental Information Directive (Directive 2003/4), INSPIRE Directive (Directive 2007/2), Data Protection Directive (Directive 95/46).

Auf deutscher Ebene sind beispielsweise zu nennen: Geodatenzugangsgesetz Bund (GeoZG) und Gesetze der Länder, Vermessungs- und Geoinformationsgesetze der Länder, Informationsfreiheitsgesetz (IFG), Informationsweiterverwendungsgesetz (IWG) und Umweltinformationsgesetz Bund (UIG) und Gesetze der Länder.

Lizenzmodelle und Open Source

Bei der Beschaffung von Geodaten gibt es zwei Beschaffungswege. Der eine besteht darin, bereits vorhandene Geodaten zu kaufen oder zu mieten. Der andere, selbst Geodaten zu erheben oder erheben zu lassen. Oft findet auch eine Kombination aus beidem statt. Bei der Beschaffung bereits vorhandener Geodaten greift der Auftraggeber auf eine oder mehrere Datenbanken zurück. Jede dieser Datenbanken ist in aller Regel an ein Lizenzmodell geknüpft. So existiert etwa die „Geolizenz“ in insgesamt 9 Varianten [www.geolizenz.org]  die Open-Data-Commons-Lizenzen der Open Knowledge Foundation, z.B. „Open Data Commons Open Database License (ODbL)” oder “Database Contents License (DbCL)”, die Creative-Commons-Lizenz-System, z.B. „Attribution-ShareAlike 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0)“ oder „Attribution-ShareAlike 4.0 International“ (CC BY-SA 4.0). Hinzu kommen zahlreiche Open Government Lizenzsysteme einzelner Staaten.

Der Grundsatz von Open Source ist, dass die betroffenen Werke frei verfügbar gemacht werden. Im Einzelnen können die Lizenzbedingungen divergieren. So kann sich die freie Verfügbarkeit auf die rein private Verwendung beschränken. Denkbar ist auch, dass die freie Verwendung von Rohdaten daran geknüpft wird, dass auch bei einer Aufbereitung die Quelle zu nennen ist oder dass sogar die aufbereiteten Daten zur freien Verwendung zu geben sind. Ein Verstoß des Auftraggebers gegen Lizenzrechte kann erhebliche Nachteile für ihn haben, auch erst Jahre nach Vergabe. Stets hat der Auftraggeber daher auf sog. Copy-Left-Klauseln zu achten, zumal die EVB-IT dieses Problem nicht ausreichend adressieren.

Die Beschaffungssituation

In einer Beschaffungssituation können sich mannigfaltige Fragen stellen. Die nachstehende Fragenliste soll dies verdeutlichen:

  • Welche besonderen Anforderungen sind an die Leistung zu stellen?
  • Sind gesetzliche Schranken vorhanden, die bei der Durchführung der Leistung zu beachten sind? Z.B. Datenschutzrecht, Flugsicherheitsrecht
  • Daran anknüpfend: Sind behördliche Genehmigungen (z.B. Aufstiegsgenehmigungen bei unbemannten Fluggeräten, UAS bzw. UAV, oder auch einfach „Drohnen“ genannt) erforderlich und wie sie ihre Voraussetzungen bei konkret vorgegebenen Erhebungsweisen?
  • Sind urheberrechtliche Gesichtspunkte zu beachten und welche Nutzungsrechtsvereinbarung folgt daraus?
  • Welcher Vertragstyp kommt in Betracht? Z.B. EVB-IT-Vertrag
  • Welche Vergabeart ist sinnvoll und rechtlich zulässig?
  • Welche speziellen Anforderungen sind an die Eignung des Dienstleisters zu stellen?
  • Auf welche qualitativen Kriterien kommt es für die Angebotswertung besonders an?

Zuordnung von Geodaten und Geoinformationssystemen unter EVB-IT

Die Zuordnung von Beschaffungen unter die EVB-IT Vertragstypen kann im Einzelfall schwierig sein. Für die Beschaffung einer Software zur Erfassung und Verwaltung von Geodaten kann sowohl ein EVB-IT Überlassung Typ A (dauerhafte Überlassung von Standardsoftware) als auch ein EVB-IT Überlassung Typ B (zeitweise Überlassung von Standardsoftware) – in der Regel – mit einem EVB-IT Pflege S (Pflege von Standardsoftware), aber auch ein EVB-IT Erstellung (auf Softwareleistungen reduzierter EVB-IT Systemvertrag) in Betracht kommen.

Für ein Geoinformationssystem wird in der Regel ein EVB-IT System (Erstellung von IT-Systemen – Schwerpunkt auf Herstellung der Betriebsbereitschaft) oder ein EVB-IT Systemlieferung (Lieferung von IT-Systemen aus einer oder mehreren Systemkomponenten) die richtige Wahl sein.
Schwierig wird die Zuordnung insbesondere dort, wo Geodaten zu erheben oder zu bearbeiten sind. Ein EVB-IT Dienstleistung (IT-Dienstleistungen in Form eines Dienstvertrags) wird in der Regel nicht in Betracht kommen, da die Beschaffung regelmäßig eine Werkleistung darstellen sollte.
Ein EVB-IT Erstellung kommt ebenfalls nicht in Betracht, da keine Software erstellt oder angepasst wird, Datenbankwerke sind nicht Gegenstand. Ist die Beschaffung von Geodaten nicht mit der Erstellung einer Software verknüpft (dann ggf. wiederum ein EVB-IT Erstellung), ist ein Individualvertrag oder ein stark modifizierter EVB-IT Dienstleistung (wird nicht empfohlen, da AGB nicht passen) zu wählen.

Nutzungs- und Lizenzbedingungen

Sämtliche Vertragsmuster aus der „klassischen“ IT-Beschaffung wie auch die EVB-IT gehen regelmäßig davon aus, dass im Rahmen der Beschaffung ein urheberrechtlich geschütztes Werk hergestellt wird und haben dabei Computerprogramme, Anleitungen und Schulungsunterlagen vor Augen. „Geodatendienste“, „Geoportale“ und/oder GIS sind in Bezug auf die darin enthaltene Software als „Computerprogramme“ im Sinne von § 69a UrhG urheberrechtlich geschützt, hier gelten die allgemeinen Grundsätze, wie sie auch in den EVB-IT enthalten sind. Nutzungsrechte sind (ausdrücklich) einzuräumen. Geodaten an sich sind urheberrechtlich jedoch nicht geschützt, da sie in der Regel keine „persönliche geistige Schöpfungen“ im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG darstellen. Wenn die Nutzung von Geodaten eingeschränkt werden soll, bedarf es in der Regel einer vertraglichen Nutzungsbeschränkung. Werden Geodaten beschafft, kann die Gesamtheit der Geodaten jedoch eine Datenbank im Sinne von § 87a Abs. 1 UrhG darstellen. Danach ist eine Datenbank „eine Sammlung von Werken, Daten oder anderen unabhängigen Elementen, die systematisch oder methodisch angeordnet und einzeln mit Hilfe elektronischer Mittel oder auf andere Weise zugänglich sind und deren Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung eine nach Art oder Umfang wesentliche Investition erfordert.“

Datenbankhersteller ist nach § 87a Abs. 2 UrhG derjenige, der die Investition nach § 87a Abs. 1 UrhG getätigt hat. In diesem Fall hat der Datenbankhersteller gemäß § 87b Abs. 1 S. 1 UrhG „das ausschließliche Recht, die Datenbank insgesamt oder einen nach Art oder Umfang wesentlichen Teil der Datenbank zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben“. § 11 Abs. 2 S. 1 GeoZG sieht ausdrücklich vor, dass „Geodaten und Metadaten […] über Geodatendienste für die kommerzielle und nicht kommerzielle Nutzung geldleistungsfrei zur Verfügung zu stellen [sind], soweit durch besondere Rechtsvorschrift nichts anderes bestimmt ist oder vertragliche oder gesetzliche Rechte Dritter dem nicht entgegenstehen“. Aufgrund der Einschränkung in Bezug auf Rechte Dritter sehen sämtliche Landesgesetze eine praktisch gleichlautende Regelung vor (wobei zu beachten ist, dass die Kostenfreiheit in den wenigstens Landesgesetzen vorgegeben ist).

Praxishinweis
Sofern der öffentliche Auftraggeber für die Zugänglichmachung und ggf. Veröffentlichung der beschafften Geodaten rechtlich nicht beschränkt sein möchte, sollte vertraglich festgelegt werden, dass er aufgrund seiner Investition Datenbankhersteller ist (in der Regel ist dies allerdings nur klarstellender Natur). Sollte der Dienstleister eine bereits bestehende Datenbank liefern, sollten entsprechende Nutzungsrechte eingeräumt und eine Freistellungsklausel zu Gunsten des Auftraggebers im Fall der Inanspruchnahme durch Dritte formuliert werden. Ebenfalls zu beachten ist aber auch, dass die Beschaffung von bestehenden und nur „unwesentlich“ angereicherten Datenbanken bei vollständiger Rechteeinräumung ein erheblich preistreibender Faktor sein kann und damit die Beschaffung an sich unwirtschaftlich werden kann.

Geodatenbeschaffung durch UAS

Der Auftragsgegenstand kann auch darin bestehen, dass der Dienstleister mit Hilfe eines unbemannten Fluggeräts Geodaten erhebt. Der Auftraggeber muss sich im Rahmen der Vorbereitung der Leistung die Frage stellen, ob und inwieweit die geplante Erhebung durch Drohnen zulässig ist. Denn (rechtlich) unmögliche und unzumutbare Leistungen darf er nicht ausschreiben.
Der Betrieb von UAS ist nach § 15a LuftVO grundsätzlich verboten außerhalb der Sichtweite des Steuerers (keine eindeutige Erkennbarkeit ohne besondere optische Hilfsmittel möglich) oder bei MTOM von mehr als 25 Kilogramm, wobei Ausnahmen möglich sind. Solche werden von den Luftfahrtbehörden des Landes (örtliches Einsatzgebiet) erteilt. Nach § 16 Abs. 1 Ziff. 7 LuftVO gilt für alle UAS in Deutschland das Erfordernis einer Aufstiegserlaubnis. Die Aufstiegserlaubnis erteilt wiederum die örtlich zuständige Behörde des Landes (Einsatzbereich entscheidend), also z.B. die Bezirksregierung.

Die Erlaubniserteilung erfolgt nach gebundenem Ermessen, wenn die beabsichtigte Nutzung
(1) nicht zu einer Gefahr für die Sicherheit des Luftverkehrs oder die öffentliche Sicherheit oder Ordnung führt,
(2) Vorschriften über den Datenschutz nicht verletzt, ggf. die Zustimmung des betroffenen Grundstückseigentümers vorliegt. Nebenbestimmungen sind zulässig (z.B. Sachverständigengutachten über Eignung des Geländes und des Luftraums).

Bei der Beobachtung des nicht-öffentlichen Raums (z.B. umzäuntes Privatgelände, Werksgelände) finden die allgemeinen Regelungen Anwendung, wenn die von dem UAS gewonnenen Daten „personenbezogen“ bzw. „personenbeziehbar“ sind; dann erfolgt eine Interessenabwägung (bei nicht-öffentlichen Stellen) bzw. der Erforderlichkeitsgrundsatz kommt zum Tragen (bei öffentlichen Stellen). Im Rahmen der Interessenabwägung kommt es neben dem Detailgrad (kann man nur Flächen erkennen, oder einzelne Personen identifizieren?) maßgeblich auf den Nutzungszweck an. Auch ein Prozess zur Anonymisierung von Aufnahmen fließt in eine solche Interessenabwägung ein.

DVNW_Mitglied

Fazit

Mein Fazit fällt ernüchternd aus: Geodaten, Geodiensten, GIS u.ä. sind zweifellos wichtige Bestandteile der Industrie 4.0 und haben ein enormes wirtschaftliches Potential. Gleichwohl hinkt die rechtliche Aufbereitung, wie so oft, hinterher.

Der Beschaffungsprozess wird mangels klarer Regeln und Leitfäden kompliziert und damit anfällig für Fehler. Doch gerade vertragliche Fehler bergen Risiken, die sich später bitter für den Beschaffer rächen können.

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Bestimmung des Auftragswertes hat für Interimsaufträge unabhängig vom Hauptauftrag zu erfolgen (OLG Koblenz, Beschl. v. 24.03.2015 – Verg 1/15)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungTritt eine Interimsbeauftragung selbstständig neben den Hauptauftrag hat die Auftragswertberechnung eigenständig zu erfolgen.

Nachprüfungsanträge sind für öffentliche Auftraggeber in der Regel lästig: Die Auftragserteilung verschiebt sich-nicht selten auf unbestimmte Zeit. Die fünfwöchige Frist des § 113 Abs.1 GWB ist allein schon für die Parteien, die häufig mehrere Schriftsätze wechseln, kaum einzuhalten. Rechnet man die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung mit ein und berücksichtigt die personelle Ausstattung der Vergabekammern, können sich schnell Verzögerungen von mehreren Monaten bis hin zu über einem Jahr ergeben.

Bei vielen Leistungen ist dies vor allem ärgerlich, da sich der Beginn der Leistung, bzw. die Lieferung des Produktes verzögern. Handelt es sich jedoch um Dienstleistungen, die auf regelmäßiger Basis erbracht werden müssen (Abfallentsorgung, Reinigung, Postdienstleistungen) kann ein Nachprüfungsantrag die Versorgungssicherheit des öffentlichen Auftraggebers gefährden. Daher greifen öffentliche Auftraggeber in diesen Fällen häufig auf eine Interimsvergabe zurück. Dabei wird ein Auftrag für die voraussichtliche Laufzeit des Nachprüfungsverfahrens vergeben. Der Auftrag geht dabei meistens in einem freihändigen Verfahren an den bisherigen Leistungserbringer (der nicht selten für den Nachprüfungsantrag verantwortlich ist). Dabei ist unbestritten, dass es sich auch bei Interimsbeauftragungen um öffentliche Aufträge handelt, die dem Vergaberecht unterliegen. Wie bei diesen Aufträgen die Wertberechnung vorzunehmen ist, war nun Gegenstand eines Beschlusses des OLG Koblenz.

§ 118 Abs.1 S.3 GWB, § 2 Abs.1 VgV § 3 Abs.2 VgV

Leitsatz

  1. Wird wegen des Zuschlagsverbots nach § 115 Abs. 1 GWB ein Interimsauftrag notwendig, der weder ganz noch teilweise an die Stelle des „Hauptauftrags“, sondern neben diesen treten soll, handelt es sich um einen zusätzlichen Auftrag mit einem eigenständigen Auftragswert.
  2. Werte von früheren Interimsaufträgen über gleichgelagerte Leistungen könnten allenfalls dann hinzuzurechnen sein, wenn der Auftraggeber in der Vergangenheit gegen das Umgehungsverbot des § 3 Abs. 2 VgV und Art. 9 Abs. 3 RL 2004/18/EG verstoßen hat.
  3. Der Antragssteller ist dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass und in welchem (den maßgebenden Schwellenwert erreichenden) Umfang der öffentliche Auftraggeber einen der Nachprüfung unterliegenden Auftrag erteilt bzw. gegen das Umgehungsverbot verstoßen hat.

Sachverhalt

Eine Stadt in Rheinland-Pfalz schrieb einen Rahmenvertrag über die Erbringung von Postdienstleistungen aus. Aufgrund von Zweifeln an der Europarechtskonformität des vergabespezifischen Mindestlohns nach § 3 Abs.1 LTTG wurde das Nachprüfungsverfahren vom OLG Koblenz ausgesetzt und ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gestellt (vgl. Vergabeblog.de vom 12/06/2014, Nr. 19224). Durch das Zuschlagsverbot nach § 115 Abs.1 GWB und das Auslaufen des Vertrags mit dem bisherigen Leistungserbringer wurde es für die öffentliche Auftraggeberin notwendig, für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens bis zur Entscheidung des EuGH einen Interimsauftrag für die Erbringung der Postdienstleistungen zu vergeben. Dazu führte sie eine öffentliche Ausschreibung nach dem Unterschwellenvergaberecht der VOL/A durch, da sie von einem Auftragswert für die Interimsvergabe von weniger als 100.000 ausging.

Die Antragstellerin griff die Ausschreibung an und stützte ihren Antrag auf dieselben Argumente wie für ihren Nachprüfungsantrag zur Hauptvergabe. Die Vergabekammer bejahte zwar die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags, lehnte diesen aber als unbegründet ab. Im Hinblick auf das Erreichen der EU-Schwellenwerte behandelte sie den Interimsauftrag wie eine einzelne Losvergabe des Hauptauftrags und legte daher den Gesamtauftragswert zugrunde.

Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde an das OLG Koblenz.

Die Entscheidung

Das OLG Koblenz wies die sofortige Beschwerde bereits wegen der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags zurück. Nach der Auffassung des Gerichts handelt es sich bei der Interimsbeauftragung nicht um einen Teil des Hauptauftrags, sondern um einen selbstständigen Auftrag, dessen Schwellenwert eigenständig zu ermitteln ist. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn der Interimsauftrag den Hauptauftrag ganz oder teilweise ersetzen soll. Dies war hier aber nicht der Fall. Das Gericht sah es insoweit auch als unbeachtlich an, dass die Laufzeit der Interimsbeauftragung sich mit der Laufzeit des ursprünglichen Auftrags überschneidet. Der Interimsauftrag tritt insofern nicht an die Stelle des Hauptauftrags, sondern dieser folgt der Interimsbeauftragung zu den ausgeschriebenen Fristen (die möglicherweise dann anzupassen sind).

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des OLG Koblenz überzeugt. Nicht nur aus rechtlichen, sondern auch aus praktischen Gründen. Es ist vergaberechtlich nicht geboten, eine Interimsbeauftragung als ein Los des ausgeschriebenen Auftrags zu werten. Wenn überhaupt, ließe sich dies allenfalls für den Vertrag mit dem bisherigen Leistungserbringer sagen (der häufig die interimsweise Leistungserbringung übernimmt). Dann würde der bestehende Vertrag in seiner Laufzeit erweitert. Auch dies dürfte aber nach der Rechtsprechung des OLG Koblenz unproblematisch möglich sein. Aus praktischen Gründen ist die Entscheidung jedoch ebenso geboten: Anderenfalls hätten es die Bieter in der Hand, auch gegen die interimsweise Beauftragung mit einem Nachprüfungsantrag vorzugehen und auf diese Weise die Versorgungssicherheit des öffentlichen Auftraggebers zu gefährden. Es ist aber der Zweck eines Nachprüfungsverfahrens einem unterlegenen Bieter die Möglichkeit einer fairen Überprüfung der Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers einzuräumen und nicht ihm die Mittel in die Hand zu geben, den öffentlichen Auftraggeber von dringend benötigten Leistungen abzukoppeln.

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Praxistipp

Für öffentliche Auftraggeber bedeutet die Entscheidung des OLG Koblenz eine Erleichterung. Sie können im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens ihre Versorgungssicherheit sicher stellen, indem sie interimsweise Aufträge bis zum Ende des Nachprüfungsverfahrens vergeben, ohne dass aufgrund des Wertes des Hauptauftrags gleich eine Überprüfung vor der Vergabekammer möglich ist. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten. Zwar wird der Schwellenwert des Auftragswertes separat ermittelt, überschreitet er jedoch die EU-Schwellenwerte ist er der Nachprüfungsmöglichkeit ebenso unterworfen wie jeder andere Auftrag.

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Eine gelungene und eine misslungene gesteuerte Ausschreibung (VK Bund, Beschl. v. 16.03.2015 – VK 2-9/15 und VK Sachen-Anhalt, Beschl. v. 19.03.2015 – 2 VK LSA 01/15)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungProduktneutrale Ausschreibung versus Bestimmungsrecht des Auftraggebers.

Die VK Bund hebt eine Ausschreibung zur Lieferung von Sport- und Therapiegeräten wegen Verletzung des Grundsatzes der produktneutralen Ausschreibung auf: Der Auftraggeber habe nicht darlegen können, dass eine (untergeordnete) Leistungsposition, die Hanteln, in der vom Auftraggeber ohne sachlichen Grund gewünschten Abstufung von 1,25 kg von mehr als einem Hersteller angeboten würden. Nach der VK Sachsen-Anhalt ist hingegen nicht zu beanstanden, wenn das Mindest- und Höchstgewicht eines zu beschaffenden Hubschraubers und eine bestimmte Zulassung vorgegeben werden, auch wenn nur ein Hersteller einen solchen Hubschrauber anbietet. Gebe es nachvollziehbare Gründe für die Beschränkungen, sei der Auftraggeber nicht einmal verpflichtet, andere Lösungskonzepte zu prüfen.

§ 8 EG Abs. 7 VOL/A

Leitsatz

VK Bund, Beschluss vom 16.03.2015, VK 2-9/15:

  1. Die Entscheidung, welcher Gegenstand mit welcher Beschaffenheit und mit welchen Eigenschaften beschafft werden soll, obliegt dem öffentlichen Auftraggeber. Dieser ist in der Auswahl der von ihm zu beschaffenden Gegenstände grundsätzlich frei. Grenze des Bestimmungsrechts des öffentlichen Auftraggebers ist aber die Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung.
  2. In technischen Anforderungen darf nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren oder auf Marken, Patente, Typen eines bestimmten Ursprungs verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden, es sei denn, dies ist durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt.
  3. Gegen Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung wird nicht nur dann verstoßen, wenn ein Leitfabrikat offen und explizit in der Leistungsbeschreibung benannt worden ist, sondern auch dann, wenn durch die Vielzahl der Vorgaben verdeckt ein Leitfabrikat ausgeschrieben wurde, weil nur ein einziges Produkt allen Vorgaben gerecht werden kann.

VK Sachen-Anhalt, Beschluss vom 19.03.2015, 2 VK LSA 01/15:

  1. Es ist grundsätzlich Sache des Auftraggebers, seinen Beschaffungsbedarf festzulegen. Diese Entscheidung ist dem Vergabeverfahren zeitlich und sachlich vorgelagert. Gleichwohl hat der Auftraggeber die Festlegung des Beschaffungsbedarfs nachvollziehbar und plausibel zu begründen, soweit es hierdurch zu einer erheblichen Einschränkung des potenziellen Teilnehmerkreises kommt.*)
  2. Der Auftraggeber ist bei der Bestimmung des Beschaffungsgegenstands nicht gehalten, andere in Betracht kommende Lösungen zur Erfüllung der Aufgaben zu prüfen und auszuschließen. Der Prozess der Bestimmung des Beschaffungsbedarfs würde zu sehr verrechtlicht und es würde in die Kompetenzen des Auftraggebers zu sehr eingegriffen.

Sachverhalt

VK Bund

Der Auftraggeber schreibt einen Rahmenvertrag über die Lieferung und Wartung von Sport- und Therapiegeräten aus. Die Ausschreibung umfasst mehr als 60 Sport- und Trainingsgeräte. Zur Vorbereitung der Ausschreibung hatte der Auftraggeber einen großangelegten sechsmonatigen Praxistest durchgeführt, für die ein Hersteller (nachfolgend: Sponsor) die erforderlichen Geräte, u. a. Hanteln mit einer Abstufung von 1,25 kg, sponserte. Entsprechend schrieb der Auftraggeber aus. Die Abstufung von 1,25 kg rechtfertigte er damit, dass die Probanden sie als angenehm empfunden hatten. Dies fand im Abschlussbericht zum Praxistest aber keine Stütze. Der Auftraggeber konnte nicht nachweisen, dass auch andere Hersteller außer dem Sponsor Hanteln in dieser Abstufung anbieten. Alle Bieter hatten Hanteln des Sponsors im Angebot.

Auf die Rüge des Antragstellers hatte der Auftraggeber die Vorgabe genauer Maßangaben für die Sport- und Therapiegeräte durch ca. Angaben ersetzt. Auf dieser Grundlage wollte der Auftraggeber auch Abweichungen von 50 % im Angebot des Antragstellers akzeptieren.

VK Sachsen-Anhalt

Der Auftraggeber schreibt Polizeihubschrauber aus. Aufgrund der Aufgabenstellung müssten diese ein gewisses Mindestabfluggewicht (geschätztes Leergewicht zzgl. erforderlicher Zuladung) haben. Um Treibstoff zu sparen, beschränkt e der Auftragsteller auch das Maximalgewicht. Die für diese Gewichtsklasse erforderliche Zulassung wird ebenfalls vorausgesetzt. Das aufwendige Zulassungsverfahren dauert drei Monate. Es ist streitig, ob nur ein Hersteller, die Beigeladene, diese Anforderungen erfüllen kann. Der Antragsteller kann nur leichtere oder schwerere Hubschrauber anbieten.

Die Entscheidungen

Abgestufte Hanteln verletzen das Gebot der produktneutralen Ausschreibung, ein nach Zulassung und Gewicht spezifizierter Hubschrauber nicht.

Die VK Bund war der Auffassung, dass die Ausschreibung gegen den Grundsatz der Produktneutralität verstoße, § 8 EG Abs. 7 VOL/A. Die ausgeschriebenen Hanteln stelle nur ein Unternehmen her, jedenfalls habe der Auftraggeber keinen weiteren Hersteller nennen können. Diese faktische Eingrenzung auf ein Produkt sei nicht gerechtfertigt. Die angegebene Begründung, dass diese Abstufung von den Probanden des Praxistest als angenehm empfunden wurde, ergebe sich aus dem Abschlussbericht nicht, die Probanden seien danach gar nicht gefragt worden.

Außerdem verletzte die Ausschreibung das Transparenzgebot. Bei ca. Angaben dürfte nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (Beschl. v. 25.04.2012, Verg 61/11) eine Abweichung von 10 % im Rahmen liegen. Der Auftraggeber gehe aber offenbar davon aus, dass auch Abweichungen von 50 % zulässig seien. Dies sei intransparent.

Die Beschränkung des Mindest- und Maximalgewichts eines Hubschraubers sah die VK Sachsen-Anhalt hingegen als gerechtfertigt an, auch wenn nur ein Hersteller einen solchen Hubschrauber liefern könnte. Leichtere Hubschrauber würden den vorgegebenen Einsatzzwecken nicht gerecht. Die Beschränkung des Maximalgewichts zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit nachvollziehbar. Dass schwerere Hubschrauber wegen geringerer Anschaffungs- und Wartungskosten trotz höherer Treibstoffkosten wirtschaftlicher sein können, wie der Antragsteller vortrug, sei hypothetisch und vom Auftraggeber nicht zu prüfen. Andere Lösungsmöglichkeiten muss ein Auftraggeber nicht in Betracht ziehen.

Rechtliche Würdigung

Zwei mutmaßlich gesteuerte Ausschreibungen, zwei unterschiedliche Ergebnisse. Der rechtliche Rahmen für die Rechtfertigung produktspezifischer Ausschreibungen ist vergleichsweise klar und wird in den Entscheidungen richtig wiedergegeben: Der Auftraggeber darf den Auftragsgegenstand frei bestimmen, muss aber produktneutral ausschreiben. Eine Ausschreibung ist auch dann nicht produktneutral, wenn das Produkt durch abstrakte Vorgaben spezifiziert wird. Ausnahmsweise darf ein Produkt spezifiziert werden, wenn dies sachlich gerechtfertigt ist.

Wann aber ist eine Spezifikation sachlich gerechtfertigt? Muss ein Auftraggeber tatsächlich die gewünschte Abstufung von Hanteln im Rahmen eines Großauftrags für Sport- und Fitnessgeräte schriftlich rechtfertigen? Muss er sich erkundigen, wie viele Unternehmen das ausgeschriebene Produkt herstellen?

Diese Fragen problematisiert die VK Bund erst gar nicht. Sie zieht für ihr Ergebnis die Kenntnisse aus dem Vergabeverfahren heran, die dem Auftraggeber aber bei der Ausschreibung noch gar nicht vorliegen konnten. Von einer Markterkundungspflicht geht sie stillschweigend aus, wenn sie darauf abstellt, dass auch der Auftraggeber keinen anderen Hersteller nennen konnte. Im Ergebnis dürfte dies richtig sein. Zwar dürfte den Auftraggeber bei der Bestellung von Hanteln grundsätzlich keine Markterkundungspflicht treffen. Im entschiedenen Fall hat der Auftraggeber seine Beschaffungsabsicht aber anhand der von einem Hersteller gesponserten Geräte konkretisiert. In einem solchen Fall muss der Auftraggeber besonders sensibel darauf achten, nicht im Zweifel unwissentlich Produkte so zu beschreiben, dass sie nur der Sponsor liefern kann. Wenn ein solches Sponsoring überhaupt zulässig ist, trifft den Auftraggeber jedenfalls eine besondere Pflicht, die Ausschreibung unabhängig von dem Sponsor zu gestalten. Insoweit ist § 6 Abs. 7 EG VOL/A jedenfalls entsprechend anwendbar.  Man kann nur vermuten, dass das Sponsoring die VK Bund bei ihrer Entscheidung beeinflusst hat. Sonst hätte sie einen Großauftrag über Sportgeräte nicht an Hanteln scheitern lassen, die alle Bieter beim Hersteller beziehen konnten. Die Aufhebung erfolgte auch wegen des Sponsorings zu Recht, aber das hätte die VK Bund auch offenlegen können.

Großzügiger verfährt die VK Sachsen-Anhalt. Sie lässt Gewichtsbeschränkungen zu, da sie einigermaßen gut begründet waren. Die Entscheidung hätte aber auch anders ausfallen können. So ist es keineswegs schlüssig, das Gesamtgewicht zu begrenzen, wenn das Spritsparen im Vordergrund steht. Hier hätte richtiger Weise unmittelbar auf den Kraftstoffverbrauch abgestellt werden können. Auch ein Mindestabfluggewicht festzulegen ist nicht unbedingt erforderlich: Von der Aufgabe her war lediglich die Angabe einer Mindestzuladung erforderlich. Hätte der Hersteller des angestrebten Hubschraubers den Auftraggeber zuvor gesponsert, wäre die Entscheidung vielleicht anders ausgefallen.

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Praxistipp

1. Ein Auftraggeber kann, wie die entschiedenen Fälle zeigen, sehr wohl Ausschreibungen steuern –  nur nicht erkennbar. Er muss nachvollziehbare Gründe dafür anführen können, warum er welche Anforderungen an ein Produkt stellt. Diese Gründe sollte er nachvollziehbar und widerspruchsfrei zur Vergabeakte nehmen.

2. Problematisch ist es, vor der Ausschreibung, nur ein Produkt auszutesten und die Ausschreibung allein danach auszurichten. Mögliche Vorteile des Herstellers dieses Produkts sind auszugleichen.  Nicht empfehlenswert ist es, sich diese Produkte auch noch sponsern zu lassen.

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Markerkundung, Produktvorgabe und Leistungsbestimmung weiter auf dem Vormarsch! (VK Bund, Beschl. v. 10. Juni 2015 – Az. VK 1-40/15)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungDas Leistungsbestimmungsrecht kann vor der Vergabe im Wege der Markterkundung eine Produktvorgabe (auch ohne den Zusatz „oder gleichwertig“) rechtfertigen.

Kann ein öffentlicher Auftraggeber unter Inanspruchnahme seines Leistungsbestimmungsrechts ein Markterkundungsverfahren durchführen und als dessen Ergebnis eine EU-weite Produktvorgabe rechtfertigen? Ja. Dies hat die VK Bund unmissverständlich entschieden und damit dem öffentlichen Auftraggeber eine weitere Verfahrensvariante ermöglicht.

§ 7 Abs. 11 SektVO, Art. 58 und Art. 60 Abs. 4 S. 1 Richtlinie 2014/25/EU

Sachverhalt

Eine Sektorenauftraggeberin (Ag“), die von dem Verfasser in dem vorliegenden Verfahren vertreten worden ist, schreibt die Vergabe einer Standardsoftware mittels Produktvorgabe europaweit im offenen Verfahren aus. Im Vorfeld der Vergabe hatte die Ag mehrere hausinterne Workshops und Gespräche mit unterschiedlichen Softwareunternehmen zur Ermittlung der Anforderungen an die in Rede stehende Softwarelösung geführt. Sodann führte die Ag über ihre eigene Homepage ein Markterkundungsverfahren in Gestalt einer Marktanfrage durch. Als Grundlage der Marktanfrage verwendete sie einen Fragebogen, aus dem sich 14 Mindestanforderungen ergaben, die vollständig durch das [zukünftig zu beschaffende] Kaufprodukt erfüllt sein müssen.

An der Marktanfrage beteiligte sich eine Vielzahl von Unternehmen. Im Ergebnis dieser Marktanfrage kam die Ag nach Auswertung der eingereichten Fragebögen und der Durchführung praktischer Tests zu dem Schluss, dass nur ein Produkt, nämlich die vorgegebene Standardsoftware, alle ihre Anforderungen erfüllt. Sie schrieb daher europaweit die Beschaffung dieser konkreten Software aus. Dagegen wandte sich mittels Rüge und späterem Nachprüfungsantrag die Antragstellerin (ASt“) und machte unter anderem geltend, dass die Ag gegen das vergaberechtliche Gebot der Produktneutralität verstoßen habe.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer weist den Nachprüfungsantrag als „jedenfalls unbegründet“ zurück. Da es sich vorliegend um die Vergabe eines Sektorenauftraggebers handelte und die Entscheidung daher auf der Grundlage der Sektorenverordnung (SektVO) erging, stellte die Vergabekammer zunächst zu § 7 Abs. 11 SektVO fest, dass die Vorschrift entgegen ihrem missverständlichen Wortlaut richtlinienkonform so auszulegen ist, dass ein öffentlicher Auftraggeber in seinen technischen Anforderungen nicht nur dann auf bestimmte Produkte verweisen darf, wenn der Auftragsgegenstand anderenfalls nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann, sondern dass er auf den Gleichwertigkeitszusatz auch dann vollständig verzichten darf, wenn die Ausschreibung eines ganz bestimmten Produktes durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist (siehe unter anderem Art. 60 Abs. 4 S. 1 Richtlinie 2014/25/EU und OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9. Januar 2013 – Az. Verg 33/12).
Diese Klarstellung ist begrüßenswert, da die Nachprüfungsinstanzen teilweise vertreten, dass eine Produktvorgabe zwingend den Zusatz oder gleichwertig enthalten muss (in diesem Sinne z.B. VK Nordbayern, Beschl. v. 24. September 2014 – Az. 21.VK-3194-26/14 zu § 8 EG Abs. 7 VOL/A und VK Sachsen, Beschl. v. 19. April 2011 – Az. 1/SVK/010-11 zu § 7 Abs. 8 VOB/A).

Sodann betont die Vergabekammer den weiten, durch die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf in den letzten Jahren geprägten Grundsatz des Leistungsbestimmungsrechts des öffentlichen Auftraggebers. „Denn das Vergaberecht regelt nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung; auch für einen öffentlichen Auftraggeber gilt grundsätzlich die Vertragsfreiheit„. Des Weiteren betont die Vergabekammer unter Hinweis auf die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf:

“Die vergaberechtlichen Grenzen sind nur dann überschritten, wenn die Bestimmung des Beschaffungsgegenstands nicht durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist, keine nachvollziehbaren objektiven und auftragsbezogenen Gründe vom Auftraggeber angegeben worden sind und die Bestimmung nicht willkürfrei erfolgte, wenn solche Gründe tatsächlich nicht vorhanden sind oder wenn die Bestimmung andere Wirtschafteilnehmer diskriminiert.”

In dem zu entscheidenden Fall, erachtet die Vergabekammer diese Grenzen von der Ag als eingehalten. Denn wenn ein Auftraggeber objektive und auftragsbezogene Gründe für eine Produktvorgabe angibt und diese wie vorliegend tatsächlich vorliegen, hat ein Bieter gerade keinen Anspruch darauf, einem öffentlichen Auftraggeber eine andere Leistung mit anderen Beschaffenheitsmerkmalen und Eigenschaften anzudienen (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17. Februar 2010 – Az. Verg 42/09 und v. 1. August 2012 – Az. Verg 10/12).

Schließlich hat die Vergabekammer keine Bedenken bezüglich des Verfahrens zur Bestimmung der Produktvorgabe:

Zum einen ist die Festlegung des Beschaffungsgegenstandes durch die Ag deshalb nicht zu beanstanden, weil vor der Ausschreibung zunächst Gespräche mit mehreren Softwareunternehmen sowie eine Marktanfrage stattgefunden haben. Die Durchführung eines Markterkundungsverfahrens zur Ermittlung eines bestimmten Produktes, welches Gegenstand einer späteren europaweiten Produktvorgabe sein kann, ist nicht zu beanstanden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein öffentlicher Auftraggeber den Markt in Bezug auf die Umsetzbarkeit seines Beschaffungsbedarfs zunächst eruiert. Im Gegenteil könnte eine ohne vorher erforderliche Markterkundung erfolgte Ausschreibung mangels Ausschreibungsreife sogar vergaberechtswidrig sein (unter Hinweis auf die Entscheidung des OLG Celle, Beschl. v. 22. Mai 2008 – Az. 13 Verg 1/08). Zum anderen lässt auch die neue EU-Sektorenrichtlinie solche vorherigen Marktkonsultationen zukünftig nach Art. 58 Richtlinie 2014/25/EU zu. Die aus einer zulässigen Bestimmung des Beschaffungsbedarfs resultierende Einengung des Wettbewerbs ist von den übrigen Anbietern deshalb grundsätzlich hinzunehmen (so auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17. Februar 2010 – Az. VII Verg 42/09).

Rechtliche Würdigung

Nach der Entscheidung der Vergabekammer des Bundes steht fest, dass ein öffentlicher Auftraggeber ein Markterkundungsverfahren vor Durchführung des eigentlichen EU-weiten Vergabeverfahrens durchführen kann (und ggf. sogar muss), um eine etwaige Produktvorgabe zu rechtfertigen. Dies ist schon deshalb gut vertretbar, weil die Einbindung von Markterkundungselementen in die Vergabe rechtlich ausgeschlossen und unzulässig ist (siehe VK Düsseldorf, Beschl. v. 4. August 2000 Az. VK-14/2000-L und VK Lüneburg, Beschl. v. 29. April 2005 Az. VgK-19/2005). Führt dieses Markterkundungsverfahren dann tatsächlich zu dem Ergebnis, dass für die nachgefragte Leistung nur ein Produkt in Betracht kommt, kann der Auftraggeber dieses Produkt auch im Sektorenbereich ohne den Zusatz oder gleichwertig ausschreiben. Dieses Vorgehen ist von dem Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers gedeckt und erweitert damit den Spielraum des öffentlichen Auftraggebers ein weiteres Mal.

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Praxistipp

Ungeachtet der Möglichkeit, ein Produkt im Vorfeld des Vergabeverfahrens mittels einer Markterkundung ermitteln zu können, ist bei der Durchführung eines solchen Markterkundungsverfahrens zu beachten, dass es den vergaberechtlichen Grundprinzipien des Wettbewerbs, der Gleichbehandlung und der Transparenz genügt und vor allem auf eindeutigen und im Vorfeld transparent bekannt gemachten Verfahrensregeln aufbaut. Ein ordnungsgemäßes“ Markterkundungsverfahrens setzt insofern voraus, dass die wesentlichen Verfahrensschritte und -regeln aus dem (sich anschließenden) Vergabeverfahren in einem solchen Verfahren ebenfalls berücksichtigt und in transparenter Art und Weise umgesetzt werden.

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HOAI auf dem europarechtlichen Prüfstand? (IP/15/5199) – EU-Vertragsverletzungsverfahren

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Politik und MarktRecht

Einer Pressemitteilung vom 18. Juni 2015 (IP/15/ 5199) zufolge bereitet die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen mehrere Mitgliedsstaaten, u. a. auch Deutschland, wegen Verstößen gegen die Dienstleistungsrichtlinie vor.

Betroffen sind demnach insbesondere die in Deutschland für Architekten und Ingenieure zwingenden preisrechtlichen Bestimmungen der HOAI. Die EU-Kommission hat Deutschland offenbar zur europarechtskonformen Anpassung der aus ihrer Sicht gemeinschaftsrechtswidrigen Vorschriften über Mindestpreise aufgefordert.

Auf den ersten Blick mag der Vorstoß der EU-Kommission erstaunen, da die Entgeltbestimmungen der HOAI sich nur auf Architekten und Ingenieure mit Sitz im Inland und vom Inland aus erbrachte Grundleistungen beziehen. Sie erfassen insoweit nicht den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr. Gerade aus diesem Grund problematisiert die vergaberechtliche Rechtsprechung teils auch die zwingende Vorgabe von Honorarzonen nach HOAI in europaweiten Vergabeverfahren (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 29.01.2014, AZ: 1 Verg 14/13). Denkbarer Anknüpfungspunkt des Verfahrens wäre allerdings auch die – ebenfalls durch die Dienstleistungsrichtlinie geschützte – Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit (vgl. Art. 1 Abs. 1 RL 2006/123/EG).

Zu den Details des Vertragsverletzungsverfahrens liegen derzeit jedoch keine weiteren offiziellen Informationen vor, so dass hier nur spekuliert werden kann. Aus der Pressemitteilung ergibt sich nur, dass die Bundesrepublik nun zwei Monate Zeit zur Stellungnahme hat. Über die Erhebung einer Klage gemäß Art. 258 AEUV wird die EU-Kommission noch entscheiden müssen.

Vergaberechtliche Relevanz

Sollte sich im Ergebnis herausstellen, dass die preisrechtlichen Bestimmungen der HOAI gemeinschaftsrechtswidrig sind, hätte dies auch vergaberechtliche Relevanz.

Der Dauerstreit darum, ob und inwieweit es zulässig oder gar geboten ist, die nach HOAI anzusetzenden anrechenbaren Kosten bzw. Honorarzonen auftraggeberseitig (verbindlich) vorzugeben, könnte sich dadurch erübrigen. Die Befürworter einer zwingenden Angabe verweisen zur Begründung auf das Erfordernis der klaren und eindeutigen Aufgabenbeschreibung gemäß § 6 VOF und den Gleichbehandlungsgrundsatz (vgl. beispielsweise OLG Frankfurt, Beschl. v. 28.11.2006, 11 Verg 4/06; VK Nordbayern, Beschl. v. 22.01.2015, 21.VK-3194-37/14; VK Sachsen, Beschl. v. 20.10.2011, 1/SVK/03-11).

Vertreter der Gegenansicht verweisen hingegen unter Berufung auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11. November 2004 (Az: I ZR 156/02) darauf hin, dass die Verantwortung für die richtige Anwendung der HOAI primär dem Planer zugewiesen sei. Die unterschiedliche Bewertung des Schwierigkeitsgrads der angebotenen Leistung stelle die Vergleichbarkeit der Angebote dabei nicht in Frage. Eine verbindliche Vorgabe seitens des Auftraggebers wird insoweit eher als kritisch mit Blick auf den bestehenden Verhandlungsspielraum gesehen (vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 29.01.2014, 1 Verg 14/13, ebenso: VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 11.04.2014, 1 VK 10/14). Das OLG Koblenz erachtete es zudem als hochproblematisch, die Bestimmungen der HOAI über den Anwendungsbereich hinaus auch für Bieter aus dem Ausland vorzugeben.

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Praxistipp

Ob und inwieweit die preisrechtlichen Bestimmungen der HOAI Bestand haben oder möglicherweise tatsächlich gemeinschaftsrechtskonform geändert werden (müssen), bleibt abzuwarten. Auftraggebern ist bis dahin zu empfehlen, sich in der Frage der verbindlichen Vorgabe von Honorarzonen oder anrechenbaren Kosten an der Rechtsauffassung der im Einzelfall zuständigen Vergabekammer (bzw. des zuständigen Vergabesenats) zu orientieren. Im Übrigen sprechen zumindest gute Argumente dafür, in europaweiten Vergabeverfahren die Vorgaben der HOAI nur auf Inlandssachverhalte gemäß § 1 HOAI zu begrenzen.

Anmerkung der Redaktion
Die Pressemitteilung steht in deutscher Sprache in der Bibliothek des Mitgliederbereichs des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) zum Download bereit.  Noch kein Mitglied? Hier geht es zur Mitgliedschaft.

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Neue Europäische Eigenerklärung (EEE): Überarbeitung

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Politik und MarktRecht

Die EU-Kommission hat den Mitgliedstaaten einen Entwurf für eine Durchführungsverordnung zur Einführung der EEE übermittelt. Dieser wurde Juni 2015 überarbeitet und befindet sich in der Abstimmung mit den EU-Mitgliedstaaten. Er liegt gegenwärtig nur in englischer Sprache vor.

Der EEE-Entwurf sieht dabei folgendes Konzept vor: In Teil I (Part I) des Formulars hat der öffentliche Auftraggeber in geringem Umfang Informationen zu seiner Identität und zum Vergabeverfahren einzutragen. Teile II bis VI (Parts II to VI) sind vom Unternehmen auszufüllen, das sich um die Teilnahme an einem Vergabeverfahren bewerben oder ein Angebot abgeben möchte. Neben Angaben zur Identität des Bieters bzw. Bewerbers und seiner rechtlichen Vertreter (Teil II) wird das Unternehmen aufgefordert, Erklärungen zum Nicht-Vorliegen von Ausschlussgründen (Teil III), zur Erfüllung der vom Auftraggeber vorgegebenen Eignungskriterien (Teil IV) und ggf. zur Erfüllung von Kriterien zur Reduzierung der Anzahl der Teilnehmer bei sog. zweistufigen Vergabeverfahren (Teil V) abzugeben.

Zu den konkreten Eignungskriterien (Teil IV) müssen vom Unternehmen nur dann Eintragungen vorgenommen und Angaben (z.B. zum Jahresumsatz oder der Höhe der Berufshaftpflichtversicherung) gemacht werden, wenn dies in den Vergabeunterlagen oder der Auftragsbekanntmachung durch den öffentlichen Auftraggeber unmittelbar gefordert wurde (1. Alternative). Der öffentliche Auftraggeber kann auch vorsehen, dass eine bloße Bestätigung durch das Unternehmen ausreicht, dass die Eignungskriterien erfüllt werden (2. Alternative).

Hinweis zum Verfahren: Der EEE-Entwurf wird nach dem sog. Prüfverfahren i.S.d. des Art. 5 der EU-Verordnung Nr. 182/2011 erlassen. Im Rahmen dieses Prüfverfahrens können die Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit den Entwurf der EU-Kommission ablehnen oder Änderungen hierzu vorschlagen. Kommt eine qualifizierte Mehrheit nicht zustande, kann die EU-Kommission ihren Entwurf auch bei negativem Votum einzelner Mitgliedstaaten erlassen.

Hinweis: Die EEE ist auch Thema des 2. Deutschen Vergabetages. Zu Programm & Anmeldung.

Quelle: BMWi

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Dringlichkeit versus Vergabereife – Fristverkürzung auch im offenen Verfahren? (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.06.2015 – Verg 39/14)

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Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungAuftraggeber müssen Vergabeverfahren beginnen, auch wenn der Beschaffungsbedarf noch nicht feststeht, um ein Verhandlungsverfahren wegen Dringlichkeit oder eine Verkürzung von Fristen abzuwenden.

Das OLG Düsseldorf legt die Hürden für die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens wegen Dringlichkeit wieder einmal sehr hoch an: Im entschiedenen Fall hat der Auftraggeber zwar noch richtiger Weise das Vergabeverfahren eingeleitet, bevor der Beschaffungsbedarf endgültig feststand und dadurch eine (noch größere) Dringlichkeit abgewendet. Der Auftraggeber durfte die Dringlichkeit aber nicht selbst dadurch erzeugen, dass er den Vertragsbeginn vorzog, ohne dafür für das Gericht nachvollziehbare Gründe angeben zu können. Er hätte aber wohl die für ein (beschleunigtes) Nachprüfungsverfahren erforderliche Zeit einkalkulieren dürfen, wenn er dies dokumentiert hätte.

Diese hohen Hürden für ein Verhandlungsverfahren gelten nach dem Beschluss des OLG Düsseldorf in gleicher Weise für eine Abkürzung der Fristen im offenen Verfahren, selbst wenn die Frist für die Angebotsabgabe nur auf 36 statt der vorgeschriebenen 52 Tage verkürzt wird. Hält das OLG Düsseldorf damit eine Fristverkürzung im offenen Verfahren wegen Dringlichkeit trotz fehlender Regelung für zulässig?

GWB § 101a Abs. 1, 2, § 114 Abs. 2, § 123; VOL/A 2009 § 3 EG Abs. 4 d, § 12 Abs. 2, 4, 5

Leitsatz

  1. Sofern klar auszumachen ist, dass, sofern vor Beginn des Vergabeverfahrens eine Erfüllung externer und nicht beeinflussbarer Voraussetzungen für das Entstehen eines Beschaffungsbedarfs abgewartet wird, mit einem danach erst beginnenden Vergabeverfahren eine Bedarfsdeckung keinesfalls mehr sichergestellt werden kann, darf der öffentliche Auftraggeber im Sinn einer Vergabereife jedenfalls nach Bereitstellung der erforderlichen Haushaltsmittel das Vergabeverfahren beginnen, wenn er in der Vergabebekanntmachung auf die bestehenden Vorbehalte klar und unmissverständlich hinweist.
  2. Wenn die Vergabestelle davon abgesehen hat, einen zusätzlichen Zeitbedarf für Nachprüfungsverfahren im Rahmen ihrer zeitlichen Prognose zu kalkulieren, hat das Beschwerdegericht einen solchen zusätzlichen Zeitbedarf nicht von sich aus zu berücksichtigen.
  3. Die Vergabestelle darf durch Festlegen des Vertragsbeginns einen Zeitplan nicht derart zuspitzen, dass eine aufgrund nachprüfbarer Tatsachen nicht zu rechtfertigende Dringlichkeit entsteht.
  4. Sofern die realistische Möglichkeit besteht, anstelle eines mit besonderer Dringlichkeit begründeten Verhandlungsverfahrens auch in einem offenen Verfahren mit Regelfristen zu einem zeitgerechten Vertragsabschluss zu gelangen, sind das Verhandlungsverfahren und ein Abkürzen der Angebotsfrist unstatthaft.

Sachverhalt

Die Vergabestelle, handelnd für das Bundesverteidigungsministerium, schrieb durch Bekanntmachung im Amtsblatt der EU am 13. August 2014 (abgesandt am 8. August 2014) den Auftrag zur Betriebsführung des Feldlagers Mazar-e-Sharif in Afghanistan vom 1. Januar 2015 an aus. Hintergrund war die Änderung des Bundeswehrmandats verbunden mit einer erheblichen Truppenreduzierung. Die Durchführung des Auftrags hing vom Abschluss eines Nato-Stationierungsabkommens mit Afgahnistan (abgeschlossen unter dem 30.09.2014) und der Erteilung eines Mandats an die Bundeswehr durch den Bundestag (erteilt im Dezember 2014) ab. Die Haushaltsmittel sollen im Juli bereitgestanden haben.

Die Vergabestelle wählte unter Berufung auf die Dringlichkeit des Auftrags ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnehmerwettbewerb, gab aber vor, dass im Verfahren keinerlei Verhandlungen mit den Bietern geführt würden und die Ausschreibungsunterlagen unveränderbar seien. Die Angebotsfrist wurde zunächst auf 33 Tage, dann auf 36 Tage und zuletzt – bereits nach Abgabe des Angebots durch die Antragstellerin – auf 40 Tage festgelegt. Vertragsbeginn sollte der 01.11.2014 sein, eine Angebotsfrist von 52 Tagen sei damit nicht vereinbar, so die Antragsgegnerin. Sie konnte nicht nachvollziehbar darlegen, dass ein Vertragsbeginn am 01.12.2014 nicht auch ausreichend gewesen wäre.

Die Antragsgegnerin erteilte den Beigeladenen den Zuschlag, ohne die Wartefrist nach § 101a Abs. 1 GWB einzuhalten. Die Entscheidung der VK Bund, den Nachprüfungsantrag abzuweisen, hob das OLG Düsseldorf auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hin auf.

Die Entscheidung

Das OLG Düsseldorf verneinte eine Dringlichkeit der Vergabe im Sinne des § 3 Abs. 4 Buchst. d VOL/A EG. Wegen des Gefahrenpotentials für Wettbewerb, Gleichbehandlung der Bieter und Transparenz in Vergabeverfahren stellten das Verhandlungsverfahren, das Verkürzen der Angebotsfrist und ein Absehen von der Bieterinformation nach § 101a Abs. 1 GWB eng zu begrenzende Ausnahmefälle dar. Zwar könne dem öffentlichen Auftraggeber bei der Feststellung der Eilbedürftigkeit der Beschaffung ein Beurteilungsspielraum zuerkannt werden, dessen Ausübung nach allgemeinen Grundsätzen von den Vergabenachprüfungsinstanzen lediglich darauf zu überprüfen sei, ob er die Entscheidung auf der Grundlage eines zutreffend ermittelten Sachverhalts getroffen und diese nicht mit sachfremden Erwägungen, sondern willkürfrei sowie in Übereinstimmung mit hergebrachten Beurteilungsgrundsätzen begründet hat. Doch müssten die für eine Dringlichkeit herangezogenen Gründe objektiv nachvollziehbar gegeben sein. Sie dürfen für den Auftraggeber weder vorhersehbar noch seiner organisatorischen Sphäre zuzurechnen und deshalb von ihm ebenso wenig zu verantworten sein. Zudem muss zwischen dringlichen Gründen und der Unmöglichkeit, vorgeschriebene Fristen einzuhalten, ein Ursachenzusammenhang bestehen.

Die Eilbedürftigkeit konnte die Vergabestelle nicht beurteilungsfehlerfrei feststellen. Der Vertragsbeginn am 01.11.2014 sei „mehr oder weniger willkürlich gegriffen“ worden. Der Auftraggeber habe keine Gründe dafür angeben können, warum der Vertragsbeginn nicht für den 01.12.2014 hätte festgelegt werden können. Ein öffentlicher Auftraggeber dürfe den Zeitplan nicht so zuspitzen und dadurch eine aufgrund nachprüfbarer Tatsachen nicht zu rechtfertigende Dringlichkeit selbst erzeugen. Bei einem Vertragsbeginn am 01.12.2014 hätten die regulären Fristen eines offenen Verfahrens eingehalten werden können. Für die Einweisung im Lager reichten zwei Wochen aus, so dass die Betriebsführung am 1.1.2015 vom Auftragnehmer hätte übernommen werden können.

Aus diesen Gründen scheide ein Verhandlungsverfahren aufgrund Dringlichkeit ebenso aus wie eine Verkürzung der Fristen im (tatsächlich durchgeführten) offenen Verfahren. Auch habe der Zuschlag nach § 101a Abs. 2 GWB nicht ohne Vorabinformation erteilt werden dürfen.
Nicht zu beanstanden sei hingegen, dass die Ausschreibung bereits erfolgte, obgleich der Beschaffungsbedarf aufgrund extern und nicht zu beinflussender Voraussetzungen noch nicht endgültig feststand. Ein öffentlicher Auftraggeber dürfe dann trotzdem ein Vergabeverfahren beginnen, wenn eine rechtzeitige Beschaffung nach Eintreten der Voraussetzungen nicht mehr sichergestellt werden könne und er auf die Unsicherheiten in der Bekanntmachung hinweist. Ob zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens jedenfalls die Haushaltsmittel bereitgestellt sein müssen, ließ das OLG Düsseldorf offen.

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Rechtliche Würdigung

1. Unzulässigkeit der freihändigen Vergabe

Die vom OLG Düsseldorf dargelegten hohen Hürden für ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb aufgrund Dringlichkeit sind hinlänglich bekannt und entsprechen weitgehend der allgemeinen Meinung. Auch dass dem öffentlichen Auftraggeber dabei ein Beurteilungsspielraum zugestanden wird, der aber eine detaillierte Rechtfertigung im Vergabevermerk, jedenfalls aber im Nachprüfungsverfahren erfordert, ist nicht neu. Es ist auch nur folgerichtig, dass der Auftraggeber die Dringlichkeit nicht dadurch selbst erzeugen kann, dass er „willkürlich“ einen frühen Vertragsbeginn festsetzt.

2. Aber: Kein Rückschluss auf die Verkürzung der Fristen

Zurecht hat das OLG Düsseldorf festgestellt, dass die Vergabestelle faktisch ein offenes Verfahren mit abgekürzten Angebotsfristen durchgeführt hat. Es prüft daher folgerichtig, ob eine Abkürzung der Fristen (wohl im offenen Verfahren) wegen Dringlichkeit zulässig gewesen wäre und verweist dazu auf § 12 Abs. 2 lit. b EG-VOL/A, der aber für eine Verkürzung der Angebotsfrist nicht auf die Dringlichkeit abstellt, sondern darauf, ob eine Vorinformation erfolgte und dass „die verkürzte Frist für die Interessenten ausreicht, um ordnungsgemäße Angebote einreichen zu können.“ Eine Fristverkürzung wegen Dringlichkeit sieht die EG VOL/A im offenen Verfahren gar nicht vor. Ohne die Frage zu problematisieren, geht das OLG Düsseldorf offenbar davon aus, dass auch im offenen Verfahren die Angebotsfrist wegen Dringlichkeit verkürzt werden kann. Dies ist im Ergebnis auch richtig: Die Verkürzung der Fristen im offenen Verfahren stellt ein milderes Mittel dar als den Auftrag direkt freihändig zu vergeben. Es wäre unbefriedigend und unverhältnismäßig, wenn ein öffentlicher Auftraggeber eine freihändige Vergabe durchführen müsste und dürfte, wenn eine (maßvolle) Abkürzung der Angebotsfristen ausreichte. Die Durchführung eines faktisch offenen Verfahrens mit abgekürzten Angebotsfristen im Gewand der freihändigen Vergabe kann jedenfalls keine Lösung sein. Im Ergebnis spricht einiges dafür, dass ein Auftraggeber auch im offenen Verfahren die Angebotsfristen wegen Dringlichkeit abkürzen kann, obgleich dies in der EG-VOL/A nicht ausdrücklich vorgesehen ist.

Auf die Abkürzung der Angebotsfrist wendet dass OLG Düsseldorf dann aber – ohne nähere Begründung – die gleichen Maßstäbe wie für die Dringlichkeit bei der Durchführung eines Verhandlungsverfahrens an. Dies ist nicht gerechtfertigt. Eine Verkürzung der Angebotsfrist gefährdet den Wettbewerb, die Gleichbehandlung der Bieter und die Transparenz in wesentlich geringerem Maße als eine freihändige Vergabe: Eine Verkürzung der Angebotsfrist ist transparent und behandelt grundsätzlich alle Bieter gleich (problematisch aber bei Vorkenntnissen eines Bieters). Auch der Wettbewerb wird längst nicht so stark gemindert. Allerdings vertritt das OLG Düsseldorf  für die nach § 7 VOF (bzw. § 14 Abs. 1 VOF a. F.) möglichen Fristverkürzung bei VOF-Verfahren wegen „besonderer Dringlichkeit“ ebenfalls einen strengen Maßstab (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2005 – Verg 41/05), ohne aber auf die Rechtsprechung zu § 3 Abs. 4 Buchst. d VOL/A EG zu verweisen. Insbesondere lässt es eine Abwägung zwischen den Interessen der Bieter an einer längeren Angebotsfrist und der Dringlichkeit auf Seiten des Auftraggebers zu (anders noch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.7.2002 – Verg 30/02).

Das OLG Düsseldorf hätte also der Frage nachgehen müssen, ob nach diesen Maßstäben eine Verkürzung der Frist zulässig gewesen wäre (wohl ja) und ob ein faktisch durchgeführtes offenes Verfahren auch dann ordnungsgemäß ist, wenn es als Verhandlungsverfahren bezeichnet wurde (eher nein).
Eine pauschale Übertragung der Rechtsprechung zur Dringlichkeit auf die Möglichkeit, Fristen zu verkürzen, verbietet sich vor diesem Hintergrund jedenfalls. Vielmehr muss ein Auftraggeber auch dann das offene Verfahren wählen, wenn dieses nur unter Abkürzung der Frist ausreichend schnell ist. Ausdrücklich wird dies durch die Entscheidung des OLG Düsseldorf aber nicht bestätigt.

3. Vergabereife versus Dringlichkeit

Die Vergabestelle hätte es sich hier (vermeintlich) leicht machen können: Sie wartet den Beschluss des Bundestages im Dezember 2014 ab, zaubert dann – ganz zufällig – einen Auftragnehmer aus dem Hut und erteilt diesem für den am 1.1.2015 beginnenden Auftrag aufgrund dann nicht bestreitbarer Dringlichkeit freihändig den Zuschlag. Gehandelt hat sie früher, obgleich, wie das OLG Düsseldorf zutreffend feststellte, zu diesem Zeitpunkt „in tatsächlicher Hinsicht kein Beschaffungsbedarf hinsichtlich der ausgeschriebenen Dienstleistung bestanden“ habe. Dies ist nicht nur rechtmäßig, wie das OLG Düsseldorf nachvollziehbar begründet, sondern führt auch dazu, dass (zukünftig) in noch weniger Fällen eine freihändige Vergabe wegen Dringlichkeit zulässig ist: Ist es zulässig, das Vergabeverfahren früher einzuleiten, so muss die Vergabestelle davon Gebrauch machen, um eine spätere Eilbedürftigkeit abzuwenden. Intern beeinflussbare Voraussetzungen muss die Vergabestelle ohnehin schaffen, da sonst die Vergabestelle die Eilbedürftigkeit zu vertreten hat. Nach der Entscheidung des OLG Düssledorf gilt dies aber auch bei externen (nicht beeinflussbaren) Voraussetzungen, die die Vergabestelle vorhersehen kann: In diesen Fällen muss sie das Vergabeverfahren schon vor abschließender Vergabereife einleiten. Darin liegt auch keine unzulässige Markterkundung, da es sich um nicht beeinflussbare Voraussetzungen handelt. Das OLG Düsseldorf begründet diese Rechtsfolge zwar damit, dass ansonsten überhaupt keine ordnungsgemäße Vergabe mehr erfolgen kann – das gleiche dürfte aber für den Fall gelten, dass sonst nur noch eine freihändige Vergabe wegen Eilbedürftigkeit in Betracht kommt: Die Einschränkungen des Wettbewerbs und der Transparenz im Falle einer freihändigen Vergabe wiegen deutlich schwerer als die Missbrauchsgefahr eines (frühen) Vergabeverfahrens.

Richtig ist aber, dass zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens die Haushaltsmittel bereitstehen müssen: Bei der Bereitstellung von Haushaltsmitteln handelt es sich um eine interne Voraussetzung, die die Vergabestelle rechtzeitig herbeiführen muss, damit keine Eilbedürftigkeit entsteht. Würde sie vorher ein Vergabeverfahren einleiten, so stellte dies eine unzulässige Markterkundung dar: Die Vergabestelle hätte es letztlich selbst in der Hand, die Voraussetzungen zu schaffen oder – bei Missfallen des Ausschreibungsresultates – eben nicht.

Entscheidend kommt es daher auf die Abgrenzung von externen (von der Vergabestelle nicht beeinflussbarer) und internen (beeinflussbarer) Voraussetzungen an. Schon im entschiedenen Fall ist die Abgrenzung nicht eindeutig: Öffentlicher Auftraggeber ist der Bund, der Bundestag als Organ des Bundes beschloss das Bundeswehrmandat: Man könnte daher auf die Idee kommen, dass diese Voraussetzung vom Bund als öffentlicher Auftraggeber beeinflussbar ist. Der Bundestag entscheidet ja auch über die Bereitstellung von Haushaltsmitteln, die dem internen, beeinflussbaren Bereich zuzurechnen ist. Eindeutig dürfte sein, dass der Erlass von Gesetzen dem Bund als öffentlicher Auftraggeber nicht als beeinflussbare Voraussetzung zugerechnet werden kann. Eine Mandatierung der Bundeswehr stellt insoweit einen Sonderfall dar, der nach wertender Betrachtung hier richtiger Weise als externe Voraussetzung eingeordnet werden kann, da eine Gefahr des Missbrauchs des Vergabeverfahrens zur Markterkundung ausgeschlossen ist.

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Praxistipp

1. Soll eine freihändige Vergabe aufgrund Eilbedürftigkeit erfolgen, so sind die Gründe detailliert und nachvollziehbar in den Vergabeakten zu dokumentieren. Soweit dokumentiert, kann auch die Zeit für ein Nachprüfungsverfahren einbezogen werden, allerdings nur für ein beschleunigtes Nachprüfungsverfahren.

2. Vergabeverfahren können bereits eingeleitet werden, wenn der Beschaffungsbedarf von nicht beeinflussbaren Voraussetzungen abhängt, um eine sonst später eintretende Eilbedürftigkeit auszuschließen. Dies ist in der Bekanntmachung transparent zu machen.

3. Auch eine Verkürzung der Angebotsfrist ist gut zu begründen und zu dokumentieren. Entgegen dem OLG Düsseldorf sind daran aber nicht so hohe Anforderungen zu knüpfen wie an eine freihändige Vergabe wegen Dringlichkeit. Es spricht einiges dafür, dass eine Abkürzung der Angebotsfrist im offenen Verfahren zur Vermeidung einer freihändigen Vergabe wegen Dringlichkeit zulässig ist.

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Formeltransparenz erforderlich – mit welchen Konsequenzen? (VK Bund, Beschl. v. 03.03.2015 – VK1-4/15)

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Liefer- & DienstleistungenRechtUNBEDINGT LESEN!

EntscheidungDas vergaberechtliche Transparenzgebot des § 97 Abs. 1 GWB gebietet es, dass der öffentliche Auftraggeber „die Formel, unter deren Zuhilfenahme die angebotenen Preise der Bieter in Wertungspunkte umgerechnet“ werden, den Bietern vor Angebotsabgabe bekanntgibt, so die 1. Vergabekammer des Bundes (VK Bund) in ihrem Beschluss vom 3. März 2015, Az.: VK 1-4/15.

Denn auch bei der eingesetzten Umrechnungsformel handelt es sich „um eine (Unter-)Gewichtung des Zuschlagskriteriums Preis“, die für die Bieter „von grundlegender Bedeutung“ ist, denn „es können (…) sich – jeweils von der eingesetzten Preisumrechnungsformel abhängig – höhere oder niedrigere Punktabstände in der Preiswertung auf das Gewicht des Preises in der Gesamtwertung auswirken“.

I. Die Formelwahl beeinflusst die Gewichtung

Die VK Bund führt in dem Zusammenhang weiter aus, dass unterschiedliche Umrechnungsformeln, auf einen identischen Sachverhalt angewandt, regelmäßig unterschiedliche Resultate hervorbringen können. Werde die Zuschlagsformel den Bietern nicht bekannt gemacht, dann sei es laut der Vergabekammer möglich, dass die Bieter nicht dazu in der Lage sind, die Erfolgschancen ihrer Angebote einzuschätzen und diese gegebenenfalls durch Verändern des angebotenen Preises zu optimieren. Daher folge aus dem Transparenzgebot des § 97 Abs. 1 GWB die Pflicht, die Zuschlagsformel bekannt zu geben, sodass bei fehlender Bekanntgabe der Umrechnungsformel ein Vergaberechtsverstoß vorliegt.

Die Vergabekammer stellt insoweit klar, dass die Wahl der Zuschlagsformel die Gewichtung des Preises beeinflusst. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt sollte der Zuschlag auf das Angebot mit der höchsten Punktwertung erteilt werden. Die maximal erreichbaren 100 Bewertungspunkte setzten sich aus maximal 30 Punkten für den niedrigsten Angebotspreis und maximal 70 erreichbaren Punkten für die inhaltliche Ausgestaltung (Qualität) des Angebots zusammen, also eine angebliche Gewichtung Preis/Qualität im Verhältnis von 30 zu 70. Weitere Angaben zur Preisbewertung und zur gewählten Wertungsformel waren in den Vergabeunterlagen nicht enthalten.

II. Formelvarietät

Für die Umrechnung des Angebotspreises in Wertungspunkte („Preispunkte“) gibt es jedoch mehrere alternative Formeln, mit denen die Umsetzung der in den Vergabeunterlagen festgelegten Vorgaben scheinbar möglich ist. Zu nennen sind hier – als die in der Praxis am häufigsten anzutreffenden Methoden – die UfAB-II Formel, die Interpolationsmethoden sowie die Gewichteten Richtwertmethoden der UfAB (Median-, Referenzwert- und Mittelwertmethode):

– die UfAB-II Formel:

Preispunkte = 30 x Pmin / PAngebot

– die einseitige Interpolationsmethode, die zwischen dem niedrigsten und dem Doppelten des niedrigsten Preises interpoliert – einseitig deswegen, weil die Interpolation nur vom niedrigsten Angebotspreis Pmin abhängt:

Preispunkte = 30 x (2 – PAngebot / Pmin)

– die beidseitige Interpolationsmethode, die zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Preis interpoliert – beidseitig deswegen, weil die Interpolation von zwei Werten Pmin und Pmax abhängt:

Preispunkte = 30 x (Pmax – PAngebot ) / (Pmax – Pmin )

(Die Korrektheit der Formel für die Ermittlung der Preispunkte kann man leicht nachvollziehen, indem man PAngebot = Pmin einsetzt. Die einseitige Interpolation ist eine Spezialausprägung der beidseitigen Interpolation, die sich ergibt, indem man Pmax = 2 x Pmin einsetzt.)

Die ebenfalls mit einer Preis-Leistungsgewichtung arbeitenden Gewichteten Richtwertmethoden der UfAB (Median-, Referenzwert- und Mittelwertmethode) basieren alle auf folgender Grundform:

Formel

und unterscheiden sich nur in der Art der Normierung von Leistung und Preis, nämlich Normierung auf den Median bzw. einen vorgegebenen Referenzwert bzw. den Mittelwert der Leistungskennzahlen respektive der Angebotspreise der wertungsfähigen Angebote.

In dem von der VK Bund nun entschiedenen Fall hatte die Vergabestelle letztlich die UfAB-II Formel angewendet. Die erkennende Kammer kritisierte die UfAB-II Formel dahingehend, dass sie tendenziell teurere Angebote bevorzugen würde bzw. hohe Preisabstände zu anderen in der Praxis üblichen (und noch vertretbaren) Umrechnungsformeln relativ wenig sanktionieren würde, wies im Ergebnis den Nachprüfungsantrag aber als unbegründet zurück, da eine Verschlechterung der Zuschlagschancen und damit die erforderliche subjektive Rechtsverletzung der Antragsgegnerin nicht gegeben sei. Ob die an der UfAB-II Formel geäußerte Kritik, dass diese weniger preissensitiv sei als andere Formeln, tatsächlich zutrifft, kann nach Auffassung der Verfasser nicht grundsätzlich bestätigt werden, indem theoretische Berechnungen zeigen, dass es zumindest mit der beidseitigen Interpolationsmethode eine Formel gibt, die unter Umständen in bestimmten Bereichen weniger preissensitiv ist als die UfAB-II Formel. Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dieser Thematik wird in einem mathematischen Exkurs zum Vergleich von Zuschlagsformeln als gesondertem Beitrag „Zur Preissensitivität von Zuschlagsformeln“ beleuchtet, vgl. .

III. Weiterreichende Auswirkungen der Formelwahl

Überdies gibt die von der Vergabekammer geäußerte Kritik an der Wertungsformel Anlass, über weiterreichende Auswirkungen der Wahl der Wertungsformeln nachzudenken:

a) Mindestwertungsanteil des Preises von 30 % eingehalten?

Wenn die UfAB-II Formel im Vergleich zu anderen Formeln tatsächlich – wie von der 1. VK Bund angenommen – tendenziell teure Angebote bevorzugt, stellt sich im Anschluss die Frage, ob dann die vom Auftraggeber beabsichtigte und gegenüber den Bietern bekannt gegebene Gewichtung des Preises von 30 % unter Anwendung der gewählten Wertungsformel – hier UfAB-II Formel – auch tatsächlich eingehalten wird. Würde die UfAB-II Formel das jedoch leisten, so müssten in der Folge die anderen möglichen Zuschlagsformeln – mit abweichenden Wertungsergebnissen – diese beabsichtigte Gewichtung des Preises gerade nicht einhalten. Da die Angebotswerte (Preise und Leistungswertungen der Angebote) immer unverändert vorliegen und wenn dann alle Formeln den Preis mit genau 30 % berücksichtigen würden, müssten auch alle Formeln zum selben Wertungsergebnis kommen, was aber nicht der Fall ist – wie auch die 1. VK Bund feststellte. Also ist im Umkehrschluss festzuhalten, dass die Formeln gerade nicht allesamt den Preis mit 30% berücksichtigen.

Folglich ist umgekehrt davon auszugehen, dass dann, wenn eine der anderen Formeln die festgelegte Preisgewichtung von 30:70 einhalten würde, die UfAB-II Formel, die hohe Preise entsprechend der VK Bund Entscheidung im Vergleich schwächer sanktionieren soll, in der Konsequenz nicht einmal das gesetzte Verhältnis 30:70 umsetzen dürfte, was – nicht zuletzt seit dem Beschluss des OLG Dresden vom 5. Januar 2001, WVerg 11/00 und WVerg 12/00 – ebenfalls als vergaberechtlich bedenklich anzusehen ist.

b) Begründung der Formelwahl

Dies führt darüber hinaus zu einer weiteren Konsequenz: Gemäß § 21 EG Abs. 1 VOL/A ist der Zuschlag auf das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Wie die VK Bund in ihrem oben zitierten Beschluss vom 3. März 2015 ausführt, handelt es sich bei der verwendeten Wertungsformel „ebenfalls um eine (Unter-)Gewichtung des Zuschlagskriteriums Preis“. Da die Wahl der Zuschlagsformel das Wertungsergebnis – und damit die gewählte Wirtschaftlichkeit – erheblich beeinflusst, ist davon auszugehen, dass auch die Wahl der Bewertungsformel zu den gemäß § 21 EG Abs. 1 VOL/A zu berücksichtigenden Umständen zählt. Die VK Bund hat daher – zu Recht – nochmals klargestellt, dass der öffentliche Auftraggeber die Wertungsformel für die Preise aus Transparenzgründen vor Angebotsabgabe bekannt geben muss. Hat die Wahl der Wertungsformel selbst aber Auswirkungen auf die Preisbewertung, so muss dem Bieter dann im Sinne des Transparenzgebots gemäß § 97 Abs. 1 GWB ebenso offen gelegt werden, wie die gewählte Wertungsformel das Wertungsergebnis bzw. entsprechend, wie sie die für das jeweilige Vergabeverfahren festgelegte Wirtschaftlichkeit jeweils beeinflusst. Zudem müssten in der Konsequenz die entsprechenden Gründe für die Wahl der jeweiligen Wertungsformel nachvollziehbar dokumentiert werden.

Diese Erläuterung im Rahmen der Verfahrensdokumentation dürfte, um dem Anspruch der Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu erfüllen, keinesfalls trivial sein – bedenkt man beispielsweise, dass viele dieser Formeln seltsame Wertungseffekte wie z.B. den „Flipping-“ oder den „Pump-Effekt“ aufweisen. Denn solche Effekte treten auch und gerade bei der UfAB-II Formel, aber auch bei den Varianten der Interpolationsmethoden oder den Gewichteten Richtwertmethoden der UfAB auf. In „besondere Erklärungsnot“ wird auch der Anwender des Vergabehandbuchs gebracht, da danach im Formblatt 227 die – nach der vorstehenden Argumentation vergaberechtlich bedenkliche – einseitige Interpolationsmethode bereits fest vorgegeben wird.

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IV. Praxistipp: Das Preis-Leistungsverhältnis zur Bestimmung der Wirtschaftlichkeit

Empfehlenswert ist vor diesem Hintergrund daher in der Praxis für die Auftraggeber ein Abrücken von sämtlichen Formeln, die eine Gewichtung zwischen Preis und Leistung versuchen wollen, zu Gunsten der Anwendung der Einfachen oder Erweiterten Richtwertmethode nach der aktuellen UfAB V Version 2. Denn die Anwendbarkeit dieser Methoden ist bereits mit der in der Betriebswirtschaft allgemein anerkannten Definition der Wirtschaftlichkeit zu begründen. Danach ergibt sich die Wirtschaftlichkeit aus dem Verhältnis (Quotienten) von Ertrag und Aufwand, gemeinhin dem Preis-Leistungsverhältnis. Genau dieses Verhältnis wird von der Einfachen und der Erweiterten Richtwertmethode umgesetzt.

Diese Wahl dürfte auch im Hinblick auf die neuen EU-Vergaberichtlinien und deren anstehende Umsetzung in nationales Recht vorzugswürdig erscheinen. Nach Art. 67 Abs. 1 der neuen Richtlinie 2014/24/EU ist der Zuschlag auf der Grundlage des „wirtschaftlich günstigsten Angebots“ ( sog. MEAT – „most economically advantageous tender“) zu erteilen, das gemäß der Konkretisierung im nachfolgenden Art. 67 Abs. 2 das „beste Preis-Leistungs-Verhältnis“ (best price-quality ratio) lediglich beinhalten kann. Im Erwägungsgrund (89) zur Richtlinie 2014/24/EU wird mit dem Ziel der einfachen und übersichtlichen Darstellung der Zuschlagskriterien empfohlen, den schon in den Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG verwendeten Begriff des „wirtschaftlich günstigsten Angebots“ (sog. MEAT) lediglich als „übergeordnetes Konzept“ zu verwenden und in Abgrenzung dazu den Begriff des „besten Preis-Leistungs-Verhältnisses“ (best price-quality ratio) zu nutzen. Der deutsche Gesetzgeber sieht in dem aktuellen Referentenentwurf vom 05.05.2015 bislang vor, im Sinne des beschriebenen Erwägungsgrundes (89), das wirtschaftlichste Angebot nach dem „besten Preis-Leistungs-Verhältnis“ zu bestimmen (vgl. § 127 GWB-E). Der Wortlaut „Verhältnis“ bzw. im Englischen „ratio“ dürfte dabei – im Sinne der Einfachheit und Übersichtlichkeit der Zuschlagskriterien – für die Anwendung des mathematischen Verhältnisses, d.h. dem mathematischen Quotienten aus den Wertungskennzahlen für Leistung und Preis sprechen.

Kontribution

Der Beitrag wurde gemeinsam mit Frau Dr. Reichling verfasst.

Dr. Ingrid Reichling

Über Dr. Ingrid Reichling

Dr. Ingrid Reichling ist Rechtsanwältin und Partnerin der Sozietät GvW Graf von Westphalen Rechtsanwälte Partnerschaft mbB. Als Leiterin der überörtlichen Praxisgruppe Vergaberecht ist sie seit 1995 auf das Vergaberecht spezialisiert und berät seitdem die öffentliche Hand ebenso wie private Unternehmen bei nationalen und europaweiten Vergabeverfahren und Ausschreibungen, Privatisierungen, PPP/ÖPP sowie bei Out-/ Insourcing. Zudem hat Dr. Reichling langjährige Erfahrung in der Vertretung bei Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern und Vergabesenaten der Oberlandesgerichte ebenso sowie bei sonstigen Rechtsstreitigkeiten, Schadensersatzprozessen, bei Verhandlungen und im Vertragsmanagement. Frau Dr. Reichling ist Autorin zahlreicher nationaler und internationaler Veröffentlichungen sowie Referentin bei Fachtagungen, Seminaren und Inhouse-Schulungen zum Vergaberecht sowie Dozentin im Fachanwaltslehrgang Vergaberecht der Deutschen Anwaltsakademie.

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Gesetzesentwurf zur Modernisierung des Vergaberechts vom Bundeskabinett verabschiedet

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Politik und MarktRechtUNBEDINGT LESEN!

“Weg frei für größte Reform des Vergaberechts seit über zehn Jahren”, so der Bundesminister Sigmar Gabriel. Das Bundeskabinett am gestrigen 8. Juli 2015 den von dem Bundesminister für Wirtschaft und Energie vorgelegten “Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG)” verabschiedet.

Der nunmehr erfolgte Kabinettsbeschluss war allerdings bereits für das Frühjahr 2015 angekündigt. Der sich aus dem Eckpunktepapier zur Reform des Vergaberechts vom 7. Januar 2015  ergebende Zeitplan zur Umsetzung der Europäischen Richtlinien wird somit nicht präzise eingehalten.

Ob der weitere Zeitplan wie angekündigt eingehalten wird, bleibt abzuwarten. Angekündigt wurden:

  • Kabinettsbeschluss zur GWB-Novelle im Frühjahr 2015
  • Gesetzgebung Bundestag und Bundesrat im Herbst 2015
  • Kabinettbeschluss zu den Verordnungen im Herbst 2015
  • Zustimmung des Bundesrats im Winter 2015/2016
  • Inkrafttreten der Umsetzung zum 18. April 2016

Den Gesetzesentwurf der Bundesregierung finden Sie im Mitgliederbereich des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW). Noch kein Mitglied? Die Mitgliedschaft ist kostenlos.

Veranstaltungshinweis: Die Vergaberechtsreform ist Schwerpunkt des 2. Deutschen Vergabetages in Berlin. Zu Programm & Anmeldung.

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Zur Preissensitivität von Zuschlagsformeln

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Recht

Die VK Bund kritisiert in ihrem Beschluss vom 03.03.2015 – VK 1-4/15, dass bestimmte Zuschlagsformeln preislich höhere Angebote im Vergleich zu anderen Zuschlagsformeln tendenziell bevorzugen bzw. weniger sanktionieren würden.

Vor diesem Hintergrund erkannte die Vergabekammer zwar objektiv einen Vergaberechtsverstoß, wies den Nachprüfungsantrag im Ergebnis aber mangels einer subjektiven Rechtsverletzung beim eher teurer anbietenden Antragsteller als unbegründet zurück, da sich die Zuschlagschancen des Antragstellers bei Anwendung anderer Zuschlagsformeln noch verschlechtert hätten – vgl. Vergabeblog.de vom 07/07/2015, Nr. 22924: „Formeltransparenz erforderlich – mit welchen Konsequenzen?“. Zu Recht?

Grund genug also, sich in folgendem interdisziplinären Vergabeblog-Exkurs der Angelegenheit mathematisch zu nähern.

Formelvarietät

Für die Umrechnung des Angebotspreises in Wertungspunkte („Preispunkte“) gibt es mehrere alternative Formeln, mit denen die Umsetzung der in den Vergabeunterlagen festgelegten Vorgaben scheinbar möglich ist. Zu nennen sind hier – als die in der Praxis am häufigsten anzutreffenden Methoden – die UfAB-II Formel, die Interpolationsmethoden sowie die Gewichteten Richtwertmethoden der UfAB (Median-, Referenzwert- und Mittelwertmethode):

– die UfAB-II Formel:

Preispunkte = 30 x Pmin / PAngebot

– die einseitige Interpolationsmethode, die zwischen dem niedrigsten und dem Doppelten des niedrigsten Preises interpoliert – einseitig deswegen, weil die Interpolation nur vom niedrigsten Angebotspreis Pmin abhängt:

Preispunkte = 30 x (2 – PAngebot / Pmin)

– die beidseitige Interpolationsmethode, die zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Preis interpoliert – beidseitig deswegen, weil die Interpolation von zwei Werten Pmin und Pmax abhängt:

Preispunkte = 30 x (Pmax – PAngebot ) / (Pmax – Pmin )

(Die Korrektheit der Formel für die Ermittlung der Preispunkte kann man leicht nachvollziehen, indem man PAngebot = Pmin einsetzt. Die einseitige Interpolation ist eine Spezialausprägung der beidseitigen Interpolation, die sich ergibt, indem man Pmax = 2 x Pmin einsetzt.)

Die ebenfalls mit einer Preis-Leistungsgewichtung arbeitenden Gewichteten Richtwertmethoden der UfAB (Median-, Referenzwert- und Mittelwertmethode) basieren alle auf folgender Grundform:

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Sie unterscheiden sich nur in der Art der Normierung von Leistung und Preis, nämlich Normierung auf den Median bzw. auf einen vorgegebenen Referenzwert bzw. auf den Mittelwert der Leistungskennzahlen respektive der Angebotspreise der wertungsfähigen Angebote.

Visualisierung

Ohne Beschränkung der Allgemeinheit gehen wir in den folgenden Darstellungen davon aus, dass der niedrigste Angebotspreis Pmin den Wert 300 betragen soll. Durch simple Skalierung können die folgenden Erläuterungen auf jeden beliebigen anderen Angebotspreis umgerechnet werden, zum Beispiel 42 Tsd. €, 2,718 Mio. US-$ oder 3,14159 Mrd. Yen.

Der Angebotspreis von 300 wird als niedrigster Preis also auf 30 Preispunkte abgebildet. Folgende Abbildung zeigt für die verschiedenen Formeln für die weiteren Angebotspreise bis 1000 die Abbildung auf die Preispunkte (30 Punkte und weniger). Als weitere Annahme wurde für die beidseitige Interpolation als höchstem Angebotspreis Pmax der Wert 750 angenommen.

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Mit der grünen Linie (in der Abbildung: Interpolation I) ist gut zu erkennen, wie für die einseitige Interpolationsmethode die Preispunktezahl gleichmäßig (linear) von 30 auf null fällt und die Null bei dem Doppelten des niedrigsten Preises Pmin, also dem Abszissenwert 600 erreicht. Entsprechend fällt die beidseitige Interpolationsmethode (in der Abbildung: Interpolation II) ebenfalls linear, wenn auch unter den vorliegenden Annahmen langsamer auf 0, und schneidet die Abszisse bei dem Wert Pmax = 750.

Die Kurve der UfAB-II Formel schneidet die Abszisse jedenfalls im Betrachtungsraum bis 1000 nicht – und sie wird sie auch darüber hinaus nie schneiden. Mit anderen Worten: egal wie teuer ein Angebot würde, es erhält immer noch ein paar Preispunkte aus der angewandten UfAB-II Formel. Die dritte Wertungsstufe sei für diese mathematisch-theoretische Betrachtung an dieser Stelle außen vor gelassen.

Aber kann man daraus schon schließen, dass die UfAB-II Formel teure Angebote grundsätzlich bevorzugt gegenüber anderen Zuschlagsformeln?

DVNW_Mitglied

Vergleich der Preispunkteberechnungen

Zunächst ist erkennbar, dass die einseitige Interpolationsmethode immer unter der Kurve der UfAB-II Formel liegt, d.h. dass sie jenseits des niedrigsten Preises von 300 immer weniger Preispunkte berechnet als die UfAB-II Formel. Man kann mathematisch beweisen, dass das immer gilt, also in jedem denkbaren Szenario. Anders gesagt: Vergleicht man die einseitige Interpolationsmethode (die übrigens eine häufig empfohlene Zuschlagsformel ist und u.a. im Vergabehandbuch im Formblatt 227 fest vorgegeben ist) mit der UfAB-II Formel, so erhalten gleich teure Angebote bei Anwendung der UfAB-II Formel stets mehr Preispunkte als bei Anwendung der einseitigen Interpolationsmethode (und definitionsgemäß gleich viel Punkte – nämlich hier 30 Preispunkte – für den Wertungspreis Pmin).

Die Alles-oder-Nichts Interpolation

Die beidseitige Interpolationsmethode ist da schon sperriger. Sie bildet ja das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ für die Preispunkteberechnung ab und ist mittlerweile berechtigterweise in die Kritik geraten (vgl. z.B. Vergabeblog.de vom 02/03/2014, Nr. 18450 oder Beschluss des OLG Düsseldorf vom 29.04.15, Verg 35/14).

Hier gilt: Liegt der höchste Preis der wertbaren Angebote Pmax unter dem Doppelten des niedrigsten Preises Pmin – und das sollte die weit überwiegende Regel sein –, so ist die (rote) Gerade in der vorhergehenden Abbildung noch steiler als die Gerade der einseitigen Interpolationsmethode. Und damit berechnet in diesem Fall die die beidseitige Interpolationsmethode hier stets weniger Preispunkte als die einseitige Interpolationsmethode – und erst recht weniger als die UfAB-II Formel. In diesem Fall ist also die UfAB-II Formel weniger preissensitiv als die beidseitige Interpolationsformel.

Für das niedrigste Angebot Pmin berechnen alle drei Formeln natürlich den gleichen Wert, nämlich 30 Preispunkte.

Läge allerdings der höchste Angebotspreis Angebote Pmax über dem Doppelten des niedrigsten Preises Pmin – so wie in der Abbildung als Pmax = 750 eingezeichnet–, dann berechnet die beidseitige Interpolationsmethode stets mehr Preispunkte als die einseitige Interpolationsmethode, denn die Gerade für die beidseitige Interpolation in der Abbildung liegt dann immer über der Geraden für die einseitige Interpolation – denn sie ist flacher.

Auch wenn dieses Szenario eher die Ausnahme wäre, dass der höchste Preis Pmax also mehr als doppelt so hoch sei als das niedrigste Angebot aller wertungsfähigen Angebote – solche Szenarios würden regelmäßig schon in der dritten Wertungsstufe bei der Prüfung der Angemessenheit der Preise zumindest auffallen –, so ist trotzdem spannend, wie sich die beidseitige Interpolation in dieser Situation zur UfAB-II Formel verhält.

Mal so, mal so

Dazu zoomen wir mal in den Bereich kurz über dem Mindestpreis Pmin hinein:

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Man kann erkennen, dass die UfAB-II Formel für Preise knapp über Pmin zunächst weniger Preispunkte berechnet als die beidseitige Interpolationsmethode. Erst ab dem zweiten Schnittpunkt überholt die UfAB-II Formel die beidseitige Interpolationsmethode wieder und liegt über ihr.

Und das gilt immer!

Man kann mathematisch sogar den zweiten Schnittpunkt berechnen. Denn angenommen, Pmax sei das n-fache von Pmin. Dann liegt der zweite Schnittpunkt bei Pmin x (n-1) (beachte: n>2).

Im visualisierten Beispiel betrug ja Pmax den Wert 750, also das 2,5-fache von Pmin mit dem Wert 300, und damit n = 2,5. Der Schnittpunkt müsste nach der Berechnungsformel bei 300 x (n-1) = 300 x 1,5 = 450 liegen, und – voilà – da liegt er auch!

Zusammengefasst: Gerade in einiger Nähe des niedrigsten Angebotspreises Pmin liefert die UfAB-II Formel weniger Preispunkte als die beidseitige Interpolationsformel, allerdings nur in dem Ausnahmefall, dass Pmax mehr als das Doppelte von Pmin beträgt. Anders gesagt, die beidseitige Interpolationsformel ist hier weniger preissensitiv, denn sie sanktioniert dort höhere Preise weniger als die UfAB-II Formel.

Ob eine solche Situation bei dem eingangs erwähnten Nachprüfungsverfahren vorlag, entzieht sich der Kenntnis des Autors.

Der entscheidende Faktor: Die Geradensteigung

Entscheidend dafür, ob die UfAB-II Formel also weniger Preispunkte für ein Angebot liefert als eine der linearen Interpolationsmethoden, ist die Steigung der Geraden, die die Methode visualisiert. Je flacher die Steigung, umso weniger preissensitiv ist eine Formel.

Die Steigung der einseitigen Interpolation beträgt -30 / Pmin wie sich aus der Formel der Berechnung der Preispunkte ablesen lässt. Der Wert ist selbstverständlich negativ, weil die Gerade fällt und nicht steigt.

Die Steigung der beidseitigen Interpolation beträgt entsprechend -30 / (Pmax – Pmin ) und ist– aus genannten Gründen – ebenso negativ.

Beträgt der Wert von Pmax mehr als das Doppelte von Pmin, so ist der Nenner Pmax – Pmin größer als der Nenner bei der Steigung der einseitigen Interpolation, der ja nur Pmin beträgt. Demzufolge ist die Steigung der Geraden flacher als bei der einseitigen Interpolation.

Der Nenner der Steigung entscheidet also: ist er größer als Pmin, so ist die Gerade flacher als bei der einseitigen Interpolation, und die Zuschlagsformel ist zumindest in einem Bereich nahe bei Pmin weniger preissensitiv als die UfAB-II Formel. Denn die Steigung der UfAB-II Formel bei Pmin entspricht gerade der Steigung der einseitigen Interpolation (siehe auch unten).

Die Steigungen der Gewichteten Richtwertmethoden der UfAB

Aber ebenso wie bei den Interpolationsmethoden ist die Visualisierung der Gewichteten Richtwertmethoden eine fallende Gerade, denn der Preisterm ist linear und von folgender Form:

– 30 x PAngebot / PNormierung

Die drei Ausprägungen (Median-, Referenzwert- und Mittelwertmethode) der Gewichteten Richtwertmethoden unterscheiden sich nur dadurch, wie die Normierung PNormierung gewählt wird:

Medianmethode: PNormierung ist der Median der Angebotspreise der wertungsfähigen Angebote (in der 4. Wertungsstufe).

Referenzwertmethode: PNormierung ist ein Referenzwert, den der Auftraggeber vorab in den Vergabeunterlagen bekannt gibt.

Mittelwertmethode: PNormierung ist der Mittelwert der Angebotspreise der wertungsfähigen Angebote (in der 4. Wertungsstufe)

Man kann leicht erkennen, dass die Geradensteigung der Gewichteten Richtwertmethoden ‑30 / PNormierung beträgt.

Noch flacher

Nun bestimmt sich ja die die Preissensitivität einer Zuschlagsformel aus der Steigung der Geraden. Je flacher die Gerade, umso weniger preissensitiv ist die Formel.

Man kann getrost davon ausgehen, dass sowohl Mittelwert als auch Median der Angebotspreise der wertungsfähigen Angebot größer ist als der Preis des niedrigsten Angebots Pmin. Das heißt, wir sind zumindest bezüglich der Median- und der Mittelwertmethode im oben beschriebenen Szenario, dass die Steigung der Geraden flacher ist als bei der UfAB-II Methode (und auch der einseitigen Interpolationsmethode). Für die Referenzwertmethode hängt dies jedoch entscheidend davon ab, wie der Referenzwert für den Preis gewählt wurde, nämlich größer oder kleiner als Pmin.

Da die Steigung der Geraden ja der entscheidende Faktor für die Preissensitivität der Formel ist, kann festgehalten werden, dass die Median- und die Mittelwertmethode – sowie auch die Referenzwertmethode abhängig von der Wahl des Referenzwerts – zumindest in bestimmten Bereichen weniger preissensitiv sind als die UfAB-II Formel, d.h. dass die entsprechenden Formeln einen niedrigeren Preispunkteabschlag für eine Änderung des Angebotspreises berechnen als die UfAB-II Formel.

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Zusammenfassung

Die hier vorgestellten Überlegungen zeigen, dass man nicht von der naheliegenden Annahme ausgehen kann, dass die UfAB-II Formel grundsätzlich weniger preissensitiv sei als andere Zuschlagsformeln. Zumindest theoretisch gibt es mit der beidseitigen Interpolationsmethode eine Formel, die unter Umständen in bestimmten Bereichen weniger preissensitiv ist als die UfAB-II Formel. Und weiter weisen auch die Median- und Mittelwertmethode, und – abhängig vom gewählten Referenzwert – auch die Referenzwertmethode der UfAB eine flachere Steigung auf als die UfAB-II Formel in der Nähe des niedrigsten Preises. Sie sind also zumindest in Teilbereichen ebenso weniger preissensitiv als die UfAB-II Methode.

Eine allgemeingültige Grundsatzaussage, dass die UfAB-II Formel weniger preissensitiv sei als andere übliche Zuschlagsformeln, kann insgesamt nicht getroffen werden.

Kontribution

Der Beitrag wurde gemeinsam mit Frau Dr. Reichling verfasst.

Dr. Ingrid Reichling

Über Dr. Ingrid Reichling

Dr. Ingrid Reichling ist Rechtsanwältin und Partnerin der Sozietät GvW Graf von Westphalen Rechtsanwälte Partnerschaft mbB. Als Leiterin der überörtlichen Praxisgruppe Vergaberecht ist sie seit 1995 auf das Vergaberecht spezialisiert und berät seitdem die öffentliche Hand ebenso wie private Unternehmen bei nationalen und europaweiten Vergabeverfahren und Ausschreibungen, Privatisierungen, PPP/ÖPP sowie bei Out-/ Insourcing. Zudem hat Dr. Reichling langjährige Erfahrung in der Vertretung bei Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern und Vergabesenaten der Oberlandesgerichte ebenso sowie bei sonstigen Rechtsstreitigkeiten, Schadensersatzprozessen, bei Verhandlungen und im Vertragsmanagement. Frau Dr. Reichling ist Autorin zahlreicher nationaler und internationaler Veröffentlichungen sowie Referentin bei Fachtagungen, Seminaren und Inhouse-Schulungen zum Vergaberecht sowie Dozentin im Fachanwaltslehrgang Vergaberecht der Deutschen Anwaltsakademie.

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„Veraltetes fehlt nicht“ – Keine Nachforderungsfähigkeit bei nicht aktuellen Unterlagen (VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 29.06.2015 – 1 VK 17/15)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungUnterlagen, die nicht die von einer Vergabestelle geforderte Aktualität aufweisen können nach einer Entscheidung der Vergabekammer Baden-Württemberg nicht nachgefordert werden. Das Angebot des entsprechenden Bieters ist zwingend auszuschließen.

 

Sachverhalt

Was war passiert? Die Vergabestelle forderte mit Angebotseinreichung einen Handelsregisterauszugs an, der – vom Datum der Veröffentlichung der Ausschreibung an gerechnet – nicht älter als drei Monate sein durfte.

Der Bestbieter reichte mit seinem Angebot einen älteren Handelsregisterauszug ein. Die Vergabestelle stellte sich auf den Standpunkt, dass dieser Fall dem eines vollständigen Fehlens des Auszugs gleichkomme und forderte einen aktuellen Handelsregisterauszug nach. Nach erfolgter Nachreichung informierte die Vergabestelle die unterlegenen Bieter gem. § 101a GWB über die beabsichtigte Zuschlagserteilung.

Der zweitplatziere Bieter reichte daraufhin einen Nachprüfungsantrag ein und trug im Wesentlichen vor, dass die Nachforderungsmöglichkeit gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 VOL/A-EG sich auf Fälle des tatsächlichen physischen Fehlens beschränken müsse.

Die Vergabestelle berief sich hingegen auf die Entscheidungen des OLG Dresden (OLG Dresden, Beschl. v. 17.01.2014 – Verg 7/13) und der Vergabekammer Nordbayern (VK Nordbayern, Beschl. v. 25.06.2014 – 21.VK-3194-15/14).

Das OLG Dresden führte in seinem Leitsatz wie folgt aus:

„(…). Auch wird die Regelung nicht nur dann einschlägig sein, wenn es um die Behebung formeller Mängel oder das völlige Fehlen einer Erklärung oder eines Nachweises geht. Sie wird es auch möglich machen, inhaltliche Unzulänglichkeiten aufzugreifen, die in ihrer Qualität einem formellen Mangel gleichkommen.“

Die VK Nordbayerns formuliert insoweit ihren Leitsatz so:

„(…). Zwar sind fehlerhafte Angaben nicht mit fehlenden Erklärungen gleich zu setzen. Sie können weder nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A ergänzt noch im Wege von Aufklärungsverhandlungen nachgefordert werden. Dies gilt jedoch nicht bei einer offensichtlichen Unrichtigkeit. Sinn des Vergabeverfahrens ist es nämlich auch, das wirtschaftlich günstigste Angebot zu wählen und ein solches nicht an formalistischen Gesichtspunkten scheitern zu lassen. Liegen demnach offensichtliche Denkfehler vor, die für den Auftraggeber erkennbar sind, dürfen solche Fehler korrigiert werden.“

Außerdem wies die Vergabestelle auf den Wertungswiderspruch hin, der entstünde, wenn man denjenigen Bieter besser stellte, der gar nicht vorliegt, als denjenigen – der in Unkenntnis des Vergaberechts – der Meinung ist, besser zunächst etwas veraltetes als gar nichts vorzulegen. Außerdem berief sich die Vergabestelle auf die gesetzgeberische Intention, wirtschaftlich attraktive Angebote nicht an Formalitäten scheitern zu lassen.

Die VK Baden-Württemberg folgte diesen Ansätzen nicht, sondern beschränkt das Nachforderungsrecht auf das physische Fehlen von Unterlagen oder Nachweisen.

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Rechtliche Würdigung

Durch die Entscheidung der Vergabekammer lebt die vor 2009 geltende Rechtslage für veraltete Nachweise und Unterlagen wieder auf. Bis zu VOL/A 2009 war es ja bekanntermaßen so, dass unvollständige Angebote zwingend auszuschließen waren. Das führte oft zum Ausschluss attraktiver Angebote. In der VOL/A 2009 wurde dann nachgesteuert und das Nachfordern fehlender Unterlagen und Nachweise erlaubt.

Nach der Entscheidung der VK Baden-Württemberg sind nun veraltete Unterlagen und Nachweise wie fehlende Nachweise von der VOL/A 2009 zu behandeln. Ob diese den gesetzgeberischen Vorstellungen entspricht ist stark zu bezweifeln. Abhilfe kann hier jedoch nur de lege ferenda geschaffen werden.

Für die Vergabestellen stellt sich die praktische Frage, wie darauf gestalterisch reagiert werden kann. Vielleicht ist es möglich, in den Vergabeunterlagen veraltete Nachweise und Unterlagen fehlenden gleichzustellen. Oder man formuliert künftig vorsichtiger, etwa „möglichst nicht älter als drei Monate“. Vielleicht schafft ja auch der Gesetzgeber bei der anstehenden Vergaberechtsreform noch Abhilfe.

Praxistipp

Für die Bieter sei der Hinweis erlaubt, in solchen Fällen fachkundige Beratung einzuholen. Jeder im Vergaberecht Kundige hätte dem hier betroffenen Bieter nämlich raten müssen, den veralteten Handelsregisterauszug nicht einzureichen. Dann wäre eine Nachforderung unproblematisch möglich gewesen!

Martin Adams

Über Martin Adams

Herr Martin Adams ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei _teamiur_Rechtsanwälte , Mannheim. Herr Adams berät bundesweit öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, insbesondere im Bereich der Abfallwirtschaft. Darüber hinaus veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in entsprechenden Fachmedien und tritt als Referent in Fachseminaren auf.

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Das Ende der Kinderarbeit ist noch lange nicht besiegelt! (VGH Baden Württemberg, Beschl. v. 21.05.2015 – 1 S 383/14)

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Liefer- & DienstleistungenRecht

EntscheidungZur zweifelhaften Vertrauenswürdigkeit von Sozialsiegeln gegen Kinderarbeit. Die Forderung nach einem Zertifikat einer anerkannten Organisation darüber, dass Grabsteine ohne Kinderarbeit hergestellt wurden, kann unverhältnismäßig sein, wenn es keine hinreichend gesicherte Verkehrsauffassung dazu gibt, welche Zertifikate vertrauenswürdig sind.

Art. 12 Abs. 1 GG

Leitsatz

  1. Die Regelung in einer kommunalen Friedhofssatzung, dass nur Grabsteine verwendet werden dürfen, die nachweislich ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt sind, und dass der Nachweis mittels Zertifikat einer anerkannten Organisation erbracht wird, ist mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar, wenn weder eine hinreichend gesicherte Verkehrsauffassung besteht, welche Zertifikate als vertrauenswürdig gelten können, noch eine zuständige staatliche Stelle Zertifikate als vertrauenswürdig anerkannt hat noch ausdrücklich unter Benennung der Zertifikate geregelt ist, welche Zertifikate als Nachweis ausreichen.
  2. Eine hinreichend gesicherte Verkehrsauffassung, welche Zertifikate über Grabsteine, die ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt sind, als vertrauenswürdig gelten können, ist derzeit nicht festzustellen.

Sachverhalt

Die Friedhofssatzung einer Gemeinde sieht vor, dass nur Grabsteine verwendet werden dürfen, die nachweislich ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt sind, und dass der Nachweis mittels Zertifikat einer anerkannten Organisation erbracht wird. Gegen diese Satzung haben verschiedene Steinmetzbetriebe geklagt. Sie seien nicht in der Lage, die Wertschöpfungskette der verwendeten Steine darzustellen. Die Gemeinde hat dagegen vorgetragen, es gebe Organisationen, wie z.B. XeritifiX und fair stone, die vertrauenswürdige Zertifikate ausstellen würden.

Die Entscheidung

Der VGH Baden-Württemberg hat sich eingehend mit der Frage befasst, ob es eine hinreichend gesicherte Verkehrsauffassung dazu gebe, welche Organisationen vertrauenswürdige Zertifikate ausstellen würden. Er kam zu dem Ergebnis, das es zwar im Internet und in der Presse durchaus Positives über einige Organisationen zu lesen gebe. Das reiche aber nicht aus, um eine hinreichend gesicherte Verkehrsauffassung zu begründen. Auch gebe es keine gesetzliche Regelung dazu, welche Zertifikate als verlässlich anzusehen seien. Wenn also nicht hinreichend sicher festzustellen sei, welche Nachweise oder Zertifikate verlässlich sind, sei eine Forderung nach einem solchen Nachweis unverhältnismäßig. Die Friedhofssatzung verstoße daher gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und sei daher rechtswidrig.

Rechtliche Würdigung

Hinter der angegriffenen Friedhofssatzung steht die anerkennenswerte Absicht der betroffenen Gemeinde, sicherzustellen, dass in Steinbrüchen und Weiterverarbeitungsbetrieben die Anforderungen der ILO-Konvention 182 (Verbot von Kinderarbeit) tatsächlich eingehalten werden. Gleichwohl darf diese Absicht nicht dazu führen, dass Unternehmen verpflichtet werden, verlässliche Nachweise beizubringen, die es gar nicht gibt. Die Entscheidung ist daher nachvollziehbar.

Öffentliche Auftraggeber stehen vielfach vor der gleichen Herausforderung wie die betroffene Gemeinde. Denn zahlreiche Landesvergabegesetze schreiben vor, dass bei der Ausführung öffentlicher Aufträge keine Waren verwandt werden dürfen, die unter Missachtung der in den ILO-Kernarbeitsnormen festgelegten Mindeststandards gewonnen oder hergestellt worden sind (vgl. etwa § 18 TVgG NRW). Öffentliche Auftraggeber des Landes NRW verlangen dazu von den Bietern die Abgabe einer Verpflichtungserklärung, dass bei Auftragsausführung die ILO-Kernarbeitsnormen eingehalten werden. Wer diese Erklärung nicht abgibt, wird wegen Unvollständigkeit des Angebots von der Vergabe ausgeschlossen. Diese Vorgehensweise ist vom OLG Düsseldorf (Verg 28/13 und Verg 39/13) als vergaberechtskonform angesehen worden.

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Problematisch dürfte es dagegen sein, wenn öffentliche Auftraggeber, ähnlich wie im Fall der Friedhofssatzung, anstatt oder neben einer Verpflichtungserklärung zur Auftragsausführung nunmehr die Abgabe eines verlässlichen Nachweises einer anerkannten Organisation darüber verlangen würden, dass die von ihnen eingesetzten Produkte ILO-konform sind. Denn diese Forderung könnte nach der Entscheidung des VGH Baden-Württemberg ebenfalls unverhältnismäßig sein. Öffentliche Auftraggeber sind in aller Regel auch an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden, da dieser jedenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt (und nicht nur aus den Grundrechten). Das Rechtsstaatsprinzip müssen öffentliche Auftraggeber bei fiskalischen Maßnahmen beachten (BGH, Urteil vom 17.12.1999 X ZR 101/97).

Praxistipp

Öffentliche Auftraggeber sollten primär Eigenerklärungen (hier: Verpflichtungserklärung zur Auftragsausführung) verlangen. Eigenerklärungen darf grundsätzlich vertraut werden.

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